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Anna Margaretha Zwanziger
oder
Die deutsche Brinvillier

Maria Margaretha Marquisin von Brinvillier, geborene von Aubray, die am 17. Juli 1676 zu Paris enthauptet und verbrannt wurde. Die Geschichte ihrer Giftmischereien hat viele Gelehrte damaliger und späterer Zeit beschäftigt. Auch François Gayot de Pitaval zeichnete den Prozeß in seinen »Causes célèbres et intéressantes« auf.

Eine geborene Nürnbergerin, die sich Nannette Schönleben geborene Steinacker nannte, eine bereits gegen das 50. Jahr vorgerückte Witwe, hielt sich im Jahre 1807 zu Pegnitz im Bayreuther Oberland auf, wo sie sich vom Stricken ernährte und sich durch ihr Betragen allgemeine Zuneigung erwarb. Ihrem guten Ruf verdankte sie es, daß sie von dem Justizamtmann Wolfgang Glaser, der damals zu Kasendorf und von seiner Gattin getrennt lebte, am 25. März 1808 als Haushälterin in Dienst genommen wurde. Wenige Monate nachher vereinigte sich Glaser wieder mit seiner Gattin, die seit ihrer Trennung zu Augsburg bei ihren Verwandten gelebt hatte. Allein diese gesunde, kräftige Frau wurde nicht lange nach ihrer Rückkehr plötzlich von heftigem Erbrechen und Diarrhöe befallen. Sie starb am 26. August, vier Wochen nach jener Wiedervereinigung mit ihrem Ehemann.

Hierauf verließ die Schönleben die Dienste Glasers und wurde bereits am 25. September desselben Jahres von dem noch unverheirateten Justizamtmann Grohmann zu Sanspareil als Haushälterin aufgenommen. Dieser, obgleich erst 38 Jahre alt und von starkem, vollsaftigem Körperbau, war ein kränkelnder Mann. Er litt schon seit mehreren Jahren an Gicht und mußte öfters das Bett hüten, wobei sich die Schönleben immer als äußerst sorgsame Krankenpflegerin erwies. Im Frühling des Jahres 1809 erkrankte er jedoch heftiger, und zwar unter Erscheinungen, die sich bei früheren Krankheitsanfällen nicht gezeigt hatten. Außer heftigem Erbrechen, Schmerzen in den Gedärmen, wiederholten Stuhlgängen und äußerst trockener Haut, zeigten sich eine Entzündung des Schlundes, außerordentliche Schwächen, unauslöschlicher Durst und pelzige Gefühle in den Gliedern. Er starb am 8. Mai, nach elftägiger Krankheit. Seine Haushälterin, die auch in dieser letzten Krankheit ihn auf das sorgfältigste verpflegt, ihm jedesmal das Bett gemacht, ihm die Arzneien selbst gereicht hatte, zeigte sich über diesen Verlust untröstlich. Daß der schon so lang kränkelnde Grohmann nur eines natürlichen Todes gestorben sei, galt für eine ausgemachte Sache. Niemand, selbst nicht die Ärzte, ahnten auch nur die Möglichkeit des Gegenteils.

Die Schönleben war nun wieder außer Dienst. Allein der Ruf ausgezeichneter Geschicklichkeit sowie ihre Menschenfreundlichkeit, Dienstgefälligkeit und Aufmerksamkeit als Krankenpflegerin verschafften ihr sogleich ein neues Unterkommen. Die Gattin des Kammeramtmanns Gebhard sah ihrer baldigen Niederkunft entgegen und ersuchte die jetzt dienstlose Schönleben, ihr als Haushälterin und Wärterin in dem Wochenbette beizustehen. Gegen jedermann gefällig und dienstfertig, ließ sie sich dazu willig finden und hielt sich seit dem Tage der Niederkunft in dem Gebhardschen Hause auf. Sie besorgte das Hauswesen und betreute die Wöchnerin und das Kind. Die Niederkunft war am 13. Mai 1809 erfolgt. Mutter und Kind befanden sich wohl. Allein am dritten Tage des Wochenbettes erkrankte die Wöchnerin. Die Anfälle wurden von Tag zu Tag heftiger. Nach gewaltigem Erbrechen, großer Unruhe, qualvoller innerer Hitze, außerordentlicher Entzündung des Schlundes und nachdem die Kranke nachts zuvor in der Angst ihrer Schmerzen ausgerufen hatte: »Um Gottes willen! Ihr habt mir Gift gegeben!« starb sie am 20. Mai, sieben Tage nach ihrer Niederkunft. Da die Gebhardin von jeher schwächlicher Lebensbeschaffenheit und überdies im Wochenbette gestorben war, so schöpfte auch bei ihrem Tode niemand einen Argwohn. Ihre Leiche wurde, wie die der Glaserin und des Grohmann, ohne weiteres begraben.

Der nun verwitwete Kammeramtmann Gebhard, in Verlegenheit um sein Hauswesen und um das Wochenkind, welches ihm die Verstorbene hinterlassen hatte, glaubte nichts Besseres tun zu können, als die Schönleben nunmehr als seine Haushälterin fest anzunehmen. Mehrere Personen suchten ihn zwar hierüber bedenklich zu machen:

»Diese Schönleben, wohin sie auch kommt, sie bringt den Tod mit sich ins Haus.«

»Nun sind schon in ganz kurzer Zeit drei junge Personen, bei denen die Schönleben in Diensten gewesen, hintereinander gestorben.«

Niemand sprach das jedoch als eine Beschuldigung aus. Diese Warnungen waren nicht mehr als dunkle Ahnungen oder abergläubige Besorgnis eines unheilbringenden, sympathetischen Einflusses jener Person auf diejenigen Menschen, denen sie beständig nahe ist. Das überaus gefällige Betragen, der Anschein von Gottesfurcht, Rechtschaffenheit, Demut und Menschenfreundlichkeit dieser Schönleben, schützte sie überdies gegen jeden möglichen Verdacht. Und so blieb sie mehrere Monate bei Gebhard als Haushälterin, unangefochten und unverdächtigt.

Einige Monate später ereigneten sich, während ihres Aufenthaltes im Gebhardschen Haus, noch andere Vorfälle, die jedoch ebenfalls lange unbeachtet blieben. Am 25. August 1809 speisten der Handlungsdiener Beck und die Witwe des Sekretärs Alberti bei Gebhard zu Mittag. Nach Tisch wurden beide von heftigem Erbrechen, Leibschmerzen und Zuckungen befallen, die bis in die Nacht andauerten.

Um dieselbe Zeit, gegen Ende August, gab die Schönleben dem Boten des Kammeramts, Rosenhauer, ein Glas Weißwein zu trinken. Bald darauf mußte er sich erbrechen, wurde von innerlicher Hitze und Reißen im Magen gequält und war genötigt, sich ins Bett zu legen.

An demselben Tage ließ die Schönleben den 19jährigen Laufburschen des Rosenhauer, Johann Kraus, mit sich in den Keller gehen, wo sie ihm ein Glas Branntwein reichte. Als er davon einen Schluck getrunken hatte, sah er im Glas einen fremden, weißen Körper. Er trank daher nicht weiter, wurde aber dennoch von Übelkeit befallen.

Eine der Mägde des Gebhard, Barbara Waldmann, mit der die Schönleben verschiedentlich unbedeutende Zänkereien gehabt hatte, war ebenfalls in der letzten Woche des August nach dem Genuß einer Tasse Kaffee krank geworden und hatte sich vom Morgen bis zum Abend fast jede halbe Stunde erbrechen müssen.

Die auffallendste Begebenheit ereignete sich bald nachher. Gebhard vergnügte sich am 1. September mit einer Gesellschaft auf der Kegelbahn. Er ließ sich dahin einige Krüge Bier aus seinem Keller bringen. Sowohl er als alle übrigen Personen, die von diesem Bier getrunken hatten, fünf an der Zahl, wurden kurz danach von Übelkeit, Erbrechen und empfindlichen Leibschmerzen ergriffen. Einige, unter diesen Gebhard, bedurften sogar ärztlicher Hilfe.

Erst dieses Ereignis, denn die früheren waren unbekannt oder unbeachtet geblieben, erregte Verdacht und Unwillen gegen die Schönleben. Am folgenden Tag kündigte ihr Gebhard. Er tat es weniger aus eigenem Antrieb als auf das ernstliche Zureden eines Freundes, der auf dem Kegelplatz miterkrankte. Er entließ sie, nahm ihr sämtliche Schlüssel ab und enthob sie der Aufsicht über sein Hauswesen. Aber sie eines Verbrechens zu beschuldigen, wagte Gebhard nicht. Er gab ihr ein schriftliches Zeugnis, das unter anderem die »Treue und Bravheit ihres Betragens« rühmte. Es war ihm genug, wenn nur dieses rätselhafte, unheilbringende Wesen sein Haus verlasse.

Auf den folgenden Tag war ihre Abreise aus Sanspareil nach Bayreuth festgesetzt. Sie zeigte sich zwar über ihre plötzliche Entlassung befremdet, war im übrigen aber immer artig und besonders am Vorabend vor ihrer Abreise ungemein geschäftig. So trug sie unter anderem, was sonst nie ihre Verrichtung war, das Salzfaß aus der Küche und füllte es aus der Salztonne, die in Gebhards Schlafkammer stand, von neuem auf. Als die Magd Barbara Waldmann sie deshalb ansprach, antwortete sie scherzend: »Das muß so sein. Die Leute, die weggehen, müssen das Salzfaß füllen, damit das zurückbleibende Gesinde desto länger den Dienst behält.«

Am Morgen ihrer Abreise bezeigte sie noch beiden Dienstmägden, der Hazin und der Waldmann, ihr besonderes Wohlwollen, indem sie jeder eine Tasse Kaffee reichte, zu dem sie Zucker aus einem Papierchen tat. Schon stand der Wagen vor der Tür, als sie das zwanzig Wochen alte Kind des Gebhard noch einmal auf ihre Arme nahm, ihr liebes Fritzchen, wie sie das Kind nannte, gab ihm ein in Milch getauchtes Biskuit zu essen, auch von derselben Milch zu trinken, um sich dann unter Liebkosungen von ihm zu trennen. Sie stieg in den Wagen, der sie nach Bayreuth bringen sollte. Gebhard war noch so gefällig gewesen, ihr diesen Mietwagen zu bezahlen, sie vor ihrer Abreise mit Schokolade zu bewirten und mit einem Kronentaler zu beschenken.

Kaum aber war eine halbe Stunde nach ihrer Abreise verflossen, so wurde das Kind von gewaltigem Erbrechen befallen und schwer krank. Auch die beiden Mägde, die von dem Kaffee getrunken hatten, mußten einige Stunden nachher sich heftig übergeben. Nun erst ging in dem Gebhardschen Hause ein Licht über diese schwarzen Taten auf. Gebhard wurde durch seine Mägde von der Geschäftigkeit der Schönleben mit dem Salze unterrichtet. Er ließ das Salzfaß in der Küche von einem Apotheker untersuchen. Der fand das Salz stark mit Arsenik vermischt. Auch in der großen Salztonne fanden sich später bei der gerichtlichen Untersuchung auf drei Pfund Salz 30 Gran Arsenik.

Zu diesen Tatsachen kam noch zu allem Überfluß die bisher unbeachtet gebliebene Kunde von dem Erkranken mehrerer Personen, die auch bei Glaser und Grohmann, zur Zeit als die Schönleben in ihrem Dienste stand, nach dort genossenen Speisen oder Getränken plötzlich erkrankt waren. Schließlich entdeckte man sogar, daß es selbst mit dem Namen Nannette Schönleben geborene Steinacker nicht seine Richtigkeit hat. Diese Person war zwar eine geborene Schönleben, doch jetzt die Witwe des Notarius Zwanziger zu Nürnberg. Der Name Steinacker war der ihres verstorbenen Stiefvaters.

Ungeachtet all dieser Tatsachen erhob unbegreiflicherweise der Kammeramtmann Gebhard erst drei Tage später gerichtliche Anzeige bei dem Kriminalsenat der damaligen Regierung zu Bayreuth. Die Untersuchung wurde dem damaligen Stadtgerichtsdirektor Brater zu Kulmbach übertragen. Er verfügte sich sogleich an Ort und Stelle. In kurzer Zeit wurden die Anzeigen zahlreicher Giftmischereien nicht nur bestätigt, sondern auch noch bedeutend vermehrt.

Der wichtigste Gegenstand der Generaluntersuchung war die Erforschung der Todesart, der in so kurzer Zeit und unerwartet nacheinander verstorbenen drei Personen. Am 23. Oktober wurde zuerst der Leichnam der Justizamtmännin Glaser ausgegraben. Auffallend zeigten sich an demselben alle jene merkwürdigen äußeren Erscheinungen, die in neueren Zeiten als eigentümliche Kennzeichen der Arsenikvergiftung betrachtet werden dürfen. Wiewohl der Leichnam bereits seit vierzehn Monaten im Grabe gelegen hatte, waren nur verhältnismäßig geringe Spuren der Verwesung wahrzunehmen. Die ganze Oberfläche des Körpers schien gleichsam zu einer Mumie erhärtet zu sein, und die Haut hatte, nach weggenommenem Schimmel, eine dem Mahagoniholz ähnliche, braune Farbe. Diese mumienartige, dabei elastische Härte zeichnete sich besonders bei den vollen Brüsten aus. Der Unterleib war etwas ausgedehnt und gab, wenn man mit einem Stocke daraufschlug, einen hohlen, dumpfen Laut von sich. Die Bauchbedeckungen sowie die Bauchmuskeln waren in eine gleichförmige, speck- oder käseartige Masse verwandelt.

Als am folgenden Tage auch die Leichname der seit beinahe sechs Monaten begrabenen Gebhardin und des Grohmann ausgegraben waren, zeigte jener dieselben auffallenden Erscheinungen wie der Körper der Glaserin. An dem Leichnam des Grohmann war die Fäulnis bereits weiter vorgeschritten. Die lederartige Verhärtung und Elastizität der Bauchbedeckungen, die Mahagonifarbe der Haut, die Verwandlung der Muskeln in einen speckartigen Stoff fand sich aber auch bei ihm. Nach sorgfältiger chemischer Untersuchung der Eingeweide der Gebhardin und der Glaserin entdeckte man noch überdies Arsenik selbst. Hierdurch, sowie durch den Verlauf der Krankheit und viele andere Umstände, wurde das ärztliche Gutachten begründet, dessen Ergebnis dahin lautete, daß mit Gewißheit anzunehmen, beide Personen seien an einer Vergiftung durch Arsenik verstorben. Da jedoch bei Grohmann die chemische Untersuchung der Eingeweide zu keiner Entdeckung des Giftes selbst führte, bestand das Ergebnis dieses Gutachtens darin, daß sich mit Gewißheit eine Arsenikvergiftung nicht nachweisen lasse, sondern nur mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne. Die Schönleben oder vielmehr Zwanziger, wie sie von nun an heißen soll, fühlte sich indessen, nichts Schlimmes ahnend, in vollkommener Sicherheit. Bei ihrer Abreise hatte sie einen Brief an Gebhard zurückgelassen, worin sie ihm Vorwürfe wegen des Undanks machte, womit er ihre Sorgfalt gegen ihn, ihre Liebe und Zärtlichkeit gegen das von ihr geliebte Kind belohnt habe. »Wenn«, so heißt es mit Empfindsamkeit in dem Brief, »Ihr Kind nicht ruhig sein will, dann wird Ihnen mein Schutzgeist zurufen: Warum nahmst du ihr das Liebste, das Kind, hinweg? Fragen Sie nach einer Zeit von sechs Wochen nach mir, dann werden sie hören: Sie ist nicht mehr! Und dann wehe Ihrem Herzen. Dann wird es brechen! Wehe dem, der mich bei Ihnen verleumdet hat!«

Hierauf wünscht sie ihm Gottes Lohn für alles, was er ihr Gutes getan, bittet um seine fortdauernde Freundschaft und gibt ihm die Versicherung, ihm alle 14 Tage zu schreiben. Sie hielt auch treulich Wort. Aus Bayreuth schrieb sie, wo sie mit dreister Unverschämtheit sich sogar bei der Mutter der verstorbenen Gebhard, wie eine Freundin der Familie, einlogierte. Auch aus Nürnberg, wohin sie sich, nach vierwöchentlichem Aufenthalt zu Bayreuth, begeben hatte, erließ sie mehrere Sendschreiben an Gebhard, in denen sie ihm von ihrem Befinden, von der guten Aufnahme, die ihr überall zuteil werde, von ihren Aussichten auf neue Dienste Nachricht gab. »Ich empfehle mich der fortdauernden Gnade meines verehrungswürdigen Herrn, bekümmere mich um mein liebes kleines Fritzchen, erkundige mich nach seinem Wohlbefinden und sende ihm zärtliche Küsse. Ich hoffe auf nichts Geringeres, als wieder von Ihnen zurückberufen zu werden.«

Sie hatte bei ihren Briefen keine andere Absicht, als ihm diesen Gedanken einer Rückkehr so oft als möglich auf verschiedene Weise nahezulegen. Ebenso freigebig war sie mit ihren Briefen gegen andere Personen. So schrieb sie, unter anderem, auch an den Justizamtmann Glaser und trug ihm von neuem als Haushälterin ihre willigen Dienste an. Als sie aber zu Bayreuth wie zu Nürnberg vergebens auf ein Zurückrufen gewartet hatte, reiste sie nach Mainbernheim in Franken, um hier bei ihrem Schwiegersohn, einem Buchbinder namens Sauer, Aufnahme zu finden. Doch der war unterdessen von ihrer Tochter, die wegen Diebstahl und Betrügereien zum Zuchthause verurteilt worden war, durch förmliche Scheidung getrennt worden. Am selben Tage, an dem seine ehemalige Schwiegermutter bei ihm einkehrte, feierte er gerade seine zweite Hochzeit. Dieses unangenehme Zusammentreffen veranlaßte ihre baldige Rückkehr von Mainbernheim nach Nürnberg.

Hier aber waren bereits die Ersuchungsschreiben zu ihrer Verhaftung eingetroffen. Kaum hatte sie am 18. Oktober 1809 ihre Vaterstadt wieder betreten, als sie von der Gerechtigkeit ergriffen wurde. Bei ihrer Durchsuchung fand man in ihrer Tasche drei Päckchen, die über Wesen und Gewerbe dieser Person keinen Zweifel ließen. Es waren zwei Päckchen mit Mückenstein und eins mit Arsenik.

Wir übergehen hier einstweilen die Erzählung der früheren Lebensverhältnisse dieser Verbrecherin, über die sie sich in ihren ersten Verhören, zu Nürnberg, dann zu Kulmbach, nur bruchstückweise oder in sehr allgemeinen Umrissen erklärt hat. Ebensowenig wäre es dem Zwecke dieser Darstellung gemäß, den langen Gang der Untersuchung zu verfolgen, da es doch unmöglich sein würde, die Verschmitztheit, Hinterlist und Gewandtheit, womit dieselbe Verbrecherin lange Zeit durch alle noch so eindringenden Fragen und Vorhaltungen sich hindurchzuwinden verstand, in einer nur allgemeinen Beschreibung zur Anschauung zu bringen. Es ist nur zu bemerken, daß die Zwanziger vom 19. Oktober 1809 bis zum 16. April 1810 alle Anschuldigungen, die die Giftmischung betrafen, im Leugnen verharrte. Erst am letzten Verhörtag, als sie, in der Meinung, alles gegen sie Vorhandene sei schon erschöpft, ganz unbesorgt vor ihrem Untersuchungsrichter erschien und der das Verhör mit der ihr höchst unerwarteten Vorhaltung eröffnete, man habe den bereits 14 Monate im Grabe gelegenen Leichnam der Justizamtmännin Glaser wieder ausgegraben, man habe durch genaue Untersuchung die Gewißheit erlangt, daß diese Person an einer Arsenikvergiftung gestorben sei und daß alle Umstände den dringendsten Verdacht ergäben, sie habe der Glaser das Gift beigebracht, erst jetzt, und nachdem der Untersuchungsrichter zwei Stunden lang diese Vorstellungen in verschiedenen Gestalten wiederholt und eindringlich gemacht hatte, erst jetzt brach, zwar nicht ihr Herz, aber ihr Mut. Nachdem sie anfangs noch, unter Weinen and Händeringen, ihre Unschuld von neuem beteuert, dann in mancherlei verwirrten, abgebrochenen, unzusammenhängenden Sätzen, die in sichtbarer Angst blitzschnell hintereinander ausgestoßen wurden, dem eindringenden Richter auszuweichen oder denselben zu verwirren versucht hatte, legte sie endlich ein noch sehr umschleiertes und mit einer schweren Verleumdung durchwehtes Bekenntnis ab. Ja, sie habe der Justizamtmännin Glaser zweimal Gift gegeben. Kaum war dieses Bekenntnis von ihren Lippen, so stürzte sie wie vom Blitz getroffen zu Boden, wälzte sich in heftigen Zuckungen umher, so daß sie aus dem Gerichtszimmer getragen werden mußte.

Die Vergiftungen und Giftmorde, deren die Zwanziger teils geständig, teils im hohen, der Überweisung nahen Grade verdächtig geworden, bilden drei verschiedene Serien.

 

Die Verbrechen im Glaserschen Dienst

Justizamtmann Glaser, ein Mann in den Fünfzigern, lebte bereits mehrere Jahre nicht durch seine Schuld von seiner Ehegattin getrennt, als er die Zwanziger auf Empfehlung seines eigenen Sohnes in seine Dienste nahm. Sie wußte sich mit anschmiegender Zudringlichkeit nur allzubald in das Vertrauen ihres Herrn einzuschleichen und sich mit ihm auf einen gewissen Fuß der Gleichheit zu stellen. Nicht lange war sie in seinem Dienste, als sie, mit einer ganz besonderen Geschäftigkeit, die Aussöhnung beider Ehegatten, zum Teil sogar ohne Glasers Wissen, zu betreiben anfing. Nicht genug, daß sie ihren Herrn durch alle Künste ihrer Überredungsgabe zur Wiederaufnahme seiner Gattin zu bewegen suchte, sie knüpfte überdies einen anfangs geheimen Briefwechsel mit der bei ihrem Bruder lebenden Gattin an. Sie schrieb an Freunde der Glaserschen Familie, um diese zur Teilnahme an dem Versöhnungsgeschäft zu gewinnen. Sie erließ sogar deshalb ein Schreiben an den benachbarten katholischen Pfarrer Merz zu Holfeld und legte, sie, die Protestantin, ihrem Briefe einen Vierundzwanziger bei, damit für den glücklichen Erfolg ihres Unternehmens eine Messe gelesen werde. Und ihr Unternehmen hatte wirklich Erfolg.

Die Glaserin ließ sich überreden, zu ihrem Manne zurückzukehren. Glaser, durch die Zwanziger vollkommen versöhnt, war bereit, die lang von ihm Getrennte wieder als Gattin aufzunehmen. Jene reiste unter schweren, finsteren Ahnungen ab. Wenige Tage, bevor sie in Kasendorf ankam, schrieb sie an ihre Verwandten: »Ich melde Euch, daß nächsten Mittwoch eine Aussöhnung zwischen mir und meinem Manne statthat. Wie mir ist, kann ich Euch nicht sagen. Fürchterlich tobt es in mir. Ob vielleicht mir etwas ahnet? Ich bin wie verwirrt.«

Als Glaser seine Frau zu Holfeld abholte und mit ihr nach Kasendorf zurückkehrte, war auf Veranlassung der Versöhnerin den versöhnten Gatten ein glänzender Empfang bereitet. Ganz Kasendorf war in Bewegung. Der Fußboden des Hauses war mit Blumen bestreut, Wände und Türen zierten Gewinde von Blumen. An das mit Kränzen geschmückte Ehebett war ein zierliches Papier geheftet, mit dem Vers: Der Witwe Hand / Knüpft dieses Band. Die Versöhnerin hatte ihn gedichtet und mit eigener Hand kunstvoll geschrieben.

Die geheime Absicht, die ihrem ebenso unberufen als eifrig betriebenen Aussöhnungsgeschäfte zum Grund lag, kann keinen Augenblick zweifelhaft sein. Die fünfzigjährige, häßliche, mit einem ekelhaften Leibschaden behaftete Zwanziger hatte ihre Augen auf Glaser geworfen. Sie erwartete, falls er Witwer werden sollte, daß er sie heirate. Sie hoffte, was sie selbst als Beweggrund ihres Mordes vor Gericht eingestand, sich endlich noch in ihrem Alter ein ruhiges Leben zu bereiten. Diese Versorgung sollte ihr der Tod der Glaserin verschaffen. Ohne Zweifel wurde schon die fromme Rolle einer Friedensstifterin nur in der tückischen Absicht übernommen, die Entfernte in ihre Gewalt zu locken. Als die Glaserin endlich gekommen war, wurde das in der Freude des Gelingens mit Kränzen geschmückte Opfer gestreichelt und geliebkost, um es bald desto sicherer zu schlachten.

Kaum war die Frau einige Wochen im Hause ihres Mannes, der sie mit aller Aufmerksamkeit und mit wahrer Liebe behandelte, als die Zwanziger mit der Ausführung ihres Planes begann. Am 13. oder 14. August schüttete sie Mückenstein, wie sie behauptet, nur ein halbes Löffelchen voll, in den am Feuer stehenden Tee und stellte ihn der Justizamtmännin vor. Diese trank. Ihr wurde übel. Sie mußte sich einigemal erbrechen. Allein diese Gabe tat doch noch nicht die rechte Wirkung.

»Als ich«, bekennt die Verbrecherin, »der Glaser den Mückenstein in den Tee gab, dachte ich: du willst dir doch ein ruhiges Alter machen. Wenn ihr das Gift diesmal nicht hilft, so gibst du es ihr öfter.« Um sich eines besseren Erfolges zu versichern, goß sie einige Tage nachher nachmittags zwischen 4 bis 5 Uhr, einen gehäuften Eßlöffel voll aufgelösten Mückenstein in eine Tasse Kaffee. Sie rief die Glaser ins Zimmer, um sie zum Trinken einzuladen. Die Glaser trank und trank ihren schnellen Tod. Nachts erkrankte sie unter heftigem Erbrechen und Schmerzen in den Eingeweiden. Die Krankheit nahm unter immer bedenklicheren Symptomen zu. Am 10. Tag nachher war sie eine Leiche. »Als ich«, sagt die Zwanziger, »das Gift in die Tasse goß und das dicke Zeug sah, dachte ich gleich: Herr Jesus, die muß gewiß sterben!«

Es darf für die Charakteristik dieser Person der bedeutende Zug nicht unbemerkt bleiben, daß sie durch ihr Bekenntnis nicht bloß sich selbst beschuldigt, sondern auch den Justizamtmann Glaser in gleiche Schuld zu verwickeln versucht hat. Er selbst sollte sie zur Ermordung seiner Gattin angestiftet, sollte um die Teevergiftung gewußt, sollte ihr bei der Kaffeevergiftung den Mückenstein mit den Worten gereicht haben: »Da, geben Sie es ihr. Um das Luder ist es nicht schade!«

Wirklich hatte auch diese Aussage zur Folge, daß Glaser gefangengenommen und in die Untersuchung mit verwickelt wurde. Die hatte jedoch die Entdeckung seiner vollkommenen Unschuld zum Ergebnis.

Ungefähr eine Woche vor der ersten Vergiftung der Justizamtmännin hatte sich im Glaserschen Hause ein anderer Vorfall ereignet, der ebenfalls mit schwerem Verdacht die Zwanziger belastet. Der Amtmann Wagenholz, seine Frau und sein Sohn besuchten die Glaserschen Eheleute und nahmen bei ihnen das Abendessen ein. Bald nach genossenem Mahle wurden Glaser, dessen Gattin, Wagenholz und dessen Sohn von Übelkeit und Erbrechen befallen. Am folgenden Tag wurden von der Zwanziger die übriggebliebenen Speisen dem Jungen des Nachtwächters Harbach überlassen. Auch dieser mußte sich vielmal heftig erbrechen, so daß er genötigt war, das Bett aufzusuchen.

War das nur ein Probestück, womit diese Verbrecherin sich vorläufig zu üben, die Kraft und Wirkung ihres Mückensteins zu erproben und sich hierdurch auf das Größere vorzubereiten suchte? So, wie die Brinvillier, nach Pitavals Erzählung, mit ihrer Kunst, ehe sie diese gegen ihren Vater, ihren Bruder und ihre Schwester gebrauchte, zuvor an Armen und Kranken im Hospital, denen sie vergifteten Zwieback reichen ließ, sowie an ihrer Kammerfrau mit einem vergifteten Stück Schinken, die geeigneten Versuche anstellte. Die Zwanziger leugnete jede Schuld, benutzte aber wiederum die Gelegenheit, auf Glaser neuerlichen Verdacht zu werfen:

»Er ist, wie der Satan, auf die Wagenholzschen Eheleute erbost. Gleich damals habe ich mir gedacht, daß er wohl etwas in die Speisen getan haben möge. Ich selbst bin damals ebenfalls sehr krank geworden.«

 

Im Grohmannschen Hause,

in das sie, nach dem Tode der Glaser, am 25. September desselben Jahres aufgenommen wurde, standen ihr vor allem die beiden Gerichtsdienerburschen, Lorenz und Johann Dorsch, die mit ihr dem Justizamtmann Grohmann häusliche Dienste leisteten, durch Neid und Eifersucht im Wege. Außerdem wurde sie, wie sie behauptete, beständig von den beiden geärgert und gefoppt. Auch war es ihr zum Verdruß, daß die jungen Leute sich mitunter am Bier gütlich taten.

»Ich beschloß daher«, bekennt die Inquisitin, »ihnen den Appetit zu verderben. Ich nahm vier Krüge Bier und vermischte zwei davon mit Mückenstein. In die beiden anderen tat ich eine etwas größere Portion Mäusegift. Von diesen Krügen wollte ich ihnen nach und nach vorsetzen, damit sie sich erbrechen müßten. Meine Absicht war jedoch nicht, sie zu töten, sondern ich wollte sie nur krank machen. Ich stellte ihnen einen dieser vergifteten Krüge vor. Sie tranken daraus. Aber sie tranken nur wenig, weil ihnen das Bier nicht schmeckte. Dann bedienten sie sich eines unvermischten Kruges, der dabeistand.«

Die Brüder Dorsch empfanden daher nach dem Genuß jenes Trankes nicht die mindeste nachteilige Folge. Auch blieb es bei diesem ersten Versuch. Wahrscheinlich haben jene Menschen es nur dem Umstand zu verdanken, daß die Aufmerksamkeit und Tätigkeit dieser Verbrecherin sich bald einem bei weitem wichtigeren Gegenstand zuwandte, der kurz darauf den Tod des Grohmann zur Folge hatte und das ganze Verhältnis löste.

Im Frühjahr 1809 besuchte der Amtmann Christoph Hofmann aus Wiesenfels den damals krank zu Bett liegenden Grohmann. Jenem wurden einige Gläser Bier zu trinken gegeben. Er weiß aber nicht mehr von wem, nur daß sie ihm matt und widerlich vorkamen. Ohne langes Verweilen verfügte er sich zum Kammeramtmann Gebhard. Kaum war er bei diesem angekommen, als ihn große Übelkeit überfiel. Er mußte die freie Luft suchen und übergab sich sehr stark.

Die Inquisitin leugnet die absichtliche Vergiftung. Die Krüge, die für Lorenz und Johann Dorsch vergiftet wurden, seien von ihr, ohne bezeichnet zu werden, in das Gewölbe zu dem übrigen Bier gestellt worden, wo sie dann die vergifteten Krüge von den unvergifteten nicht mehr habe unterscheiden können.

»Daher kann es denn sehr wohl sein«, fährt die Inquisitin fort, »daß der Amtmann zufällig von dem vergifteten Bier getrunken hat. Meine Absicht war es jedoch nie, ihn auch nur zum Erbrechen zu reizen. Denn Herr Hofmann war mir als ein sehr solider und rechtschaffener Mann, der nebst seiner Frau mir immer Achtung erwies, viel zu lieb.«

Daß der Justizamtmann Grohmann an Gift gestorben, ist zwar nicht zur juridischen Gewißheit erhoben, aber nach den ungewöhnlichen Erscheinungen seiner letzten Krankheit, nach den an seiner wiederausgegrabenen Leiche wahrgenommenen Kennzeichen einer Arsenikvergiftung, selbst nach dem Ergebnisse des gerichtsärztlichen Gutachtens, nicht bloß als möglich, sondern auch als wahrscheinlich anzunehmen. Daß die Zwanziger Urheberin dieser Vergiftung gewesen, dafür spricht ebenfalls eine der Gewißheit nahe kommende Wahrscheinlichkeit. Von einer Person, die schon an der Glaserin den Giftmord vollzogen hatte, die täglich mit Gift verderblichen Umgang pflegte, die einen Vorrat vergifteten Getränks in dem Grohmannschen Hause in Bereitschaft und davon bereits gegen zwei Menschen Gebrauch gemacht hatte, von einer solchen Person läßt sich auch diese Tat als eine ihr ganz gewöhnliche Handlung erwarten. Sie war überdies beständig um ihren gichtkranken Herrn, machte sich stets mit ihm zu schaffen und suchte andere Personen, die ihn bedienen wollten, zu verdrängen. Sie war sehr ungehalten, wenn andere ihm Arzeneien reichen wollten. Diese Vermutungen werden noch unterstützt durch ihr übertriebenes Benehmen nach Grohmanns Tod. Ihr Heulen und Schreien, womit sie am ersten Tage das Haus erfüllte, ließ sie besonders dann ertönen, wenn eine fremde Person ins Sterbezimmer trat. Auch liegen die Beweggründe, die sie zur Ermordung bestimmen konnten, sehr nahe. Grohmann, so kränklich er war, ging mit der Absicht um, sich zu verheiraten. Es war nicht mehr zweifelhaft, daß die Braut die Tochter des benachbarten Justizamtmanns Herrgott sein sollte. Um diese Heiratsangelegenheiten und Brautwerbungen Grohmanns bekümmerte sich die Zwanziger mit lästiger, ängstlicher Zudringlichkeit und gab auf verschiedene Weise zu erkennen, wie sehr dessen Verheiratung ihren Absichten und Wünschen entgegen sei. Alle Briefe, die kamen oder gingen, wurden von ihr bewacht, belauert und neugierig ausgespäht. Grohmann äußerte einst der Amtmännin Schell gegenüber, daß er durchaus nicht mehr mit seiner Haushälterin zufrieden sei.

»Bei einem jeden Brief, den ich erhalte, vermutet sie einen Heiratsantrag. Sie, so alt sie ist, bildet sich wohl gar ein, ich werde sie selbst noch heiraten.« Desgleichen bezeugt Johann Dorsch: »Sooft ich in das Haus kam und mich nach dem Befinden des Amtmanns erkundigte, hieß es jedesmal: ›Der Mann ist immer krank und will doch heiraten.‹«

Auf ähnliche Weise äußerte sie sich gegen Grohmanns eigene Schwester: »Die zukünftige Braut ihres Bruders ist an ein lustiges Leben gewöhnt. Sie wird sich in das einsame, stille Sanspareil nimmermehr finden. Sie wird auch wenig Lust haben, immer mit der Klistierspritze umherzugehen.«

Endlich verbreitete sich in dem Grohmannschen Haus die Sage, der Amtmann sei bereits mit der Tochter des Herrgott öffentlich aufgeboten. In acht Tagen werde die Ankunft der Braut erwartet. Da wurden nun das Gemüt und die Zunge der Zwanziger in ganz besondere Bewegung versetzt. Gerade um diese Zeit erkrankte aber Grohmann unter ungewöhnlichen Erscheinungen und starb wenige Tage nachher.

All diese Tatsachen und der Charakter dieser Person begründen folgende höchstwahrscheinliche Erklärung. Sie, die in keines Mannes Dienste trat, ohne auf ihn als ihren künftigen Bräutigam ihre Rechnung zu machen, schmeichelte sich auch bei Grohmann mit ähnlichen Gedanken. Als sie sich nun endlich, trotz aller ihrer Heucheleien und Dienstfertigkeiten, womit sie in dessen Liebesgunst sich einzuschmeicheln suchte, in ihrer Einbildung betrogen fand, so war Haß gegen ihren Herrn, der ihre Hoffnung vereitelt hatte, Neid gegen die junge Braut, der sie das Glück mißgönnte, das sie für sich begehrt hatte, Grimm gegen beide, deren Verbindung, wie sie voraussah, den Verlust ihres Dienstes zur Folge haben mußte, alles dieses war bei einem solchen Geschöpf mehr als hinreichender Beweggrund zu dem Entschluß, Grohmann durch dessen Ermordung zu bestrafen, der hoffenden Braut ihren Bräutigam zu entreißen und auf solche Weise ihren Verdruß an beiden zu rächen. Die mildeste Vermutung ist, daß sie ihm das Gift in der Absicht beigebracht, um den Mann fortwährend krank zu halten, ihn dadurch an der Vollziehung einer Heirat zu hindern und, indem sie ihm als Krankenwärterin sich notwendig machte, sich der Fortdauer ihres Dienstes bei ihm zu versichern. Sie selbst leugnet übrigens jede absichtliche Vergiftung Grohmanns, wenngleich sie einräumt, daß er, ohne ihre Absicht, von dem vergifteten Bier getrunken haben könne, das sie für die Dorschburschen im Vorrat gehabt habe.

»Grohmann war mir viel zu schätzbar, als daß ich ihm absichtlich hätte schaden mögen. Er war mein alles. Den Bissen, den er aß, den aß ich auch. Er war mein bester Freund und hat mich niemals gekränkt, so daß ich an ihm nichts zu rächen Ursache gehabt hätte.«

Mag der an eine gesetzliche Beweislehre gebundene Richter hier das Vorhandensein einer absichtlichen Vergiftung rechtlich bezweifeln, der freie Verstand wird sich schwerlich der Überzeugung zu erwehren imstande sein. Wie ungereimt ist nicht auch die Erklärung, womit sie die Schuld vorsätzlicher Vergiftung von sich hinwegzudeuten versucht! Grohmann ist »ihr alles, ihr bester Freund«. Und dennoch läßt sie einen Krug vergifteten Biers vor seinen Augen stehen. Dennoch weiß sie, daß im Gewölbe vergiftete Krüge mit unvergifteten vermischt sind und setzt, unbekümmert um jede Folge, ihren kranken, dabei so sehr geschätzten »besten Freund, ihr alles«, in die nahe Gefahr, aus vergifteten Krügen seinen Tod zu trinken!

Als ihr der ausgegrabene Leichnam der Gebhard auf dem Kirchhofe vorgezeigt worden war, berührte sie dessen rechte Hand mit den Worten: »Friede sei mit deiner Asche! Ich wollte, ich läge auch bei dir, dann wäre ich meine Leiden los!« Hierauf wurde sie auch zum Grabhügel Grohmanns geführt. »Ja«, sprach sie, »hier ist die Grabstätte des Justizamtmanns Grohmann! An diesem und der Gebhard ihrem Tod habe ich keinen Teil.«

Die Gebhard war aber, wie sie selbst späterhin nicht leugnen konnte, von ihr wirklich durch Gift getötet worden. War sie daher an Grohmanns Tod ebenso unschuldig wie an dem der Gebhard, so läßt sich jene Beteuerung an seinem Grabe sogar als ein jesuitisch verschleiertes, halb spöttisches Geständnis der Ermordung annehmen.

 

Im Gebhardschen Hause,

wo sie als Wärterin und Aushelferin eintrat, eilte sie, womöglich noch rascheren Schrittes, auf dem Weg der Verbrechen voran.

Kaum war sie vier Tage im Hause, als sie die Wöchnerin sich zum Gegenstand ihrer dunklen Kunst ersah.

»Weil die Gebhard«, so behauptet die Inquisitin, »sich sehr ärgerlich zeigte, mich sehr schnöde behandelte, mir wegen angeblich verwahrlosten Hauswesens Vorwürfe machte, faßte ich den Entschluß, ihr Gift beizubringen. Am Mittwoch vor ihrem Tode ging ich in das Gewölbe, wo ich zwei Krüge Bier vergiftete, indem ich den einen mit Mückenstein, soviel ich zwischen den beiden Fingern meiner rechten Hand fassen konnte, den zweiten mit einer noch stärkeren Dosis Mäusegift vermischte. Aus dem ersten wurde desselben Tags ein gläserner Krug gefüllt und der Wöchnerin vorgesetzt. Diese labte sich daran. Gebhard selbst reichte mehr als einmal seiner Gattin von dem vergifteten Trank. Am zweiten Tag nachher, vor ihrem Tode, wurde der zweite, stärker vergiftete Krug zu Hilfe genommen, von welchem die Kranke jedoch nur wenig getrunken hat. Nicht zum Sterben gab ich ihr das Gift, sondern um sie durch das dadurch verursachte Erbrechen zu plagen, weil sie mich auch so geplagt hat. Ich wußte ja, daß ihr das Bier nicht schaden werde. Könnte ich überzeugt sein, daß die Gebhard durch meine Schuld gestorben sei, so hätte ich mich zu ihr in das Grab gelegt. Früher war sie mir jederzeit gut. Sie war meine beste Freundin und stand mir bei mit Rat und Tat. Stets betrug sie sich freundschaftlich gegen mich und lobte mich, wo sie hinkam. Wir waren wie ein paar Schwestern, kamen oft zusammen und besprachen uns über ökonomische Dinge.«

Die alle Grenzen menschlicher Verdorbenheit überschreitende Tücke und Falschheit, die sich in diesem Bekenntnis ausspricht, wird dem Psychologen ebensowenig entgehen als dem Rechtsgelehrten die auffallende Parallele zwischen den eben angeführten Äußerungen und denjenigen, deren sich diese Person bei Grohmann bediente. Ihre »beste Freundin«, »ihre Schwester«, ihre »Helferin mit Rat und Tat« vergiftet sie absichtlich. Ihren »besten Freund«, »ihr alles«, wie könnte sie Grohmann absichtlich haben vergiften wollen, da er doch ihr »bester Freund, ihr alles« war?

Daß die Behauptung dieser Verbrecherin, der Gebhard das Gift nicht in tödlicher Absicht gegeben zu haben, nicht mehr ist als eine beschönigende Lüge, wird niemand bezweifeln. Denn wollte sie nicht den Tod, warum steigerte sie den Grad der Vergiftung? Warum reichte sie, nachdem der erste Krug genossen war, der bereits gefährlich Kranken das noch stärker vergiftete Bier? Auch die vorgebliche Absicht, sich bloß wegen der Ärgerlichkeit, Empfindlichkeit und schnöden Behandlung der Wöchnerin rächen zu wollen, stimmt mit allen aktenmäßig erwiesenen Tatsachen nicht überein. Aus vielen Zeugenaussagen, sogar aus mehreren Stellen der in ihrer Kommode gefundenen Briefe, geht zur Gewißheit hervor, daß sie, wie auf Glaser und Grohmann, auch auf Gebhard ihre Gedanken und Wünsche gerichtet hatte. Fehlte es ihr gleich an jedem Grund, der sie zu irgendeiner Hoffnung auf eine Heirat mit Gebhard berechtigte, so durfte sie sich doch wenigstens mit der Möglichkeit schmeicheln, daß sie, falls er Witwer geworden, durch seine Hand vielleicht ihre Versorgung erhalten könne. Ehe sie aber nur zu hoffen anfangen durfte, mußte Gebhards Ehe getrennt sein. Dies war genug für sie, um die Wöchnerin durch Gift aus dem Wege zu räumen.

Gegen Ende des Monats August speisten der Handlungsdiener Beck und die Sekretärswitwe Alberti bei Gebhard zu Mittag und wurden vergiftet. Die Zwanziger bekennt sich dieses Verbrechens schuldig. Beck habe sie zuweilen geneckt und gefoppt. Sie habe ihm daher mit Mäusegift vermischtes Bier zu trinken gegeben, und zwar aus demselben Krug, der seit der Vergiftung der Gebhard noch zur Hälfte übriggeblieben sei und den sie nur frisch aufgefüllt habe. Ihn zu töten sei nicht in ihren Sinn gekommen, sondern sie wollte ihn nur krank machen, um ihn für seine Neckereien zu bestrafen.

»Ich habe, ich muß es nur sagen, meinen Spaß dabei gehabt, wenn die Leute, die mich so quälten, sich erbrechen mußten.«

Daß auch die Alberti von demselben vergifteten Bier einige Gläser getrunken habe, räumt sie ein. Es sei jedoch ohne ihre Absicht geschehen. Sie selbst habe ihr vom Biertrinken abgeraten, und als sie trotzdem davon getrunken und hierauf von heftigem Erbrechen befallen worden sei, habe sie ihr Hoffmannsche Tropfen gereicht und ihr Kaffee machen lassen.

Den Amtsboten Rosenhauer mit Wein vergiftet zu haben, leugnet sie. Dagegen bekennt sie eine Vergiftung desselben durch Bier. Dieser Rosenhauer war ihr, wie sie sagt, zuwider; er machte ihr zuweilen Verdruß und Klatschereien. Einige Tage vor oder nach dem Vorfalle mit Beck habe sie ihm daher von dem vergifteten Bier eingeschenkt, um ihn zu züchtigen. Sie habe bloß den Bodensatz in demselben alten Kruge, der noch seit der Gebhardschen Vergiftung übrig gewesen, von neuem aufgefüllt.

Was die angeschuldigte Vergiftung des Rosenhauerschen Laufburschen, Johann Kraus, durch Branntwein betrifft, so leugnet sie ebenfalls nicht die Tat, aber das angegebene Mittel.

»Es gibt einem ja der gesunde Menschenverstand ein, daß man in so hellem Getränk wie Branntwein, worin jedes Fäserchen zu sehen sei, niemanden vergiften könne. Aber da Kraus immer so grob gewesen, habe ich ihm einmal ein kleines Glas vergiftetes Bier gegeben, auf daß er sich erbrechen müsse.« Damit steht jedoch der Umstand in klarem Widerspruche, daß Kraus nach dem Genusse des ihm von der Zwanziger gereichten Branntweins, worin er auch einen fremden Körper wahrgenommen, erkrankt ist und daß er, nach seiner Versicherung, öfter Bier von der Zwanziger erhalten habe, ohne sich jemals nachher übergeben zu müssen.

Es ist erwiesen, daß am 1. September der Kammeramtmann Gebhard, der Justizamtsverweser Beck, ferner dessen Bruder, der Handlungsdiener Beck, dann der Bürgermeister Petz und der Schreiber Scherber, die auf dem Kegelplatze versammelt waren, plötzlich an einer Arsenikvergiftung erkrankten, und zwar nach dem Genusse von Bier, welches die Zwanziger, auf Verlangen ihres Herrn, aus seinem Keller der Gesellschaft geschickt hatte. Die Zwanziger leugnet beharrlich jede verbrecherische Absicht. So es nach ihrem eigenen Geständnis ihr »Spaß machte«, wenn die von ihr vergifteten Leute sich mit Erbrechen abquälten, konnte sie es wohl auch einmal recht spaßhaft finden, einer ganzen Kegelgesellschaft ihre Lust zu verderben und sich, wäre es auch nur in der Phantasie, an ihren Schmerzen, an ihrem Würgen, Krümmen und Gesichterschneiden zu erlustigen.

Wenig Glauben verdient die Inquisitin, wenn sie vorgibt, daß immer nur die beiden vergifteten Krüge mit ihrem alten Bodensatz alles in allem gewirkt haben. Wenn dem so wäre, so müßten diese zwei Krüge mit dem bekannten Ölkrüglein der Witwe in der Bibel etwas gemein gehabt haben. Aus diesen Krügen vergiftete sich erst die Gebhard, hierauf trank davon, nach ihrem Geständnisse, der Beck, dann die Alberti mehrere Gläser, worauf beide heftig erkrankten; ferner Rosenhauer, hierauf Kraus, endlich fünf Personen einer Kegelgesellschaft, die insgesamt krank wurden und noch tage- und wochenlang die Folgen des Giftes in ihrem Körper spürten. Zu einer wahrscheinlicheren Erklärung leitet folgender Umstand: Am Abend vor ihrem Weggehen aus dem Gebhardschen Hause, als ihr bereits die Schlüssel abgenommen worden waren, ging sie mit dem Schreiber Scherber in das Gewölbe, um diesem zu zeigen, wozu es des Zeigens eben nicht sehr bedurfte, nämlich wo die Lichter aufbewahrt würden. Als Scherber mit den Lichtern wieder herausging, nahm sie ein Töpfchen zu sich mit den Worten: »Ich will dieses Töpfchen mitnehmen. Es steht schon lange da.« Dies brachte sie dann der Hausmagd mit dem Auftrag, es auszuwaschen. Bei der Reinigung entdeckte die Magd einen weißen, zähen Schaum, ungefähr in der Dicke eines Messerrückens, auf dem Boden des Töpfchens. Es war also aller Wahrscheinlichkeit nach nichts anderes als ein Giftbehälter, aus dem sie, sooft sie dessen bedurfte, sich ihre Vorräte vergifteten Biers bereitete. Sowenig sie die absichtliche Vergiftung der Kegelgesellschaft zugibt, bekennt sie hingegen die Vergiftung des Salzfasses in der Küche am Vorabend ihres Abzugs aus dem Gebhardschen Hause.

»Ich muß gestehen, daß ich am Abend vor meinem Weggang das Salzfaß, das in der Küche gebraucht wird, allerdings mit Arsenik vermischt habe, damit bei meinem Abgang alle, die im Hause blieben, etwas kriegten und ich der Magd einen Verdruß zuziehe. Ich nahm aus meiner Tasche, worin ich das Gift hatte, eine Prise Mäusegift, ging damit von meiner Schlafstube in die Küche, nahm das Salzfaß mit in die Gesindestube, rührte, indem ich einen Scherz machte, das Salz dreimal um und ließ in dasselbe das Arsenik fallen.«

Nun hatte sich aber auch die Salztonne, die noch einen bedeutenden Vorrat von Salz enthielt, stark mit Arsenik vermischt befunden, und aus dieser Salztonne war von der Zwanziger selbst das Salzfaß in der Küche aufgefüllt worden. Es ist daher durchaus kein Grund vorhanden zu zweifeln, daß sie es war, die auch den Salzvorrat in der Tonne mit Arsenik vermischt hat. Dennoch behauptet sie, gleichsam der Wahrheit selbst in das Angesicht lügend, ihre Unschuld.

»Ich kann mir es nicht anders denken, als daß mehrere Menschen auf mein Unglück losgearbeitet und mir dieses angetan haben.«

Was endlich das sechs Monate alte Gebhardsche Wochenkind, das »liebe Fritzchen«, betrifft, dem sie zum Abschied unter Liebkosungen in Biskuit und Milch Arsenik gegeben zu haben beschuldigt ist, so bekennt sie sich dieser Tat wenigstens in ihren Hauptumständen schuldig. In Biskuit habe sie dem Kinde nichts beigebracht, aber in eine Kaffeetasse voll Milch habe sie »ein klein wenig Mückenstein« getan und habe von dieser Milch dem Kind einige Kaffeelöffelchen zu trinken gegeben. Das übrige aber, weil sie wahrgenommen, daß der Mückenstein noch nicht ganz aufgelöst gewesen, habe sie hinweggegossen. Ihre Absicht sei dabei nicht gewesen, »dem Leben des Kindes zu schaden, sondern nur um es unruhig zu machen, damit Gebhard bewogen werde, sie zur Beruhigung seines Kindes von Bayreuth wieder zurückzurufen, wo sie sich deshalb vier Wochen lang aufgehalten habe«.

Es mag rätselhaft scheinen, warum diese Verbrecherin, die selbst wissen mußte, daß sie durch ihre abgelegten Geständnisse mehr als hinreichenden Grund zu einem Todesurteil gegeben hatte, alle ihre großen Missetaten immer wenigstens bis auf einen gewissen Punkt zu verkleinern und zu beschönigen, andere von weit minderer Bedeutung, ohne allen Schein und Glaubwürdigkeit, ganz von sich abzulehnen bemüht gewesen ist. Entweder suchte sie dadurch einer geschärften Todesstrafe durch das Rad zu entgehen, oder es war dieser verdrehten, falschen Menschennatur ganz unmöglich, einmal aufrichtig zu sein, ohne zugleich zu betrügen, eine Wahrheit zu sagen, ohne dieser wenigstens eine Lüge zur Gesellschaft mitzugeben.

Anna Margaretha Zwanziger hatte, als sie in die Gewalt der Gerechtigkeit fiel, bereits das 50. Jahr erreicht. Sie war klein von Wuchs, hager, schief und verwachsen. Ihr bleiches, mageres Gesicht, in das Alter und Leidenschaft bereits tiefe Furchen gegraben hatten, verriet auch nicht einen Zug ehemaliger Schönheit. Aus ihren Augen blickten Gehässigkeit und Neid. Ernst lag beständig auf ihrer Stirn, während ihr Mund zu freundlichem Lächeln sich verzog. Ihr Betragen war über und über Höflichkeit, kriechende Untertänigkeit, schmeichelndes Schöntun. Wollüstig und gefallsüchtig von Jugend auf, vermochten selbst Alter und Häßlichkeit nichts über ihre Ansprüche auf das männliche Geschlecht. Noch im Gefängnisse, und als sie bereits ihrem Todesurteil entgegensah, spielte ihre Einbildungskraft mit den Erinnerungen an die Blütezeit ihrer Jahre. Ihrem Untersuchungsrichter, welcher durch Ernst und Milde sich ihr besonderes Zutrauen erworben hatte, machte sie, als er sie im Gefängnis besuchte, die Erinnerung, er möge doch ja nicht das Bild der Zwanziger, wie sie gewesen, sich vorstellen nach dem Aussehen der Zwanziger, wie sie ihm jetzt erscheine; denn sonst sei sie schön gewesen, sehr schön.

Sie war am 7. August 1760 zu Nürnberg geboren, und zwar, zu böser Vorbedeutung, wie sie selbst bemerkt, im Gasthause zum schwarzen Kreuz, das ihrem Vater gehörte. Er vererbte seiner Tochter seinen Namen Schönleben, ein Name, der ihr im entgegengesetzten Sinn bezeichnend wurde. Der Vater starb anderthalb Jahre nach ihrer Geburt. In ihrem fünften Lebensjahr verlor sie, nebst ihrem einzigen Bruder, auch ihre Mutter.

Die fünfjährige Waise wurde zuerst bei einer alten Jungfer zu Nürnberg in Kost gegeben. Dann kam sie nach Feucht zu einer Tante, die ihr, wie sie selbst sagt, eine zweite Mutter gewesen ist. Nach ungefähr zwei Jahren kam sie zurück nach Nürnberg zu einer verwitweten Pfarrersfrau. Zuletzt, in ihrem 10. Jahr, wurde sie von ihrem Vormund, einem wohlhabenden Kaufmann, in sein Haus genommen. Nebst gehörigem Religionsunterricht erhielt sie eine gute Erziehung und lernte, außer weiblichen Arbeiten, worin sie eine große Geschicklichkeit erlangte, Lesen, Schreiben, Rechnen sowie die Anfangsgründe der französischen Sprache. Ihr Vormund, dessen Augapfel sie gewesen sein will, sparte nichts an ihr und hielt sie zum Fleiß, zur Ordnung und zu gefälligen Sitten an. Bei zarter Kindheit, von Ort zu Ort, aus einer Hand in die andere geworfen, zersplittert gleichsam ihr Jugendleben, und ihre Erziehung ermangelte der Stetigkeit und Übereinstimmung. Kaum hatte sie das 15. Jahr zurückgelegt, als ihr Vormund ihr den damaligen Furier, nachher Notarius Zwanziger, zum Bräutigam bestimmte. Sie liebte diesen Mann nicht, der bereits das 30. Jahr überschritten hatte. Sie wich ihm und seinen Anträgen und Bewerbungen aus. Doch siegten endlich die Überredungen ihres Vormunds. Im 19. Jahr wurde sie Zwanzigers Gattin. An einen Mann gebunden, den sie »fürchtete wie das Kind die Rute«, ungewohnt des beschränkten Stillebens, das gegen das heitere, geräuschvolle Treiben im Hause des Vormunds einen unangenehmen Abstand bildete, von ihrem Manne, der entweder seinem Beruf oder dem Trunke nachging, meistens der Einsamkeit überlassen, suchte sie anfangs den Verdruß der Langeweile mit Lesen zu töten.

»Mein erstes Buch, das ich las, waren Werthers Leiden. Dies Buch machte gleich so großen Eindruck auf mich, daß ich immer weinen mußte. Hätte ich eine Pistole gehabt, so hätte ich mich auch erschossen. Hierauf las ich Pamela und Emilia Galotti.«

Mit der romanhaften Schwärmerei ist, zumal in halbgebildeten oder von Natur zur Kälte hinneigenden Gemütern, sehr nahe die Empfindelei verwandt, die durch das nicht Empfundene, bloß als empfunden Vorgestellte, den inneren Sinn gleichsam zwangsweise kitzelt, in welcher der Mensch bloße Grimassen von Empfindungen als wirklich sich selbst und anderen aufzulügen sucht. Dadurch vergiftet er sich, sobald ihm dieses habituell geworden, den Quell der gewissesten Wahrheit, nämlich das Gefühl, bis in dessen innerste Tiefen, für immer. Verstellung, Lügenhaftigkeit, Falschheit, Tücke und was allem diesem anhängt, das sind die Saaten, die sehr leicht, alsdann üppig aber wuchernd, in einer Seele aufgehen, der es zur Gewohnheit geworden ist, mit ihren eigenen Gefühlen gleichsam Fälscherei zu treiben. Überdies ersticken die wahren Gefühle unter den erlogenen. So ist es erklärbar, warum sich die Empfindelei mit der entschiedensten Gefühllosigkeit und Starrheit des Gemüts, sogar mit Grausamkeit sehr wohl verträgt. Die stillen Genüsse der Empfindsamkeit wurden übrigens bald durch die ihrer Natur mehr zusagenden Vergnügungen rauschender Zerstreuung ersetzt, nachdem das Vormundschaftsamt ihrem Mann das Vermögen der inzwischen volljährig gewordenen Gattin ausgeliefert hatte. Der wußte es zu nichts Besserem zu verwenden, als sich damit lustige Tage und Abende zu verschaffen, an denen er, wie billig, seine Ehehälfte teilnehmen ließ. Es wurden Gäste geladen, musikalische Gesellschaften veranstaltet, Spazierfahrten unternommen, Bälle und Redouten besucht.

In wenigen Jahren war unter Schwelgereien, Lachen und Lieben das Vermögen zerronnen, und statt der schwärmenden Freuden zogen Not und Hunger ins Haus. Sie hatte ihrem Mann zwei Kinder geboren, die sie ernähren mußte. Ihr Mann, ein Trunkenbold, der am Tag oft seine zehn Flaschen Wein vertrug, verlangte in das Wirtshaus und war ebenso ungehalten, wenn es hierzu an Geld gebrach, als gefällig und nachsichtig, sobald es hieran nicht fehlte. Die Verehrerin der Pamela, welche bei Werthers Leiden geweint hatte, machte daher nur ihre Person zur Ware.

»Doch besaß ich«, so sagte sie, »immer genug Delikatesse, mich nur zu Standespersonen zu halten, die stillschwiegen. Denn das Prinzip ist mir von Jugend auf eingeprägt, mich nur zu Personen zu halten, die mein Glück machen könnten. So hatte ich denn auch der Liebe das Glück zu danken, daß ich von edlen Männern viel unterstützt wurde.«

Nach Verlauf von ungefähr zwei Jahren ging durch eine Uhrenlotterie, zu der Zwanziger den Plan ausgedacht hatte, ein neuer Glückstern über beiden Ehegatten auf. Mit dem Wohlstand kehrte auch das Wohlleben zurück. Und was man bisher für Geld aus Not getrieben, wurde jetzt aus Liebe und Gewohnheit fortgetan. Ein sehr ernsthaftes, ärgerliches und kostspieliges Verhältnis der Gattin mit einem Leutnant veranlaßte einen heftigen Ehestreit. Sie verließ ihren Mann, begab sich zur Schwester ihres Liebhabers nach Wien, kehrte von da, auf Vorstellung ihres Mannes, wieder nach Nürnberg zurück, klagte jedoch nun, von ihrem Liebhaber angereizt, auf Ehescheidung und wurde, nach kurzem Prozesse, von ihrem Manne wirklich geschieden. Doch kaum war das Scheidungsurteil erfolgt, als sie sich sogleich am Tage nach dessen Verkündung mit ihrem Mann in der Laurenzi-Kirche zum zweitenmal trauen ließ. Seit dieser Zeit lebte sie, bis an dessen Tod, wenigstens nach ihrer eigenen Versicherung, in ganz zufriedener, glücklicher Ehe. Sie habe zuletzt, fügt sie hinzu, sogar Zuneigung zu ihm gewonnen; denn sie habe bei mehreren Gelegenheiten wahrgenommen, daß er »sehr edel gedacht und ein sehr empfindsames Herz gehabt habe«. Am 21. Januar 1796, im achtzehnten Jahr seiner Ehe, machte Zwanziger durch seinen nach sehr kurzem Krankenlager erfolgten Tod seine Gattin zur Witwe. Der Verdacht, den schnellen Tod ihres Gatten ebenfalls durch Gift bewirkt zu haben, wurde durch eine Untersuchung nicht bestätigt. Seit diesem Todesfall wird das Leben der Zwanziger ein Gewirr von Unglücksfällen, Torheiten, Lastern und zum Teil schon vor den späteren Ereignissen im Bayreuther Land von Verbrechen.

Das elterliche Vermögen war verzehrt. Die Quelle des Einkommens versiegt. Nur 400 Gulden vermochte sie noch zusammenzubringen. Mit diesen begab sie sich nach Wien, angeblich um sich daselbst von der Zuckerbäckerei zu ernähren. Als dies mißlang, diente sie als Haushälterin in verschiedenen angesehenen Häusern. Dann geriet sie mit einem Schreiber von der ungarischen Kanzlei, »welcher von sehr gutem Gemüt war«, in zu enge Vertraulichkeit, gebar ihm ein uneheliches Kind, tat es in das Findelhaus, wo es bald nachher starb. Nach anderthalbjähriger Abwesenheit kehrte sie wieder nach Nürnberg zurück.

Anfangs wollte sie sich in ihrer Vaterstadt nicht länger aufhalten. Eines Tages jedoch machte ihr der Freiherr von W. seinen Besuch, versprach ihr seinen Schutz und trug ihr seine »Freundschaft und Liebe« an. Sie merkte, nach ihrer Versicherung, an allem, daß sie in diesem Freiherrn einen sehr edlen Mann vor sich habe und mietete sich daher in einem besonderen Zimmer ein. Hier wurde sie von ihrem Beschützer wie »eine Freundin von einem Freunde« besucht, erhielt von ihm Unterstützung und Geld, wurde aber, was wohl nur die gutmütigste Leichtgläubigkeit ihr zu glauben geneigt sein dürfte, mit allen ihrer Tugend gefährlichen Zumutungen von ihm verschont und »zu allem Guten geleitet«. Nebenbei schafft sie sich noch einen Verdienst mit Puppenmachen.

Drei Monate mochte dieses Verhältnis gedauert haben, als ihr der Antrag wurde, bei dem Minister-Residenten von K. zu Frankfurt als Haushälterin in Dienst zu treten. Ihr edler Beschützer zu Nürnberg war großmütig genug, sie an ihrem Glück nicht zu hindern. Mit 100 Gulden von ihm beschenkt, reiste sie nach Frankfurt ab. Allein hier wurde sie nach zwei bis drei Monaten, teils wegen Unreinlichkeit, teils weil sie der Küche nicht gehörig vorzustehen wußte, aus dem Dienst wieder entlassen. Sie selbst behauptet freilich, anderthalb Jahre in diesem Dienst gewesen zu sein, und weiß eine Menge anderer Ursachen ihrer Dienstentlassung zusammenzufinden. Aus dem Haus dieser Herrschaft entfernt, bezog sie zu Frankfurt anfangs ein Monatszimmer bei einem Friseur. Dann verdingte sie sich als Kindswärterin bei einer Gesellschaft englischer Reiter. Sie entlief ihnen acht Tage später, als diese Gesellschaft sich eben auf der Reise nach Bamberg befand, und kehrte wieder nach Frankfurt zu jenem Friseur zurück. Endlich wurde sie nur für kurze Zeit und mehr aus Mitleid von einem Kaufmann als Kindsmagd aufgenommen. Das geschah alles im Zeitraum von wenigen Monaten. So viele Unglücksfälle auf einen Schlag, verbunden mit dem unausstehlichen Gedanken, von einer gebietenden Hausfrau bis zur gemeinen Kindsmagd herabgekommen zu sein, wirkten so heftig auf ihr Gemüt, daß sie sich wie eine Irrsinnige betrug. Vom Weinen ging sie zum Lachen, vom Lachen zum Beten über. Lachend vernahm sie die Befehle ihrer Herrschaft und ging gehorchend ab an das Geschäft, um es nicht zu verrichten.

In ihrer äußersten Not hatte sie sich indessen wieder an ihren edlen Freund, den Freiherrn von W., nach Nürnberg gewendet, der sich ihr wirklich von neuem als Beschützer anbot. Bei ihrer Ankunft in Nürnberg wurde sie von ihm auf das herzlichste empfangen.

»Aber zu meinem Erstaunen«, so erzählt sie mit einem handgreiflichen Anachronismus, »zu meinem Erstaunen habe ich von jetzt an eine große Veränderung in seinen Sitten wahrgenommen. Er, ein verheirateter Mann, ist auf einmal freier und immer zudringlicher geworden. Er hat sehr leichtsinnige Grundsätze geäußert. Und endlich hat er seine Würde so ganz und gar vergessen, daß ich zuletzt von ihm in die Hoffnung versetzt worden bin, von neuem Mutter zu werden.«

Sobald aber der Freund von dieser Hoffnung erfuhr, zeigte er sich auffallend kälter als bisher. Seine Besuche wurden seltener und kürzer, und nur zu bald erhielt sie die entsetzliche Gewißheit, daß er unterdes eine in Deutschland bekannte Schauspielerin, die sich damals zu Nürnberg aufhielt, weit lieber besuche als sie selbst. Nicht genug, daß der Schreck über diese Neuigkeit sogleich eine angebliche Fehlgeburt zur Folge hatte, am folgenden Tag ließ sie sich von ihren Hausleuten ein Aderlaß-Eisen bringen, zerritzte sich damit die Adern beider Arme, wurde jedoch, wie sie angibt, an Vollbringung ihres Vorhabens gehindert und konnte leider nicht mehr als eine Kaffeeschale voll Blut herausbringen. Der Hausherr eilte sogleich zum Freiherrn von W., machte ihn mit dem Vorfall bekannt, zeigte ihm auch das mörderische Aderlaß-Eisen und bewog ihn, am folgenden Tag seinen weiblichen Werther zu besuchen. Freiherr von W. erschien. Aber nicht etwa als ein Reuiger. Er lachte die Närrin aus, obgleich ihm die Kaffeeschale mit Blut vorsichtig unter die Augen gestellt war, und kehrte ihr, nach heftigen Vorwürfen von ihrer Seite, den Rücken, um sie niemals wiederzusehen. In glühender Rache packte sie sogleich die Briefe ihres Liebhabers zusammen und sandte sie dessen Gemahlin zu. Dann aber ging sie an die Pegnitz, um ihr Leben zu enden. Sie sprang auch in den Fluß. Allein zwei in der Nähe beschäftigte Fischer brachten sie alsbald, ohne allen Schaden, bloß mit durchnäßten Kleidern, wieder an das Ufer. Geschwind wurden trockene Kleider herbeigeholt. Die nassen aber wurden als stumme Zeugen des zweiten Mordversuchs zum Freiherrn von W. getragen. Der entließ jedoch das Dienstmädchen, das diese Sachen überbrachte, mit 25 Gulden und mit dem guten Rat, ihre Gebieterin möge sich unverzüglich und so weit als möglich von Nürnberg entfernen. Die reiste denn auch, ohne in ihre Wohnung zurückzukehren, noch in derselben Nacht nach Regensburg ab.

Was es mit diesem zweifachen Selbstmordversuch für eine Bewandtnis hatte, daß das Blut nur gelassen wurde, um nicht zu verbluten, und der Sprung in das Wasser getan wurde, um wieder herausgezogen zu werden, ist nach allen Umständen mehr als wahrscheinlich. Indessen schreibt sie dem treulosen und hartherzigen Benehmen ihres Beschützers einen großen Teil ihrer Erbitterung gegen das Menschengeschlecht zur Last.

»Was mein Herz so böse gemacht hat?« sagt sie in einem ihrer Verhöre. »Herr von W. ist daran schuld. Als ich mir damals in Nürnberg die Adern aufgeschnitten hatte und er mein Blut sah, da lachte er nur. Und als ich ihm vorhielt, daß er schon einmal ein Mädchen unglücklich gemacht habe, das mit ihrem von ihm erzeugten Kind ins Wasser gesprungen sei, da lachte er wieder. Schrecklich war mir dabei zumute. Und sooft ich nachher etwas Böses tat, dachte ich bei mir selbst: Mit dir hat kein Mensch Mitleid gehabt. So habe denn auch kein Mitleid, wenn andere unglücklich sind.«

Von Regensburg, wo sie ein Wundfieber bekam und drei Wochen sich aufzuhalten genötigt war, führte sie ihr Geschick, unter mancherlei Bedrängnissen, über Wien wieder nach Nürnberg, von da nach Thüringen und Weimar in das Haus des Kammerherrn von S. als Dienstmagd. Nach ihrer Erzählung war aber in diesem Hause der Dienst für jedes Gesinde schwer und wenig lohnend. Daher beschloß sie nach sechs Wochen, ohne Aufkündigung fortzugehen, sich jedoch zugleich »eine Entschädigung« mitzunehmen.

»Mein Vorsatz gelang herrlich! Die Herrschaft saß bei der Tafel, und es hieß, ich solle mit dem Kind spielen, damit es kein Geschrei gebe. Ich ging also mit dem Kind in das schöne Zimmer. Dort stand ein rundes Tischchen mit einer Schublade. Hierin war nicht nur ein Ring. Auch Perlen und Steine, Ohrringe und dergleichen Kostbarkeiten lagen darin. Wo man solche Sachen, dachte ich, den Kindern zum Spiele läßt, achtet man nicht darauf, sonst würde man sie besser verwahren. Eben spielte das Kind mit dem Ring, der in einer Kapsel lag, und warf ihn hin und her. Das Kind selbst gab ihn mir dann in die Hand. Ich öffnete die Kapsel. Der Ring fiel mir in die Augen. Da war mir, als stehe jemand neben mir und spräche: Behalte ihn! Ich folgte der Eingebung, schläferte das Kind ein und ging, während noch die Herrschaften bei Tafel saßen, vom Hause fort und hinweg aus der Stadt.« Mit diesem zierlich zusammengefügten Diebstahlsroman, welcher die Tat der augenblicklichen Verblendung, der unbewachten Eingebung eines bösen Geistes zuschreibt, stimmt nun freilich die prosaische Aussage der bestohlenen Herrschaft durchaus nicht zusammen. Nach dieser Aussage befand sich der gestohlene, mit edlen Steinen besetzte Ring in einem verschlossenen Schreibschrank, zu welchem der Schlüssel in dem Arbeitskörbchen der Dame des Hauses zu liegen pflegte.

Aus Weimar glücklich mit ihrer Beute entkommen, suchte die Zwanziger ihre Zuflucht zu Mainbernheim bei ihrem Schwiegersohn, dem Buchbinder Sauer, der ihre Tochter Anna Margareta geheiratet hatte. Kaum aber war sie drei Tage in dem Hause ihres Schwiegersohns, als dem ein Zeitungsblatt in die Hand fiel, worauf zu lesen stand, daß seine Schwiegermutter, wegen des entwendeten Brillantringes, von Weimar aus mit Steckbriefen verfolgt wurde. Der Schwiegersohn wies eine solche Schwiegermutter sogleich aus seiner Wohnung. Noch am gleichen Tag reiste sie nach Würzburg ab. Hier hatte sie die Unverschämtheit, an den von ihr bestohlenen Herrn nach Weimar zu schreiben und ihm darüber Vorwürfe zu machen, daß er durch jene öffentliche Ausschreibung sie ins Unglück gebracht habe. Freilich fuhr jener Steckbrief, wie ein Blitzstrahl, zerstörend durch ihr Leben. Ihr Name war auf einmal ehrlos. Sie selbst geächtet. Ihre Person bürgerlich vernichtet. Um noch unter den Menschen geduldet zu werden, mußte sie gleichsam aufhören, sie selbst zu sein. Von nun an vertauschte sie den Namen Zwanziger mit ihrem Geburtsnamen Schönleben.

Nachdem sie sich unter diesem Namen eine Zeitlang durch verschiedene Orte des Frankenlandes umhergetrieben, bald hier, bald da, meistens bei den höheren oder gebildeten Ständen ein kurzes Unterkommen gefunden hatte, gelang es ihr, in dem oberpfälzischen Städtchen Neumarkt sich eine Art Versorgung zu verschaffen. Sie trat als Lehrerin junger Mädchen in weiblichen Handarbeiten auf, erhielt viele Lehrstunden, verdiente noch manches mit eigenen Arbeiten und erwarb sich, was ihr die dortige Obrigkeit bezeugte, durch ihren Fleiß wie durch ihre gute anständige Aufführung die allgemeine Zufriedenheit. Allein ihr Schicksal, vielmehr ihr unruhiges, mit sich selbst zerfallenes Gemüt, ließ ihr nirgends eine bleibende Stätte. Zu ihrem Unglück hielt sich einst der alte General N. N. aus München zu Neumarkt auf. Die bejahrte Witwe wußte noch des bejahrten Herrn Gelüste auf sich zu lenken. Er ließ sich bis zur engsten Vertraulichkeit mit ihr herab und machte ihr gelegentlich das Versprechen, für sie sorgen zu wollen. Da erwachte in ihr die Erinnerung an die schöne Vergangenheit, wo die »vornehmen, edlen Männer« ihre Beschützer waren. Das Vergangene, meinte sie, wolle sich nun in ihrem Alter wieder erneuern, und schon zog sie in ihren Gedanken und Träumen, als unterhaltene Freundin einer Exzellenz, in München ein. Diesen Hoffnungen glaubte sie, wie sie versichert, sich um so zutraulicher überlassen zu dürfen, »als sie immer gehört habe, daß die Katholiken sehr Wort zu halten pflegten«.

Der General verließ Neumarkt. Sie schrieb ihm, erhielt aber keine Antwort. Sie meldete ihm einige Zeit nachher ihre Schwangerschaft. Es wurde ihr aber, statt anderer Antwort, bloß eine geringe Summe Geldes, zur Beruhigung für immer, durch einen Pfarrer überantwortet. Hierdurch noch nicht entmutigt, verließ sie Neumarkt, wo sie ein ganzes Jahr lang Ruhe und Unterkommen gefunden hatte, und zog nach München, um sich Seiner Exzellenz persönlich vorzustellen. Doch sie wurde nicht vorgelassen. Aus dem Gasthaus, in dem sie logierte, richtete sie ein Schreiben an ihren hohen Gönner, erhielt aber von einem Bedienten, nebst einem kleinen Reisegeld, die mündliche Weisung, seinen gnädigen Herrn ein für allemal nicht mehr mit ihren tollen Zudringlichkeiten zu belästigen.

Genötigt, München zu verlassen, zog sie noch an manchen Orten hin und her, bis sie endlich von ihrem Verhängnis im Jahre 1807 nach Pegnitz und von da nach Kasendorf und Sanspareil, auf den Schauplatz ihrer großen Missetaten, geführt wurde.

Fast zwanzig Jahre lang von Ort zu Ort umhergejagt, beinahe schon 50 Jahre alt und noch immer ein Fremdling auf dieser Erde, ohne Vaterland und Heimat, vor der Welt entehrt, bloß durch einen Namenstrug unter den Menschen geduldet, suchte sie endlich angstvoll nach Ruhe, nach einer bleibenden Stätte, nach einer sicheren Versorgung. Und als Herrin, wie ehemals, nicht mehr als verachtete Magd, wie jetzt! Immer nur andern, nie sich selbst angehören. Nie befehlen, immer nur von andern Befehle empfangen oder befürchten. Immer kriechen und schmeicheln, bloß um als Magd zu gefallen. Fortwährend dazu verdammt, mit freundlich erzwungener Miene, den Menschen schön zu tun, welche sie gleichwohl nur hassen konnte. Abhängig, untertänig, bei dem erzürnten Gefühle lebhafter Erinnerung an die vergangenen Zeiten eigener Herrschaft, voll alter Ansprüche auf das gefällige Zuvorkommen und die äußere Achtung anderer, und doch so oft geneckt, verspottet, verachtet, über die Achseln angesehen, das war mehr, als eine solche Seele länger zu ertragen vermochte. Rettung mußte ihr werden aus einer solchen Lage! Oder, wenn nicht Rettung, wenigstens Ersatz dafür!

Aber aus dem Labyrinth ihres verworrenen Lebens führte kein gewöhnlicher Weg zur Freiheit. Überall Abgründe, die den Ausgang wehrten. Innerhalb der Schranken bürgerlicher Ordnung nirgendwo ein ausweichendes, sicheres Mittel der Hilfe! – Doch da entdeckt sich ihr endlich das Geheimnis einer still verborgenen Macht, die sie sich nur dienstbar zu machen braucht, um über alle Berge und Abgründe leichten Fußes hinüberzuschreiten und jenseits der lästigen Schranken beengender Verhältnisse, den Gesetzen des bürgerlichen Lebens entrückt, sogar über die Menschheit selbst hinausgehoben, mit unsichtbarer Gewalt nach eigener Willkür frei zu herrschen. Diese geheimnisvolle Macht war - Gift.

Wann zuerst ihr jene Entdeckung geworden? Aus welcher Veranlassung? Ob auf einmal oder nach und nach? Ob sie sich jemals eines Planes im ganzen deutlich bewußt gewesen oder ob sich dieser nur allmählich fortschreitend aus den Tiefen ihres finsteren Gemüts entwickelt hat? Hierauf ist keine entscheidende Antwort möglich, weil diese ein ganz unumwundenes, offenherziges Bekenntnis voraussetzen würde, wie es die Verbrecherin niemals abgelegt hat. Überhaupt verläßt uns ihr Bekenntnis fast überall, wo es den geheimen Triebfedern ihres Handelns gilt. Doch liegt dieses Handeln selbst so klar und in so mannigfaltigen Erscheinungen vor unseren Augen, daß es uns das Geheimnis seiner verborgenen Quellen fast mit ebenso großer Sicherheit enthüllt, als das offenste Bekenntnis zu tun vermöchte. So viel geht ganz einleuchtend aus der Handlungsweise dieser Verbrecherin hervor, daß es die höchste Einseitigkeit sein würde, bei ihr, wie sonst bei gewöhnlichen Verbrechern, irgendeine einzelne Leidenschaft, diese oder jene bestimmte besondere Absicht, der Erklärung ihres verbrecherischen Treibens im allgemeinen zum Grund legen zu wollen. Was sie mit dem Gift befreundete, war überhaupt nur das frohe Gefühl unwiderstehlicher Macht, die ihren tückischen Stolz kitzelnde Freude, eine Kraft zu besitzen, womit sie jede Beschränkung nach Gefallen umwerfen, jeden Zweck erreichen, jede Neigung befriedigen und, indem sie damit über das Wohl und Dasein anderer Menschen gebot, gleichsam in die Pläne des Schicksals zerstörend eingreifen und dieses nach ihrem Gefallen lenken konnte. Gift war ihr das magische Zepter, womit sie unsichtbar diejenigen beherrschte, welchen sie sichtbar dienen mußte. Gift vertrat bei ihr die Stelle eines Zauberstabes, womit sie das goldene Tor ihrer letzten Hoffnungen für sich öffnete. Es gewährte ihr, die Schmach ihrer Dienstbarkeit an den verhaßten Menschen zu rächen, das Bewußtsein furchtbarer Erhabenheit, gleichsam als eine feindliche Gottheit, wie ein Engel des Todes und der Qualen, unter dem widerlichen Geschlecht umherzuwandeln und mit geheimer Kraft hier Tod, dort Schmerz und Krankheit auszuteilen. Gift strafte jede wirkliche oder vermeintliche Kränkung. Gift züchtigte für jede kleine Neckerei. Gift wehrte unangenehmen Gästen das Wiederkommen. Mit Gift störte man die beneideten Freuden geselliger Vereine. Gift gewährte mitunter in den lächerlichen Gebärden der Vergifteten eine lustige Unterhaltung. Gift gab Gelegenheit, sich den davon Erkrankten nachher in Wort und Tat, durch geheuchelte Teilnahme zu empfehlen. Gift war das Mittel, Unschuldige in Verdacht zu bringen und verhaßtem Mitgesinde bei seiner Herrschaft Verdruß zu bereiten. Gift machte Kinder schreien und ließ die Väter glauben, jene schrien aus Sehnsucht nach der geliebten Wärterin. Schmeichelte ihr die Hoffnung mit der Aussicht auf die Heirat eines noch verheirateten Mannes, so durfte sie nur wollen, und die Weiber stiegen in das Grab, um die Männer ihr als Witwer zu hinterlassen. Mißgönnte ihr Geschlechtsneid der Braut ihren Bräutigam, so wurden umsonst Ringe gewechselt und Aufgebote veranstaltet; denn ihr liebes Gift kam beizeiten dem Hochzeitsfeste zuvor.

Giftmischen und Giftgeben wurden sonach für sie ein gewöhnliches Geschäft, ausgeübt zum Scherz wie zum Ernst, zuletzt mit Leidenschaft betrieben, nicht bloß um seiner Folgen willen, sondern um seiner selbst willen, aus Liebe zum Gift, aus bloßer Freude am reinen Tun an und für sich. Wie man alles liebgewinnt, womit man lange umgeht, und am liebsten hat, was uns am treuesten dient, so hatte zuletzt zwischen ihr und dem Gift gleichsam die Liebe ein unzertrennliches Band geknüpft. Gift erschien ihr als ihr letzter treuester Freund, zu dem sie sich überall unwiderstehlich hingezogen fühlte und von dem sie nicht mehr lassen konnte. Gift war ihr beständiger Gefährte. Mit Gift in der Tasche wurde sie von der Gerechtigkeit ergriffen, und nach mehrmonatlicher Gefangenschaft erschien ihr einst der lang entbehrte Anblick des Arseniks wie das frohe, tröstende Wiedersehen eines lang entfernten Geliebten. Als ihr zu Kulmbach das bei ihr gefundene Arsenik zur Anerkennung vorgelegt wurde, war es, nach der Bemerkung des Untersuchungsrichters, als wenn sie vor Freude zitterte. Mit Augen, die vor Entzücken strahlten, starrte sie auf das weiße Pulver hin. Sie schien es wie ein Wesen zu betrachten, das sie mit ihren Armen umfangen und an ihre Brust drücken möchte. Diese leidenschaftliche Liebe ist mit ein Erklärungsgrund, warum sie, die das Entsetzlichste bekannt und den Tod auf dem Schafott bereits vor Augen hatte, dennoch in ihren schriftlichen Selbstbekenntnissen von ihren Taten immer nur wie von »geringen Vergehungen« sprechen, die Menschen, welche sie, so »geringer Vergehungen« wegen, in das Verderben gebracht hätten, der Ungerechtigkeit beschuldigen, ja sogar noch ihre »allzu große Religiosität« rühmen konnte, welche von jeher die letzte Quelle ihres Mißgeschicks gewesen sei. Das Gewohnte verliert für uns alles Auffallende. Auch die auffallendste Schändlichkeit und was unser treuester Freund getan, sind wir geneigt, um des Täters willen, immer zu entschuldigen oder für löblich zu halten.

Am 7. Juli 1811 erkannte das Appellationsgericht des Mainkreises zu Bamberg, daß die Anna Margaretha Zwanziger »mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gerichtet und sodann ihr Körper auf das Rad gelegt werden soll«. Das Urteil wurde vom Königlichen Appellationsgerichte am 16. August bestätigt.

Ohne sichtbare Gemütsbewegung vernahm sie den Inhalt des Todesurteils und unterzeichnete das über die Urteilsverkündigung aufgenommene Protokoll mit fester Hand. Mit der vollkommensten Ruhe durchlebte sie auch die drei Tage, die ihr noch zu leben vergönnt waren. Ihrem Untersuchungsrichter gestand sie, ihr Tod sei für die Menschen ein Glück; denn es würde ihr nicht möglich gewesen sein, ihre Giftmischereien zu unterlassen. Am Tage vor ihrer Hinrichtung schrieb sie noch, in Gegenwart des Inquirenten, einen sehr ruhig gehaltenen Abschiedsbrief an eine ihrer Gevatterinnen zu Nürnberg. Sie dankt ihr darin für erwiesene Freundschaft, bittet um ihre Verzeihung und Teilnahme, trägt ihr noch Grüße an andere Personen auf und schließt mit den Worten:

»Ich muß enden. Die Stunde schlägt bald, so meine Leiden aufhören werden. Beten sie alle für mich. Der 17. September ist der Tag meines Todes, wo ich von Gott erhalte, was meine Taten mit sich bringen. Nun höre ich auf zu sein für diese Welt!«

Ihrem Untersuchungsrichter suchte sie sich durch einen seltsamen Antrag für seine ihr bewiesene Menschlichkeit erkenntlich zu erweisen. Sie bat ihn, ihr zu erlauben, nach ihrem Tod ihm als Geist zu erscheinen, um ihm in ihrer Person einen handgreiflichen Beweis von der Unsterblichkeit der Seelen vor die Augen zu stellen. Auch am Tage der Hinrichtung blieb sie sich gleich. Vor dem hochnotpeinlichen Gerichte hörte sie mit größter Gelassenheit und ohne Tränen der öffentlichen Verkündigung des Urteils zu. Nur aus Scham vor der unermeßlichen Volksmasse hielt sie, während des Vorlesens, das Schnupftuch vor ihr Gesicht. Als der Stab über sie gebrochen war, nahm sie von den Richtern und Henkern, wie von einer gewöhnlichen Gesellschaft, mit zierlicher Verneigung einen höflichen Abschied.

Zur Vervollständigung der Charakteristik dieser Person dient noch der Umstand, daß ihr von dem Untersuchungsrichter, kurz vor ihrer Hinrichtung, auf ihr Gewissen zugeredet wurde, die Unschuld des Justizamtmanns Glaser zu bekennen. Allein sie beharrte standhaft bei der verleumderischen Beschuldigung seiner Teilnahme an ihrem ersten Morde. Mit dieser letzten Lüge auf der Seele legte sie ihr schuldbeschwertes Haupt unter des Scharfrichters Schwert.


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