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Jacob Thalreuter
oder
Jugendbosheit und Greiseneinfalt

Die Baron von Stromwalterischen Ehegatten zu Ansbach hatten einen Pflegesohn namens Thalreuter. Vielen war er nur als der junge Baron Jacques von Rescher bekannt. Dieser 15jährige Bube zeichnete sich, besonders im Jahre 1825, durch unbeschäftigtes Umhertreiben, liederliches Wirtshausleben und die tollste Geldverschwendung aus. Beständig wurde nach den benachbarten Städten und Städtchen in Gesellschaft geritten oder gefahren, und die ganze Lustpartie immer von Thalreuter, dem bei solchen Gelegenheiten die Rocktaschen von Haufen Geldes klangen, mit freigebiger Hand bestritten. In den Gasthäusern wurden Bekannte wie Fremde auf seine Kosten schwelgerisch bewirtet, und das Geld, nach dem Ausdruck eines Zeugen, mit vollen Händen unter die Leute geworfen. Die allerteuersten Weine, Champagner, Madeira, Tokayer und dergleichen, wurden nicht nur bei der Tafel getrunken, sondern auch, wenn es dem läppischen Übermute des so betitelten jungen Barons gefiel, den Bauernburschen oder Fuhrknechten eingeschüttet, auf die Erde gegossen oder die Bouteillen wurden an Wagenrädern zerschlagen. Einmal wurden sogar mehr als ein Dutzend Flaschen in einen dem Wirtshaus nahen Teich versenkt. Zeugen haben bekundet, daß er die Räder seines Mietwagens mit Kölnischem Wasser angefeuchtet. Zu seinen Wirtshausbelustigungen gehörte es mitunter, die ausgesuchtesten Speisen auf die Straße zu werfen, sogar ganze Schinken vom Fenster auf die Straßenjungen herabzuschnitzeln und Zuckerwerk oder Geld unter sie auszustreuen, um sich an ihren Balgereien zu ergötzen. Abends wurde, den Gästen zur Belustigung, manchmal ein kostbares Feuerwerk abgebrannt. Lohnkutscher, Gastwirte, Kaufleute und Galanteriewarenhändler hatten an ihm ihren besten Kunden. Bei dem Galanteriewarenhändler Stang, der an den verschwenderischen Lustpartien Thalreuters teilzunehmen pflegte, hatte er in einem einzigen Jahre für 600-700 Gulden Waren, darunter für 50 Gulden Kölnisches Wasser, gekauft. Wer einigermaßen mit ihm in nähere Berührung kam, wurde mit Geschenken erfreut. Der Musikfreund mit Cremoneser Geigen, Jagdliebhaber mit teuren Jagdgewehren, Raucher mit silberbeschlagenen Tabakspfeifen, deren er, wie von ihm selbst angegeben wird, nach und nach wohl für 250 Gulden verschenkte. Dem einen ließ er Röcke, Mäntel, Kappen machen, dem andern Pferdegeschirr, einen dritten beschenkte er mit allerlei Hausrat und dergleichen.

Bei dieser Lebensweise konnte es auch an anderem Unfug nicht fehlen. In einem benachbarten Städtchen geriet er im April 1825 in Raufhandel und kam wegen Körperverletzung in Untersuchung. Er wurde aber wegen Mangels an Beweis entlassen. Zwei Monate nachher kam er, nebst mehreren Mitschuldigen, wegen Wilddiebstahls wieder in Untersuchung.

Der Umgang dieses Menschen war übrigens so gemein wie seine Aufführung. Fast alle, mit denen er sich umhertrieb, gehörten zu der niederen, ungebildeten Volksklasse. Der einzige Mann aus dem achtbaren Bürgerstande war der schon oben genannte Galanteriewarenhändler Stang, den wir noch oft nennen müssen.

Thalreuter machte hin und wieder nicht unbedeutende Schulden. Die standen gleichwohl mit seiner beispiellosen Verschwendung in keinem Verhältnis. Jene Schulden hatten auch nicht etwa in Darlehen ihren Ursprung, sondern sie bestanden meistens aus noch nicht bezahlten Wirtshausrechnungen und dem schuldigen Lohn für Mietwagen. Es war daher jedermann einleuchtend, daß die großen Summen baren Geldes, die Thalreuter nach allen Seiten wegstreute, aus anderen ergiebigeren Quellen geschöpft werden mußten. Am meisten fiel es auf, daß der alte 67jährige Baron Stromwalter und dessen 59jährige Ehehälfte, die sich keineswegs in sehr blühenden Vermögensumständen befanden, nicht nur um das Benehmen ihres Pflegesohns wußten, sondern es auch zu begünstigen schienen. Wenn man ihnen, von dieser oder jener Seite her, über dessen unerhörte Geldverschwendungen Nachricht zubrachte, wiesen sie jede Warnung durch rätselhafte Hindeutungen auf gewisse, diesen Knaben betreffende Geheimnisse mit vornehmer Unbesorgtheit von der Hand. Als der Händler Stang, in dessen Umgang sich Thalreuter erst seit kurzem gedrängt hatte, bei Gelegenheit einer ausgedehnten Spazierfahrt zuerst dessen ungemessenen Geldaufwand bemerkte, hielt er sich verpflichtet, der alten Baronin davon Nachricht zu erteilen. Allein die gab ihm ungefähr folgendes zur Antwort: »Der Aufwand meines Jacques wird nur so lange befremdend erscheinen, als noch das Geheimnis über seine Geburt und seinen Stand beobachtet werden muß. Soviel darf ich aber wohl schon jetzt verraten, daß er von sehr hohen Eltern abstammt und mehr Vermögen hat, als er, seiner großen Ausgaben ungeachtet, zu verzehren imstande ist. Er steht jetzt in den jugendlichen Flegeljahren und man muß seine Lebhaftigkeit gewähren lassen, bis sie von selbst ausgetobt hat. Übrigens freut es mich, daß mein Jacques, der bisher nur Bauernjungen und Lohnkutscher zum Umgang gehabt, nunmehr in Ihnen, Herr Stang, einen so guten Gesellschafter und Führer erhalten hat.«

Stang hatte jetzt alle Ursache, sich der guten Kundschaft zu freuen, die sein Galanterieladen an diesem verkappten, jungen Prinzen gewonnen hatte; denn auf nichts weniger als einen Fürstensohn hatte jene Erklärung deutlich genug hingedeutet. Auch konnte nun Stang, außer in seinem Ehrgefühl, keinen besondern Anstand finden, dann und wann Geschenke, die zuweilen mit Gegengeschenken ausgeglichen wurden, von einer reichen, hohen Person anzunehmen und ihr auch bei ihren Lustpartien Gesellschaft zu leisten. Zwischen Thalreuter und Stang knüpfte sich ein ununterbrochener Verkehr an. Jener kam täglich in Stangs Laden oder in dessen Wohnung, und dieser besuchte nicht selten den Thalreuter im Haus seiner Pflegeeltern, die auch ihm, ihres Lieblings wegen, volles freundschaftliches Vertrauen zuwandten. Die Aufführung Thalreuters konnte nicht verfehlen, selbst die Beachtung der städtischen Obrigkeit auf sich zu ziehen. Allein diese vermochte nicht mehr zu tun, als zuzusehen und die Entwicklung abzuwarten, nachdem auch ihr von den Pflegeeltern unter der Hand eine Erklärung gegeben worden war, derjenigen ähnlich, welche Stang von ihnen erhalten hatte.

Wer übrigens jenen Thalreuter und dessen Benehmen sah, wollte nicht recht begreifen, wie hinter diesem tölpelhaften, läppischen, ungeschliffenen Buben, mit seinem ganz gemeinen, ausdruckslosen Gesicht, ein Fürstensohn versteckt sein könne. Stang, der einmal zugegen war, als Thalreuter beim Mittagessen seiner Pflegemutter befahl, ihm seinen auf den Boden gefallenen Löffel wieder aufzuheben, worauf diese, nach wiederholtem Befehl, alsbald willig Gehorsam leistete, konnte sich in seiner Entrüstung über diesen Vorfall nicht enthalten, der Baronin freimütig zu äußern: »Ihr Pflegesohn scheint eher der Junge eines Holzhackers, als der Sohn eines Fürsten zu sein.« Allein die zärtliche Pflegemama sowie der gutmütige Pflegepapa ließen sich nicht durch solche Bemerkungen stören. Sie glaubten zu wissen, woran sie waren, und vertrösteten jeden Zweifler auf die nahe bevorstehende Zeit, wo das Rätsel sich lösen werde. Es löste sich denn auch sehr bald, aber leider zu ihrem Entsetzen.

Thalreuter war dem Lohnkutscher Block an rückständigem Fuhrlohn nach und nach 70 Gulden schuldig geworden. Er hatte ihm versprochen, am Schlusse des Jahres Zahlung zu leisten. Darum suchte Block am 29. oder 30. Dezember seinen Schuldner in einem Wirtshause auf und mahnte ihn an die Erfüllung seines Versprechens. Thalreuter, der bei solchen Gelegenheiten sich sogleich aus dem Gedränge zu helfen wußte, zog einen Wechsel aus der Tasche, den er dem Gläubiger vorzeigte und dazu bemerkte: »Dies ist ein auf mich lautender Wechsel des Advokaten Dr. Schroll über 450 Gulden. Ich kann ihn sogleich bei Gericht bezahlt erhalten und sodann von dieser Summe unfehlbar die schuldige Zahlung leisten.«

Der Lohnkutscher Block, der in dem vorgezeigten Papier nicht nur die Wechselform, sondern auch in der Unterschrift ganz deutlich den Namen des angeblichen Ausstellers erkannt hatte, schöpfte Verdacht und setzte Dr. Schroll davon in Kenntnis. Dieser erschien am 5. Januar 1826 vor dem Stadtgericht mit der Erklärung, daß er nie mit Thalreuter in irgendeinem Verkehr gestanden, am wenigsten jemals ihm einen Wechsel ausgestellt habe, und daß mithin eine Fälschung vorwalten müsse, auf deren Untersuchung er den Antrag stelle.

Diese, gehörig erhobene und durch eidliche Vernehmungen bestätigte Anzeige hatte zuerst eine Haussuchung und am 11. Januar die provisorische Verhaftung Thalreuters zur Folge. Schon in der Frühe des folgenden Tags eilte die Frau von Stromwalter auf das Stadtgericht und bat um baldige Entlassung ihres Pflegesohnes. »Zwar,« sagte sie, »hat er sich an ihr verschiedener Veruntreuungen schuldig gemacht, die sich leicht auf die Summe von 700 Gulden belaufen dürfen. Allein, ich habe ihm diese Vergehen schon längst verziehen. Ich will zwar durchaus nicht, daß er deshalb zur Verantwortung gezogen wird.« Zugleich erklärte sie, für jeden Schaden und Nachteil, den er allenfalls einem Dritten zugefügt haben möchte, mit ihrem ganzen Vermögen haften zu wollen. »Ich habe bereits 700 Gulden für ihn bezahlt. Ich erbiete mich, auch seine neuen Schulden, die sich noch auf einige 100 Gulden belaufen, ohne Widerrede zu tilgen. Das Geschehene bitte ich daher als nicht geschehen zu betrachten.«

Doch die Staunen erregenden Bekenntnisse, die Thalreuter sogleich in seinem summarischen Verhör abgelegt hatte, bewogen einige Tage nachher zuerst die Baronin, dann ihren Gemahl, einen ganz anderen Ton anzustimmen. Sie stellten sich als Unglückliche dar, die erst durch ihren Sturz in einen tiefen Abgrund, an dessen Rand sie eine Weile geschlafen, aus ihren Träumen erwachen. »Wir haben,« dies war der kurze Inhalt ihrer Erklärung, »bisher nicht anders geglaubt, als daß Thalreuter ein Sohn des regierenden Herzogs ist. Nun aber hat er selbst gestanden, daß wir durch seine falschen Vorspiegelungen auf das schändlichste hintergangen wurden. Von ihm, den wir wie unser eigenes Kind erzogen, sind wir um Ehre, Hab und Gut betrogen und an den Bettelstab gebracht. Wir begeben uns daher aller unserer pflegeelterlichen Pflichten und überlassen ihn dem Gericht und seinem verdienten Schicksal.«

Jacques Thalreuter, katholischer Religion, war der uneheliche Sohn des Obristleutnants von Rescher und der Tochter eines Zollbeamten, Barbara Thalreuter. Am 10. September 1809 wurde er zu Landshut geboren und von seinem Vater anerkannt. Noch in demselben Jahre starb seine Mutter. Als er drei Jahre alt war, mußte auch der Vater ihn verlassen, um den russischen Feldzug mitzumachen. Der alte, damals schon pensionierte Stadtgerichts-Assessor, Baron von Stromwalter, war des Vaters Freund, und nahm sich mit Erlaubnis seiner Gemahlin des verlassenen Kleinen an. So kam Thalreuter schon als Kind in diese Familie, von der er, nachdem sein Vater in Rußland geblieben war, wie ein leiblicher Sohn betrachtet und behandelt wurde, obgleich Baron von Stromwalter von seiner Frau noch zwei Kinder am Leben hatte. Eine verheiratete Tochter und einen Sohn, der zur Zeit dieser Untersuchung als Leutnant in Königlichen Diensten stand.

Im Hause Stromwalter war die Frau Baronin das allein gebietende Oberhaupt. Der Gemahl, ein gutmütiger, schwacher, geistig beschränkter Mann, gehörte zu dem dienenden, leidenden Teile der Hausgenossenschaft. Er wußte von nichts, als was ihm die Gemahlin zu wissen erlaubte. Er wurde zu keinem Geschäfte beigezogen, außer wo es allenfalls, um einer Form zu genügen, der Mitunterschrift seines Namens bedurfte, die dann, wie sich versteht, niemals verweigert wurde. Die Frau Baronin verfügte ausschließlich über alle Hausangelegenheiten sowie über die Verwaltung des Vermögens, das ohnehin fast ganz ihr gehörte. Es bestand, außer der sehr unbedeutenden Pension ihres Mannes, aus Kapitalien von ungefähr 11 000 Gulden, weiter aus einem kleinen Landgut, Schwaig genannt, und einigen Grundzinsen und Zehntrechten, wovon aber mehrere Schulden in Abzug kamen. Wie wenig man den alten Baron in seinem Haus als eine eigentliche Person betrachtete, ergibt sich schon daraus, daß Briefe an seine Adresse von der Gemahlin geöffnet und beantwortet wurden. Diese pflegte denn auch ihren Gemahl, wenn sie von ihm zu einem Dritten sprach, nicht anders als verächtlich, kalt mit den Worten »der Assessor« zu bezeichnen.

Die Baronin faßte frühzeitig für den lebhaften Knaben eine unbegreifliche Affenliebe. Die Mama ergötzte sich an den liebenswürdigen Schelmereien des losen Knaben. Ungezogenheiten galten für Artigkeiten, Bubenstücke für unschuldige Kindereien, und die, dem jugendlichen Alter so natürliche, aber wird sie nicht durch strenge Zucht bei Zeiten gebändigt, für das Gemüt grundverderbliche Lügenhaftigkeit wurde als Ausbruch eines begabten, früh heranreifenden Genies gefällig aufgenommen. Die Pflegeeltern wohnten bis in die letzten Jahre auf ihrem Landgute Schwaig. Bauernjungen und Bauernknechte waren daher des Knaben einzige Spielgenossen. So hatte der verzärtelte, verhätschelte Bube nichts vor Augen als das alltägliche Beispiel pöbelhafter Roheit, unedler Sitten und gemeiner Denkungsart.

Die Pflegemutter schickte ihn in die katholische Schule, wo er sich still und fleißig soll erwiesen haben. Späterhin erhielt er, zum Soldatenstande bestimmt, wenigstens nach der Versicherung seiner Pflegeeltern, Unterricht in der französischen Sprache, im Zeichnen und in der Mathematik. Allein, nach aktenmäßigen Tatsachen zeigt sich an diesem Menschen auch nicht der leichteste Anflug wissenschaftlicher Bildung und edler Kenntnisse oder Fertigkeiten. Er schreibt eine schlechte Hand, macht die gröbsten Fehler wider die Rechtschreibung, und der Stil seiner Aufsätze ist der eines unbeholfenen Anfängers. Was indessen bei einem Knaben von 15 bis 16 Jahren billig die Richter in Verwunderung setzte, war, nebst bedeutenden Geschäftskenntnissen hinsichtlich der meisten Gegenstände des Geld- und Handelsverkehrs, ein unerschöpflich reiches Talent in Erfindung der mannigfaltigsten, höchst verwickelten, bis zur kleinsten Einzelheit durchgeführten, auf das glaubwürdigste zusammengesetzten Lügen, verbunden mit einem umfassenden, äußerst treuen Gedächtnisse, der unentbehrlichen Grundlage des Lügentalents, wenn sich dasselbe im Leben zur Erreichung bestimmter Zwecke geltend machen will.

Je mehr der Knabe zum Jünglingsalter heranreifte, desto mehr befestigte er sich in der Herrschaft über diejenigen, die ihm von Jugend auf nur zu Gefallen gelebt und seinem Willen gedient hatten. Mit der Pflegemutter lebte er auf dem Fuße höchster Vertraulichkeit, übrigens von seiner Seite aus ohne Achtung, ohne Liebe und ohne Dankbarkeit. Er hielt zu ihr, als zu derjenigen Person im Haus, die allein über die Mittel zu gebieten hatte, deren er zur Befriedigung seiner Gelüste bedurfte. Denn die Mama ließ es an nichts fehlen, was nur immer dienen mochte, ihren Liebling zu erfreuen. Für seine Ausflüge und Lustpartien wurde ebenso gern ihre Kasse geöffnet, als wenn es galt, Schulden für ihn zu bezahlen oder mutwillig gestifteten Schaden zu vergüten. Für ihn war nichts im Hause verschlossen, kein Zimmer, kein Behältnis. Selbst zu dem Schrank, in dem die Baronin ihre Gelder verwahrte, hatte dieser Junge vollkommen freie Hand. So wurde er durch blinde Affenliebe der Pflegemutter unumschränkter Herr ihrer Person und ihres Vermögens.

»Er machte«, wie sich ein Zeuge ausdrückt, »mit der Baronin, was er nur wollte. Bald im Guten, bald durch Grobheiten. Sie ließ sich stets ungeahndet alles gefallen. Wenn gewisse, ganz unglaubliche Andeutungen auf ein geheimeres Verhältnis zwischen ihr, der 59 jährigen Pflegemutter und ihm, dem 15 jährigen Pflegesohn nicht bloß auf bösartiger Vermutung beruhen, mußte sie sich allerdings alles gefallen lassen. Seinen Pflegevater nannte er niemals anders als mit Schimpfnamen. Er überhäufte ihn in meiner Gegenwart mit den herabwürdigendsten Schmähungen. Er mißhandelte ihn sogar mit Schlägen, wie ich es gesehen habe. Auf dem Gute zu Schwaig sperrte er ihn einst in den Taubenschlag. Dann rief er alle Bauernjungen des Dorfes herbei. Er gab vor, ihnen eine ganz neue Art girrender Tauber zeigen zu wollen. Ein andermal trieb er seine Verruchtheit so weit, ihn in einen Schweinestall zu stecken und ihn der ganzen Dorfjugend als Schweinseber vorzustellen.«

Thalreuter bediente sich der Freiheiten, die ihm die zärtliche Mama verstattete, nicht bloß dazu, auf ihre Kosten bedeutende Schulden zu machen, die gern bezahlt wurden, sondern sie auf das ärgste zu bestehlen. Er schleppte ihr eine Menge Sachen heimlich aus dem Hause. Überdies entwendete er aus ihrem Schreibschrank, dessen Schlüssel ihm zugänglich war, von einem für umgesetzte Staatspapiere eingenommenen baren Geldvorrat von 4000 Gulden nach und nach in kurzen Zwischenräumen die beträchtliche Summe von nicht weniger als 700 Gulden. Als Mama diesen bedeutenden Abgang endlich bemerkte, ließ sie dem lieben Pflegling anfangs, so gut sie konnte, ihren ganzen Unwillen fühlen. Bald jedoch verzieh sie ihm diesen kleinen Jugendstreich. Vermutlich gebrauchte sie fortan nur die Vorsicht, ihren Büroschlüssel besser als bisher zu verwahren. Dieser Umstand, wahrscheinlicher jedoch die Überlegung, daß er mit Diebereien immer nur verhältnismäßig kleine Geldsümmchen auf einmal erwerben könne, gab ihm den Gedanken an einen größeren und zugleich lustigeren Plan, vermöge dessen seine Pflegeeltern dahin gebracht würden, ihm von freien Stücken bedeutende Summen zur Verfügung zu stellen, und so nach und nach ihr ganzes Vermögen für seine Verschwendungen auszuliefern.

Im Anfang des Sommers 1825 ließ Thalreuter gegenüber seinen Pflegeeltern erst ziemlich dunkle, dann verständlichere Worte über seine Geburt fallen, die ihn zu etwas ganz anderem gemacht habe, als er äußerlich scheine. Sein neugieriger Pflegevater wurde kurzweg mit der Erklärung abgefertigt, er, Thalreuter, sei eines Grafen Sohn. Der Mama hingegen schloß er in einer vertraulichen Stunde die innere Schatzkammer seines großen Geheimnisses auf. Unter Freudentränen machte er ihr die Entdeckung, daß er ein Sohn des regierenden Herzogs sei. Seinem Vater sei früher ein Sohn durch Gift aus der Welt geschafft worden. Damit dies aber nicht auch bei ihm geschehe, habe ihn der Herzog gleich nach seiner Geburt auf die Seite gebracht und den Obristleutnant von Rescher, einen seiner vertrautesten Günstlinge, dazu ausersehen, die Erziehung seines zweiten Sohnes zu übernehmen. Darum habe sich von Rescher selbst für seinen Vater ausgegeben und das tiefste Geheimnis beobachten müssen. Dabei erzählte er noch vieles andere mit der größten Umständlichkeit. Er sprach von einem Grafen von Rosenthal und mit besonderer Rührung von einem angeblichen Obristleutnant von Hautbing. Der sei einer in das Geheimnis eingeweihten herzoglichen Günstlinge. Der ist es, der ihn auch mit seiner wahren Abstammung bekannt gemacht habe.

So unglaublich die ganze Erzählung war und die mit allem, was die Stromwalter von Thalreuter wußten, und worüber sie vollkommen beweisende Urkunden in Händen hatte, in dem grellsten Widerspruche stand, so entsprach gleichwohl dieser Roman allzusehr der Eitelkeit dieser greisen Schwachköpfe und dem Wunsch nach einer Verbesserung ihrer beschränkten Vermögensverhältnisse, als daß sie nicht die bereitwilligste Geneigtheit in sich gefunden hätten, recht bald von der Wahrheit des Vorgebens überzeugt zu werden.

Hieran ließ es denn auch die Erfindungsgabe Thalreuters nicht fehlen. Es kamen von Zeit zu Zeit Briefe, die Thalreuter selbst überbrachte. Bald waren sie von dem angeblichen Herrn von Hautbing, bald von dem angeblichen, durchlauchtigen Vater, dem Herzog selbst. Entweder waren sie an den Herrn oder an die Frau von Stromwalter gerichtet. Da wurde bald für die pflegeelterliche Sorgfalt gedankt, bald wurden 10 000 Dukaten nebst anderen goldenen Bergen zur Belohnung versprochen, bald die nahe Ankunft Sr. Durchlaucht gemeldet, welche dann ihren lieben Jacques den guten Pflegeeltern entführen werde. Das eine Mal kündigte Herr von Hautbing Geldsendungen an. Das andere Mal wurden glaubwürdige Entschuldigungen angeführt, warum die Geldsendung noch nicht habe eintreffen können. Sie werde aber nächstens erfolgen. Alle diese Briefe, deren wohl 20 allein von Sr. Durchlaucht eintrafen, waren so schlechte Papierwische, so unleserlich gekritzelt, daß selbst ein Schulknabe die plumpe Fälschung auf den ersten Blick hätte erkennen müssen. Allein die Unleserlichkeit dieser Schreiben verschaffte dem jungen Thalreuter den Vorteil, daß er dieselben seinen neugierigen Pflegeeltern immer selbst vorlesen mußte, wodurch er Gelegenheit bekam, jeden allenfalls aufblitzenden Zweifelsfunken durch seine Anmerkungen auf der Stelle niederzutreten. Nicht lange, so erschien auch Thalreuter mit einem kostbaren Geschenk, im Namen seines herzoglichen Vaters, für die liebe Pflegemama. Es waren sechs Gehänge schöner, großer Perlen, die nicht sowohl als Putz, als wegen ihres vermutlichen Wertes, der von Geldverlegenheit schon damals hart bedrängten Frau von Stromwalter sehr zustatten kamen. An der Untersuchung ihrer Echtheit durch Sachverständige wußte Thalreuter sowohl seine Pflegeeltern, als auch die Personen, die sie in Versatz zu nehmen bereit waren, besonders durch das Vorgeben zu verhindern, daß solch ein Verfahren seinen Herrn Vater auf das schwerste beleidigen müsse. Jener Schmuck hatte wirklich das Ansehen orientalischer Perlen. Er wurde bei verschiedenen Personen für mehrere 100 Gulden zum Pfand eingesetzt. Was erst durch gegenwärtige, peinliche Untersuchung entdeckt wurde, nämlich, daß Thalreuter die Kette mit gestohlenem Geld in Stangs Galanterieladen, die Schnur um 1 Gulden 30 Kreuzer erkauft hatte, blieb den hintergangenen Tröpfen fortwährend ein Geheimnis. Ein kleines Schmuckkästchen mit Ohrenringen, ebenfalls ein angebliches Geschenk des Herzogs und gleichfalls mit Stromwalterischem Gelde im Galanterieladen gekauft, hätte den Glauben an die Durchlauchtigkeit des Pflegesohnes noch mehr bestärken müssen, wenn jener Glaube nicht ohnehin schon felsenfest gestanden hätte. Thalreuters unerschöpfliches Lügengenie wußte überdies die Leichtgläubigkeit der beiden Alten durch stets neue Erfindungen im Taumel zu erhalten. Bald zeigte er ihnen das Gemälde eines mit Orden gezierten Offiziers als Bildnis des Herzogs vor, bald brachte er Landschaftsgemälde in das Haus, von denen er versicherte, dies seien die Landgüter, die der Herzog seinen Pflegeeltern zur Belohnung gekauft habe. Als eines Tages Mama nach Hause kam, eilte ihr Thalreuter mit den Worten entgegen: »Fatal, daß weder du noch der Assessor zu Haus gewesen. Denn endlich habe ich meinen durchlauchtigen Vater gesehen. Er ist mit vier Pferden angefahren gekommen. Er hat euch zu sprechen gewünscht. Aber er konnte nicht länger warten. Er ist genötigt gewesen, sogleich wieder abzureisen.« Ein andermal meldete Thalreuter dem alten Herrn von Stromwalter: Herr von Hautbing, der im Gasthaus zum Schwanen logiere, wünsche ihn diesen Abend zu sprechen. Zugleich übergab er demselben ein Billet, worin Baron Stromwalter von Herrn von Hautbing auf eine Boutaille Champagner freundschaftlich eingeladen wurde. Der arme Alte glaubte nichts besseres zu tun, als sich in seine Gala zu werfen, um den Abgesandten des Herzogs seine schuldige Ehrfurcht zu bezeugen. Aber noch hatte die bestimmte Stunde nicht geschlagen, als Thalreuter, angeblich aus dem Schwanen, unter vielen Empfehlungen und Entschuldigungen, die Nachricht brachte: »Herr von Hautbing hat schleunigst in wichtigen Geschäften wieder abreisen müssen.«

So luftig und durchsichtig auch dieser Lügenbau für jedes halbgesunde Auge sein mochte, so diente er doch den Stromwalterischen Ehegatten gegenüber als ein fester Grund, auf welchem Thalreuter mit dem glücklichsten Erfolg weiter fortbaute. Es war ihm nicht genug, daß er als verkappter Prinz womöglich mit noch mehr Nachsicht und Ergebenheit behandelt und noch freigebiger in seinen Ausschweifungen unterstützt wurde. Bald nachdem er das Herzogsspiel angefangen hatte, welches fast ebenso schnell gewonnen als begonnen war, machte er seinen Pflegeeltern, insbesondere der Mama, geheimnisvoll und unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit, die Eröffnung: die von Wallerische Familie, ein sehr bekanntes, angesehenes und reiches Haus der Stadt, beabsichtige eine eheliche Verbindung zwischen Fräulein von Waller und dem Leutnant von Stromwalter. Die Sache sei schon sehr weit gediehen. Das Verlöbnis sei bereits geschlossen. Bald werde alles ins reine kommen. Herr von Waller, der in derselben Stadt lebte, hatte nun zwar ebensowenig gegen Herrn und Frau von Stromwalter, als der Sohn gegen seine Eltern jemals das mindeste geäußert, was auch nur von ferne auf einen Gedanken an eine solche Heirat hätte gedeutet werden können. Beide Familien standen von jeher fern voneinander. Sie waren sich beinahe völlig fremd. Die von Wallerische Familie hatte, als Thalreuter diese Neuigkeit auskramte, auch nicht den kleinsten Schritt zu irgendeiner, wenn auch nur gleichgültigen Annäherung getan. Allein Thalreuter versicherte, das sei eben das Seltsame bei diesem Handel. Wenn daraus etwas werden solle, müsse das Ganze ebenso behandelt werden, als wenn nichts daran sei. Papa und Mama sollten, dies sei ja der Plan des Herrn von Waller, mit dieser Verbindung überrascht werden. Die einfältigen Alten glaubten an diese Lügen um so mehr, als bald der Herzog, bald Herr von Hautbing in ihren von Thalreuter geschmiedeten Briefen nicht verfehlten, dem Herrn von Stromwalter oder seiner Gemahlin zu der vorteilhaften Verbindung zwischen ihrem Sohn und Fräulein von Waller Glück zu wünschen. Nun war Thalreuter an seinem Ziel.

Der Mama wurde bald die Eröffnung gemacht, für ihren Sohn, den Herrn Leutnant, müsse nunmehr die Heiratskaution im Betrag von 10 000 Gulden bei der Militärkasse hinterlegt werden. Sein Herr Vater, der Herzog, werde den größten Teil dieser Summe übernehmen und erwarte von den Eltern nur den kleinen Betrag von einigen tausend Gulden. Thalreuter sei beauftragt, die Gelder in Empfang zu nehmen und das Nötige zu besorgen. Unbedenklich wurden dem Buben von der über die nahe bevorstehende Heirat ihres Sohnes wunderseligen Mama 2700 Gulden zum Zweck der Heiratskaution eingehändigt. Die wurden dann auf die oben beschriebene Weise mit vollen Händen verschwendet und verpraßt.

Nicht lange nachher meldete Thalreuter: Leutnant von Stromwalter habe das Unglück gehabt, wegen demagogischer Umtriebe in Verhaft genommen worden zu sein. Seine Entlassung aus dem Gefängnis sei nur durch Stellung einer Kaution von 1000 Gulden zu erwirken. Und, ohne sich zu besinnen, übergab die betrübte, geängstigte Mama dem Prinzen nochmals 1000 Gulden, um ihren Sohn aus der Gefangenschaft zu erlösen. Bald darauf brachte er die Nachricht, der junge Leutnant von Stromwalter befinde sich in den drückendsten Geldverlegenheiten. Es sei augenblickliche Hilfe nötig. Und die zärtliche Mutter verkaufte eiligst ein Sofa, einen Schreibtisch und mehrere Sessel, um die erforderliche Summe dem Thalreuter einzuhändigen.

Ein neues, noch weit ernstlicheres Bedrängnis des Leutnant, an welchem, wurde es nicht so schnell als möglich gehoben, das schon nahe zum Ziel vorgerückte Heiratsgeschäft auf einmal scheitern konnte, setzte die Mutter in Angst und ihre Kasse von neuem in Besteuerung. Ein Mädchen, das sich, nach Thalreuters Versicherung, von dem Leutnant in guter Hoffnung befand, mußte, damit der von Wallerischen Familie nichts davon zu Ohren komme, durch genügende Entschädigung schleunigst zufrieden gestellt werden. Auch diese Erfindung trug unserem Thalreuter mehrere 100 Gulden ein. Ein andermal wurde Geld erpreßt unter dem Vorwand, daß ein Hochzeitschmuck für des Sohnes Braut angeschafft werden müsse. Des Leutnants vorgebliche Heirat diente sogar zum Mittel, seinen Pflegeeltern mancherlei Hausrat, Sessel, Kanapee, Tisch, Schrank, das zur Hauseinrichtung der jungen Brautleute bestimmt sein sollte, fortzuschaffen und, wie sich versteht, für eigene Rechnung zu verkaufen. Man wird fragen, ob denn nicht dem einen oder anderen der von Stromwalterischen Eheleute einmal der Gedanke gekommen sei, der von Wallerischen Familie einen Besuch zu machen, um bei dieser wenigstens leise, bezüglich jener Heirat, zu sondieren? Der alte Herr von Stromwalter machte wirklich einmal Miene, als wolle er deshalb Herrn von Waller besuchen. Allein Thalreuter bot seine ganze Beredsamkeit dagegen auf und wußte die Gefahren, womit ein solcher Schritt den ganzen Heiratsplan bedrohe, so nachdrücklich auszumalen, daß der schwachsinnige Alte sein Vorhaben wieder aufgab und sich von nun dem Wort und der weisen Vorsicht seines Pflegesohnes mit blindem Vertrauen fügte. Stand denn aber der Sohn so ganz außer allem Verkehr mit seinen Eltern, daß diesen niemals einfiel, jenem über seine Heirat ein Wörtchen zu schreiben oder eine kleine Frage vorzulegen? Mußten denn nicht die Eltern dringenden Verdacht schöpfen, wenn der Sohn in seinen Briefen über so viele wichtige Dinge, über seine bevorstehende Heirat, seine zu bestellende oder schon bestellte Heiratsauktion, seine Gefangenschaft, seine Schwängerungsgeschichte, seine Geldbedrängnisse, über die ihm zugesendeten Gelder kein, auch nur andeutendes Wörtchen fallen ließ? Thalreuter sorgte auch dafür. Er unterschlug Briefe der Eltern an den Sohn und des Sohnes an die Eltern. Er schrieb, im Namen und Auftrag der Mutter, seiner Absicht entsprechende Briefe an ihn, deren Inhalt von ihr, ohne daß sie dieselben zuvor gelesen hätte, durch Beifügung einiger Zeilen von ihrer Hand bekräftigt wurde. Ein Brief des Leutnants, der seiner Mutter das bis zu ihm gedrungene Gerücht von Thalreuters unerhörten Verschwendungen warnend meldete und in dem er sie bat, ihm über die Wahrheit oder Unwahrheit jenes Gerüchts Nachricht zu geben, war, trotz Thalreuters Vorsicht, in seiner Gegenwart der Frau von Stromwalter überreicht worden. Kaum erkannte der des Sohnes Handschrift, so riß er den Brief der Mutter hinweg. Im Auftrag der Mutter schickte er nun eine Antwort, die darin bestand, daß er, unter höhnenden Vorwürfen wegen der Warnung, das Märchen seiner hohen Geburt auch dem Sohn eröffnete. Frau von Stromwalter, die gleichwohl diesen Brief nicht lesen durfte, fügte die Worte bei: »Dies sagt Deine Dich liebende, staunende Mutter. Sie freut sich, in Gesellschaft von Jacques Vater bald nach dort zu kommen, wo sie ihren lieben Sohn umarmen kann.« So war nun auch der Sohn mit Hilfe seiner eigenen Mutter betrogen. Thalreuter verfehlte nicht, ihn durch mehrere, von Zeit zu Zeit an ihn erlassene Briefe in gutem Glauben und in stets gespannter Erwartung zu erhalten. Einer der kürzesten Briefe mag hier als Probe der Denkweise und Schreibart dieses frühreifen Bösewichts dienen:

 

»Durch ein Schreiben meines Herrn Vaters erhielt ich sogleich den Auftrag an meinen Pflegebruder, dem Herrn Leutnant von Stromwalter, zu melden, daß binnen drei Wochen Ihre Frau Mutter nebst meinem Vater zu Ihnen kommt, um vor Euer Gnaden seine Aufwartung zu machen. Mir hinterließ er den Auftrag zu erforschen, was Sie sich als ein Geschenk wünschen für die vielen Unterstützungen des im Hause habenden elenden Purschen. Doch keine Ringe wählen sich Euer Gnaden nicht, da solche so erfolchen werden. Er selbst sagte nicht, daß ich schreiben soll, sondern bloß erforschen soll. Die Mutter laßt Euer Gnaden grüßen, sowie der untertänigste Pursche bald um Nachricht bittet. Der elende Pursche empfiehlt sich dero Gnade.

von Rescher.«

 

Die gewaltigen Ausgaben, die Verschwendungen und Betrügereien Thalreuters notwendig machten, wurden von der Pflegemutter bald durch den Verkauf von Staatspapieren, bald durch aufgenommene Darlehen, bald durch Vertrödlung oder Versatz von Schmuck und Hausrat bestritten. Außerdem übte Thalreuter folgende Methode, sich, gleichsam nur zum Spaß, auf Kosten seiner Pflegeeltern bedeutende Summen zu verschaffen. Er legte ihnen einen Zettel vor, dessen Schrift er mit seiner Hand oder mit einem Buch verdeckte, und erbat sich von ihnen ihre gefällige Unterschrift nebst Beidrückung ihres Siegels. Es sei dies nur ein kleiner Scherz. Er bedürfe der Namensunterschrift unter diesem Papierchen, um der Mama oder dem Papa oder beiden eine recht große Freude im Stillen zu bereiten. Und hierauf wurden ohne weiteres die vorgelegten Papiere unterschrieben und besiegelt. Es waren dieses aber, wie erst die gegenwärtige peinliche Untersuchung ergab, Wechsel über 50 oder 64, 200 oder 275 Gulden, deren Auszahlung sich Thalreuter alsbald zu verschaffen wußte. In dem Stromwalterischen Hause gab es überdies von allen nicht niet- und nagelfesten Dingen keines, das nicht, so bald es dem Pflegesohn anstand, entweder heimlich durch Diebstahl oder offen mittelst Betrugs, auf die Seite geschafft und entweder verkauft oder verschenkt worden wäre. Hausrat aller Art, Sessel und Schreibtische, Silbergeschirr, Kupfersachen, zinnerne Schüsseln und Teller, Glaswaren, Kleider und Bettstücke, Bilder, Uhren, Dosen, Perspektive, Kessel, Wärmflaschen bis auf eine Mäusefalle, werden in dem, von ihm selbst zu den Akten diktierten, langen Verzeichnis entwendeter oder betrüglich weggeschaffter Sachen aufgeführt. Wollte er jemand mit der alten Cremoneser Geige seines Pflegevaters ein Geschenk machen, so war es der Obristleutnant von Hautbing, der darauf zu spielen wünschte. Hatte er auf eine kupferne Wärmflasche sein Auge geworfen, so litt Fräulein von Waller an heftigen Krämpfen. Der geheimen Braut des Sohns mußte dieselbe zur schleunigen Hilfe verabfolgt werden. Nachdem er auf solche Weise seine Pflegeeltern bereits um ihr Geld gebracht hatte, wurde auch noch ihr unbewegliches Gut von ihm in den Wind geschleudert. Seine Pflegemutter beredete er, ihr kleines Landgut Schwaig zu veräußern. Er gab vor, der Kauf werde nur zum Schein geschlossen werden. Hinter dem Kaufliebhaber sei Herr von Waller als wahrer Käufer versteckt, der Schwaig seinem Fräulein Tochter als Heiratsgut mitzugeben beschlossen habe. Der Verkauf kam wirklich zustande. Von den wenigen 1000 Gulden Kaufgeld, ging das allermeiste für Bezahlung von Schulden drauf. Und von dem der Verkäuferin übrigbleibenden Restchen, nahm Thalreuter 650 Gulden für sich, angeblich um dem Leutnant von Stromwalter abermals aus einer Verlegenheit zu helfen. Noch besaß die alte Pflegemutter ein Zehntrecht, einige Erbzinsrechte und dergleichen. Auch diese wurden bald nachher verkauft. Die wenigen 100 Gulden, die nach Abzug der Schulden in die Hände der Verkäuferin kamen, wurden dem Thalreuter ebenfalls überliefert. Die oft wiederkehrende Notwendigkeit, Geld zu borgen oder auf Pfänder zu leihen, zeigte fühlbar den bereits hilflosen Zustand. Allein Thalreuter, gleich einem Finanzminister, der liebe und getreue Landstände durch ein künstliches Budget zu beruhigen hat, versicherte seiner Pflegemama, daß ihr Vermögen nie in schönerer Blüte gestanden als eben jetzt. Er lieferte auch dafür den anschaulichsten Beweis. Er entwarf ihr ein genaues Verzeichnis ihrer Besitztümer, in dem unter andern das schon verkaufte Gut Schwaig sowie die von dem Herzog versprochenen 10 000 Dukaten unter den baren Aktiven mit vorkamen, und woraus sich am Schluß klar ergab, daß das Stromwalterische Vermögen noch auf etwas mehr als 70 000 Gulden zu berechnen sei. Eine Entdeckung, die der guten Mama zur größten Beruhigung und Freude gereichte.

Den letzten und wohl den ärgsten Streich spielte der undankbare Bösewicht seinen unglücklichen Pflegeeltern, indem er ihnen bloß auf sein Wort glauben machte, sein durchlauchtiger Herr Vater habe nunmehr ein Palais gekauft, das den von Stromwalterischen für ihre Lebenszeit zur unentgeltlichen Bewohnung eingeräumt sei. Ohne sich nach diesem Palais ein wenig umzusehen, kündigten die kindischen Alten, in der Freude ihres Herzens, sogleich ihre Mietwohnung im voraus auf und sahen der bevorstehenden Lichtmesse, wo der Knoten sich auf einmal zu ihrem Glücke lösen werde, mit heiterer Sehnsucht entgegen. Unterdessen besorgte Thalreuter, der nun durch diese Lüge seine Pflegeeltern sogar um ihr Obdach betrogen hatte, einstweilen einen Teil des Auszugs, unter dem Vorgeben, das Palais vorderhand mit einigem Hausrat auszustatten. Er ließ von den wenigen noch übrigen Möbeln ein mit gelber Seide bezogenes Sofa und sechs dazu gehörige Stühle aus dem Hause forttragen, die dann alsbald, wie wir dem Leser kaum noch zu sagen brauchen, in der Bude eines Trödlers den Ort ihrer Bestimmung fanden.

Erst einige Tage nach Thalreuters Verhaftung fiel, wie bereits oben angehört, den betörten Alten die Zauberbinde der Verblendung von den Augen. Indessen blitzte noch immer, selbst bis zum Schluß der Untersuchung, von Zeit zu Zeit die Hoffnung in ihnen auf, daß die fühlbare Wirklichkeit am Ende doch vielleicht nur eine Täuschung sein möge, und daß der Herzog endlich doch noch als ein Deus ex machina unvermutet erscheinen könne, um sein Söhnchen aus der Gefangenschaft und sie selbst aus ihrer Not zu erlösen.

Thalreuter gestand mit der gleichmütigsten Offenheit, aber ohne Reue, wie ohne Teilnahme an dem Schicksal seiner durch ihn in das Verderben gestürzten, alten Pflegeeltern sowohl die Verfertigung des falschen Wechsels auf Dr. Schroll und eines, jedoch nicht zum Zweck der Auszahlung geschriebenen, falschen Bankscheins über 450 Gulden, sondern auch die lange Reihe zahlloser Entwendungen, Unterschlagungen und Betrügereien, die er alle an seinen Pflegeeltern ausgeübt hatte. Der Betrag der zuletzt ausgeführten Verbrechen konnte nicht genau ausgemittelt werden. Thalreuter, so vortrefflich sich sonst sein Gedächtnis zeigte, hatte begreiflicherweise über seine einzelnen Geschäfte nicht Buch und Rechnung gehalten. Der alte Herr von Stromwalter wußte über die Angelegenheiten seines Hausstandes gar keine Auskunft zu geben und berief sich auf das bessere Wissen seiner Gemahlin. Diese Gemahlin aber, die ihrem Jacques alles blindlings preisgegeben hatte, vermochte sich ebenfalls nur auf ihr schwaches Gedächtnis ganz im allgemeinen zu beziehen. Indessen kann der Betrag dessen, was Thalreuter ungefähr binnen eines Jahres durch Diebstahl, Unterschlagung oder Betrug an sich brachte, auf die Summe zwischen 6000 bis 8000 Gulden angeschlagen werden.

Das Gewebe so vieler mannigfaltig zusammengesetzter, so lange Zeit und mit solchem Erfolg durchgeführter Betrügereien, wie sie Thalreuter schon in seinem ersten Verhöre eingestanden hatte, schien für einen 15jährigen Knaben, zwei bejahrten Leuten von Stand und Bildung gegenüber, eine allzu schwere Aufgabe, als daß sie ihm ganz allein zugetraut werden konnte. Alles, namentlich das Herzogsmärchen, die Hochzeitsfabel, die vielen Briefe, der falsche Wechsel, das alles deutete auf Anstifter, Ratgeber, Gehilfen und andere Teilnehmer. Thalreuter kam denn auch, mit derselben scheinbaren Offenheit, womit er seine eigenen Verbrechen bekannte, in diesem Punkte allen Fragen des Untersuchungsrichters bereitwilligst zuvor. Der Galanteriewarenhändler Stand, so versicherte er, sei der Anstifter und Genosse aller seiner Verbrechen. Dieser habe ihm zur Fertigung der falschen Urkunden die Anleitung gegeben. Den falschen Bankschein habe Stang diktiert und mit dem königlichen Siegel versehen. Zu allen Betrügereien an seinen Pflegeeltern habe Stang den Plan entworfen und an deren Ausführung mitgewirkt. So sei er einst mit Orden geziert, in einer glänzenden Uniform, bei seinen Pflegeeltern erschienen und habe sich für einen Abgesandten seines angeblichen Vaters ausgegeben. Ein beträchtlicher Teil des durch Betrug gewonnenen Geldes sei diesem Stang zugewendet worden, der dafür Waren gekauft und dadurch sein Handelsgeschäft bedeutend erweitert habe. Auch seien ihm viele seinen Pflegeeltern entwendeten oder mit List abgenommenen Sachen zugute gekommen. Aber mit diesen Beschuldigungen war es noch nicht genug. Stang wurde als ein berufsmäßiger Betrüger und Fälscher geschildert, als ein Mensch, der mit der Verfertigung falscher Wechsel, falscher Frankfurter Lotterielose, Staatspapiere und der gleichen ein förmliches Gewerbe treibe. Überdies halte er auch, mit falscher Münzprobe versehene, scheinbare Silberwaren für echt in seinem Laden feil. Alles dies wurde nicht etwa bloß im allgemeinen angegeben, sondern in weitläufigen Erzählungen mit einer Menge bestimmter Tatsachen belegt. So wurde eine lange Reihe von Stang verfertigter falscher Wechsel aufgeführt, und bei jedem der angebliche Aussteller, das Haus, worauf er ausgestellt, der Ort wo, die Person an welche und die Zeit wann er ausgestellt oder verhandelt worden, genau bezeichnet und alles dies zum Teil noch mit so manchen Nebenumständen begleitet, daß man eher an dem Leuchten des Sonnenlichts als an der Wahrheit dieser Angaben hätte zweifeln mögen. In jedem neuen Verhör wurden diese Anklagen, so wie angeblich das Gedächtnis Thalreuters nach und nach immer mehr erwachte, entweder mit neuen Tatsachen verstärkt oder mit neuen Beschuldigungen vermehrt. Unter anderm versicherte sogar Thalreuter, Stang habe, um der versiegenden Quelle des von Stromwalterischen Geldes einen ergiebigen Zufluß zu verschaffen, den Plan entworfen, den reichen Bruder der Frau von Stromwalter mit Gift aus der Welt zu schaffen. Stang habe schon das Gift hierzu bereitet. Er verwahre dasselbe an einem bestimmten Ort in der Flasche.

Stang, verheiratet, Vater einiger Kinder, gehörte nicht so eigentlich zu den Personen, deren man sich solcher Taten wohl versehen kann. Er nährte sich ehrlich, wie seine Mitbürger nicht anders wußten, von seinem Geschäft als Galanteriewarenhändler, das durch Sparsamkeit, Fleiß und Geschicklichkeit einen ansehnlichen Umfang gewonnen hatte und hinreichte, ihm und seiner Familie anständigen Unterhalt zu gewähren. Allein auf seinem früheren Leben, vor Einrichtung des Galanterieladens, der erst seit einigen Jahren bestand, lagen einige bedenkliche Schatten. Anfangs war er Schneider. Dann trat er als Bedienter in den Dienst eines Kaufmanns, der ihn nach einiger Zeit wieder entließ und ihm nur ein ziemlich zweideutiges Sittenzeugnis geben konnte. Darauf reiste er als sogenannter mechanischer Künstler oder Taschenspieler im Lande umher. Aktenmäßig und stadtkundig war es, daß Thalreuter mit Stang in täglichem Umgang gelebt, dieser an den Schwelgereien jenes nicht geringen Anteil genommen und in dem Hause des von Stromwalter ebenfalls gewissermaßen den Herrn gespielt hatte. Da es nun überdies ganz unmöglich schien, daß ein 15jähriger Bube alles oben Erzählte bloß aus seinem eigenen Kopfe geschöpft und ganz auf seine eigene Hand, ohne fremde Mitwirkung, ausgeführt habe, so waren in der Anzeige des, wenn nicht reumütig, doch offenherzig bekennenden Schuldigen, hinreichende Gründe gegeben, um diesen Stang der Mitschuld in hohem Grade verdächtig zu halten und in Verhaft zu nehmen.

Die Beschuldigungen Thalreuters trafen nicht nur diesen. In die ausführliche Erzählung der Verbrechen Stangs wurden zugleich viele andere Personen als Haupt- oder Nebenteilnehmer mit eingeflochten. Ein gewisser, sehr wohlhabender Handelsjude Wolofiz wurde als wissentlicher Abnehmer der von Stang verfertigten falschen Wechsel, unter Anführung vieler besonderer Umstände, auf höchst glaubwürdige Weise bezeichnet. Ebenso ein Gastwirt Brechtal, der in alle verbrecherischen Geheimnisse Stangs innigst eingeweiht, zum Zweck des Umsatzes falscher Wechsel, als Offizier verkleidet, Reisen gemacht habe. Beide, besonders aber den Brechtal, in dessen übel berufenem Wirtshause Thalreuter oft verkehrte, beschuldigte er zugleich der Begünstigung seiner an den Pflegeeltern begangenen Diebstähle und Betrügereien. Von den verbrecherisch erworbenen Geldern habe er dem Wolofiz ein Pferd gekauft und ein Faß Wein in den Keller geschafft. Im Innern dieses Weinfasses hänge ein kleines, wasserdichtes Fäßchen, in dem Brechtal die falschen Wechsel Stangs heimlich aufbewahre. Nächst Stang wurden daher auch Wolofiz und Brechtal provisorisch verhaftet. Überdies wurden noch vier andere Personen durch Thalreuters Beschuldigungen wenigstens mit Verdacht beschwert.

Teils zur Herstellung des Tatbestandes so mannigfaltiger Verbrechen, teils um diejenigen Sachen, welche als Stromwalterisches Eigentum von Thalreuter bezeichnet waren, einstweilen in Sicherheit zu bringen, wurde bei den verhafteten Personen, mit Zuziehung des Hauptinquisiten, Haussuchungen angestellt und, besonders bei Stang, vielmals wiederholt; denn dem Denunzianten fiel in seinem Gefängnisse, so oft eine solche Haussuchung beendigt war, immer noch etwas Neues ein. Bei diesen gerichtlichen Handlungen machte es sich Thalreuter zum Hauptgeschäft, dem Gerichte diejenigen Sachen zu bezeichnen, die seinen Pflegeeltern gehören, von ihrem Geld angeschafft oder Gegenstände, Werkzeuge und Beweise einer Fälschung sein sollten. Jede Haussuchung führte den Inquisiten immer zur Entdeckung neuer Dinge solcher Art und überlastete endlich das Gericht mit ganzen Ladungen von Effekten, für die im Depositengewölbe der Raum zu eng wurde. Aus Stangs Haushalt ließ er silberne Löffel, Zinn, Kupfer, Gläser, Flaschen und Büchsen, Servietten und Stiefel, aus dessen Laden alle Sorten Galanteriewaren, von den angeblich verfälschten Silbersachen und anderen wertvollen Gegenständen, wie Uhren, Spitzen, Schnallen, Perspektiven, bis auf Lorgnetten, Damen-Ridiküls, Schminkdöschen, Schönheitswasser, wohlriechende Pomade und Seife in gerichtliche Verwahrung nehmen. Nicht viel besser erging es dem Gastwirt Brechtal, dem er nicht nur eine Flinte und ein Paar von demselben neu verfertigte Wasserstiefel – denn Brechtal war zugleich Schuhmachermeister - hinwegnehmen, sondern auch sein Pferd aus dem Stall, allen seinen Wein aus dem Keller wegführen ließ.

Während diese Haussuchungen im Gange waren, entdeckte eines Tages der Gefangenenwärter, als Thalreuter sein Gefängnis wechseln sollte, in dessen Strohsack Geld im Betrag von etwas über 17 Gulden. Inquisit hierüber gerichtlich vorgenommen, bekannte, eine Haussuchung bei Stang habe ihm die Gelegenheit verschafft, dieses Geld aus dessen Schreibpult zu entwenden. Auf die Frage, wie dies möglich gewesen, da die Gerichtskommission ihn doch stets im Auge behalten habe, erwiderte er: Es sei allerdings unter den Augen der Kommission, aber mit Hilfe eines Taschenspielerkunststücks geschehen, das er von Stang selbst gelernt habe.

Bei genauer Erforschung der von Thalreuter gegen Stang und andere angezeigten Verbrechen, wurden sehr bald einige derselben als ganz falsch befunden. Ein bei Stang in Beschlag genommenes, angeblich verfälschtes Lotterielos wurde zu Frankfurt am Main als echt anerkannt. Mehrere der angeblich umgesetzten, falschen Wechsel wurden nirgends präsentiert. Von anderen war ausgemittelt worden, daß die fremden Häuser, auf welche sie ausgestellt sein sollten, der Handelswelt völlig unbekannt waren. Als ihm dieses in seinem 12. ordentlichen Verhöre vorgehalten wurde, nahm er nicht nur einen Teil seiner gegen Stang angebrachten Beschuldigungen als unwahr zurück, sondern erklärte auch alles, was er gegen den verhafteten Juden Wolofiz und gegen noch vier andere, größtenteils achtbare Personen vorgebracht hatte, für bare Verleumdung. Die Beweggründe dieser frechen Verleumdung waren seiner Angabe nach verschieden. Der eine hatte bei Gelegenheit einer Schlägerei seinen Haß gegen sich erregt. Ein anderer hatte ihn einmal beschimpft. Von einem Dritten war ihm, wegen seiner Aufführung, hinter seinem Rücken Böses nachgeredet worden. Ein Vierter hatte ihn einst wegen seines schlechten Reitens ausgelacht.

Stang und Brechtal kamen indessen nicht so wohlfeil aus dem Handel. Fast jeder Schritt der weiteren Nachforschung deckte zwar dem Gericht neue Unwahrheiten auf, besonders hinsichtlich des Stang. So wurden alle angeblich unechten Silberwaren für ganz echt befunden. Viele angeblich der Frau von Stromwalter gehörende Sachen wurden von dieser entweder als solche nicht anerkannt oder erwiesen sich als altes Besitztum Stangs und seiner Familie. In Brechtals Weinfaß entdeckte sich nichts von dem kleinen, geheimen Fäßchen, und die bei Stang gefundenen Fläschchen und Büchschen, die das Gift verwahren sollten, das dem Bruder der von Stromwalter zugedacht, enthielten unschuldiges Nelken- oder Jasminöl. Gleichwohl aber nahm Thalreuter in jedem Verhör immer nur soviel von seinen Beschuldigungen, zumal gegen Stang, zurück, als er infolge der Beweise, welche ihn der Lüge überführten, zurückzunehmen genötigt war. Erklärte er auch bald dieses, bald jenes für einen unwahren, von ihm ersonnenen Zusatz, so hielt er doch in einer langen Reihe von Verhören noch immer so viel von seinen Beschuldigungen aufrecht, als hinreichend gewesen wäre, seinen Freudengenossen Stang auf mehrere Jahre in das Zucht- oder Arbeitshaus zu bringen. Erst im 21. ordentlichen Verhör erklärte er alle von ihm, auch die gegen Stang erhobenen Anklagen für reine Erdichtungen, die er aus Rache ersonnen habe. Dem Stang nämlich habe er es nicht verzeihen können, daß er seine jugendliche Unerfahrenheit mißbraucht, ihn in seinen Ausschweifungen unterstützt, seine Sinne im beständigen Taumel erhalten, ihm den Umgang mit liederlichen Dirnen verschafft und ihn so nicht nur um seine Unschuld gebracht sondern auch eine ekelhafte, schmerzliche Krankheit ihm zugezogen habe. Allein diese Entschuldigung seiner Verleumdung war selbst wieder Verleumdung. Im 26. Verhör sah er sich bewogen, auch diese Beschuldigung zurückzunehmen und zu erklären, er habe keinen anderen Beweggrund gehabt, Stang in eine peinliche Untersuchung zu verwickeln, als nur den, weil ihm derselbe seine Galanteriewaren allzu teuer aufgerechnet habe. Zu seiner Verleumdung gegen Brechtal führte er ebenfalls keinen andern Beweggrund an, als den, daß der Wirt ihm zuweilen die Zeche mit doppelter Kreide angeschrieben hat.

Und so war es nun endlich zur vollkommensten Gewißheit gebracht, daß dieser junge Bösewicht bei allem, was ihm über seine alten Pflegeeltern zu ihrem Verderben gelungen war, keine anderen Helfer gehabt habe, als sein eigenes Genie, nebst der Schwäche und leichtgläubigen Einfalt seiner Pflegeeltern. Es war aber auch klar, daß sogar das peinliche Gericht für ihn nur ein veränderter Übungsplatz seiner unergründlichen Bosheit, sowie seiner instinktartigen Diebs- und Lügennatur gewesen sei.

Die durch jene Verleumdungen unschuldig in Untersuchung gezogenen Personen wurden sämtlich, zum Teil schon ehe der Prozeß gegen Thalreuter selbst beendigt war, von dem Gerichtshofe freigesprochen. Er selbst aber wurde am 26. September 1826 wegen Fälschungen von Privaturkunden, wegen Diebstahls, Unterschlagung und fortgesetzten Betrugs, endlich wegen gerichtlicher Verleumdung, jedoch nur mit Rücksicht auf sein jugendliches Alter, zu achtjährigem Arbeitshause verurteilt. Zugleich wurde diese Strafe dahin verschärft, daß der Verurteilte am Tage seines Eintritts in die Strafanstalt mit 25 Rutenstreichen zu züchtigen, ihm auch jährlich 14 Tage hindurch die Kost in der Art, daß ihm warme Speise nur jeden dritten Tag gereicht werde, zu schmälern sei. Zugleich wurde dem Untergericht der Befehl erteilt, die geeigneten Einleitungen zu treffen, daß diesem noch so jungen Verbrecher in der Strafanstalt fleißig der erforderliche Unterricht erteilt und für dessen sittlich religiöse Bildung soviel wie möglich Sorge getragen werde. Thalreuter sollte, zum Glück der bürgerlichen Gesellschaft und zu seinem eigenen, das Ende seiner Strafzeit nicht erleben. Er starb im Jahre 1828 im Strafarbeitshause zu München.


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