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Franz Salesius Riembauer
oder
Tartuffe als Mörder

Der Priester Franz Salesius Riembauer, bis in das Jahr 1813 Pfarrer zu Nandlstadt (Landgericht Moosburg), war am 27. Januar 1770 im Markte Langquaid (Landgericht Pfaffenberg) geboren. Eines armen Tagelöhners Sohn diente er in seiner Jugend als Hirtenknabe, der aber frühzeitig, bei sehr guten Verstandesanlagen, große Lernbegierde entwickelte und bald den Gedanken faßte, sich den Studien und dem geistlichen Stande zu widmen. Als er dreizehn Jahre alt war, bat er den Pfarrer seines Geburtsortes auf den Knien, ihm den nötigen Vorbereitungsunterricht für die Gymnasialstudien zu erteilen. Er machte bei diesem Geistlichen so schnelle Fortschritte, daß er noch vor Ablauf eines Jahres zur Aufnahme in ein Gymnasium für tüchtig befunden wurde. Was über des Knaben sittliches Betragen zu den Akten erhoben wurde, gereicht nicht so ganz zu seinem Ruhm. Er unterschlug einem Kaplan des Pfarrers 30 Kreuzer, die er im Kegelspiel verlor. Dafür wurde er gehörig gezüchtigt und entlief hierauf nach Regensburg, wo er sich in das dortige Gymnasium aufnehmen ließ. Schon als Hirtenjunge soll er als ein böser Mensch, besonders wegen seiner Diebereien, allgemein bekannt gewesen sein. Das wird jedoch nur von einem Zeugen behauptet, von anderen zwar nicht gerade widersprochen, aber auch nicht bestätigt. Er selbst erzählt von sich, daß er als Knabe einst große Lust in sich verspürt habe, einen anderen Knaben totzuschlagen, um ihn seines Geldes zu berauben.

Zu Regensburg verdiente er sich durch sein äußerlich geregeltes Betragen, durch seinen Fleiß und seine Fortschritte das Lob eines hoffnungsvollen Studenten, der einst seiner Kirche und sich selbst viel Ehre machen werde. In der Kirchengeschichte und dem Kirchenrechte erwarb er sich besondere Kenntnisse. Seinen Verstand bildete er durch die Künste der Dialektik, sein Gemüt nach der Kasuistik der Jesuitenmoral. Am tiefsten scheint er sich in P. Benedikt Stattlers Werke vertieft zu haben. Im Jahre 1795 erhielt er zu Regensburg die Priesterweihe und diente dann mehrere Jahre lang als Kaplan, Kooperator und Provisor bei verschiedenen Pfarreien, namentlich zu Heerwahl, Oberglein, Hofkirchen, Hirnheim, Sollach, Pfarrkofen und Pondorf. Um Weihnachten 1805 wurde er in gleicher Eigenschaft nach Pirkwang versetzt, wo er die Filialkirche zu Oberlauterbach, eine durch ihn zuerst in Ruf gebrachte Ortschaft, zu versehen hatte. Er blieb hier über zwei Jahre, bestand im Juni 1807 zu München die Prüfung als Pfarramtskandidat mit großen Ehren, erhielt sodann am 16. März 1808 die Pfarrei zu Priel und wurde zwei Jahre später als Pfarrer nach Nandlstadt versetzt.

Seit dem Beginn seiner priesterlichen Laufbahn zeichnete er sich so sehr durch Gaben und Tugenden aus, daß er anderen Geistlichen als Muster vorgehalten wurde. Von kräftig stattlichem Wuchs, vorteilhafter Gesichtsbildung, ernsthaft freundlicher Miene, wortreich und gewandt in Reden, gefällig, einschmeichelnd in seinem ganzen Benehmen, machte schon sein Äußeres eine empfehlende Erscheinung. Seine priesterlichen Verrichtungen übte er mit ebensoviel Pünktlichkeit als Anstand und Würde, und seine Sitten waren so wohl bemessen, daß sie wie lauter Sittlichkeit sich ausnahmen. Die Muße, die ihm sein geistlicher Beruf gestattete, verwandte er, wenigstens bis zu seiner Versetzung nach Pirkwang, wo er durch den Ankauf eines Bauernhofes sich etwas zu sehr in bäuerlichen Geschäften verweltlichte, auf Lesen und Studieren. Den Pfarrherren, denen er als Kaplan beigegeben war, pflegte er, wenn sie seinen wissenschaftlichen Eifer bewunderten, zu bemerken: dieses sei die wahre Bestimmung des Geistlichen, dem es nicht zieme, sich des Weltlichen viel anzunehmen. Seine Predigten waren voll Feuer und Salbung. In und außer der Kirche eiferte er gegen die Ruchlosigkeit der verderbten Welt. In seinen süßen Reden wie in seinem ganzen Benehmen erschien er als ein halb verklärter Frommer, der nur im Vertrauen auf Gott und in der Liebe des Nächsten lebt. Immer verließ er die Kirche mit seitwärts gesenktem Haupt, die halbgeschlossenen Augen auf den Boden geheftet, mit süßlächelndem Mund und gefalteten Händen. Selbst diejenigen, die gegen ihn eine persönliche Abneigung fühlten oder seinem inneren Wesen mißtrauten, rühmen seine priesterlichen Vollkommenheiten und seine ergreifenden Predigergaben.

»Er war«, sagte eine gewisse Niedermeyer, »ein gar charmanter Prediger und hätte uns alle bekehrt, wenn er noch länger in Hofkirchen geblieben wäre. Er drückte immer die Augen zu und machte es gar kräftig.«

Überdies stand er, wie das Volk von ihm glaubte und er das Volk glauben zu machen verstand, mit der übersinnlichen Welt in näherer, vertraulicher Verbindung. Verstorbene machten ihm aus dem Fegefeuer Besuche auf seinem Zimmer, baten ihn um eine Messe und waren für immer beruhigt, sobald diese gelesen war. Noch während der Messe sah er dann den erlösten Geist, in Gestalt einer weißen Taube, davonfliegen. Es traten ihm auch wohl, wenn er in geistlichem Beruf nachts über Feld ging, die armen Seelen in Gestalt von Lichtchen in den Weg, wahrscheinlich, um seine Benediktion zu erhalten, und hüpften vor ihm nach der Rechten oder Linken, je nachdem er seine geweihten Finger dahin oder dorthin bewegte. Durch alles dieses erwarb er sich einen so hohen Ruf unter der Menge, daß er lange Zeit fast wie ein Heiliger verehrt wurde und viele, wenn er von einem Stuhle aufgestanden war, sich eilig hinzudrängten, um seinen Platz einzunehmen, um so eines kleinen Teils seines heiligen Wesens teilhaftig zu werden.

Einige seiner Amtsbrüder wollten freilich in ihm nur einen Heuchler und Pharisäer erkennen. Zu Hirnheim sagte man sich leise ins Ohr, daß der Pfarrer des Orts durch einen Brief seines Amtsbruders zu Hofkirchen, bei welchem Riembauer zuvor Kaplan gewesen war, vor diesem als einem Wolf in Schafskleidern gewarnt worden sei und habe aus diesem Grunde um dessen Versetzung gebeten. Auch teilten nicht alle Beichtkinder den herrschenden Glauben an die fromme Tugend dieses heiligen Mannes. Manche meinten im stillen bei sich selbst, ein Mensch, der zu jedermann so süß schmeichelnd rede und niemand ins Auge sehe, möge doch wohl ein Erzheuchler sein. Der vorsichtige, gute Hausvater Matthäus Steinbauer zum Beispiel, obgleich er sich glücklich schätzte, wenn der junge, fromme geistliche Herr bei ihm einkehrte, glaubte dennoch, zumal wenn derselbe über Nacht bleiben wollte, wegen seiner Töchter, denen immer besondere Aufmerksamkeit erwiesen wurde, wenn nicht gerade notwendige, doch nützliche Vorkehrungen treffen zu müssen.

Erst nach einer Reihe von Jahren kamen bei Gelegenheit anderer, bei weitem größerer Entdeckungen, folgende kleine Umstände aus der geheimen Lebensgeschichte dieses Heiligen an den Tag, und man brachte sie laut und öffentlich zur Sprache. Als Kaplan zu Hofkirchen schwängerte er die Pfarrköchin Maria H., die durch seine Vermittlung zu Landshut im Oktober 1801 ihm einen Knaben gebar, der aber bald darauf wieder starb. Während seines Aufenthaltes als Kaplan zu Hirnheim trat er mit der Küchenmagd seines damaligen Pfarrherrn, Anna Maria Eichstädter, in ein vertrauliches Verhältnis und erzeugte mit derselben ein Mädchen, das, am 17. Mai 1803 zu Regensburg geboren, auf einen falschen Namen sowohl des Vaters als der Mutter getauft, vier Jahre nachher die unschuldige Veranlassung des grausamen Todes seiner Mutter geworden ist. Als Kaplan zu Pfarrkofen machte er eine Näherin Walburga R. zur Mutter, die ihm ein Mädchen, Theresia, gebar, das zur Zeit gegenwärtiger Untersuchung ebenfalls noch am Leben war. Überdies ging damals im geheimen das Gerücht, daß auch die Küchenmagd des dortigen Pfarrers sich von dem Kaplan in denselben Umständen befinde. Sein Aufenthalt als Kaplan zu Pondorf bot ihm die unangenehme Gelegenheit, an dem Sittenverfall der Welt und dem Verderbnis der jungen Geistlichkeit Ärgernis nehmen zu müssen; denn einige andere Kapläne erwiesen seines Pfarrers Bäschen eine besondere Aufmerksamkeit, die erwidert zu werden schien. Das bewog ihn, wie er selbst gesteht, sich um seine Versetzung an eine andere Pfarrei zu bewerben. Von da nach Pirkwang versetzt, erwählte er in seinem Filialort Lauterbach die Tochter des sogenannten Thomasbauern, Magdalena Frauenknecht, zu seiner Geliebten. Eine Unglückliche, über die unsere Erzählung sich ebenfalls ausführlich zu verbreiten hat, und von der hier nur einstweilen bemerkt wird, daß sie ihm zu München im Juni 1807 einen Knaben gebar, der jedoch sechs Wochen nachher wieder starb. Endlich, nach dem Tode dieses Mädchens, verband er sich mit seiner letzten Köchin, Anna Weninger, mit welcher er nicht weniger als drei Kinder erzeugte.

Seine Beischläferinnen, diejenigen wenigstens, die er sich auf längere Zeit beilegen wollte, pflegte er, teils um ihr Gewissen zu beruhigen, teils um ihrer Treue sich desto besser zu versichern, durch feierliche Handlung, wobei er den Priester und Bräutigam in seiner Person vereinigte, sich als Gattinnen förmlich anzutrauen. Katharina Frauenknecht versichert, daß sie, hinter Riembauers Bette versteckt, der Trauung zwischen ihm und ihrer Schwester Magdalena beigewohnt habe. Sie hörte und sah, wie er hierbei alle bei einer Trauung gewöhnlichen Gebete und Ermahnungen gesprochen, auch einen goldenen Vermählungsring ihrer Schwester an den Finger gesteckt habe. Anna Weninger erzählt dasselbe von ihrer Verbindung mit dem Pfarrer Riembauer. Sie will allerdings nicht mehr wissen, ob der Priesterbräutigam mit seiner Stola bekleidet und bei brennenden Kerzen diese Handlung verrichtet habe. Er selbst leugnet solchen Mißbrauch seines geistlichen Amtes, gesteht jedoch, daß er seine Beischläferinnen feierlich über die gegenseitigen Pflichten der Ehegatten belehrt und ihnen hierauf ein förmliches Versprechen gegeben und abgenommen habe. Nebenbei verdient noch angeführt zu werden, daß Riembauer schon als junger Kaplan in den Häusern, wo er hübsche Mädchen wußte, umherzuschleichen pflegte und deren Eltern zu bewegen suchte, ihm die Jungfräulein zum Dienste künftiger Pfarrköchinnen abzurichten. Nicht minder beeiferte er sich Kindern, die seinem Unterricht anvertraut waren, den Lehrsatz praktisch begreiflich zu machen, daß sich ein Mädchen mit einem Heiligen des Herrn gewisse Sünden wohl erlauben dürfe. Und so gab es andere, ähnliche Dinge, die umgangen werden mögen, da es wohl keines Beweises mehr bedarf, daß Pfarrer Riembauer während seiner ganzen priesterlichen Laufbahn nichts anderes war als ein verkörpertes Beispiel jenes bekannten und beliebten Grundsatzes aller Scheinheiligkeit:

»Das Böse jeder Tat liegt nur im bösen Schein.
Gibt es Ärgernis, so ist das Auge gut;
Und Sünd' ist Sünde nicht, wenn man geheim sie tut.«

Tartuffe

Ohne Molière gelesen zu haben, verstand sich Pfarrer Riembauer neben der Kunst, im geheimen zu sündigen und dabei vor der Welt als Heiliger zu gelten, zugleich meisterlich auf den Gebrauch jener Mittelchen, durch welche man sich bequem wegen begangener und noch zu begehender Sünden mit dem Himmel gütlich zu vergleichen und abzufinden vermag. Diese Verirrungen der Zärtlichkeit waren nicht seine Sünden, sondern die »Sünden des Zölibats«, und seine Philosophie und theologische Moral lieferten ihm eine ganze Reihe der triftigsten Beweise dafür, daß er in Erzeugung unehelicher Kinder, wodurch er zur Erweiterung des Reiches Gottes wesentlich beitrage, nicht nur nichts Sträfliches, sondern sogar Löbliches, dem Himmel Wohlgefälliges begehe.

»Ich überlegte«, das sind seine eigenen Worte, »erstens, daß es nach der Vernunft nicht unerlaubt scheinen könne, ein Kind zu erzeugen; denn eine vernünftige Kreatur, die ewig dauern soll, hervorzubringen, ist etwas Gutes. Dadurch wird der Mensch auf eine sonderbare Weise Gottes Bild, daß er mit ihm zur Hervorbringung eines Menschen beiträgt, wie der heilige Clemens von Alexandrien sagt. Zweitens, auch wider Gottes Anordnung kann es nicht sein, weil dadurch die Zahl der Auserwählten einen Zuwachs erhält. Drittens, auch wider die Kirche nicht, wenn dieser Mensch zu einem rechtschaffenen Christen gebildet wird. Viertens, auch wider den Staat nicht, wenn ein solches Mitglied sittlichen und bürgerlichen Unterricht bekommt und so zu einem guten Staatsbürger und treuen Untertan erzogen und die beteiligte Mutter nicht verlassen wird. Mit diesen Gedanken ging ich öfters um; auch die Kirchengeschichte – (wahrscheinlich schöpfte hier der gelehrte Riembauer vorzugsweise aus demjenigen Teil der Kirchengeschichte, der das Leben eines Sergius III., Johann XII., Innocenz II., Innocenz VIII., Johann XXIII., Alexander VI., Julius II. und anderer solcher Kirchenhelden erzählt) – und Erfahrung unterstützten meine Grundsätze. Und so wurde es meinem Innern leicht, mich zu solchen Zölibatsfehlern hinreißen zu lassen.«

Kaplan Riembauer leistete wirklich, wenn nicht aus Pflicht und Zärtlichkeit, doch aus Klugheit und Vorsicht, alles Erforderliche nach besten Kräften, um sowohl seine Kinder zu ernähren als auch ihre Mütter so zufriedenzustellen, daß sie bei gutem Willen und in jener Ruhe blieben, deren er zur Erhaltung des guten Scheins bedurfte.

Das Kind der Anna Eichstädter ließ er zu Regensburg auf seine Kosten erziehen und erhielt mit dessen Mutter auch in der Ferne ein freundschaftliches, trauliches Verhältnis. Er blieb mit ihr, die an verschiedenen Orten als Magd oder Kellnerin diente, in Briefwechsel, versah sie mit Geld, Leinwand und Flachs, besuchte sie zuweilen und hielt sie mit der Hoffnung hin, einst, wenn er eine Pfarrei erhalten haben werde, als Köchin mit ihm in dauernder Gesellschaft zu leben. Diese Anna Eichstädter war die Tochter eines Zimmermannes zu Fürth, Landgericht Landshut, eine wohlgebildete, große, starke und breitschultrige Person, unter anderem auch durch zwei Reihen der schönsten Perlenzähne ausgezeichnet. An ihrem sittlichen Charakter war im wesentlichen nichts zu tadeln als ihre allzu große Gefälligkeit gegen das männliche Geschlecht. Sie hatte nicht bloß dem Pfarrer Riembauer, sondern auch anderen Männern außereheliche Kinder geboren. Das vertraute, friedliche Verhältnis zwischen ihr und Riembauer erlitt indessen, ungefähr nach einem Jahr seit dessen Versetzung als Kaplan nach Pirkwang, eine Störung, die zuletzt ihren gräßlichen Tod herbeiführte.

Riembauer hatte, wie bereits oben bemerkt worden, zu Pirkwang den Filialort Ober-Lauterbach zu versehen, wo auf dem sogenannten Thomashof die Frauenknechtsche Familie lebte, die in allen ihren Gliedern wegen ihrer friedfertigen, mildtätigen, christlichen Gesinnung und ihres frommen Lebenswandels sich die höchste Achtung und Liebe erworben hatte. Sie bestand, als Riembauer zu Weihnachten im Jahre 1805 dahin versetzt wurde, aus dem alten Vater Frauenknecht, der zwei Jahre nachher starb, dann dessen Ehefrau und zwei Töchtern, von denen die ältere, Magdalena, im Jahre 1788, die jüngere, Katharina, 1796 geboren war. Die ältere Tochter wird von allen Personen, die sie kannten, als ein äußerst frommes, sanftes, stilles, engelsgutes Wesen geschildert, auch, ehe ihr Riembauer näher gekommen war, von fleckenlosem Ruf. Die jüngere, Katharina, damals noch ein Kind, war ebenfalls allgemein als ein wohlerzogenes, redliches und treues Mädchen bekannt. Ihr Verstand war, wie sich späterhin zeigte, frühzeitig ihren Jahren vorausgeeilt.

Riembauer warf sehr bald seine lüsternen Augen auf die Frauenknechtsche Familie, sowohl um sich die Tochter Magdalena als auch nebenbei das Vermögen dieser arglosen Menschen zuzueignen. Er gewann das unbedingte Vertrauen dieser Leute nicht bloß durch seine verführerische Scheinheiligkeit und das natürliche Übergewicht seiner Bildung und seines Standes, sondern auch dadurch, daß er, in seinem Verhältnis zu ihnen, sich in rein christlicher Demut, fast ganz der äußeren Ehren seines Standes zu begeben und ihresgleichen zu werden schien. Sooft ihn sein Beruf oder sein Belieben nach Lauterbach führte, und es die Gelegenheit gab, half er der Frauenknechtschen Familie in ihren bäuerlichen Verrichtungen. Er löste die alte Mutter bei ihren Feldarbeiten ab und leistete ihnen zum Erstaunen der Nachbarn freiwillig alle Dienste eines gemeinsten Bauernknechtes. Er, der für alles in seiner theologischen Moral die glänzendsten Rechtfertigungsgründe zu finden wußte, berief sich späterhin, um gelegentlich zu beweisen, daß ein Geistlicher durch Ackern, Dreschen und Pferdestriegeln, durch Heu- und Mistfahren und dergleichen der Würde seines geistlichen Berufs nichts vergebe, ausdrücklich auf die Beschlüsse des Concilium Carthaginense, auf das Zeugnis des heiligen Epiphanius und auf das Beispiel so vieler Bischöfe und Priester der alten Zeit, die, wie die Kirchengeschichte lehrt, ebenfalls die Handarbeit mit dem Predigtamte vereinigt hätten. Als Knecht hatte er sich unter diese arglos gutmütigen Menschen eingeschlichen, um bald darauf der unbeschränkte Herr über sie und ihre Güter zu werden. Ohne Geld zu haben, kaufte er am 12. Dezember 1806 den Frauenknechtschen Eheleuten um einen Preis von 4000 Gulden ihren Thomashof ab, ließ sich betrüglicherweise vom Kaufpreis schon 2000 Gulden als bezahlt quittieren und machte, nach dem bald nachher erfolgten Tode des alten Frauenknecht, dessen Witwe eine falsche Gegenrechnung über 2000 Gulden, die von ihr in gutmütiger Einfalt auch als richtig anerkannt wurde. Nachdem er sich so zum Eigentümer des Thomashofs gemacht hatte, in dem übrigens die Frauenknechtschen wohnen blieben, verlegte er seinen Sitz nach Lauterbach. Hier lebte er nun neben seinen priesterlichen Verrichtungen ganz als Bauer, was ihn bei einigen vornehmen Personen den Ruf eines ehrwürdigen Patriarchen der alten Welt, bei den Landleuten, deren gesunder Sinn hierbei etwas von Unanständigkeit fühlen mochte, den Namen des Thomasbauern verschaffte.

Als der trügliche Kaufvertrag über den Thomashof abgeschlossen wurde, hatte die von jenem Patriarchen verführte ältere Tochter Magdalena bereits die ersten Monate ihrer Schwangerschaft überstanden und wurde nun von Riembauer, angeblich um das Kochen zu lernen, eigentlich aber um ihre Schwangerschaft und Niederkunft zu verheimlichen, nach München gesandt. Sechs oder sieben Monate diente sie meist als Magd im Haus des Registrators Y. Dann aber, im Juni 1807, gerade zu derselben Zeit, als Riembauer seine Pfarramtskandidatenprüfung rühmlichst bestand, kam sie mit einem Knaben nieder. Die Kosten dieses Aufenthalts der Magdalena in München, die doch wohl nur in Riembauers Angelegenheiten dort verweilte, brachte der scheinheilige Betrüger späterhin der Witwe Frauenknecht mit 500 Gulden in Aufrechnung, die mit anderen Summen ähnlicher Art von dem schuldigen Kaufschilling für den Thomashof abgerechnet wurden.

Während Riembauer wegen seines Kandidatenexamens sich in München aufhielt, kam die Eichstädter, die damals zu Regensburg diente, nach Lauterbach, um ihren alten Freund, der, weil er, in Geldverlegenheiten verwickelt, schon seit geraumer Zeit mit den schuldigen Leistungen für das Kind in Rückstand geblieben war, zur Zahlung zu nötigen. Wahrscheinlich aber wollte sie auch wegen seines neuen Verhältnisses ihn zur Rede stellen und das alte Versprechen, sie als seine Köchin bei sich aufzunehmen, einmal recht ernstlich gegen ihn geltend machen.

Als sie im Thomashof, wo sie sich als Base des Kaplans einführte, von der Katharina Frauenknecht vernahm, daß Riembauer verreist sei, verlangte sie den Schlüssel zu seinem Zimmer, der ihr als Base von der alten Frauenknecht nicht verweigert wurde. In Riembauers Zimmer benahm sie sich, als wäre sie die Herrin des Hauses. Sie öffnete alle Behälter und suchte besonders nach Geld, mit dem sie sich bezahlt machen könne. Als sie davon gar nichts fand, schrieb sie ihm einen drohenden Brief, den sie zurückließ, und kehrte, nachdem sie im Thomashof übernachtet hatte, am folgenden Tag unverrichteter Dinge wieder heim nach Regensburg. Nach Riembauers Rückkehr aus München erhielt er von ihr aus Regensburg einen zweiten, ernstlichen Mahnbrief, in dem sie, wenn er nicht seine Schuldigkeit gegen sie erfülle, mit gerichtlicher Anzeige drohte. Kurz darauf ging Riembauer nach Regensburg, suchte die Eichstädter auf, stellte sie für die Gegenwart zufrieden und genoß damals, wie wenigstens gegen ihn behauptet wird, von neuem der alten Vertraulichkeiten. Bei seinem Weggehen begleitete ihn die Eichstädter mit ihrem Kinde bis nach Kumpfmühl und lag ihm unterwegs sehr an, daß er doch sein Verhältnis mit der Frauenknecht aufgeben und sie nicht verstoßen möge. Sie saß mit dem Kind auf dem Rain eines Feldweges und bat ihn flehentlich mit aufgehobenen Händen, er möge sein Wort halten und sie als Köchin zu sich nehmen. Aber der fromme Priester verbot ihr, jemals wieder nach Lauterbach zu kommen. Er hob seinen Stock drohend auf, hieb damit zornig in die Erde und ging seines Weges.

Die Eichstädter, die bisher zu Regensburg bei einem Pferdehändler gedient hatte, verdingte sich gegen Ende Oktober des Jahres 1807 bei dem Pfarrer J. O. zu P. Am 1. November traf sie zu P. bei ihrem neuen Dienstherrn ein. Sie erbat und erhielt jedoch von ihm die Erlaubnis, vor dem wirklichen Antritt ihres Dienstes noch Verwandte besuchen zu dürfen. Zum Unterpfand ihres Dienstversprechens ließ sie dem Pfarrer ihre silberne Halskette und andere Sachen von Wert zurück. Auf ihr Verlangen gab er ihr, da es eben regnete, einen grünen, leinenen Regenschirm, auf dessen Handgriff die Buchstaben J. O. eingegraben waren, mit auf die Reise, die sie noch am selben Nachmittag antrat. Aber viele Tage vergingen, und sie kam nicht wieder. Pfarrer O., der Gründe hatte, anzunehmen, daß sie zu Riembauer gegangen sei und sich bei ihm aufhalte, schrieb dem Amtskollegen nach einiger Zeit einen Brief, worin er ihn bat, der Eichstädter zu sagen, sie möge ihm, wenn sie nicht Lust habe, in seinen Dienst zu treten, wenigstens seinen Regenschirm zurückschicken. Riembauer antwortete aber hierauf, er sei außerstande, über die Eichstädter Auskunft zu geben. Er habe weder sie noch des Pfarrers Regenschirm zu Gesicht bekommen. Die Eichstädter wurde, seit sie am 1. November von dem Pfarrer O. weggegangen war, nie wieder gesehen. Sie kam weder nach Regensburg zurück noch sah man sie in ihrem Geburtsorte Fürth. Ihre Verwandten und Freunde erhielten keine Kunde von ihr. Weder über ihren Aufenthalt noch über ihr Leben oder ihren Tod. Man mutmaßte bald, daß sie ertrunken sei, bald, daß sie einem berüchtigten Mörder, der im darauffolgenden Jahr hingerichtet wurde, in die Hände gefallen sei. Und endlich gedachte man ihrer nicht mehr.

Einige Monate nach dem Verschwinden der Eichstädter erhielt Riembauer seine Anstellung als Pfarrer zu Priel. Er verkaufte mit Gewinn seinen betrüglich erworbenen Thomashof, und die Mutter Frauenknecht zog nebst ihren Töchtern Magdalena und Katharina mit ihm an den Ort seiner neuen Bestimmung, wo die ältere Tochter alle Obliegenheiten einer jungen Pfarrköchin von nun an besorgte. Aber sie und ihre Mutter wurden beide im folgenden Jahre in derselben Woche krank und starben plötzlich. Die Tochter am 16., die Mutter am 21. Juni 1809.

Die jüngere Tochter Katharina war schon vor dem Tode ihrer Mutter und Schwester von dieser Pfarrwirtschaft ausgeschieden, teils wegen Zänkereien mit ihrer Schwester, teils aus entschiedener Abneigung gegen den Pfarrer. Sie lebte anfangs eine Zeitlang bei dessen Bruder zu Nürnberg und ging sodann bei verschiedenen Herrschaften in Dienst. Wohin sie kam, zeigte sie, bei sonst heiterer Laune, zuweilen eine auffallende Beklommenheit und Angst. Die Einsamkeit erweckte ihr Grauen. Am schrecklichsten war es ihr, nachts in einem Bette allein schlafen zu müssen. Es war, als werde sie von furchtbaren Gesichtern heimgesucht. Mit den Jahren nahm diese Unruhe überhand. Irgendein böses Geheimnis schien ihr schwer auf dem Herzen zu liegen. Manchmal sprach sie von einer gewissen Weibsperson, die ihr durchaus nicht aus dem Sinn komme. Sie werde von deren Bild verfolgt, wo sie steht und geht. Einer gewissen Katharina Schmid, mit welcher sie einst zu Regensburg in derselben Kammer schlief, erzählte sie, nachdem sie sich ängstlich in ihr Bett geflüchtet hatte, von einem gräßlichen Mord, der von Pfarrer Riembauer verübt worden sei. Späterhin, als sie zu D. in Diensten stand, vertraute sie dieselbe Geschichte ihrer Dienstfrau an, die ihr den Rat gab, ihr Gewissen einem Geistlichen zu eröffnen.

Sie wandte sich zuerst an den Benefiziaten M., dem sie umständlich erzählte, Pfarrer Riembauer, von dem ihre Familie um mehr als 2000 Gulden betrogen, sie selbst ihrer Heimat beraubt worden sei, habe einer Weibsperson, die im November 1807 in Lauterbach zu ihm gekommen sei, mit einem Rasiermesser den Hals abgeschnitten. Hierauf habe er ihre Mutter und die Schwester, weil sie um diese Mordtat gewußt haben, durch Gift aus dem Wege geräumt. Endlich habe er auch sie in seine Gewalt zu bekommen getrachtet, gewiß nur, um sie, die letzte noch lebende Zeugin jener Mordtaten, ebenfalls aus der Welt zu schaffen. Benefiziat M. widerriet ihr eine gerichtliche Anzeige. Er empfahl ihr, den Pfarrer Riembauer, falls er schuldig sei, dem Gerichte Gottes zu überlassen. Er versicherte aber später, daß er insgeheim mehreren Priestern diesen Fall vorgetragen habe. Von denen sei sein Benehmen in dieser Sache vollkommen gebilligt worden. Ein anderer Priester, Kooperator S., dem Katharina späterhin dieselbe Erzählung machte, empfahl ihr gleichfalls Stillschweigen. Er benutzte aber ihre Mitteilung als Gelegenheit, ihr und zugleich dem Pfarrer Riembauer einen guten Dienst zu erweisen, indem er diesem einen namenlosen, lateinischen Brief zukommen ließ, der ihn mit der Entdeckung entsetzlicher Geheimnisse bedrohte, falls er nicht die Bewahrerin derselben, durch die Bezahlung der ihr schuldigen Summen, alsbald zufriedenstelle. Der Kooperator hatte zuvor den Ortspfarrer N.N. über diesen casum conscientiae um Rat gefragt, und dieser will zwar den vorgetragenen Fall zur gerichtlichen Anzeige geeignet erklärt haben, glaubte aber dennoch, daß die edlen Absichten, in denen der Warnungsbrief geschrieben worden, nicht zu verkennen seien. Der Brief lautete, wie ihn späterhin Riembauer selbst noch aus dem Gedächtnis hersagte, wie folgt:

»Habeo casum mihi propositum, quem tantummodo tu solvere potes. Vir quidam, quem tu bene noscis, debet alicui personae 3000 florenorum circiter. Si conscientia tua vigilat, solve hoc debitum. Nisi intra quatuor hebdomadas respondeas, horenda patefaciet ista persona. Hannibal ante portas!« Du hast mir einen Fall vorgelegt, den Du selber einigermaßen lösen kannst. Ein gewisser Mann, den Du gut kennst, schuldet irgendeiner Person ungefähr 3000 Gulden. Wenn Dein Gewissen wach ist, löse diese Schuld ein. Wenn Du nicht innerhalb von 40 Tagen antwortest, wird jene Person fürchterliche Dinge offenbaren. Hannibal ist vor den Toren!

Endlich machte Katharina Frauenknecht im Jahre 1813, zuerst bei dem Patrimonialgericht Ober-Lauterbach, dann vor dem zu diesem Prozesse besonders beauftragten Landgericht zu Landshut, förmliche gerichtliche Anzeige, die aber erst im folgenden Jahre, nach erlangter Eidesmündigkeit, eidlich von ihr bekräftigt werden konnte. Diese Anzeige lautet im wesentlichen wie folgt:

»Als im Sommer 1807 meine Schwester Magdalena zum Kochenlernen, und der geistliche Herr Riembauer, um sein Pfarramtsexamen zu machen, sich in München aufhielten, kam eine Weibsperson von 22 Jahren, großer Statur, sehr hübsch, länglichen Gesichts, von lichtbraunen, langen Haaren, bürgerlich schön gekleidet, mit einer Riegelhaube auf dem Kopf, in unsere Wohnung, als eben meine Mutter auf dem Feld sich befand. Sie gab sich für die Base des Herrn Riembauer aus und verlangte, als ich ihr sagte, daß der bei dem Konkurse in München sei, die Zimmerschlüssel von mir, die ich ihr, als einer weltfremden Person, verweigerte. Sie erhielt sie aber von meiner Mutter, nachdem sie nach Hause gekommen war. Sie ging damit auf das Zimmer des Geistlichen und suchte darin herum, als wäre sie in ihrer eigenen Wohnung. Sie blieb bei uns über Nacht und sagte meiner Mutter, sie habe kein Geld gefunden. Aber an den geistlichen Herrn habe sie deshalb einen Brief geschrieben, den sie in einer versiegelten Schachtel zurückgelassen habe. Ungefähr acht Tage darauf kam der Geistliche von dem Konkursexamen zurück. Ich erzählte ihm den Vorfall, und er sagte darauf, es sei dies eine Base von ihm gewesen, welcher er noch Geld schuldig sei. Im selben Jahre, im November, ich weiß nicht mehr genau den Tag, gegen Abend, nachdem der geistliche Herr eben Rüben von seinem Acker heimgefahren hatte, kam dieselbe Base wieder auf den Thomashof. Meine Schwester war schon mit Riembauer zu Hause. Ich und meine Mutter aber kamen ein wenig später vom Felde zurück. Als wir uns dem Haus nahten, hörten wir im oberen Zimmer des geistlichen Herrn Töne eines Menschen, von denen wir anfangs nicht wußten, ob es ein Weinen oder Lachen ist, das uns aber bald wie ein Gewinsel vorkam. In dem Augenblick, wo wir in unsere Haustenne traten, kam uns meine Schwester weinend von der Treppe herab entgegengelaufen und erzählte hastig, eine fremde Weibsperson, angeblich eine Base, sei soeben zu dem geistlichen Herrn gekommen. Dieser habe sie auf sein Zimmer geführt, habe ihr dann weisgemacht, daß er ihr Bier wolle bringen lassen. Unter diesem Vorwand sei er wieder herabgekommen, habe sein Rasiermesser geholt, sei damit sogleich wieder hinauf. Meine Schwester, die ihm nachgeschlichen, habe durch das Schlüsselloch selbst gesehen, wie er sich alsdann der auf einem Sessel sitzenden Weibsperson genähert, dieselbe beim Hals gefaßt, als wenn er sie küssen wolle, nun aber ihren Kopf nach dem Boden gedrückt und ihr das Messer an die Gurgel gesetzt.

Während uns dieses meine Schwester in aller Hast an der Treppe erzählte, hörten wir noch immer das Winseln und die Worte des Geistlichen: ›Nandel, mach Reu und Leid! Du mußt sterben!‹ Und sie wimmerte hierauf: ›Franzel! Tu mir nur das nicht! Laß mir mein Leben! Ich komme dir gewiß nicht mehr um Geld!‹

Meine Mutter und meine Schwester gingen sogleich in die untere Stube. Ich aber sprang aus Neugier zur Treppe hinauf, vor die Tür des Geistlichen und sah durch das Schlüsselloch deutlich, wie Riembauer auf der zu Boden liegenden, noch mit den Füßen zappelnden Weibsperson saß oder kniete und ihr mit beiden Händen Kopf und Hals festhielt. Ich sah das Blut aus ihr hervorrinnen.

Nun eilte ich auch hinab in unsere Wohnstube und erzählte meiner jammernden Mutter und Schwester, was ich gesehen. Die waren noch unschlüssig, ob sie Leute zur Hilfe herbeirufen sollten. Als ich sodann wieder in den Hausflur ging, kam der geistliche Herr in seiner gewöhnlichen braunen Jacke und einem weißen Schurz die Treppe herab. Hände und Schurz waren voll Blut. In der Rechten hielt er noch das blutige Rasiermesser. Er legte es auf den kleinen Kasten, der im Hausflur stand. Alsdann begab er sich zu meiner Mutter und Schwester ins Zimmer. Ich horchte an der Tür. Er erzählte ihnen, daß dieses Weibsbild von ihm ein Kind habe. Immer habe sie ihn um Geld gequält, auch jetzt wieder 100 bis 200 Gulden von ihm verlangt. Im Nichtzahlungsfall hätte sie ihn mit der Anzeige bei seiner Obrigkeit bedroht. Da er nicht wisse, wie er so viel Geld aufbringen soll, habe er, um sich von ihr loszumachen, ihr die Gurgel abgeschnitten.

Hierauf schlich ich mich aus Neugier in Riembauers Zimmer und sah nun die Person, die schon diesen Sommer in unserem Hause gewesen war, ohne alle Lebenszeichen auf dem Boden in ihrem Blute liegen. Den Hals durchschnitten. Die Haare zerrauft. Halstuch und Korsett zerrissen. Ich schrie und weinte und ließ vor Schrecken das Licht, das ich mitgenommen hatte, auf den Boden fallen.

Als ich wieder in das untere Zimmer heruntergekommen war, sah ich den geistlichen Herrn seine blutigen Hände waschen. Ich sagte ihm, daß ich die nämliche Person, die im Sommer dagewesen, auf seinem Zimmer tot habe liegen sehen. Er schmeichelte mir hierauf entsetzlich. Er sagte, ich hätte nicht recht gesehen. Er versprach mir alle mögliche schöne Kleidung und schärfte mir ein, über alles, was ich gesehen und gehört habe, mit niemandem zu sprechen. Meine Mutter jammerte noch immerfort und erklärte wiederholt, daß sie den Vorfall anzeigen werde. Aber Riembauer fiel mehrmals ihr zu Füßen und beschwor sie, ihn doch nicht zu verraten. Als meine Mutter bei ihrer Erklärung beharrte, weil ohnehin das Stillschweigen zu nichts helfen werde, da ja die Nachbarsleute die fremde Weibsperson gesehen, gewiß auch das Getöse gehört haben würden, so äußerte Riembauer, er müsse denn also nun auch sich selbst den Tod antun.

Hierauf zog er seinen Rock an, holte aus dem Stadel einen Strick und lief damit dem Walde zu. Meine Mutter und Schwester Magdalena folgten ihm von ferne. Als sie sahen, daß er wirklich Ernst machen wollte, und da sie glaubten, daß das Unglück ärger sei, wenn auch noch der geistliche Herr sich aufhängen würde, so liefen sie zu ihm und hielten ihn durch das Versprechen, nichts entdecken zu wollen, von der Ausführung seines Vorhabens ab.

Als er mit meiner Mutter und Schwester wieder nach Hause gekommen war, sprach er in meinem Beisein von einem sicheren Ort, an dem man den Leichnam beerdigen könne. Er wählte dazu das kleine Seitenkämmerchen linker Hand in seinem neuerbauten Stadel. Die Meinigen beruhigte er durch das Versprechen, er selbst wolle die Beerdigung besorgen. Es würde gewiß nichts entdeckt werden, wenn nur das kleine Mädchen – ich war damals erst zwölf Jahre alt – zu keinem Menschen etwas sage.

Um Mitternacht zwischen zwölf und ein Uhr tat er eine Kerze in eine Laterne und ging mit einer Grabschaufel in das linke Seitenkämmerchen seines Stadels. Er grub das Loch aus, das er für den Leichnam bestimmt hatte. Nach einiger Zeit hörte ich über mir ein Getöse. Ich machte unsere Stubentür auf. So sah ich ein Kerzenlicht neben dem Keller stehen und sah den Herrn Riembauer selbst, wie er von oben herab den noch völlig bekleideten Leichnam bei den Achseln, so daß der Kopf herunterhing, rückwärts über die Treppe herabschleifte. Es überfiel mich ein Grauen. Ich schloß die Tür und weiß nicht, auf welche Art er den Leichnam in den Stadel hineingebracht hat. Nachher aber ging ich doch dahin. In der offenen Tür stehend, sahen meine Mutter, Schwester und ich, wie der geistliche Herr die Ermordete samt ihren Kleidern schon in dem Loch hatte und sie mit Erde bedeckte.

Die Blutflecken vom Hause bis zum Stadel wischte er noch in derselben Nacht hinweg. Haus und Zimmer reinigte er davon erst am folgenden Morgen, und zwar in eigener Person. Zuerst mit kaltem, dann mit heißem Wasser.

Doch in seinem Zimmer war das Blut schon eingetrocknet. Das Abwaschen half nichts. Ich mußte ihm daher von unserem nächsten Nachbar, dem blauen Michael, einen Hobel borgen. Mit diesem hobelte er aus den Dielen das Blut hinweg und warf die Späne im untern Zimmer in den Ofen.

Am Morgen nach der Ermordung, als ich eben zur Schule ging, sah ich unsern Hund einen blutigen Weibsschuh im Hofe herumzerren. Riembauer, dem ich dieses anzeigte, trug mir auf, ihn in die untere Stube zu tragen. Ich hob ihn, weil es mich grauste, an einem Stecken auf und warf ihn in der Stube auf den Boden. Ich weiß nicht mehr, was damit geschehen ist.

Die Nachbarn fragten uns, was das in unserem Haus für ein Lärmen und Weinen gewesen sei. Wir sagten hierauf, wie uns Riembauer zuvor eingeschärft hatte, wir hätten wegen unseres Vaters und der 2000 Gulden geweint, die uns der Herr Riembauer abgedrückt habe, was ohnehin schon offenkundig war.

Die Ermordete hatte einen grünen Regenschirm mit in den Thomashof gebracht, der dem Pfarrer zu P. gehörte. Der geistliche Herr behielt ihn und besaß ihn noch, als er Pfarrer zu Priel wurde.

Ungefähr 14 Tage nach der Beerdigung der Ermordeten verbreitete sich im Stadel ein abscheulicher Gestank. Die Weibspersonen, die das Getreide ausdroschen, beschwerten sich darüber bei Riembauer, der ihnen antwortete, daß er sich die Ursache davon nicht denken könne. Gleich nachher fügte es sich, daß eine Drescherin, die in das Seitenkämmerchen gegangen war, mit dem Fuße an etwas stieß. Weil es darin dunkel war, rief sie nach Licht, um nachzusehen, weil das Ding, woran sie gestoßen, etwas anderes sein müsse als ein Stein. Riembauer verhinderte das. Schnell eilte er auch sogleich auf sein Zimmer, holte ein Schloß und legte es vor die Tür des Kämmerchens, das zuvor immer offengestanden war. In der Stube erzählte er uns das alles. Er sagte, es sei ein aus dem Grabe hervorragender Fuß der Nandel gewesen. Am Abend desselben Tags trug er daher noch Sand an die Stelle und füllte das Grab besser auf.«

Katharina geht nun über zur Geschichte der Krankheit und des plötzlichen Todes ihrer Mutter und der Schwester im Juni 1809, zu der Zeit sie sich selbst im Pfarrhaus befand. Sie war von Regensburg geholt worden, um statt ihrer plötzlich erkrankten Schwester die Küche zu besorgen. Sie behauptete zuversichtlich, Riembauer habe Mutter und Schwester mit Gift aus der Welt geschafft. Sie führte unter anderem zur Rechtfertigung dieses Verdachts an, ihre Mutter wie ihre Schwester habe mit ihm öfters in Streit gelebt. Letzte habe sogar seine Dienste verlassen wollen. Deshalb schwebte der Pfarrer in beständiger Furcht, daß die Tat entdeckt werden könnte. Riembauer hat bei der Krankheit ihrer Mutter und Schwester keinen ordentlichen Arzt beigezogen. Er hat auch keinen Geistlichen zu ihnen gelassen. Ihrer Schwester hat er die Arzneien, die er von einem Bader genommen, immer selbst gereicht, ihr sie sogar wider Willen aufgedrungen. Eines Tages habe sie für die Schwester von dem Bader eine Arznei holen müssen. Die habe der Pfarrer am folgenden Morgen der Magdalena eingegeben. Bald darauf sei diese außer sich gekommen und verschieden.

»Der Leichnam meiner Schwester«, so fährt Katharina fort, »war außerordentlich aufgedunsen und voller Brandflecken. Das Blut lief ihr aus Mund und Nase. Der Bader vermutete, sie sei schwanger gewesen. Das nämliche vermuteten auch die Dorfleute und nannten den Pfarrer als Schwängerer. Alle verwunderten sich, daß meine Mutter und Schwester so schnell gestorben waren.«

Endlich behauptet Katharina, Riembauer habe mehrmals seine Absicht zu erkennen gegeben, auch noch sie gelegentlich um das Leben zu bringen. So habe ihr einst ihre verstorbene Schwester Magdalena zur Warnung gesagt, Riembauer habe geäußert, er wolle 200 oder 300 Gulden nicht ansehen, wenn jemand die Katharina aus der Welt schaffe; denn, habe er hinzugefügt, das Mädel wird immer größer und verständiger. Am Ende kann man ihr nicht mehr Heiratsgut genug geben, um sie zum Schweigen zu bringen. Nach dem Tode ihrer Schwester habe denn auch der Pfarrer sie nicht von sich lassen wollen und ihr 8000 Gulden zum künftigen Heiratsgut versprochen, wenn sie bei ihm bliebe. Allein nach vier Wochen habe sie sein Haus verlassen, und da er sich ihrer verstorbenen Schwester Geld, Kleider und Briefschaften zugeeignet hatte, habe sie ihm beim Weggehen gesagt: »Herr Pfarrer, ich vergesse auch nicht das Vergangene!« Worauf er erwiderte: »Es wird dich besser treffen als mich. Ich weiß schon, was ich zu sagen habe! Deine Mutter und Schwester sind tot, diese können nicht mehr reden. Die beiden, so werde ich sagen, haben die Weibsperson umgebracht.« Er habe sie auch noch später nicht aus seinen Augen verloren und verschiedentlich danach getrachtet, sie in seinen Dienst oder doch in seine Gewalt zu locken. Aber ihr vorsichtiges Mißtrauen in die wirklichen Absichten Riembauers habe sie gerettet.

Die ganze lange Geschichte, wie sie von diesem siebzehnjährigen Mädchen gegen einen in Ansehen stehenden Geistlichen erzählt wurde, war in ihrer Gräßlichkeit zugleich so seltsam, abenteuerlich und ins Ungeheure hinüberspielend, daß man beim ersten Blick geneigt sein mochte, alles eher für die Erfindung einer kranken Einbildungskraft als für eine wirkliche Begebenheit zu halten. Indessen war die Erzählung in sich selbst so zusammenhängend, so umständlich und bestimmt, und die Erzählerin zeigte so viel Verstand, daß diese Anzeige unmöglich auf sich beruhen bleiben konnte.

Der Thomashof des Pfarrers, in dem angeblich die Hauptbegebenheit vorgefallen war und wo der Leichnam der Eichstädter begraben sein sollte, war glücklicherweise jetzt in einer dritten Hand und der beschuldigte Pfarrer an einem entfernten Ort angestellt. Es konnten also ohne Aufsehen leicht an Ort und Stelle alle Nachforschungen geschehen, deren Ergebnis sogleich über Gehalt und Bestand jener Aussage entscheiden mußte.

Auf Requisition des Landesgerichts Landshut wurde daher alsbald von dem Landgericht Pfaffenberg der Thomashof zu Lauterbach untersucht. Es fand sich hier der von der Denunziantin angezeigte, von Pfarrer Riembauer neugebaute Stadel. Man fand in ihm linker Hand ein Seitenkämmerchen. Man grub dort nach und fand in sehr geringer Tiefe, nebst einem Weiberschuh, ein weibliches Gerippe mit einem Schädel. Beide Kiefer waren voll der schönsten, weißen Zähne. Im Zimmer, das Riembauer früher bewohnt hatte, entdeckte man auf den Dielen des Fußbodens eine Menge unauslöschlicher Flecken, die sogleich für Blutspuren erkannt wurden und die, als man sie mit warmem Wasser befeuchtete, sich in heller Blutröte darstellten. An neun Brettern des Fußbodens waren in verschiedenen Unebenheiten, Vertiefungen und Schnitten deutliche Spuren einer in Tischlerarbeiten ungeübten Hand nicht zu verkennen, die den Versuch gemacht hatte, ähnliche Flecken durch den Hobel hinwegzutilgen. Und der Nachbar des Thomashofs, der von der Denunziantin so benannte blaue Michael, bezeugte, daß vor ungefähr sechs Jahren die Frauenknechtschen bei ihm einen Hobel geborgt hätten.

Ehe noch dieses und anderes vollständig zu den Akten genommen war, schon auf die vorläufige Anzeige des Landgerichts Pfaffenberg hin, daß an dem von der Denunziantin bezeichneten Ort ein weibliches Gerippe gefunden worden sei, wurde Riembauer verhaftet und unter Bewachung nach Landshut transportiert.

Riembauer war hierüber wenig befremdet. Er schien im voraus darauf gefaßt zu sein. In seinem ersten summarischen Verhör, am 27. Oktober 1813, zeigte er sich auch keineswegs unwissend über die Ursache seiner Verhaftung. Er fing, ohne andere Veranlassung als die vorschriftsmäßige allgemeine Frage, sogleich von der Anna Maria Eichstädter zu erzählen an. Er berichtete, wie er als Kooperator zu Hirnheim mit dieser Person, jedoch in allen Ehren, bekannt geworden sei, wie sie ein besonderes Vertrauen zu ihm gefaßt, ihm 50 Gulden von ihrem Ersparten aufzuheben gegeben und wie sie ihn gebeten habe, sie einst bei sich als Köchin aufzunehmen. Was er ihr auch unter der Bedingung zugesagt habe, wenn sie sich gut aufführen werde. Seit er von Hirnheim hinweggekommen, habe er nichts mehr von dieser Person gehört. Bis zu der Zeit, da er nach Pirkwang versetzt worden. Da habe sie ihn zweimal wegen Abschlagszahlungen von jenen 50 Gulden mit Boten und Briefen beschickt. Im Sommer 1807, als er eben zu München beim Examen gewesen, sei diese Person selbst nach Lauterbach gekommen, um ihn aufzusuchen. Bei dieser Gelegenheit habe sie der Frauenknechtschen Familie zu deren größtem Verdruß erzählt, daß sie das Versprechen habe, bei ihm als Köchin aufgenommen zu werden.

»Es war«, so erzählte Riembauer, »gerade an dem Tag, an dem der Herr von Harter beerdigt wurde. Der 3., 4. oder 5. November 1807. Ungefähr 8 Tage nach dem Tode des Thomasbauern, wo ich den Leichengottesdienst gehalten habe, kam ich von Pirkwang nach Oberlauterbach in den Thomashof, den ich gekauft hatte. Es war schon fast Dämmerung. Ich ging sogleich auf mein Zimmer und fand die Tür offen. Sie hatte damals noch kein Schloß. Ich sah auf dem Boden eine Person liegen. Ich meinte, es wäre jemand von den Hausleuten und rief daher laut: ›Was ist das? Was gibt's?‹ Ich erhielt aber keine Antwort; so befühlte ich nun die auf dem Boden liegende Person und fand zu meinem unaussprechlichen Schrecken, daß sie ohne Leben sei. Voll Entsetzen lief ich in die untere Stube, wo ich die Bäuerin Mutter mit ihrer Tochter Magdalena traf. Sie hielten sich aneinander und zitterten wie Espenlaub. Auf meine erste Frage: ›Was ist da oben geschehen?‹ ergriffen mich Mutter und Tochter unter Weinen und Schreien bei meinen beiden Händen und baten mich, von allem zu schweigen. Dann erfuhr ich zu meinem größten Erstaunen, daß die Weibsperson, Anna Maria Eichstädter, die mich schon während meines Aufenthaltes zu München hatte besuchen wollen, diesen Nachmittag wieder in den Thomashof gekommen war und verlangte, auf mein Zimmer gelassen zu werden. Mutter und Tochter sind mit derselben in einen Streit geraten, der so weit führte, daß, nachdem zuerst jene Weibsperson zugestochen oder habe zustechen wollen, Magdalena mein Rasiermesser ergriffen und der Eichstädter in den Hals geschnitten hat. Die Ursache, daß der erbitterte Streit zu solchem Ausbruche gedieh, ist gewesen, daß die Eichstädter geäußert, sie wolle Köchin bei mir werden. Sie hätte hierauf mein Versprechen erhalten, und Mutter und Tochter Frauenknecht müßten jetzt aus dem Hause ziehen. Später zündete ich ein Licht an und erkannte wirklich in der auf meinem Zimmer liegenden Person die Eichstädter.

Ich wollte sogleich fort aus dem Thomashof. Ich könnte, sagte ich den Frauenknechtschen, nach einem solchen Auftritte nicht mehr bei ihnen bleiben. Sie aber hielten mich mit beiden Händen und baten unter Weinen und Jammern um alles in der Welt, ich möge nur bleiben, sie wollen mir geben, was ich verlange. Von dem noch nicht bezahlten Kaufschilling für den Thomashof würden sie soviel herablassen als ich wollte. Durch alles das ließ ich mich denn auch endlich halten. Ich schaffte mein in dem oberen Zimmer stehendes Bett in den Hausflur herab und übernachtete unten.

Des anderen Morgens ging ich früh von zu Haus weg. Der Leichnam blieb indessen in meinem Zimmer. Als ich gegen Abend wieder auf meine Stube kam, sah ich hier die tote Eichstädter schon auf einer Misttrage liegen. Mutter und Tochter sagten mir, sie wollten sie in dem Seitenkämmerchen des Stadels vergraben. Ich erwiderte ihnen, sie möchten sie hintun, wo sie wollten. Ich könne ihnen nicht helfen. Zwischen 8 und 9 Uhr abends trugen nun Mutter und Tochter den Leichnam auf einer Misttrage in das Stadelkämmerchen und bedeckten ihn mit der hier umherliegenden, bereits ausgegrabenen Erde.

Am anderen Morgen besah ich den Platz und fand bloß die lockere Erde über den Leichnam aufgeschüttet. Nachdem ich beide darauf aufmerksam gemacht und ihnen bemerkt hatte, daß, wenn ein Mensch oder Tier in den Stadel komme, die Sache leicht entdeckt werden könne, nahmen sie Sand und Steinbrocken und überdeckten damit die Grabstätte.

Einige Nächte schlief ich noch im Hausflur. Nachdem aber mein Zimmer gereinigt worden war, nahm ich in demselben wieder mein voriges Nachtlager.«

Dies ist in der Hauptsache seine Erzählung, durch die er glaublich zu machen versuchte, er habe nur aus Mitleid mit den Tätern, deren Herz er ohnehin als Priester geleitet, und weil das von ihnen tief bereute Verbrechen ohnehin nicht mehr habe ungeschehen gemacht werden können, den ganzen entsetzlichen Vorfall auf eigene Gefahr in seinem priesterlichen Gewissen verwahrt.

Riembauer befolgte, wie man sieht, die große, hohe Politik der Verbrecher, die im Gegensatz der kleinen und gemeinen, die ohne Unterschied alles ableugnen, auf dem Grundsatz beruht, alle Tatsachen, für die Beweise vorhanden sind, zuvorkommend einzuräumen, sie aber, so gut als möglich, in einen solchen Zusammenhang zu bringen, daß sie als wahr angenommen werden können, ohne daß darum zugleich die Schuld des Bekennenden als wahr angenommen zu werden braucht. Nach dieser Methode begleitet Riembauer die gegen ihn vorgebrachte Anzeige, deren Inhalt er sich im voraus denken konnte, beinahe Schritt für Schritt und erzählt, nur mit einigen dazwischengeworfenen Abweichungen, den ganzen Vorgang geradeso, wie ihn Katharina erzählt hat, allerdings mit dem einzigen Hauptunterschied, daß er die Personen vertauscht. Seine verstorbene Magdalena und deren Mutter führt er als die Verbrecher auf, und er übernimmt dagegen die Rolle der Zuschauerin Katharina für sich. Was er getan, hat er nur gesehen. Was Magdalena und ihre Mutter vor ihm verheimlichten, hat er ihretwegen aus christlicher Liebe verschwiegen.

Allein die Mordgeschichte im Thomashof, die mit allen Hauptumständen von dem Beschuldigten selbst zugestanden war, mußte durch die entgegengesetzte Verschiebung der Personen aus einer bloß romanhaften Begebenheit zu einer handgreiflichen Albernheit werden. Wie ließ sich, um nur das eine zu erwähnen, von einer sanften, gutmütigen, von Riembauer selbst so benannten weiblichen Engelsseele eine solche Tat auch nur als möglich denken? Wo waren die ungewöhnlichen Umstände, die außerordentlichen Veranlassungen und Antriebe, die es nur einigermaßen begreiflich gemacht hätten, wie diese engelgute Magdalena sich auf einmal in eine mordsüchtige Megäre, das furchtsame, ängstlich schüchterne Mädchen, wie sie ebenfalls geschildert wird, in ein kühnes, unerschrockenes Mannweib verwandelt habe? Die Eichstädter war von Körper groß, stark, breitschultrig und von kräftigem Muskelbau. Magdalena hingegen klein, mager, schmächtig und schwächlich. Wer faßt die Möglichkeit, daß die Schwache der Starken die Gurgel abgeschnitten habe? Man müßte es denn für denkbar halten, diese habe, ohne sich zu regen, ihrer Gegnerin willig den Hals dargeboten und so lange stillegehalten, bis diese mit ihrer Arbeit fertig geworden? Mit einem Rasiermesser, einer Waffe, nach der ohnehin kaum jemals eine Frauenhand gegriffen hat, läßt sich auch wohl im Streit und im offenen Kampf, von welchem Riembauer in seiner Erzählung spricht, der Gegner vielleicht hier und da verwunden. Es gehört aber zu den fast unmöglichen Dingen, einem Menschen, der die Freiheit seiner Bewegungen hat und von dieser Freiheit zu offener Gegenwehr Gebrauch macht, die Gurgel damit zu durchschneiden.

Dadurch, daß Riembauer den Mord der Eichstädter ganz in der Art, wie er zur Anzeige gekommen war, in seiner ersten Vernehmung zugestand, die eigene Schuld aber nur durch Ausführung solcher Umstände von sich ablehnte, unter der jener zugestandene Mord gleichwohl nicht nur aus mannigfaltigen Gründen im allerhöchsten Grade unwahrscheinlich, sondern auch größtenteils nach allbekannter Erfahrung ganz unmöglich war, dadurch hatte er nun selbst die gegen ihn erhobene Anschuldigung in allen ihren Hauptpunkten bestätigt und die Wahrheit zwar nicht gestanden, aber wenigstens indirekt eingeräumt.

Für das Bewußtsein seiner Schuld lieferte überdies noch zu allem Überfluß sein Benehmen als Gefangener die unzweideutigsten, zum Teil urkundlichen Beweise. Er begann sogleich an seinen Wächtern ein förmliches Bestechungssystem in Wirksamkeit zu setzen. An viele Personen seiner Bekanntschaft schrieb er weitläufige Briefe, in denen er ihnen auf das umständlichste angab, wie sie, aufgefordert oder unaufgefordert, für ihn Zeugnis geben sollten. Vor allen Dingen, daß und unter welchen Umständen die verstorbene Magdalena Frauenknecht sich selbst anderen als Urheberin jenes Mordes an der Eichstädterin entdeckt habe. In einem Brief an Pfarrer K. sucht er ihn zur Ausstellung eines solchen Zeugnisses durch folgende Gründe zu bewegen: »1. wegen unserer Bruderliebe, 2. wegen der guten Anna Weninger, seiner Köchin, 3. wegen meiner Freunde, die um mich betrübt sind, 4. wegen der Geistlichkeit, auf die es einen Schatten wirft, 5. wegen der Gläubigen, die sich ärgern.« Der Anna Weninger schärfte er überdies noch besonders ein, ja den grünen Regenschirm schleunigst auf die Seite zu schaffen. Einige dieser Briefe gelangten wirklich an ihre Adresse, wie der Brief an die Weninger. Die tat alles pünktlich, um dem Auftrage ihres Herrn bestens zu genügen. Jedoch ohne den gewünschten Erfolg. Riembauer ging sogar in frecher Unbesonnenheit so weit, durch Bestechung zur Einsicht der Untersuchungsakten, wenigstens zur genauen Kenntnis ihres Inhaltes, zu gelangen. Es wurde ein vergeblicher Versuch.

Sobald aber der Gefangene aus dem Wechsel seiner Wächter und nach der Versetzung in ein anderes Gefängnis die Überzeugung geschöpft hatte, daß seine Briefe in die Hände der Untersuchungsrichter gefallen waren, glaubte er die Schlüsse, die aus verändertem Benehmen gegen ihn gemacht werden möchten, dadurch zu entkräftigen, daß er zuvorkommend seinem Richter erklärte, er habe ihm eine Entdeckung zu machen. Es sei ihm das Unglück begegnet, daß er aus Melancholie in vorübergehenden Wahnsinn verfallen sei. In diesem Zustand habe er, ohne Verstand und Willen, Briefe geschrieben, die vielleicht geradeso aussehen möchten, als wenn er seines Verstandes und Willens mächtig gewesen sei. Dabei bemühte er sich, seinem Richter nach irgendeines Jesuiten Logik oder Metaphysik den Unterschied zwischen einem menschlichen sensus externus, internus und intimus auseinanderzusetzen und dann an jenen Bestechungen und Briefen zu zeigen, daß er damals zwar noch den sensus externus und internus beisammen gehabt, aber des sensus intimus, auf welchen alles ankomme, ganz und gar ermangelt habe.

Der Gehaltlosigkeit und Ungereimtheit seiner ersten Erzählung ungeachtet, blieb sie vier ganze Jahre hindurch das Thema, das er in nicht weniger als neunundneunzig Verhören, zahllosen Gegenüberstellungen nicht mit eingerechnet, zwar in manchen einzelnen Absätzen variierte, im ganzen aber immer wiederholte: Daß er der Mörder der Eichstädter nicht sei. Daß diese nicht am 2., sondern am 3. November ermordet worden. Daß es Magdalena Frauenknecht gewesen, die aus Eifersucht und Zorn jener Person im Streit den Hals durchschnitten habe. Daß ihm selbst hierbei nichts zur Last liege, als höchstens ein Irrtum des Verstandes, indem ihn seine Christenliebe und vermeintliche Priesterpflicht verleitet habe, die unmenschliche Tat der Magdalena zu verheimlichen. Dieses blieben die stehenden Wahrheiten, von denen er nicht abgehen zu können versicherte.

»Wenn man mir auch, wie dem heiligen Bartholomäus, die Haut über den Kopf ziehe! Wahrheiten, die ich, wenn ich auf dem Schafott stehe, tausend Teufel hinter mir, mit meinem letzten Hauch noch in die Welt hinausrufen werde.«

In den meisten Verhören zeigte er die ruhige Gelassenheit eines Dulders. Er pflegte die richterlichen Fragen mit süßem Lächeln zu beantworten. Sprach sich zuweilen das erheuchelte Gefühl schwer beleidigter Unschuld und Ehre in heftigen Worten und Gebärden aus, so stimmte er sich, in plötzlichem Absprung, sogleich wieder zum milden Ton der Sanftmut herab und bat in demütiger Geschmeidigkeit um Verzeihung wegen seiner »Wärme«, die bei einem Menschen begreiflich sei, der die evidentesten Wahrheiten immer widersprochen sehe und einem »waffenlosen Schaf gleiche, das von bissigen Hunden angefallen werde«. Zuweilen versuchte er seinen Richter, wenn dieser scharf in ihn drang, durch angenommenen Kanzelton einzuschüchtern. Zuweilen brach er über die unerhörten Lügen, »welche der Teufel gegen ihn erfunden«, in helles Gelächter aus. Ein andermal zwang er sich zu einem greinenden Ton und weinerlichen Gesicht, das sich jedoch vergebens um Tränen abmühte. Alle Anstrengungen des Richters, den Verstand seines Inquisiten durch Vorhaltung der vielen Unwahrscheinlichkeiten und Ungereimtheiten des erzählten Märchens zu überwältigen, wurden an dessen Unverschämtheit und dialektischen Künsten zuschanden. Für jede Schwierigkeit hatte er ein Mittel in Bereitschaft. Kein Widerspruch war so grell, für den er nicht irgendeine ausgleichende Hypothese schon vorrätig gehabt. Kein Ding so unwahrscheinlich oder unmöglich, das er nicht, nach Lehrsätzen seiner Psychologie und Metaphysik, als sehr wahrscheinlich und leicht möglich vorzudemonstrieren wenigstens versucht hätte. Hielt man ihm vor, wie ganz unglaublich es sei, daß Magdalena, die er selbst als ein durch Herzensgüte, Sanftheit und Milde ausgezeichnetes Wesen schilderte, eine solche Greueltat solle begangen haben, so ließ er sich über die Macht der Eifersucht und des Zorns überhaupt und der Leidenschaft des weiblichen Geschlechts insbesonders aus, aufgrund deren die Magdalena in bloßer Übereilung, ohne recht zu wissen, was sie tue, ohne Mitwirkung ihres eigentlichen Willens, solche Tat gar wohl habe begehen können. Machte man ihn auf die physische Unmöglichkeit der Tat, so wie sie von ihm angegeben worden, aufmerksam, so half er sich mit aller Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, daß die alte Mutter Frauenknecht ihrer Tochter Beistand geleistet habe. Er zeigte sogar mit lächelnder Miene auf das anschaulichste an seinem eigenen Halse, indem er dazu seine Halsbinde abstreifte, wie die ganze Operation sehr leicht und schnell habe verrichtet werden können. Gegen den sehr starken Zweifel, wie unter jeder Voraussetzung eine ungeübte, schwache Mädchenhand mit einem Rasiermesser einen Menschenhals so tief zu durchschneiden imstande sei, holte er aus dem Schatz seiner Metaphysik die Lehre von einem gewissen motus primo primus, welcher, sowie einmal das Messer nur angesetzt gewesen, sogleich in der Hand zu wirken angefangen und ihr eine mehr als gewöhnliche Kraft nach einer bestimmten Richtung hin verliehen habe. Daß er alles Denkbare, daß er Wahrheit und Lügen aufbot, um die junge Denunziantin Katharina verdächtig zu machen und ihre Aussage womöglich zu entkräftigen, versteht sich ohnehin. Aber auch die Aussage vieler Zeugen, zu deren Vernehmung schon sein erstes Verhör, noch mehr aber die folgenden häufig Veranlassung gegeben hatten, und die ihn zwar, nicht was die Tat selbst, doch die mit ihr zusammenhängenden Umstände betrifft, der offenbaren Unwahrheit überführten, waren nur selten imstande, ihn wankend zu machen oder zur Zurücknahme einer Behauptung zu bewegen. Bei seiner Gegenüberstellung mit Zeugen ließ er sich immer sehr deutlich anmerken, wie er wünsche, daß sie aussagen möchten. Er suchte sie durch Erregung des Mitleids oder der Gefühle der Ehrfurcht für seinen heiligen Stand zu gewinnen oder durch salbungsvollen Predigerton niederzuwerfen. Durch treuherzig beredte Auseinandersetzung der vielen Möglichkeiten, wie ein Mensch aus Gebrechlichkeit des Verstandes, Täuschung der Sinne, Schwäche und Untreue des Gedächtnisses offenbar Falsches mit dem besten Gewissen gleichwohl für wahr halten könne, versuchte er die Zeugen zu verwirren und in ihren Aussagen wankend zu machen. Gelangen ihm diese Künste nicht, so zieh er die Zeugen entweder des plumpen Irrtums oder der frechen Lüge. Im pathetischen Ton verschwor er sich bei allen Personen der Gottheit und bei allen Heiligen, daß er wahr gesprochen habe. In heiligem Zorn rief er über die menschliche Verruchtheit alle Strafen des gerechten Himmels auf ihr Haupt herab. Als er einst über einen gewissen Punkt von den Zeugen sich bis zur Evidenz der Unwahrheit überführt erkennen mußte, rief er mit funkelnden Augen: »Quis contra torrentem? Wenn dreißigtausend Menschen dastehen und sagen, der Teufel sei weiß, so werde ich doch allzeit behaupten, der Teufel ist schwarz, so wie ich mein Unschuldigsein auch behaupten muß.«

Zuweilen, doch höchst selten, besann er sich auch wohl eines anderen und gestand zu, was er viele Monate lang allen Beweisen zum Hohn hartnäckig verteidigt hatte. Aber dann war es nach seiner Versicherung immer nur entweder ein durch Melancholie bewirkter Mangel an dem sensus intimus oder eine unschuldige Verwirrung seiner Ideen oder eine unwillkürliche, durch associatio idearum veranlaßte Täuschung, die alle Schuld an seinen früheren unwahren Aussagen trug, die dann aber auf der Stelle durch andere ebenso unwahre Behauptungen ersetzt wurden. Unerschöpflich war seine Heuchelei in Formeln, mit denen er gelegentlich den Glauben an seine Unschuld seinem Richter einzuschmeicheln versuchte. Er versicherte treuherzig:

»Mein Gemüt gleicht einer Taube ohne Galle. Ich wünsche Euch nur einen Zauberspiegel, in dem Ihr die Reinheit meiner Seele zu lesen vermögt. Von jeher habe ich mich als der gutmütigste Mensch erwiesen. Wie mag man mich solch einer Greueltat verdächtig halten! Cum nemo repente fiat pessimus. Es schaudert mein Herz bei einer solchen Beschuldigung. Um zu begreifen, wie unwahrscheinlich sie ist, bitte ich nur einmal meinen priesterlichen Charakter zu erwägen. Ich hab ja gewußt, daß erstens der Priester durch Mord sogleich irregularis werde, zweitens excommunicationem majorem ipso facto illatam inkurriere, drittens, daß David die Todschuld des Urias teuer gebüßt hat und nicht mehr würdig gewesen ist, den Tempelbau zu beginnen. Wie wäre es nun möglich, daß ich Gott, Seele und Seligkeit, ewige und zeitliche Strafgerichte hintansetzend, mit Händen, die noch von unschuldigem Blute rauchten, in das Heiligtum des Herrn habe hineingreifen, die Geheimnisse der Religion habe ausspenden und mich so von Abgrund zu Abgrund stürzen können?!«

Da diesem verstockten Heuchler weder durch Ermahnungen noch durch Gründe, noch durch Beweise beizukommen war, so versuchte es der Untersuchungsrichter, durch erregte Einbildungskraft einen Weg zu seinem Gemüt zu finden. Schon hatte die Untersuchung zwei volle Jahre gedauert, und dieser geistliche Inquisit hatte bereits mehr als achtzig Verhöre erfolglos bestanden, als der Untersuchungsrichter am Allerseelentag 1815, am gleichen Tag, an dem vor acht Jahren der Mord war begonnen worden, ein neues Verhör anordnete. Das achtundachtzigste. Es begann um vier Uhr nachmittags und war darauf berechnet, sowohl seinen Verstand durch die Masse der wider ihn stehenden Überzeugungsgründe von der Vergeblichkeit seines Leugnens zu überführen als auch sein Gemüt durch Ermahnungen und Erinnerungen mächtiger als sonst anzuregen. Er aber blieb wie immer unbewegt. Und so war es endlich zwölf Uhr mitternachts geworden, als der Untersuchungsrichter, nachdem er ihm nochmals eindringlich zum Herzen gesprochen hatte, plötzlich ein Tuch aufhob, unter dem ein Totenkopf auf einem schwarzen Kissen lag.

»Dies da«, sprach der Untersuchungsrichter, »ist der Schädel der Anna Eichstädter, deutlich erkennbar an beiden Kiefern voll der schönsten Zähne.«

Riembauer erhob sich augenblicklich von seinem Stuhl, riß seine großen Augen weit auf, starrte den Richter an, lächelte dann wie gewöhnlich, trat rasch ungefähr drei Schritte weit auf die Seite, um nicht dem Schädel in die gleichsam drohenden Augenhöhlen sehen zu müssen, faßte sich aber bald wieder und sprach, zweimal von der Seite her auf denselben hindeutend: »Mein Gewissen ist ruhig! Dieser Totenkopf hier, könnte er reden, würde sagen: ›Riembauer ist mein Freund. Er war nicht mein Mörder!‹ – Ich brauche nicht Luft zu schöpfen. Aber es schmerzt mich, daß ich so sehr Verdächtigungen ausgesetzt werde, daß mir so viel zur Last gelegt werden soll. Morgen jährt es sich, als ich von Pirkwang zurückkehrte, wie diesen Totenkopf hier, so damals den ganzen Körper tot auf meinem Zimmer liegend fand. Als Staatsbürger bedarf ich immer der Gnade seiner Majestät. Aber als Verbrecher bedarf ich derselben nicht.«

Nach Verlesung und Unterzeichnung des Protokolls führte ihn der Untersuchungsrichter nochmals zu dem Schädel und hielt ihm denselben mit Ermahnungen vor die Augen. Inquisit verriet zwar inneren Kampf bei diesem Anblicke, blieb aber fortwährend bei seinem heuchlerischen Lächeln und sagte auch jetzt wieder in feierlichem Tone zu dem Schädel: »Oh, wenn du sprechen könntest, so würdest du meine Wahrheit bestätigen!«

Zweimal wurden die Akten dem Appellationsgericht zum Spruch eingesendet. Ebensooft gingen sie zur Ergänzung wieder zurück, ohne in der Hauptsache ein entsprechendes Ergebnis zu liefern. Endlich wurden sie, nachdem sie zu einer Masse von zweiundvierzig Foliobänden aufgeschwollen waren, am 21. Oktober 1816 von neuem zum Spruch eingesandt. Im folgenden Jahre, am 1. Oktober 1817, wurde mit Erstattung des Hauptvortrags der Anfang gemacht. Dieser Vortrag hatte bereits die achte Sitzung beschäftigt, als am 14. Oktober die Fortsetzung durch einen Bericht des Landgerichts Landshut unterbrochen wurde, dem das Protokoll eines Verhörs beigefügt war, um das der Inquisit selbst gebeten hatte. In diesem erklärte er:

»Ich habe tiefer nachgedacht. Auch den Heiligen Geist habe ich um volle Erinnerung angebetet. Da ist es mir immerfort klarer geworden, daß ich mich in einer meiner früheren Aussagen geirrt habe.« Er nahm nun den seit vier Jahren behaupteten Satz, daß die Eichstädter von Magdalena Frauenknecht ermordet worden sei, in der Art wieder zurück, daß er bekundete, eines Tages von Frau W. gehört zu haben, eine gewisse Katharina Schmid habe dieser gesagt, es sei ihr von Magdalena Frauenknecht erzählt worden, nicht sie, sondern ganz allein ihre Mutter habe die Eichstädter ermordet. Diese durchaus neue Wendung veranlaßte den Gerichtshof, den Vortrag auszusetzen und weitere Vernehmungen anzuordnen.

Am 20. November desselben Jahres wurde zu Landshut ein Jude namens Lammfromm wegen Mordes hingerichtet. Riembauer sah von seinem Gefängnisse aus, wie er zum Tode geführt wurde. Von der Standhaftigkeit, Ruhe und Heiterkeit, mit der dieser Mensch seinem blutigen Ende entgegenging, war er seltsam betroffen. Als er bald nachher seine Verwunderung darüber äußerte, wie doch dieser Mörder zu solcher Freudigkeit im Sterben gekommen sei, berichtete man ihm, wie es sich auch wirklich verhielt. Lammfromm sei erst von dem Augenblicke an, wo er durch aufrichtiges Geständnis sich mit seinem Gewissen ausgesöhnt, in solche beseligende Gemütsstimmung versetzt worden, die ihn dann bis in seinen Tod nicht mehr verlassen habe. Von nun an wurde unser christlicher Priester unruhiger, ängstlicher als je. Er aß und trank wenig und ließ am 26. November durch den Gefangenenwärter wieder um ein Verhör bitten, weil er glaube, an einer bedeutenden Gewissenskrankheit zu leiden, die ihm vielleicht eine aufrichtige Beichte entfernen könne. In diesem Verhör, es war das hundertste, fiel er sogleich auf die Knie, bat um Beendigung seines Prozesses, sprach von Lebenssattheit, erzählte von allerhand Phantasmen, wie er zuweilen vor seinem Gefängnis von bekannten und unbekannten Personen Besuch erhalte, wie er schon seit drei Nächten, nach dem Ave-Maria-Läuten, eine dumpfe, schauerliche Trauertrommel höre und dergleichen. Allein die aufrichtige Beichte wollte noch nicht sogleich über seine Lippen. Als ihm der Untersuchungsrichter bemerkte, er habe die Ursache seiner Gemütszerrüttung bloß in seiner eigenen Schuld zu suchen, erwiderte er: »Nur die schlaflosen Nächte sind die Ursachen meiner Ermattung. Die Geschichte selbst habe ich erzählt, wie ich sie weiß und wie sie ist.« Der Untersuchungsrichter durchging nochmals mit ihm alle Unwahrheiten in seinen Angaben, alle Unwahrscheinlichkeiten, Ungereimtheiten und Widersprüche. Er hielt ihm sein höchst auffallendes, kleinlautes, verwirrtes Benehmen vor und schloß mit der Bemerkung, sein Gefühl scheine tief ergriffen. Er möge doch durch ein freimütiges Geständnis endlich einmal leichteren Atem zu gewinnen suchen. Nun erst brach Inquisit in die Worte aus:

»Ja! Ich fühle mich im Innersten ergriffen. Ich fühle, daß meine Gesundheit sich mit jedem Tag verschlechtert, und Sie, Herr Kommissar, haben recht, wenn Sie sagen, daß ich nichts Besseres tun kann, als ein reumütiges Geständnis abzulegen. Bevor ich aber zu diesem entscheidenden Punkt übergehe, bitte ich vor allem um den Schutz der allerhöchsten Regierung für meine unschuldigen Kinder und für meine letzte Köchin Anna Weninger. – Und nun vernehmen sie mein aufrichtiges Geständnis: Die Katharina hat in vielen Punkten die Unwahrheit gesprochen, aber in der Hauptsache doch die Wahrheit; denn ich bin es, der die Anna Eichstädter um das Leben gebracht hat.«

Die Geschichte des Verbrechens, wie sie von dem Inquisiten selbst bekannt und in noch dreizehn Verhören teils wiederholt, teils berichtigt und ergänzt wurde, ist folgende:

Seitdem die Eichstädter ihn ständig bestürmt, schon jetzt als seine Köchin aufgenommen zu werden, und ihn mit Drohungen geängstigt hatte, ging in ihm mehr und mehr die Besorgnis auf, daß er durch die leidenschaftlich unbesonnene Zudringlichkeit dieser Person in die Gefahr gesetzt sei, vor aller Welt entlarvt, durch öffentlichen Skandal um Ehre und guten Namen gebracht, von seinen Vorgesetzten als ein Unwürdiger erkannt und dadurch zum wenigsten der Aussicht auf jede Beförderung beraubt zu werden. »Bei meiner Zusammenkunft mit der Eichstädter zu Regensburg«, sagt Riembauer, »erklärte sie mir, daß sie mich nicht lassen könne und durchaus zu mir wolle. Ich stellte ihr alles mögliche vor, indem ich ihr bemerkte, daß ich sie unmöglich jemals zu mir nehmen könne. Aber sie ließ nicht nach. Meine Ehre, mein Stand, mein öffentlicher Kredit, alles was mir heilig und teuer sein muß, war durch die Ankunft der Eichstädter in Oberlauterbach bedroht. Ich dachte nun, was tust du, wenn sie dennoch kommt? Da fiel mir der Grundsatz des Pater Benedikt Stattler in dessen Ethica Christiana Die Ethica Christiana ist ein antichristliches Werk, das, bis zu vier dicken Bänden angeschwollen, 1789 erschien und von scholastisch-kasuistischem Wuste strotzt. ein.« Nach diesem Grundsatz ist es erlaubt, einem anderen das Leben zu nehmen, wenn man seine eigene Ehre und seinen guten Ruf nicht anders zu retten vermag; denn die Ehre ist ein noch höheres Gut als das Leben, und gegen den, der unsere Ehre angreift, muß uns gleiches Recht der Notwehr zustehen wie gegen einen Räuber. Ich dachte nun über diesen Grundsatz des Pastor Benedikt Stattler nach, fand ihn ganz auf mein Verhältnis passend und machte mir ein dictamen practicum daraus. Meine Ehre, dachte ich mir, geht durch diese böse Person, wenn sie nach Lauterbach kommt und ihre Drohungen wahr macht, verloren. Ich werde vom Konsistorium lahmgesetzt. Mein Vermögen ist in dem nämlichen Augenblicke auch verloren. Ich bin verrufen in der Diözese. Zuerst war alles nur Idee, und ich dachte noch nicht an die Art und Weise der Ausführung.«

So war der November 1807 erschienen. Riembauer hatte der Eichstädter 36 Gulden als Kostgeld für ihr Kind zu bezahlen. Der Zahlungstermin war aber schon vorüber, und Riembauer, der sich damals in Geldverlegenheit befand, Handwerksleuten ihren Lohn schuldig bleiben mußte, sogar irgendwo einige Gulden zu borgen sich genötigt gesehen hatte, befand sich außerstande, seine Gläubigerin beizeiten zu befriedigen. Er mußte jetzt, wie er sagt, jeden Augenblick erwarten, daß sie entweder selbst nach Lauterbach komme oder einen Boten schicke, um das Geld abzuholen.

Es war am Allerseelentag, als Riembauer gegen Abend in Begleitung der Magdalena Frauenknecht mit Rüben vom Felde nach Hause fuhr und, sobald er in dem Thomashof angekommen war, eine Weibsperson, die er, zu seinem größten Schrecken, für die Eichstädter erkannte, in das Wohngebäude hineingehen sah. Er traf sie in der unteren Stube und führte sie nach einer kurzen Unterredung mit sich die Treppe hinauf.

»Ich wollte sie anfangs auf dem oberen Boden verstecken, damit Magdalena sie nicht zu Gesicht bekomme. Aber es war schon zu finster, und ich kehrte mitten auf dem Wege um. Ich muß gestehen, daß ich damals für einen Augenblick die Absicht hatte, sie über die Stufen der Treppe herabzuwerfen. Allein, ich weiß selbst heute noch nicht, warum es nicht geschah. Ich war voll Schrecken, und vielleicht mag ich mir gedacht haben, sie könne sich durch den Fall nur etwas zerbrechen, und dann wäre das Übel noch ärger.«

Als er mit ihr auf sein Zimmer gekommen war, soll ihm die Eichstädter erklärt haben, sie sei jetzt hier, um ein für allemal zu erfahren, woran sie sei. Er solle sie als seine Köchin zu sich nehmen und die Magdalena entfernen. Inquisit erzählt nun umständlich, wie er sie zu beruhigen gesucht, ihr seine Verhältnisse zu den Frauenknechtschen und die Unmöglichkeit der Gewährung ihres Verlangens vorgestellt habe. Sie aber habe sich durchaus nicht zufriedengegeben. Nun verließ er sie eine Weile unter dem Vorwande, Bier für sie herbeiholen zu lassen, ging in die untere Stube, wo, wie er gegen allen Zusammenhang behauptet, die Magdalena ihn zur Ermordung der Eichstädter aufforderte, nahm ein Brotmesser und sein Rasiermesser zu sich und ging damit wieder zur Eichstädter hinauf. Hier, sagt Riembauer, habe nun die Eichstädter von neuem zu toben angefangen und ihr Begehren mit der Drohung wiederholt, daß sie im Weigerungsfall ihn bei der Ortsobrigkeit und bei seinem Konsistorium verklagen und überall sagen wolle, was für ein Mensch er sei. In dieser fürchterlichen Lage sei ihm von neuem der Pater Stattlerische Grundsatz eingefallen. Zuerst habe er daher das Brotmesser ergriffen, mit diesem auf die rechte Seite ihres Halses zugestoßen, aber zu großen Widerstand empfunden und das Messer, weil es zu stumpf gewesen, wieder fallen lassen. Hierauf habe er ihr, die sich zu wehren gesucht, während er sie von hinten bei dem Halse festgehalten, unversehens auf den Kopf geschlagen, die Finger in den Mund gesteckt und sie zu erdrosseln versucht. Währenddem habe er ihr zugerufen, sie möge Reue und Leid machen, denn sie müsse sterben; worauf sie ihn flehentlich um ihr Leben gebeten.

»Nun nahm ich das Rasiermesser aus der Tasche, brachte, die Eichstädter rücklings umarmend, mit der rechten Hand die Schneide an ihren Hals und half mit den Fingerspitzen der linken Hand das Messer in die Gurgel einzudrücken. Ich merkte gleich an ihrem Schluchzen, daß ich einen starken Einschnitt gemacht habe und ließ das Messer fallen. Sie stand noch zwischen drei und vier Minuten ganz frei da, und ich sprach während diesen zu ihr: ›Mariandel, ich bitte dich und Gott um Verzeihung! Du wolltest es selbst so. Bitte zu Gott um Verzeihung deiner Sünden, und ich gebe dir die Absolution.‹ Ich gab ihr solche auch in diesem casu necessitatis. Jetzt sank sie um, als wenn ihr die Knie brechen wollten. Ich nahm sie rückling unter die beiden Arme und ließ sie sanft auf den Boden nieder, damit sie nicht falle. Als sie auf dem Boden lag, sprach ich ihr noch ein paar Minuten geistliche Trostgründe zu. Sie fing mit ihren Füßen zu zappeln an, bis ihre letzten Lebensgeister entflohen waren.«

Nachdem er von dem Mord in das untere Zimmer zu den Frauenknechtschen gekommen war, denen er zu schweigen befahl, und wo er später seine blutigen Hände wusch, hörte er auf einmal wieder in der oberen Stube ein Zappeln und Trampeln.

»Eines von den Frauenknechtschen«, erzählt Inquisit weiter, »rief: ›Jesus Maria, die wird wieder lebendig!‹ Hierauf eilte ich mit dem festen Entschlusse, die Eichstädter keineswegs mehr lebendig werden zu lassen, weil sich die Folgen ihres Fortlebens nach dieser Katastrophe mir noch schrecklicher darstellen mußten. Und so ging ich nochmals über die Eichstädter und drehte ihr ihre Halsbinde enger zusammen, teils um ihren Tod zu befördern, teils aber auch ihre Leiden abzukürzen. Ob sie sich aber dort noch bewegte, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.«

Im fortwährenden Widerspruch gegen Katharinens Aussagen behauptet er, daß der Leichnam nicht in derselben Nacht, sondern, nachdem er den ganzen folgenden Tag auf seinem Zimmer gelegen, erst in der Nacht vom dritten auf den vierten November in dem Seitenkämmerchen des Stadels begraben worden sei. Er habe zwar selbst das Loch gegraben, aber Magdalena Frauenknecht und ihre Mutter hätten ihm geholfen, den Körper auf einer Misttrage von dem oberen Zimmer bis in den Stadel zu schaffen und hier zu beerdigen. Über diese Begräbnisszene müssen wir noch einige Merkwürdigkeiten aus Riembauers eigenem Munde hören:

»Das von mir für den Leichnam gegrabene Loch schien zu kurz und zu seicht, weshalb der Kopf und die Arme, die in einer bittenden Stellung steif geworden waren, noch weit aus der Bedeckung mit Sand hervorragten. Ich trat daher auf den Kopf und auf die Mitte des Leichnams mit beiden Füßen und ging mit aller Gewalt meines Körpers auf demselben umher, wobei ich im Leib der Toten ein Knurren vernahm. Und nun bedeckte ich ihn mit Sand. Erst einige Zeit nachher warf ich auch noch Ziegelbrocken über das Loch. Vermutlich geschah dies, nachdem einer meiner Drescher, der in das Kämmerchen gegangen war, sich an die noch hervorragenden Hände gestoßen hatte. Auch ich war schon mit meinen Füßen daran gestoßen. Im Frühjahr trug ich mit Magdalena den von dem Bausand zurückgebliebenen groben Rest in die Kammer, wodurch die Grube eingeebnet wurde.«

Schließlich gesteht er, daß bei dem Herabtragen der toten Eichstädter einer ihrer Schuhe herabgefallen sei. Den habe er zerhackt und auf den Düngerhaufen geworfen. Weiter gibt er zu, sich die silberne Florschnalle der Ermordeten, ihren Geldbeutel mit ungefähr zwei Gulden sowie den dem Pfarrer O. gehörenden Regenschirm zu eigen gemacht zu haben. Dann habe er die Blutflecken teils durch Aufwaschen mit warmem Wasser, teils durch Abhobeln der Bretter zu vertilgen gesucht.

»Sonst weiß ich«, fährt er in einem seiner Verhöre fort, »über die traurige Geschichte nichts mehr anzuführen als meinen Jammer und mein stilles Leid, und daß ich öfters für die Eichstädter Messen appliziert habe.« Diese Redensart zeigt klar genug, welche würdige Vorstellung dieser Priester mit dieser seiner Kirche so heiligen Handlung verband. Er spricht davon nicht anders als wie der Handwerker von seiner Hände Arbeit oder vielmehr wie ein Bader von angelegten Senfpflastern.

Selbst nachdem er die Tat mit allen Hauptumständen eingestanden hatte, zeigt er keine eigentliche Reue. Vielmehr sucht er alle Künste jesuitischer Dialektik hervor, um seinen Mord bald zu rechtfertigen, bald zu entschuldigen. Einmal versuchte er zu behaupten, seine Hände seien durch Schrecken, Furcht und Fassungslosigkeit regiert worden. Nur auf diese Art sei der Einschnitt geschehen, ohne daß die Vernunft dabei eine Stimme gehabt habe. Als ihm hierauf bemerkt wurde, daß das Vorgeben eines willenlosen Handelns mit seinem Entschuldigungsgrund, nach einem Stattlerischen Grundsatz gehandelt zu haben, in offenbarem Widerspruch stehe, erwiderte er: »Der Stattlerische Grundsatz schläferte meine Vernunft ein, und die Schrecken und das Zusammendrängen aller Ansichten der Gegenwart und Zukunft und der innerliche Schauer, von diesem Grundsatze Gebrauch machen zu müssen, erlauben mir anzunehmen, daß alle weiteren Handlungen aus bloßem Mechanismus geschehen sind. Anfangs war freilich meine Vernunft vollkommen dabei. Aber sie ließ nach, wie der Stattlerische Grundsatz die Oberhand gewann und nun Schrecken und Furcht und die Aussicht auf die Zukunft dazwischen traten.«

Ein andermal macht er von dem bekannten, trefflichen Lehrsatz der Jesuitenmoral, nach welchem das Mittel durch den Zweck geheiligt wird, auf sich selbst eine umständliche Nutzanwendung, indem er zu zeigen sucht, daß er nur zu edlen und guten Zwecken gehandelt habe, folglich könne seine Tat unmöglich ein Verbrechen sein!

»Ich hatte keine andere Absicht, als den öffentlichen Skandal zu verhüten, den vielen Sünden und Übeln vorzubeugen, die aus dem Ärgernisse des Volkes hätten entstehen müssen, die Achtung gegen meinen ehrwürdigen Stand und die Ehre des Klerus aufrechtzuerhalten. Hätte ich bei dem Volke nicht in so hohem Ansehen gestanden, so hätte ich mir eine Diffamation eher gefallen lassen können. So aber konnte ich voraussehen, daß die Entdeckung meiner Gebrechen eine Menge Übel zur Folge haben werde. Nun würden sich die Menschen mancherlei Sünden erlauben. Manche würden nicht mehr an Gott geglaubt, andere dieses und jenes nicht mehr für so hoch und heilig geachtet haben. Da ich nun meine Absicht auf keine andere Weise als durch Hinwegräumung der Eichstädter zu erreichen wußte, so räumte ich sie hinweg. Diese Hinwegräumung war nur das Mittel zur Erreichung meines guten Endzwecks. Ich kann daher unmöglich glauben, daß meine Absicht ein Verbrechen sei, indem ich nur meinen öffentlichen Kredit sowie die Achtung des Klerus zu erhalten und den Skandal zu vermeiden suchte.« Riembauer, der nun solchergestalt bloß ad majorem Dei gloriam gemordet zu haben versichert, hat auch, wie er mehrmals wiederholt, nicht um seinetwillen, sondern bloß um öffentliches Ärgernis zu verhüten und die Ehre des Klerus in seiner Person aufrechtzuerhalten, folglich ebenfalls nur ad majorem Dei gloriam, vier Jahre lang sein Verbrechen geleugnet.

»Nur deswegen«, sagt er, »schmachtete ich so viele Jahre im Kerker und gestand mein Verbrechen nicht. Nachdem ich es aber als eine Bestimmung Gottes einsehen gelernt habe, daß meine Tat von mir selbst entdeckt werden solle, so gestand ich sie ein.«

Diese mit Jesuitenmoral geschminkte Lasterseele ist bis auf ihren Kern so voll sittlicher Fäulnis, daß sie sogar ihre Verstellungskunst und Heuchelei als ein von dem Staate zu berücksichtigendes Verdienst ganz naiv anzurühmen, nicht das mindeste Bedenken findet.

»Meinen Lebenswandel«, sagt unter anderem Tartuffe Riembauer, »habe ich rein eingestanden. Ich glaube aber auch deswegen Schonung zu verdienen, weil ich meine Handlungen so einrichtete, daß sie keinesfalls öffentliches Ärgernis gaben.«

Hinsichtlich der dem Pfarrer Riembauer angeschuldigten Vergiftung der Magdalena Frauenknecht und ihrer Mutter war wohl so viel gewiß, daß beide im Juni 1809 plötzlich erkrankten und nach einem kurzen Krankenlager, die Tochter nach drei, die Mutter nach acht Tagen, angeblich am Nervenfieber starben. Allein nähere Anzeigen einer Vergiftung konnten nicht erhoben werden. Die Totenfrau wollte an den Leichen bloß die gewöhnlichen Totenflecken bemerkt haben. Zwar wurden auch bereits am 17. Dezember 1813 auf dem Kirchhofe zu Priel, mit Zuziehung ausgezeichneter Sachverständiger, die beiden Leichen ausgegraben. Es zeigten sich sogar an ihnen einige auffallende Erscheinungen. So fand man das Gehirn der Magdalena Frauenknecht bloß eingeschrumpft und beinahe so wohl erhalten wie an einer frischen Leiche. Auch war das Muskelfleisch in der Bauchhöhle in eine zähe, bastartige, noch faserige Masse, wie an einer Mumie, verschrumpft. Doch mittels chemischer Untersuchung des kleinen Restes der Eingeweide war keine Spur von Gift aufzufinden. Obgleich Hofrat W. die an Magdalenens Leiche beobachteten, äußeren Erscheinungen einigermaßen für bedenklich hielt, so lautet doch das Ergebnis seines Gutachtens, daß beide Personen höchstwahrscheinlich nicht an Gift, sondern durch den Mangel an gehöriger Pflege und Wartung sowie hinreichender ärztlicher Hilfe an ihren auf andere Art zugezogenen Krankheiten gestorben seien. Entscheidender noch sprach sich das Medizinalkollegium aus. Beide Personen seien am Nervenfieber gestorben, das damals in der ganzen Donaugegend geherrscht, woran zu derselben Zeit fünfzehn Personen in der Pfarrgemeinde Priel krank gelegen. Magdalena und ihre Mutter seien wahrscheinlich von einem kranken österreichischen Soldaten angesteckt worden, der aus Mitleid in den Pfarrhof aufgenommen und von Magdalena verpflegt worden war. Riembauer selbst leugnet jede Schuld an dem Tode dieser Personen.

Die Untersuchung erstreckte sich noch auf andere Gegenstände. Riembauer bekannte mit zuvorkommender Bereitwilligkeit, bloß um dem Richter, wie er sich ausdrückt, »einen Beweis seiner Aufrichtigkeit zu geben«, daß er zu Hofkirchen, als er seine damalige Geliebte, Maria H., für schwanger gehalten, sich eine Arznei verschafft habe, in der Absicht, derselben die Frucht abzutreiben. Desgleichen bekannte er unaufgefordert, seiner letzten Köchin Anna Weninger in gleicher Absicht einen Aufguß von Blättern des Säbenbaums, und zwar mit Erfolg, wie er glaubt, zu trinken gegeben zu haben. Dabei beruhigte er ihr Gewissen durch die Erinnerung, daß nach den Bestimmungen des kanonischen Rechts in den ersten Monaten der Schwangerschaft noch kein foetus animatus vorhanden sei. Nur um seine Aufrichtigkeit zu beweisen und um nebenbei den Satz zu erläutern, daß Gedankensünden keine Verbrechen seien, erzählt er, im einhundertundsiebten Verhör, daß, nachdem ihm einst der Wirt zu Grafentraubach auf sein Begehren ein Darlehen verweigert, ihm beim Fortgehen, als er schon mitten im Dorfe gewesen und er sich noch einmal umgesehen, der Gedanke gekommen sei, jenem Wirt sein Haus niederzubrennen. In gleicher Absicht und mit gleicher Unbefangenheit erzählte er im einhundertundneunten Verhör von seinem schon oben erwähnten jugendlichen Einfall, einen anderen Knaben zu töten und zu berauben. Im einhundertundzwölften gibt er noch den Umstand zum besten, daß er einmal, um einen ihm verhaßten Menschen aus der Welt zu schaffen, seine Gebete zu Gott auf dessen Tod gerichtet habe, worauf derselbe, wahrscheinlich durch die Macht des Gebetes, auch wirklich gestorben sei.

Von den angeschuldigten oder vom Inquisiten selbst bekannten strafbaren und schlechten Handlungen blieb jedoch nur der zu Lauterbach an Maria Eichstädter begangene Mord als Hauptgegenstand richterlicher Entscheidung übrig.

Solange Riembauer nicht gestanden hatte, mußte die ganze Stärke der Untersuchung auf die Ausmittelung und den Beweis von Anzeigungen gerichtet sein, um auf diesem Wege einen zusammengesetzten Beweis gegen ihn zu begründen. Dadurch wurde die Untersuchung auf so vielen Um- und Nebenwegen umhergeführt, die hauptsächlich die ungewöhnliche Dauer dieses Prozesses und jene erstaunliche Aktenmasse zur Folge hatte.

Erst das Geständnis des Inquisiten löste auf einmal alle Schwierigkeiten und veränderte den ganzen Standpunkt rechtlicher Beurteilung.

Das Strafgesetzbuch Art. 269, § 2 verlangt zum vollen Beweis des Tatbestandes durch eignes Bekenntnis, daß der Angeschuldigte entweder schon sonst als Verbrecher berüchtigt oder vermöge besonderer, hinreichend erwiesener Umstände als eine Person zu betrachten sei, zu der man sich des eingestandenen Verbrechens wohl versehen kann.

Der Gesetzgeber öffnete durch diese, wie uns scheint, ganz überflüssige und unpassende Bestimmung ein weites Tor zur Rettung einer Menge von Verbrechern. Denn bei sehr vielen, die sogar in die schwersten Verbrechen verfallen, zeigt weder ihr früheres Leben noch ihr Benehmen unter den Augen des Untersuchungsrichters, daß sie vermöge ihrer Grundsätze, ihrer Sinnesart, ihrer Begierden und Leidenschaften überhaupt eines Verbrechens, und nun auch gerade dieses Verbrechens, gar wohl fähig seien. Wie mancher begeht die gröblichsten Missetaten, bei dem alle, die ihn von jeher kannten, selbst die Richter, indem sie ihm das Verdammungsurteil sprechen, befremdet sagen müssen: »Wer hätte das von dem erwartet!« Warum soll aber ein Verbrecher bloß darum gegen die ordentliche Strafe bevorrechtet sein, weil er, seinen sonst an den Tag gelegten Gemütseigenschaften zuwider, zum erstenmal das Verbrechen begangen oder Gewandtheit, Verstellungskunst und Glück genug gehabt hat, den Unrat eines lasterhaften, in Greueln versunkenen Gemüts entweder mit dem Goldfirnis der Tugend zu überziehen oder denselben vor seinen Mitbürgern und späterhin selbst vor seinem Richter so zu verstecken, daß nichts Erhebliches zu den Akten kommt, womit die Behauptung gegen ihn gerechtfertigt werden kann, er selbst sei wirklich so schlecht oder so abscheulich wie seine Tat? Was hat der sittliche Charakter des Täters mit dem Tatbestande zu tun? Was gewinnt oder verliert dadurch, gerade hinsichtlich dieses Beweisgegenstandes, die Beweiskraft eines aus anderen Gründen und in jeder andern Beziehung vollkommen rechtsgültigen Bekenntnisses?

In dem vorliegenden Fall ging jedoch, wenigstens unseres Dafürhaltens, auch jene sonst ziemlich schwer zu erfüllende Bedingung, nach allen ihren Erfordernissen, ja noch weit über diese hinaus, auf das vollkommenste in Erfüllung.

Zwar gehört Riembauer nicht zu den Personen, die als Verbrecher, nämlich wegen anderer Handlungen gleicher oder ähnlicher Art als derjenigen, die den Gegenstand der Untersuchung ausmacht, bereits berüchtigt sind. Riembauer galt vielmehr vor aller Welt als ein frommer Geistlicher. Seine Laster wurden durch eigene Heuchelei und List und, wo allenfalls hier und da etwas Arges durchscheinen wollte, von anderen mit dem Mantel christlicher und amtsbrüderlicher Liebe zugedeckt. Dagegen ist seine ganze Lebens- und Prozeßgeschichte aus einer langen Reihe nicht bloß »hinreichend«, sondern vollkommen »erwiesener Umstände« zusammengesetzt, vermöge der er als eine Person zu betrachten ist, »zu der man sich des eingestandenen Verbrechens wohl versehen kann«. Es wäre gewiß höchste Beschränktheit, anzunehmen, als müsse, gemäß dieser Bestimmung, in dem Inquisiten, wenn von einem Diebstahl die Rede ist, ein besonderer Diebstahl, bei einer Brandstiftung eine eigentümliche Neigung zum Brandlegen oder bei einem Mord die Mordlust und dergleichen nachgewiesen werden. Jede Gemütseigenschaft eines Menschen, vermöge der er zu pflicht- und rechtswidrigen Handlungen besonders geneigt oder zum Widerstand gegen zufällig in ihm angeregte Begierden vorzüglich unaufgelegt, schwach oder unfähig erscheint, machen ihn zu einer Person, deren man sich eines Verbrechens wohl versehen mag. Von einem Menschen, der überhaupt einen sittlich verderbten, bösartigen Charakter bekundet, von einem herz- und gefühllosen, tückischen Knecht seiner Sinne, von einem Ruchlosen, in dem die Stelle der Religion und des Gewissens Grundsätze vertreten, nach denen das Verbrechen entschuldigt und das Laster eine Tugend ist, von einem solchen läßt sich nach allem, was die Erfahrung lehrt, mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussehen, daß er, sobald ihn eine Leidenschaft oder ein Bedürfnis mit eigener Gewalt anfaßt, jedes Verbrechen, dessen er zu ihrer Befriedigung bedarf, ohne großen Anstand begehen werde. Wer die Gesetze der Religion, an welche er selbst glaubt, mit leichter Seele überspringt, wird mit den Gesetzen der Menschen noch weniger Umstände machen. Und wer sein eigenes Gewissen nicht scheut, wird um so weniger fremde Rechte scheuen, da er sie nur insofern achten kann, als er sie in seinem Gewissen findet. Von einem Jähzornigen darf man Totschlag und Körperverletzungen, von einem liederlichen Faulenzer Verbrechen gegen das Eigentum und von einem Schurken, nach Zeit und Umständen, jedes Verbrechen erwarten. Aber Zeit und Umstände, nämlich die besonderen Verhältnisse, Veranlassungen, Bedrängnisse oder Gelüste sind es, die immer noch hinzukommen müssen, damit ein Mensch, mit den vollkommensten Anlagen, positiven und negativen, zu Verbrechen, auch zum wirklichen Verbrecher werde. Das Urteil über die Frage, ob jemand, in besonderer Beziehung auf ein gegenwärtiges Verbrechen, für eine Person zu halten sei, von der man sich dieser Tat versehen kann, wird daher erst dann fest begründet sein, wenn sich nachweisen läßt, daß der Verbrecher sich in Verhältnissen befunden hat und ihretwegen solche Veranlassungen und Beweggründe zur Begehung des Verbrechens gehabt habe, die wegen ihrer Übereinstimmung mit seiner Gemütsart es vollkommen erklären, warum er so gehandelt habe, wie er wirklich gehandelt hat.

Dieser Riembauer erscheint nach den erwiesenen Tatsachen als ein lasterhafter Mensch im Priesterrocke, der seine innere Unwürdigkeit und die Unsittlichkeit seines Treibens hinter dem einstudierten Betrug erlogener Frömmigkeit und Tugend verbirgt. Der die Scheinheiligkeit als Mittel zur bequemeren Befriedigung seiner Lüste und seine Religion zur Heiligung oder Beschönigung alles desjenigen gebraucht, was eben diese Religion verdammt. Nicht ein Laster allein, auch nicht die Scheinheiligkeit für sich allein, aber die Scheinheiligkeit als Deckmantel und Werkzeug des Lasters ist Folge und rückwirkende Ursache eines nichtswürdigen, schändlichen Gemütes, dem Sinn und Gefühl für das Gute und Rechte abgestorben und dem nichts mehr von all demjenigen, was den Menschen vom Bösen abhält, ehrwürdig und heilig ist. Für die Scheinheiligkeit, die hier in unserem Mordpriester dargestellt ist, fehlt es in unsrer Sprache am bezeichnenden Wort, dessen auch die französische Sprache so lange entbehrte, bis Molière den allgemeinen Begriff in der Person des Herrn Tartuffe zur Anschauung gebracht hatte.

»Le fripon, qui se sert du manteau de la religion; c'est un tartufe. C'est un vrai tartufe«, sagt Voltaire in seinem Dictionnaire philosophique. Wer Religion, Tugend und Gewissen als eine Schauspielerrolle zur Aufgabe seines Lebens macht, um desto bequemer das Gegenteil von dem zu sein, was er scheinen will, hat eben dadurch in seinem Innern von Religion und Gewissen, und zwar mit Verachtung, sich losgesagt und ist als ein ruchloser Mensch ohne Religion und Gewissen schon dadurch allein jedes Bubenstücks, jeder Schandtat, jedes Greuels fähig. Er kann nichts Gutes, nichts Edles, nichts Heiliges achten, da er dieses alles zum Mittel des abscheulichsten Betrugs mißbraucht und Religion und Tugend bis zu dem Grade herabwürdigt, daß sie ihm sogar als Werkzeuge des Lasters dienen müssen. Was man dem Schlechtesten dienstbar macht, hat man zu achten aufgehört und ist unserem Willen kein Gesetz, keine Schranke mehr. Ein Maskenkleid schätzt man nur zur Maskerade. Tartuffe, der seine Lasterhaftigkeit in dem Domino der Heiligkeit einhergehen läßt, muß, so gewiß er heimlich der Dummköpfe spottet, die sich dadurch betrügen lassen, ebenso gewiß alle die Dinge verlachen, durch deren Schein die Dummköpfe von ihm betrogen werden. Der lasterhafte, fromme Heuchler und Tugendlügner ist überdies nicht nur bis in das Innerste der Seele ein falsches Doppelwesen, ohne alle Redlichkeit und Wahrheit, sondern auch bei der Notwendigkeit, stets gegen sich selbst und andere auf der Lauer zu stehen und immerwährend mit dem guten Schein zu betrügen, eine trockene, rechnende Verstandesnatur, an deren Kälte zuletzt alle Liebe, Freundschaft, Teilnahme, Mitleid und wie sonst die edleren menschlichen Gefühle heißen mögen, in Hartherzigkeit und Fühllosigkeit erstarren müssen. Dabei ist zu bedenken, daß der Zwang, den die Maske, die er anderer Menschen wegen trägt, fortwährend seiner Natur antut, nicht verfehlen kann, sein Gemüt mit einem guten Vorrat von Tücke, Bitterkeit, Bosheit und, wenn nicht geradezu Menschenhaß, doch menschenfeindlicher Stimmung zu vergiften. Wer als scheinheiliger Schelm anfängt, ist daher nach allem diesem auf dem geradesten Weg, sobald die Gelegenheit es gibt, als Bösewicht zu endigen.

 

Da nun der Tatbestand nach allen gesetzlichen Voraussetzungen zur rechtlichen Gewißheit gebracht, auch kein gesetzlich mildernder Umstand vorhanden ist, kann die ordentliche Strafe zur Anwendung kommen. Da auf Mord nach Art. 146, Teil 1 des Strafgesetzbuches die Todesstrafe steht, so hatte, unseres Dafürhaltens dieser Verbrecher von Rechtswegen die Todesstrafe verdient.

Jedoch wurde in erster Instanz am 4. April 1818 erkannt: »daß Franz Sales Riembauer des Mordes schuldig und mit Festungsstrafe des zweiten Grades auf unbestimmte Zeit zu bestrafen sei.«

Es vertritt dieser Grad der Festungsstrafe bei Personen aus dem höheren und gebildeten Ständen die Stelle des Zuchthauses sowie die Festungsstrafe ersten Grades die Stelle der Kettenstrafe. Der entscheidende Grund für dieses Strafmaß lautet: »Die ordentliche Strafe kann nicht eintreten, weil in dem Tatbestand die Leichenöffnung mangelt.« Der Leichnam der Eichstädter hatte über sechs Jahre in feuchtem Boden begraben gelegen. Daher war von ihm nichts als das Gerippe, und selbst dies nicht ganz vollständig, übriggeblieben. So mußte begreiflicherweise eine förmliche Obduktion der Leiche unmöglich sein. »Und weiter, da der Charakter des Beschuldigten nach den früheren Erfahrungen nicht nach seinem eigenen späteren Bekenntnissen und dem Tatbestande über die jetzt untersuchten Handlungen zu beurteilen ist.«

Das am 1. August 1818 gesprochene Erkenntnis zweiter Instanz verschärfte die zuerkannte Strafe, stimmt aber im übrigen in der Hauptsache mit dem vorigen überein, in dem es ausspricht:

»daß Franz Sales Riembauer des Verbrechens des Mordes für schuldig zu erklären und mit Festungsstrafe des ersten Grades zu bestrafen sei.«

Der Entscheidungsgrund, warum Riembauer auch in zweiter Instanz mit der Todesstrafe verschont wurde, trifft im wesentlichen mit dem des ersten Erkenntnisses überein. Zwar heißt es in den Entscheidungsgründen: »Riembauers Leumund wird, wenngleich seine Predigten, seine Religiosität und sein früherer Amtseifer sehr gerühmt wurden, im ganzen als schlecht bezeichnet sowie denn seine große Liebe zum weiblichen Geschlecht, die vielen Schwängerungsfälle, seine Heuchelei und Sucht, bei großer Immoralität dennoch vor den Augen der Welt als moralisch und heilig zu erscheinen, die Geschichte des Kaufs des Thomashofs, dann seine Grundsätze über Notwehr und den Wert des menschlichen Lebens den Charakter eines Geistlichen unstreitig als schlecht zu beurkunden.« Dessen ungeachtet wird ein Mangel am Tatbestand darum als vorhanden angenommen, »weil Riembauer sonst als Verbrecher nicht berüchtigt und nicht aus dem Geständnisse des Inquisiten selbst, sondern anderswoher erhellender Umstände mit Bestimmtheit als eine Person zu betrachten ist, zu der man sich eines Mordes versehen kann«.

Zur Rechtfertigung unserer oben entwickelten Meinung erlauben wir uns nur noch folgende Bemerkungen: Das Geständnis über die Tat selbst, hinsichtlich welcher gefragt wird, ob sie dem Charakter des Angeschuldigten zuzutrauen sei, kann allerdings bei Beantwortung dieser Frage nicht mit in Erwägung kommen. Daß aber von dem abzuurteilenden und eingestandenen Verbrechen verschiedene andere innere und äußere Tatsachen, aus welchen der Charakter des Angeschuldigten zu beurteilen ist, nicht durch Geständnis sollten vollkommen erwiesen, nicht einmal hinreichend erwiesen werden können, will dem Verfasser nicht einleuchten. Das Gesetz verlangt »hinreichend erwiesene« Umstände. Zu den Beweismitteln rechnet aber das Strafgesetzbuch überhaupt das Bekenntnis, die eigene Aussage des Angeschuldigten. Und nirgends findet sich eine gesetzliche Bestimmung, die dem Bekenntnis, womit noch bei weitem wichtigere Dinge, die Tathandlung selbst, der rechtswidrige Vorsatz, der Vorbedacht und dergleichen vollkommen erwiesen werden, die Beweiskraft gerade nur über diejenigen Umstände abspräche, aus welchen der sittliche Charakter des Angeschuldigten im allgemeinen und in besonderer Beziehung auf das jetzt zu bestrafende Verbrechen beurteilt werden kann. Auch ein gesetzgebender Grund ist dafür gar nicht denkbar.

Daß daher Riembauer, um andere nicht auf Bekenntnissen beruhende Tatumstände hier zu übergehen, schon als Knabe Mordgedanken, als Priester Brandstiftergedanken gehabt, daß er einen Menschen aus Rache durch Beten zu morden, Kinder abzutreiben versucht und sich aus Pater Stattlers christlicher Sittenlehre einen den Mord heiligenden, allgemeinen Grundsatz ausgezogen hat, sind unseres Dafürhaltens als nicht zu bezweifelnde, durch die eigene Aussage des Inquisiten vollständig erwiesene Umstände zu betrachten, die, da sie nicht Teile des Hauptbekenntnisses sind, für die zu beantwortende Frage die allerbündigsten Entscheidungsgründe darbieten. Ob übrigens ein Mensch, von dem man weiter nichts weiß als die eben bemerkten Tatsachen, nicht eines Mordes für fähig gehalten werden müsse, zumal unter Umständen, auf die der Stattlersche Grundsatz vollkommen seine Anwendung fand, ist eine Frage, auf die weder ein Gesetzbuch noch die Rechtswissenschaft, sondern allein die Seelenkunde und Menschenkenntnis die Antwort geben.


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