Johann Gottlieb Fichte
Die Bestimmung des Menschen
Johann Gottlieb Fichte

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IV.

Mein gesetzmäßiger Wille, bloß als solcher, an und durch sich selbst, soll Folgen haben, sicher und ohne Ausnahme; jede pflichtmäßige Bestimmung meines Willens, ob aus ihr auch keine That erfolgte, soll wirken in einer mir unbegreiflichen andern Welt, und außer dieser pflichtmäßigen Willensbestimmung soll in ihr nichts wirken. – Was denke ich doch, indem ich dies denke, was setze ich voraus?

Offenbar ein Gesetz, eine schlechthin ohne Ausnahme geltende Regel, nach welcher der pflichtmäßige Wille Folgen haben muß; eben so, wie ich in der irdischen Welt, die mich umgiebt, ein Gesetz annehme, nach welchem diese Kugel, wenn sie durch meine Hand mit dieser bestimmten Kraft in dieser bestimmten Richtung angestoßen wird, nothwendig in einer solchen Richtung mit einem bestimmten Maße von Schnelligkeit sich fortbewegt, etwa eine andere Kugel mit diesem Maße von Kraft anstößt, welche nun selbst mit einer bestimmten Schnelligkeit sich fortbewegt, – und so weiter ins Unbestimmte. Wie ich hier schon in der bloßen Richtung und Bewegung meiner Hand alle auf sie folgenden Richtungen und Bewegungen erkenne und umfasse, mit derselben Sicherheit, als ob sie schon gegenwärtig vorhanden, und von mir wahrgenommen wären: eben so umfasse ich in meinem pflichtmäßigen Willen eine Reihe von nothwendigen und unausbleiblichen Folgen in der geistigen Welt, als ob sie schon gegenwärtig wären; nur daß ich sie nicht, wie die Folgen in der materiellen Welt bestimmen kann, – das heißt, daß ich lediglich weiß, daß, nicht aber wie sie sein werden; – und eben, indem ich dieses thue, denke ich ein Gesetz der geistigen Welt, in welcher mein reiner Wille eine der bewegenden Kräfte ist, gleichwie meine Hand eine der bewegenden Kräfte in der materiellen Welt ist. Jene Festigkeit meiner Zuversicht, und der Gedanke dieses Gesetzes einer geistigen Welt sind ganz Eins und eben dasselbe; nicht zwei Gedanken, deren einer durch den andern vermittelt würde, sondern ganz derselbe Gedanke; eben so, wie die Sicherheit, mit welcher ich auf eine gewisse Bewegung rechne, und der Gedanke eines mechanischen Naturgesetzes dasselbe sind. – Der Begriff: Gesetz, drückt überhaupt nichts anders aus, als das feste unerschütterliche Beruhen der Vernunft auf einem Satze, und die absolute Unmöglichkeit, das Gegentheil anzunehmen.

Ich nehme an ein solches Gesetz einer geistigen Welt, das nicht mein Wille giebt, noch der Wille irgend eines endlichen Wesens, noch der Wille aller endlichen Wesen zusammen genommen, sondern, unter dem mein Wille, und der Wille aller endlichen Wesen selbst steht. Weder ich, noch irgend ein endliches, und eben darum auf irgend eine Weise sinnliches Wesen vermag auch nur zu begreifen, wie ein bloßer reiner Wille Folgen haben, und wie diese Folgen beschaffen sein können, indem darin eben das Wesentliche ihrer Endlichkeit besteht, daß sie das zu begreifen nicht vermögen; – zwar den bloßen Willen als solchen rein in ihrer Gewalt haben, die Folgen desselben aber durch ihre Sinnlichkeit nothwendig als Zustände erblicken; – wie könnte denn also ich, oder irgend ein endliches Wesen dasjenige, was wir Alle schlechthin nicht denken noch begreifen können, sich als Zweckbegriff setzen, und es dadurch wirklich machen? – Ich kann nicht sagen, daß in der materiellen Welt meine Hand, oder irgend ein Körper der in dieser Welt mit begriffen, und durch das allgemeine Grundgesetz der Schwere bestimmt ist, das Naturgesetz der Bewegung gebe; dieser Körper steht selbst unter diesem Naturgesetze, und vermag einen andern Körper zu bewegen, lediglich diesem Gesetze gemäß, und in wiefern er zufolge desselben an der allgemeinen bewegenden Kraft in der Natur Theil hat. Eben so wenig giebt ein endlicher Wille der übersinnlichen Welt, die kein endlicher Geist umfaßt, das Gesetz; sondern alle endlichen Willen stehen unter dem Gesetze derselben, und können in dieser Welt etwas hervorbringen, nur in wiefern dieses Gesetz schon vorhanden ist, und sie selbst, nach dem Grundgesetze derselben für endliche Willen, durch Pflichtmäßigkeit unter die Bedingung desselben sich fügen, und in die Sphäre seiner Wirksamkeit eintreten; durch Pflichtmäßigkeit, sage ich, das einige Band, das sie an diese Welt bindet, der einige Nerv, der aus ihr zu ihnen herabgeht, und das einige Organ, durch welches sie in dieselbe zurückzuwirken vermögen. Wie die allgemeine Anziehungskraft alle Körper hält, und mit sich und dadurch untereinander vereinigt, und nur unter ihrer Voraussetzung Bewegung des Einzelnen möglich ist, so vereinigt und hält in sich, und ordnet unter sich jenes übersinnliche Gesetz alle endlichen Vernunftwesen. – – Mein Wille, und der Wille aller endlichen Wesen kann angesehen werden aus einem doppelten Gesichtspunkte: theils als bloßes Wollen, ein innerer Act auf sich selbst; und in so fern ist der Wille in sich selbst vollendet, und durch den bloßen Act geschlossen; theils als Etwas, ein Factum. Das letztere wird er zunächst für mich, in wiefern ich ihn als vollendet ansehe; aber er soll es auch werden außer mir; in der Sinnenwelt, bewegendes Princip etwa meiner Hand, aus deren Bewegung wieder andere Bewegungen erfolgen; in der übersinnlichen Welt, Princip einer Reihe von geistigen Folgen, von denen ich keinen Begriff habe. In der erstern Ansicht, als bloßer Act, steht er ganz in meiner Gewalt; daß er das letztere überhaupt wird, und es als erstes Princip wird, hängt nicht von mir ab, sondern von einem Gesetze, unter welchem ich selbst stehe, dem Naturgesetze in der Sinnenwelt, einem übersinnlichen Gesetze in der übersinnlichen Welt.

Was ist denn nun dies für ein Gesetz der geistigen Welt, das ich denke? – Ich will mir nämlich diesen Begriff, der nun da steht, fest und gebildet, und welchem ich nichts hinzuthun kann oder darf, nur erklären, und aus einander setzen. – Offenbar kein solches, wie in meiner, oder in irgend einer möglichen Sinnenwelt, dem etwas Anderes, als ein bloßer Wille, dem ein bestehendes, ruhendes Sein, aus welchem sich etwa durch den Anstoß eines Willens eine innere Kraft loswickelte, vorausgesetzt würde: Denn – dies ist ja der Inhalt meines Glaubens – mein Wille soll schlechthin durch sich selbst, ohne alles seinen Ausdruck schwächende Werkzeug, in einer ihm völlig gleichartigen Sphäre, als Vernunft auf Vernunft, als Geistiges auf Geistiges, wirken; – in einer Sphäre, der er jedoch das Gesetz des Lebens, der Thätigkeit, des Fortlaufens nicht gebe, sondern, die es in sich selbst habe; also auf selbstthätige Vernunft. Aber selbstthätige Vernunft ist Wille. Das Gesetz der übersinnlichen Welt wäre sonach ein Wille.

Ein Wille, der rein, und bloß als Wille wirkt, durch sich selbst, schlechthin ohne alles Werkzeug, oder sinnlichen Stoff seiner Einwirkung, der absolut durch sich selbst zugleich That ist, und Product, dessen Wollen Geschehen, dessen Gebieten Hinstellen ist; in welchem sonach die Forderung der Vernunft, absolut frei, und selbstthätig zu sein, dargestellt ist. Ein Wille, der in sich selbst Gesetz ist, der nicht nach Launen, und Einfällen, nach vorherigem Ueberlegen, Wanken und Schwanken sich bestimmt, sondern der ewig und unveränderlich bestimmt ist, und auf den man sicher und unfehlbar rechnen kann, so wie der Sterbliche sicher auf die Gesetze seiner Welt rechnet. Ein Wille, in welchem der gesetzmäßige Wille endlicher Wesen unausbleibliche Folgen hat; aber auch nur dieser ihr Wille; indem er für alles Andere unbeweglich, und alles Andere für ihn so gut als gar nicht vorhanden ist.

Jener erhabene Wille geht sonach nicht abgesondert von der übrigen Vernunftwelt seinen Weg für sich. Es ist zwischen ihm und allen endlichen vernünftigen Wesen ein geistiges Band, und er selbst ist dieses geistige Band der Vernunftwelt. – Ich will rein und entschieden meine Pflicht, und Er will sodann, daß es mir, in der geistigen Welt wenigstens, gelinge. Jeder gesetzmäßige Willensentschluß des Endlichen gehet ein in ihn, und – bewegt, und bestimmt ihn, nach unsrer Weise zu reden, – nicht zufolge eines augenblicklichen Wohlgefallens, sondern zufolge des ewigen Gesetzes seines Wesens. – Mit überraschender Klarheit tritt er jetzt vor meine Seele, der Gedanke, der mir bisher noch mit Dunkelheit umringt war, der Gedanke: daß mein Wille, bloß als solcher, und durch sich selbst Folgen habe. Er hat Folgen, indem er durch einen andern ihm verwandten Willen, der selbst That, und das einige Lebensprincip der geistigen Welt ist, unfehlbar und unmittelbar vernommen wird; in ihm hat er seine erste Folge, und erst durch ihn auf die übrige Geisterwelt, welche überall nichts ist, als ein Product jenes unendlichen Willens.

So fließe Ich, – der Sterbliche muß sich der Worte aus seiner Sprache bedienen – so fließe Ich ein auf jenen Willen; und die Stimme des Gewissens in meinem Innern, die in jeder Lage meines Lebens mich unterrichtet, was ich in ihr zu thun habe, ist es, durch welche Er hinwiederum auf mich einfließt. Jene Stimme ist das – nur durch meine Umgebung versinnlichte, und durch mein Vernehmen in meine Sprache übersetzte Orakel aus der ewigen Welt, das mir verkündiget, wie ich an meinem Theile in die Ordnung der geistigen Welt, oder in den unendlichen Willen, der ja selbst die Ordnung dieser geistigen Welt ist, mich zu fügen habe. Ich überschaue und durchschaue jene geistige Ordnung nicht, und ich bedarf dessen nicht; ich bin nur ein Glied in ihrer Kette, und kann über das Ganze eben so wenig urtheilen, als ein einzelner Ton im Gesange über die Harmonie des Ganzen urtheilen könnte. Aber was ich selbst sein solle in dieser Harmonie der Geister, muß ich wissen, denn nur ich selbst kann mich dazu machen, und es wird mir unmittelbar offenbart durch eine Stimme, die aus jener Welt zu mir herüber tönt. So stehe ich mit dem Einen, das da ist, in Verbindung, und nehme Theil an seinem Sein. Es ist nichts wahrhaft Reelles, Dauerndes, Unvergängliches an mir, als diese beiden Stücke; die Stimme meines Gewissens und mein freier Gehorsam. Durch die erste neigt die geistige Welt sich zu mir herab, und umfaßt mich, als eins ihrer Glieder; durch den zweiten erhebe ich mich selbst in diese Welt, ergreife sie und wirke in ihr. Jener unendliche Wille aber ist der Vermittler zwischen ihr und mir; denn er selbst ist der Urquell von ihr und von mir. – Dies ist das einige Wahre und Unvergängliche, nach welchem hin meine Seele aus ihrer innersten Tiefe sich bewegt; alles Andere ist bloße Erscheinung, und schwindet, und kehrt in einem neuen Scheine zurück.


Dieser Wille verbindet mich mit sich selbst; derselbe verbindet mich mit allen endlichen Wesen meines Gleichen, und ist der allgemeine Vermittler zwischen uns Allen. Das ist das große Geheimniß der unsichtbaren Welt, und ihr Grundgesetz, inwiefern sie Welt oder System von mehreren einzelnen Willen ist: jene Vereinigung, und unmittelbare Wechselwirkung mehrerer selbstständiger und unabhängiger Willen mit einander; ein Geheimniß, das schon im gegenwärtigen Leben klar vor Aller Augen liegt, ohne daß es eben Jemand bemerke, oder es seiner Verwunderung würdige. – Die Stimme des Gewissens, die Jedem seine besondere Pflicht auflegt, ist der Strahl, an welchem wir aus dem Unendlichen ausgehen, und als einzelne, und besondere Wesen hingestellt werden; sie zieht die Gränzen unsrer Persönlichkeit; sie also ist unser wahrer Urbestandtheil, der Grund und der Stoff alles Lebens, welches wir leben. Die absolute Freiheit des Willens, die wir gleichfalls aus dem Unendlichen mit herabnehmen in die Welt der Zeit, ist das Princip dieses unsers Lebens. – Ich handle. Die sinnliche Anschauung, durch welche allein ich zu einer persönlichen Intelligenz werde, vorausgesetzt, – läßt sich sehr wohl begreifen, wie ich von diesem meinem Handeln nothwendig wissen müsse; ich weiß es, weil ich selbst es bin, der da handelt; – es läßt sich begreifen, wie vermittelst dieser sinnlichen Anschauung mein geistiges Handeln mir erscheine als That in einer Sinnenwelt, und wie umgekehrt, durch dieselbe Versinnlichung, das an sich rein geistige Pflichtgebot mir erscheine, als Gebot einer solchen That; – es läßt sich begreifen, wie eine vorliegende Welt, als Bedingung dieser That, und zum Theil, als Folge und Product derselben, mir erscheine. Ich bleibe hierbei immer nur in mir selbst, und auf meinem eignen Gebiete; alles, was für mich da ist, entwickelt sich rein, und lediglich aus mir selbst; ich schaue überall nur mich selbst an, und kein fremdes wahres Sein außer mir. – – Aber in dieser meiner Welt nehme ich zugleich an: Wirkungen anderer Wesen, die von mir unabhängig und selbstständig sein sollen, eben so, wie ich selbst es bin. Wie diese Wesen für sich selbst von den Wirkungen, die aus ihnen selbst hervorgehen, wissen können, läßt sich begreifen; sie wissen davon auf dieselbe Weise, wie ich von den meinigen weiß. Aber wie ich davon wissen könne, ist schlechthin unbegreiflich, eben so, wie es unbegreiflich ist, wie sie von meiner Existenz und von meinen Aeußerungen wissen können, welches ich ihnen ja doch anmuthe. Wie fallen sie in meine Welt, und ich in die ihrige? – da ja das Princip, nach welchem das Bewußtsein unsres Selbst, und unsrer Wirkungen, und der sinnlichen Bedingungen derselben sich aus uns entwickelt – daß nämlich jede Intelligenz unstreitig wissen müsse, was sie thue – da dieses Princip hier schlechterdings nicht anwendbar ist? Wie haben freie Geister Kunde von freien Geistern? – nachdem wir wissen, daß freie Geister das einige Reelle sind, und an eine selbstständige Sinnenwelt, durch welche sie auf einander einwirkten, gar nicht mehr zu denken ist. Oder willst du mir doch sagen: ich nehme die vernünftigen Wesen meines Gleichen wahr durch die Veränderungen, die sie in der Sinnenwelt hervorbringen; so frage ich dich hinwiederum, wie du denn diese Veränderungen selbst wahrzunehmen vermagst? Ich begreife sehr wohl, wie du Veränderungen wahrnimmst, die durch den bloßen Naturmechanismus bewirkt werden; denn das Gesetz dieses Mechanismus ist nichts Anderes, als dein eignes Denkgesetz, nach welchem du die mit einem Male gesetzte Welt dir weiter entwickelst. Aber die Veränderungen, von denen wir hier reden, sollen ja nicht durch den Naturmechanismus, sondern durch einen über alle Natur erhabenen freien Willen bewirkt sein, und lediglich, in wiefern du sie dafür ansiehst, schließest du von ihnen aus auf freie Wesen deines Gleichen. Welches wäre denn nun das Gesetz in dir, nach dem du die Bestimmungen anderer von dir absolut unabhängiger Willen dir entwickeln könntest? – Kurz, diese gegenseitige Erkenntniß und Wechselwirkung freier Wesen schon in dieser Welt, ist nach Natur- und Denkgesetzen völlig unbegreiflich, und läßt sich erklären lediglich durch das Eine, in dem sie zusammenhängen, nach dem sie für sich getrennt sind, durch den unendlichen Willen, der alle in seiner Sphäre hält und trägt. Nicht unmittelbar von dir zu mir, und von mir zu dir strömt die Erkenntniß, die wir von einander haben; wir für uns sind durch eine unübersteigliche Grenzscheidung abgesondert. Nur durch unsre gemeinschaftliche geistige Quelle wissen wir von einander; nur in ihr erkennen wir einander, und wirken wir auf einander. – Hier achte das Bild der Freiheit auf der Erde, hier ein Werk, das derselben Gepräge trägt: ruft innerlich die Stimme jenes Willens mir zu, die mit mir redet, nur in wiefern sie mir Pflichten auflegt; und dies allein ist das Princip, durch welches hindurch ich dich und dein Werk anerkenne, indem das Gewissen mir gebietet, dasselbe zu achten.

Dann, woher denn unsre Gefühle, unsre sinnliche Anschauung, unsre discursiven Denkgesetze, – auf welches Alles sich die Sinnenwelt gründet, die wir erblicken, und in der wir auf einander einzufließen glauben? In Absicht der beiden letztern, der Anschauung und der Denkgesetze, antworten: es seien dies die Gesetze der Vernunft an und für sich, – hieße keine befriedigende Antwort geben. Für uns freilich, die wir auf das Gebiet derselben gebannt sind, ist es sogar unmöglich, andere zu denken, oder eine Vernunft, welche unter andern steht. Aber das eigentliche Gesetz der Vernunft an sich, ist nur das praktische Gesetz, das Gesetz der übersinnlichen Welt, oder jener erhabene Wille. – Und wenn man dieses einen Augenblick unerörtert lassen wollte, woher denn unser Aller Übereinstimmung über Gefühle, die doch etwas Positives, Unmittelbares, Unerklärbares sind? Von dieser Übereinstimmung über Gefühl, Anschauung, und Denkgesetze aber hängt es ab, daß wir Alle dieselbe Sinnenwelt erblicken.

Es ist dies eine übereinstimmende unbegreifliche Beschränkung der endlichen Vernunftwesen unsrer Gattung, und eben dadurch, daß diese übereinstimmend beschränkt sind, werden sie zu Einer Gattung, – antwortet die Philosophie des bloßen reinen Wissens, und muß dabei, als bei ihrem Höchsten stehen bleiben. Aber, was könnte die Vernunft beschränken, außer, was selbst Vernunft ist; – und alle endliche Vernunft beschränken, außer der unendlichen? Diese Übereinstimmung unser Aller über die zum Grunde zu legende, gleichsam vorausgegebene Sinnenwelt, als Sphäre unsrer Pflicht, welche, die Sache genau angesehen, eben so unbegreiflich ist, als unsre Übereinstimmung über die Producte unsrer gegenseitigen Freiheit, – diese Übereinstimmung ist Resultat des Einen, ewigen unendlichen Willens. Unser Glaube an sie, den ich oben betrachtete, als Glauben an unsre Pflicht, ist eigentlich Glauben an Ihn, an Seine Vernunft, und an Seine Treue. – Was ist denn nun doch das eigentlich, und rein Wahre, das wir in der Sinnenwelt annehmen, und an welches wir glauben? Nichts Anderes, als daß aus unsrer treuen, und unbefangenen Vollbringung der Pflicht in dieser Welt ein unsre Freiheit, und Sittlichkeit förderndes Leben in alle Ewigkeit sich entwickeln werde. Findet dies statt, dann hat unsre Welt Wahrheit, und die einzige für endliche Wesen mögliche; es muß stattfinden, denn diese Welt ist Resultat des ewigen Willens in uns; aber dieser Wille kann zufolge der Gesetze seines Wesens keinen andern Endzweck mit Endlichen haben, als den angegebnen.

Jener ewige Wille ist also allerdings Weltschöpfer, so wie er es allein sein kann, und wie es allein einer Schöpfung bedarf; in der endlichen Vernunft. Diejenigen, welche ihn aus einer ewigen trägen Materie eine Welt bauen lassen, die dann auch nur träge und leblos sein könnte, wie durch menschliche Hände verfertigte Geräthe – und kein ewiger Fortgang einer Entwickelung aus sich selbst, oder die es sich anmuthen, das Hervorgehen eines materiellen Etwas aus dem Nichts zu denken, kennen weder die Welt, noch Ihn. Es ist überall Nichts, wenn nur die Materie Etwas sein soll, und es bleibt überall und in alle Ewigkeit Nichts. Nur die Vernunft ist; die unendliche an sich, die endliche in ihr, und durch sie. Nur in unsern Gemüthern erschafft er eine Welt; wenigstens das, woraus wir sie entwickeln, und das, wodurch wir sie entwickeln: – den Ruf zur Pflicht; und übereinstimmende Gefühle, Anschauung und Denkgesetze. Es ist sein Licht, durch welches wir das Licht, und alles was in diesem Lichte uns erscheint, erblicken. In unsern Gemüthern bildet er fort diese Welt, und greift ein in dieselbe, indem er in unsre Gemüther durch den Ruf der Pflicht eingreift, sobald ein anderes freies Wesen etwas in derselben verändert. In unsern Gemüthern erhält er diese Welt, und dadurch unsre endliche Existenz, deren allein wir fähig sind; indem er fortdauernd aus unsern Zuständen andere Zustände entstehen läßt. Nachdem er seinem höhern Zwecke gemäß uns sattsam für unsre nächste Bestimmung geprüft, und wir für dieselbe uns gebildet haben werden, wird er durch das, was wir Tod nennen, dieselbe für uns vernichten, und uns in eine neue, das Product unsers pflichtmäßigen Handelns in dieser, einführen. Alles unser Leben ist Sein Leben. Wir sind in seiner Hand, und bleiben in derselben, und Niemand kann uns daraus reißen. Wir sind ewig, weil Er es ist.

Erhabner lebendiger Wille, den kein Name nennt, und kein Begriff umfaßt, wohl darf ich mein Gemüth zu dir erheben; denn du und ich sind nicht getrennt. Deine Stimme ertönt in mir, die meinige tönt in dir wieder; und alle meine Gedanken, wenn sie nur wahr und gut sind, sind in dir gedacht. – In dir, dem Unbegreiflichen, werde ich mir selbst, und wird mir die Welt vollkommen begreiflich, alle Räthsel meines Daseins werden gelöst, und die vollendetste Harmonie entsteht in meinem Geiste.

Am besten fasset dich die kindliche, dir ergebene Einfalt. Du bist ihr der Herzenskündiger, der ihr Inneres durchschaut, der allgegenwärtige treue Zeuge ihrer Gesinnungen, der allein weiß, daß sie es redlich meint, und der allein sie kennt, ob sie auch von aller Welt mißkannt würde. Du bist ihr der Vater, der es immer gut mit ihr meint, und der alles zu ihrem Besten wenden wird. In deine gütigen Beschlüsse giebt sie sich ganz mit Leib und Seele. Thue mit mir, wie du willst, sagt sie, ich weiß, daß es gut sein wird, so gewiß Du es bist, der es thut. Der grübelnde Verstand, der nur von dir gehört, nie aber dich gesehen hat, will uns dein Wesen an sich kennen lehren, und stellt ein widersprechendes Mißgeschöpf hin, das er für dein Bild ausgiebt, lächerlich dem bloß Verständigen, verhaßt und abscheulich dem Weisen und Guten.

Ich verhülle vor dir mein Angesicht, und lege die Hand auf den Mund. Wie du für dich selbst bist, und dir selbst erscheinest, kann ich nie einsehen, so gewiß ich nie du selbst werden kann. Nach tausendmal tausend durchlebten Geisterleben werde ich dich noch eben so wenig begreifen als jetzt, in dieser Hütte von Erde. – Was ich begreife, wird durch mein bloßes Begreifen zum Endlichen; und dieses läßt auch durch unendliche Steigerung, und Erhöhung sich nie ins Unendliche umwandeln. Du bist vom Endlichen nicht dem Grade, sondern der Art nach verschieden. Sie machen dich durch jene Steigerung nur zu einem größern Menschen, und immer zu einem größern; nie aber zum Gotte, zum Unendlichen, der keines Maaßes fähig ist. – Ich habe nur dieses discursiv fortschreitende Bewußtsein, und kann kein anderes mir denken. Wie dürfte ich dieses dir zuschreiben? In dem Begriffe der Persönlichkeit liegen Schranken. Wie könnte ich jenen auf dich übertragen, ohne diese?

Ich will nicht versuchen, was mir durch das Wesen der Endlichkeit versagt ist, und was mir zu nichts nützen würde; wie du an dir selbst bist, will ich nicht wissen. Aber deine Beziehungen und Verhältnisse zu mir, dem Endlichen, und zu allem Endlichen, liegen offen vor meinem Auge: werde ich, was ich sein soll! – und sie umgeben mich in hellerer Klarheit, als das Bewußtsein meines eignen Daseins. Du wirkest in mir die Erkenntniß von meiner Pflicht, von meiner Bestimmung in der Reihe der vernünftigen Wesen; wie, das weiß ich nicht, noch bedarf ich es zu wissen. Du weißt und erkennst, was ich denke und will; wie du wissen kannst; – durch welchen Act du dieses Bewußtsein zu Stande bringst, darüber verstehe ich nichts; ja ich weiß sogar sehr wohl, daß der Begriff eines Acts, und eines besondern Acts des Bewußtseins nur von mir gilt, nicht aber von dir, dem Unendlichen. Du willst, denn du willst, daß mein freier Gehorsam Folgen habe in alle Ewigkeit; den Act deines Willens begreife ich nicht, und weiß nur so viel, daß er nicht ähnlich ist dem meinigen. Du thust, und dein Wille selbst ist That; aber deine Wirkungsweise ist der, die ich allein zu denken vermag, geradezu entgegengesetzt. Du lebest und bist, denn du weißt, willst, und wirkest, allgegenwärtig der endlichen Vernunft; aber du bist nicht, wie ich alle Ewigkeiten hindurch allein ein Sein werde denken können.


In der Anschauung dieser deiner Beziehungen zu mir dem Endlichen will ich ruhig und selig sein. Ich weiß unmittelbar nur, was ich soll. Dieses will ich unbefangen, freudig, und ohne Klügelei thun; denn es ist deine Stimme, die es mir befiehlt, die Verordnung des geistigen Weltplans an mich; und die Kraft, mit der ich es ausrichte, ist deine Kraft. Was durch jene mir geboten, was durch diese ausgerichtet wird, ist in jenem Plane gewiß und wahrhaftig gut. Ich bin ruhig bei allen Ereignissen in der Welt, – denn sie sind in deiner Welt. Nichts kann mich irren, oder befremden, oder zaghaft machen, so gewiß du lebst, und ich dein Leben schaue. Denn in dir, und durch dich hindurch, o Unendlicher, erblicke ich selbst meine gegenwärtige Welt in einem andern Lichte. Natur, und Naturerfolg in den Schicksalen und Wirkungen freier Wesen, wird dir gegenüber zu einem leeren, nichts bedeutenden Worte. Es ist keine Natur mehr; du, nur du bist. – Es erscheint mir nicht mehr, als Endzweck der gegenwärtigen Welt, daß nur jener Zustand des allgemeinen Friedens unter den Menschen und ihrer unbedingten Herrschaft über den Naturmechanismus hervorgebracht werde, bloß damit er sei, sondern, daß er durch die Menschen selbst hervorgebracht werde; und da er auf alle berechnet ist, daß er durch alle, als Eine große, freie, moralische Gemeine hervorgebracht werde. Nichts Neues und Besseres für einen Einzelnen, außer durch seinen pflichtmäßigen Willen; nichts Neues und Besseres für die Gemeine, außer durch den gemeinschaftlichen pflichtmäßigen Willen: ist Grundgesetz des großen sittlichen Reichs, wovon das gegenwärtige Leben ein Theil ist. Darum ist der gute Wille des Einzelnen für diese Welt so oft verloren, weil er nur noch der des Einzelnen ist, und der Wille der Mehrheit mit ihm nicht zusammenstimmt; und seine Folgen fallen bloß in eine zukünftige Welt. Darum scheinen sogar die Leidenschaften und Laster der Menschen zur Erreichung des Bessern mitzuwirken; – nicht an und für sich; in diesem Sinne kann aus dem Bösen nie Gutes hervorgehen, sondern, indem sie den entgegengesetzten Lastern das Gleichgewicht halten, und endlich durch ihr Uebermaaß diese, und mit ihnen zugleich sich selbst vernichten. Die Unterdrückung hätte nie die Oberhand gewinnen können, wenn nicht Feigheit, Niederträchtigkeit, und gegenseitiges Mißtrauen der Menschen unter einander ihr den Weg geebnet hätten. Sie wird so lange steigen, bis sie die Feigheit und den Sklavensinn ausrottet, und Verzweiflung den verlornen Muth wieder weckt. Dann werden die beiden entgegengesetzten Laster einander vernichtet haben, und das Edelste in allen menschlichen Verhältnissen, dauernde Freiheit, wird aus ihnen hervorgegangen sein.

Die Handlungen freier Wesen haben der Strenge nach nur auf andere freie Wesen Folgen; denn in diesen und für diese allein ist eine Welt; und dasjenige, worüber alle übereinstimmen, ist eben die Welt. Aber sie haben Folgen in ihnen nur durch den unendlichen, alle Einzelne vermittelnden Willen. Aber ein Ruf, eine Bekanntmachung dieses Willens an uns ist stets eine Aufforderung zu einer bestimmten Pflicht. Also – sogar das in der Welt, was wir böse nennen, die Folge des Mißbrauchs der Freiheit, ist nur durch ihn: und sie ist für Alle, für die sie ist, nur, indem ihnen dadurch Pflichten aufgelegt werden. Wäre es nicht in dem ewigen Plane unsrer sittlichen Bildung, und der Bildung unsers ganzen Geschlechts, daß gerade diese Pflichten uns aufgelegt werden sollten, so würden sie uns nicht aufgelegt, und dasjenige, wodurch sie uns aufgelegt werden, und was wir Böse nennen, wäre gar nicht erfolgt. Insofern ist Alles gut, was da geschieht, und absolut zweckmäßig. Es ist nur Eine Welt möglich, eine durchaus gute. Alles, was in dieser Welt sich ereignet, dient zur Verbesserung und Bildung der Menschen, und vermittelst dieser zur Herbeiführung ihres irdischen Ziels. Dieser höhere Weltplan ist es, was wir Natur nennen, wenn wir sagen: die Natur führet den Menschen durch Mangel zum Fleiße, durch die Uebel der allgemeinen Unordnung zu einer rechtlichen Verfassung, durch die Drangsale ihrer unaufhörlichen Kriege zum endlichen ewigen Frieden. Dein Wille, Unendlicher, deine Vorsehung allein ist diese höhere Natur. – Am besten fasset auch dieses die kunstlose Einfalt, wenn sie dieses Leben für eine Prüfungs- und Bildungsanstalt, für eine Schule zur Ewigkeit anerkennt; wenn sie in allen Schicksalen, von denen sie betroffen wird, den geringfügigsten, wie den wichtigsten, deine Fügungen erblickt, die sie zum Guten führen sollen; wenn sie fest glaubt, daß denen, die ihre Pflicht lieben, und dich kennen, alle Dinge zum Besten dienen müssen.


O, wohl habe ich die vergangenen Tage meines Lebens mich im Finstern befunden; wohl habe ich Irrthümer auf Irrthümer aufgebaut, und mich für weise gehalten. Jetzt erst verstehe ich ganz die Lehre, welche mich so sehr befremdete, aus deinem Munde, wunderbarer Geist, ohnerachtet mein Verstand ihr nichts entgegen zu setzen hatte; denn erst jetzt übersehe ich sie in ihrem ganzen Umfange, in ihrem tiefsten Grunde, und nach allen ihren Folgen.

Der Mensch ist nicht Erzeugniß der Sinnenwelt, und der Endzweck seines Daseins kann in derselben nicht erreicht werden. Seine Bestimmung geht über Zeit, und Raum, und alles Sinnliche hinaus. Was er ist, und wozu er sich machen soll, davon muß er wissen; wie seine Bestimmung erhaben ist, so muß auch sein Gedanke schlechthin über alle Schranken der Sinnlichkeit sich erheben können. Er muß es sollen; wo sein Sein einheimisch ist, da ist es nothwendig auch sein Gedanke; und die wahrhaft menschlichste, ihm allein anständige Ansicht, die, wodurch seine ganze Denkkraft dargestellt wird, ist diejenige, wodurch er sich über jene Schranken erhebt, und wodurch alles Sinnliche sich ihm rein in Nichts verwandelt, in einem bloßen Widerschein des allein bestehenden Unsinnlichen in sterbliche Augen.

Viele sind ohne künstliches Denken, lediglich durch ihr großes Herz, und durch ihren rein sittlichen Instinkt zu dieser Ansicht erhoben worden, weil sie überhaupt vorzüglich nur mit dem Herzen, und in der Gesinnung lebten. Sie verläugneten durch ihr Verfahren die Wirksamkeit und Realität der Sinnenwelt, und ließen in Bestimmung ihrer Entschließungen und Maßregeln für Nichts gelten, wovon sie sich freilich durch Denken nicht deutlich gemacht hätten, daß es selbst für die Denkkraft Nichts sei. Diejenigen, die da sagen dürften: Unser Bürgerrecht ist im Himmel, wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern die zukünftige suchen wir; diejenigen, deren Hauptgrundsatz es war, der Welt abzusterben, von Neuem geboren zu werden, und schon hier in ein anderes Leben einzugehen, – setzten ohne Zweifel in alles Sinnliche nicht den mindesten Werth, und waren, um des Ausdruckes der Schule mich zu bedienen, praktisch transcendentale Idealisten.

Andere, welche außer der uns Allen angebornen sinnlichen Handlungsweise auch noch durch ihr Denken in der Sinnlichkeit sich bestärkt, und in sie verwickelt haben, und mit ihr gleichsam zusammengewachsen sind, können nur durch fortgeführtes, und bis zu Ende gebrachtes Denken sich dauerhaft, und vollkommen über sie erheben; außerdem würden sie selbst bei der reinsten sittlichen Gesinnung immer wieder durch ihren Verstand herabgezogen werden, und ihr ganzes Wesen würde ein stets fortgesetzter unauflöslicher Widerspruch bleiben. Für diese wird jene Philosophie, die ich erst jetzt durchaus verstehe, die erste Kraft, welche Psychen die Raupenhülle abstreife, und ihre Flügel entfalte, auf denen sie zunächst über sich selbst schwebt, und noch einen Blick auf die verlaßne Hülle wirft, um sodann in höhern Sphären zu leben und zu walten.


Gesegnet sei mir die Stunde, da ich zum Nachdenken über mich selbst und meine Bestimmung mich entschloß. Alle meine Fragen sind gelöst; ich weiß, was ich wissen kann, und ich bin ohne Sorge über das, was ich nicht wissen kann. Ich bin befriedigt; es ist vollkommne Übereinstimmung und Klarheit in meinem Geiste, und eine neue herrlichere Existenz desselben beginnt.

Meine ganze vollständige Bestimmung begreife ich nicht; was ich werden soll, und was ich sein werde, übersteigt alles mein Denken. Ein Theil dieser Bestimmung ist mir selbst verborgen – nur einem, dem Vater der Geister, sichtbar, dem sie anvertraut ist. Ich weiß nur, daß sie mir sicher, und daß sie ewig und herrlich ist, wie er selbst. Denjenigen Theil derselben aber, der mir selbst anvertrauet ist, kenne ich, kenne ich durchaus, und er ist die Wurzel aller meiner übrigen Erkenntnisse. Ich weiß in jedem Augenblicke meines Lebens sicher, was ich in ihm thun soll: und dies ist meine ganze Bestimmung, in wiefern dieselbe von mir abhängt. Hiervon, da mein Wissen nicht darüber hinausreicht, soll ich nicht abgehen; ich soll darüber hinaus nichts wissen wollen; ich soll in diesem einigen Mittelpunkte feststehen, und darin einwurzeln. Auf ihn soll alles mein Dichten und Trachten, und mein ganzes Vermögen gerichtet sein, er soll mein ganzes Dasein in sich verweben.

Ich soll meinen Verstand ausbilden, und mir Kenntnisse erwerben, so viel ich irgend vermag; aber in dem einigen Vorsatze, um dadurch der Pflicht in mir einen größern Umfang, und eine weitere Wirkungssphäre zu bereiten; ich soll Vieles haben wollen, damit viel von mir gefordert werden könne. Ich soll meine Kraft und Geschicklichkeit in jeder Rücksicht üben, aber lediglich, um an mir der Pflicht ein tauglicheres und geschickteres Werkzeug zu verschaffen; denn so lange, bis das Gebot aus meiner ganzen Person heraus in die äußere Welt eintritt, bin ich meinem Gewissen dafür verantwortlich. Ich soll in mir die Menschheit in ihrer ganzen Fülle darstellen, so weit, als ich es vermag, aber nicht um der Menschheit selbst willen; diese ist an sich nicht von dem geringsten Werthe, sondern, um hinwiederum in der Menschheit die Tugend, welche allein Werth an sich hat, in ihrer höchsten Vollkommenheit darzustellen. Ich soll mit Leib und Seele, und allem, was an und in mir ist, mich nur betrachten, als Mittel für die Pflicht und soll nur dafür sorgen, daß ich diese vollbringe, und daß ich sie vollbringen könne, so viel es an mir liegt. Sobald aber das Gebot, – wenn es nur wirklich das Gebot ist, dem ich gehorcht habe, und wenn ich nur wirklich der einigen reinen Absicht, ihm zu gehorchen mir bewußt bin – sobald das Gebot aus meiner Person heraus in die Welt eintritt, habe ich nicht mehr zu sorgen, denn es tritt von da an ein in die Hand des ewigen Willens. Von nun an weiter zu sorgen, wäre vergebliche Qual, die ich mir selbst zufügte; wäre Unglaube und Mißtrauen gegen jenen Willen. Es soll mir nie einfallen, statt Seiner die Welt regieren zu wollen, die Stimme meiner beschränkten Klugheit statt seiner Stimme in meinem Gewissen zu hören, und den einseitigen Plan eines kurzsichtigen Einzelnen an die Stelle seines Plans, der über das Ganze sich erstreckt, zu setzen. Ich weiß, daß ich dadurch nothwendig aus seiner Ordnung, und aus der Ordnung aller geistigen Wesen herausfallen würde.

So wie ich diese höhere Fügung durch Ruhe und Ergebung ehre, eben so soll ich die Freiheit andrer Wesen außer mir in meinem Handeln ehren. Es ist nicht davon die Frage: was sie nach meinen Begriffen thun sollen, sondern davon, was ich thun darf, um sie zu bewegen, daß sie es thun. Aber ich kann unmittelbar nur auf ihre Ueberzeugung und auf ihren Willen wirken wollen, so weit die Ordnung der Gesellschaft, und ihre eigne Einwilligung es verstattet; keinesweges aber ohne ihre Ueberzeugung und ohne ihren Willen auf ihre Kräfte und Verhältnisse. Sie thun auf ihre eigne Verantwortung, was sie thun, wo ich es nicht ändern kann, oder nicht darf, und der ewige Wille wird Alles zum Besten lenken. Mir ist mehr daran gelegen, daß ich ihre Freiheit ehre, als, daß ich verhindere oder aufhebe, was mir beim Gebrauche derselben böse scheint.


Ich erhebe mich in diesen Standpunkt, und bin ein neues Geschöpf, und mein ganzes Verhältniß zur vorhandenen Welt ist verwandelt. Die Fäden, durch welche bisher mein Gemüth an diese Welt angeknüpft war, und durch deren geheimen Zug es allen Bewegungen in ihr folgte, sind auf ewig zerschnitten, und frei und selbst meine eigne Welt, ruhig, und unbewegt da. Nicht mehr durch das Herz, nur durch das Auge ergreife ich die Gegenstände, und hänge zusammen mit ihnen, und dieses Auge selbst verklärt sich in der Freiheit, und blickt hindurch durch den Irrthum und die Mißgestalt bis zum Wahren und Schönen, so wie auf der unbewegten Wasserfläche die Formen rein und in einem mildern Lichte sich abspiegeln.

Mein Geist ist auf ewig verschlossen für die Verlegenheit und Verwirrung, für die Ungewißheit, den Zweifel, und die Aengstlichkeit; mein Herz für die Trauer, für die Reue, für die Begier. Nur Eins ist, das ich wissen mag: was ich thun soll, und dies weiß ich stets unfehlbar. Ueber alles Andere weiß ich nichts, und weiß es, daß ich darüber nichts weiß, und wurzle fest ein in dieser meiner Unwissenheit, und enthalte mich, zu meinen, zu muthmaßen, mit mir selbst mich zu entzweien über das, wovon ich nichts weiß. Kein Ereigniß in der Welt kann durch Freude, keins durch Betrübniß mich in Bewegung setzen; kalt und ungerührt sehe ich auf alle herab, denn ich weiß, daß ich kein einziges zu deuten, noch seinen Zusammenhang mit dem, woran allein mir gelegen ist, einzusehen vermag. Alles, was geschieht, gehört in den Plan der ewigen Welt, und ist gut in ihm, soviel weiß ich; was in diesem Plane reiner Gewinn, oder was nur Mittel sei, um ein vorhandenes Uebel hinwegzuschaffen, was daher mich mehr oder weniger erfreuen solle, weiß ich nicht. In seiner Welt gedeihet Alles; dieses genügt mir, und in diesem Glauben steh ich fest, wie ein Fels; was aber in seiner Welt nur Keim, was Blüte, was die Frucht selbst ist, weiß ich nicht.

Das Einige, woran mir gelegen sein kann, ist der Fortgang der Vernunft und Sittlichkeit im Reiche der vernünftigen Wesen; und zwar lediglich um sein selbst, um des Fortgangs willen. Ob ich das Werkzeug dazu bin, oder ein Anderer; ob es Meine That ist, die da gelingt, oder gehindert wird, oder, ob die eines Andern, gilt mir ganz gleich. Ich betrachte mich überall nur als eins der Werkzeuge des Vernunftzwecks, und achte und liebe mich, und nehme Antheil an mir nur als solches, und wünsche das Gelingen meiner That nur, in wiefern sie auf diesen Zweck geht. Ich betrachte daher alle Weltbegebenheiten ganz auf die gleiche Weise nur in Rücksicht auf diesen einigen Zweck; ob sie nun von mir ausgehen, oder von Andern, unmittelbar auf mich sich beziehen, oder auf Andere. Für Verdruß über persönliche Beleidigungen und Kränkungen, für Erhebung auf persönliches Verdienst ist meine Brust verschlossen; denn meine gesammte Persönlichkeit ist mir schon längst in der Anschauung des Ziels verschwunden und untergegangen.

Mag es immer scheinen, als ob nun die Wahrheit völlig zum Schweigen gebracht, und die Tugend ausgetilgt werden sollte, als ob die Unvernunft und das Laster diesmal alle Kräfte aufgeboten hätten, und sich schlechthin nicht davon würden abbringen lassen, für Vernunft und wahre Weisheit zu gelten; mag es gerade, indem alle Guten hofften, daß es besser mit dem Menschengeschlechte werden sollte, so schlimm mit ihm werden, als nie; mag das wohl und glücklich angehobene Werk, worauf mit fröhlicher Hoffnung das Auge des Gutgesinnten ruhte, plötzlich und unversehens in das Schändlichste sich umwandeln: das soll mich eben so wenig aus der Fassung bringen, als ein andermal der Anschein, daß nun auf einmal die Erleuchtung wachse und gedeihe, daß Freiheit und Selbstständigkeit sich mächtig verbreiten, daß mildere Sitten, Friedlichkeit, Nachgiebigkeit, allgemeine Billigkeit unter den Menschen zunehmen, – mich träge und nachlässig und sicher machen soll, als ob nun Alles gelungen wäre. – So erscheint es mir; oder auch es ist so, es ist wirklich so, für mich; und ich weiß in beiden Fällen, wie überhaupt in allen möglichen Fällen, was ich nun weiter zu thun habe. Ueber das Uebrige bleibe ich in der vollkommensten Ruhe, denn ich weiß nichts über alles Uebrige. Jene mir so traurigen Ereignisse können in dem Plane des Ewigen das nächste Mittel sein für einen sehr guten Erfolg; jener Kampf des Bösen gegen das Gute kann der letzte bedeutende Kampf desselben sein sollen, und es kann ihm diesmal vergönnt sein, alle seine Kräfte zu versammeln, um sie zu verlieren, und in seiner ganzen Ohnmacht sich in das Licht zu stellen. Jene mir erfreulichen Erscheinungen können auf sehr verdächtigen Gründen beruhen; es kann vielleicht nur Vernünftelei und Abneigung gegen alle Ideen sein, was ich für Erleuchtung; Lüsternheit und Zügellosigkeit, was ich für Selbstständigkeit, Ermattung und Schlaffheit, was ich für Milde und Friedlichkeit gehalten habe. Ich weiß dies zwar nicht, aber so könnte es sein, und ich hätte dann eben so wenig Grund über das erstere mich zu betrüben, als des letztern mich zu erfreuen. Das aber weiß ich, daß ich in der Welt der höchsten Weisheit und Güte mich befinde, die ihren Plan ganz durchschaut, und ihn unfehlbar ausführt; und in dieser Ueberzeugung ruhe ich, und bin selig.

Daß es freie, zur Vernunft und Sittlichkeit bestimmte Wesen sind, welche gegen die Vernunft streiten, und ihre Kräfte zur Beförderung der Unvernunft und des Lasters aufbieten, kann mich eben so wenig aus meiner Fassung bringen, und der Gewalt des Unwillens und der Entrüstung mich hingeben. Die Verkehrtheit, daß sie das Gute haßten, weil es gut ist, und das Böse beförderten, aus reiner Liebe zum Bösen als solchem, welche allein meinen gerechten Zorn reizen könnte, – diese Verkehrtheit schreibe ich keinem zu, der menschliches Angesicht trägt; denn ich weiß, daß dieselbe nicht in der menschlichen Natur liegt. Ich weiß, daß es für Alle, die so handeln, inwiefern sie so handeln, überhaupt kein Böses oder Gutes, sondern lediglich ein Angenehmes oder Unangenehmes giebt; daß sie überhaupt nicht unter ihrer eignen Botmäßigkeit, sondern unter der Gewalt der Natur stehen, und daß nicht sie selbst es sind sondern diese Natur in ihnen, die das erstere mit aller ihrer Macht sucht, und das letztere sticht, ohne Rücksicht, ob es übrigens gut oder böse sei. Ich weiß, daß sie, nachdem sie nun einmal sind, was sie sind, nicht um das Mindeste anders handeln können, als sie handeln; und ich bin weit entfernt, gegen die Nothwendigkeit mich zu entrüsten, oder mit der blinden und willenlosen Natur zu zürnen. Allerdings liegt darin eben ihre Schuld und ihre Unwürde, daß sie sind, was sie sind, und daß sie, anstatt frei, und etwas für sich zu sein, sich dem Strome der blinden Natur hingeben.

Dies allein könnte es sein, das meinen Unwillen erregte; aber ich falle hier mitten in das absolut Unbegreifliche hinein. Ich kann ihnen ihren Mangel an Freiheit nicht zurechnen, ohne sie schon voraus zu setzen, als frei, um sich frei zu machen. Ich will mich über sie erzürnen, und finde keinen Gegenstand für meinen Zorn. Was sie wirklich sind, verdient diesen Zorn nicht; was ihn verdiente, sind sie nicht, und sie würden ihn abermals nicht verdienen, wenn sie es wären. Mein Unwille träfe ein offenbares Nichts. – Zwar muß ich sie stets behandeln, und mit ihnen reden, als ob sie wären, wovon ich sehr wohl weiß, daß sie es nicht sind; ich muß ihnen gegenüber stets voraussetzen, wodurch allein ich ihnen gegenüber zu stehen kommen, und mit ihnen zu handeln haben kann. Die Pflicht gebietet mir einen Begriff von ihnen für das Handeln, dessen Gegentheil mir durch die Betrachtung gegeben wird. Und so kann es allerdings geschehen, daß ich mit einer edlen Entrüstung, als ob sie frei wären, gegen sie mich kehre, um sie selbst mit dieser Entrüstung gegen sich selbst zu entzünden; eine Entrüstung, die ich selbst in meinem Innern vernünftiger Weise nie empfinden kann. Nur der handelnde Mensch der Gesellschaft in mir ist es, der der Unvernunft und dem Laster zürnt, nicht der auf sich selbst ruhende, und in sich selbst vollendete, betrachtende Mensch.

Körperliche Leiden, Schmerz und Krankheit, wenn sie mich treffen sollten, werde ich nicht vermeiden können zu fühlen, denn sie sind Ereignisse meiner Natur, und ich bin und bleibe hienieden Natur; aber sie sollen mich nicht betrüben. Sie treffen auch nur die Natur, mit der ich auf eine wunderbare Weise zusammenhänge, nicht mich selbst, das über alle Natur erhabene Wesen. Das sichere Ende alles Schmerzes, und aller Empfänglichkeit für den Schmerz ist der Tod; und unter Allem, was der natürliche Mensch für ein Uebel zu halten pflegt, ist es mir dieser am wenigsten. Ich werde überhaupt nicht für mich sterben, sondern nur für Andere – für die Zurückbleibenden, aus deren Verbindung ich gerissen werde; für mich selbst ist die Todesstunde Stunde der Geburt zu einem neuen herrlichern Leben.

Nachdem so mein Herz aller Begier nach dem Irdischen verschlossen ist, nachdem ich in der That für das Vergängliche gar kein Herz mehr habe, erscheint meinem Auge das Universum in einer verklärten Gestalt. Die todte lastende Masse, die nur den Raum ausstopfte, ist verschwunden, und an ihrer Stelle fließt, und woget und rauscht der ewige Strom von Leben, und Kraft und That – vom ursprünglichen Leben; von deinem Leben, Unendlicher: denn alles Leben ist dein Leben, und nur das religiöse Auge dringt ein in das Reich der wahren Schönheit.

Ich bin dir verwandt, und was ich rund um mich herum erblicke, ist Mir verwandt; es ist Alles belebt und beseelt, und blickt aus hellen Geister-Augen mich an, und redet mit Geistertönen an mein Herz. Auf das Mannichfaltigste zerteilt und getrennt schaue in allen Gestalten außer mir ich selbst mich wieder, und strahle mir aus ihnen entgegen, wie die Morgensonne in tausend Thautropfen mannichfaltig gebrochen sich selbst entgegen glänzt.

Dein Leben, wie es der Endliche zu fassen vermag, ist sich selbst schlechthin durch sich selbst bildendes, und darstellendes Wollen; dieses Leben fließt, – im Auge des Sterblichen mannichfach versinnlicht, – durch mich hindurch herab in die ganze unermeßliche Natur. Hier strömt es, als sich selbst schaffende und bildende Materie durch meine Adern und Muskeln hindurch, und setzt außer mir seine Fülle ab im Baume, in der Pflanze, im Grase. Ein zusammenhängender Strom, Tropfe an Tropfe, fließt das bildende Leben in allen Gestalten, und allenthalben, wohin ihm mein Auge zu folgen vermag; und blickt mich an, – aus jedem Punkte des Universum anders, – als dieselbe Kraft, durch die es in geheimem Dunkel meinen eignen Körper bildet. Dort woget es frei, und hüpft, und tanzet als sich selbst bildende Bewegung im Thiere, und stellt in jedem neuen Körper sich dar, als eine andere eigne für sich bestehende Welt: dieselbe Kraft, welche, mir unsichtbar, in meinen eignen Gliedmaßen sich reget, und bewegt. Alles was sich regt, folgt diesem allgemeinen Zuge, diesem einigen Princip aller Bewegung, das von einem Ende des Universum zum andern die harmonische Erschütterung fortleitet: das Thier ohne Freiheit; ich, von welchem in der sichtbaren Welt die Bewegung ausgeht, ohne daß sie darum in mir gegründet sei, mit Freiheit.

Aber rein und heilig, und deinem eignen Wesen so nahe, als im Auge des Sterblichen ihm etwas sein kann, fließet dieses dein Leben hin als Band, das Geister mit Geistern in Eins verschlingt, als Luft und Aether der Einen Vernunftwelt; undenkbar und unbegreiflich, und doch offenbar da liegend vor dem geistigen Auge. In diesem Lichtstrome fortgeleitet schwebt der Gedanke, unaufgehalten und derselbe bleibend von Seele zu Seele, und kommt reiner und verklärt zurück aus der verwandten Brust. Durch dieses Geheimniß findet der Einzelne sich selbst, und versteht, und liebt sich selbst nur in einem Andern; und jeder Geist wickelt sich los nur von andern Geistern, und es giebt keinen Menschen, sondern nur eine Menschheit, kein einzelnes Denken, und Lieben, und Hassen, sondern nur ein Denken, und Lieben, und Hassen, in und durch einander. Durch dieses Geheimniß strömt die Verwandtschaft der Geister in der unsichtbaren Welt fort bis in ihre körperliche Natur, und stellt sich dar in zwei Geschlechtern, die, wenn auch jedes geistige Band zerreißen könnte, schon als Naturwesen genöthigt sind, sich zu lieben; fließt aus in die Zärtlichkeit der Eltern und Kinder, und Geschwister, gleich als ob die Seelen eben so aus Einem Blute entsprossen wären, wie die Leiber, und die Gemüther Zweige und Blüten desselben Stammes wären; und umfasset von da aus in engern oder weitern Kreisen die ganze empfindende Welt. Selbst ihrem Hasse liegt der Durst nach Liebe zum Grunde, und es entsteht keine Feindschaft, außer aus versagter Freundschaft.

Dieses ewige Leben und Regen in allen Adern der sinnlichen, und geistigen Natur erblickt mein Auge, durch das, was Andern todte Masse scheint, hindurch; und siehet dieses Leben stets steigen und wachsen, und zum geistigern Ausdrucke seiner selbst sich verklären. Das Universum ist mir nicht mehr jener in sich selbst zurücklaufende Zirkel, jenes unaufhörlich sich wiederholende Spiel, jenes Ungeheuer, das sich selbst verschlingt, um sich wieder zu gebären, wie es schon war: es ist vor meinem Blicke vergeistiget, und trägt das eigne Gepräge des Geistes; stetes Fortschreiten zum Vollkommnern in einer geraden Linie, die in die Unendlichkeit geht.

Die Sonne gehet auf, und gehet unter, und die Sterne versinken, und kommen wieder und alle Sphären halten ihren Zirkeltanz; aber sie kommen nie so wieder, wie sie verschwanden, und in den leuchtenden Quellen des Lebens ist selbst Leben und Fortbilden. Jede Stunde, von ihnen herbeigeführt, jeder Morgen und jeder Abend sinkt mit neuem Gedeihen herab auf die Welt; neues Leben, und neue Liebe entträufelt den Sphären, wie die Thautropfen der Wolke, und umfängt die Natur, wie die kühle Nacht die Erde.

Aller Tod in der Natur ist Geburt, und gerade im Sterben erscheint sichtbar die Erhöhung des Lebens. Es ist kein tödtendes Princip in der Natur, denn die Natur ist durchaus lauter Leben; nicht der Tod tödtet, sondern das lebendigere Leben, welches, hinter dem alten verborgen, beginnt, und sich entwickelt. Tod und Geburt ist bloß das Ringen des Lebens mit sich selbst, um sich stets verklärter und ihm selbst ähnlicher darzustellen. Und mein Tod könnte etwas anders sein – meiner, der ich überhaupt nicht eine bloße Darstellung und Abbildung des Lebens bin, sondern das ursprüngliche, allein wahre, und wesentliche Leben in mir selbst trage? – Es ist gar kein möglicher Gedanke, daß die Natur ein Leben vernichten solle, das aus ihr nicht stammt; die Natur, um deren willen nicht ich, sondern die selbst nur um meinetwillen lebt.

Aber selbst mein natürliches Leben, selbst diese bloße Darstellung des innern unsichtbaren Lebens vor dem Blicke des Endlichen, kann sie nicht vernichten, weil sie sonst sich selbst müßte vernichten können; sie, die bloß für mich, und um meinetwillen da ist, und nicht ist, wenn ich nicht bin. Gerade darum, weil sie mich tödtet, muß sie mich neu beleben; es kann nur mein in ihr sich entwickelndes höheres Leben sein, vor welchem mein gegenwärtiges verschwindet; und das, was der Sterbliche Tod nennt, ist die sichtbare Erscheinung einer zweiten Belebung. Stürbe kein vernünftiges Wesen auf der Erde, das da nun einmal ihr Licht erblickt hätte, so wäre kein Grund da, eines neuen Himmels und einer neuen Erde zu harren: die einzig mögliche Absicht dieser Natur, Vernunft darzustellen und zu erhalten, wäre schon hienieden erfüllt, und ihr Umkreis wäre geschlossen. Aber der Act, durch den sie ein freies selbstständiges Wesen tödtet, ist ihr feierliches aller Vernunft kundbares Hinüberschreiten über diesen Act, und über die ganze Sphäre, die sie dadurch beschließt; die Erscheinung des Todes ist der Leiter, an welchem mein geistiges Auge zu dem neuen Leben meiner selbst, und einer Natur für mich hinübergleitet.

Jeder meines Gleichen, der aus der irdischen Verbindung heraustritt, und der meinem Geiste nicht für vernichtet gelten kann – denn er ist meines Gleichen – zieht meinen Gedanken mit sich hinüber; er ist noch, und ihm gebührt eine Stätte. Indeß wir hienieden um ihn trauern, so wie Trauer sein würde, wenn sie könnte im dumpfen Reiche der Bewußtlosigkeit, wenn sich ihm ein Mensch zum Lichte der Erdensonne entreißt, ist drüben Freude, daß der Mensch zu ihrer Welt geboren wurde, so wie wir Erdenbürger die Unsrigen mit Freude empfangen. Wenn ich einst ihnen folgen werde, wird für mich nur Freude sein; denn die Trauer bleibt in der Sphäre zurück, die ich verlasse.

Es verschwindet vor meinem Blicke, und versinkt die Welt, die ich noch so eben bewunderte. In aller Fülle des Lebens, der Ordnung, und des Gedeihens, welche ich in ihr schaue, ist sie doch nur der Vorhang, durch die eine unendlich vollkommnere mir verdeckt wird, und der Keim, aus dem diese sich entwickeln soll. Mein Glaube tritt hinter diesen Vorhang, und erwärmt, und belebt diesen Keim. Er sieht nichts Bestimmtes, aber er erwartet mehr, als er hienieden fassen kann, und je in der Zeit wird fassen können.


[[So lebe, und so bin ich, und so bin ich unveränderlich, fest, und vollendet für alle Ewigkeit; denn dieses Sein ist kein von außen angenommenes, es ist mein eignes, einiges wahres Sein, und Wesen.]]Der in [[ ]] stehende Schlußsatz fehlt in B.

 

Ende.

 


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