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7.

Antonius findet sich wieder, auf dem Rücken ausgestreckt, am Rande der Felswand. Der Morgen beginnt zu grauen.

Ist das die Helligkeit der Morgenröte oder nur ein Widerschein des Mondes?

Er versucht aufzustehen, sinkt aber zurück; zähneklappernd:

Ich fühle eine Müdigkeit … als ob mir alle Knochen zerschlagen wären! Warum?

Ah! Der Teufel ist's, ich besinne mich … und er sagte mir sogar all das wieder, was ich gelernt hatte beim alten Didymus: Anschauungen des Xenophanes, Heraclit, Melissos, Anaxagoras über das Unendliche, die Schöpfung und die Unmöglichkeit des Erkennens!

Und ich hatte geglaubt, ich könnte mich mit Gott vereinen.

Bitter lachend.

Ah! Wahnsinn, Wahnsinn! Ist es meine Schuld? Das Gebet ist mir unerträglich! Mein Herz ist dürrer als ein Felsen! Ehedem strömte es über von Liebe! …

Des Morgens dampfte der Sand am Horizont wie ein stäubendes Weihrauchbecken; beim Sonnenuntergang erblühten Feuerblumen über dem Kreuze; und um die Mitte der Nacht schien es mir oft, als beteten, umfangen von der gleichen Stille, alle Wesen und alle Dinge den Herrn an. O Wonne des Gebetes, Glückseligkeiten der Extase, Geschenke des Himmels, was ist aus euch geworden?

Ich entsinne mich einer Wanderung, die ich mit Ammon unternahm, auf der Suche nach einer Einöde, um Klöster zu gründen. Es war der letzte Abend; wir beschleunigten unsere Schritte, sangen leise Lobhymnen und gingen nebeneinander, ohne zu sprechen. Je tiefer die Sonne sank, desto länger wurden unsere Schatten, wie zwei immerzu wachsende Obelisken, die vor uns herwandelten.

Mit Stücken von Stäben pflanzten wir hier und dort ein Kreuz auf um den Platz für eine Zelle zu bezeichnen. Zögernd nahte die Nacht und dunkle Wogen breiteten sich über die Erde aus, während eine rosige Färbung den Himmel weithin bedeckte.

Als ich ein Kind war, machte es mir Freude, mit Steinchen eine Einsiedelei zu bauen. Meine Mutter stand bei mir und sah mir zu. Sie wird mir geflucht haben, weil ich sie verlassen habe, indem sie mit vollen Händen ihre weißen Haare raufte. Und ihre Leiche blieb ausgestreckt mitten in der Hütte, unter dem Schilfdach zwischen fallendem Gemäuer. Durch ein Mauerloch streckt eine Hyäne schnüffelnd die Schnauze! ... Grauenhaft, grauenhaft!

Er schluchzt.

Nein, Ammonaria wird sie nicht verlassen haben! Wo ist sie jetzt, Ammonaria?

Vielleicht zieht sie eben im Winkel eines Dampfbades ihre Kleider aus, eines nach dem andern: zuerst den Mantel, dann den Gürtel, die obere Tunika, die untere, leichtere, alle ihre Halsketten; und der Duft des Paneel umschwebt ihre nackten Glieder. Sie legt sich endlich auf dem warmen Mosaik nieder. Ihre Haare umwallen ihre Hüften wie ein schwarzes Vließ; – und, halb erstickend in der heißen Luft, ringt sie nach Atem, mit ihren geschweiften Hüften und den beiden stehenden Brüsten.

Sieh! ... Da bäumt sich mein Fleisch auf! Mitten in der Bekümmernis quält mich die Lüsternheit. Zwei Martern zugleich, das ist zuviel! Ich kann mein Wesen nicht mehr ertragen!

Er beugt sich und schaut in den Abgrund.

Der Mensch, der da hinunterfiele, wäre tot. Nichts ist leichter, wenn man sich auf die linke Seite wälzt; man braucht nur eine Bewegung zu machen, eine einzige!

Da erscheint: Ein altes Weib.

Antonius fährt erschreckt zusammen und springt auf. – Er glaubt seine Mutter auferstanden zu sehen.

Aber diese da ist viel älter und von einer erstaunlichen Magerkeit.

Ein Leichentuch, das um ihren Kopf geschlungen ist, hängt mit ihren weißen Haaren bis herab zu den beiden wie Krücken mageren Beinen. Der Glanz der elfenbeinfarbenen Zähne macht ihre erdige Haut noch dunkler. Die Höhlen ihrer Augen sind voll Finsternis und in ihrer Tiefe flackern zwei Flammen wie Grabeslampen.

Nur voran – spricht sie. – Wer hält dich zurück?

Antonius stammelnd. Ich fürchte, eine Sünde zu begehen.

Sie fährt fort:

Aber König Saul hat sich auch getötet. Razias, ein Gerechter, die Heilige Pelagia von Antiochia und drei weitere Heilige: Domina von Aleppo und ihre zwei Töchter haben sich getötet; und entsinne dich der Christen, die den Henkern entgegenliefen, aus Ungeduld zu sterben. Um rascher zum Genüsse des Todes zu gelangen, erdrosselten sich die Jungfrauen von Milet mit ihren Gürteln. Der Philosoph Hegesias in Syrakus predigte den Tod so erfolgreich, daß man die Lupanare verließ, um sich draußen im freien aufzuhängen. Die römischen Patrizier führten ihn herbei als eine Ausschweifung.

Antonius. Ja, es ist eine heftige Liebe. Viele Anachoreten unterliegen ihr.

Die Alte. Bedenke doch! Etwas zu tun, das dich Gott gleichstellt! Er hat dich geschaffen, du gehst hin, sein Werk zu zerstören. Du, kraft deines Mutes, aus freien Stücken! Die Seligkeit des Herostrat konnte nicht größer sein! Dein Leib hat deine Seele genugsam zum Narren gehabt, als daß du dich nicht endlich an ihm rächen solltest. Du wirst nicht leiden. Es wird rasch zu Ende sein. Was fürchtest du? Ein großes, schwarzes Loch! Vielleicht – ist es leer?

Antonius hört zu, ohne zu antworten; und von der anderen Seite erscheint

Ein anderes Weib, jung und blendend schön. – Er hält sie zuerst für Ammonaria.

Aber sie ist größer, honigblond, sehr üppig, mit Schminke auf den Wangen und Rosen auf dem Haupte.

Ihr langes, flitterbedecktes Gewand schimmert metallisch; ihre fleischigen Lippen scheinen zu bluten und ihre etwas schweren Lider sind dermaßen von schmachtender Sehnsucht umdämmert, daß man sie für blind halten könnte. Sie flüstert:

Lebe doch! Genieße doch! Salomon empfiehlt die Freude! Gehe, wie dein Herz dich leitet und nach dem Gelüsten deiner Augen!

Antonius. Welche Freude sollte ich noch finden? Mein Herz ist müde, meine Augen trüb!

Sie fährt fort:

Geh in die Vorstadt Rakotis, öffne eine blaugestrichene Tür; und wenn du im Atrium stehst, wo ein Springquell murmelt, wird ein Weib erscheinen in einem Peplos aus weißer golddurchwirkter Seide, mit aufgelösten Haaren und einem Lachen, gleich dem Schnalzen der Klapperschlange. Sie ist gewandt. Du wirst in ihren Armen die stolze Lust einer ersten Enthüllung und die Stillung eines Bedürfnisses genießen.

Du kennst auch nicht die Aufregungen des Ehebruchs, das Einsteigen, die Entführungen, die Wonne, diejenige ganz nackt zu sehen, die man in ihren Kleidern geachtet hatte.

Hast du je eine Jungfrau, die dich liebt, an die Brust gedrückt? Erinnerst du dich an die Hingabe ihrer Scham, an ihre Gewissensbisse, die unter einem Strom von Tränen dahingingen?

Du kannst dir wohl vorstellen, wie ihr schreitet durch den Wald im Mondenschein? Beim Druck eurer vereinten Hände durchläuft euch ein Beben; ihr seht euch Auge in Auge, von einem zum andern strömt es wie überirdische Wogen und euer Herz ist voll, es fließt über; es ist ein süßer Taumel, überquellende Trunkenheit …

Die Alte. Man braucht die Freuden nicht zu besitzen, um ihre Bitterkeit zu kosten! Schon aus der Ferne gesehen, erfüllen sie dich mit Eckel. Du mußt ermüdet sein von der Eintönigkeit der gleichen Handlung, von der Dauer der Tage, der Häßlichkeit der Welt, der Dummheit der Sonne.

Antonius. Ja! Alles, was sie bescheint, mißfällt mir!

Die Junge. Eremit, Eremit! Du wirst Diamanten zwischen den Kieseln finden, Quellen unter dem Sande, ein Ergötzen in den Zufälligkeiten, welche du verachtest; ja, es gibt Gegenden, die so schön sind, daß man Lust hätte, die ganze Erde an sein Herz zu drücken.

Die Alte. Jeden Abend, wenn du auf ihr einschläfst, hoffst du, daß sie dich bald bedecken möge.

Die Junge. Indes glaubst du an die Auferstehung des Fleisches, das heißt die Übertragung des Lebens in die Ewigkeit.

Die Alte ist, während sie sprach, noch abgezehrter geworden und über ihrem enthaarten Schädel zieht eine Fledermaus Kreise in der Luft.

Die Junge ist fetter geworden. Ihr Kleid schillert, ihre Nüstern zittern, wollüstig verdreht sie die Augen.

Die Erste spricht, indem sie die Arme öffnet. Komm, ich bin der Trost, die Ruhe, das Vergessen, die ewige Heiterkeit.

Die Zweite, ihre Brüste darbietend. Ich schläfere ein! Ich bin die Freude, das Leben, das unerschöpfliche Glück!

Antonius wendet sich um zu fliehen. Beide legen ihm die Hand auf die Schulter. Das Leichentuch öffnet sich und enthüllt das Skelett des Todes. Der Tod, la mort ist im Französischen weiblich, daher als altes Weib dargestellt.

Das Gewand klafft auseinander und läßt den ganzen Leib der Wollust sehen, schlank in der Taille, mit gewaltigen Hüften und langen, gewellten Haaren, deren Ende fortflattert.

Antonius bleibt unbeweglich zwischen den beiden und betrachtet sie.

Der Tod spricht zu ihm. Sogleich oder in Bälde, was liegt daran! Du gehörst mir, wie die Sonnen, die Völker, die Städte, die Könige, der Schnee auf den Bergen, das Gras auf den Feldern. Ich fliege höher wie der Sperber, ich laufe rascher wie die Gazelle, ich ereile selbst die Hoffnung, ich habe Gottes Sohn überwunden.

Die Wollust. Widerstehe nicht, ich bin allmächtig! Die Wälder hallen wider von meinen Seufzern, die Wellen bäumen sich unter meinen Stürmen! Die Tugend, der Wut, die Frömmigkeit werden zu Nichte unter dem Hauche meines Mundes. Ich begleite den Menschen bei allen Schritten, die er tut; – und an der Schwelle des Grabes wendet er sich zurück nach mir!

Der Tod. Ich werde dir enthüllen, was du zu erfassen suchtest beim Fackelschein auf dem Antlitz der Toten; – oder wenn du jenseits der Pyramiden herumschweiftest in den großen Sandwogen, die untermischt sind mit menschlichen Überresten. Von Zeit zu Zeit rollte das Bruchstück eines Schädels unter deiner Sandale. Du nahmst den Sandstaub und ließest ihn durch die Finger rieseln; und dein Gedanke verschmolz sich mit ihm und verlor sich im Nichts.

Die Wollust. Mein Abgrund ist tiefer! Marmorbilder erweckten unlautere Liebe. Man eilt zu Begegnungen, die in Schrecken seyen. Man schmiedet Ketten, die man verflucht. Woher kommt die Zauberkraft der Kurtisanen, die Ausschweifungen der Träume, die Unermeßlichkeit meiner Schwermut.

Der Tod. Meine Ironie übertrifft alle andern. Es gibt Krämpfe der Lust bei Leichenbegängnissen von Königen, bei der Ausrottung eines Volkes; man führt Krieg mit Musik, Lederbüschen, Fahnen, goldenen Harnischen, einem zeremoniellen Aufwand, um mir um so besser zu huldigen.

Die Wollust. Mein Zorn kommt dem deinen gleich. Ich heule, ich beiße. Ich habe den Schweiß der Sterbenden und das Aussehen von Leichen.

Der Tod. Ich bin es, der dich ernst macht; umschlingen wir uns!

Der Tod grinst, die Wollust stöhnt. Sie fassen sich um den Leib und singen zusammen:

Ich beeile die Auflösung der Materie!
Ich begünstige das Streuen der Keime!
Du zerstörst, damit ich aufbaue!
Du erzeugst, damit ich zerstöre!
Belebe meine Kraft!
Befruchte meine Verwesung!

Und ihre Stimmen, deren rollendes Echo den ganzen Himmel erfüllt, werden derartig laut, daß Antonius davon rücklings zu Boden stürzt.

Ein Stoß läßt ihn von Zeit zu Zeit leise die Augen öffnen; und er bemerkt vor sich mitten im Dunkel eine Art von Ungetüm. Es ist ein Totenkopf mit einer Rosenkrone. Er sitzt auf einem Frauenleib von perlmutterner Blässe. Darunter bildet ein mit Goldpunkten gestirntes Leichentuch eine Art von Schweif und der ganze Körper windet sich wie ein aussenstehender Riesenwurm. Die Vision verblaßt, verschwindet.

Antonius erhebt sich. Noch einmal war es der Teufel und zwar unter seiner zwiefachen Gestalt: als Geist der Unzucht und als Geist der Zerstörung.

Holzschnitt: Hermann Lismann

Tod und Wollust.

Keiner der beiden schreckt mich. Ich stoße das Glück von mir und fühle mich ewig.

So ist der Tod nur eine Täuschung, ein Schleier, der stellenweise die Fortdauer des Lebens verhüllt.

Aber warum sind die Formen mannigfaltig, wenn die Substanz eine Einheit ist?

Irgendwo muß es Urgestalten geben, deren Körper nur ihre Verbildlichung bedeuten. Wenn man sie zu sehen bekäme, könnte man das Band erkennen zwischen der Materie und dem Gedanken; und darin besteht das Sein.

Das sind jene Figuren, welche in Babylon auf die Mauer des Baalstempels gemalt waren und die ein Mosaik im Hafen von Karthago erfüllten. Ich selbst habe manches Mal am Himmel etwas bemerkt wie Formen von Geistern. Die Leute, welche die Wüste durchwandern, begegnen Tieren, die alle Begriffe überbieten.

Gegenüber, auf der andern Seite des Nils erscheint die Sphinx. Im Französischen männlich. Sie streckt die Pfoten, schüttelt die Stirnbinden und lagert sich auf den Bauch.

Springend, fiiegend, bellend, Feuer durch die Nase sprühend, wirbelt die grünäugige Chimäre und peitscht mit ihrem Drachenschweif die Flügel.

Die Ringellocken ihres Haares, auf einer Seite zurückgeworfen, vermengen sich mit den haaren ihrer Lenden, auf der andern schleifen sie herab in den Sand und bewegen sich im wiegenden Takte ihres ganzen Leibes.

Die Sphinx, unbeweglich, betrachtet die Chimäre. Hierher, Chimäre, steh still!

Die Chimäre. Nein, nimmermehr!

Die Sphinx. Laufe nicht so rasch, fliege nicht so hoch, belle nicht so laut!

Die Chimäre. Ruf mich nicht, rufe mich nicht mehr! Da du doch immer stumm bleibst!

Die Sphinx. Höre auf, mir deine Flammen ins Gesicht zu speien und mir in die Ohren zu heulen; du wirst meinen Granit nicht zum schmelzen bringen.

Die Chimäre. Schreckliche Sphinx, du kannst mich nicht fassen!

Die Sphinx. Um bei mir zu bleiben, bist du zu toll!

Die Chimäre. Um mir zu folgen, bist du zu schwer!

Die Sphinx. Wohin gehst du, was läufst du so rasch?

Die Chimäre. Ich galoppiere in den Gängen des Labyrinths, ich lagere auf den Bergen, ich streife über die Wellen hin, ich kläffe in der Tiefe der Abgründe, ich hänge mich mit den Zähnen an den Zipfel der Wolken; mit meinem nachschleifenden Schweife fege ich den Strand, und die Hügel haben ihre Rundung der Form meinen Schultern entnommen.

Aber dich finde ich immerwährend unbeweglich, es sei denn, du zeichnetest mit der Krallenspitze Alphabete in den Sand.

Die Sphinx. Weil ich mein Geheimnis bewahre! Ich überlege und berechne.

Das Meer wälzt sich in seinem Bette, das Korn wiegt sich im Winde, Karawanen ziehen, Staub fliegt auf, Städte stürzen in Trümmer; – und mein Blick bleibt unabwendbar durch die Dinge hindurch gerichtet auf einen unerreichbaren Horizont.

Die Chimäre. Ich bin leicht und lustig! Ich enthülle den Menschen bezaubernde Fernsichten mit Paradiesen in den Wolken und fernen Seligkeiten. Ich gieße ihnen die ewigen Tollheiten in die Seele: Pläne von Glück, Entwürfe für die Zukunft, Träume von Ruhm und die Liebesschwüre und tugendhaften Vorsätze.

Ich treibe an zu gefährlichen Reisen und großen Unternehmungen. Ich habe mit meinen Klauen die Wunder der Architekturen gemeißelt. Ich war es, der Glöckchen am Grabe Porsennas aufgehängt und mit einer Mauer von Orichalkas-Erz die Ufer der Atlantis umfriedet hat. Ich suche neue Wohlgerüche, immer größere Blumen, Vergnügungen, die noch keiner gekostet. Finde ich irgendwo einen Menschen, dessen Geist in der Weisheit ruht, so stürze ich mich auf ihn und erwürge ihn.

Die Sphinx. Alle die, welche das Sehnen nach Gott bedrängt, habe ich verschlungen.

Die Stärksten steigen, um bis zu meiner königlichen Stirn emporzugelangen, auf den Streifen meiner Stirnbinden hinauf wie auf den Stufen einer Treppe. Müdigkeit überfällt sie; und sie stürzen von selbst rücklings herab.

Holzschnitt: Hermann Lismann

Die Sphinx.

Antonius beginnt zu zittern.

Er ist nicht mehr vor seiner Hütte, sondern in der Wüste; ihm zu beiden Seiten die zwei ungeheuerlichen Tiere, deren Mäuler ihm die Schultern berühren.

Die Sphinx. Phantasie! Trag mich fort auf deinen Flügeln, um meine Schwermut zu zerstreuen!

Die Chimäre. O Unbekannter, ich bin verliebt in deine Augen! Wie eine brünstige Hyäne kreise ich um dich und werde um deine Befruchtung, nach der mich die Gier verzehrt.

Öffne den Rachen, erhebe die Füße, springe auf meinen Rücken!

Die Sphinx. Seit meine Füße flach auf dem Boden liegen, kann ich sie nicht mehr heben. Das Moos ist wie eine Flechte auf meinem Maule gewachsen. Ich habe soviel nachgedacht, daß ich nichts mehr zu sagen habe.

Die Chimäre. Du lügst, heuchlerische Sphinx! Woher kommt es, daß du mich immer rufest und wieder verleugnest?

Die Sphinx. Du bist es, unbezähmbare Laune, die immer vergeht und sich im Wirbel dreht.

Die Chimäre. Ist es meine Schuld, wie? Laß mich! Sie bellt.

Die Sphinx. Du bewegst dich, du entkommst mir! Sie grunzt.

Die Chimäre. Versuchen wir's! Du zermalmst mich!

Die Sphinx. Nein, unmöglich!

Und mehr und mehr einsinkend, verschwindet sie im Sand, – während die Chimäre mit hängender Zunge, im Kreise fortkriechend, sich entfernt.

Der Atem aus ihrem Munde hat einen Nebel erzeugt.

In diesem Dunste bemerkt Antonius Wolkenwindungen, undeutliche Kurven. Endlich unterscheidet er etwas wie Spuren menschlicher Leiber. Zuerst nähert sich

Die Schar der Astomi, gleich Luftblasen, durch welche die Sonne scheint. Blase nicht zu stark! Die Regentropfen zerquetschen uns, die falschen Töne machen uns wund, die Dunkelheit blendet uns. Gebildet aus Lufthauch und Duft rollen wir, schweben wir, etwas mehr wie Träume, noch keine ganzen Wesen …

Die Nisnas haben nur ein Auge, eine Wange, eine Hand, ein Bein, einen halben Körper und ein halbes Herz. Und sie rufen laut: Wir leben ganz behaglich in unseren halben Häusern, mit unseren halben Häusern, mit unseren halben Frauen und unseren halben Kindern.

Die Blemmyer, völlig kopflos. Desto breiter sind unsere Schultern; kein Ochse, kein Rhinozeros, kein Elefant wäre fähig zu tragen, was wir tragen können.

Eine Art Mienenspiel, wie ein undeutliches Gesicht, eingeprägt auf unserer Brust, das ist alles! Wir denken Verdauungen, wir ergrübeln Absonderungen. Für uns schwimmt Gott friedlich in den inneren Säften.

Wir gehen gerade unseres Wegs, durchqueren jeden Schlamm, streifen an jedem Abgrund vorbei, und wir sind die fleißigsten, glücklichsten, tugendsamsten Leute.

Die Pygmäen. Kleine Leutchen, wimmeln wir auf der Welt wie das Ungeziefer auf dem Höcker eines Dromedars.

Man verbrennt uns, ersäuft uns, zerdrückt uns, und immer erscheinen wir wieder, lebendiger, zahlreicher, – furchtbarer durch die Menge.

Die Sciapoden. Festgehalten an die Erde durch unsere Haare, die lange sind wie Schlingpflanzen, vegetieren wir im Schutze unserer Füße, die breit sind wie Sonnenschirme, und das Licht kommt zu uns durch die Dichte unserer Fersen. Keine Störung und keine Arbeit! – Den Kopf so tief wie möglich, das ist das Geheimnis des Glückes!

Ihre erhobenen Schenkel gleichen Baumstämmen, sie vervielfältigen sich. Und ein Wald erscheint. Große Affen laufen darin herum auf allen vieren; es sind Menschen mit Hundeköpfen.

Die Kynokephalen. Wir springen von Ast zu Ast um die Eier auszutrinken und wir rupfen die kleinen Vögel; dann setzen wir ihre Nester als Mützen auf den Kopf.

Wir versäumen nicht den Kühen die Euter auszureißen, wir bohren den Luxen die Augen aus, wir lassen unseren Rot von den Bäumen herunter, in der vollen Sonne breiten wir unsere Schande aus.

Wir zerreißen die Blumen, zerstoßen die Früchte, trüben die Quellen, vergewaltigen die Weiber. So sind wir die Herren – durch die Kraft unserer Arme und die Wildheit unserer Herzen.

Frisch auf, Gefährten! Laßt eure Kiefern krachen!

Blut und Milch rinnt aus ihren Lefzen. Der Regen rieselt auf ihre zottigen Rücken.

Antonius atmet die Frische grüner Blätter.

Sie rascheln, die Äste stoßen aneinander; und plötzlich erscheint ein großer schwarzer Hirsch mit dem Kopfe eines Stiers, der zwischen den Ohren einen Busch von weißen Hörnern trägt.

Der Sadhuzag. Meine vierundsechzig Geweihsproßen sind hohl wie Flöten.

Wenn ich mich gegen den Südwind wende, entspringen ihnen Töne, welche die bezauberten Tiere in meine Nähe locken. Die Schlangen rollen sich um meine Beine, die Wespen heften sich an meine Nüstern und die Papageien, die Tauben und der Ibis lassen sich nieder auf das Geäste meiner Hörner. – Horch!

Er wirft das Geweih zurück, aus welchem eine unaussprechlich süße Musik ertönt.

Antonius preßt beide Hände gegen sein Herz. Es ist ihm, als wolle ihm diese Melodie seine Seele entführen.

Der Sadhuzag. Kehre ich mich aber gegen den Nordwind, entströmt meinem Geweih, das dichter ist als ein Bataillon von Lanzen, ein Geheul: Die Wälder erbeben, die Ströme stießen rückwärts, die Hülse der Früchte platzt und die Gräser richten sich auf wie die Haare einer Memme. – Horch!

Er neigt sein Geweih, aus welchem mißtönende Schreie dringen. Antonius zerreißt es das Herz.

Und sein Grauen steigert sich noch, da er

Den Martichoras erschaut, einen riesenhaften roten Löwen mit menschlichem Antlitz und drei Reihen Zähnen.

Der Glanz meines scharlachfarbenen Felles mischt sich mit dem Schillern der großen Sandmassen. Ich schnaube durch meine Nüstern das ganze Entsetzen der Einsamkeit. Ich speie die Pest aus. Ich fresse die Heere auf, wenn sie sich in die Wüste wagen.

Meine Krallen sind in Spiralen gewunden, meine Zähne sägeförmig geschnitten und mein gekrümmter Schweif starrt von Wurfspießen, die ich nach rechts und links, nach vorn und hinten schleudere. Siehst du, so!

Der Martichoras wirft die Stacheln seines Schweifes um sich, sie strahlen nach allen Richtungen aus wie Pfeile. Blutstropfen regnen klatschend auf das Laub nieder.

Der Katoblepas, schwarzer Büffel, mit dem Kopf eines Schweines, der bis zur Erde herabhängt und mit den Schultern durch einen Hals verbunden ist, der mager, lang und schlaff ist, wie ein leerer Darm.

Er ist ganz und gar wie eine Walze; und seine Füße verschwinden unter der ungeheuren Mähne von starren Zotten, die ihm das Gesicht bedecken.

Feist, melancholisch, wild, fühle ich beständig unter meinem Bauche die Wärme des Schlammes. Mein Schädel ist so schwer, daß es mir unmöglich ist, ihn zu tragen. Ich wälze ihn langsam um mich herum; – und die Kiefern halbgeöffnet, reiße ich mit meiner Zunge die giftigen Kräuter ab, die mein Hauch benetzte. Einmal habe ich meine Füße aufgefressen, ohne es zu merken.

Niemand, Antonius, hat je meine Augen gesehen; hat sie aber jemand gesehen, so ist er gestorben! Wenn ich meine Lider, meine rötlichen, geschwollenen Lider heben würde, – du müßtest auf der Stelle sterben.

Antonius. Oh, dieser da! Ah, ah! Wenn mich die Lust anwandelte? Seine Blödheit zieht mich an. Nein, nein! Ich will nicht!

Er sieht starr zur Erde.

Aber das Gras entzündet sich und in den zuckenden Flammen richtet sich Der Basilisk auf, eine große violette Schlange mit dreilappigem Kamm und zwei Zähnen, einen oben und einen unten.

Nimm dich in Acht, daß du nicht in meinen Rachen fällst! Ich trinke Feuer! Feuer bin ich selbst! – Von allenthalben schlürf' ich es auf: aus den Wolken, aus dem Kiesel, aus toten Bäumen, aus dem Felle der Tiere, aus der Oberfläche der Sümpfe. Meine Wärme erhält die Vulkane; ich erzeuge den Glanz der Edelsteine und die Farbe der Metalle.

Der Greif, ein Löwe mit Geierschnabel, weißen Flügeln, roten Tatzen und blauem Halse.

Die Pracht der Tiefe ist mein Reich. Ich kenne das Geheimnis der Gräber, wo die alten Könige schlafen.

Eine Kette, die aus der Mauer hervorkommt, hält ihnen den Kopf aufrecht. In ihrer Nähe, in einem Becken von Porphyr, schwimmen die Frauen, welche sie geliebt hatten, auf einer schwarzen Flüssigkeit. Ihre Schätze sind in Sälen geordnet, rautenweise, in Haufen, in Pyramiden; und weiter unten, tief unter den Gräbern findet man, nach langem Wandern mitten durch erstickendes Dunkel, Flüsse von Gold mit diamantenen Wäldern, Wiesen von Karfunkeln und Quecksilberseen.

Angelehnt an die Pforte des unterirdischen Baues, mit gehobener Kralle, erspähe ich mit meinen flammenden Blicken die, welche sich nähern möchten. Die ungeheure Ebene ist bis zur Tiefe des Horizontes völlig kahl und weiß von den Gebeinen der Wanderer. Für dich öffnen sich die bronzenen Torflügel und du wirst die Dünste der Minen einatmen, du wirst niedersteigen in die Höhlen … Schnell, schnell!

Er höhlt die Erde aus mit seinen Krallen und kräht dabei wie ein Hahn. Tausend Stimmen antworten ihm. Der Wald erbebt. Und alle möglichen fürchterlichen Tiere steigen empor. Der Tragelaphus, halb Hirsch, halb Rind; der Myrmekoleo, Löwe von vorne, Ameise von hinten, dessen Gemächte umgekehrt ist; die Schlange Aksar von sechzig Ellen Länge, welche Moses in Schrecken gesetzt; das große Wiesel Pastinaca, welches die Bäume abtötet durch seinen Geruch; der Presteros, dessen Berührung blödsinnig macht; der Mirag, ein gehörnter Hase, Bewohner der Meeresinseln. Der Leopard Phalmant heult, daß ihm der Bauch platzt; der Senad, ein dreiköpfiger Bär, zerreißt seine Jungen mit der Zunge; der Hund Cepus verbreitet auf den Felsen die blaue Milch seiner Zitzen. Mücken beginnen zu summen, Kröten hüpfen, Schlangen zischen. Blitze leuchten auf. Hagel fällt.

Eine Windsbraut führt eine Menge rundlicher anatomischer Bildungen herbei: Da sind Alligatorenköpfe auf Rehfüßen, Uhus mit Schlangenschweifen, Schweine mit Tigerschnauzen, Ziegen mit Eselsrücken; wie Bären behaarte Frösche, Chamäleons so groß wie Nilpferde; Kälber mit zwei Köpfen, von denen der eine weint, der andere blökt; vierteilige Fötus, die sich bei der Nabelschnur fassen und wie Kreisel herumtanzen, geflügelte Bäuche, welche wie Mücken umherschwirren.

Sie regnen vom Himmel herab, kriechen aus der Erde hervor, gleiten von den Felsen herunter.

Überall leuchten Augen, brüllen offene Rachen; die Brüste schwellen auf, die Krallen strecken sich aus, die Zähne knirschen, die Fleischmassen klatschen. Da sind welche, die niederkommen, andere die sich paaren oder sich gegenseitig mit einem einzigen Schluck verschlingen.

Sie ersticken unter ihrer Menge, sie vermehren sich durch die Berührung, klettern übereinander, und alle wimmeln um Antonius mit einem gleichmäßigen Schaukeln, als wäre der Boden das Verdeck eines Schiffes. Er fühlt an seinen Waden das Kriechen der Schnecken, an seinen Händen die Kälte der Schlangen; Spinnen ziehen ihre Gewebe und umspannen ihn mit ihren Netzen.

Aber der Kreis der Ungetiere öffnet sich, der Himmel wird plötzlich blau und

Das Einhorn erscheint. Im Galopp, im Galopp!

Ich habe elfenbeinere Hufe, Zähne aus Stahl, einen purpurnen Kopf, den Körper weiß wie Schnee und das Horn auf meiner Stirn trägt die bunten Farben des Regenbogens.

Ich ziehe aus Chaldäa nach der tartarischen Wüste, wandle an den Ufern des Ganges und in Mesopotamien. Ich überhole die Strauße. Ich laufe so rasch, daß ich den Wind mit mir nehme. An den Palmen reibe ich meinen Rücken. Ich wälze mich im Bambus. Mit einem Sprung setze ich über die Ströme. Tauben stiegen über mir. Nur eine Jungfrau vermag mich zu zügeln.

Im Galopp, im Galopp!

Antonius sieht ihm nach, wie es fortläuft.

Und da er in die Höhe blickt, bemerkt er alle die Vögel, die sich vom Winde nähren: den Guith, den Ahuti, den Alphalim, den Jukneth aus den Bergen von Caff, und die HomAï der Araber – die Seelen der Ermordeten. Er hört die Papageien, welche menschliche Worte hervorbringen, ferner die großen pelasgischen Palimpeden, die wie Kinder greinen oder kichern wie alte Weiber. Salzige Luft weht ihm um die Nüstern. Strand dehnt sich jetzt vor ihm aus. In der Ferne erheben sich Wasserstrahlen, welche von Walfischen ausgeworfen werden und vom Rande des Horizontes nahen

Die Tiere des Meeres, rund wie Schläuche, platt wie Klingen, gezahnt wie Sägen. Sie kriechen am Sande.

Du wirst mit uns kommen, in unser unendliches Reich, in das noch niemand hinabgestiegen!

Mancherlei Völker bewohnen die Gefilde des Ozeans. Die einen halten sich im Gebiete der Stürme auf; die anderen schwimmen frei in der Klarheit der kalten Wogen, werden wie Rinder auf den Korallenwiesen, saugen mit ihren Rüsseln die Ebbe ein oder tragen auf ihren Schultern die Last der Meeresquellen.

Phosphoreszierende Lichter leuchten auf an den Bärten der Robben, an den Schuppen der Fische. Seeigel drehen sich um wie Räder, Ammonshörner rollen sich wie Taue auseinander, Austern lassen ihre Muschelgelenke knarren, Polypen entfalten ihre Saugarme, Quallen zittern wie kristallene Kugeln, Schwämme schwimmen umher, Anemonen speien Wasser aus, Moos und Seetang ist emporgeschossen.

Und alle erdenklichen Arten von Pflanzen strecken sich in Verzweigungen aus, winden sich spiralförmig, ziehen sich aus zu Spitzen, runden sich in Fächerform. Kürbisse haben das Aussehen von Brüsten, Schlingpflanzen ranken sich wie Schlangen ineinander. Die Dedaïms von Babylon sind Bäume und tragen als Früchte Menschenköpfe; die Mandragoras singen, die Wurzel Baaras schlüpft durchs Gras.

Die Pflanzen unterscheiden sich jetzt nicht mehr von den Tieren. Polypenbäume, die wie Gykomoren aussehen, tragen Arme auf ihren Zweigen. Antonius glaubt eine Raupe zwischen zwei Blättern zu sehen: es ist ein Schmetterling, der fortfliegt. Er vermeint auf einen Strandkiesel zu treten: eine graue Heuschrecke springt auf. Insekten, gleich Rosenblättern, sitzen auf einem Busch; Reste von Eintagsfliegen bilden auf dem Boden eine schneeige Schicht.

Dann vermischen sich die Pflanzen mit den Steinen.

Da sind Kiesel, die Gehirnen gleichen, Tropfsteine wie Zitzen, Eisenblumen wie figurengeschmückte Teppiche.

In Bruchstücken von Eis unterscheidet er Blüten, Gebilde wie Sträucher und Muscheln, – so daß er nicht mehr weiß, ob es die Abbilder der Dinge oder diese selbst sind.

Diamanten glänzen wie Augen, Minerale zucken.

Und er fürchtet sich nicht mehr!

Er legt sich flach auf den Bauch, stützt sich auf beide Ellenbogen, und mit angehaltenem Atem schaut er.

Insekten, die keinen Magen mehr haben, fressen weiter; vertrocknete Farnkräuter beginnen von neuem zu grünen; Glieder, die fehlten, wachsen nach. Schließlich bemerkt er kleine, kugelige Massen von der Größe eines Stecknadelkopfes, die ringsum mit Wimpern besetzt sind. Eine Schwingung setzt sie in Bewegung.

Antonius fiebernd: O Glückseligkeit! Ich sah das Leben entstehen und den Anfang der Bewegung! Das Blut klopft so heftig in meinen Adern, als wolle es sie sprengen. Ich habe Lust zu fliegen, zu schwimmen, zu bellen, zu blöken, zu heulen! Ich möchte Flügel haben, ein Rückenschild, eine Rinde; ich möchte Rauch von mir blasen, einen Rüssel tragen, meinen Leib krümmen, mich in alle Winde zerteilen, ich möchte sein in Allem! Ich möchte mich auflösen in den Düften, mich entfalten wie die Pflanzen, wie das Wasser fließen, ausschwingen wie der Ton, erglänzen wie das Licht; möchte mich schmiegen in alle Formen, jedes Atom durchdringen, niedersteigen bis auf den Grund der Materie, – ich möchte die Materie sein!

Endlich wird es Tag; und wie wenn man die Vorhänge eines Zeltes zurückzieht, so rollen sich goldene Wolken zu mächtigen Ballungen auf und enthüllen den Himmel.

Gerade inmitten der Sonnenscheibe erstrahlt das Antlitz Jesu Christi.

Antonius macht das Zeichen des Kreuzes und vertieft sich wieder in Gebete.

Ende.

Holzschnitt: Hermann Lismann


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