Johann Gottlieb Fichte
Die Bestimmung des Menschen
Johann Gottlieb Fichte

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III.

Aber wenn er nun erreicht sein, und die Menschheit am Ziele stehen wird, was wird sie dann thun? Es giebt über jenen Zustand keinen höhern auf Erden; das Geschlecht, das ihn zuerst erreichte, kann nichts weiter thun, als in demselben verharren, und ihn kräftigst behaupten, sterben, und Nachkommen hinterlassen, die dasselbe thun werden, was sie schon thaten, und die abermals Nachkommen hinterlassen werden, welche dasselbe thun. Die Menschheit stünde dann still auf ihrer Bahn; darum kann ihr irdisches Ziel nicht ihr höchstes Ziel sein. Dieses irdische Ziel ist begreiflich, und erreichbar und endlich. Denken wir immer die vorhergehenden Generationen, als Mittel für die letzte vollendete; wir entgehen dadurch nicht der Frage der ernsten Vernunft, wozu denn nun wiederum diese letzte sei. Nachdem einmal ein Menschengeschlecht auf der Erde da ist, soll es freilich kein vernunftwidriges, sondern ein vernünftiges Dasein haben, und zu Allem werden, wozu es auf der Erde werden kann; aber warum sollte es denn überhaupt da sein, dieses Menschengeschlecht, und warum blieb es nicht eben sowohl im Schooße des Nichts? Die Vernunft ist nicht um des Daseins, sondern das Dasein ist um der Vernunft willen. Ein Dasein, das nicht durch sich selbst die Vernunft befriedigt, und alle ihre Fragen löset, ist unmöglich das wahre Sein.

Und dann, sind denn auch wirklich die durch die Stimme des Gewissens, durch diese Stimme, über deren Aussage ich nicht klügeln darf, sondern ihr stumm gehorchen muß – sind die durch sie gebotenen Handlungen auch wirklich die Mittel, und die einigen Mittel, den irdischen Zweck der Menschheit herbeizuführen? Daß ich nicht anders kann, als sie auf diesen Zweck beziehen, und keine andere Absicht mit ihnen haben darf, als diese, ist unstreitig; aber wird denn diese meine Absicht immer erreicht? Bedarf es nichts weiter, als das Beste zu wollen, damit es geschehe? O, die meisten guten Entschließungen gehen für diese Welt völlig verloren, und andere scheinen sogar dem Zwecke entgegen zu wirken, den man sich bei ihnen vorsetzte. Dagegen führen sehr oft die verächtlichsten Leidenschaften der Menschen, ihre Laster und ihre Unthaten, das Bessere sicherer herbei, als die Bemühungen des Rechtschaffenen, der nie Böses thun will, damit Gutes daraus erfolge; und es scheint, daß das Welt-Beste, ganz unabhängig von allen menschlichen Tugenden oder Lastern, nach seinem eignen Gesetze, durch eine unsichtbare und unbekannte Kraft, wachse und gedeihe, eben so wie die Himmelskörper, unabhängig von allen menschlichen Bemühungen, ihre angewiesene Bahn durchlaufen; und daß diese Kraft alle menschlichen Absichten, gute und böse, in ihren eignen höhern Plan mit fortreiße, und, was für andere Zwecke unternommen wurde, übermächtig für ihren eignen Zweck gebrauche.

Wenn also auch die Erreichung jenes irdischen Ziels die Absicht unsers Daseins sein könnte, und der Vernunft dabei keine Fragen übrig gelassen würden, so wäre dieser Zweck wenigstens nicht der unsrige, sondern der jener unbekannten Kraft. Wir wissen keinen Augenblick, was diesen Zweck befördert; uns bliebe nichts übrig, als jener Kraft durch unsre Handlungen irgend einen Stoff, ganz gleich welchen, hinzugeben, und es ihr zu überlassen, daß sie denselben ihrem Ziele gemäß bearbeite. Es würde zur höchsten Weisheit, uns nicht um Dinge zu bemühen, die uns nicht angehen; zu leben, wie es uns jedesmal anwandelte, und den Erfolg ruhig jener Kraft zu überlassen. Das Sittengesetz in unserm Innern würde leer und überflüssig, und paßte schlechthin nicht in ein Wesen, das nicht mehr vermöchte, und zu nichts Höherem bestimmt wäre. Um mit uns selbst einig zu werden, müßten wir der Stimme desselben den Gehorsam versagen, und sie, als eine verkehrte und thörichte Schwärmerei in uns, unterdrücken.


Nein, ich will ihr den Gehorsam nicht versagen, so wahr ich lebe und bin, ich will ihr gehorchen, schlechthin weil sie gebietet. Dieser Entschluß sei das Erste und Höchste in meinem Geiste, dasjenige, wonach alles Andere sich richte, der aber sich selbst nach keinem Andern richte, noch von ihm abhänge; er sei das innerste Princip meines geistigen Lebens.

Aber schlechthin für nichts, und um nichts kann ich als vernünftiges Wesen, dem durch seinen bloßen Entschluß schon ein Zweck hingestellt wird, nicht handeln. Soll ich jenen Gehorsam für vernünftig anzuerkennen vermögen, soll es wirklich die mein Wesen bildende Vernunft, nicht eine selbst erdichtete, oder eine irgend woher angeworfene Schwärmerei sein, welche mir den Gehorsam gebietet, so muß dieser Gehorsam doch irgend einen Erfolg haben, und zu irgend etwas dienen. Er dient offenbar nicht für den Zweck der irdischen Welt; es muß sonach eine überirdische Welt geben, für deren Zweck er diene.


Der Nebel der Verblendung fällt von meinem Auge; ich erhalte ein neues Organ, und eine neue Welt geht in demselben mir auf. Sie geht mir auf, lediglich durch das Vernunftgebot, und schließt nur an dieses in meinem Geiste sich an. Ich umfasse diese Welt – ich muß wohl, durch meine sinnliche Ansicht beschränkt, das Unnennbare so benennen – ich umfasse diese Welt lediglich in dem Zwecke und unter dem Zwecke, den mein Gehorsam haben muß; sie ist ganz und gar nichts Anderes, als dieser nothwendige Zweck selbst, den meine Vernunft dem Gebote hinzufügt.

Wie könnte ich auch, alles Uebrige abgerechnet, glauben, daß dieses Gesetz für die Sinnenwelt berechnet sei, und der ganze Zweck des Gehorsams, den dasselbe fordert, in ihr liege; da dasjenige, worauf es bei diesem Gehorsam allein ankommt, in ihr überhaupt zu nichts dient, nie Ursache werden, noch Folgen haben kann. In der Sinnenwelt, die an der Kette der materiellen Ursachen und Wirkungen fortläuft; in welcher das, was erfolgt, von dem abhängt, was vorher geschahe, kommt es nie darauf an, wie, mit welchen Absichten und Gesinnungen eine That unternommen würde, sondern nur, welches diese That sei.

Wäre das die ganze Absicht unsers Daseins, einen irdischen Zustand unsers Geschlechtes hervorzubringen, so bedürfte es lediglich eines unfehlbaren Mechanismus, der unser äußeres Handeln bestimmte, und wir brauchten nichts mehr zu sein, als der ganzen Maschine wohleingepaßte Räder. Die Freiheit wäre dann nicht bloß vergebens, sondern sogar zweckwidrig; der gute Wille vollkommen überflüssig. Die Welt wäre höchst ungeschickt eingerichtet, und ginge mit Verschwendung und durch Umwege zu ihrem Ziele. Hättest du, mächtiger Weltgeist, diese Freiheit, die du nur mit Mühe und durch eine andere Veranstaltung deinen Plänen anpassen mußt, uns lieber genommen, und uns geradezu genöthigt, zu handeln, wie wir für deine Pläne handeln sollten! du kämst dann auf dem kürzesten Wege zum Ziele, wie der geringste der Bewohner deiner Welten dir sagen kann. – Aber ich bin frei; und darum kann ein solcher Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen, in welchem die Freiheit absolut überflüssig und zwecklos ist, meine ganze Bestimmung nicht erschöpfen. Ich soll frei sein; denn nicht die mechanisch hervorgebrachte That, sondern die freie Bestimmung der Freiheit lediglich um des Gebotes, und schlechthin um keines andern Zwecks willen – so sagt uns die innere Stimme des Gewissens – diese allein macht unsern wahren Werth aus. Das Band, mit welchem das Gesetz mich bindet, ist ein Band für lebendige Geister: es verschmäht, über den todten Mechanismus zu herrschen, und wendet sich allein an das Lebendige, und Selbstthätige. Diesen Gehorsam verlangt es; dieser Gehorsam kann nicht überflüssig sein.


Und hiermit geht die ewige Welt heller vor mir auf, und das Grundgesetz ihrer Ordnung steht klar vor dem Auge meines Geistes. In ihr ist rein und bloß der Wille, wie er im geheimen Dunkel meines Gemüths vor allen sterblichen Augen verschlossen liegt, erstes Glied einer Kette von Folgen, die durch das ganze unsichtbare Reich der Geister hindurchläuft; so wie in der irdischen Welt die That, eine gewisse Bewegung der Materie, erstes Glied einer materiellen Kette wird, die das ganze System der Materie durchfließet. Der Wille ist das Wirkende, und Lebendige der Vernunftwelt, so wie die Bewegung das Wirkende, und Lebendige der Sinnenwelt ist. Ich stehe im Mittelpunkte zweier gerade entgegengesetzter Welten, einer sichtbaren, in der die That, einer unsichtbaren und schlechthin unbegreiflichen, in der der Wille entscheidet; ich bin eine der Urkräfte für beide Welten. Mein Wille ist es, der beide umfaßt. Dieser Wille ist schon an und für sich selbst Bestandtheil der übersinnlichen Welt; so wie ich ihn durch irgend einen Entschluß bewege, bewege und verändere ich etwas in dieser Welt, und meine Wirksamkeit fließt fort über das Ganze, und bringt Neues, ewig Dauerndes hervor, das da nun ist, und nicht mehr gemacht zu werden bedarf. Dieser Wille bricht aus in eine materielle That, und diese That gehört der Sinnenwelt an, und wirkt in derselben, was sie wirken kann.

Nicht erst, nachdem ich aus dem Zusammenhange der irdischen Welt gerissen sein werde, werde ich den Eintritt in die überirdische erhalten; ich bin und lebe schon jetzt in ihr, weit wahrer, als in der irdischen; schon jetzt ist sie mein einziger fester Standpunkt, und das ewige Leben, das ich schon längst in Besitz genommen, ist der einige Grund, warum ich das irdische noch fortführen mag. Das, was sie Himmel nennen, liegt nicht jenseit des Grabes; es ist schon hier um unsere Natur verbreitet, und sein Licht geht in jedem reinen Herzen auf. Mein Wille ist mein, und er ist das Einige, das ganz mein ist, und vollkommen von mir selbst abhängt, und durch ihn bin ich schon jetzt ein Mitbürger des Reichs der Freiheit, und der Vernunftthätigkeit durch sich selbst. Welche Bestimmung meines Willens – des einzigen, wodurch ich vom Staube herauf in dieses Reich eingreife, – in die Ordnung desselben passe, sagt mir in jedem Augenblicke mein Gewissen, das Band, an welchem jene Welt unablässig mich hält, und mit sich verknüpft; und es hängt ganz von mir selbst ab, mir die gebotene Bestimmung zu geben. Ich bearbeite dann mich selbst für diese Welt, arbeite sonach in ihr, und für sie, indem ich eines ihrer Glieder bearbeite; verfolge in ihr, und nur in ihr, ohne Wanken und Zweifel nach einer festen Regel meinen Zweck, – des Erfolgs sicher, indem da keine fremdartige Macht meinem Willen entgegen steht. – Daß in der Sinnenwelt mein Wille, sofern er nur wirklich Wille ist, wie er soll, auch noch zur That wird, ist lediglich das Gesetz dieser sinnlichen Welt. Ich wollte nicht so die That, wie den Willen; nur der letztere war ganz und rein mein Werk, und er war auch alles, was rein aus mir selbst hervorging. Es bedurfte nicht noch eines besondern Acts von meiner Seite, um an ihn die That anzuknüpfen: sie knüpfte sich selbst an ihn an, nach dem Gesetze der zweiten Welt, mit welcher ich durch meinen Willen zusammenhänge, und in welcher dieser Wille gleichfalls Urkraft ist, wie in der ersten. – Ich bin freilich, wenn ich den durch das Gewissen mir gebotenen Willen, als That, und als wirkende Ursache in der Sinnenwelt ansehe, genöthigt, ihn auf jenen irdischen Zweck der Menschheit als Mittel zu beziehen: nicht, als ob ich dann den Weltplan erst übersehen, und nach dieser Einsicht berechnen müßte, was ich zu thun hätte; sondern das unmittelbar durch das Gewissen mir gebotene bestimmte Handeln stellt sich mir ohne weiteres dar, als dasjenige, wodurch allein in meiner Lage ich zur Erreichung jenes Zwecks beitragen könne. Ob es mir nun nach der That scheine, als ob durch sie der Zweck nicht befördert, ja, als ob er sogar gehindert worden wäre; reuen kann mich die That darum nicht, an mir selbst darüber irre werden kann ich nicht, so wahr ich nur meinem Gewissen gehorchte, indem ich sie vollzog; welche Folgen sie auch für diese Welt haben möge, für die andere Welt kann nichts Anderes, denn Gutes aus ihr folgen. Und selbst für diese Welt gebietet mir nun, eben, weil die That für ihren Zweck verloren zu sein scheint, mein Gewissen, dieselbe zweckmäßiger zu wiederholen, oder, weil sie denselben gehindert zu haben scheint, das Nachtheilige aufzuheben, und das dem Erfolge Widerstrebende zu vernichten. Ich will, wie ich soll; und die neue That erfolgt. Es kann geschehen, daß die Folgen dieser neuen That in der Sinnenwelt mir nicht ersprieslicher erscheinen, als die der erstern; aber ich bleibe eben so ruhig über sie, in Rücksicht der andern Welt, und für die gegenwärtige ist es mir nun aufgelegt, durch neues Wirken das Vorhergehende zu verbessern. Und so möchte es immer scheinen, daß ich durch mein ganzes irdisches Leben das Gute in dieser Welt nicht um eines Haares Breite weiter bringe, aufgeben darf ich es doch nicht; nach jedem mißlungenen Schritte muß ich glauben, daß doch der nächste gelingen könne; für jene Welt aber ist kein Schritt verloren. – Kurz, den irdischen Zweck befördere ich nicht lediglich um sein selbst willen, und als letzten Endzweck; sondern darum, weil mein wahrer letzter Zweck, Gehorsam gegen das Gesetz, in der gegenwärtigen Welt sich mir nicht anders darstellt, denn als Beförderung jenes Zwecks. Ihn dürfte ich aufgeben, wenn ich nur jemals dem Gesetze den Gehorsam verweigern dürfte, oder, wenn sich dasselbe mir in diesem Leben jemals anders darstellen könnte, denn als ein Gebot, diesen Zweck in meiner Lage zu befördern; ihn werde ich wirklich aufgegeben haben in einem andern Leben, in welchem das Gebot mir einen andern hienieden völlig unbegreiflichen Zweck setzen wird. In diesem Leben muß ich ihn befördern wollen, weil ich gehorchen muß; ob er durch die That, die aus diesem gesetzmäßigen Wollen erfolgt, wirklich befördert werde, ist nicht meine Sorge; ich bin nur für den Willen, der hienieden freilich nur auf den irdischen Zweck gehen kann, nicht aber für den Erfolg verantwortlich. Vor der That kann ich diesen Zweck nie aufgeben; die That aber kann ich, nachdem sie vollbracht ist, wohl aufgeben, und sie wiederholen, oder verbessern. Ich lebe und wirke sonach schon hier, meinem eigentlichsten Wesen und meinem nächsten Zwecke nach, nur für die andere Welt, und die Wirksamkeit für dieselbe ist die einzige, der ich ganz sicher bin; für die Sinnenwelt wirke ich nur um der Andern willen, und darum, weil ich für die andere gar nicht wirken kann, ohne für diese wenigstens wirken zu wollen.


Ich will mich festsetzen, ich will mich einheimisch machen in dieser mir ganz neuen Ansicht meiner Bestimmung. – Das gegenwärtige Leben läßt sich vernünftiger Weise nicht als die ganze Absicht meines Daseins, und des Daseins eines Menschengeschlechts überhaupt denken; es ist in mir Etwas, und es wird von mir Etwas gefordert, das in diesem ganzen Leben keine Anwendung findet, und für das Höchste, was auf der Erde hervorgebracht werden kann, völlig zwecklos, und überflüssig ist. Der Mensch muß sonach einen über dieses Leben hinausliegenden Zweck haben. Soll aber das gegenwärtige Leben, welches ihm dennoch aufgelegt wird, und das nicht lediglich zur Entwickelung der Vernunft bestimmt sein kann, indem ja die schon erwachte Vernunft uns gebietet, dasselbe zu erhalten, und den höchsten Zweck desselben aus allen Kräften zu befördern – soll dieses Leben nicht völlig vergebens und unnütz sein in der Reihe unsers Daseins, so muß es sich zu einem künftigen Leben wenigstens verhalten, wie Mittel zum Zwecke. Nun giebt es in diesem gegenwärtigen Leben nichts, dessen letzte Folgen nicht auf der Erde blieben, nichts, wodurch es mit einem künftigen Leben zusammenhängen könnte, außer dem guten Willen; welcher hinwiederum in dieser Welt, zufolge des Grundgesetzes derselben, an sich nichts fruchtet. Der gute Wille nur kann es sein, er muß es sein, durch den wir für ein anderes Leben, und für das erst dort uns aufzustellende nächste Ziel desselben arbeiten; die uns unsichtbaren Folgen dieses guten Willens sind es, durch die wir in jenem Leben erst einen festen Standpunkt, von welchem aus wir dann weiter in ihm fortrücken können, uns erwerben.


Daß unser guter Wille an und für, und durch sich selbst Folgen haben müsse, wissen wir schon in diesem Leben, denn die Vernunft kann nichts Zweckloses gebieten; welches aber diese Folgen seien, ja wie es nur möglich sei, daß ein bloßer Wille etwas wirken könne, darüber können wir auch nicht einmal etwas denken, so lange wir noch in dieser materiellen Welt befangen sind, und es ist Weisheit, eine Erforschung, von der wir schon vorher wissen können, daß sie uns mißlingen werde, gar nicht zu unternehmen. In Rücksicht der Beschaffenheit dieser Folgen ist also das gegenwärtige Leben in Beziehung auf ein künftiges, ein Leben im Glauben. Im künftigen Leben werden wir diese Folgen besitzen, denn wir werden mit unsrer Wirksamkeit von ihr ausgehen, und auf sie fortbauen; dieses andere Leben wird sonach in Beziehung auf die Folgen unsers guten Willens im gegenwärtigen, ein Leben des Schauens sein. Wir werden auch in diesem andern Leben ein nächstes Ziel für dasselbe aufgestellt erhalten, wie wir es im gegenwärtigen hatten; denn wir müssen fort thätig sein. Aber wir bleiben endliche Wesen – und für endliche Wesen ist jede Thätigkeit eine bestimmte; und bestimmte That hat ein bestimmtes Ziel. Wie im gegenwärtigen Leben zum Ziele desselben sich verhält die vorhanden gefundene Welt, die zweckmäßige Einrichtung dieser Welt für die uns gebotene Arbeit, die schon erreichte Cultur und Güte unter den Menschen, und unsre eignen sinnlichen Kräfte: so werden im künftigen Leben zum Ziele desselben sich verhalten die Folgen unsers guten Willens im gegenwärtigen. Das gegenwärtige ist der Anfang unsrer Existenz; es wird uns eine Ausstattung für dasselbe und ein fester Boden in ihm frei geschenkt: das künftige ist die Fortsetzung dieser Existenz; für dasselbe müssen wir einen Anfang, und einen bestimmten Standpunkt uns selbst erwerben.

Und nun erscheint das gegenwärtige Leben nicht mehr als unnütz und vergeblich; dazu, und nur allein dazu, um diesen festen Grund in einem künftigen Leben zu gewinnen, ist es uns gegeben, und allein vermittelst dieses Grundes hängt es mit unserm ganzen ewigen Dasein zusammen. – Es ist sehr möglich, daß auch dieses zweiten Lebens nächstes Ziel durch endliche Kräfte mit Sicherheit und nach einer Regel eben so unerreichbar sei, als das Ziel des gegenwärtigen Lebens es ist; und daß auch dort der gute Wille als überflüssig, und zwecklos erscheine. Aber verloren kann er dort eben so wenig sein, als er es hier sein kann, denn er ist das nothwendig fortdauernde, und von ihr unabtrennliche Gebot der Vernunft. Seine notwendige Wirksamkeit würde sonach in diesem Falle uns auf ein drittes Leben hinweisen, in welchem die Folgen des guten Willens aus dem zweiten sich zeigen würden, und welches folgende Leben in diesem zweiten auch nur geglaubt würde; zwar mit festerer, und unerschütterlicher Zuversicht, nachdem wir die Wahrhaftigkeit der Vernunft schon durch die That erfahren, und die Früchte eines reinen Herzens in einem schon vollendeten Leben treu aufbewahrt wieder gefunden hätten.

Wie in dem gegenwärtigen Leben allein aus dem Gebote einer bestimmten Handlung unser Begriff eines bestimmten Ziels, und aus diesem die ganze Anschauung der uns gegebenen Sinnenwelt entsteht, eben so wird im künftigen auf ein ähnliches, jetzt für uns völlig undenkbares Gebot der Begriff eines nächsten Ziels für dieses Leben, und auf dieses die Anschauung einer Welt, in der uns die Folgen unsers guten Willens im gegenwärtigen Leben vorausgegeben sind, sich gründen. Die gegenwärtige Welt ist überhaupt nur durch das Pflichtgebot für uns da; die andere wird uns gleichfalls nur durch ein anderes Pflichtgebot entstehen: denn auf eine andere Weise giebt es für kein vernünftiges Wesen eine Welt.


Dies sonach ist meine ganze erhabene Bestimmung, mein wahres Wesen. Ich bin Glied zweier Ordnungen; einer rein geistigen, in der ich durch den bloßen reinen Willen herrsche, und einer sinnlichen, in der ich durch meine That wirke. Der ganze Endzweck der Vernunft ist reine Thätigkeit derselben, schlechthin durch sich selbst und ohne eines Werkzeugs außer sich zu bedürfen, – Unabhängigkeit von Allem, das nicht selbst Vernunft ist, absolute Unbedingtheit. Der Wille ist das lebendige Princip der Vernunft, ist selbst die Vernunft, wenn sie rein und unabhängig aufgefaßt wird; die Vernunft ist durch sich selbst thätig, heißt: der reine Wille, bloß als solcher, wirkt und herrscht. Unmittelbar und lediglich in dieser rein geistigen Ordnung lebt nur die unendliche Vernunft. Der Endliche, der nicht die Vernunftwelt selbst, sondern nur ein Einzelnes unter mehreren Gliedern derselben ist, lebt nothwendig zugleich in einer sinnlichen Ordnung, das heißt, in einer solchen, die ihm noch ein anderes Ziel, außer der reinen Vernunftthätigkeit, darstellt; einen materiellen Zweck, – zu befördern durch Werkzeuge, und Kräfte, die zwar unter der unmittelbaren Botmäßigkeit des Willens stehen, deren Wirksamkeit aber auch noch durch ihre eignen Naturgesetze bedingt ist. Doch muß, so gewiß die Vernunft Vernunft ist, der Wille schlechthin durch sich selbst, unabhängig von den Naturgesetzen, durch welche die That bestimmt wird, wirken; und darum deutet jedes sinnliche Leben des Endlichen auf ein höheres, in das ihn der Wille bloß durch sich selbst einführe, und ihm in demselben Besitz verschaffe – ein Besitz, der sich uns freilich wieder sinnlich darstellen wird, als ein Zustand, keinesweges als ein bloßer Wille.

Diese zwei Ordnungen, die rein geistige, und die sinnliche, welche letztere aus einer unübersehbaren Reihe von besonderen Leben bestehen mag, sind von dem ersten Augenblicke der Entwickelung einer thätigen Vernunft an, in mir, und laufen neben einander fort. Die letztere Ordnung ist nur eine Erscheinung für mich selbst, und für diejenigen, die mit mir in dem gleichen Leben sich befinden; die erstere allein giebt dem letztern Bedeutung, Zweckmäßigkeit, und Werth. Ich bin unsterblich, unvergänglich, ewig, sobald ich den Entschluß fasse, dem Vernunftgesetze zu gehorchen; ich soll es nicht erst werden. Die übersinnliche Welt ist keine zukünftige Welt, sie ist gegenwärtig; sie kann in keinem Punkte des endlichen Daseins gegenwärtiger sein, als in dem andern; nach einem Dasein von Myriaden Lebenslängen nicht gegenwärtiger sein, als in diesem Augenblicke. Andere Bestimmungen meiner sinnlichen Existenz sind zukünftig; aber diese sind eben so wenig das wahre Leben, als die gegenwärtige Bestimmung es ist. Ich ergreife durch jenen Entschluß die Ewigkeit, und streife das Leben im Staube und alle anderen sinnlichen Leben, die mir noch bevorstehen können, ab, und versetze mich hoch über sie. Ich werde mir selbst zur einigen Quelle alles meines Seins, und meiner Erscheinungen; und habe von nun an, unbedingt durch etwas außer mir, das Leben in mir selbst. Mein Wille, den ich selbst, und kein Fremder in die Ordnung jener Welt füge, ist diese Quelle des wahren Lebens, und der Ewigkeit.

Aber auch nur mein Wille ist diese Quelle; nur dadurch, daß ich diesen Willen für den eigentlichen Sitz der sittlichen Güte erkenne, und zu dieser Güte ihn wirklich erhebe, erhalte ich die Gewißheit und den Besitz jener übersinnlichen Welt.

Ohne Aussicht auf irgend einen begreiflichen und sichtbaren Zweck, ohne Untersuchung, ob aus meinem Willen irgend etwas Anderes erfolge, als das Wollen selbst, soll ich gesetzmäßig wollen. Mein Wille steht allein da, abgesondert von Allem, was er nicht selbst ist, bloß durch sich, und für sich selbst seine Welt; nicht bloß, daß er absolut Erstes sei, und daß es vor ihm kein anderes Glied gebe, das in ihn eingreife, und ihn bestimme; sondern auch, daß aus ihm kein denkbares und begreifliches Zweites folge, und dadurch seine Wirksamkeit unter ein fremdes Gesetz falle. Ginge aus ihm ein Zweites, aus diesem ein Drittes u. s. f. hervor in einer uns denkbaren der geistigen Welt entgegengesetzten Sinnenwelt: so würde durch den Widerstand der in Bewegung zu setzenden selbstständigen Glieder einer solchen Welt, seine Kraft gebrochen; die Art der Wirksamkeit entspräche nicht mehr ganz dem durch das Wollen ausgedrückten Zweckbegriffe, und der Wille bliebe nicht frei, sondern er würde zum Theil durch die eigenthümlichen Gesetze seiner heterogenen Wirkungssphäre beschränkt. – So muß ich auch wirklich in der gegenwärtigen, mir allein bekannten sinnlichen Welt den Willen ansehen. Ich bin freilich genöthigt, zu glauben, das heißt, zu handeln, als ob ich dächte – daß durch mein Wollen meine Zunge, meine Hand, mein Fuß in Bewegung gesetzt werden könnten; wie aber ein bloßer Hauch, ein Druck der Intelligenz auf sich selbst, wie der Wille es ist, Princip einer Bewegung in der schweren irdischen Masse sein könne, darüber kann ich nicht nur nichts denken, sondern selbst die bloße Behauptung ist vor dem Richterstuhle des betrachtenden Verstandes reiner baarer Unverstand; und auf diesem Gebiete muß die Bewegung der Materie sogar in mir selbst, rein aus innern Kräften der bloßen Materie erklärt werden.

Eine Ansicht von meinem Willen, wie die beschriebene aber erhalte ich nur dadurch, daß ich in mir selbst inne werde, derselbe sei nicht etwa bloß höchstes thätiges Princip für diese Welt, welches er allerdings ohne alle eigentliche Freiheit durch den bloßen Einfluß des gesammten Weltsystems werden könnte, ohngefähr so, wie wir uns die bildende Kraft in der Natur denken müssen: sondern er verschmähe schlechthin alle irdischen, und überhaupt alle außer ihm liegenden Zwecke, und stelle sich selbst um sein selbst willen als letzten Zweck hin. Aber lediglich durch eine solche Ansicht von meinem Willen, werde ich in eine übersinnliche Ordnung hinüber gewiesen, in welcher der Wille rein durch sich selbst, ohne alles außer ihm liegende Werkzeug, in einer ihm gleichen, rein geistigen, von ihm durchaus durchdringbaren Sphäre, Ursache werde. – Daß das gesetzmäßige Wollen schlechthin um sein selbst willen gefordert werde – eine Kenntniß, die ich nur als Thatsache in meinem Innern finden, und welche auf keinem andern Wege an mich gelangen kann – dies war das erste Glied meines Denkens. Daß diese Forderung vernunftmäßig, und die Quelle und Richtschnur alles andern Vernunftmäßigen sei, daß sie nach nichts sich richte, alles Andere aber nach ihr sich richten, und von ihr abhängig werden müsse – eine Ueberzeugung, zu welcher ich abermals nicht von außen, sondern nur innerlich gelangen kann, durch den unerschütterlichen Beifall, den ich, mit Freiheit, jener Forderung gebe – dies war das zweite Glied meines Denkens. Und erst von diesen Gliedern aus kam ich zum Glauben an eine übersinnliche, ewige Welt. Hebe ich die erstern auf, so kann vom letztern nicht weiter die Rede sein. Eben, wenn es so sich verhielte, wie Viele sagen, und es ohne weitern Beweis als von selbst sich verstehend voraussetzen, und es als den höchsten Gipfel der Lebensweisheit anpreisen, daß alle menschliche Tugend stets nur einen bestimmten äußern Zweck vor sich haben, und daß sie der Erreichbarkeit dieses Zwecks erst sicher sein müsse, ehe sie handeln könne, und ehe sie Tugend sei – daß sonach die Vernunft gar nicht in sich selbst ein Princip und eine Richtschnur ihrer Thätigkeit enthielte, sondern diese Richtschnur erst von außen her durch die Betrachtung der ihr fremden Welt erhalten müßte – wenn es so sich verhielte, dann wäre hienieden der Endzweck unsers Daseins; die menschliche Natur wäre durch unsre irdische Bestimmung vollkommen erschöpft und durchaus erklärbar, und es gäbe keinen vernünftigen Grund, mit unsern Gedanken über das gegenwärtige Leben hinauszugehen.


Aber, wie ich so eben mit mir selbst gesprochen, kann jeder Denker, der jene ersten Glieder irgend woher historisch, etwa aus Sucht nach dem Neuen und Ungewöhnlichen angenommen, und nun von ihnen aus nur richtig weiter fort folgern kann, reden und lehren. Er trägt uns dann die Denkart eines fremden Lebens vor, nicht die seines eignen; alles schwebt ihm leer, und bedeutungslos vorüber, weil es ihm am Sinne mangelt, wodurch man die Realität desselben ergreift; er ist ein Blinder, der auf einige historisch gelernte wahre Sätze von den Farben, eine durchaus richtige Theorie derselben gebaut hat, ohnerachtet es für ihn gar keine Farbe giebt; er kann sagen, wie es unter gewissen Bedingungen sein müsse; aber ihm ist es nicht so, weil er unter diesen Bedingungen nicht steht. Den Sinn, mit welchem man das ewige Leben ergreift, erhält man nur dadurch, daß man das Sinnliche und die Zwecke desselben wirklich aufgiebt, und aufopfert für das Gesetz, das lediglich unsern Willen in Anspruch nimmt, und nicht unsre Thaten; es aufgiebt, mit der festen Ueberzeugung, daß dieses Verfahren vernunftmäßig, und das einzige vernunftmäßige sei. Erst durch diese Verzichtleistung auf das Irdische tritt der Glaube an das Ewige hervor in unsrer Seele, und wird isolirt hingestellt, als die einige Stütze, an die wir uns noch halten können, nachdem wir alles Andere aufgegeben, – als das einige belebende Princip, das unsern Busen noch hebt, und unser Leben noch begeistert. Wohl muß man, nach den Bildern einer heiligen Lehre, der Welt erst absterben, und wiedergeboren werden, um in das Reich Gottes eingehen zu können.


Ich sehe, o ich sehe nun klar vor mir liegen den Grund meiner ehmaligen Achtlosigkeit, und Blindheit über geistliche Dinge. Von irdischen Zwecken angefüllt, und in sie mit allem Dichten und Trachten verloren, nur durch den Begriff eines Erfolgs, der außer uns wirklich werden soll, durch die Begier darnach, und das Wohlgefallen daran, in Bewegung gesetzt, und getrieben, unempfindlich und todt für den reinen Antrieb der durch sich selbst gesetzgebenden Vernunft, die uns einen rein geistigen Zweck aufstellt, bleibt die unsterbliche Psyche angeheftet an den Boden, und ihre Fittige gebunden. Unsre Philosophie wird die Geschichte unsers eignen Herzens, und Lebens, und wie wir uns selbst finden, denken wir den Menschen überhaupt und seine Bestimmung. Nie anders, als durch die Begierde nach dem, was in dieser Welt wirklich werden kann, getrieben, giebt es für uns keine wahre Freiheit, – keine Freiheit, die den Grund ihrer Bestimmung absolut, und durchaus in sich selbst hätte. Unsre Freiheit ist höchstens die, der sich selbst bildenden Pflanze; nicht ihrem Wesen nach höher, nur im Erfolge künstlicher, nur nicht eine Materie hervorbringend mit Wurzeln, Blättern, Blüten, sondern ein Gemüth mit Trieben, Gedanken, Handlungen. Von der wahren Freiheit vermögen wir schlechterdings nichts zu vernehmen, weil wir nicht im Besitze derselben sind; wir ziehen, wenn von ihr geredet wird, die Worte zu unsrer Bedeutung herab, oder schelten die Rede kurz und gut für Unsinn. Mit der Erkenntniß der Freiheit geht uns zugleich der Sinn für eine andere Welt verloren. Alles von dieser Art schwebt vor uns vorüber, wie Worte die an uns gar nicht gerichtet sind, wie ein aschgrauer Schatten, ohne Farbe, und Bedeutung, den wir an keinem Ende anzufassen, und fest zu halten vermögen. Wir lassen, ohne die geringste Theilnahme, Alles an seinen Ort gestellt. Oder treibt uns ein rüstigerer Eifer, dasselbe jemals ernstlich zu betrachten, so sehen wir klar ein, und können beweisen, daß alle jene Ideen unhaltbare und gehaltlose Schwärmereien sind, die der verständige Mann wegwirft; und wir haben nach den Voraussetzungen, von denen wir ausgehn, und die aus unsrer eignen innersten Erfahrung geschöpft sind, vollkommen Recht, und sind unwiderlegbar und unbelehrbar, so lange wir diejenigen bleiben, die wir sind. Die mitten unter unserm Volke mit einer besondern Autorität versehenen vortrefflichen Lehren, über Freiheit, Pflicht und ewiges Leben, verwandeln sich für uns in abenteuerliche Fabeln, ähnlich denen vom Tartarus und den Elysäischen Feldern, ohne daß wir gerade unsre wahre Herzensmeinung entdecken, indem wir es gerathen finden, durch diese Bilder den Pöbel bei der äußern Ehrbarkeit zu erhalten; oder sind wir weniger nachdenkend, und selbst noch durch die Bande der Autorität gefesselt, so sinken wir selbst zum wahren Pöbel herab, indem wir glauben, was so verstanden nur läppische Fabel wäre, und in jenen rein geistigen Hindeutungen das Versprechen finden, dasselbe erbärmliche Wesen, das wir hienieden treiben, in alle Ewigkeit fortzusetzen.

Um mir Alles in Einem zu sagen: – nur durch die gründliche Verbesserung meines Willens geht ein neues Licht über mein Dasein, und meine Bestimmung mir auf; ohne sie ist, so viel ich auch nachdenken, und mit so vorzüglichen Geistesgaben ich auch ausgestattet sein mag, eitel Finsterniß in mir, und um mich. Nur die Verbesserung des Herzens führt zur wahren Weisheit. Nun so ströme denn unaufhaltsam mein ganzes Leben auf diesen Einen Zweck hin!


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