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Johann Paul Forster
oder
der zweifache Raubmörder

Tat und Tatbestand

Zu Nürnberg, in der großen, sehr gangbaren Königsstraße, wohnte im eigenen Haus Christoph Bäumler, ein achtbarer Bürger, der das dort so genannte Geschäft der Großpfragnerei betrieb, das im Handel mit Mehl, Hülsenfrüchten, Kerzen und dergleichen besteht, womit zugleich das Recht einer Branntweinschenke verbunden ist. Er war erst seit einigen Wochen Witwer und hatte nur eine Magd, Anna Katharina Schütz, bei sich, mit der er sein Haus ganz allein bewohnte. Er stand im Ruf eines sehr wohlhabenden Mannes.

Bäumler pflegte seinen Laden schon sehr früh, um fünf Uhr, zu öffnen. Es fiel daher am Donnerstag, dem 21. September 1820, den Nachbarn befremdend auf, als morgens sechs Uhr und auch noch später dieser Laden verschlossen blieb. Neugier und Besorgnis versammelte allmählich mehrere Personen vor dem Haus. Man läutete, doch niemand regte sich. Endlich stiegen einige Männer nach erhaltener Polizeierlaubnis auf einer Leiter in das erste Stockwerk ein. Hier fielen ihnen sogleich die weit offenen Türen der Stube und Kammer, ein aus der Kommode herausgezogenes Schubfach, geöffnete Kleiderschränke und andere Erscheinungen in die Augen, die sich beim ersten Blick als Spuren eines Raubes zu erkennen gaben. Man eilte die Treppe hinab in den Laden und sah hier in einer Ecke neben der Haustür den blutigen Leichnam der Bäumlerschen Dienstmagd, Anna Katharina Schütz, auf dem Boden ausgestreckt. Jetzt wurde die Haustür geöffnet. Sobald man in Bäumlers Wohnstube getreten war, fand man auch den Pfragner neben dem Ofen ermordet in seinem Blute liegen.

Das Bäumlersche Haus liegt demjenigen, der von dem Frauentor her die Königsstraße herabgeht, zur linken Hand, unweit dem Platz der Lorenzkirche. Von beiden Seiten stößt es an eine Reihe bewohnter Gebäude, meistens Gasthäuser und Läden, rechts an das Gasthaus Zum Goldenen Löwen, das ihm um mehrere Schuhe vorspringt.

Dicht neben dieser vorspringenden Wand ist der Eingang in das Bäumlersche Haus. Über eine niedrige Stufe tritt man in den Hausflur, der zugleich als Laden dient. Die Wände sind mit Schränken, Mehlkasten und Gerätschaften besetzt. Die Länge beträgt von dem Eingang bis an das entgegengesetzte Ende, wo eine Tür in den Hof und links die Treppe in das erste Stockwerk führt, etwa 15 Schritte. Ihre Breite ist ungleich, indem sie rechts neben der Haustür in eine vier Schritt tiefe, drei Schritt breite Ecke ausläuft, welche als Teil des Ladens ebenfalls mit Schränken besetzt ist und auf der einen Seite durch die Wand der Bäumlerschen Wohn- und Gaststube, auf der anderen Seite durch die Straßenwand gebildet wird, in der ein breites Bogenfenster sowohl dieser Ladenecke als auch jener Wohnstube, durch ein in diesen Teil des Ladens gehendes Fenster, von außen das Licht zuführt. Ungefähr sechs Schritte vom Eingang in den Laden ist die Tür zu der sehr schmalen, mit Tischen und Bänken für die Branntweingäste besetzten Wohnstube, die nach der vorhin gegebenen Beschreibung auf allen Seiten durch den Laden von der Straße getrennt ist.

Die eigentliche Haustür, die sich bei Nacht abschließen läßt, besteht, wie in allen sogenannten Nahrungshäusern der Stadt Nürnberg, aus zwei aneinanderhängenden Flügeln, von denen der vordere über den hinteren zurückgeschlagen werden kann, wo er, damit er nicht zurückfällt, durch eine einfache Vorrichtung an der Wand festgehalten wird. In die Öffnung, die durch das Zurücklegen des vorderen Türflügels auf den immer geschlossen bleibenden hinteren Flügel entsteht, wird bei Tag eine Glastür eingehängt, die dazu dient, dem Laden von der Straße her Licht zuzuführen. Abends zeigt sie durch die Beleuchtung im Innern den Vorübergehenden an, daß der Hausherr noch bereit sei, Käufer zu empfangen. Die Bäumlersche Haustür, hinter deren vorwärts gelegtem vordern Flügel sich ein Mensch ganz bequem vor dem Eintretenden verbergen kann, öffnet sich übrigens nach der linken Seite, der oben bemerkten Ladenecke gegenüber, so daß, wenn sie einem Hereintretenden nur ungefähr zur Hälfte geöffnet wird, derselbe sein Gesicht jener Ladenecke zukehren und daher, falls er von einem hinter der Tür verborgenen Menschen angefallen werden sollte, seine Flucht in derselben Richtung, mithin seitwärts in jene Ecke hinein, nehmen wird. Über der Türöffnung ist in der Wand eine Glocke angebracht, die beim Öffnen der Holz- als auch der Glastür in Bewegung kommt. Diese Beschreibung der Örtlichkeiten, die der Verfasser besichtigte, konnte für den Leser nicht umgangen werden. Ohne sie ist es durchaus nicht möglich, die Art der Begehung dieses zusammengesetzten, ungeheuren Verbrechens zu verstehen und zu begreifen.

Sobald die Polizeibehörde dem Stadtgerichte von dem Vorfall Kunde gegeben hatte, begab sich eine Kommission zur Feststellung des Tatbestandes in die Bäumlersche Wohnung. Gleich beim Eintreten in den Hausflur fand man rechts der Tür, in der oben bezeichneten Ladenecke, zwischen zwei Schränken mit Mehl und Salz, den Leichnam der Dienstmagd Schütz mit zerschmettertem Haupt rücklings auf dem Boden. Die Füße, von welchen beide Pantoffel abgestreift waren, lagen der Tür zugekehrt. Ihr Gesicht, die Kleider, der Fußboden waren mit Blut bedeckt und die beiden Schränke, zwischen denen ihr Kopf lag, sowie die Wand der Wohnstube bis in die Höhe von fünfeinhalb Fuß, mehr oder weniger stark damit bespritzt. Hieraus, und da sich an andern Orten des Ladens keine Blutspuren zeigten, ergab sich, daß der Mord der Dienstmagd in dieser Ecke des Ladens angefangen und vollbracht worden sein muß. Nicht weit von dem Leichnam lag auf dem Boden ein kleiner Seitenhaarkamm und in größerer Entfernung, nebst drei Bruchstücken eines anderen Seitenkämmchens, ein großer Haarkamm, wie ihn Frauenzimmer zu tragen pflegen.

Im hintersten Teil der Wohnstube fand man zwischen dem Ofen und einem seitwärts stehenden Tischchen, auf dem noch ein Krüglein mit Bier stand, den Großpfragner Bäumler rücklings ausgestreckt auf dem Boden. Sein mit Blut und Wunden bedeckter Kopf lehnte an einen umgestürzten Stuhl. Unter dem Leichnam lagen nebst einer Tabakspfeife verschiedene kleine Münzsorten, die wahrscheinlich aus der mit Blut befleckten Hosentasche, als der Mörder sie umkehrte, um nach Schlüsseln oder Geld zu suchen, herausgefallen waren. Der Fußboden, der Ofen, die Wände ringsumher waren mit Blut bedeckt. Der Stuhl war gleichsam damit getränkt. Die acht bis neun Schuh hohe gewölbte Decke zeigte sogar Spuren hinaufgespritzten Blutes. Durch alle diese Zeichen war augenscheinlich bewiesen, daß dieser Mann, als er mit der Pfeife in der Hand neben seinem Kruge Bier gesessen, von dem Mörder plötzlich mit tödlichen Streichen auf den Kopf überfallen und ohne Gegenwehr zu Boden gestreckt wurde.

In der Stube des ersten Stockwerks fand man ein Schubfach der Kommode herausgezogen, in der daranstoßenden Kammer die Türen der beiden Kleiderschränke geöffnet. Alles war in der größten Unordnung. Es waren jedoch noch einige Behälter ungeöffnet. Auch fanden sich in den verschlossenen wie in den geöffneten Behältern noch manche Sachen von Wert: Kleider, Silberzeug, eine goldene Repetieruhr und dergleichen. Die Zimmer im zweiten Stockwerke zeigten sich ganz in ihrem gewöhnlichen Zustand. Am Tatort wurden übrigens unter anderen folgende Gegenstände bemerkt, die für die Untersuchung Bedeutung gewinnen konnten:

  1. In dem Wohn- und Wirtsstübchen stand auf der Wirtstafel ein Branntweinglas mit einer Neige roten Branntweins.
  2. Daneben fand sich ein zusammengelegtes Taschenmesser, an dem Rücken und an beiden Seiten mit Blut befleckt.
  3. Im Laden neben der Stubentür lagen auf einem Mehlkasten zwei noch frische Wecken, die aber bei der Entdeckung des Mordes zunächst der Haustür auf der Erde gelegen hatten.

Bei der Verhandlung war der Bäckermeister Stierhof gegenwärtig. Er versicherte, daß diese Wecken am verwichenen Abend um dreiviertel zehn Uhr von Bäumlers Magd bei ihm geholt worden seien. Die Ehefrau des Bäckers, die am folgenden Tag vernommen wurde, erkannte ebenfalls nicht nur die ihr vorgezeigten Wecken für dieselben, welche die verunglückte Magd am Abend des 20. Septembers bei ihr geholt habe, sondern erzählte auch folgendes: »Vorgestern abends gegen dreiviertel zehn Uhr kam die Magd des Großpfragners Bäumler in meinen Laden und verlangte zwei Kreuzerwecken, die ich ihr gab. Doch ich erkannte sie erst im Weggehen und sagte zu ihr: ›Sie ist es also, Nachbarin?‹ Worauf sie ganz mürrisch ›Ja‹ antwortete. Auf meine Frage: ›Habt ihr noch Gäste?‹ erwiderte sie: ›Ja, es sind noch so ein paar Schlacken da.‹ Ich sah nun noch eine Weile zum Fenster hinaus. Totenstille herrschte auf der Straße, und diese fiel mir so sehr auf, daß ich meine Leute darauf aufmerksam machte. Mit dem Schlag neundreiviertel Uhr machte ich meinen Laden zu.«

Es durfte nach diesen Aussagen schon jetzt als sehr wahrscheinlich angenommen werden, daß ein Mensch, der noch um dreiviertelzehn Uhr als Gast in Bäumlers Wirtsstube sich aufgehalten, entweder allein oder in Verbindung mit andern diese Mordtaten verübt habe. Ferner war gewiß, daß die Ermordung der Dienstmagd Schütz nicht früher als abends nach dreiviertel zehn Uhr könne geschehen sein. Da ferner die zwei Wecken, die sie zu dieser Zeit von dem Bäcker Stierhof geholt hatte, in dem Laden unweit der Haustür auf dem Boden gefunden wurden, so ist klar, daß sie sogleich bei ihrer Rückkehr in den Hausflur, wo im Schreck die Wecken ihrer Hand entfielen, von ihrem Mörder überfallen, in die Ladenecke getrieben und hier ermordet wurde. Daß zu dem Augenblick ihr Herr bereits ermordet gewesen, ist darum nicht zu bezweifeln, weil, wie der Augenschein zeigte, er, an seinem gewöhnlichen Platz auf dem Hockerl neben dem Ofen mit seiner Pfeife sitzend, erschlagen worden war. Hätte er noch gelebt, als der Mörder seine Dienstmagd überfiel, so würde er aus seiner Stube, durch das Getöse aufgeschreckt, herausgeeilt, wenigstens gewiß nicht auf seinem Stuhl gemächlich sitzen geblieben sein. Es geht hieraus weiter hervor, daß dieser Mord in der Zwischenzeit, vom Weggehen der Schütz zum Bäcker bis zu ihrer Rückkehr, vollbracht worden ist. Die Entfernung des Bäckerladens vom Bäumlerschen Hause beträgt höchstens hundert Schritte, die bequem in eineinhalb Minuten zurückgelegt werden können. Nimmt man auch an, daß die über ihr so spätes Fortschicken sehr verdrießliche Schütz nicht eben sehr lange und schnelle Schritte werde gemacht haben, rechnet man noch einige Zeit für ihren Aufenthalt im Bäckerladen und ihr kurzes Gespräch mit der Bäckersfrau hinzu, so kann aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Weggehen der Magd bis zu ihrer Rückkehr nicht mehr als ein Zeitraum von fünf Minuten angenommen werden, in denen der Mord an Bäumler vollbracht und die Ermordung der Schütz angefangen worden ist. Das wird noch durch folgenden merkwürdigen Umstand vollkommen bestätigt: Solange die oben beschriebene Glastür eingehängt war, konnte die Schütz weder bei ihrem Eintreten in den Laden angefallen noch in der Ecke daneben niedergemordet werden; denn es würde dem Mörder nicht nur unmöglich gewesen sein, sich hinter der Glastür zu verbergen, sondern er hätte auch jeden Augenblick besorgen müssen, daß entweder ein Vorübergehender von der Straße her seine Tat beobachtete oder wohl gar irgendein Kunde Bäumlers noch in den Laden komme und ihn bei seinem Mordgeschäft auf frischer Tat ertappe. Um daher die vom Bäcker zurückkommende Schütz sogleich beim Eintritt mörderisch zu empfangen, mußte zuvor die Glastür ausgehängt und der Laden durch die eigentliche Haustür geschlossen sein. Und so war es in der Tat. Während sonst der Bäumlersche Laden bis nachts elf Uhr offen blieb, wurde am Abend des Mordes von dem schräg gegenüber wohnenden Pfragner Rössel, der zufällig um dreiviertel zehn Uhr noch auf die Straße hinaussah, zu seinem großen Befremden bemerkt, daß bereits die Glastür an Bäumlers Laden ausgehängt sei. Daß dies von dem Mörder geschehen, unterliegt keinem Zweifel. Da nun um dreiviertel zehn Uhr die Schütz sich im Bäckerladen befand, und auch um dieselbe Zeit Rössel den Laden Bäumlers schon geschlossen sah, so ist nicht nur anzunehmen, daß der Mörder, nachdem er den Bäumler, kurz nach der Entfernung seiner Magd, niedergestreckt, schnell die Glastür ausgehängt, hinter dem vorgelegten Flügel der eigentlichen Haustür die Magd erwartet, dieser die Tür geöffnet und sie nun sogleich beim Hereintreten überfallen habe, sondern durch jene übereinstimmende Zeitangabe zweier Zeugen ist die Zeit von einigen Minuten vor bis zu einigen Minuten nach dreiviertel zehn Uhr als der Zeitraum für die Ermordung Bäumlers und seiner Magd deutlich genug bezeichnet.

Es ist noch zu bemerken, daß bei der gerichtlichen Ortsbesichtigung die Glocke über der Haustür nicht nur umgeschlagen, sondern auch mit einem Papier verstopft gefunden wurde. Es läßt sich nicht einsehen, welchen Grund Bäumler oder seine Magd gehabt haben, die Türglocke am Schellen zu verhindern. Der Mörder aber, der die Schütz erwartete, um ihr die Tür zu öffnen und sie sogleich beim Hereintreten mit Streichen zu empfangen, hatte dazu alle Ursache. Die beim Öffnen der Haustür schellende Glocke hätte leicht einen Nachbar oder einen Vorübergehenden auf den Bäumlerschen Laden gerade im selben Zeitpunkt aufmerksam machen können, wo nahe der Tür die entsetzliche Tat verübt werden sollte.

Daß übrigens, nach vollbrachten Mordtaten, sich der Mörder noch wenigstens bis halb elf Uhr zur Vollbringung des Raubes, wahrscheinlich auch zum Waschen und Umkleiden, in Bäumlers Wohnung aufgehalten hat, geht aus der Aussage des Schusters Pühler hervor, der um dieselbe Zeit am Haus vorüberging und im ersten Stockwerk noch Licht sah, während das Fenster über der verschlossenen Ladentür nicht mehr erleuchtet war.

Obgleich übrigens Bäumlers Haus rechts und links an bewohnte Häuser stößt, obgleich zwei Wagenwächter nicht weit von jenem Hause die auf der Straße stehenden, bereits beladenen Güterwagen bewachten, obgleich der Mord dieser beiden Unglücklichen noch bei guter Zeit, wo gewiß die wenigsten Menschen schon im Schlaf oder zu Bette lagen, verübt worden war und damals, wie die Bäckermeisterin Stierhof bezeugte, auf der Straße eine Totenstille herrschte, so wurde gleichwohl niemand ausfindig gemacht, der an jenem Abend im Bäumlerschen Haus irgendein Schreien, Poltern oder sonstiges Getöse vernommen hätte.

Die mit allen Förmlichkeiten vorgenommene Leichenschau lieferte im wesentlichen folgendes Ergebnis. Der Leichnam der Anna Katharina Schütz, eines dreiundzwanzigjährigen Mädchens von sehr schönem Körperbau und einnehmender Gesichtsbildung, zeigte am Kopf die gewaltigsten Zerstörungen. An der rechten Seite des Gesichts waren alle Fortsätze des Jochbeins abgebrochen und in die Tiefe der Backenhöhle hineingedrückt sowie der Ober- und Unterkiefer samt dem Nasenbein zerschmettert. Am Hinterhaupte fand sich unter mehreren schon äußerlich sichtbaren, sehr großen Wunden »eine wahre Verkettung in die Quere laufender Knochenbrüche«, wie der Gerichtsarzt sich ausdrückt. Nach Abnehmung der Schädeldecke und nachdem man das Haupt von Gehirn entleert hatte, zeigte sich, daß einer der großen Knochenbrüche des Hinterhauptes seinen Verlauf bis in den Grund der Schädelhöhle (basis cranii) genommen hatte, der seiner ganzen Länge nach so gespalten war, daß ein Kind leichte Mühe gehabt haben würde, den Schädel in zwei Stücke auseinanderzulegen. Äußerlich wurden am Hals und zwischen den Brüsten verschiedene Hautschürfungen wahrgenommen, wie auch an den Fingern beider Hände. Bei Öffnung der Brusthöhle aber zeigte sich das Brustbein sowie die zweite und vierte linke Rippe zerbrochen und die dritte Rippe von ihrem Knorpel losgesprengt. Ähnliche schwere Verletzungen fanden sich an dem Leichnam des Christoph Bäumler. Das Stirnbein war zwei Zoll über der Nasenwurzel in elf verschiedene Bruchstücke zersplittert. Von diesem Mittelpunkte der Zerstörung aus verbreitete sich über den ganzen Schädel gleichsam ein Kranz von einzelnen Knochenbrüchen, welche ununterbrochen in den beiden Scheitelbeinen bis in die Nähe der linken Augenhöhle fortlaufend, kurz vor der Rückkehr zum allgemeinen Herde der Zersplitterung des Stirnbeins, in einem Bruche endigten, der ein vier Zoll breites Bruchstück bildete. Im Grund der Schädelhöhle sah man das Keil- und Riechbein zertrümmert. An der linken Gesichtshälfte war das Jochbein aus allen seinen Verbindungen mit den benachbarten Knochen losgesprengt. Der Kinnbackenknochen war zerbrochen. Auf der Brust zeigte sich äußerlich keine Spur einer Verletzung. Aber nach Öffnung der Brusthöhle wurde die dritte und vierte Rippe beider Seiten von ihren mit dem Brustbein sich verbindenden Knorpeln losgetrennt sowie das Brustbein selbst, kurz vor seinem Übergang in den schwertförmigen Knorpel, abgebrochen gefunden.

Über die Tödlichkeit der Wunden konnte nicht der mindeste Zweifel obwalten. Über das Werkzeug, mit dem diese Verletzungen zugefügt wurden, äußerten sich die Gerichtsärzte so: Aus der Beschaffenheit der Kopfverletzungen müsse auf eine außerordentlich starke, zerschmetternd wirkende Kraft des verletzenden Werkzeugs sowie auf eine große Gewalt, womit es gehandhabt worden, geschlossen werden. Das verletzende Werkzeug müsse mit einer breiten Fläche aufgefallen sein und an dieser Fläche, wie die vielen kleinen und größeren Hautwunden an den Köpfen beider Leichname zeigten, winklige Ränder gehabt haben. Allen diesen Umständen nach zu schließen, seien daher die großen Zerstörungen an dem Schädel der Ermordeten wahrscheinlich mit dem Rücken einer Holzhacke zugefügt worden. – Was die Verletzungen im Brustkörper der Leichname betrifft, so urteilen die Sachverständigen, daß die nicht durch eine Holzhacke, die zerstörender hätte einwirken müssen, sondern durch eine schwächere, aber anhaltend wirkende Gewalt, vermutlich durch Fußtritte auf die Brust hervorgebracht wurden. – Ob die Hautrisse am Hals, auf der Brust und an den Fingern der Schütz durch einen Fußtritt oder durch die Hand des Mörders verursacht wurden, lasse sich aus dem bloßen Augenschein weder mit Gewißheit noch mit Wahrscheinlichkeit bestimmen.

 

Spuren des Täters, die sich bald zum höchsten rechtlichen Verdacht erheben

Da die oben bemerkte Aussage der Bäckersfrau auf die Vermutung geführt hatte, daß ein Mensch, der noch spät abends sich bei Bäumler als Gast aufgehalten, der Täter sein möge, so wurden alle, die am Abend des Mordes in jenem Wirtsstübchen eingekehrt waren, vor Gericht verhört. Es ergab sich, daß ein unbekannter Mensch schon sehr frühzeitig daselbst eingekehrt, beständig am äußersten Eck des Tisches, bald rauchend, bald aus einem Kelchglase roten Branntwein trinkend, gesessen und nach neun Uhr, als bereits die übrigen Gäste nach Hause gegangen, daselbst noch allein zurückgeblieben ist. In der Beschreibung seiner Person kommen alle darin überein, daß er ein Mensch von etwa 30 bis 32 Jahren gewesen, von dunkler Gesichtsfarbe, schwarzem Haar und Bart, in einen dunklen Überrock gekleidet, mit einem runden, hohen Filzhut auf dem Kopf. Mit Ausnahme eines Zeugen, der sich mit dem Unbekannten über den Hopfenhandel unterhielt und in ihm einen feinen, viel- und wohlredenden Mann gefunden hatte, behaupteten die übrigen, der Mann habe unter seinem tief in das Gesicht gedrückten Hut stets nur auf den Boden gesehen und entweder gar nicht oder selten ein Wort gesprochen. Er gab sich für einen fremden Hopfenhändler aus und äußerte, daß er hier bei Bäumler seinen Kameraden erwarte, einen zweiten Hopfenhändler, der das Schauspiel besucht habe. Die Zeugen erkannten in dem vom Gericht in Beschlag genommenen Kelchglas das gleiche, aus dem der Unbekannte roten Nägleinsbranntwein getrunken habe.

 

Die Verhaftung Forsters

Unterdessen hatte der Stadtmagistrat in rühmlichem Wetteifer mit dem Untersuchungsrichter gegen einen gewissen Paul Forster Verdacht geschöpft. Forster war ein erst seit vier Wochen aus dem Strafarbeitshaus zu Schwabach entlassener Sträfling, der sich mehrere Tage zu verschiedenen Zeiten, kurz vor der Mordtat, in der Nähe des Bäumlerschen Hauses auf verdächtige Weise hatte blicken lassen. Sein Vater, ein bettelarmer Tagelöhner, wohnte mit noch zwei grundliederlichen Töchtern in der Vorstadt St. Johann bei dem Gärtner Thaler in einem Hinterhäuschen. Forster hielt sich dort nicht auf. Er war am Tage nach dem Mord aus St. Johann in der ersten Frühe des Morgens nach Diesbeck, einem Orte des Landgerichts Neustadt an der Aisch, gegangen, wo er sich bei seiner vieljährigen Braut und Beischläferin namens Magaretha Preiß aufhielt. Hier wurde er von einem ihm nachgesandten Polizeisoldaten schon am dritten Tage nach der Tat, also am 23. September, in der Wohnung seiner Beischläferin verhaftet. Bei der Durchsuchung des Stübchens der Preiß fanden sich in einem Eckbehälter zwei Säcke mit Geld. Der eine mit 209 Gulden und 21 Kreuzer, der andere mit 152 Gulden und 17 Kreuzer. Die dreizehnjährige, uneheliche Tochter der Preiß überreichte ein Beutelchen mit einigen Schaumünzen und einem Dukaten, der ihr von Forster am Tage seiner Ankunft zu Diesbeck geschenkt worden war.

Als folgenden Tages Forster mit seiner Braut unter der Bedeckung von Gendarmen durch die Stadt Fürth gefahren wurde, erkannte in ihm der Hausknecht Popp des Wirts Kieskalt jenen fremden Mann, der am 21. früh gegen acht oder neun Uhr, in einen dunkelgrauen, tuchenen Überrock gekleidet, von Nürnberg kommend in der Wirtsstube seines Herrn eingekehrt sei und nach ungefähr einer Stunde wieder hinweggegangen wäre. Er sei aber dann, in einen dunkelblauen Überrock gekleidet, wieder zurückgekommen und habe ihm einen braunen Rock, den er unterm Arm trug, zur Aufbewahrung übergeben. Er bemerkte dazu: Popp möge ihn sorgfältig aufheben und ihn ja niemand zeigen. In acht Tagen werde er ihn wieder abholen. Der Hausknecht machte auf der Stelle dem Magistrat zu Fürth die Anzeige von diesem Umstand und überbrachte jenen braunen Rock. Der gehörte wirklich dem Forster und war, wie sich jedoch erst einige Zeit später dem Untersuchungsrichter ergab, an mehreren Stellen sehr stark mit Blut befleckt.

In dem dreißigjährigen Forster, mit seinem braunen Gesicht, schwarzen Haar und Bart, waren überdies alle Hauptzüge des unbekannten, unheimlichen Gastes wiederzuerkennen, der am verhängnisvollen Abend des 20. Septembers im Bäumlerschen Stübchen am längsten verweilt und ausgedauert hatte.

 

Die Rekognition der Leichen und das summarische Verhör

Sobald die Gefangenen zu Nürnberg angekommen waren, wurden sie nach gesetzlicher Vorschrift zum Rekognisationsakt in das Bäumlersche Haus geführt, wo im Hausflur beide Leichen mit enthülltem Gesicht, der übrige Körper mit eines jeden blutigen Kleidern zugedeckt, in ihren Särgen, die auf Stühlen standen, ausgestellt lagen. Die Leiche des Bäumler zur rechten, die seiner Magd zur linken Hand, so daß zwischen den Särgen ein Durchgang offen blieb.

Paul Forster wurde zuerst herbeigeführt. Ohne die mindeste Veränderung in seinem starren Gesicht trat er wie zu einem gleichgültigen Geschäft in den Hausflur zwischen die beiden Leichen. Er wurde aufgefordert, sie zu betrachten. Er sah sie starren Blickes an, ohne das kleinste Zeichen innerer Bewegung. Er antwortete auf die erste Frage: »Kennt Ihr diesen Leichnam rechts?« »Nein! Ich kenne ihn nicht. Er ist ja ganz entstellt. Ich kenne ihn nicht!« Und auf die zweite Frage, welche der zur Linken stehenden Leiche galt, ebenso: »Nein! Die ist ja aus der Gruft. Die kenne ich nicht.« Als er gefragt wurde, woher er denn wisse, daß sie schon im Grab gelegen, antwortete er, den Blick auf die Leiche der Dienstmagd gewendet, dann auf ihr Gesicht hindeutend: »Weil sie so entstellt ist. Hier! Es ist ja das ganze Gesicht verfallen.« Nachdem ihn der Richter aufgefordert hatte, genau die Stelle zu zeigen, an welcher er sie so sehr entstellt finde, griff er mit der rohesten Gleichgültigkeit an das Haupt des erschlagenen Mädchens, befühlte mit seinen Fingern die Stirn, die eingedrückte Nase und Wange und sagte ganz trocken: »Hier. Da sieht man es ja! Da!« So suchte er bei allen Fragen und Wendungen des Richters, sich hinter das Vorgeben zu verstecken, als sei ihm selbst der bloße Gedanke an eine Ermordung dieser Personen so ganz fremd, daß er in unschuldiger Einfalt und einfältiger Unschuld die mörderischen Wunden der noch frischen Leichen für die Folgen der Verwesung halte. Alle noch so ernstlichen Bemühungen des Untersuchungsrichters, durch diese grauenvolle Szene dem wahrscheinlichen Mörder, der hier zwischen beiden Leichen stand, wenigstens ein Zeichen der Verlegenheit oder der Rührung abzugewinnen, glitten fruchtlos an dieser Eisenseele ab. Nur einmal, auf die Frage: »Wo ist denn der Pfragner, der in dieses Haus gehört?« schien er, doch nur im ersten Augenblick, etwas betroffen. Der Inquirent ging endlich in seinem Eifer so weit, diesem Menschen zu befehlen, er solle die Hände beider Leichen ergreifen und dann sagen, was er dabei fühle? Und ohne Anstand ergriff Forster mit seiner Rechten den Bäumler und mit seiner Linken die Schütz bei ihren starren Händen und sagte: »Ja, die sind kalt. Ach! Die ist auch kalt.« Eine Antwort, durch die sogar ein gewisser Spott über die Frage des Untersuchungsrichters ziemlich klar hervorscheint. So gleichgültig und eiskalt seine Seele bei der ganzen Handlung blieb, so geschmeidig und gleichsam scheinheilig süß war durchaus der Ton seiner Stimme, so bemessen, ruhig und nichts weniger als barsch war auch sein Benehmen.

Ganz anders benahm sich bei dieser schauderhaften Gerichtshandlung die Magaretha Preiß. Beim Eintritt in den Bäumlerschen Hausflur zeigte sie sich tief erschüttert. Sie blickte, hierzu aufgefordert, zwar auf die Leiche hin, wandte sich jedoch, von Schauder ergriffen, sogleich wieder mit ihrem ganzen Leibe von ihnen hinweg. Sie verlangte Wasser zu trinken. Dann versicherte sie, daß sie weder die eine noch die andere Person kenne und von der Tat, durch welche diese Menschen so jämmerlich zugerichtet wurden, nicht die mindeste Kenntnis habe. Aus dem Geschrei des Pöbels, der auf dem Wege von Fürth bis nach Nürnberg ihren Wagen zu Tausenden umringt, sie eine Mörderin gescholten, sie mit Fäusten und Stöcken geschlagen und auf jede Weise mißhandelt habe, könne sie wohl annehmen, daß man sie der Teilnahme an einer so entsetzlichen Tat verdächtig halte. Aber Gott werde ihre Unschuld offenbaren. Durch Zeugen werde sie zu beweisen imstande sein, daß sie seit Wochen ihren Aufenthaltsort Diesbeck nicht verlassen hat. Die unzweideutigsten Zeichen des Mitleids mit den Ermordeten sowie des Entsetzens vor solcher Tat, sprachen noch mehr als ihre Tränen und Beteuerungen für das innere Bewußtsein ihrer Unschuld. Späterhin wurde dann auch durch den vollständigsten Beweis des Anderswo (Alibi) dargetan, daß sie an den Mordtaten unschuldig sei.

Johann Paul Forster, der nach beendigtem Rekognisationsakt sogleich summarisch vernommen wurde, ist am 22. Januar 1791 geboren und evangelisch-lutherischer Religion. Seine Familie gehörte übrigens, wie mehrere Umstände wahrscheinlich machen, zu einer Sekte von frommen Auserwählten, die wenig arbeiten, aber desto mehr beten, singen und in der Bibel lesen und mit ihrer Frömmigkeit, was sie so nennen, den Himmel für ihre Untugenden bezahlen. Forster, von Jugend auf in der Bibel belesen, war übrigens ein gelernter Gärtner. Er betrieb aber schon seit langer Zeit sein Gewerbe nicht mehr. Vor mehreren Jahren hatte er sich mit der Magaretha Preiß verlobt, die er kennenlernte, als sie bereits einem verheirateten Mann ein uneheliches Kind geboren hatte. Mit leidenschaftlicher Beharrlichkeit hing er an ihr und gab, trotz allen ihm stets von neuem entgegentretenden Hindernissen, den Gedanken nicht auf, sie zu seiner rechtmäßigen Gattin zu machen. Auf seiner Brust trägt er mit roten Buchstaben eingeätzt die Worte: »Mein Herz der Magaretha!«

Im Jahre 1807, einige Jahre vor seiner Bekanntschaft mit der Preiß, traf ihn das Los der Konskription. Er wurde dem Infanterieregiment Buttler einverleibt. Er zeigte sich aber als ein schlechter Soldat und wurde seitdem ein noch schlechterer Mensch. Als 1808 sein Regiment das Übungslager bei Fürth bezogen hatte, schlich er in der Nacht aus seinem Zelt durch alle Wachtposten, brachte zu Nürnberg eine fröhliche Nacht mit einer Geliebten Babetta zu und wußte sich in der Frühe des folgenden Tages durch die Vorposten wieder in sein Zelt zurückzuschleichen. Allein noch denselben Morgen wurde er auf der Wachtparade aus dem Glied hervorgerufen und über seine nächtliche Abwesenheit zur Rede gestellt. Er leugnete anfangs. Als er sich jedoch überführt sah, gestand er mit Entschuldigungen sein Vergehen. Auf der Stelle wurden ihm zwanzig Stockstreiche über der Trommel zuerkannt. In einer von ihm selbst im Jahr 1817 verfaßten sogenannten Lebens- und Liebesbeschreibung, die bei seiner Verhaftung mit anderen Papieren in Beschlag genommen wurde, erzählt er umständlich jenes Ereignis, wobei seine Bemerkung: »Er habe bekannt, weil er sich überführt gesehen« einen Grundsatz zu erkennen gab, den er auch in dem gegenwärtigen Prozeß werde zu behaupten suchen. Er machte im Jahre 1809 den Feldzug gegen Österreich mit, war in der Schlacht bei Abensberg und Eckmühl, geriet hier, wie er wenigstens angibt, in Gefangenschaft, entließ sich selbst und kehrte nach Nürnberg zurück. Im Jahre 1810 entfernte er sich willkürlich aus der Kaserne, stellte sich nach achtzehn Tagen wieder und wurde mit Arrest bestraft. In diesem Jahre machte er die Bekanntschaft mit Magaretha Preiß, er erhielt 1811 einen Urlaub auf unbestimmte Zeit, machte auf dem Gute zu Adliz, das Magaretha gepachtet hatte, den Gärtner und Wirt, suchte auf alle Weise seine Entlassung aus dem Militärverbande zu erwirken, um seine Geliebte heiraten zu können, vermochte dieses aber nicht durchzusetzen und wurde endlich im Jahre 1812 wieder unter die Fahne gerufen. Schon während seines Aufenthaltes zu Adliz übte er sich in den Verbrechen gegen das Eigentum. Er entwendete in dem Wirtsgarten zu Adliz einem seiner Gäste einen Regenschirm und einen Schal, wofür er im folgenden Jahr von seinem Regiment bestraft wurde. Daß er aber damals schon noch bei weitem größere Verbrechen begangen haben möge, macht seine Autobiographie wahrscheinlich, in der er erzählt, daß er, während seiner kurzen Wirtschaft zu Adliz, sich so viel erworben, daß er zwei Kapitalien, das eine von 600 Gulden, das andere von 250 Gulden, auf Zinsen habe ausleihen können. Nachdem er aus dem Urlaub wieder zum Regiment einberufen war, desertierte er im Jahre 1813, schweifte elf Wochen lang umher und hielt sich größtenteils in Wäldern auf. Endlich schlich er sich nach St. Johann zu seiner Magaretha, die hier eine kleine Schenkwirtschaft gepachtet hatte. Er wurde aber bald nachher daselbst entdeckt und nun, sowohl wegen seiner Desertion als auch wegen der zu Adliz begangenen Diebstähle, am 14. Juni 1813 zum Gassenlaufen durch 150 Mann achtmal auf und ab und zur Erneuerung einer Kapitulationszeit von sechs Jahren verurteilt. Am gleichen Tag noch, an dem er seine Spießrutenstrafe bestanden hatte, desertierte er von neuem und wurde nochmals dem Prozeß unterworfen. Über ihn erging das kriegsgerichtliche Urteil, daß er wegen wiederholter Desertion schuldig sei, abermals die Spießrutenstrafe, dann eine Kapitulationszeit von noch einmal sechs Jahren zu bestehen. Auch diese Lehre blieb fruchtlos. Im Jahre 1815 unterlag er wiederholt wegen Desertion, Bestechung und Teilnahme an einer Erpressung einem schweren Kriminalprozeß, der jedoch nur damit endigte, daß ihm der erlittene Untersuchungsarrest angerechnet und er schimpflich vom Regiment davongejagt wurde. Von nun an führte er mit Magaretha Preiß ein liederliches Leben. Er arbeitete dann und wann als Tagelöhner, verdiente sich aber durch bequemeres Diebesgewerbe so viel, daß er mit seiner Beischläferin einen unverhältnismäßigen Aufwand zu machen imstande war, bis er im Jahre 1816 wegen mehrerer Diebstähle und eines Einbruchs zur Strafe des Arbeitshauses auf drei Jahre und sechs Monate verurteilt wurde. Aus Rücksicht auf seine während seiner Strafzeit ununterbrochen bewiesene gute Aufführung wurde er, nachdem er drei Viertel seiner Strafzeit überstanden hatte, am 21. August 1820, genau vier Wochen vor den Morden in Nürnberg, aus dem Arbeitshaus zu Schwabach wieder entlassen. Seine geliebte Magaretha mußte mehrmals, teils wegen Desertionsverheimlichung, teils wegen Verdachts der Teilnahme an seinen Diebstählen, das Schicksal seiner Kriminalprozesse teilen.

In seinem summarischen Verhör gab er an, daß ihm die Ursache seiner Verhaftung durchaus unbekannt sei. Aber nach dem Geschrei des Straßenpöbels müsse er wohl glauben, daß man ihn wegen Mordes in Verdacht habe. Vom 21. bis 23. September sei er zu Diesbeck gewesen. Wenn etwa die Mordtat früher geschehen sein sollte, so werde er ebensowenig seine Unschuld beweisen können, als jemand imstande sein würde, ihm zu beweisen, daß er die Tat begangen habe. Die ermordeten Personen habe er nie gekannt. Am 18., 19. und 20. September sei er bei Tag in Nürnberg gewesen, um sich hier nach Arbeit umzusehen. Am 20. sei er abends durch das Frauentor nach St. Johann gegangen, habe sich aber, da er in seines Vaters Wohnung wegen des vielen Ungeziefers nicht schlafen hätte mögen, in dem offenen Stadel des Gärtners Thaler auf das Heu gelegt und sei um ein Uhr in der Nacht, als die Leute zum Dreschen geweckt wurden, aufgestanden und hinweggegangen, um sich nach Diesbeck zu begeben. Da sei er am 21. nachmittags vier Uhr angekommen. Seiner Geliebten habe er zwei Säcke mit Geld, die er unterwegs in einem Tuche getragen, zum Aufheben übergeben. Mit diesem Gelde habe es folgende ganz unschuldige Bewandtnis: Als er sich noch im Arbeitshause Schwabach befunden, habe er mit einem Sträfling namens Xaver Beck, einem Bijouteriehändler, der wegen eingegangener Doppelehe verurteilt gewesen, der aber späterhin im Arbeitshause gestorben sei, innige Freundschaft gepflogen. Jener Beck habe ihm entdeckt, daß er an einem gewissen Platze zwischen Fürth und Farnbach eine bedeutende Summe Geldes vergraben habe, wovon er ihm die Hälfte überlassen wolle. Er, Forster, habe nun nach seiner Entlassung an dem bezeichneten Orte nachgesucht und den Schatz wirklich gefunden. Der habe aber nicht, wie der verstorbene Beck vorgegeben, 800-900 Gulden, sondern nur ungefähr 200-250 Gulden betragen. Dieses Geld habe er sogleich, der Sicherheit wegen, in einem Holzstoß vor dem Nürnberger Frauentor versteckt. Als er jedoch am Abend des 20. Septembers aus Nürnberg gegangen, habe er es wieder zu sich genommen und dann am folgenden Tag seiner Braut überbracht. Bei diesem Märchen mußte man es einstweilen bewenden lassen.

Unterdessen aber häuften sich schnell, zum Teil ungesucht, Verdachtsgründe auf Verdachtsgründe. Sie zogen sich zu dichten, schwarzen Gewitterwolken über Paul Forster zusammen.

Zwei Männer, die nebst anderen am 20. September abends in Bäumlers Gaststübchen gezecht hatten, erkannten in Forster ganz bestimmt den von ihnen bereits beschriebenen, unbekannten, unheimlichen Gast. Andere wagten dieses zwar nicht auf ihren Eid mit voller Gewißheit zu behaupten; was sich daraus erklären läßt, daß sie Forsters Physiognomie nicht im ganzen aufgefaßt oder nicht tief genug sich eingeprägt hatten. Außerdem hatte sich Forster unterdessen seinen damals sehr starken Bart abnehmen und die Kopfhaare schneiden lassen.

Ferner erzählte die Magaretha Preiß in ihrem summarischen Verhör, daß Forster am Donnerstag, den 21. zwischen vier und fünf Uhr bei ihr angekommen sei. Er habe statt seines gewöhnlichen braunen Überrocks, in dem er sie einige Tage zuvor verlassen, einen neuen blauen getragen. Über seinen alten Beinkleidern trug er weite, ihr ganz unbekannte von Nanking, und statt seiner schlechten, vorgeschuhten Stiefel hatte er neumodische, gewichste Suwarowstiefel angehabt. In seinen Händen hat er in seinem Schnupftuch Geld getragen, das er alsbald mit dem Bemerken in ihren Schrank gestellt, es gehöre dasselbe nicht ihm, sondern sei ihm zur Bestellung übergeben worden. Aus seiner Beinkleidtasche habe er einen Dukaten und einen Nürnberger Taler herausgenommen und beide ihrer Tochter geschenkt. Sehr ermüdet sei er angekommen, habe Blasen an den Füßen gehabt und sei dann, ganz gegen seine Gewohnheit, äußerst still und nachdenkend gewesen. Sie habe ihn darum befragt. Doch er habe ganz einsilbig erwidert: man könne nicht alle Tage heiter sein. Am folgenden Tag habe er nichts gegessen und sich ebenfalls still und stumm erwiesen. Als am Samstag abends ein Gepolter gehört worden und Männer in die Stube eingetreten sind, um ihn zu verhaften, ist er feuerrot geworden. Auf ihre Frage: »Du hast gewiß etwas angestellt?« hat er weiter nichts erwidert als: »Nein, ich habe gar nichts getan.«

Dörr, ein armer Bleistiftmacher, der mit dem alten Forster und dessen beiden Töchtern in demselben Häuschen wohnt, gab vor Gericht an:

»Donnerstag, am 21. morgens zwei Uhr, ist Paul Forster vor das Fenster seiner elterlichen Wohnung gekommen und hat seinen Vater herausgerufen. Der ist aber damals schon bei Thaler in der Dreschtenne gewesen. Forsters Schwester Walburga aber, als sie seine Stimme vernommen, hat gerufen: ›Das ist ja mein Bruder Johann!‹ Sie ist dann vom Bette aufgestanden, hat ihren Vater herbeigeholt. Nun haben sich alle drei hinter dem Haus zusammengestellt und ungefähr eineinhalb Stunden lang leise miteinander gesprochen. Am andern Morgen habe Walburga zu seiner (Dörrs) Frau gesagt: ›Mein Bruder Paul ist in das Hopfenblatten nach Langenzenn gegangen. Er hat mir seine Stiefel geschenkt, weil er sich neue gekauft hat. Paul Forster hat seinem Vater, wie er mir selbst (dem Zeugen) erzählt hat, in jener Nacht eine Schuld mit 4 oder 5 Vierundzwanzigern ausbezahlt.‹«

Daß Forster übrigens nicht, wie er in seinem summarischen Verhör angegeben, im Thalerischen Heustadel bis ein Uhr nachts geschlafen habe, wurde durch eidliche Aussage des Thaler und seines Sohnes erwiesen. Sie versicherten, daß ihr Stadel immer gegen Abend verschlossen werde. Das befremdende, nächtliche Erscheinen Forsters vor seinem väterlichen Haus schloß sich nahe an die Zeit, in der die Mordtat vorgefallen war. Überdies mußte das lange geheime Gespräch mit Vater und Schwester um so verdächtiger erscheinen, als Walburga, wie die beim Dreschen anwesenden Personen bezeugen, ihren Vater unter einem ganz falschen Vorwande abgerufen hatte.

In sehr kurzer Zeit kam man dann auch sogar zur Entdeckung eines Werkzeuges, das kaum noch einen Zweifel übrig ließ, daß Paul Forster sich desselben zur Verübung jenes doppelten Mordes bedient habe. Eine gewisse Margaretha Wölflin, welche mit Forsters Schwestern Umgang pflog, war nämlich am Mittwoch, den 20. September, nachmittags zwischen drei und vier Uhr nach St. Johann gegangen, wo sie Forsters kleine Schwester Katharina in den Kirchhof hineingehen, dann wieder herausgehen und ihre größere Schwester Walburga herbeiholen sah. Walburga ging hierauf in den Kirchhof. Hier stand Paul Forster, sprach leise mit ihr, worauf sie von ihm hinweg in ihre Wohnung ging. Alsbald kam sie mit einer Holzhacke zurück, die sie, als wolle sie dieselbe verbergen, an der Seite unter der Achsel trug. Als die Wölflin sie anredete, was sie denn da unter dem Arm habe, trug sie die Hacke freier, ging damit auf ihren Bruder zu, der unterdessen aus dem Kirchhof herausgekommen war, um seine Schwester zu erwarten, und übergab ihm die Hacke mit der Äußerung: »Höre, du könntest mir einen Gefallen tun, wenn, du die Hacke für mich zum Schleifen in die Stadt trügst.« Forster nahm sie dann nach einigen Zwischenreden und ging damit auf die Stadt zu, nachdem er zuvor der Wölflin, wie sie sich ausdrückte, ein falsches Gesicht gemacht hatte, gerade als wollte er sagen: »Muß denn diese auch da sein?«

Am Morgen des folgenden Tages begegnete die Walburga derselben Wölflin und erzählte ihr, daß in vergangener Nacht der Pfragner Bäumler erstochen worden sei. In ihrem Körbchen trug sie die abgewaschenen und abgeriebenen Stiefel ihres Bruders, um sie zu verkaufen. Aber sie konnte keinen Käufer dafür finden. Da zog sie sie nun selbst an und begegnete darin am nächstfolgenden Tag wieder derselben Wölflin, zu welcher sie sagte: »Nun trage ich die Stiefel meines Bruders selbst.« An demselben Tag traf auch Walburga mit einem gewissen Toth zusammen. Dem erzählte sie auch, daß sie ihres Bruders Stiefel von ihm geschenkt bekommen habe und setzte hinzu: »Wenn's gut geht, und es wird nicht mehr lange anstehen, so werde ich auch einen neuen Überrock bekommen.«

Sobald die Polizeibehörde, die dem Gericht auf das tätigste in die Hände arbeitete, von jener Hacke Kunde erhalten hatte, veranstaltete sie am 26. September Haussuchung in der Forsterschen Wohnung und fand hier in der hintersten Ecke der Holzlege eine große Holzhacke. Der anwesende Polizeisoldat Kurr versicherte, daß er eben diese Hacke abends zuvor in der Stube der Forsters hinter der Truhe am Ofen, in einen nassen Lumpen gewickelt, gesehen habe. Der Untersuchungsrichter, dem dieses Werkzeug eingehändigt wurde, bemerkte am Stiel, da wo er in das Beil eingefügt ist, rings herum eine Feuchtigkeit von rötlicher Färbung. Margaretha Wölflin erkannte in dieser Holzhacke, an einem Riß im Eisen, genau dieselbe wieder, die Walburga am Tage des Mordes ihrem Bruder eingehändigt und dieser mit sich in die Stadt getragen habe. Der Gerichtsarzt erklärte, schon auf den bloßen Anblick hin: er könne die wahrzunehmende Färbung des Holzes an den beiden Seiten des Hackenstiels, unmittelbar unter der Einkeilung des Beils, für nichts anderes als für halbvertilgte Blutspuren halten. Forsters Schwester Walburga, die nebst der jüngeren, Katharina, verhaftet wurde, bekannte in ihrem ersten summarischen Verhör: Ihr Bruder habe am 20. September nachmittags auf dem Kirchhof die Hacke verlangt, jedoch nur in der erklärten Absicht, einen Einbruch damit begehen zu wollen. In der Nacht darauf zwischen zwei und drei Uhr habe er ihr die abgewaschene Hacke wieder zurückgebracht. Dann hat er ihr seine Stiefel, die ebenfalls ganz abgewaschen gewesen, zum Geschenk gemacht. Er erklärte, er sei mit seinem Einbruch nicht sehr glücklich gewesen und habe nur etwas erbeutet. Späterhin aber, wenn er zu Geld komme, wolle er ihr etwas schicken. Auf sein Verlangen habe sie ihm seinen Vater herbeigeholt, dem er einen Gulden und 38 Kreuzer zurückgezahlt. Das Geld hatte ihm der Vater vor vierzehn Tagen geliehen gehabt. Im zweiten Verhör bekannte sie jedoch zuletzt auf dringenden Vorhalt des Untersuchungsrichters: In jener Nacht habe ihr Bruder zu ihr gesagt: »Ich habe etwas Böses begangen. Habe Großes getan. Ich habe einen ermordet. Hole mir schnell den Vater. Ich gehe aufs Hopfenblatten. Die Stiefel und die Hacke wäschst du ab und hebst sie auf, damit niemand etwas davon erfährt.«

An den Stiefeln habe sie große, trockene Flecken wahrgenommen, die beim Waschen sogleich weggegangen und vertrocknetes Blut gewesen sein müssen. In einem späteren Verhör setzt sie noch hinzu: Die seidenen Quasten an beiden Stiefeln seien von Blut ganz zusammengeklebt gewesen.

Durch diese und viele andere sich gleichsam nahe aneinanderdrängende Anzeigungen wurde ein beinahe schon zu Forsters Verurteilung hinreichender Beweis zusammengebracht. Es war nicht nur der dunkelbraune Überrock, den Forster am Tage des Mordes getragen und den er zu Fürth dem Hausknecht Popp aufzuheben gegeben hatte, sehr stark mit Blut befleckt gefunden worden, sondern es wurde auch erwiesen, daß er einen guten grauen Überrock, den er über jenem braunen getragen, in Fürth bei einer Jüdin gegen den blauen, in welchem er verhaftet wurde, vertauscht habe. Dieser wieder herbeigeschaffte, graue Überrock hatte dem Pfragner Bäumler gehört und zeigte an seinem weißen Unterfutter ebenfalls bedeutende Blutflecken. Ebenso wurden die Nankingbeinkleider und die Suwarowstiefel, in welchen er von Nürnberg nach Diesbeck gekommen war, von den Handwerksleuten, welche sie selbst verfertigt hatten, für Bäumlers Eigentum erkannt. Das alles und das Geld mit den Geldsäckchen, die niemand anders als dem Bäumler gehört haben konnten, gaben ein unverdächtigeres Zeugnis als die unverdächtigsten Zeugen. So wurden die Untersuchungsakten zum Erkenntnis auf Spezialinquisition dem Obergericht eingesandt.

 

Das Märchen von den zwei Hopfenhändlern

In dieser Lage befand sich die Angelegenheit, als der schlaue Forster dem Untersuchungsrichter mit der Bitte um ein Verhör zuvorkam. Forster hatte in der Einsamkeit seines Gefängnisses Zeit genug gehabt, um zu erwägen, daß eine Menge unverwerflicher Tatsachen, die unmöglich dem Richter verborgen bleiben konnten, laut gegen ihn Zeugnis geben würden. Seinem klaren, an Erfahrungen dieser Art reichen Verstande konnte nicht entgehen, daß, wenn er die bei der Rekognition der Leichen und in seinem ersten Verhöre übernommene Rolle eines von gar nichts wissenden Unschuldigen fortzuspielen versuche, er sich in den bedenklichen Fall setze, immerwährend von Frage zu Frage das Unleugbare leugnen, Schritt vor Schritt gegen neue Tatsachen kämpfen und ihnen ebensooft unterliegen zu müssen. Dadurch hätte er sich, wie ihm einleuchten mußte, in ein ebenso ermüdendes als gefährliches Spiel gewagt, bei dem er leicht von einem Schlupfwinkel in den anderen getrieben und aus jeder seiner Antworten und Erklärungen immer ein neues, ihn enger verstrickendes Netz zusammengewebt werden konnte. Um daher dem bedenklichen Einzelgefecht mit besonderen Anzeigungen ein für allemal zu begegnen und dem Richter die Angriffswaffen, noch ehe er sie gebrauchen konnte, gleichsam mit einem Griff aus der Hand zu winden, entwarf er den Plan zu einer Art Bekenntnis, indem er alle Schuld auf andere hinüberwälzte. Zugleich aber auch viele der schwersten Anzeigungen, die der Richter entweder schon jetzt gegen ihn hatte oder noch im Laufe der Untersuchung bekommen konnte, auf einmal umfaßte, so daß er einzelne Tatsachen, sobald sie ihm späterhin vorgehalten wurden, unbedenklich als wahr einräumen und sich im übrigen bloß auf seine allgemeine Lüge beziehen durfte. Er eröffnete dieses selbsterbetene Verhör treuherzig mit einer Erklärung:

»Ich habe den Herrn Richter zu mir bitten lassen, weil ich in meinem ersten Verhör mehrere Unwahrheiten angegeben habe. Ich werde aber jetzt solche Umstände erzählen, wodurch die Mörder an den Tag kommen müssen.«

Und nun spann er fast in einem Atem, ohne sich besinnen zu müssen, eine weitschweifige, mit überflüssigen Umständen überladene Erzählung ab, in der er das schützende Märchen einwebte, an dem er während der ganzen folgenden Untersuchung festzuhalten entschlossen war:

»Am Montag, dem 18. September, bin ich von Diesbeck nach Langenzenn gegangen. Ich war entschlossen, wegen meiner mißlichen Lage mein Vaterland zu verlassen. Ich wollte in Böhmen Soldat werden. Vor Langenzenn bin ich, traurig den Gedanken an mein Schicksal nachhängend, an der Chaussee gesessen, als zwei Männer, die Hunde bei sich gehabt haben, auf der Landstraße auf mich zugekommen sind. Sie haben mich angeredet und mich über mein Schicksal befragt. Sie haben sich mir, nachdem ich ihnen mein Unglück erzählt, sehr teilnehmend erwiesen. Sie haben mir gesagt, sie seien die Gebrüder Schlemmer, Hopfenhändler aus Hersbeck. Sie hätten reiche Verwandte in Böhmen. Nächstens würden sie eine Hopfenlieferung dahin machen, und sie seien erbötig, mich dorthin mitzunehmen. Vielleicht gelänge es ihnen, mich allenfalls als Hausknecht oder auf andere Art unterzubringen. Morgen oder übermorgen, am Mittwoch, es war der Tag des Mordes, würden sie mit einem Hopfenwagen nach Nürnberg kommen, wo sie einen Vetter hätten, einen Pfragner, unweit der Lorenzkirche. Er hieße Bäumler. Dort sollte ich sie erwarten. Am folgenden Tag, dem 19. September, bin ich dann, statt nach Böhmen, nach Nürnberg gegangen. Unweit der Lorenzkirche bin ich die Straße auf und ab gewandelt. Bei einem Bader habe ich mich dann nach Bäumler erkundigt. Ich habe auch gefragt, wer denn das Weibsbild im Haus sei? Jener hat mir darauf geantwortet, es sei Bäumlers Magd. Bis um sechs Uhr abends habe ich vergebens auf die Gebrüder Schlemmer gewartet. Dann bin ich wieder nach St. Johann gegangen, wo ich mich in Thalers Stadel zum Schlafen niedergelegt habe. Am Mittwoch, dem 20. September, bin ich wieder in der Frühe nach Nürnberg gegangen und habe mich an verschiedenen Orten aufgehalten. Um vier Uhr ist mir der Gedanke gekommen, bevor ich nach Böhmen abreise, will ich wenigstens noch von meinen Schwestern Abschied nehmen. Bei dieser Gelegenheit des Abschieds hat mir meine Schwester Walburga eine Holzhacke gebracht. Sie gab mir den Auftrag, die Hacke in die Stadt mitzunehmen, um sie in die Schleife am Trödelmarkt zu tragen. Von da wollte sie sie dann selbst wieder abholen. Als ich in der Stadt mit dieser Axt zur Schleife gehen wollte, sind mir, gegen fünf Uhr, die beiden Schlemmer begegnet. Sie haben mich beauftragt, einen Brief, der schnell besorgt werden müsse, sogleich für sie auf die Post zu tragen. Sie nahmen meine Holzhacke einstweilen zu sich und wollten am selben Platz meine Zurückkunft erwarten. Als ich nach Besorgung des Briefs wieder zur vorigen Stelle zurückgekommen, waren sie nicht mehr zu treffen gewesen. Ich ging die Straße auf und ab. Vergebens. Sie waren fort und kamen nicht wieder. Da bin ich endlich um sechs Uhr abends in die Bäumlersche Wirtschaft gegangen, wo ich roten Nägleinsbranntwein bestellte. Nachdem ich lange gewartet, und nachdem bereits alle übrigen Gäste fortgegangen, kamen um dreiviertel zehn Uhr endlich die beiden Schlemmer. Bäumler begrüßte sie als Vettern. Einige Zeit nachher aber haben mich die Schlemmer mit dem Auftrag hinweggeschickt, ich solle in der Karolinenstraße auf ihren Wagen, der mit zwei weißen Pferden von Fürth kommen werde, warten. Ich hab das getan. Nach dreiviertel zehn Uhr sind mir endlich die beiden Schlemmer wieder nachgekommen. Der eine der beiden Schlemmer hat ein weißes Paket unter dem Arm getragen. Beide zusammen einen Koffer. Währenddem kam der bezeichnete Wagen herangefahren. Bei dem befanden sich ebenfalls zwei Männer. Die beiden Schlemmer sagten zu ihnen: Sie hätten großes Glück gemacht. Sie hätten das große Los gewonnen. Sie waren sehr lustig, und ich habe mich mit ihnen auf den Wagen setzen müssen. Allein vor dem Tore erklärten sie mir auf einmal: Da sie jetzt ein größeres Glück gemacht, würden sie gar nicht mehr nach Böhmen gehen. Um mir jedoch zu zeigen, wie gut sie es mit mir meinten, wollten sie mir etwas geben, womit ich auch in meinem Vaterlande mich forthelfen könne. Und der eine Schlemmer hat mir das weiße Paket, das er unter dem Arm getragen, als Geschenk eingehändigt. Mit dem Paket und der Holzhacke, die sie mir hier ebenfalls wieder zurückgaben, bin ich nach St. Johann gegangen. Im Thalerschen Garten habe ich das Paket geöffnet. Außer einem Überrock, ein Paar Stiefel und ein Paar Hosen waren außerdem noch drei Säckchen mit Geld darin.«

Während dieser Lügengeschichte stand der Verhaftete auf einer Stelle, ohne sich des Stuhles zu bedienen, den ihm sein Richter angeboten hatte. Die Erzählung selbst floß, als habe er sie auswendig gelernt, frisch von seinem Munde. Er blickte dabei seinem Richter frei und offen in die Augen. Als jedoch seine Erzählung geendigt war und er über manche Dinge, worauf er sich nicht vorbereitet hatte, zum Beispiel über Aussehen, Gestalt und Kleidung der beiden Schlemmer, genauere Auskunft geben sollte, zeigte er Verlegenheit, besann sich, sprach langsamer und wich dem forschenden Blicke des Inquirenten aus.

 

Ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Tat von mehreren oder nur von einem begangen worden sei?

Daß die Brüder Schlemmer weder zu Hersbruck noch sonstwo auszukundschaften sein würden, ließ sich erwarten. Daß aber Forster Mithelfer gehabt habe, war nun in jener Erzählung wenigstens verschleiert eingestanden. Dadurch war eine Überzeugung bestätigt, die den Untersuchungsrichter sogleich vom Beginn der Untersuchung an geleitet hatte und deren Wahrheit, wie es jedermann schien, in allen äußeren Erscheinungen der Tat beinahe sichtbar vor allen Augen hingelegt war. Wie konnte, dachte man, ein einziger Mensch in einer ununterbrochenen Handlung, gleichsam mit einem Streich, zwei Menschen ermorden? Wie konnte diese zweifache, so grausame Tat mit einer Hand in so kurzer Zeit ausgeführt werden, und zwar in einer lebhaften Straße, in einem vielbesuchten Laden, zu einer Zeit, wo noch wahrscheinlich die wenigsten Menschen sich zu Bette gelegt hatten? Wie war einem einzigen der Entschluß zu einer so über alle Vorstellung kecken Tat zuzutrauen, deren gefahrloses Gelingen, unter solchen Umständen, selbst die kühnste Einbildungskraft, der tollste Leichtsinn, der kräftigste Mut nicht erwarten durfte? Und wäre es nur mit dem Morden allein getan gewesen! Aber wie mancher Zurüstungen und Nebenhandlungen bedurfte es noch, um nicht in Gefahr zu kommen, auf der Stelle entdeckt, bei der Plünderung im Hause gestört und gleichsam auf frischer Tat des Raubmordes ertappt zu werden! Wie viele Hände erforderte dies? Wie viele gleichzeitig zusammenwirkende, einander unterstützende Kräfte, wenn nicht, während das eine geschah, das andere mißlingen oder versäumt werden sollte! Zu allem diesem kommt noch, daß Forster selbst, als er abends im Bäumlerschen Stübchen saß, mehr als einmal sagte: Er erwarte noch einen Kameraden, einen Hopfenhändler, welcher das Theater besucht habe.

Wenige Tage, nachdem Forster in die Fronfeste zu Nürnberg gebracht worden war, am 28. September, bemerkte der in der Nähe aufgestellte Wachtposten gegen elfeinhalb Uhr nachts zwei Mannspersonen, die zu den Fenstern des Gefängnisses, in welchem Forster saß, hinaufblickten. Als sich ihnen die Wache näherte, entfernten sie sich. Vier Wochen später ergab sich ein ähnliches noch auffallenderes Ereignis. Nachts um zweieinviertel Uhr gewahrte die bei der Fronfeste aufgestellte Schildwache am Pegnitzufer, unweit der Brücke, zwei unter einem Baum liegende Männer, die miteinander sprachen. Als ihnen die Schildwache ihr: »Wer da?« zurief, erfolgten, statt aller Antwort, wiederholte Steinwürfe, worauf der Soldat Feuer gab. Die Männer aber liefen davon und entkamen. Was die Vermutung, daß der Raubmord von mehreren müsse begangen worden sein, noch besonders zu bestärken schien, war die Aussage einiger Bekannten Bäumlers, daß Bäumler eine beträchtliche Summe Geldes in seinem Hause vorrätig gehabt habe, weil damals die Zeit des für sein Gewerbe erforderlichen Einkaufs herannahte. Nach dessen Ermordung wurde jedoch im Haus keine Barschaft mehr gefunden, und die Summe, deren man sich bei Forster bemächtigt hatte, betrug nicht viel über 361 Gulden. Alles dieses erklärte sich aber, sobald man voraussetzte, daß Forster in Verbindung mit wenigstens noch einem Miturheber das Verbrechen verübt habe, folglich nur ein Teil der Beute auf ihn gekommen sei.

Die Tätigkeit des Untersuchungsgerichts war daher nicht bloß für die Aufsuchung und Begründung der Verdachtsgründe gegen Forster, sondern auch für die Entdeckung seiner Mitschuldigen gleichzeitig in Anspruch genommen. Korrespondenzen nach allen Seiten, Zeugenverhöre auf Zeugenverhöre, Streifen, selbst weite Reisen bis nach Frankfurt am Main, nichts wurde versäumt, sobald es galt, auch nur den Schatten eines Schattens von Verdacht zu verfolgen. Wer irgendeine verdächtige Lebensweise führte, wer mit Forster oder mit seiner Schwester Walburga irgend einmal in einem näheren Verkehr gestanden war, fast alle Sträflinge, mit welchen Forster in der Strafanstalt zu Schwabach Bekanntschaft gemacht hatte und welche entweder vor ihm oder nach ihm aus dem Straforte entlassen wurden, zog man nach und nach in Nachforschung oder in Untersuchung und in Verhaft. Aber aller vereinten Bemühungen der Gerichts- und Polizeibehörden ungeachtet, nachdem alle ordentlichen Wege versucht, alle möglichen Voraussetzungen und Kombinationen erschöpft waren, fand man sich am Ende wieder auf demselben Punkt, auf dem man sich im Anfang befunden hatte. Alle Vermutungen blieben entweder nur in unbestimmter Allgemeinheit oder fielen wieder mit ihrem Grunde in sich selbst zusammen oder wurden, wo sie einmal bestimmte Personen am stärksten zu treffen schienen, durch den umständlichsten, unumstößlichsten Beweis des Anderswo (Alibi) wieder aufgehoben. Unter anderem schien auch ein Hund, der am Tage der Entdeckung des Mordes, auf der Türschwelle des Bäumlerschen Hauses liegend, gefunden und von der Polizei in Beschlag genommen wurde, zur Entdeckung eines Mitschuldigen zu führen. Dieser Hund veranlaßte eine Menge Nachforschungen, Erkundigungen, Zeugenvernehmungen und Rekognitionsakte. Endlich aber meldete sich ein Gastwirt als der Eigentümer. Durch viele Zeugen war erwiesen, daß jener Hund, von Jugend auf ein sogenannter »Kalfakter«, am 19. September in der Irre herumgelaufen sei und, weil er gewöhnlich in den Fleischbänken sich umhertrieb und das Blut liebte, wahrscheinlich von der Witterung frischen Menschenblutes angezogen, sich auf die Schwelle des Bäumlerschen Ladens hingelagert habe. Daß man mit so vielen nach allen Seiten hin gerichteten, von so viel Verstand und Einsicht geleiteten Anstrengungen ganz und gar nichts fand, hat indessen, wenigstens nach unserer innigsten Überzeugung, bloß darin seinen Grund, weil nichts zu finden war.

Schon die große Übereinstimmung der an beiden Leichen wahrgenommenen Wunden und Vergewaltigungen macht es im höchsten Grade wahrscheinlich, daß sie mit demselben Werkzeuge, von derselben Hand, mit demselben Kraftaufwand, nach gleichem Verfahren zugefügt worden sind. Eine auffallende Gleichförmigkeit in der Behandlung der beiden Unglücklichen ist, wenn man nicht den wunderlichsten Zufall zu Hilfe nehmen oder sich in den zwei Mördern ebenso viele, ganz übereinstimmend in Bewegung gesetzte Menschenmaschinen denken will, nur aus der Voraussetzung erklärbar, daß die doppelte Mordtat einen und denselben Menschen zum Urheber gehabt habe.

Was die Schwierigkeit und die Fährlichkeiten des Unternehmens betrifft, so sind sie fast gar nicht in Anschlag zu bringen bei einer Person, wie wir diesen Forster schon kennen und bald noch besser kennenlernen werden. Ein in jeder Hinsicht gewandter Bösewicht, der mit großer Körperstärke und geübter kräftiger Faust einen an Verstand und Willen nicht minder kräftigen Geist vereinigt, der alles leicht mit einem Blick durchdringt, jede Gelegenheit rasch ergreift, mit starrem, schnell entschlossenem Willen das einmal ins Auge gefaßte Ziel keck verfolgt und bei eben so hellem Kopf als eiskaltem Herzen weder durch Hindernisse in Verlegenheit gesetzt noch durch das Gräßlichste bewegt, geschweige außer Fassung gebracht wird. Je größer, ungeheurer eine Tat, desto einladender ist sie für einen solchen Menschen. Überdies ist der ganze Vorgang sehr wohl erklärbar, ohne daß man dazu der Mitwirkung eines oder mehrerer anderer Genossen oder auch nur der Voraussetzung eines besonderen Heldenmutes des einen Täters bedarf.

Daß nur eine und dieselbe Person den doppelten Mord und zugleich den Raub ausgeführt habe, dafür spricht unzweideutig noch der Umstand, daß von Bäumlers Sachen vieles gar nicht entwendet war, was mehrere Mord- und Raubgesellen nicht würden im Stiche gelassen haben. Im ersten Stockwerk, aus dem das Geld mit einigen Kleidungsstücken entwendet worden war, wurden nicht nur in den geöffneten Schränken noch gute Kleider, sondern auch in einem noch ungeöffneten Fach der Kommode mehrere leicht fortzubringende Sachen von Wert zurückgelassen: Silberzeug, mit Silber beschlagene Pfeifen, eine goldene Repetieruhr und ein unerbrochenes Kästchen, in dem sich manches vermuten ließ. Mehrere Verbrecher, die gemordet, um sich durch Raub zu bereichern, würden doch gewiß nicht bloß halbe Arbeit verrichtet haben. Aber Forster, der allein auf seine eigene Kraft angewiesen und mit seiner Zeit zu geizen genötigt war, mußte sich freilich auf das in der Kammer offen liegende Geld und auf ein paar Kleidungsstücke beschränken. Daß Bäumler mehr bares Geld vorrätig gehabt habe, ist eine bloße Vermutung. Zudem ergab sich nach seinem Tode, daß der Ruf ihn bei weitem wohlhabender gemacht hatte, als er es wirklich war.

 

Das Benehmen Forsters in der Spezialinquisition

Gegen Paul Forster, seine Schwester Walburga und gegen Magaretha Preiß wurde am 7. November 1820 die Spezialinquisition erkannt. Sie lieferte aber, zweckmäßig durchgeführt, in der Hauptsache kein anderes Ergebnis gegen Forster, als bereits die Generaluntersuchung gewährt hatte. Er hatte dreizehn lange Verhöre zu bestehen, auf eintausenddreihundertdreizehn Fragestücke zu antworten und mußte die Probe zahlloser Konfrontationen aushalten. Aber nichts konnte ihm das mindeste Eingeständnis abgewinnen. Stark und ausdauernd wie sein Körper, der oft fünf bis sechs Stunden lang, während jener Verhöre, auf einer und derselben Stelle unbeweglich aufrecht stand, beharrte sein gewaltiger Geist bei allen Angriffen, ohne zu weichen oder zu wanken, auf demselben Platz, den er ein für allemal zu behaupten sich vorgesetzt hatte.

Bereits damals im Arbeitshaus äußerte er mehreren seiner Mitgefangenen gegenüber:

»Wenn ich nach wiedererlangter Freiheit von neuem in eine Untersuchung komme, so werde ich beim Leugnen beharren, und wenn meine Zunge schwarz werden und in meinem Munde verfaulen, ich selbst krumm und lahm werden sollte!«

In seiner Person vereinigten sich denn auch wirklich alle Gaben, um in einer Untersuchung, wo gleichsam die Wahrheit selbst anklagend und überführend ihm gegenüberstand, jenem Versprechen getreulich Wort zu halten. Ausgerüstet mit einem klaren, scharfsichtigen, schnell fassenden Verstande, bei eiskaltem Gemüte, dessen Ruhe durch keine Leidenschaft, kein Gefühl, keine Gewissensregung gestört wurde, war er ganz der Mann, wie er sein mußte, um durch keine Vorhaltung außer Fassung gebracht zu werden. So gut wie der Richter selbst, hatte er im voraus die ganze Reihe der Überzeugungsmittel, die gegen ihn vorhanden sein mochten, mit Falkenaugen überschaut, in ihrem Zusammenhange erkannt und nach ihrem Gewicht berechnet.

An dem Märchen von den beiden Hopfenhändlern hielt er sich festgeklammert, wie der Schiffbrüchige an seinem Brett, das ihn zum sichern Ufer retten soll. In dieser märchenhaften Erzählung, von der er nicht den kleinsten Umstand nachließ, obgleich er selbst mehrmals einräumte, daß zu seinem Unglück niemand an die Wahrheit derselben glauben werde, hatte er sich ein für allemal eine Hintertür geöffnet, durch die er den sprechendsten Tatsachen, den treffendsten Beweismitteln, immer nur mit ein paar Worten, mit einer und derselben Gegenrede, auszuweichen vermochte. Nichts war so stark, daß es ihn hätte erschüttern können. Weder das Vorzeigen der blutbefleckten Kleider oder des Mordbeils noch die Gegenüberstellung mit seiner Schwester Walburga oder anderen Zeugen. Verriet auch manchmal ein flüchtiges Erröten oder Erblassen oder der gesenkte, scheue, dem Richter ausweichende Blick seine Überraschung und Verlegenheit, so wußte er doch auf der Stelle sich seiner Regung zu bemeistern und Ton und Haltung wieder anzunehmen, die seine Aufgabe von ihm zu fordern schien. Besonders als die Hacke in Frage kam, zeigten seine, bei oft wechselnder Gesichtsfarbe, rollenden Augen eine innere Bewegung. Aber seine Stimme blieb fest, und seine Antworten waren abgemessen. Als seine Schwester Walburga ihm gegenübergestellt wurde, erschien er ebenfalls im Anfang betroffen, entfärbte sich dann zuweilen, und seine Hände zitterten. Dennoch behauptete er auch hier seine Herrschaft über sich in so hohem Grade, daß er, während er frech die unleugbarsten Wahrheiten ableugnete, ihr mit festem Blick fortwährend in das Angesicht sah. So glichen während der ganzen Spezialinquisition die vorübergehenden Regungen seines Gemütes entweder nur dem Zusammenfahren eines Wildes, das plötzlich auf die Netze trifft, die ihm gestellt sind, oder dem Ingrimm eines Tigers, der den ihn umringenden Jägern feurige Blicke zuwirft, während er sprungfertig sich die Stelle aussucht, wo er ihre Reihe durchbrechen kann. Wurde ihm von dem Untersuchungsrichter bei solchen Gelegenheiten sein Erröten oder seine Befangenheit vorgehalten, so gab er ihm die ganz richtige Bemerkung zurück:

»Ein Unschuldiger kann befangener erscheinen als ein Schuldiger. Der weiß, was er begangen hat, aber ein Unschuldiger weiß, daß er keinen Beweis seiner Unschuld für sich aufbringen kann. Ich sehe wohl ein, daß ich nicht durchkomme, wenn die Schlemmer nicht aufgegriffen werden können. Ich kann daher nichts tun, als Gott bitten, daß er das Herz meiner Richter erleuchte, damit sie Schuld und Unschuld, das Mögliche und Unmögliche unterscheiden. Schuld und Unschuld grenzen nahe aneinander, und ich bin nicht imstande, einen Beweis meiner Unschuld aufzubringen.«

Von seiner List, Heuchelei und Verstellungskunst gibt besonders folgende Tatsache einen ganz auffallenden Beweis. Im Verlaufe der Untersuchung wurde ihm unter anderen der Sträfling Johann Wagner wegen gewisser Äußerungen gegenübergestellt, die er, noch während seiner Gefangenschaft im Arbeitshause zu Schwabach, über künftige verbrecherische Pläne getan haben sollte. Am Schluß dieser Konfrontation beschuldigte ihn Wagner, daß er ihm im Arbeitshause seinen seidenen Hosenträger entwendet und bei seiner Entlassung mitgenommen habe. Forster leugnete. Der Untersuchungsrichter ließ sogleich einen Hosenträger, der nebst anderen bei Forster gefundenen Sachen im Gericht verwahrt wurde, zur Stelle bringen. Wagner erkannte ihn für den seinigen. Forster beharrte nichtsdestoweniger beim Leugnen. Allein in der Stille des Gefängnisses bedachte er, daß ihm dieser Umstand trefflich zustatten kommen könne, um seinem Leugnen und Lügen in betreff des Mordes den Schein der Glaubwürdigkeit zu geben. Zwei Tage nachher erbat er sich daher ein Verhör. Er erschien vor seinem Untersuchungsrichter mit niedergesenktem Haupt und Trauer in seinen Mienen. Seine Hände zitterten. Er machte den Eindruck eines von Reue und Scham auf das allertiefste niedergebeugten, ganz zerknirschten, armen Sünders und gestand in einer umständlichen Erzählung, daß er wirklich den »teuflischen Gedanken« ausgeführt habe, dem Mitsträfling Wagner seinen seidenen Hosenträger zu stehlen. Dieses reumütige Bekenntnis sollte nur dazu dienen, seinem Richter die Überzeugung zu geben, daß ein Mensch, dessen zartes Gewissen nicht einmal das Geheimnis eines gestohlenen Hosenträgers zu bewahren vermöge, um so weniger imstande sein kann, einen doppelten Mord zu begehen und die Last eines solchen Bewußtseins in sich allein zu tragen.

Daß aller Mut, alle Beharrlichkeit, alle List nicht ausreichen werde, die Evidenz der Wahrheit mit leeren Ausreden und Erdichtungen zu besiegen, mußte ihm wenigstens gegen das Ende der Untersuchung einleuchten, wie er es denn auch mehr als einmal selbst versicherte. Wenn er trotzdem nicht das mindeste zugab, so ist hiervon nicht bloß in der Hoffnung, auf diese Art wenigstens der Todesstrafe zu entgehen, sondern auch in seinem stolzen Selbstgefühl der Grund zu finden. Von den Vorzügen seines Verstandes eingenommen, geizend nach dem Ruhm einer seltenen Seelenstärke, eines alles besiegenden Willens, eines vor nichts erschreckenden Muts, konnte er es nicht über sich gewinnen, seinem Richter die Freude des kleinsten Siegs über seinen Verstand oder über sein Gemüt zu gönnen. Mußte er fallen, so wollte er wenigstens fallen als ein Held. Konnte er dem Schicksal eines Verbrechers nicht entgehen, so rettete er sich wenigstens, wie er es ansah, vor dem schmählichen Bewußtsein eines feigen, seiner Schwäche abgewonnenen Geständnisses. Schauderte es anderen vor ihm und seiner Tat, so durften sie ihn wenigstens nicht verachten, weil er sie zwang, ihn noch in seiner Scheußlichkeit zu bewundern. Ein Verbrechen, wie die Ermordung Bäumlers und seiner Magd, konnte auch ein anderer begehen und war an sich die Tat eines gemeinen Bösewichts. Aber im Kampf mit allen Gefahren der begangenen Tat unerschüttert aufrecht stehen, aller Kunst eines geübten Untersuchungsrichters, aller Wahrheit, allem Augenschein Trotz zu bieten, das Entsetzlichste nicht nur ertragen, sondern auch mit kaltem Blicke betrachten, keine Regung des Mitleids empfinden, nichts der Mahnung eines schuldbewußten Gewissens einräumen und in allem diesem sich immerwährend gleichbleiben, sowohl vor Gericht wie in der gräßlichen Einsamkeit des Gefängnisses, das war es, was ihn hoch über die Schar der gewöhnlichen Missetäter erhob, ihn selbst aus den Schranken der Menschlichkeit hinausrückte. Mit allem diesem mußte er sich freilich als ein Ungeheuer erscheinen. Aber als dieses Ungeheuer fühlte er sich wenigstens groß.

 

Der vollkommene Beweis der Schuld durch zusammentreffende Anzeigung

Obgleich Forster weder der Tat geständig noch derselben unmittelbar durch Zeugen überwiesen war, so trafen gleichwohl alle Bedingungen zusammen, welche das bayerische Strafgesetzbuch Teil II zu §328 zu einem vollständigen Beweise durch übereinstimmende Anzeigungen erfordert.

 

I. Schon während seiner Gefangenschaft im Strafarbeitshause zu Schwabach, und zwar wenige Wochen vor seiner Entlassung, machte er vielmals in Gegenwart mehrerer Gefangenen Äußerungen, die deutlich zu erkennen gaben, daß er mit einem großen verbrecherischen Plane umgehe. Die Ausführung, wenn er wieder in der Freiheit sich befinde, würde entweder sein Lebensglück dauernd begründen oder ihn auf immer in das Verderben stürzen. Ein Vers, den er im Arbeitshaus an die Wand schrieb:

»Bis hierher hat der Herr mir nun geholfen.
Er wird mir auch noch an den Galgen helfen«

zeigt, mit welchen Gedanken dieser Mensch sich damals selbst im Scherze spielend beschäftigte. Verschiedene Stellen seiner Briefe, die er nicht lange vor seiner Entlassung aus dem Straforte an seine Braut Magaretha und deren Tochter schrieb, dienen, obgleich sie den Hauptgedanken im dunkeln halten, zur Bestätigung jener ganz unzweideutigen mündlichen Erklärungen. Er schrieb unter anderem:

»Glaube mir, gute Magaretha, daß mit dem Tag meines Wiedererscheinens unsere Verhältnisse eine ganz andere Wendung nehmen werden. Ich kann Dir nicht sagen, wie, und Du bist trotz Deiner Geschicklichkeit nicht imstande, hineinzusehen. Noch wenige Monate, dann wirst Du davon überzeugt sein.« In einem Brief ohne Datum, doch aus derselben Zeit, an die Tochter der Magaretha Preiß, welcher er hier gelegentlich gar sehr Tugend, Sittlichkeit und das Bücherlesen empfiehlt, kommen folgende Stellen vor: »Ich habe jetzt, wenn ich loskomme, Mittel und Gelegenheit, Dir alle Deine Wünsche in Erfüllung bringen zu können. Mir wird es Freude machen, Dich als meine einzige Tochter der großen Welt zeigen zu können. Ach, gute Maria, daß Du seit drei Jahren es tief empfunden hast, daß Du ohne Vater leben mußtest, will ich Dir herzlich gern glauben. Ich werde Dir aber dafür Dein schönes Leben zu versüßen suchen. Du wirst glücklich sein in einer Stadt, die Dir noch als unmündiges Kind bekannt sein wird. Dort werden wir unsern Feinden Trotz bieten, und dann werden wir die nicht kennen, die jetzt Dich und mich mit Verachtung nicht mehr kennen wollen. Verlasse Dich auf Deinen Vater. Du wirst glücklich sein. Das nächste Vierteljahr wird Dich davon überzeugen.«

Was sollen diese geheimnisvollen Reden? Mit welchen Unternehmungen konnte ein verachteter, bettelarmer Arbeitshaussträfling sein und der Seinigen Glück sogleich nach seiner Entlassung in so hohem Grade zu gründen hoffen, daß er seiner Braut mit einer so glänzenden Veränderung ihrer Verhältnisse, deren Tochter mit Erfüllung aller ihrer Wünsche, sogar mit der Aussicht auf die große Welt, schmeicheln durfte?

 

II. Forster, der mit nur wenig Gulden Verdienst aus dem Strafarbeitshaus entlassen war, sprach sehr bald zu seiner Magaretha von ihrer beiderseitigen nahe bevorstehenden Heirat. Er redete ihr in dunklen Ausdrücken von allerlei Freunden, von Unternehmungen und Geschäften, die sein baldiges Glück machen würden. Er sprach von den Freimaurern, seinen Brüdern, die in der St.-Lorenz-Kirche ihre Versammlungen abhielten. Er gab Reisen vor, welche er zu seinen Freunden oder für dieselben unternehme und schrieb sogar, um Magaretha in ihrem Glauben an die großen, glückbringenden Verbindungen ihres Geliebten zu bestärken, in ihrer Gegenwart einen Brief nach Nürnberg an eine von ihm erdichtete »Freiherrlich von Bünderische Familie zu St. Lorenzen«, in dem von einem »Buchhalter der Philosophie, von Sr. Exzellenz dem Freiherrn von L., Gouverneur der philosophischen Verbindung« und dergleichen die Rede ist. Er selbst will dieses alles seiner Braut nur darum vorgespiegelt haben, um sie zu bestimmen, ihm treu zu bleiben und ihn ferner in seiner Not von dem, was sie besitzt, zu unterstützen. Setzt man aber damit in Verbindung, daß Forster sich an verschiedenen Orten, besonders aber zu Nürnberg, nur beschäftigungslos umhertrieb, so ist nichts anderes zu vermuten, als daß er während dieser Zeit nur nach Gelegenheiten zur Ausführung seines großen Glücksplanes umherspähte. Seine Geliebte, der er, teils aus Besorgnis, teils aus Eitelkeit, das Wahre des Geheimnisses nicht zu entdecken wagte, durch jene Vorspiegelungen sowohl über die Ursache seines Umhertreibens und, wenn seine dunklen Pläne gelingen sollten, sie über die eigentlichen Quellen seiner schnell erworbenen Reichtümer im voraus irrezuleiten und zu beruhigen suchte.

 

III. Daß Forster vor dem Morde lang und oft in der Königsstraße an dem Bäumlerschen Hause verdächtig vorübergegangen war und zu verschiedenen Zeiten in der Nähe dieses Hauses auf der Lauer gestanden hatte, ist durch Zeugen dargetan. Bereits sechs Tage vor dem Morde sah Barbara Recklein mit ihren beiden Schwestern den Forster in der Königsstraße von nachmittags drei bis abends einhalb sieben Uhr immer vor der Bäumlerschen Wohnung auf und ab gehen. Am 19. September, am Tage vor dem Mord, sah ihn früh um sechs Uhr Johann Hahn, wie er eine gute halbe Stunde lang an der Ecke der Lorenzkirche mit verschlungenen Armen dem Hause Bäumlers gegenüberstand. Um sieben Uhr desselben Morgens wurde er von Margaretha Kühn und Barbara Schelhorn vor dem Bäumlerschen Hause stehend getroffen. Als ihn diese Mädchen auch am Nachmittage an demselben Platze fanden, redeten sie ihn an, was ihn so sehr überraschte, daß er zusammenfuhr, die Augen niederschlug und weiter nichts zu sagen wußte, als er warte da auf einen guten Freund. Von Max Sussenthaler, einem Nachbarn Bäumlers, wird bezeugt, daß er gesehen, wie Forster nachmittags fünfdreiviertel Uhr an der Tür der Lorenzkirche nach dem Bäumlerschen Hause unverwandt hinübergestiert, dann aber, als er sich von dem Zeugen bemerkt glaubte, seinen Blick schnell nach dem Heiligenbild neben der Kirchtür gewendet und hierauf seinen Platz verlassen habe.

 

IV. Wenige Stunden vor dem verübten Mord setzte sich Forster in den Besitz des Werkzeugs, mit dem, nach Aussage der Sachverständigen, die Ermordung Bäumlers und seiner Magd nicht nur begangen werden konnte, sondern auch aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich begangen worden ist.

 

V. Daß Forster auch nachher in dem Besitz der Hacke geblieben, geht daraus hervor, daß er, noch in derselben Nacht, einige Stunden, nachdem der Doppelmord im Bäumlerschen Hause geschehen war, dieselbe seiner Schwester Walburga wieder zurückgebracht hat. Daß er sie in der Zwischenzeit zum Schleifen gegeben habe, hat er selbst nicht einmal zu behaupten gewagt. Wenn er, um die Hacke aus seinem Besitz hinwegzubringen, die beiden gespenstigen Schlemmer zu Nürnberg erscheinen läßt, die ihm auf der Straße sogleich die Axt abnehmen – man weiß nicht warum? –, dann mit dieser Axt sich entfernen – man weiß nicht wohin? –, hierauf stundenlang mit dieser Axt sich umherschleppen – man weiß nicht wo noch warum und wozu? –, endlich nach neun Uhr mit ihm in Bäumlers Stübchen zusammentreffen, ohne daß man erfährt, ob sie die Axt mitgebracht oder wo sie dieselbe gelassen haben. Erst ganz zuletzt beim Abschied vor dem Tor, nachdem sie ihn reichlich mit Geldsäcken und Sachen beschenkt, auch noch obendrein die erbärmliche Axt sorgfältig wieder zurückgeben, so hat dieses alles ebensoviel Wahrscheinlichkeit für sich, als wenn er erzählt hätte, es sei ihm gerade auf dem Schleiferstege der heilige Sebaldus begegnet und habe ihm, dem frommen Forster, damit er nicht wegen eines inzwischen mit einer Axt verübten Mordes in Verdacht geraten möge, in gutmütiger Vorsicht die Axt aus der Hand genommen und einstweilen, bis zur Rückkehr nach St. Johann, in seinem silbernen Sarge verwahrt.

 

VI. Die Gegenwart Forsters an dem Ort der Tat und um die Zeit des begangenen Verbrechens ist vollständig erwiesen. Auch ist bereits erörtert, daß die Tat, so wie sie geschehen ist, von einem allein nicht nur habe begangen werden können, sondern auch aller Wahrscheinlichkeit nach begangen worden sei.

 

VII. Nach dem Artikel 311 Teil II des Strafgesetzbuchs gehört es unter andern zu den gleichzeitigen Anzeigungen, »wenn sich an einer Person oder an den ihr zugehörigen Sachen Spuren finden, welche nicht wohl anders, als aus dem Verbrechen erklärt werden können«, und zwar, nach §318, in besonderer Beziehung auf Mord, Totschlag oder Verwundung, »wenn bald nach der Tat an jemandes Kleidern, Geräten und dergleichen, besonders aber, wenn an den der Person gehörenden Waffen, womit die Verletzung wahrscheinlich geschehen, Blutspuren gefunden werden.« Nun hat Forster noch in der Nacht des Mordes, von Nürnberg kommend, seiner Schwester seine vom Blut notdürftig gereinigten Stiefel zum Geschenk gemacht. Wenn, wie die Ärzte glaublich machen, die in der Brusthöhle beider Leichen gefundenen Verletzungen wahrscheinlich von Fußtritten des Mörders entstanden sind, so mußten wohl die Stiefel desjenigen, der auf den Leichen umhersprang, besonders am Fuße von Blut durchnäßt, gleichsam damit getränkt werden. An dem einen dieser in gerichtliche Verwahrung gebrachten Stiefel fehlte überdies ein Hufeisen, so daß die Nägel hervorragten, woraus ebenfalls die an der Leiche der Dienstmagd, besonders auf ihrer Brust, wahrgenommenen Hautverletzungen am natürlichsten zu erklären sind. Die Hacke zeigte an ihrem Stiele einen rötlichen Streifen, der von dem Richter und dem Gerichtsarzt sogleich für Blut erkannt wurde. Der braune Überrock, den Forster gewöhnlich trug, den er aber am folgenden Tag zu Fürth ablegte, war an vielen Orten, besonders am Kragen, am rechten Ärmel in der ganzen Länge herab vom Ellbogen an und an dem inneren Rand der rechten untern Rockhälfte, stark mit Blutflecken besudelt. Inquisit weiß diese sprechenden Zeichen seiner Tat nicht anders hinwegzuerklären, als daß sein Rock zu Fürth entweder nicht gehörig verwahrt worden sei, oder daß in den Fleischbänken, wo er am 19. September gewesen sein will, das Blut eines geschlachteten Tieres auf ihn herabgeträuft, oder daß ihm vielleicht die beiden Schlemmer, um den Verdacht ihrer Tat auf ihn zu wälzen, dies zum Schabernack getan. Als Forster in der Mordnacht am 21. September nach St. Johann und von da nach Fürth ging, trug er über jenem braunen Überrock noch einen dem Bäumler gehörigen grauen Rock, wie er selbst gesteht. Dieser zu Fürth von ihm verhandelte Überrock zeigte im weißen Futter deutliche Spuren verwischten Blutes, wofür sie selbst von dem Inquisiten anerkannt wurden, will aber gar nicht begreifen können, wie das Blut an diesen Rock gekommen.

 

VIII. Der Besitz von mehreren Sachen, die teils Gegenstände des begangenen Verbrechens gewesen sind, teils sich zur Zeit der Tat bei dem Beschädigten befunden haben, sind Anzeigungen von größtem Gewicht. Dahin gehört der grautuchene, von Forster aus Nürnberg mitgebrachte und zu Fürth verhandelte Überrock, der Eigentum des Bäumler ist. Gleiches gilt von den Nankingbeinkleidern, die Forster, als er nach Diesbeck kam, über seinen blauen Hosen trug. Der Schneider Ruff erkennt dieselben ebenso wie den Überrock für diejenigen, die er vor einem Jahr dem Bäumler verfertigt hat. Die Suwarowstiefel, worin Forster in der Mordnacht zu St. Johann bei seiner Schwester, dann zu Diesbeck bei seiner Braut erschien und in welchen er verhaftet wurde, waren in der Werkstatt des Schumachers Rieder für Bäumler verfertigt worden.

Die beträchtliche Summe Geldes, die sich in Forsters Gewahrsam bei der Magaretha Preiß befunden hatte, würde schon an und für sich für einen sehr dringenden Verdachtsgrund gelten müssen, weil sich bei einem erst vor wenigen Wochen aus dem Strafarbeitshause entlassenen, ganz verdienstlosen Sträfling keine Art des Erwerbs als möglich denken läßt, durch welchen er rechtlicherweise zu dessen Besitz hätte gelangen können. Allein es vereinigen sich damit noch besondere Tatsachen, die keinem Zweifel Raum geben, daß jenes Geld bei Bäumler genommen worden sei; denn unter den von Nürnberg nach Diesbeck mitgebrachten Münzen befanden sich unter anderen zwei Denkmünzen, die eine auf das dritte Jubeljahr der lutherischen Reformation, die andere auf das Teuerungsjahr 1816-1817, die Forster der jungen Preiß zum Geschenk gemacht hatte. Barbara Wappler und Gallus Bergmann bezeugen eidlich, daß sie dem Bäumler eine solche Teuerungsmünze verschafft haben. Die erstgenannte Zeugin versichert ferner, daß Bäumler auch eine evangelische Jubelmünze von ihr erhalten habe. Forster schenkte ferner der jungen Preiß überdies einen Dukaten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Bäumler Dukaten besessen hat, weil die Fabrikantin Griesmeier versichert, sie habe seit neun oder zehn Jahren dem Bäumler als einem ihrer besten Kunden jährlich einen Dukaten zum Geschenk gegeben. Außerdem wurde bei Forster ein lederner Geldbeutel mit 150 Gulden in Beschlag genommen. Darüber, daß dieser Geldbeutel Bäumlers Eigentum gewesen, konnte zwar wegen der Ähnlichkeit desselben mit anderen keine vollständige Gewißheit erlangt werden. Indessen ist durch eidliches Zeugnis mehrerer Personen, welche den Pfragner öfters Geld zählen sahen, wenigstens so viel dargetan, daß derselbe einen ganz ähnlichen Beutel besessen habe. Auch verbreitete der bei Forster gefundene Beutel einen gemischten Öl- und Mehlgeruch.

 

IX. Mit den bisher zusammengestellten, vorausgehenden und gleichzeitigen Anzeigungen vereinigen sich noch viele Indizien. Daß Forster sich einer schweren Schuld, namentlich der Schuld des in dem Bäumlerschen Hause verübten Raubmordes, bewußt gewesen ist, dafür zeugt der Umstand, daß Forster kurz nach dem vorgefallenen Morde, in tiefer Nacht, sich von Nürnberg entfernte, zu St. Johann seine Schwester Walburga aufweckte, mit dieser eine Weile vor dem Hause flüsterte, schnell seinen Vater herbeirufen ließ, diesem vier Krontaler zum Geschenk machte und sich dann sogleich entfernte. Lauter teils erwiesene, teils selbst eingestandene Umstände, die einerseits aus der Furcht vor der Entdeckung seines Verbrechens, andererseits aus einem kurz vorher gemachten unerlaubten Geldgewinn zu erklären sind.

 

X. Um eben diese Zeit machte er, gejagt von den Ängsten der noch frischen Bluttat, seiner Schwester Walburga das Bekenntnis: »Ich habe etwas Großes getan. Ich habe gemordet.« Zwar beruht dieser Umstand bloß auf der Aussage seiner mit ihm selbst in Untersuchung befangenen Schwester. Da sie indessen, obgleich Mitinquisitin, sich nicht in dem Falle befindet, durch diese Aussage ihre eigene Schuld ganz oder zum Teil auf ihren Bruder hinüberzuwälzen; denn in Hinsicht der Tat selbst war sie, wie erwiesen, ganz unschuldig, so gilt sie, gemäß Artikel 284 Teil II des Strafgesetzbuchs zwar nicht als vollgültige, doch auch nicht als untüchtige Zeugin.

 

XI. Endlich sind verschiedene Handlungen erwiesen und von ihm selbst eingestanden, welche höchstwahrscheinlich in keiner anderen Absicht geschehen sind, als die Nachforschungen des Gerichts gegen seine Person irrezuleiten und die Menschen, die ihn zu Nürnberg in der Königsstraße, dann am Abend des Mordes in dem Bäumlerschen Stübchen gesehen hatten, über seine Person zweifelhaft zu machen. So ist es zu erklären, warum sich Forster auf seiner Flucht nach Fürth sogleich einen neuen, blauen Überrock, in welchem ihn also noch niemand gesehen haben konnte, eintauschte und sich daselbst in eine Barbierstube begab, wo er sich die Haare verschneiden und seinen Bart abrasieren ließ. Unrasiert war er am 18. September von Diesbeck hinweggegangen und hatte sich dann zwei volle Tage mit seinem schwarzen starken Bart in Nürnberg umhergetrieben. Daß er nun gerade in der Frühe des Tages nach dem Bäumlerschen Morde sich auf einmal diesen Bart abscheren ließ, macht es wenigstens sehr wahrscheinlich, daß dieses nur darum geschah, um diejenigen Zeugen, die ihn nicht namentlich kannten und bloß mit seinem durch einen wilden schwarzen Bart entstellten, ohnehin braunen Gesicht zu Nürnberg gesehen hatten, hinsichtlich der Identität seiner Person irrezuleiten.

So stehen gegen Forster Anzeigungen auf Anzeigungen in solcher Zahl und Stärke, wie sie nur äußerst selten gegen einen Angeschuldigten sich vereinigen. An Gegenanzeigungen der Unschuld fehlt es ihm durchaus. Er selbst wußte nichts dieser Art für sich anzuführen, als nur die leersten, gehaltlosesten Ausflüchte und vor allem das luftige Dunstgewebe seines erfundenen Romans von den zwei unsichtbaren, unerforschlichen Hopfenhändlern.

 

Das Endurteil

Alle Bedingungen, welche der Artikel 328 Teil II des Strafgesetzbuchs zu einer Überweisung durch das Zusammentreffen erwiesener Anzeigungen erfordert, waren sonach vollständig gegen Paul Forster erfüllt. So mußte er, obgleich weder sein Geständnis zu erlangen noch ein unmittelbarer Beweis durch Zeugen vorhanden war, des an dem Pfragner Bäumler und dessen Magd verübten Raubmordes für schuldig erkannt werden.

Dieses Schuldausspruchs ungeachtet entging Forster der Todesstrafe, weil der folgende Artikel 330 des Strafgesetzbuches verordnet:

»Wenn der Angeschuldigte der Tat bloß durch das Zusammentreffen der Anzeigungen, in Gemäßheit des Artikel 328, überwiesen ist, so kann derselbe zu jeder peinlichen Strafe, selbst zur Kettenstrafe, die Todesstrafe allein ausgenommen, verurteilt werden.«

Dieses Gesetz mag nun freilich gegen den Vorwurf der Folgewidrigkeit nicht wohl zu retten sein. Die Art des Beweises kann doch unmöglich die rechtlichen Folgen einer dadurch erwiesenen, nach Gesetz und Richterspruch als erwiesen angenommenen rechtlichen Voraussetzung aufheben oder verändern. Nach §328 begründen Anzeigungen, unter den daselbst aufgestellten Bedingungen, »überzeugende Gewißheit«. Aber nach § 330 kann man, infolge des Artikel 328, hinsichtlich eines Kapitalverbrechens diese rechtlich »überzeugende Gewißheit« gegen sich haben, kann man des Mordes, des Raubmordes, des zweifachen, des hundertfachen Mordes rechtlich überwiesen und dennoch als überwiesener Mörder nicht des Todes schuldig sein. Was in dem Artikel 328 »überzeugende Gewißheit« ist, wird in dem Artikel 330 wieder zu einer Gewißheit, die für keine ganz überzeugende Gewißheit gilt, der man nur so halb zu vertrauen wagt, welcher man aber gleichwohl, woraus eine zweite Inkonsequenz hervorgeht, wieder so gar sehr vertraut, daß sie für hinreichend gehalten wird, einen Menschen zur Kettenstrafe zu verurteilen.

Die Kettenstrafe vernichtet das ganze bürgerliche Dasein des Menschen auf ewig, wie die Todesstrafe dessen physisches Dasein. Sie nimmt bürgerliche, eheliche und väterliche Rechte, Ehre, Vermögen, Freiheit, alles, nur nicht das leibliche Leben, das aber für den Verurteilten weiter nichts ist als ein Sklavenleben in Ketten. Ein Beweis der Schuld, der für sicher genug geachtet wird, um darauf diese Kettenstrafe zu erkennen, muß wohl auch stark genug sein für die eigentliche Todesstrafe. Die Gefahr des Irrtums ist in dem einen wie in dem andern Falle gleich groß. Aus dem bürgerlichen Tod gibt es ebensowenig ein Wiederauferstehen zum bürgerlichen Dasein als ein Mittel der Wiederbelebung für den Enthaupteten. Das bayerische Gesetz kennt kein Rechtsmittel, durch welches der bürgerlich tote Kettensträfling, von Rechts wegen, jemals wieder in den vorigen Stand zurückversetzt werden könnte. Mit einem Worte: Der Tod, gleichviel ob bürgerlicher oder leiblicher, ist Tod. Unter Voraussetzungen, wo es der Staat für bedenklich hält, den einen zu verhängen, sollte er sich daher von Rechts wegen auch ein Gewissen darüber machen, den anderen zuzulassen.

Unter allen möglichen Fehlern einer Gesetzgebung sind diejenigen die verderblichsten, die nicht bloß gegen die Denkgesetze und gegen Rechtsgrundsätze, sondern auch zugleich gegen die öffentliche Meinung anstoßen, indem sie das allgemeine Rechtsgefühl verletzten.

Der zur Kettenstrafe Verurteilte soll vor seiner Abführung zum Strafort und womöglich am Ort des begangenen Verbrechens, mit einer Tafel auf der Brust, auf der das Verbrechen und die zuerkannte Strafe verzeichnet sind, von dem Scharfrichtersknecht in seinen Eisen eine Stunde lang öffentlich ausgestellt werden. Ein aus zusammentreffenden Anzeigungen vollkommen erwiesener Raubmörder gibt daher von seinem Pranger herunter, mit seiner Tafel, auf der in großen Buchstaben: »Kettenstrafe für doppelten Raubmord« zu lesen ist, dem Volk eine ganze Stunde lang die anschauliche Lehre, man könne eines doppelten Raubmordes überwiesen, des gräßlichsten Verbrechens von allen seinen Richtern schuldig erkannt sein, ohne den Tod verdient zu haben! Der gemeine Verstand des Volkes, das den künstlichen Unterschied zwischen den juristischen Beweisarten nicht kennt oder, wenn es ihn kennt, einfältig glaubt: überwiesen sei nichts anderes als überwiesen und schuldig sei immer nicht weniger als schuldig, muß dadurch in seinem Gewissen wie in seiner Meinung an die Gerechtigkeit des Staates und der Unparteilichkeit seiner Richter irre werden. Daß Verbrecher nicht selten ihrer Strafe entgehen, weil dem Richter der Beweis ihrer Schuld entgangen ist, das weiß jeder im Volk. Daß aber ein Mörder, von dem die Justiz selbst in einem furchtbar feierlichen Strafakt öffentlich verkündet, daß sie ihn des Mordes schuldig erkannt habe, trotzdem nicht die durch den Mord verdiente Strafe erleide, und auch dieses nur von Rechts wegen, so etwas wird selbst der Verständigste im Volk nicht zu begreifen und sich zusammenzureimen wissen. In demselben Maße, in dem das Rechtsgefühl des Volkes sich gegen den Bösewicht empört, der als ein schuldig erkannter Raubmörder auf der Schandbühne unter Henkershänden vor ihm steht, in demselben Maße muß sich daher eben dieses Rechtsgefühl gegen ein Urteil auflehnen, dessen Nachsatz mit seinem Vordersatz in so grellem Widerspruch zu stehen scheint.

Indessen konnte wider Forster nicht anders als nach dem Gesetz Recht gesprochen werden. So erging über ihn am 22. Juli 1821 das Urteil:

»daß Johann Paul Forster des am Großpfragner Bäumler und dessen Magd, Anna Katharina Schütz, zu Nürnberg in der Nacht des 20. September 1820 wiederholt verübten Raubmordes überwiesen und schuldig sei und deshalb zur Kettenstrafe auf Lebenslang verurteilt werde.«

Seine Schwester, Walburga Forster, wurde des Verbrechens der Begünstigung des von ihrem Bruder verübten qualifizierten Mordes schuldig erkannt und zur Strafe des Arbeitshauses auf ein Jahr verurteilt. Magaretha Preiß wurde aber als nicht schuldig von aller Strafe freigesprochen.

 

Forsters Leben und Charakter

Paul Forster hat sich nicht bloß in seinen durch Gerichtsakten bekundeten Taten, sondern auch, wie schon beiläufig bemerkt wurde, in einer während seines Aufenthaltes im Strafarbeitshause zu Schwabach verfaßten »abenteuerlichen Lebens- und Liebesbeschreibung« sehr umständlich selbst geschildert. Zwar sind in dieser Autobiographie, die er selbst seinem Untersuchungsrichter bloß als den Roman seines Lebens bezeichnet, Wahrheit, Dichtung und Lüge so sehr durcheinandergemischt, daß es nicht gut möglich ist, zu sagen, wo die eine aufhört und die andere anfängt. Allein in der Art, wie er von sich selber spricht und seine wahren und erlogenen Lebensereignisse darstellt, spiegelt sich getreu das Innere seiner Seele ab.

In dem Unternehmen, sein Leben zu beschreiben, liegt schon an und für sich der Beweis, daß sich dieser Sträfling von jeher als eine sehr wichtige Person zu betrachten gewöhnt war. Zwar ist sein Werk, laut der Vorrede, denn auch diese fehlt nicht, zunächst bloß, auf den Fall seines Hinscheidens, zum Vermächtnis für seine teuere Magaretha Preiß bestimmt, jedoch sichtbar mit der Nebenaussicht auf noch manche andere Leser, vielleicht sogar auf das Glück, einen Ehrenplatz in irgendeiner Lesebibliothek einzunehmen.

Forster zeigt in seinem Geisteswerk, abgesehen von vielen Verstößen gegen die Rechtschreibung, mancherlei Kenntnisse, eine nicht geringe Verstandesbildung und eine Fertigkeit im Schreiben und Erzählen, wie sie bei Menschen seines Standes nicht gewöhnlich ist. Manche Anekdoten, zum Beispiel die Geschichten seiner ersten Jugendliebelei mit einer elfjährigen Gärtnerstochter Wilhelmine, sein heimliches Davonschleichen aus dem Lager zu Fürth, um seine Babetta in Nürnberg zu besuchen, sind so einfach, klar und lebendig erzählt, daß es nur geringer Änderungen bedürfte, um sie für Erzeugnisse eines geübten Schriftstellers auszugeben. Das meiste ist freilich im schwülstig, aufgedunsenen Stil schlechter Romane verfaßt, aus denen er, nebst Opern- und Liederbüchern, den allergrößten Teil seiner Halbbildung und Verbildung gewonnen hat. An vielen Orten schiebt er in seine Prosa lange Lieder und Gedichte, einige von unseren besten Meistern, ein, die er bei dieser oder jener Gelegenheit gesungen oder gesprochen und, wie fast immer seine lügenhafte Prahlsucht bemerkt, auch selbst verfertigt haben will. Sein Kopf ist ein wahrer Sammelkasten von stehenden Romanphrasen, empfindelnden Sentenzen, idyllischen Bildern, die im Munde eines so furchtbaren, sittlichen Ungeheuers Ekel und Grausen erregen. Dieser Menschtiger, der mit seiner noch von frischem Menschenblute rauchenden Hand ein schönes, unschuldiges Mädchen grausam schlachten konnte, spricht hier von »den abgeschiedenen Seelen, die mit den Lebenden in steter geistiger Berührung bleiben«, von dem »Säuseln des Abendwindes und den schmelzenden Akkorden der Sinne, welche nach seinem Tode seiner geliebten Magaretha sagen würden, daß sein Geist ihr nahe sei«, von seinem »Namen, welcher verhallen werde wie der Nachklang der Gesänge der Liebe in dem Schatten der Gräber«, von dem »Mondesschimmer zwischen gebrochenen Wolken im bleichen Lichte«, von der Pegnitz, »die in Silberstreifen dahinwandelt«, von sich selbst in seinem siebzehnten Jahre als von »einer halb aufgeblühten Rosenknospe am schönsten Frühlingstage«. Wer möchte in folgender Stelle den Mordhelden Forster wiedererkennen? »Ach, für eins preise ich Gott!« sagt er in seiner Vorrede, seine Magaretha apostrophierend, »für eins, daß unser Kind, die erste Frucht unserer Liebe, zu Adliz den Schlaf des Friedens schlummert! Als es mir entrissen wurde, klagte ich den Himmel an, verstand die Führung des Unerforschlichen nicht und murrte über ihn. Jetzt weine ich Tränen der Freude, daß es geborgen ist, und ich breche die Blume des Tales zu frischen Kränzen auf sein Grab. Ach, erinnerst du dich noch, als ich in Langensettelbach auf dem Gottesacker die Blume Vergißmeinnicht auf den kleinen Leichenhügel pflanzte? Damals war mein Herz irre an Gott, und meine Tränen flossen im Ungestüm des Schmerzes. Ich wähnte, der Unglücklichste zu sein. Jetzt verstehe ich alles besser.« Wer in Wahrheit so empfindet, kann nicht morden, und wer so morden kann wie Forster, ist nicht solcher Empfindungen fähig. Ergüsse dieser Art, deren noch viele ähnliche vorkommen, dienen daher bloß als sprechende Beweise seiner bis in das tiefste Innere durch Lüge und Heuchelei verderbten Seele, die sich in der Kunst gefällt, gefühllos die heiligsten Gefühle nachzuäffen und ein eisstarres Gemüt betrüglich mit den geborgten Formen zarter Empfindsamkeit zu umkleiden. Nicht weniger als mit erlogener Sentimentalität stolziert Forster mit erlogenen Grundsätzen und erheuchelter Tugendliebe. Dieser Sträfling konnte doch nicht, als er dieses schrieb, vergessen haben, daß er wegen selbst eingestandener, frecher Diebstähle sich noch im Arbeitshause befindet. Aber er ist gleichwohl unverschämt genug, die Worte niederzuschreiben: »Magaretha, sage es auch unserer Tochter, was die Unschuld der Seele für ein Schild im Unglück sei. Wie sie uns Heldenkraft verleiht, auch das Schwerste zu tragen.« Und man meint einen Philosophen der Stoa vor sich zu haben, wenn man diesen Züchtling sagen hört: »Ich weiß nicht, welcher Heldenmut der größere ist: ob der, welcher seine Leiden mit sich selbst trägt, um anderen Sorge und Kummer zu sparen, oder der, der sich für andere aufopfert, wenn es darum zu tun ist, sie zu retten?«

Religion ist seinem Herzen fremd. Seine Aufklärung hat ihn bis zu der Überzeugung erhoben, daß, wie er zu einem anderen Züchtling äußerte, die Religion bloß des Staats und der öffentlichen Ordnung wegen vorhanden sei. Auf ein künftiges Leben setzt er ebensowenig Hoffnung als seine dürre Seele solcher Hoffnung bedarf. Seine höchsten und besten Wünsche gehen nicht über diese Erde und ihre Genüsse hinaus.

»Wenn ich ein Gut hätte und ein Frauenzimmer dabei, so wünschte ich mir ewig auf dieser Welt zu bleiben und wollte von einer anderen Welt nichts wissen. Die weisesten Männer und Philosophen, die größten Naturkundigen und Zauberer haben ihre Kunst und Wissenschaft angewandt, ihr Leben zu verlängern. Hätten sie gewußt, daß es ihnen in einem andern Leben besser gehen werde, so hätten sie dieses nicht getan.«

Dieses Glaubensbekenntnis legte er noch als Kettensträfling vertraulich in der Seele eines gleichgesinnten Mitgefangenen nieder. Gleichwohl ist er in der Bibel, wie nicht jeder Pfarrer, auf das allerbeste bewandert. Aber Bibelstellen sind ihm nur zu demselben Gebrauch wie die Phrasen der Romane und die Verse von Liebesliedern. Sie dienen ihm bloß, damit zu heucheln und zu prahlen. Wo es daher nur immer, gut oder übel, geschehen kann, werden sie, um mit Bibelbelesenheit Staat zu machen, in seinem Lebens- und Liebesroman oft auf das allerseltsamste eingeflochten. Hat er Heiratsgedanken und will er zuvor noch überlegen, so empfiehlt er sich selbst Jesus Sirach XXV, 27 bis 31, zum Nachlesen. Ist er in Gefangenschaft, so klagt er mit Hiob Kap. 10, 19. Wird er aus der Gefangenschaft wieder entlassen, so ruft er mit Daniel XVI, 22: »Mein Gott hat seinen Engel gesandt, der dem Löwen den Rachen zugehalten hat, daß mir kein Leid geschehe; denn vor ihm bin ich unschuldig erfunden worden, und so habe ich auch wider meinen Herrn König nichts Unrechtes getan.«

Als er einst, wie er vorgibt, durch einen Wald mit einem Menschen reiste, der sich ihm als Räuber kundgab, – oder welchen er, wie bei weitem wahrscheinlicher, selbst berauben wollte –, so betete er den 4. Vers des 71. Psalms: »Mein Gott, hilf mir aus der Hand der Gottlosen, aus der Hand des Ungerechten und Tyrannen.« Aber sogleich erinnerte er sich auch II. Moses XXI Vers 23-25: »Kommt dir aber ein Schade, so soll er lassen Seele um Seele, Auge um Auge.« Dann packt er, durch diese Verse in seinem Gewissen beruhigt, den angeblichen Räuber zuvorkommend an. Diesem eilen zwei Männer, angeblich Raubgenossen, zu Hilfe und schlagen auf den frommen Forster unbarmherzig mit Knitteln ein, der unter den Streichen das Lied herbetet: »Mein Gott, ich weiß nicht, wo ich sterbe und welcher Sand mein Grab bedeckt.« Endlich aber gewinnt er, arg zerschlagen, seine Freiheit wieder und kommt nachts in ein Dorf, wo er einen Bauern um Aufnahme bittet, der ihm aber eine unbarmherzige, abschlägige Antwort gibt, worauf er demselben mit aller Gelassenheit das Evangelium Lukae XVI, Vers 19-31, am folgenden Morgen aufzuschlagen und mit Wohlbedacht zu lesen empfiehlt.

In allen anderen Dingen ein falscher, lügenhafter Heuchler, ist er nur wahr in seiner unerschütterlichen Anhänglichkeit an seine Magaretha Preiß, die in seinem Lebensroman neben ihm den Rang einer Hauptperson einnimmt. Nicht Zeit, nicht Unglück, nicht Entfernung noch schmähliche Gefangenschaft vermochten sie von ihm oder ihn von ihr zu trennen. Noch in schweren Ketten auf der Festung Lichtenau äußerte er zu einem anderen Züchtling: »Nur eins wünsche ich noch, dann stürbe ich gerne, meine Geliebte noch einmal zu sehen.« In seiner Lebensbeschreibung apostrophiert er sie »seine Gemahlin«, als »edle, unveränderlich treue Seele«, als »das geliebte Weib seiner Jugend«, als ein »frommes, sanftes Herz, die ihn geliebt wie nur Engel lieben«, als die »treue Gefährtin auf dem Wege seines Lebens.« In der Vorrede sehnt er sich nach einem Grab an ihrer Seite: »Ich benetze ihre Haarlocken mit Tränen und küsse sie mit meinen trockenen Lippen«. So unverstellt aber seine Anhänglichkeit für Magaretha sein mag, so kann wenigstens die Form, in der er diese Neigung ausspricht, ebenfalls nur für eine heuchlerische Grimasse gelten, wobei er entweder gar nichts oder etwas ganz anderes empfunden hat, als sie ausdrückt. Seine Leidenschaft für dieses Geschöpf war gewiß nur aus sehr groben, irdischen Stoffen zusammengesetzt und von ganz anderen Vorzügen, als von den Engelstugenden ihres Gegenstandes, entzückt und unterhalten.

Rege Sinnlichkeit, mächtige Begierden für das weibliche Geschlecht machen überhaupt einen hervorstechenden Zug seines Wesens aus. Bei nichts verweilt er in seiner Lebensbeschreibung mit größerer Vorliebe und Umständlichkeit als bei seinen Liebschaften. Schon die Überschrift seines Werkes zeigt, daß er in diesen Verhältnissen die höchste Bedeutung, gleichsam Ziel und Bestimmung seines Lebens findet. Schon in seinem zwölften Jahre tritt er in ein Liebesverhältnis mit einem elfjährigen Mädchen, mit dem er manche Gefahren und Abenteuer besteht, bis sie vergessen und dann, nach einiger Zeit, mit Kammermädchen und Köchinnen vertauscht wird, die ihn durch die »Grazie ihres Geistes« fesseln. Weichlichkeit und Wollust wohnen sehr oft mit Grausamkeit und Mordlust in einer Seele vertraulich verschwistert nebeneinander.

Was er von seiner frühesten Jugend erzählt, dient in vielen anderen Beziehungen zum Verständnis des Charakters, den er späterhin bei seinen Mordtaten und auch während und nach der Untersuchung bekundet hat. Schon als kleiner Knabe zeichnete er sich, wie er versichert, vor seinem Bruder und anderen seinesgleichen durch sein gesetztes, stilles, sittsames Betragen aus. Während sein Bruder auf der Straße umherlief, mit anderen Knaben spielte oder sich balgte und am Abend manchmal mit zerrissenen Kleidern oder blutigem Kopf nach Hause kam, liebte er es, seine Zeit in einer benachbarten Wirtsstube zuzubringen, wo sich gewöhnlich mehrere Bürger der Stadt zum Lottospiel versammelten. Der kleine Forster sah bescheiden zu und versah dabei allerhand kleine Dienstverrichtungen, welche ihm nicht nur manche Groschen eintrugen, sondern auch »die Achtung der ganzen Gesellschaft« und den Namen »der artige Pausel« (Paul). Ungefähr im achten Jahr seines Alters bezog dann ein pensionierter preußischer Hauptmann, ein gewisser Baron von D., mit seiner Familie das Gartenhaus, in dem Forsters Vater wohnte. Baron von D. hatte zwei Knaben, ungefähr gleichen Alters mit dem jungen Forster, und nun wurde dem artigen Pausel auch noch die Ehre zuteil, sogar mit dem Adel in eine Art von Gemeinschaft zu kommen. Die jungen Barone würdigten ihn ihrer Gesellschaft. Er durfte ihnen nämlich ihr Spielzeug herbeitragen, ihnen von ihren »hohen Eltern« das Butterbrot holen und wußte sich dadurch, daß er ihnen alles tat, höchlichst einzuflüstern, »als wäre er wirklich ihr Bedienter«. Forster wirft sich bei dem Gedanken an diese Ehre so breit in die Brust, als wäre er dadurch selbst zum Baron geworden. »Mein Betragen gefiel ihren hohen Eltern so sehr, daß ich jedesmal über den andern Tag von ihnen wieder eingeladen wurde. Von allen Kameraden meines Standes wurde ich daher nicht nur gleichgültig aufgenommen, sondern sogar verachtet. Selbst mein Bruder Christoph sah mich mit gleichgültigen Augen an und sagte: ›Geh weg von mir! Ich bin dir zu schlecht; denn ich sehe, du willst auch noch ein gnädiger Herr werden, weil du gar nicht mehr mit uns spielst.‹ Ich entschuldigte mich auf die gehörige Art und setzte meine Lebensart fort.«

In diesen selbstgefällig entworfenen Zügen, mit denen Forster sich als ein frühreifes, liebenswürdiges, zu größeren Dingen bestimmtes Knäblein darzustellen bemüht, gibt er uns gleichwohl nur das Bild eines jungen, feigen Weichlings, der seinesgleichen ausweicht, weil er ihre Fäuste fürchtet. Ein träger Bube, der aus Scheu vor Anstrengung und Unbequemlichkeiten, statt im Freien jugendliche Kräfte zu üben, in geschäftigem Nichtstun an Schenktischen umherkriecht. Ein frühreifer Heuchler, der durch angenommene Artigkeit, durch glatte, geschmeidige Fügsamkeit seines Betragens sich in fremde Gunst einzuschleichen weiß und in hoffärtiger Niederträchtigkeit die Erlaubnis, einem Paar adeligen Knaben in gemeinen Knechtsdiensten nahen zu dürfen, sich als eine hohe Ehre anrechnet, um auf seinesgleichen mit verachtendem Hochmut herabzusehen.

Ein solcher Charakter ist notwendig zugleich mit Tücke verbunden, der sich auch in Forsters Physiognomie ausdrückte. Die untere Hälfte seines schmalen, langen Gesichts stand durch ihre größere Länge gegen die obere in auffallendem Mißverhältnis, was seiner Physiognomie einen abschreckenden, tierischen Ausdruck gab. In seinen starren Zügen war selten oder nie eine Veränderung wahrzunehmen.

Selbst diejenigen Personen, die ihm vor seinem Eintritt in den Soldatenstand vorteilhaftes Zeugnis geben, sagen von ihm, daß er, sooft ihm ein Mensch begegnet, immer seine Augen niedergeschlagen habe und niemand fest in das Gesicht habe sehen können.

Das Gemisch von Hochmut und Niederträchtigkeit, von Eitelkeit und Gemeinheit sowie das stete Bestreben, über seinen Stand hinauszugehen, um, wenn auch im Schatten der Dienstbarkeit, vom Sonnenschein der vornehmen Welt beleuchtet zu werden, zeigt sich noch weiterhin in jedem Abschnitt seines früheren Lebens. Nachdem er die Schuljahre zurückgelegt hatte, »hielt«, wie er sich ausdrückt, »die gnädige Frau Baronin von D. bei seinen Eltern um die Erlaubnis an, ihn gegen eine hinlängliche Belohnung in ihre Dienste nehmen zu dürfen«. Der Vater willigt ein, und nun ist der junge Forster in seinem Himmel, dessen Seligkeit er mit den brennendsten Farben malt. Er wurde nun nicht mehr »Pausel«, sondern »Johann« gerufen und zur »Belohnung für seine Treue, seinen Fleiß und seine Aufmerksamkeit« in eine hechtgraue Livree gekleidet, »um dadurch in den Stand gesetzt zu werden, gleich anderen Bedienten seine Herrschaft auf Konzerte und Bälle begleiten zu können und sich so vollends in der großen Welt zu unterrichten«. Umständlich beschreibt er das Glück seines ersten Ehrentages. Mit welcher Geschicklichkeit er der gnädigen Frau den Kutschenschlag geöffnet und wieder zugemacht, mit welcher kühnen Gewandtheit er sich sodann auf den Kutschentritt geschwungen, so daß seine Eltern, die dieses sahen, im Schreck dem Kutscher »Halt! Halt!« zuriefen. Eine Unverschämtheit seiner Eltern, die ihn gewaltig geärgert habe.

Aber das Glück der Bedientenschaft währte nicht lange. Sei es nun, daß er von der Herrschaft wieder entfernt oder, wie er selbst wenigstens vorgibt, aus Rücksicht auf sein Seelenheil von seinem Vater aus diesem Dienste hinweggenommen wurde, um ihn in einem ehrlichen Handwerk unterzubringen.

»Mein Vater«, sagt er, »wollte mir durchaus die Schuhmacherprofession zu erlernen aufbürden; aber mein Hang zu den Herrschaften war zu groß, und ich erklärte, daß ich, wenn man mich dazu zwingen wollte, über die Grenze laufen würde«. Sein Vater ließ ihm endlich die Wahl, und so entschloß er sich zum Erlernen der Gärtnerei, weil er fand, »daß ein Gärtner vielen Umgang mit Herrschaften habe und ihm auf diese Art vielleicht dereinst das Glück werden könne, als gelernter Gärtner und Bedienter angestellt zu werden«. Seine Eitelkeit und die Sucht nach Annäherung an die höheren Stände gab denn wohl auch späterhin die nächste Veranlassung zu seinem Eifer in der Romanleserei, wodurch er das wenige, was noch in seinem Gemüte gerade und gesund sein mochte, vollends verkümmerte, verschraubte, verkrüppelte und sein Kopf mit allerhand verworrenen Vorstellungen von poetischen Glückseligkeiten des menschlichen Lebens sowie von der beneidenswerten Größe berühmter romantischer Helden verschiedener Art ausgefüllt wurde.

Wieviel er in der Gärtnerei erlernt, darüber spricht bloß im allgemeinen sein Selbstlob. Doch ist so viel gewiß, daß ihm, wie Zeugen bekunden, bis zu seinem Eintritt in den Soldatenstand nichts Böses nachgesagt werden konnte. Sein Gemeindevorsteher gibt ihm nicht nur das Zeugnis eines stillen und klugen, sondern auch ordentlichen und fleißigen Menschen. Während seiner Lehrzeit will er sich das Zutrauen des Kaufmanns Falke, Eigentümer des seinem Lehrherrn untergebenen Gartens, in dem Grade erworben haben, daß ihm von »Höchstdemselben« nach dem Tode des Lehrherrn die Besorgung des Gartens übertragen wurde, dem er ungefähr zwei Jahre lang mit »vielem Beifall der Gärtnereiverständigen« vorgestanden. Angeblich wurde aber der »gleich einer halbaufgeblühten Rosenknospe« siebzehnjährige Gärtnerjüngling durch die zudringlichen Liebesanträge der mehr als fünfzigjährigen Gärtnerswitwe genötigt, diesen Dienst zu verlassen und den von Tucherischen Garten zu übernehmen, wo eine gewisse Babetta als Köchin diente, »deren körperliche Reize, noch mehr aber die Grazien ihres Geistes, ihn ganz bezauberten«. Schon war dieser Roman seiner Entwicklung nahe, als ihn am 28. Oktober 1807 »die Stimme des Vaterlandes zur Füsil des Militärstandes« rief.

Mit dem Soldatenstand, nach dem die Leumundszeugen den Zeitpunkt bestimmen, von dem an Forster sich durch schlechte Streiche ausgezeichnet habe, warf ihm die rauhe Wirklichkeit auf einmal eine lästige Schranke in den Weg, die seinen ganzen Lebensplan verrückte und allen seinen Neigungen Gewalt antat, in die seine verwöhnte, verzärtelte Seele sich durchaus nicht zu fügen Geduld und Mut genug besaß. Schon den Tag seiner Verpflichtung bei dem Bataillon empfand er als den »ersten Tag der Verachtung«; denn seine Babetta gab ihm zu verstehen, daß sie den Umgang mit einem gemeinen Soldaten mit ihrer Ehre nicht verträglich finde. Und als es nun gar zum Exerzieren ging: »Ach, du lieber Himmel!« ruft er aus, »da ging erst mein Elend an! Von früh morgens bis in die sinkende Nacht prügelte mir ein unbarmherziger Unteroffizier den Soldatengeist ein, schwenkte mich wie eine Drahtpuppe links und rechts und machte mich bald so gelenkig und dünn wie ein Windspiel. Kaum gestattete er mir so viel Zeit, daß ich mein trockenes Stück Kommißbrot hinunterwürgen konnte. Wenn ich mich abends auf meinen Strohsack hinstreckte, war ich wie gerädert. Bayerische Prügel und bayerisches Kommißbrot sind das trefflichste Mittel gegen Liebesgedanken! In den ersten Wochen kam mir selten der Gedanke, meine schönste Babetta aufzusuchen, aber wohl zehnmal des Tages geriet ich auf den Gedanken, über die Grenze zu laufen, wenn mich meine Freunde nicht abgehalten hätten. Ich beneidete jeden Schuhflicker um seine goldene Freiheit und taumelte durch die Straßen in der Mittagsstunde wie ein gejagter Hirsch, der sich nach einem frischen Quell umsieht.«

Was das Soldatenleben dem Rekruten war, das blieb es ihm fortan: eine unerträgliche Last. Er war ein Weichling und sollte Entbehrungen und Mühseligkeiten ertragen; ein Wollüstling, und sollte, statt im Kämmerchen der Liebsten, auf harter Pritsche in der Kaserne oder auf dem Stroh unter Zelten schlafen; ein feiger Lebenssüchtling, und sollte seine teure Person den Kanonenkugeln gegenüberstellen; ein von sich eingebildeter Tor und sollte einem Korporalstocke gehorchen; ein eitler, hoffärtig niederträchtiger Geck, der, immer von seinesgleichen beneidet, von Vornehmern bemerkt und ausgezeichnet zu werden suchte und nun in seinem blauen Soldatenrocke sich mit Tausenden vermischt, von keinem Menschen beachtet, sogar, nach seinem Gefühl, von anderen verachtet sah. Je unbändiger und anhaltender von nun an seine Neigungen wider das Unvermeidliche ankämpften, desto mehr mußten dieselben, durch die Gewalt der Reibung, zu immer mächtigeren Leidenschaften sich entzünden. Je öfter er die Schranken, die ihn festhielten, zu durchbrechen suchte, und je häufiger er in seinen vergeblichen Bemühungen nur sich selbst verwundete und immer weiter von seinem Ziele zurückschleuderte, desto mehr mußte seine ohnehin starre, kalte Seele in Haß und Erbitterung sich verhärten. Je lebhafter seine heiße Begierde nach Genuß verlangte, welchen ihm ein aufgedrungener Stand hart versagte, desto gleichgültiger wurde er gegen die Mittel, welche ihm für die auferlegten Entbehrungen Ersatz gewährten. Je häufiger er deshalb von Untersuchung zu Untersuchung, von Kerker zu Kerker, von Züchtigung zu Züchtigung geführt wurde, desto mehr mußte die Strafe und die Furcht vor ihr alle Macht an ihm verlieren. Durch seine unter keiner Strenge sich beugende, freche Beharrlichkeit in Verletzung seiner Dienstpflichten ertrotzte er sich endlich, mehreren Richtersprüchen zum Hohne, seine, wenngleich schimpfliche, gleichwohl auch noch sehr erwünschte Entlassung aus dem Soldatenstand.

Nun kam er endlich nach langen Jahren, in der harten Probe zahlloser Abenteuer und selbstverschuldeter Widerwärtigkeiten gestählt, in manchen Verbrechen geübt, gleichgültig gegen Ehre und Schande, gegen Strafen unempfindlich, daher um so kühner in Begehung alles dessen, womit man Strafen sich verdient, nach seiner Verabschiedung im Jahre 1815 zum erstenmal wieder in den vollen Besitz seiner Freiheit, die er nun eine ziemlich lange Zeit im Schoß der Trägheit und Wollust verschwelgte. Nachdem er wegen seiner Verbrechen, von denen wohl nur die wenigsten und unbedeutendsten zur Kenntnis der Gerichte gelangten, in das Strafarbeitshaus zu Schwabach gekommen war, blieb ihm auf dieser Hochschule der Verbrechen gewiß nur noch wenig zu lernen, desto mehr aber für die Zukunft zu bedenken übrig. In seinem Gemüt fand er das Bedürfnis, endlich einmal im ruhigen Genuß seiner Magaretha dauernd glücklich zu werden, in seinem Verstande aber die klare Überzeugung, daß einem Sträfling hierzu nur der Weg der Verbrechen offenstehe. Daß mit dem Kleinen und Gemeinen auch nur Kleines und Gemeines zu erlangen sei, hatten ihn seine früheren Untersuchungen gelehrt. Daran mahnte ihn jetzt auf das schmerzlichste seine mehrjährige Strafgefangenschaft. Mit Tugend und Ehre hatte er längst gebrochen. Nur mit Großem war noch Großes zu gewinnen. Nur als Held in Missetaten konnte er noch hoffen, dem Schicksal eine dauernde Gunst abzutragen. Ein Landgut und Magaretha und hierzu ein recht großer Haufen Geldes! Das war noch allein der Preis, um den es sich verlohnte, die Gefahren eines Verbrechens zu bestehen, der aber auch groß genug war, um auf einmal das Höchste daranzusetzen. Voll von seltsamen, wunderbaren Geschichten, von heldengroßen Banditen und glücklich gewordenen Räubern, wie Abellino, von merkwürdigen Verbrechern, die durch Kühnheit oder List der Gerechtigkeit entgangen waren, von berühmten Gefangenen, die doch endlich noch ihre Freiheit wie durch ein Wunder wiedererlangt hatten, wie der Pandur Trenk, von denen er noch in der Strafanstalt Lichtenau sprach, sah er seinen künftigen Lebensplan zugleich in den entzückenden Farben des Romans, sich selbst an der Seite jener Helden, von denen er schon in seinen Büchern gelesen, die er bewundert und um ihren Ruhm beneidet hatte. In diesen Gedanken und mit solchen Entwürfen gerüstet, wartete er ungeduldig auf den Tag seiner Erlösung, den er, was ihm auch wirklich gelang, durch seine ihm zur Gewohnheit gewordene Heuchelei, durch einschmeichelndes, kriechendes Wesen, durch scheinbare Demut, Reue und Besserung sich näher herbeizurücken wußte. So vorbereitet, zu dem Äußersten entschlossen, kehrte er, als entschiedener Feind der Menschheit, frei in die bürgerliche Gesellschaft zurück. Kaum war ein Monat verflossen, so zeichnete er seinen Namen in das Geschichtsbuch großer Verbrechen durch eine Tat, die ebensosehr durch ihre Grausamkeit als durch die Besonnenheit, Tücke und beispiellose Keckheit, womit sie vorbereitet und vollbracht wurde, unter den merkwürdigsten eine der ersten Stellen behauptet.

Seine Person ist in ihrer Art ebenso ausgezeichnet als seine Verbrechen. Wie ein aus Eisen gegossener Riese steht er da, mit Blut bedeckt, kalt, in sich verschlossen, unbewegt und unbeweglich, immer einer und derselbe, ebenso verabscheuungswert durch seine aus Tiger- und Schlangennatur zusammengesetzte Gemütsart als bewundernswürdig durch die ungemeine Seelenstärke, womit er schweigend das Geheimnis seiner Schuld standhaft bewahrt und nunmehr, schon eine Reihe von Jahren hindurch, ohne im mindesten irgendeiner Schwäche etwas zuzugestehen, die Leiden der Gefangenschaft, das Elend des bürgerlichen Todes, seine schweren Ketten und die noch größeren Lasten seines Gewissens ertragen hat. Diese unbeugsame Hartnäckigkeit seines starren Willens verliert indessen sehr viel an ihrer Bewunderungswürdigkeit, wenn man erwägt, daß sie in einer großen Unempfindlichkeit des Gemüts und in der Ausdauer eines abgehärteten Körpers eine mächtige Unterstützung findet. Wie er vor seiner Verurteilung beharrlich leugnete, so schweigt er nunmehr jahrelang beharrlich unter seinen Ketten. Beides aus Furcht vor dem Tod, aus Liebe selbst zu dem verächtlichsten, schmählichsten Dasein. Dabei mag er sich in hoffenden Träumen mit der Meinung hinhalten, daß die ihm auferlegte Kettenstrafe doch wohl nichts anderes sei als bloß ein Versuch, ihn noch zum Geständnisse zu bringen und daß er nur schweigend auszuharren brauche, um, wenn er die Obrigkeit müde gemacht, am Ende noch sogar seine Freiheit wieder zu ertrotzen. Was ihn aber gewiß am meisten erhebt und zu mutiger Ausdauer begeistert, sind seine romanhaften, unlauteren Vorstellungen von Heldengröße, die er in seiner Person zur Schau zu stellen sucht und in der er sich nicht bloß über den Troß seiner gemeinen Leidensgenossen, sondern auch über diejenigen, in deren Gewalt er gegeben ist, noch hoch erhaben fühlt. So betrachtet er sich gleichsam unter den Verbrechern wie ein zweiter Prometheus, welcher an Ketten geschmiedet, in der Brust von dem Geier des bösen Gewissens zernagt, gleichwohl noch innerlich frei, mit Hohn selbst dem Vater der Götter trotzt.

Als er, ehe ihm im Zuchthaus zu Lichtenau sein einsamer Kerker zubereitet war, noch mit anderen Züchtungen in Gesellschaft verwahrt wurde, äußerte er einem Mitgefangenen, der ihn zum offenen Geständnis seiner Schuld ermahnte: »Nicht schön für einen Mann! Standhaftigkeit ist des Mannes Zierde. Sein Leben soll er nicht sogleich hingeben. Das Leben ist edel, wenn es auch noch so schlecht ist. Glaube mir, Kamerad, sooft ich meine Kette mit meiner Kugel anschaue, fühle ich Stolz und denke, daß, wenn ich einst auf meinem Totenlager liege, noch mein letzter Atemzug in Standhaftigkeit ausgehaucht werden soll. Ich bin schon in meinen früheren Jahren, wenn ich mir einmal etwas vorgenommen habe, standhaft dabei geblieben. Wie gesagt: Standhaftigkeit und Verschwiegenheit zieren den Mann.«

Wirklich behandelt er seine mehr als 30 Pfund schweren Fesseln wie einen Ehrenschmuck. Er reibt und glättet sie in müßigen Stunden, daß sie beinahe wie Silber glänzen. In der ersten Zeit seiner Gefangenschaft zu Lichtenau, wo ihn die ausgezeichnetsten Bösewichter als einen Gegenstand des Staunens in Begeisterung verehrten, ließ er sich noch zuweilen herab, seinen Genossen mit allerhand unterhaltenden Erzählungen von verwunschenen Prinzen und Prinzessinnen, von glücklich gewordenen Räubern und dergleichen die traurigen Abendstunden zu verkürzen. Unerwartet erklärte er ihnen eines Abends: »Meine Herren! Ich erzähle euch von heute an nichts mehr. Künftig werde ich nichts sprechen als: ja, ja, nein, nein. Ich sehe wohl, daß es mit mir übel aussieht und daß ich unter den Schlechtesten noch für den Allerschlechtesten gehalten werde.« Als ihm ein Kamerad die Frage entgegenhielt, ob ihm denn jemand das Reden verboten oder etwas zuwider getan habe, antwortete er: »Mein Geist. Sonst niemand hat mir das Schweigen geraten. Und der hat mir niemals Übles eingegeben.«

Er erzählte von nun an nichts mehr und redete nur noch, wo er Antwort zu geben hatte, kurz und einsilbig. So stand er in seinem Dünkel selbst unter den Missetätern vornehm, groß, einzig, von der gemeinen, verächtlichen Masse der übrigen ausgezeichnet. Dieselbe Verschlossenheit und Einsilbigkeit setzt er nunmehr seit Jahren, teils aus Hochmut, teils aus Klugheit, auch in seinem einsamen Kerker fort. Er wünscht nichts, klagt über nichts, nimmt, was man ihm gibt, läßt sich nehmen, was man will, erträgt, was er muß, alles stumm und schweigend, in scheinbarer Gelassenheit. Selbst hartnäckigem Widerstand gegen die Befehle seiner Vorgesetzten weiß er noch den Schein gelassener Unterwürfigkeit zu geben. Eine ihm auferlegte Art von Arbeit dünkte ihm einst zu beschwerlich. Er ließ sie liegen. Darüber zur Rede gesetzt, gab er ruhig die kurze Erklärung, er sei nicht imstande, sie zu verrichten. Es wurde ihm vorgestellt, man werde, wenn er sich nicht füge, genötigt sein, ihn durch Strafe zu zwingen. Gelassen erwiderte er, ihm sei unmöglich, das Unmögliche zu leisten. Übrigens stehe seine Person in seiner Vorgesetzten Gewalt. Gleichgültig bot er nun seinen Rücken der Peitsche dar, hielt, ohne einen Laut von sich zu geben oder mit einem Muskel zu zucken, die empfindlichsten Streiche aus und ging, als wäre nichts vorgefallen, schweigend wieder in seinen Kerker. Seine Arbeit ließ er ebenso ruhig liegen wie vorher. Alle Ermahnungen und wiederholten Züchtigungen blieben ohne Erfolg. So wußte er tatsächlich durch eiserne Beharrlichkeit seine Vorgesetzten zu zwingen, ihm eine andere, besser behagende Arbeit zu geben, die er nun seitdem ordentlich verrichtet. In seinem Kerker liest er gern das Gesangbuch, hört sonntäglich, übrigens ohne das mindeste Zeichen der Teilnahme, die Predigt, genießt gleich anderen Züchtlingen das Abendmahl, zeichnet sich von allen übrigen durch Religionskenntnisse aus und spielt, mit einem doppelten Mord auf der Seele, den in Demut und Geduld sich hingebenden Unglücklichen, der um der Wahrheit willen leidet. Über seine Verbrechen weiß er sorgfältig jeder Erklärung auszuweichen.

Wer in ihn zu dringen sucht, wird entweder mit einer höflich ernsten Bitte, ihn mit solchen Reden und Fragen zu verschonen, oder mit rätselhaften Klagen über sein schreckliches Verhängnis abgewiesen, das ihn zwinge, auf ewig ein dunkles Geheimnis zu bewahren, nach dessen Enthüllung seine Unschuld klar wie Sonnenlicht würde scheinen müssen. Wenn es hochkommt, so beginnt er seinen bekannten Schlemmerischen Roman wieder zu erzählen und klagt die Hopfenhändler als die eigentlichen Urheber seines Unglücks an. Daß er übrigens, im Inneren nicht ganz so steinern, als er äußerlich scheint, oft schmerzlich genug die Bisse der Gewissensnatter fühlen und mit dieser sich in Ängsten abkämpfen mag, besonders wenn dann und wann die aufgeregte Einbildungskraft ihm das Bild der beiden Erschlagenen lebhafter als sonst wieder vor die Augen bringt, ist aus manchen Zeichen zu vermuten. Trotz seiner felsenfesten Verstocktheit ringen sich zuweilen tiefe Seufzer aus seiner Brust. Als vor einiger Zeit eine mit seinen Akten genau bekannte Gerichtsperson, die ihn in seinem Kerker besuchte, ihm sehr nachdrücklich seine Verbrechen vorhielt, ihm von den geheimen Lasten auf seiner Seele sprach, die bei weitem noch schwerer zu tragen seien als seine Ketten, ihn sodann durch lebendige Darstellung seiner blutigen Taten gleichsam mitten in die Szene der Greuel wieder zurückversetzte, ihn die beiden armen, unschuldigen Schlachtopfer sehen ließ, wie er eins nach dem andern mit seinem Beile niederschlug und mit seinem Fuß ihre Brust zertrat, daß das aufspringende Blut den unteren Rand seines Kleides befleckte, da flammte plötzlich sein bleiches Angesicht in heller Röte auf, und ein anwesender Dritter wollte Tränen in seinen Augen bemerkt haben. Einige Monate nach diesem Besuch wurde in der Zuchthauskirche die bisher entbehrte Orgel eingeweiht und zugleich das Abendmahl gefeiert. Paul Forster, der sonst immer nur mit eiskalter Gleichgültigkeit den Gottesdienst mitgemacht hatte, zeigte sich diesmal tief in seinem Innern erschüttert. Als er in seinen Ketten, die Kugel in beiden Armen tragend, dem Altar nahte, bebte er an allen Gliedern, zerfloß in Tränen und erfüllte die Halle mit lautem Schluchzen. Ob die ungewohnten, feierlichen Orgeltöne ihm in seinem Gewissen wie ein »Dies irae, dies illa« geklungen? Es war nicht zu ergründen. In sein Gefängnis zurückgekehrt, war er unzugänglich, verschlossen wie zuvor.


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