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4.

Und Antonius sieht vor sich eine ungeheure Basilika. Das Licht fällt aus dem Hintergrund, wunderbar, wie eine vielfarbige Sonne. Es beleuchtet die unzähligen Köpfe einer Menschenmenge, welche das Hauptschiff erfüllt und zwischen den Säulen zurückflutet gegen die niederen Seitenschiffe, in denen man in hölzernen Abteilen Altäre wahrnimmt, Betten, Kettchen von kleinen blauen Steinen und Sternbilder, die auf die Wand gemalt sind.

Mitten in der Menge haben sich hie und da Gruppen gebildet; Männer, auf Schemel stehend, halten Reden mit erhobenem Finger; andere beten, die Arme gekreuzt, liegen auf der Erde, singen Hymnen oder trinken Wein; um einen Tisch halten Gläubige ein Liebesmahl; Märtyrer wickeln ihre Glieder aus, um ihre Wunden zu zeigen; Greise, auf Stäbe gestützt, erzählen von ihren Reisen.

Da sind welche aus dem Lande der Germanen, aus Thrazien und Gallien, Skythien und Indien – mit schneeigen Bärten, Federn im Haar, mit Dornen in den Franzen ihrer Kleider, die Sandalen schwarz vom Staube, die Haut von der Sonne verbrannt.

Alle Kostüme sind hier vereint: der Purpurmantel und der Leinenrock, das gestickte Meßgewand, der haarige Kriegsrock, die Matrosenmütze, die Bischofshaube. Ihre Augen funkeln ganz außergewöhnlich, sie haben das Aussehen von Henkern oder Eunuchen. Hilarion tritt mitten unter sie. Alle grüßen ihn. Antonius beobachtet sie, sich an seine Schulter drängend. Er bemerkt viele Frauen. Mehrere sind als Männer gekleidet, mit kurz geschorenen Haaren; er fürchtet sich vor ihnen.

Hilarion. Das sind die Christinnen, welche ihre Männer bekehrt haben. Übrigens die Frauen sind immer für Jesus, selbst unter den Götzendienern, als Beispiel: Procula, die Gattin des Pilatus, Poppäa, die Konkubine des Nero! Hör auf zu zittern und komme mit!

Und es kommen beständig andere.

Sie vervielfältigen sich, spalten sich leicht wie Schatten, wobei sie ein großes Geschrei verführen, in das sich das Geheul der Wut, Liebeskreischen, Kirchengesänge und Beschwörungen mischen.

Antonius leise. Was wollen sie?

Hilarion. Der Herr hat gesagt: »Ich hätte noch von vielen Dingen zu euch zu reden.« Sie besitzen diese Dinge.

Und er drängt ihn auf einen goldenen Thron zu mit fünf Stufen, auf welchem, umgeben von 95 Schülern, alle mit Öl eingerieben, mager und sehr bleich der Prophet Manes sitzt – schön wie ein Erzengel, unbeweglich wie eine Statue, in einem indischen Gewand, Karfunkel in seinen geflochtenen Haaren, in der Linken ein Buch mit gemalten Bildern, unter seiner Rechten einen Globus. Die Bilder stellen die Kreaturen dar, die noch im Chaos schlummerten. Antonius neigt sich, um sie zu sehen. Da läßt Manes seinen Globus sich drehen und seine Worte auf einer Lyra begleitend, aus welcher kristallene Töne strömen:

Die himmlische Erde ist am obersten Ende, die sterbliche Erde am untersten Ende. Sie wird gehalten von zwei Engeln, dem Splenditēnens und dem Homophōrus mit sechs Gesichtern. Auf der höchsten Höhe des Himmels ruht die Gottheit unbeweglich. Darunter, Angesicht gegen Angesicht, befinden sich der Sohn Gottes und der Fürst der Finsternis. Als die Finsternis vorgerückt war, bis zu seinem Reiche, zog Gott aus seinem Wesen eine Kraft, welche den ersten Menschen erzeugte, und er umgab ihn mit den fünf Elementen. Aber die Dämonen der Finsternis entführten ihm einen Teil, und dieser Teil ist die Seele. Es gibt nur eine einzige Seele – sie ist über die ganze Welt ausgebreitet, wie das Wasser eines Flusses, der sich in mehrere Arme teilt. Sie ist es, die im Winde seufzt, sie knirscht im Marmor, den man sägt, heult in der Stimme des Meeres und sie weint Tränen von Milch, wenn man die Blätter des Feigenbaumes abreißt.

Die Seelen, die diese Welt verlassen, wandern aus zu den Sternen, welche belebte Wesen sind.

Antonius fängt an zu lachen. Ah, ah! welch absurde Phantasie!

Ein Mann ohne Bart, von strengem Aussehen. Inwiefern?

Antonius will antworten, aber Hilarion sagt ihm ganz leise, daß dieser Mann der gewaltige Origenes ist und

Manes fährt fort: Zuerst halten sie sich im Monde auf, wo sie sich läutern. Dann steigen sie in die Sonne.

Antonius langsam. Ich kenne nichts ... was uns hindern könnte ... es zu glauben.

Manes. Der Endzweck jedes Lebewesens ist die Befreiung des himmlischen Strahls, der in die Materie eingeschlossen ist. Er entweicht leichter durch die Gerüche, die Gewürze, das Aroma des gekochten Weines, die leichten Dinge, welche Gedanken gleichen. Aber die Betätigungen des Lebens halten ihn zurück. Der Mörder ersteht wieder im Leben eines Relef; wer ein Tier tötet, wird dieses Tier werden. Wenn du einen Weinstock pflanzest, wirst du gebunden sein an seine Zweige. Die Nahrung zehrt davon. Also: entsaget! Fastet!

Hilarion. Sie sind mäßig, wie du siehst.

Manes. Viel ist im Fleisch, weniger in den Gemüsen. Übrigens befreien die Reinen, dank ihrer Tugenden, die Pflanzen von diesem leuchtenden Bestandteil und er steigt zurück zu seiner Urquelle.

Die Tiere fesseln ihn an sich durch die Fortpflanzung und das Fleisch. Darum: fliehet die Weiber!

Hilarion. Bewundere ihre Enthaltsamkeit!

Manes. Oder vielmehr, tut euer bestes, daß sie nicht fruchtbar seien. Es ist besser für die Seele auf Erden zu fallen, als dahinzusiechen in den Fesseln des Fleisches.

Antonius. Ah, welch ein Greuel!

Hilarion. Ist die Rangordnung der Schändlichkeiten nicht gleichgültig? Die Kirche hat doch auch aus der Ehe ein Sakrament gemacht.

Saturninus in syrischem Kostüm. Er verbreitet eine Lehre von verhängnisvollen Dingen! Gottvater hat, um die aufständigen Engel zu bestrafen, ihnen befohlen, die Welt zu erschaffen. Der Christ ist gekommen, damit der Gott der Juden, der einer dieser Engel war ...

Antonius. Ein Engel! Er, der Schöpfer!

Cerdon. Hat er nicht Moses töten, seine Propheten täuschen wollen? Hat er nicht die Völker verführt, die Lüge verbreitet und den Götzendienst?

Marcion. Sicherlich ist der Schöpfer nicht der wahre Gott!

Sankt Clementius von Alexandrien. Die Materie ist ewig!

Bardesanes als babylonischer Magier. Sie wurde gebildet durch die sieben Geister der Planeten.

Die Hernianer. Die Engel haben die Seelen geschaffen.

Die Priscillianer. Der Teufel hat die Welt erschaffen!

Antonius fährt zurück. Fürchterlich!

Hilarion hält ihn. Du gerätst zu rasch außer Fassung! Du verstehst ihre Lehre falsch! Da ist einer, der die seinige von Theodas empfangen, dem Freunde des hl. Paulus. Höre ihn an.

Und auf ein Zeichen des Hilarion:

Valentinus in Tunika von silbernem Gewebe mit pfeifender Stimme und spitzem Schädel. Die Welt ist das Werk eines wahnwitzigen Gottes.

Antonius senkt das Haupt. Das Werk eines wahnwitzigen Gottes! ...

Nach einem langen Schweigen:

Wie meinst du das?

Valentinus. Das vollendetste der Wesen und Äonen: Das Unermeßliche ruhte im Schoße der Tiefe mit dem Gedanken. Aus ihrer Vereinigung ging der Verstand hervor, welcher die Wahrheit zur Gefährtin hatte. Der Verstand und die Wahrheit erzeugten das Wort und das Leben, welche ihrerseits den Menschen und die Kirche zeugten, und das macht acht Äonen.

Er zählt an seinen Fingern:

Das Wort und die Wahrheit zeugten zehn andere Äonen, d. h. fünf Paare. Der Mensch und die Kirche brachten zwölf andere hervor, unter welchen der Paraklet und der Glaube, die Hoffnung und die Menschenliebe, die Vollkommenheit und die Weisheit: Sophia. Diese dreißig Äonen zusammen bilden das Pleroma oder die Allheit Gottes. Wie das Echo einer Stimme, die verhallt, wie die Ausströmungen eines Duftes, der verfliegt, wie die Brände der untergehenden Sonne: so verringern sich die Kräfte, welche vom Grundstoff ausfließen.

Aber Sophia, sich sehnend den Vater zu schauen, schwang sich auf aus dem Pleroma – und das Wort bildete hierauf ein anderes Paar: den Christ und den heiligen Geist, welcher alle Äonen in beiden vereinigt hatte und alle zusammen bildeten sie Jesus, die Blüte des Pleroma.

Holzschnitt: Hermann Lismann

Valentinus.

Indessen hatte das Streben der Sophia, zu fliehen, in der Leere ein Bild von ihr hinterlassen, eine schlechte Substanz, Acharamoth. Der Heiland erbarmte sich ihrer und befreite sie von den Leidenschaften, und aus dem Lächeln der befreiten Acharamoth erstand das Licht; ihre Tränen bildeten die Wasser, ihre Trauer gebar die dunkle Materie. Von Acharamoth entstammte der Demiurg, der Schöpfer der Welten, der Himmel und des Teufels. Er wohnt weit tiefer als das Pleroma, ohne es überhaupt gewahr zu werden, dergestalt, daß er sich für den wahren Gott hält und durch den Mund seiner Propheten wiederholt: »Es gibt keinen anderen Gott als ich.« Dann schuf er den Menschen und pflanzte ihm in die Seele den unkörperlichen Samen, der da ist die Kirche, Widerglanz der anderen Kirche, die ihren Platz im Pleroma hat. Acharamoth wird eines Tages in die höchste der Regionen gelangen und sich mit dem Heiland vereinen; das Feuer, das in der Welt verborgen ist, wird alle Materie vernichten, sich selbst verzehren und die Menschen, welche reine Geister geworden sind, werden sich mit den Engeln vermählen.

Origenes. Dann wird der Satan besiegt sein und das Reich Gottes wird beginnen.

Antonius unterdrückt einen Schrei, und alsbald spricht

Basilides, ihn am Ellenbogen fassend. Das höchste Wesen mit den unendlichen Ausströmungen heißt Abraxas und der Heiland mit all seinen Tugendkräften Raulakau, d. h. Linie – auf – Linie oder Geradheit – auf – Geradheit.

Man erhält die Kraft des Raulakau mit Hilfe gewisser Worte, die auf diesem Chalcedon eingeschnitten sind, um dem Gedächtnis zu Hilfe zu kommen.

Und er zeigt an seinem Hals einen kleinen Stein, auf welchem bizarre Linien eingegraben sind.

Dann wirst du ins Unsichtbare entrückt, und erhaben über das Gesetz wirst du alles verachten, selbst die Tugend!

Wir, die Reinen, wir müssen den Schmerz fliehen, nach dem Beispiel des Raulakau.

Antonius. Wie? Und das Kreuz?

Die Elkhesaïten in hyazinthfarbenem Gewande antworten ihm. Die Trauer, die Erniedrigung, die Strafen und die Unterdrückung meiner Väter sind ausgelöscht, Dank der Sendung, die uns gekommen ist! Man kann den unteren Christ, den Menschen Jesus verleugnen, aber man muß den anderen Christ anbeten, der in seiner Person unter den Flügeln der Taube entsprossen ist.

Ehret die Ehe! Der heilige Geist ist weiblich.

Hilarion ist verschwunden und Antonius, gedrängt von der Menge, gelangt vor

Die Karpokratianer, die mit Weibern auf Scharlachkissen ausgestreckt liegen. Bevor du in die Einigkeit zurückkehrst, wirst du durch eine Reihe von Zuständen und Handlungen hindurchgehen. Um dich von der Finsternis zu befreien, vollende von jetzt ab ihre Werke. Der Gatte wird zur Gattin sagen: »Erbarme dich deines Bruders!« Und sie wird dich in ihre Arme schließen.

Die Nicolaïten, versammelt um ein dampfendes Gericht. Das ist das Fleisch, welches den Götzenbildern dargeboten wurde; nimm davon! Abtrünnigkeit ist erlaubt, wenn das Herz rein ist. Füttere dein Fleisch mit allem, nach was es verlangt. Suche es abzutöten durch Ausschweifungen! Prunikos, die Mutter des Himmels hat sich gewälzt in Scheußlichkeiten.

Die Markosianer mit goldenen Reifen und von Balsam triefend: Tritt ein bei uns, um dich mit dem Geiste zu vereinen! Tritt ein bei uns, um Unsterblichkeit zu trinken!

Und einer von ihnen zeigt ihm, hinter einem gewebten Vorhang, den Leib eines Mannes mit einem Eselskopf.

Das stellt Sabaoth, den Vater des Teufels, dar.

Als Zeichen seines Hasses speit er darauf.

Ein anderer enthüllt ein niederes Bett, bestreut mit Blumen, mit der Bemerkung:

Die geistige Hochzeit wird vollzogen.

Ein dritter hält eine Glasschale, macht eine Beschwörung, Blut erscheint darin:

Ah, da ist es, da ist es! Das Blut Christi!

Antonius weicht zurück. Aber er wird bespritzt von dem Wasser, das aus einem Bottich springt.

Die Helvidianer stürzen sich kopfüber hinein, indem sie murmeln: Der Mensch, der durch die Taufe neu geboren wurde, ist ohne Fehl.

Dann kommt er an einem großen Feuer vorüber, an welchem sich die Adamiter wärmen, vollkommen nackt, um die Reinheit des Paradieses nachzuahmen, und er stößt wider die

Messalianer, welche sich auf den Steinfliesen wälzen, halb schlafend und stumpfsinnig. Oh! Zerstampfe uns, wenn du willst, wir werden uns nicht rühren! Die Arbeit ist eine Sünde, jede Beschäftigung ist von Übel.

Hinter diesen sind die verkommenen

Paternianer. Männer, Weiber, Kinder durcheinander auf einem Haufen Unrat; sie erheben ihre scheußlichen mit Wein besudelten Gesichter: Die unteren Teile des Körpers, welche vom Teufel geschaffen sind, gehören ihm. Laßt uns trinken, essen, huren!

Aëtius. Die Verbrechen sind niedere Bedürfnisse, die Gott keiner Beachtung würdigt.

Aber plötzlich springt

Ein Mann, gekleidet in einen karthagischen Mantel, mitten unter ihnen empor, eine Riemengeißel in der Hand. Und aufs Geratewohl nach rechts und links schlagend, ruft er mit Heftigkeit:

Ha, ihr Schwindler, Räuber, Simonisten, Ketzer und Teufel! Das Ungeziefer der Schulen, die Hefe der Hölle! Dieser da: Marcion, ist ein Matrose aus Sinope, der wegen Blutschande exkommuniziert wurde; Karpokras wurde als Zauberer in den Bann getan; Aëtius hat seine Konkubine bestohlen, Nicolas seine Frau feilgeboten, und Manes, der sich den Buddha nennen läßt und Cubricus heißt, wurde lebendig geschunden mit einer Rohrspitze; seine gegerbte Haut hängt an den Toren von Ktesiphon!

Antonius hat Tertullianus wieder erkannt und stürzt auf ihn zu. Meister! Zu mir, zu mir!

Tertullian fortfahrend: Zerbrechet die Bilder! Verhüllet die Jungfrauen! Betet, fastet, weinet, kasteiet euch! Keine Philosophie, keine Bücher! Nach Jesus ist die Wissenschaft wertlos.

Alle sind entflohen und Antonius sieht an der Stelle von Tertullian eine Frau, auf einer Steinbank sitzen. Sie schluchzt, den Kopf gegen eine Säule gelehnt, mit hängenden Haaren, den eingesunkenen Leib in einer langen und dunklen Kutte. Nun befinden sie sich nahe beisammen, fern von der Menge und eine Stille, eine außerordentliche Ruhe hat sich eingestellt, wie in den Wäldern, wenn der Wind innehält und die Blätter sich plötzlich nicht mehr regen. Dieses Weib ist sehr schön, aber welk und leichenblaß. Sie betrachten sich, und ihre Augen senden sich eine Flut von Gedanken zu, tausend vergangene, verworrene und tiefe Dinge. Endlich beginnt

Priscilla. Ich war in der letzten Kammer des Bades und ich schlief ein beim Summen des Straßenlärmes.

Plötzlich hörte ich Geschrei. Man rief: Das ist ein Zauberer, das ist der Teufel. Und die Menge hielt an vor unserem Hause, gegenüber dem Äskulaptempel. Ich stemmte mich mit den Armen empor bis zum Luftschacht.

Auf dem Peristyl des Tempels stand ein Mann, der trug ein Halseisen um den Nacken. Er nahm Kohlen aus einem Heizbecken und machte sich auf der Brust breite Brandstreifen, wobei er ausrief: Jesus, Jesus! Das Volk schrie: Das ist nicht erlaubt! Steinigt ihn! Er aber ließ nicht ab. Das waren unerhörte, hinreißende Dinge. Blumen, groß wie die Sonne, kreisten vor meinen Augen und ich hörte in den Lüften eine goldene Harfe zittern. Die Sonne sank. Meine Arme ließen die Eisenstäbe fahren, mein Leib wurde schwach, und als er mich mit in sein Haus genommen hatte …

Antonius. Von wem sprichst du denn?

Priscilla. Ei, von Montanus!

Antonius. Montanus ist tot.

Priscilla. Das ist nicht wahr!

Eine Stimme. Nein, Montanus ist nicht tot!

Antonius wendet sich zurück und nahe bei ihm, auf der anderen Seite sitzt ein zweites Weib; dieses ist blond und noch bleicher, mit Anschwellungen unter den Augenlidern, als ob sie lange geweint hätte. Ohne daß er sie fragt, spricht

Maximilla. Wir kamen zurück von Tharsus durch das Gebirge, als wir an einer Biegung des Weges einen Mann unter einem Feigenbaum erblickten.

Er schrie von ferne: Halt! und stürzte sich mit Schmähungen auf uns. Die Sklaven eilten herbei. Er brach in Lachen aus. Die Pferde bäumten sich, alle Rüden heulten. Da stand er. Der Schweiß lief über sein Gesicht. Sein Mantel flatterte im Wind.

Er rief uns beim Namen, warf uns die Nichtigkeit unseres Tuns, die Schande unseres Leibes vor, und erhob die Faust gegen die Dromedare hin, weil sie unterm Kinn silberne Glöckchen trugen. Seine Wut erfüllte mein Innerstes mit Entsetzen, und trotzdem war es wie eine Wollust, die mich betäubte, berauschte.

Zuerst näherten sich die Sklaven. »Herr, sagten sie, unsere Tiere sind müde«; dann kamen die Weiber: »Wir haben Angst!« und die Sklaven liefen weg. Dann fingen die Kinder an zu weinen: »Wir haben Hunger!« Und da man den Frauen nicht geantwortet hatte, verschwanden sie. Er aber sprach. Ich fühlte jemand in meiner Nähe. Es war mein Gatte; ich hörte nur den anderen. Da wälzte er sich auf den Steinen herum und schrie: Du willst mich verlassen? und ich antwortete: »Ja, geh fort!« um Montanus folgen zu können.

Antonius. Ein Eunuche!

Priscilla. Ah, das wundert dich, du plumper Geist! Und doch haben Magdalena, Johanna, Martha und Susanna auch nicht das Lager mit dem Heiland geteilt. Die Seelen können, besser wie die Leiber, sich mit Wonnen umarmen.

Um Eustolia ungestraft behalten zu können, verstümmelte sich der Bischof Leontius – er liebte seine Liebe höher als seine Mannheit. Und dann ist es nicht meine Schuld, ein Geist treibt mich dazu; Sotas hat mich nicht heilen können. Und bei allem ist er grausam! Was liegt daran! Ich bin die letzte der Prophetinnen, und nach mir kommt das Ende der Welt.

Maximilla. Er hat mich überhäuft mit seinen Gaben. Keine liebt ihn aber auch so sehr wie ich und wird von ihm mehr geliebt.

Priscilla. Du lügst! Ich bin es!

Maximilla. Nein, ich!

Sie schlagen sich. Zwischen ihren Schultern erscheint der Kopf eines Negers.

Montanus, bedeckt mit einem schwarzen Mantel, der durch zwei Totenbeine zusammengehalten wird. Beruhigt euch, meine Tauben! Unfähig, irdisches Glück zu genießen, leben wir durch diese Peinigung in der geistigen Fülle. Nach dem Zeitalter des Vaters das des Sohnes, und ich eröffne das dritte: das des Paraklet. Sein Licht ist mir gekommen während vierzig Nächten, da das himmlische Jerusalem am Himmel strahlte über meinem Hause in Pepuza. Ha, wie ihr schreit vor Herzensangst, wenn die Geißelhiebe euch treffen! Wie eure Glieder schmerzverkrümmt sich meinen Liebesgluten darbieten! Wie ihr verschmachtet an meiner Brust, an einer nie zu sättigenden Liebe! Sie ist so stark, daß sie euch Welten entdeckt hat und ihr könnt jetzt die Seelen mit euren Augen wahrnehmen.

Antonius macht eine Bewegung des Erstaunens.

Tertullianus hat sich wieder zu Montanus gesellt. Ohne Zweifel, da die Seele einen Leib hat – und da nur, was gar keinen Körper hat, nicht existiert.

Montanus. Um die Seele zu verfeinern, habe ich zahlreiche Kasteiungen eingesetzt; drei Fasten im Jahr, und für jede Nacht Gebete, bei denen man den Mund schließt, aus Furcht, der Atem könnte beim Entweichen den Gedanken trüben. Man muß sich einer zweiten Ehe enthalten oder besser jeder Ehe! Die Engel haben mit den Weibern gesündigt.

Die Arkontiker in härenen Büßerhemden. Der Heiland hat gesagt: »Ich bin gekommen, um das Werk des Weibes zu zerstören.«

Die Tatianer in Büßerhemden aus Binsen. Sie ist der Baum des Übels. Die Gewänder aus Haut sind unser Körper.

Und immer nach der gleichen Seite weitergehend trifft Antonius auf die

Valesianer auf der Erde ausgestreckt, mit roten Malen am Unterleib unter ihrer Tunika. Sie reichen ihm ein Messer dar. Tue wie Origenes und wir getan! Ist es der Schmerz, den du fürchtest, Feigling? Ist es die Liebe zu deinem Fleische, die dich hindert, Heuchler?

Und während er sie noch betrachtet, wie sie sich herumquälen, ausgestreckt auf dem Rücken in Bächen ihres Blutes, kommen

Die Kainiten an ihm vorbei, die Haare geknotet mit einer Viper, und schreien ihm ins Ohr: Heil Kain! Heil Sodom! Heil Judas!

Kain zeugte die Rasse der Starken.

Sodom entsetzte die Welt durch seine Züchtigung, und durch Judas erlöste Gott die Wett. Ja, Judas! Ohne ihn gäbe es keinen Tod, keine Auferstehung!

Sie verschwinden unter der Horde der

Circumcellioner mit Wolfsfellen bekleidet, dornengekrönt, eiserne Keulen tragend. Vernichtet die Frucht! Trübet die Quelle! Ertränket das Kind! Beraubt den Reichen, der sich glücklich fühlt, der viel ißt. Schlaget den Armen, der dem Esel die Decke mißgönnt und dem Hund sein Fressen, dem Vogel sein Nest, und den es betrübt, weil die anderen nicht so elend sind wie er.

Wir, die Heiligen, wir vergiften, brennen und morden, um das Ende der Welt zu beschleunigen!

Das Heil ist nur im Martyrium. Wir geben uns das Martyrium. Wir reißen uns mit Zangen die Haut von den Köpfen, wir strecken unsere Glieder unter den Pflügen hin, wir werfen uns in den Schlund der Öfen.

Verpönt sei die Taufe! Verpönt das Abendmahl! Verpönt die Ehe! Allgemeine Verdammnis!

Da braust es auf in der ganzen Basilika wie ein verdoppeltes Wutgeheul. Die Audäaner schießen Pfeile gegen den Teufel; die Collyridianer schleudern blaue Schleier gegen die Decke; die Asciten werfen sich vor einem Schlauch zu Boden; die Marcioniten taufen eine Leiche mit Öl. Bei Appelles läßt ein Weib, um besser ihre Idee darzulegen, ein rundes Brot in einer Flasche sehen; eine andere, mitten unter den Sampsäanern, verteilt als Hostie den Staub ihrer Sandalen. Auf dem rosenbestreuten Bett der Markosianer umarmen sich zwei Liebende. Die Circumcellioner erwürgen sich gegenseitig, die Valesianer röcheln, Bardesanes singt, Karpokras tanzt, Maximilla und Priscilla lassen ein lautes Stöhnen vernehmen – und die falsche Prophetin von Kappadozien, ganz nackt, auf einen Löwen gestützt, schwingt drei Fackeln und heult die Schreckensbeschwörung. Die Säulen schwanken wie Baumstämme, die Amulette an den Hälsen der Häresiarchen blitzen wie Feuerstriche durcheinander, die Sternbilder in den Kapellen bewegen sich, und die Mauern weichen zurück unter dem Hin- und Herwogen der Menge, von welcher jeder Kopf eine Woge ist, die aufspringt und brüllt.

Indessen – eben aus der Tiefe dieses Lärmgeschreis erhebt sich ein Lied mit lautem Gelächter, in welchem der Name Jesus wiederkehrt.

Es sind die Leute der Plebs; sie klatschen alle in die Hände, um den Rhythmus anzugeben. Mitten unter ihnen ist

Arius im Gewande des Diaconus. Die Toren, welche gegen mich eifern, behaupten, das Absurde erklären zu können; und um sie gänzlich zu vernichten, habe ich kleine Gedichte verfaßt, so lustig, daß man sie auswendig kann in den Mühlen, Wirtsstuben und Häfen.

Tausendmal nein! Der Sohn ist nicht gleich dem Vater, noch von derselben Substanz! Sonst hätte er nicht gesagt: »Vater, nimm den Kelch von mir!« – »Warum nennt ihr mich gut! Gott allein ist gut!« – »Ich gehe zu meinem Gott, zu eurem Gott!« und andere Worte, die seine Eigenschaft als menschliches Geschöpf bestätigen. Sie ist uns übrigens bewiesen durch all seine Namen: Lamm; Hirte; Brunnen; Weisheit; Menschensohn; Prophet; guter Weg; Eckstein!

Sabellius. Ich behaupte, alle beide sind identisch.

Arius. Das Konzil von Antiochia hat das Gegenteil entschieden.

Centonius. Was ist denn das heilige Wort? Wer war Jesus?

Die Valentinianer. Es war der Gatte der reuigen Acharamoth.

Die Sethianer. Es war Sem, der Sohn Noahs!

Die Theodotianer. Es war Melchisedech!

Die Merinthianer. Es war nur ein Mensch!

Die Apollinaristen. Er gab sich nur menschlichen Anschein! Er hat die Passion nur gespielt.

Marcellus von Ankyra. Er ist eine Entwicklung aus dem Vater!

Papst Calixtus. Vater und Sohn sind die beiden Erscheinungsformen eines einzigen Gottes.

Methodius. Er war zuerst im Adam, dann im Menschen.

Cerinthus. Und er wird auferstehen.

Valentinus. Unmöglich – sein Leib ist unirdisch.

Paulus von Samosate. Er wurde erst seit seiner Taufe zum Gott.

Hermogenes. Er bewohnt die Sonne!

Und alle die Ketzer bilden einen Kreis um Antonius, der weinend das Haupt in die Hände birgt.

Ein Jude mit rotem Bart, die Haut vom Aussatz gefleckt, nähert sich ihm und spricht, schrecklich grinsend: Seine Seele war die Seele Esaus! Er litt an der bellerophontischen Krankheit, und seine Mutter, die Parfümhändlerin, hatte sich dem Pantherus, einem römischen Soldaten, hingegeben auf den Maisgarben an einem Ernteabend.

Antonius erhebt heftig das Haupt, sieht sie sprachlos an; dann geht er gerade auf sie los: Ihr Doktoren, Magier, Bischöfe und Diakonen, Menschen und Gespenster, zurück, zurück! Ihr seid alle Lügen!

Die Ketzer. Wir haben Märtyrer, größere Märtyrer als die Deinigen, wir haben schwierigere Bußgebete, erhabenere Liebesregungen, ebenso lange Extasen.

Antonius. Aber keine Offenbarungen, keine Beweise!

Da schwingen alle Papyrusrollen, Holztäfelchen, Kupferstücke, Stoffstreifen in der Luft und einander fortstoßend:

Die Cerinthianer. Hier, das Evangelium der Hebräer!

Die Marcioniten. Das Evangelium des Herrn!

Die Markosianer. Das Evangelium Evas!

Die Enkratiner. Das Evangelium des Thomas!

Die Kainiten. Das Evangelium des Judas!

Basilides. Das Traktat der erschienenen Seele!

Manes. Die Prophezeiung des Barkuf!

Antonius wehrt sich, entkommt ihnen – und erblickt in einer dunklen Ecke

Die alten Ebioniten, ausgetrocknet wie Mumien, mit erloschenem Blick und weißen Augenbrauen. Sie sagen mit meckernder Stimme:

Wir haben ihn gekannt, ja wir haben ihn gekannt den Sohn des Zimmermanns! Wir waren von seinem Alter, wir wohnten in seiner Straße. Er unterhielt sich damit, aus Lehm kleine Vögel zu formen; ohne sich zu fürchten vor der Schärfe des Hobels half er seinem Vater bei der Arbeit oder wickelte für seine Mutter Knäuel farbiger Wolle auf. Dann machte er eine Reise nach Ägypten, von wo er große Geheimnisse mitbrachte. Wir waren in Jericho, als er die Heuschreckenesser aufsuchte. Sie sprachen leise zusammen, ohne daß sie jemand hören konnte. Aber von diesem Augenblick an machte er Aufsehen in Galiläa und gab Anlaß zu vielen Legenden.

Sie wiederholen mit zitternden Gliedern.

Wir haben ihn gekannt, ja wir haben ihn gekannt.

Antonius. Ha! sprecht weiter! Wie war sein Gesicht?

Tertullian. Von wildem und widerlichem Aussehen; denn er hatte alle Verbrechen, alle Schmerzen, alle Gebrechen der Welt auf sich genommen.

Antonius. O nein, nein! Ich denke mir, im Gegenteil, daß seine ganze Person von übermenschlicher Schönheit strahlte.

Eusebius von Cesarea. Es gibt wohl in Paneades an einem alten Gemäuer, in einem Dickicht von Unkraut, eine Statue aus Stein, errichtet, wie man sich erzählt, von der Blutflüssigen. Aber die Zeit hat seine Züge zernagt und die Regengüsse haben die Inschrift verdorben.

Ein Weib tritt aus der Gruppe der Karpokratianer.

Marcellina. Einst war ich Diakonissin in einer kleinen Kirche zu Rom, wo ich den Gläubigen die silbernen Bilder von Sankt Paulus, Homer, Pythagoras und Jesus Christus zeigte.

Ich habe nur das seinige bewahrt. Sie öffnet ihren Mantel. Willst du es?

Eine Stimme. Er erscheint wieder, er selbst, wenn wir ihn rufen. Die Stunde ist da. Komm!

Und Antonius fühlt an seinem Arm den brutalen Griff einer Hand, die ihn mit fortzieht.

Er steigt eine vollkommen dunkle Treppe empor – und nach vielen Stufen gelangt er vor eine Türe.

Da sagt sein Führer, ist es Hilarion? er weiß es nicht, einem anderen ins Ohr:

»Der Herr wird kommen,« – und sie finden Einlaß in ein niedriges unmöbliertes Zimmer.

Zuerst fällt ihm gegenüber eine lange blutfarbene Schmetterlingspuppe auf, mit einem menschlichen Kopf, von welchem Strahlen ausgehen und das Wort Knouphis auf Griechisch rundum geschrieben. Sie befindet sich oben an einem Säulenschaft, das mitten auf einem Piedestal steht. An den anderen Wänden des Raumes hängen Medaillons aus poliertem Eisen mit Tierköpfen: Ein Rind, ein Löwe, ein Adler, ein Hund und – wiederum! – der Kopf eines Esels.

Die Tonlampen, die unter diesen Bildern aufgehängt sind, geben ein schwankendes Licht. Antonius bemerkt durch ein Loch in der Mauer den Mond, der ferne über den Fluten glänzt und er unterscheidet sogar ihr leichtes, regelmäßiges Schlürfen und das dumpfe Stoßen eines Schiffkiels, der gegen die Steine eines Dammes scheuert. Kauernde Männer, das Gesicht unter ihren Mänteln, stoßen in Zwischenräumen eine Art ersticktes Bellen aus. Weiber schlummern, die Stirn auf beiden Armen, die sie über die Knie gelegt, ganz verloren unter ihren Schleiern, so daß man sie für Kleiderhaufen längs der Mauer halten könnte. Halbnackte Kinder, ganz von Ungeziefer zerfressen, betrachten mit verblödeten Blicken das Brennen der Lampen – und man tut nichts, man erwartet etwas:

Sie sprechen mit leiser Stimme von ihren Familien oder teilen sich Heilmittel für ihre Krankheiten mit. Mehrere wollen sich mit Tagesanbruch einschiffen, da die Verfolgung zu hart wird.

Die Heiden sind indes leicht zu täuschen.

»Die Dummköpfe glauben, daß wir Knouphis verehren.«

Aber einer der Brüder stellt sich mit plötzlicher Eingebung vor die Säule, wo man einen Korb mit Fenchel und Hohlwurz aufgestellt hat mit einem Brot oben darauf. Die anderen haben ihre Plätze eingenommen, indem sie stehend drei parallele Linien bilden.

Der Erleuchtete entrollt einen Zettel, der mit einem Durcheinander von walzenförmigen Gebilden bedeckt ist und beginnt: Über der Finsternis stieg der Strahl des heiligen Wortes nieder und ein gewaltiger Schrei ertönte, der die Stimme des Lichtes zu sein schien.

Alle, ihren Körper hin- und herwiegend: Kyrie eleison!

Der Erleuchtete. Hierauf wurde der Mensch geschaffen durch den verruchten Gott Israels mit Hilfe dieser da.

Auf die Medaillons weisend.

Astophaios, Araios, Sabaoth, Adonai, Elöï, Jaô.

Und er lag im Schmutze, häßlich, schwach, ohne Form und Gedanken.

Alle, im klagenden Tone: Kyrie eleison.

Der Erleuchtete. Aber Sophia, erbarmungsreich, belebte ihn mit einem Atom ihrer Seele.

Da wurde Gott, als er den Menschen so schön sah, von Zorn erfaßt. Er schloß ihn ein in sein Reich und verbot ihm den Baum des Wissens. Die andere kam ihm nochmals zu Hilfe. Sie schickte die Schlange, welche auf langen Umwegen ihn zum Ungehorsam gegen dieses Gesetz des Hasses verführte.

Und als der Mensch vom Wissen gekostet hatte, begriff er die himmlischen Dinge.

Alle mit Stärke: Kyrie eleison.

Der Erleuchtete. Aber Jabdalaoth stürzte, um sich zu rächen, den Menschen mit samt der Schlange in die Materie.

Alle leise: Kyrie eleison!

Sie schließen die Lippen und schweigen.

Die Gerüche des Hafens mischen sich in der warmen Luft mir dem Rauch der Lampen. Knisternd erlöschen allmählich ihre Dochte. Lange Stechfliegen schwirren umher. Antonius stöhnt vor Beklemmung; er hat ein Gefühl, als ob eine Ungeheuerlichkeit rings in den Lüften laste, der Schrecken eines Verbrechens, das jetzt vollzogen werden soll. Aber

Der Erleuchtete stampft mit der Ferse, klappt mit den Fingern, schüttelt den Kopf, und psalmodiert auf einen rasenden Rhythmus, zum Klang der Cymbeln und einer schrillen Flöte: Komm, komm, komm, steige hervor aus deiner Höhle!

Du Behender, der du ohne Füße läufst, du Fasser, der du ohne Hände greifst! Du, wie die Flüsse gewunden, kreisend wie die Sonne, schwarz mit goldenen Flecken wie das sternbesäte Firmament! Du gleichst den Windungen des Weinstocks und den Krümmungen der Eingeweide! Ungezeugter! Esser der Erde! Ewig Jugendlicher! Allwissender! Geehrt zu Epidaurus! Gut gegen die Menschen! Der du den König Ptolemäus geheilt, die Soldaten des Moses und Glaukos, den Sohn des Minos.

Komm, komm, komm! Steige hervor aus deiner Höhle!

Alle wiederholen: Komm, komm, komm! Steige hervor aus deiner Höhle!

Aber nichts zeigt sich.

Warum? Was hat er?

Und man bespricht sich, schlägt Mittel vor.

Ein Greis bietet eine Scholle Rasen an. Da entsteht in dem Korb eine Bewegung, die grüne Masse regt sich, Blumen fallen – und der Kopf einer Pythonschlange erscheint. Sie gleitet langsam über den Rand des Brotes wie ein Kreis, der sich um eine unbewegliche Scheibe dreht, dann rollt sie sich auf, dehnt sich in die Länge; sie ist ungeheuer, von bedeutendem Gewicht. Um zu verhindern, daß sie die Erde streift, halten sie die Männer gegen ihre Brust, die Weiber auf ihre Köpfe, die Kinder über ihre Arme! – Und ihr Hinterleib, der aus dem Loch der Mauer hervorkommt, geht ins unendliche weiter, bis zum Grunde des Meeres. Ihre Ringe verdoppeln sich, füllen den Raum an, umschließen Antonius.

Die Gläubigen pressen ihren Mund gegen ihre Haut, reißen sich um das Brot, in welches sie gebissen. Du bist es, du bist es!

Einst erhöht durch Moses, zerschmettert durch Ezechias, wieder eingesetzt durch den Messias! Er hat dich getrunken in den Wellen der Taufe; aber du hast ihn verlassen auf dem Ölberg, und er fühlte alsbald seine ganze Schwäche. Gewunden um den Schragen des Kreuzes, höher ragend als sein Haupt, ließest du deinen Geifer träufeln auf die Dornenkrone und sahest zu, wie er starb. Denn du bist nicht Jesus, du bist das heilige Wort, du bist der Christ!

Antonius wird vor Entsetzen ohnmächtig und er stürzt vor seiner Hütte über die Holzscheite, auf welchen die Fackel glimmt, die seinen Händen entglitten war. Dieser Stoß läßt ihn die Augen öffnen und er gewahrt den Nil, wellig und klar unter dem weißen Glanz des Mondes, wie eine große Schlange mitten in den Sandmassen, so daß ihn die Wahnvorstellung von neuem erfaßt! Er ist immer noch unter den Orphiten; sie umringen ihn, rufen ihn, führen Gepäck mit sich fort und steigen nieder zum Hafen; er geht mit ihnen zu Schiff. Eine ungemessene Zeit geht dahin. Da umgibt ihn die Wölbung eines Gefängnisses, Gitterstäbe bilden vor ihm schwarze Striche auf blauem Grund, und rings um ihn im Dunkel weinen und beten Menschen, umgeben von anderen, welche sie ermahnen und trösten.

Draußen fühlt man das Summen einer Menge und den Glanz eines Sommertages. Schrille Stimmen rufen Wassermelonen aus, Trinkwasser, Eisgetränke, Rasenkissen für den Sitz. Von Zeit zu Zeit prasseln Beifallsbezeugungen. Er hört Schritte über seinem Kopfe.

Plötzlich ein langgedehntes Gebrüll, mächtig und hohl wie das Toben des Wassers in einem Aquädukt.

Und er bemerkt vor sich, hinter dem Gitter eines anderen Abteils, einen Löwen auf- und abschreiten, – dann eine Reihe Sandalen, nackte Beine und Purpurfranzen. Dahinter ziehen sich Menschenringe, symmetrisch gestaffelt und sich erweiternd vom tiefsten, der die Arena umschließt, bis zum höchsten, wo Maste ragen als Stütze einer violetten Zeltbahn, welche an Stricken in die Luft gespannt ist. Treppen, die strahlenförmig gegen den Mittelpunkt zulaufen, durchschneiden in gleichen Abständen diese großen Steinkreise. Ihre Stufen verschwinden unter einer sitzenden Menge: Ritter, Senatoren, Soldaten, Plebejer, Vestalinnen und Kurtisanen – wollene Kapuzen, Priesterbinden aus Seide, gelbrote Tuniken, Juwelennadeln, Federbüsche, Liktorenbündel; und all das wimmelt und schreit, lärmt und wütet, betäubend wie eine brodelnde Riesenkufe.

In der Mitte der Arena raucht ein Räuchergefäß auf einem Altar.

So sind also die Menschen, die ihn umgeben, zum Kampf mit wilden Tieren verurteilte Christen. Die Männer tragen den roten Mantel der obersten Saturnpriester, die Frauen die Opferbinden der Ceres. Ihre Freunde teilen sich ihre Ringe, die Reste ihrer Kleidung. Um sich ins Gefängnis einzuführen, erzählen sie, mußten sie viel Geld geben. Was liegt daran? Sie würden bis zum Ende bleiben. Unter diesen Tröstern bemerkt Antonius einen kahlköpfigen Mann in schwarzer Tunika, dessen Gesicht ihm schon irgendwo begegnet ist; er unterhält sie von der Nichtigkeit der Welt und von der Glückseligkeit der Auserwählten. Antonius ist ganz erfüllt von Liebe; er wünscht sich die Gelegenheit, sein Leben hinzugeben für den Heiland, weiß nicht, ob er nicht selbst einer dieser Märtyrer ist.

Aber außer einem Phrygier mit langen Haaren, der mit erhobenen Armen verweilt, haben alle traurige Mienen. Ein Greis schluchzt auf einer Bank und ein junger Mensch träumt stehend mit gesenktem Haupt.

Der Greis hat an einem Kreuzweg vor einer Statue der Minerva nicht zahlen wollen, und er betrachtet seine Gefährten mit einem Blick, als wollte er sagen: Ihr hättet mir helfen sollen! Staatsbeamte lassen bisweilen mit sich reden, damit man sie in Ruhe läßt. Mehrere von euch haben sogar Freibriefe erhalten, die falsch bezeugen, daß man den Götzen geopfert habe.

Er fragt:

Ist es nicht Petrus von Alexandrien, der bestimmt hat, was man tun muß, wenn man bei den Foltern nachgegeben hat?

Dann für sich:

Ach, das ist hart für mein Alter! Meine Gebresten machen mich so schwach! Und ich hätte doch noch bis zum nächsten Winter leben können!

Die Erinnerung an seinen kleinen Garten versetzt ihn in Rührung, und er blickt nach der Seite des Altars.

Der junge Mann, der durch Schläge ein Apollofest gestört hatte, murmelt: Es lag doch nur an mir, in die Berge zu fliehen! –

Die Soldaten hätten dich gefaßt.

So sagt einer der Brüder.

Oh, ich hätte es gemacht wie Cyprianus, ich wäre zurückgekommen; aber das zweite Mal hätte es mir sicher nicht mehr an Kraft gefehlt.

Dann denkt er an die unzähligen Tage, die er noch gelebt hätte, an alle Freuden, die er nicht gekannt, – und er blickt nach der Seite des Altars.

Der Mann in schwarzer Tunika eilt zu ihm.

Was für ein Skandal! Wie! Du, ein auserwähltes Opfer! Denke doch an all die Frauen, deren Blicke auf dir ruhen! Und Gott tut mitunter auch ein Wunder. Pionius lähmte die Hand seiner Henker; das Blut Polykarps löschte die Flamme seines Scheiterhaufens.

Er wendet sich zum Greise.

Vater, Vater! Du mußt uns erbauen durch deinen Tod! Wenn du ihn verzögerst, begehst du ohne Zweifel eine schlechte Handlung, welche dich um die Frucht deiner guten betröge. Im übrigen ist Gottes Macht unbegrenzt. Vielleicht wird dein Vorbild das ganze Volk bekehren!

Und in dem Abteil gegenüber streifen die Löwen ohne Unterlaß hin und her, in ständiger, rastloser Bewegung. Der größte betrachtet plötzlich Antonius, beginnt zu brüllen – Dampf steigt aus seinem Rachen.

Die Weiber drängen sich zusammen gegen die Männer.

Der Tröster geht von einem zum andern. Was würdet ihr sagen, – was sagtest du, wenn man dich verbrennen wollte mit glühenden Eisenplatten, wenn du von Pferden zerrissen würdest? Wenn dein Körper mit Honig bestrichen von den Fliegen aufgezehrt würde! Du hast nur den Tod eines Jägers zu erwarten, der in einem Walde überrascht wird.

Antonius zöge all das den schauerlichen wilden Tieren vor; er glaubt ihre Zähne, ihre Krallen zu spüren, hört seine Knochen zwischen ihren Kinnbacken krachen. Ein Tierbändiger tritt in den Kerker; die Märtyrer erbeben.

Ein einziger bleibt gefühllos, der Phrygier, der abseits betete. Er hat drei Tempel angezündet, und er schreitet vor mit erhobenen Armen, offenem Munde, das Haupt zum Himmel erhoben, ohne etwas zu sehen, wie ein Nachtwandler.

Der Tröster ruft: Zurück, zurück! Der Geist des Montanus könnte über euch kommen!

Alle weichen zurück, aufschreiend: Verdammnis dem Montanisten!

Sie beschimpfen, bespeien ihn, möchten ihn schlagen.

Die Löwen bäumen sich auf, beißen sich in die Mähne. Das Volk heult: Die Tiere, die Tiere!

Die Märtyrer brechen in Schluchzen aus, fassen sich in die Arme. Eine Schale betäubenden Weines wird ihnen geboren. Sie reichen sich dieselbe hastig von Hand zu Hand.

Gegen die Türe des Abteils lehnt ein anderer Tierbändiger und wartet auf das Signal. Sie öffnet sich: ein Löwe tritt heraus.

Er durchschreitet mit großen, schrägen Schritten die Arena. Hinter ihm, der Reihe nach, erscheinen die anderen Löwen, dann ein Bär, drei Panther, Leoparden. Sie zerstreuen sich wie eine Herde auf der Wiese.

Der Knall einer Peitsche ertönt. Die Christen wanken – und um ein Ende zu machen, stoßen ihre Brüder sie vorwärts.

Antonius schließt die Augen.

Er öffnet sie – aber Finsternis umgibt ihn.

Alsbald wird es hell und er unterscheidet eine trockene wellige Ebene, wie man sie findet in der Umgebung verlassener Steinbrüche.

Hier und dort steht Gesträuch zwischen Steinplatten, die sich kaum aus dem Erdboden erheben. Weiße Massen, unbestimmt wie Wolken, sind über sie gebeugt.

Andere schweben hinzu. Augen blitzen aus dem Spalt der langen Schleier. An der Nachlässigkeit ihres Ganges und an den Parfüms, die von ihnen ausströmen, erkennt Antonius, daß es Patrizierinnen sind.

Auch Männer sind dabei, aber von geringerem Stand, denn ihr Gesichtsausdruck ist naiv und derb zugleich.

Eine von ihnen tief aufatmend. Ah, wie herrlich ist die kalte Nachtluft mitten unter den Gräbern! Ich bin so müde von der Weichheit der Betten, dem Lärmen des Tages, der drückenden Sonnenschwüle.

Ihre Dienerin zieht aus einem Leinensack eine Fackel, welche sie anzündet. Die Gläubigen stecken andere Fackeln daran an und befestigen sie an den Gräbern.

Ein Weib atemlos. Ah, endlich bin ich da! Wie widerlich, einen Götzendiener zum Manne zu haben!

Eine andere. Die Besuche in den Gefängnissen, die Unterhaltungen mit unseren Brüdern, alles erscheint unseren Männern verdächtig! Selbst um das Zeichen des Kreuzes zu machen müssen wir uns verstecken; sie hielten das für eine Zauberbeschwörung.

Eine andere. Mit dem meinigen gab es alle Tage Streit; ich wollte mich nicht dem Mißbrauch unterwerfen, den er mit meinem Leibe zu machen begehrte, – und um sich zu rächen, hat er mich als Christin verfolgen lassen.

Eine andere. Entsinnt ihr euch des Lucius, jenes schönen Jünglings, den man, wie Hektor, an den Fersen hinter einem Wagen nachschleifte vom esquilinischen Tor bis zu den Bergen von Tibur, – und auf beiden Seiten des Weges waren die Gebüsche mit Blut bespritzt! Ich habe davon die Tropfen gesammelt. Hier sind sie!

Sie zieht aus ihrem Busen einen ganz schwarzen Schwamm, bedeckt ihn mit Küssen, dann wirft sie sich auf die Steinfliesen und schreit:

Oh, mein Freund, mein Freund!

Ein Mann. Es sind heute gerade drei Jahre, daß Domitilla starb. Sie wurde gesteinigt in den Waldgründen der Proserpina. Ich habe ihre Gebeine gesammelt, die wie Johanniswürmchen im Grase leuchteten. Jetzt deckt sie wieder die Erde.

Er wirft sich über ein Grab.

Oh, meine Braut, meine Braut!

Und alle anderen über die Ebene hin. Oh, meine Schwester! Mein Bruder! Meine Tochter! Meine Mutter!

Sie liegen auf den Knien, die Stirne in den Händen oder den Leib gestreckt, mit ausgebreiteten Armen, – und das unterdrückte Schluchzen stößt ihre Brust zum Zerspringen. Sie blicken zum Himmel und rufen:

Erbarme dich ihrer Seele, o mein Gott! Sie schleppt sich hin im Lande der Schatten; nimm sie gnadenvoll auf in die Auferstehung, damit sie sich erfreue deines Lichtes!

Oder, das Auge starr auf die Steine gerichtet, murmeln sie:

Beruhige dich, höre auf zu leiden! Ich brachte dir Wein und Fleisch!

Eine Witwe. Hier ist Pultisbrei, den ich selbst bereitet nach seinem Geschmacke mit viel Eiern und doppeltem Maß Mehl! Wir wollen ihn zusammen essen, wie ehedem, nicht wahr?

Sie führt ein wenig an ihre Lippen und plötzlich beginnt sie zu lachen, auf eine wunderliche, wahnwitzige Art.

Die anderen knuspern wie sie einige Stücke, trinken einen Schluck.

Sie erzählen sich die Geschichten ihrer Martyrien; der Schmerz steigert sich zur Begeisterung, die Zusprüche werden häufiger. Ihre Augen, von Tränen überströmt, bleiben aneinander haften. Sie stammeln vor Trunkenheit und Verzweiflung; allmählich berühren sich ihre Hände, ihre Lippen vereinen sich, es teilen sich die Schleier – und sie vermischen sich auf den Gräbern, zwischen den Trinkschalen und Fackeln.

Der Himmel beginnt sich aufzuhellen.

Nebel näßt ihre Gewänder, – und als ob sie sich nie gesehen, schleichen die einen und die andern auf verschiedenen Wegen fort ins weite Land.

   

Die Sonne strahlt, das Gras steht hoch, die Ebene hat sich verwandelt.

Und Antonius sieht deutlich durch Bambusstäbe einen Wald von bläulich-grauen Säulen. Es sind Baumstämme, die aus einem einzigen Stamm entspringen. Von jedem dieser Äste zweigen andere Äste ab, welche sich in die Erde senken, und all diese wag- und senkrechten Linien in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit sähen zusammen einem ungeheuren Gerüste ähnlich, säßen nicht an einzelnen Stellen kleine Feigen mit einem schwärzlichen Blattwerk, wie das der Sykomore. Er unterscheidet zwischen ihren Gabelungen hindurch traubenartige Büschel gelber Blüten, violetter Blumen und Farenkräuter, die wie Vogelfedern aussehen. Unter den tiefsten Zweigen zeigt sich hie und da das Gehörn eines Zwergbüffels oder die glänzenden Augen einer Antilope; Papageien fliegen auf, Schmetterlinge flattern, Eidechsen gleiten umher, Mücken summen, und man vernimmt inmitten der Stille den Pulsschlag eines tiefen Lebens.

Am Eingang des Gehölzes, auf einer Art Scheiterhaufen, befindet sich etwas Merkwürdiges, – ein Mann, mit Kuhmist eingerieben, vollkommen nackt, dürrer wie eine Mumie. Seine Gelenksehnen bilden Knoten an den stangenartigen Knochenenden. Er hat Büschel von Schneckenmuscheln in den Ohren, ein sehr langes Gesicht, die Nase wie ein Geierschnabel. Sein linker Arm reckt sich starr in die Luft, erlahmt, steif wie ein Pfahl. Dieser Mensch steht schon so lange aufrecht da, daß die Vögel in seinen Haaren ein Nest gebaut haben. An den vier Ecken seines Scheiterhaufens lodern vier Feuer. Die Sonne scheint ihm gerade ins Gesicht. Er betrachtet sie mit aufgerissenen Augen – und ohne Antonius anzusehen:

Brachmane vom Ufer des Nils, was sagst du dazu?

Flammen züngeln von allen Seiten durch die Lücken der Balken.

Der Gymnosophist fährt fort: Gleich dem Rhinozeros habe ich mich in die Einsamkeit verkrochen. Ich bewohnte den Baum hinter mir.

In der Tat zeigt der große Feigenbaum in seinen Auskehlungen eine natürliche Höhlung von der Größe eines Menschen.

Und ich ernährte mich von Blüten und Früchten mit einer so strengen Beobachtung der Vorschriften, daß nicht einmal ein Hund mich hat essen sehen.

Das Dasein folgt aus der Verdorbenheit, die Verdorbenheit aus dem Verlangen, das Verlangen aus der Empfindung, die Empfindung aus der Berührung: daher floh ich jede Tätigkeit, jede Berührung. Und – ohne mich mehr zu rühren als eine Grabessäule, meinen Atem aushauchend durch die Nase, meinen Blick starr auf dieselbe gerichtet, beschauend den Äther in meinem Geiste, die Welt in meinen Gliedern, den Mond in meinem Herzen, – sann ich nach über das Wesen der Weltseele, aus welcher unaufhörlich wie Feuerfunken die Grundstoffe des Lebens aussprühen.

Ich erfaßte endlich die höchste Seele in allen Wesen und alle Wesen in der höchsten Seele. Ich brachte es so weit, daß ich in ihr meine Seele eingehen ließ, in welcher ich meine Sinne aufgelöst hatte.

Ich empfange das Wissen unmittelbar vom Himmel, wie der Vogel Tschataka, der seinen Durst nur in den Strahlen des Regens löscht. Eben dadurch, daß ich die Dinge kenne, existieren die Dinge nicht mehr. Für mich gibt es nunmehr keine Hoffnung, keine Angst, kein Glück, keine Tugend, weder Tag noch Nacht, weder ein du noch ein ich, absolut nichts.

Meine furchtbar strenge Lebensweise hat mich erhoben über die höchsten Gewalten. Ein Zusammenballen meiner Denkkraft kann hundert Königssöhne töten, Götter entthronen, die Welt aus ihren Angeln heben.

Er hat dies alles mit eintöniger Stimme gesprochen. Die Blätter ringsum schrumpfen zusammen. Ratten auf der Erde suchen das Weite.

Langsam senkt er die Augen nach den aufsteigenden Flammen, dann fährt er fort:

Ein Ekel hat mich ergriffen vor der Form, vor dem Begriff, ja sogar vor der Erkenntnis. Denn der Gedanke überlebt die vergängliche Tatsache nicht, die ihn verursacht und der Geist ist nur eine Täuschung wie alles übrige.

Alles Erzeugte wird vergehen, alles Tote muß neu erstehen. Die Wesen, welche für den Augenblick verschwinden, verweilen in noch ungeformtem Schoße und werden wieder auf die Erde zurückkehren, um mit Schmerzen anderen Geschöpfen zu dienen.

Aber da ich umhergeirrt in einer unendlichen Anzahl von Daseinsformen, unter der Hülle von Göttern, Menschen und Tieren, verzichte ich auf die Reise, ich habe genug von diesen Mühen. Ich verlasse die schmutzige Herberge meines Leibes, die gemauert ist aus Fleisch, rot gestrichen mit Blut, bedeckt mit scheußlicher Haut, voll von Unrat, – und zum Lohne werde ich nun endlich schlafen in der tiefsten Tiefe des Absoluten, in der Vernichtung.

Die Flammen erheben sich bis zu seiner Brust, – dann umhüllen sie ihn. Sein Haupt starrt daraus hervor wie aus dem Loch einer Mauer. Seine stieren Augen schauen noch immer.

Antonius erhebt sich.

Die Fackel auf der Erde hat die Holzstücke in Brand gesetzt und die Flammen haben seine Brust versengt.

Mit Geschrei zerstampft Antonius das Feuer, – und da nur noch ein Haufen Asche bleibt:

Wo ist doch Hilarion? Er war eben noch da. Ich habe ihn gesehen. Ach nein! Unmöglich! Ich täusche mich.

Warum? ... Meine Hütte, diese Steine, der Sand haben vielleicht ebensowenig Realität. Ich werde verrückt. Nur Ruhe! Wo war ich doch? Was gab es?

Ach, der Gymnosophist! ... Dieser Tod ist nichts Außergewöhnliches unter den indischen Weisen. Kalanos verbrannte sich vor Alexander; ein anderer tat das Gleiche zu Augustus Zeiten. Welch ein Haß gegen das Leben gehört dazu! Es sei denn, sie werden verleitet durch Hoffart? Immerhin: es hat etwas von der Unerschrockenheit der Märtyrer! ... Was diese betrifft, so glaube ich jetzt alles, was man mir erzählt hat über die Ausschweifungen, zu denen sie Anlaß geben.

Und zuvor? Ja, ich entsinne mich! Die Menge der Ketzer! – Welch ein Geschrei! Und was sie für Augen machten! Allein, warum soviel sinnliche Verirrung, soviel geistige Wirrnis?

Sie behaupten, gegen Gott strebten sie hin auf allen diesen Wegen! Mit welchem Rechte darf ich ihnen fluchen, der ich strauchle auf dem meinen?

Da sie verschwanden, war ich vielleicht eben im Begriff mehr von ihnen zu erfahren. Das wirbelte zu rasch; ich hatte keine Zeit zu antworten.

Jetzt ist es mir, als sei in meinem Hirn mehr Raum, mehr Licht. Ich bin ruhig. Ich fühle mich fähig ... Was ist denn das? Ich glaubte das Feuer ausgelöscht zu haben!

Eine Flamme tanzt zwischen den Felsen, und alsbald läßt sich eine abgerissene Stimme vernehmen fern in den Bergen.

Ist es das Bellen einer Hyäne, oder das Stöhnen irgend eines verlorenen Wanderers?

Antonius lauscht; die Flamme nähert sich.

Und er sieht ein Weib kommen, das sich weinend auf die Schulter eines weißbärtigen Mannes stützt.

Sie ist bedeckt mit einem zerfetzten Purpurkleid. Er ist barhäuptig, wie sie, mit einer Tunika von gleicher Farbe; er trägt ein Bronzegefäß, aus welchem eine kleine blaue Flamme züngelt.

Antonius fürchtet sich – er möchte wissen, wer dieses Weib ist.

Der Fremde (Simon). Das ist ein junges Mädchen, ein armes Kind, das ich überall mit mir führe.

Er hebt das Bronzegefäß höher.

Antonius betrachtet sie beim flackernden Scheine dieser Flamme.

Sie hat Male von Bissen im Gesicht, an den Armen hinauf Spuren von Schlägen; ihre aufgelösten Haare verfangen sich in den Rissen ihrer Lumpen; ihre Augen scheinen unempfindlich gegen Licht.

Simon. Mitunter bleibt sie sehr lange Zeit so ohne zu sprechen, ohne zu essen; dann erwacht sie und erzählt wunderbare Dinge.

Antonius. Wirklich?

Simon. Ennoia, Ennoia, Ennoia! Erzähle, was du zu sagen hast.

Sie wendet das Auge als erwache sie aus einem Traume, streicht langsam mit den Fingern über beide Augenbrauen und mit klagender Stimme:

Helena (Ennoia). Ich entsinne mich einer fernen Gegend, von der Farbe des Smaragdes. Ein einziger Baum nimmt sie ein.

Antonius zittert.

Bei jeder Abstufung seiner langen Äste schwebt ein Geisterpaar in der Luft. Die Zweige rings um sie kreuzen sich wie die Adern eines Körpers, und sie sehen wie das ewige Leben pulsiert von den Wurzeln, die sich ins Dunkel senken bis zum Wipfel, der die Sonne überragt. Ich, auf dem zweiten Aste, beleuchtete mit meinem Angesicht die Sommernächte.

Antonius sich an die Stirne greifend. Ah, Ah! Ich verstehe! Der Kopf!

Simon den Finger auf den Lippen. Still!

Helena. Das Segel blieb geschwellt, der Kiel durchschnitt den Schaum. Er sagte zu mir: »Was liegt mir daran, ob ich mein Vaterland in Wirrnis bringe, ob ich mein Königreich verliere: du wirst mir angehören, in meinem Hause!«

Wie war es so lieblich in dem hohen Gemach seines Palastes! Er legte sich auf das Bett von Elfenbein und, meine Haare liebkosend, sang er voll Liebeslust.

War der Tag zu Ende, so bemerkte ich die beiden Lager, die Feuerzeichen, die man ansteckte, Odysseus am Eingang seines Zeltes, Achill in voller Rüstung, wie er einen Kampfwagen lenkte längs des Meeresstrandes.

Antonius. Aber sie ist ganz und gar verrückt! Warum? ...

Simon. Still! ... Still!

Helena. Sie haben mich mit Salben eingerieben und haben mich ans Volk verkauft, damit ich sie ergötzte.

Eines Abends stand ich, die Zither in der Hand, und spielte griechischen Seeleuten zum Tanze auf. Der Regen fiel wie ein Wasserfall auf die Taverne und die Schalen warmen Weines rauchten. Ein Mann trat ein, ohne daß die Türe geöffnet worden wäre.

Simon. Ich war es! Ich habe dich wiedergefunden.

Da ist sie, Antonius, die man nennt Sigeh, Ennoia, Barbelo, Prunikos! Die regierenden Geister der Welt waren eifersüchtig auf sie und bannten sie in den Leib eines Weibes. Sie war die Helena der Trojaner, deren Andenken der Dichter Stesichoros verfluchte. Sie war Lukrezia die Patrizierin, welche von den Königen Gewalt erlitt. Sie war Dalila, welche Simsons Haare abschnitt. Sie ist jene Tochter Israels gewesen, die sich den Böcken hingab. Sie liebte den Ehebruch, den Götzendienst, die Lüge und die Dummheit. Sie hat sich allen Völkern preisgegeben. An allen Straßenecken hat sie gesungen. Alle Lippen hat sie geküßt. Im syrischen Tyrus war sie die Geliebte der Diebe. Sie trank mit ihnen in den Nächten und verbarg die Mörder in der Wärme ihres unreinen Bettes.

Antonius. He, was geht das mich an? ...

Simon wütend. Ich habe sie losgekauft, sag ich dir – und wieder eingesetzt in ihren früheren Glanz; so daß Cajus Cäsar Caligula sich in sie verliebte, – er wollte nämlich mit der Göttin des Mondes schlafen.

Antonius. Nun, und?

Simon. Aber sie ist es doch, die Mondgöttin! Hat der Papst Clemens nicht geschrieben, daß sie in einen Turm gesperrt wurde? Dreihundert Personen umstellten den Turm und an jeder einzelnen Schießscharte sah man zu gleicher Zeit ihr Licht erscheinen, – obwohl es in der Welt nicht mehrere Monde und nicht mehrere Ennoias gibt!

Antonius. Ja ... ich glaube mich zu entsinnen ...

Und er versinkt in Träumen.

Simon. Unschuldig wie der Christ, der gestorben ist für die Männer, hat sie sich hingegeben für die Frauen. Die Ohnmacht Jehovas wurde nämlich erwiesen durch die Übertretung Adams, und so muß man das alte Gesetz abschütteln, das der Ordnung der Dinge zuwiderläuft.

Ich habe die Erneuerung gepredigt in Ephraïm und Isachar, längs dem Strome Bizor, hinter dem See von Huleh, im Tale Mageddo und jenseits der Berge in Bostra und Damaskus. Zu mir mögen alle kommen, die da beladen sind mit Schmutz, die beladen sind mit Blut: und ich werde ihre Flecken abwaschen mit dem hl. Geist, den die Griechen Minerva nannten! Sie ist Minerva! Sie ist der hl. Geist! Ich bin Jupiter, Apollo, der Christ, der Paraklet, die große Gottesmacht, die Fleisch geworden ist in der Person des Simon.

Antonius. Ah, du bist es! Das bist also du! Aber ich kenne deine Verbrechen!

Du bist geboren zu Gittoï bei Samaria. Dositheus, dein erster Meister, hat dich fortgejagt. Du fluchst dem hl. Paulus, weil er eine deiner Frauen bekehrt hat und, besiegt von Sankt Peter, hast du aus Wut und Schrecken den Sack, der deine Künste enthielt, in die Fluten geworfen.

Simon. Willst du sie?

Antonius sieht ihn an und eine innere Stimme flüstert in seiner Brust: »Warum nicht?«

Simon fährt fort:

Derjenige, welcher die Kräfte der Natur und die Substanz des Geistes kennt, muß Wunder wirken. Das ist der Traum aller Weisen – und die Sehnsucht, die an dir nagt, gestehe es!

Im Zirkus, mitten unter den Römern, bin ich so hoch geflogen, daß man mich nicht mehr gesehen hat. Nero befahl, mich zu enthaupten; aber es war der Kopf eines Lammes, der zur Erde fiel an Stelle des meinigen. Endlich hat man mich bei lebendigem Leibe begraben; aber am dritten Tage bin ich wieder auferstanden. Der Beweis dafür ist, daß ich hier bin.

Er hält ihm seine Hände unter die Nase. Sie riechen nach Leiche. Antonius weicht zurück.

Ich kann bewirken, daß sich bronzene Schlangen bewegen, daß Marmorstatuen lachen, daß Hunde sprechen. Ich werde dir eine ungeheure Menge Goldes zeigen; ich will Könige einsetzen; du sollst Völker sehen, wie sie mich verehren! Ich kann auf den Wolken wandeln und auf den Wellen, kann durch die Berge hindurch; ich kann als Jüngling, als Greis, als Tiger und als Ameise erscheinen, kann dein Gesicht annehmen, dir das meinige geben und kann dem Donnerstrahl gebieten. Hörst du ihn?

Der Donner grollt, Blitz folgt auf Blitz.

Das ist die Stimme des Allerhöchsten, denn der Ewige, dein Gott, ist ein Feuer und alle Schöpfungen vollziehen sich durch ein Aussprühen von diesem Herde.

Du sollst damit die Taufe erhalten, – diese zweite Taufe, von Jesus verkündet, welche die Apostel erhielten an einem Gewittertag, da das Fenster offen stand.

Und indem er die Flamme mit seiner Hand bewegt, spricht er langsam, als wolle er Antonius besprengen:

Mutter allen Mitleidens, die du die Geheimnisse enthüllst, damit uns die Ruhe zukomme im achten Hause ...

Antonius schreit. Ah! Wenn ich doch geweihtes Wasser hätte!

Die Flamme erlischt und entwickelt viel Rauch.

Ennoia und Simon sind verschwunden.

Ein äußerst kalter Nebel, undurchsichtig und stinkend, erfüllt die Atmosphäre.

Antonius streckt die Arme aus wie ein Blinder: Wo bin ich? .. Ich habe Angst in den Abgrund zu stürzen. Und das Kreuz ist sicher weit von mir. ... Oh, was für eine Nacht!

Unter einem Windstoß öffnet sich der Nebel und er bemerkt zwei Männer in langen, weißen Tuniken. Der erste ist von hoher Gestalt, mit sanften Zügen, in ernster Haltung. Seine blonden Haare, gescheitelt wie die des Christ, fallen ihm regelmäßig auf die Schultern nieder. Er hat ein Stäbchen, das er in der Hand getragen, hingeworfen; sein Begleiter hat es aufgenommen und macht eine Verbeugung nach Art der Orientalen.

Der letztere ist klein, dick, stumpfnasig, von untersetzter Gestalt, mit krausen Haaren und naiver Miene.

Sie sind beide barhäuptig, barfuß und verstaubt, wie Leute, die von der Reise kommen.

Antonius auffahrend. Was wollt ihr? Sprecht! Fort von hier!

Damis (es ist der kleine Mann). Na, na! ... guter Eremit! Was ich will? Davon weiß ich nichts. Hier ist der Meister.

Er setzt sich, der andere bleibt stehen. Schweigen.

Antonius fährt fort. Ihr kommt also? ...

Damis. Oh, von weit her – von sehr weit her!

Antonius. Und ihr geht? ..

Damis zeigt auf den anderen. Wohin er will.

Antonius. Wer ist er denn?

Damis. Sieh ihn an.

Antonius. Er sieht aus wie ein Heiliger! Soll ich es wagen ...

Der Rauch ist verflogen. Das Wetter ist ganz klar. Der Mond glänzt.

Damis. Von was träumt Ihr denn, daß Ihr nicht mehr sprecht?

Antonius. Ich denke ... Oh, nichts.

Damis nähert sich Apollonius und umkreist ihn mehrmals ohne den Kopf zu heben. Meister! Ein galiläischer Eremit verlangt die Urgründe der Weisheit zu erfahren.

Apollonius. Er trete näher!

Antonius zögert.

Damis. Tretet näher!

Apollonius mit donnernder Stimme. Tritt näher! Du wünschest zu wissen wer ich bin, was ich getan habe, was ich denke? Ist es nicht so, mein Kind?

Antonius. ... Wenn anders diese Dinge zu meinem Heile beitragen können.

Apollonius. Freue dich, ich werde es dir mitteilen!

Damis, leise zu Antonius. Ist es möglich! Er muß in Euch auf den ersten Blick außerordentliche Neigungen für die Philosophie entdeckt haben! Ich werde nun auch davon profitieren.

Apollonius. Ich will dir zuerst von dem langen Weg erzählen, den ich zurückgelegt, um die Gelehrsamkeit zu gewinnen; und wenn du in meinem ganzen Leben eine schlechte Handlung findest, heiß mich schweigen, denn der muß Ärgernis geben in seinen Worten, der übel getan in seinen Werken.

Damis zu Antonius. Was für ein Gerechter! Wie?

Antonius. Entschieden; ich glaube, er ist aufrichtig.

Apollonius. In der Nacht meiner Geburt glaubte meine Mutter sich zu sehen, wie sie Blumen pflückte am Ufer eines Sees. Ein Blitz erschien – und sie brachte mich zur Welt unter dem Singen der Schwäne, die sie im Traume hörte.

Bis zum fünfzehnten Jahre hat man mich dreimal täglich in die Quelle Asbadäa getaucht, deren Fluten die Meineidigen wassersüchtig macht, und man rieb mir den Leib mit den Blättern des Cnyza, um mich keusch zu machen.

Eine palmyrische Prinzessin kam eines Abends zu mir und bot mir Schätze an, die sie in den Gräbern versteckt wußte. Eine heilige Dienerin des Dianatempels entleibte sich aus Verzweiflung mit dem Opfermesser, und der Statthalter von Cilicien, als er mit seinen Versprechungen nicht ans Ziel kam, rief vor meiner Familie aus, daß er mich töten lassen werde; aber er war es, der drei Tage später starb, von den Römern ermordet.

Damis zu Antonius, ihn mit dem Ellenbogen stoßend: Na, was hab ich Euch gesagt! Was für ein Mensch!

Apollonius. Ich habe während vier Jahren ununterbrochen das vollständige Stillschweigen der Pythagoräer bewahrt. Der unerwartetste Schmerz entriß mir keinen Seufzer und im Theater wich man mir, wenn ich eintrat, wie einer Geistererscheinung aus.

Damis. Hättet Ihr das vielleicht getan?

Apollonius. Als die Probezeit beendet war, unternahm ich es die Priester zu unterrichten, welche die Überlieferung verloren hatten.

Antonius. Welche Überlieferung?

Damis. Laßt ihn fortfahren und schweigt!

Apollonius. Ich habe geplaudert mit den Samanäanern des Ganges, mit den Astrologen von Chaldäa, mit den Magiern Babylons, mit den gallischen Druïden, mit den Priestern der Neger! Ich habe die vierzehn Olympe erklommen, habe die Seen von Skythien erforscht und die Größe der Wüste gemessen.

Damis. Alles das ist aber wahr! Ich bin dabei gewesen!

Apollonius. Ich war zuerst bis zum Meer von Hyrkanien, welches ich rings umwanderte, und durch das Land der Baraomaten, wo Bukephalos begraben liegt, bin ich gegen Ninive hinabgestiegen. An den Toren der Stadt näherte sich mir ein Mann.

Damis. Ich, ich, mein guter Meister! Ich liebte euch sofort! Ihr ward lieblicher als ein Mädchen und schöner als ein Gott.

Apollonius ohne auf ihn zu hören. Er wollte mich begleiten, um mir als Dolmetscher zu dienen.

Damis. Aber Ihr erwidertet, daß Ihr alle Sprachen verstündet und daß Ihr alle Gedanken errietet. Da habe ich den Saum Eures Mantels geküßt und begann hinter Euch herzugehen.

Apollonius. Nach Ktesiphon betraten wir das Gebiet von Babylon.

Damis. Und der Satrap stieß einen Schrei aus, als er einen so bleichen Menschen sah.

Antonius zur Seite. Was bedeutet ...

Apollonius. Der König empfing mich stehend vor einem silbernen Throne, in einem runden, von Sternen besäten Saal, – und von der Kuppel herab hingen an unsichtbaren Fäden vier große goldene Vögel mit ausgebreiteten Flügeln.

Antonius träumend. Gibt es auf Erden derartige Dinge?

Damis. Das ist Euch eine Stadt, das Babylon! Alle Welt ist dort reich! Die Häuser, blau angemalt, haben bronzene Türen mit einer Treppe, die zum Flusse hinabführt.

Auf der Erde mit seinem Stabe zeichnend:

So, seht Ihr? Und dann gibt es da Tempel, Plätze, Bäder, Aquädukte. Die Paläste sind gedeckt mit rotem Kupfer! Und erst das Innere, wenn Ihr wüßtet!

Apollonius. Auf der Mauer gegen Mitternacht erhebt sich ein Turm, der einen zweiten, einen dritten, einen vierten, einen fünften trägt – und darauf stehen noch drei andere! Der achte ist eine Kapelle mit einem Lager. Niemand hat dort Eintritt als das Weib, welches die Priester für den Gott Belus auserwählt haben. Der König von Babylon ließ mich dort wohnen.

Damis. Mich hat man kaum beachtet. So blieb ich denn auch allein und promenierte in den Straßen. Ich erkundigte mich über die Gebäude, besuchte die Werkstätten; ich besichtigte die großen Maschinen, welche das Wasser in die Gärten schaffen. Aber es langweilte mich, vom Meister getrennt zu sein.

Apollonius. Endlich verließen wir Babylon, – und beim Schein des Mondes erblickten wir plötzlich eine Empuse.

Damis. Heißa! Sie hüpfte auf ihrem eisernen Huf, sie wieherte wie ein Esel; sie galoppierte zwischen den Felsen umher. Er rief ihr Verwünschungen nach; sie verschwand.

Antonius zur Seite. Worauf wollen sie nur damit hinaus?

Apollonius. In Taxilla, der Hauptstadt von fünftausend befestigten Orten zeigte uns Phraortes, der König vom Ganges, seine Wache von fünf Ellen hohen schwarzen Männern, und in den Gärten seines Palastes, unter einem Zelte von grünem Brokat einen ungeheuren Elefanten, den die Königinnen zu ihrer Unterhaltung parfümierten. Das war der Elefant von Porus, der nach dem Tode Alexanders entflohen ist.

Damis. Und den man in einem Wald wiedergefunden.

Antonius. Sie schwatzen reichlich, wie Betrunkene.

Apollonius. Phraortes ließ uns an seiner Tafel Platz nehmen.

Damis. Ein komisches Land! Die Herren unterhalten sich, beim Trinken mit Pfeilen unter den Füßen eines tanzenden Kindes durchzuschießen. Aber ich billige nicht ...

Apollonius. Als ich abreisen wollte, gab mir der König einen Sonnenschirm und sagte zu mir: »Ich habe auf dem Indus ein Gestüte von weißen Kamelen. Wenn du sie nicht mehr willst, blase ihnen in die Ohren. Sie werden heimkehren.«

Wir stiegen hinab längs des Flusses in nächtlichen Wanderungen beim Scheine der Johanniswürmchen, die im Bambusdickicht glühten. Der Sklave blies eine Melodie, um die Schlangen fern zu halten, und unsere Kamele beugten die Lenden, wenn sie unter den Bäumen durchschritten wie unter zu niederen Toren.

Eines Tages führte uns ein schwarzes Kind, das einen goldenen Heroldsstab in der Hand hielt, in das Kollegium der Weisen. Jarchas, ihr Oberhaupt, sprach zu mir von meinen Vorfahren, von all meinen Gedanken, all meinen Handlungen, all meinen Daseinsformen. Er war der Fluß Indus gewesen und er erinnerte mich daran, daß ich Barken auf dem Nil geführt hatte zur Zeit des Königs Sesostris.

Damis. Mir hat man nichts gesagt, so daß ich nicht weiß, was ich gewesen bin.

Antonius. Sie haben ein unbestimmtes Aussehen, wie Schatten.

Apollonius. Wir sind am Strande des Meeres den milchgenährten Kynokephalen begegnet, die zurückkamen von ihrer Reise nach der Insel Taprobane. Die lauen Wellen rollten blonde Perlen vor uns hin. Der Bernstein krachte unter unseren Schritten. Skelette von Walen bleichten in der Spalte der Uferfelsen. Zuletzt wurde das Land schmäler wie eine Sandale; – wir sprengten gegen die Sonne Tropfen des Ozeans und wandten uns nach rechts, um zurückzukehren. Wir sind zurückgekommen über die Gegend der Aromaten, durch das Land der Gangariden, über das Vorgebirge von Comaria, durch das Gebiet der Sachaliten, der Adramiten und der Homeriten; – dann über die cassanischen Berge, das rote Meer und die Insel Topazos drangen wir in Äthyopien ein, durch das Königreich der Pygmäen.

Antonius zu Seite. Wie ist die Erde so groß!

Damis. Und als wir in unsere Heimat zurückkehrten, waren alle die, welche wir einstmals gekannt hatten, tot.

Antonius senkt Haupt. Schweigen.

Appollonius fährt fort. Da begann man in der Welt von mir zu sprechen. Die Pest wütete in Ephesus; ich ließ einen alten Bettler steinigen.

Damis. Und die Pest zog ab.

Antonius. Wie? Er vertreibt die Krankheiten?

Apollonius. In Knidos habe ich den geheilt, der in die Venus verliebt gewesen.

Damis. Ja, einen Verrückten, der sogar versprochen hatte, sie zu heiraten! – Ein Weib zu lieben mag noch hingehen; aber eine Statue, welche Dummheit! – Der Meister legte ihm die Hand aufs Herz – und alsbald erlosch die Liebe.

Antonius. Wie? Er treibt böse Geister aus?

Apollonius. In Tarent trug man ein junges totes Mädchen zum Scheiterhaufen.

Damis. Der Meister berührte ihre Lippen und sie erhob sich und rief nach ihrer Mutter.

Antonius. Wie? Er erweckt die Toten?

Apollonius. Ich habe Vespasian die Macht prophezeit.

Antonius. Wie? Er weissagt die Zukunft?

Damis. In Korinth war ...

Apollonius. Ich saß mit Ihm beim Essen, in den Bädern von Basä ...

Antonius. Entschuldigt mich, ihr Fremden, es ist spät!

Damis. ... Ein Jüngling, Menippus geheißen ...

Antonius. Nein, nein! Entfernet Euch!

Apollonius. Ein Hund kam herein, trug mit den Zähnen eine abgeschnittene Hand.

Damis. Eines Abends, in einer Vorstadt, begegnete er einem Weibe.

Antonius. Hört ihr mich nicht? Ziehet euch zurück!

Apollonius. Er schlich ungewiß um die Lagerstellen herum.

Antonius. Genug!

Apollonius. Man wollte ihn verjagen ...

Damis. Menippus begab sich also zu ihr; sie liebten sich.

Apollonius. Und indem er das Mosaik mit seinem Schweife schlug, legte er dem Flavius diese Hand auf die Kniee.

Damis. Aber am Morgen, in den Schulstunden, war Menippus bleich.

Antonius aufspringend. Immer noch! Ah, so sollen sie weiterfahren, da es keine Möglichkeit ...

Damis. Der Lehrer sagte zu ihm: »O schöner Jüngling, du liebkosest eine Schlange. Eine Schlange liebkoset dich. Wann soll die Hochzeit sein?« Wir gingen alle zur Hochzeit.

Antonius. Ich tue sicherlich Unrecht, all das anzuhören.

Damis. Schon in der Vorhalle tummelten sich Diener, die Türen öffneten sich; man hörte indes weder das Geräusch von Schritten noch das Geräusch der Türen. Der Meister setzte sich zu Menippus. Alsbald wurde die Braut von Zorn ergriffen gegen die Philosophen. Aber das goldene Geschirr, die Mundschenken, die Köche, die Bäcker verschwanden. Das Dach flog fort, die Mauern stürzten zusammen; und Apollonius blieb allein, aufrecht, zu seinen Füßen jenes Weib, in Tränen aufgelöst. Es war eine Vampire, die sich schönen, jungen Männern hingab, um von ihrem Fleische zu zehren, – denn nichts ist besser für diese Arten von Gespenster als das Blut der Liebenden.

Apollonius. Wenn du die Kunst wissen willst ...

Antonius. Ich will nichts wissen.

Apollonius. Am Abend unserer Ankunft an den Toren Roms ...

Antonius. O ja! Sprecht mir von der Stadt der Päpste!

Apollonius. ... näherte sich uns ein betrunkener Mann, der mit sanfter Stimme sang. Es war ein Hochzeitsgedicht des Nero und hatte die Macht jeden ums Leben zu bringen, der es ahnungslos anhörte. Er trug auf seinem Rücken in einer Büchse eine Saite, die war der Cythara des Kaisers entnommen.

Ich zuckte die Achseln. Er warf uns Schmutz ins Gesicht. Da nahm ich meinen Gürtel ab und legte ihm denselben in die Hand.

Damis. Ei, da habt Ihr schön Unrecht getan!

Apollonius. Während der Nacht ließ mich der Kaiser in sein Haus rufen. Er spielte das Knöchelspiel mit Sporus, aufgestützt mit dem linken Arm auf einen Tisch von Achat. Er wandte sich und seine blonden Brauen faltend, fragte er mich: »Warum fürchtest du mich nicht?« – »Der Gott, der dich schrecklich gemacht, hat mich furchtlos gemacht!« erwiderte ich.

Antonius zur Seite. Irgend etwas Unverständliches erschreckt mich.

Schweigen.

Damis fährt mit schriller Stimme fort. Übrigens wird Euch ganz Asien sagen können ...

Antonius auffahrend. Ich bin krank! Laßt mich!

Damis. Hört doch an! Er hat von Ephesus aus gesehen, wie Domitian, der in Rom weilte, getötet wurde.

Antonius zwingt sich zu lachen. Ist es möglich!

Damis. Ja, im Theater am hellen Tage, am 14. der Kalenden des Oktobers, rief er plötzlich aus: »Man ermordet den Cäsar!« Und nach einer Weile: »Er wälzt sich auf der Erde! Oh, wie er sich wehrt! Er erhebt sich; er versucht zu fliehen; die Tore sind geschlossen; ah, nun ist's zu Ende, nun ist er tot!« Und an jenem Tage wurde in der Tat Titus Flavius Domitianus – wie Ihr wißt – ermordet.

Antonius. Sicher: Ohne die Hilfe des Teufels ...

Apollonius. Er wollte mich töten lassen, dieser Domitian. Damis war auf meinen Befehl entflohen, und ich blieb allein in meinem Gefängnis.

Holzschnitt: Hermann Lismann

Antonius: Ich bin krank! Laßt mich!

Damis. Das war eine furchtbare Kühnheit, muß man gestehen.

Apollonius. Gegen die fünfte Stunde führten mich die Soldaten vor das Tribunal. Ich hielt meine Ansprache bereit unter meinem Mantel.

Damis. Wir waren am Strand von Puzzuoli. Wir hielten Euch für tot, wir weinten. Da, gegen die sechste Stunde erschient Ihr plötzlich und sagtet zu uns: »Ich bin es!«

Antonius zur Seite. Wie! Er!

Damis laut. Ganz und gar!

Antonius. O nein! Ihr lügt, nicht wahr? Ihr lügt!

Apollonius. Er ist vom Himmel herniedergestiegen. Ich steige dorthin auf, – dank meiner Tugend, die mich erhebt bis zur Höhe des Prinzipiums.

Damis. Thyana, seine Geburtsstadt, hat zu seinen Ehren einen Tempel mit Priestern gestiftet.

Apollonius nähert sich Antonius und schreit ihm in die Ohren: Ich kenne alle Götter, alle heiligen Gebräuche, alle Gebete, alle Orakel! Ich bin eingedrungen in die Höhle des Trophonius, Apollos Sohn. Ich habe für die Frauen von Samothrake die Kuchen geknetet, welche sie auf die Berge tragen! Ich habe Sabasius' Schlange an mein Herz gedrückt! Ich habe die Binde der Kabiren erhalten! Ich habe die Kybele gebadet in den Wellen des kampanischen Golfes und habe drei Monde in den Höhlen von Samothrake verbracht!

Damis blöde lachend. Ha, ha, ha! Bei den Mysterien der guten Göttin!

Apollonius. Und jetzt beginnen wir von neuem die Pilgerschaft! Wir ziehen gen Norden, in das Land der Schwäne und des Schnees. Auf der weißen Fläche zerstampfen die blinden Hippopoden mit der Spitze des Fußes das Ultramarinkraut.

Damis. Komm! Das ist die Morgenröte! Der Hahn hat gekräht, das Pferd hat gewiehert! Das Segel ist bereit.

Antonius. Der Hahn hat nicht gekräht. Ich höre die Grille im Sande und ich sehe den Mond, der auf der Stelle bleibt.

Apollonius. Wir gehen nach dem Süden, hinter den Gebirgen und den großen Fluten den Urgrund der Liebe zu suchen in den Wohlgerüchen. Du wirst den Duft des Myrrhodions einatmen, der die Schwachen tötet. Du wirst deinen Leib im See von Rosenöl baden auf der Insel Junonia. Du wirst auf den Primeln die Eidechse schlafen sehen, die alle Jahrhundert erwacht, wenn der Karfunkelstein vor ihrer Stirne zur Reife gelangt. Die Sterne bewegen sich fieberhaft wie Augen, die Wasserfälle singen wie Harfen, Trunkenheit strömt aus den Kelchen der Blumen; dein Geist wird sich in diesen Lüften weiten, in deinem Herzen wie in deinem Antlitz.

Damis. Meister! Es ist Zeit! Der Wind will sich erheben, die Schwalben erwachen, das Blatt der Myrte ist fortgeflogen!

Apollonius. Ja! Brechen wir auf!

Antonius. Nein! Ich bleibe!

Apollonius. Soll ich dich lehren, wo die Pflanze Balis wächst, welche die Toten erweckt?

Damis. Frage ihn lieber nach dem Androdamas, welcher das Silber, das Eisen und das Erz anzieht!

Antonius. Oh, wie ich leide.

Damis. Du wirst die Stimme aller Wesen verstehen, das Brüllen, das Girren!

Apollonius. Ich lasse dich reiten auf den Einhornen, auf den Drachen, den Hippozentauren und auf den Delphinen.

Antonius weint. Oh, oh, oh!

Apollonius. Du sollst die Dämonen kennen lernen, welche die Höhlen bewohnen, solche, die in den Wäldern rufen, die die Gewässer bewegen, die Wolken treiben.

Damis. Schnalle deinen Gürtel fest, binde deine Sandalen!

Apollonius. Ich werde dir den Grund der göttlichen Formen erklären, warum Apollo aufrecht steht, Jupiter sitzt, warum die Venus in Korinth schwarz ist, in Athen viereckig, in Paphos kegelförmig!

Antonius, die Hände ringend. Wenn sie nur gingen, wenn sie nur gingen!

Apollonius. Ich werde vor deinen Augen den Schmuck der Götter herunterreißen, wir werden die Heiligtümer erbrechen, ich lasse dich die Pythia entehren.

Antonius. Zu Hilfe, Herr! Er stürzt sich auf das Kreuz.

Apollonius. Was ist dein Verlangen? Dein Traum? Die Zeit nur daran zu denken ...

Antonius. Jesus, Jesus, stehe mir bei!

Apollonius. Willst du, daß ich ihn erscheinen lasse, den Jesus?

Antonius. Was? Wie?

Apollonius. Er wird es sein, kein anderer! Er wird seine Krone von sich werfen und wir werden Angesicht zu Angesicht plaudern.

Damis leise. Sag', daß du es willst, sag', daß du es willst!

Antonius am Fuße des Kreuzes murmelt Gebete. Damis dreht sich um ihn mit Fuchsgebärden.

Sieh doch, guter Eremit, lieber heiliger Antonius! Reiner Mann! Erlauchter Mann! Mann, den man nicht genug preisen könnte! Erschreckt nicht! Das ist eine übertriebene Redeweise, die den Orientalen entnommen ist. Das hindert keineswegs ...

Apollonius. Laß ihn, Damis!

Er glaubt, wie ein Vieh an die Realität der Dinge. Die Angst vor den Göttern verhindert ihn sie zu begreifen, und er erniedrigt den seinigen zum Rang eines eifersüchtigen Königs.

Du, mein Sohn verlaß mich nicht.

Er nähert sich rückwärts weichend dem Rande des Abhangs, überschreitet ihn und bleibt in der Schwebe.

Über allen Formen, weiter als die Erde, jenseits der Himmel, thront die Welt der Ideen, ganz erfüllt von dem Wort! Mit einem Sprung setzen wir durch den anderen Raum; und du wirst erfassen in seiner Unendlichkeit: Das Ewige, das Absolute, das Seiende! –

Auf, gib mir die Hand, vorwärts!

Alle beide, Seite an Seite, erheben sich sanft in die Luft.

Antonius, das Kreuz umfangend, sieht sie aufsteigen.

Sie verschwinden.


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