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36

Mit einem spätem Zug langte am gleichen Tage auch Emil in der Hauptstadt an.

Es waren kaum acht Wochen verflossen, seit er von hier in die Berge verreist war. Aber er konnte das fast nicht glauben. Ihm waren es Jahre, und er fühlte sich auch um so viele Jahre älter und reifer.

Gern wäre er noch schnell ins Manußhaus gefahren. Walter würde dort wohl ungeduldig auf ihn warten. Vielleicht war auch der Oberrichter noch dort. Aber in einer halben Stunde trat die Kommission zusammen. Emil mußte vorher unbedingt mit Bert sprechen. Dem wollte er die Leviten lesen!

Die schöne, kluge Maria führte ihn mit einem unerklärlichen Lächeln zur Stube, wo Bert im Lehnstuhl saß und mit einem frischen, rüstigen Sinn die Depeschen des Mittagsblattes las. Er erhob sich eilig, wie alle Genesenden, aber linkisch und mit hängenden Gliedern.

»Ich weiß schon, ich weiß schon,« sagte er aufgeräumt und stellte eines seiner kleinen, grauen Augen gleichsam auf Trauer das andere auf Schadenfreude ein. –

»Was weißt du schon?« fragte Emil streng wie ein Richter

»Der alte Berggeist, – nicht, – hat euch tüchtig ins Zeug gepfuscht – Bäche, Versandung, Steinrutsch, – lies nur! – Der Absomer ist ein Genie, das wußte ich.«

Emil überflog die Depeschen. Ganz allgemein notierten sie die Verheerungen des Gewitters vom Samstag auf den Sonntag über einem Teil der Ostalpen, darunter auch über den Absomergebiet.

»Aber da liesest du mehr heraus, als drinnen steht,« sagte der Manuß böse. Er war nicht zum Spaßen gekommen.

»Ich weiß natürlich noch viel mehr,« entgegnete Bert ruhig.

»Das glaub' ich. Zum Beispiel, daß die Bahn über Absomalp gar nicht ausführbar ist«

»Jaso, habt ihr das jetzt doch auch herausgebracht?« entfuhr es Bert fast frohlockend.

»Warum hast du das den Leuten nicht beizeiten gesagt?« schalt Emil. »Deine Pflicht war's. Ich finde das, milde gesagt, eine strafbare Ungehörigkeit.«

»Keine so bösen Worte, Miggi! – Marie, Marie!« Er klingelte. »Bring' uns eine Flasche Veltliner – weißt du, ich darf wieder pinten. – Stoßen wir auf den unbesiegten Absomer an.«

»Bert!« brauste Emil auf.

»Warum denn nicht?« fragte Bert arglos.

»Ich habe keine Zeit dazu. Um drei Uhr ist Kommissionssitzung.«

»Weiß schon. Ich bin doch auch dazu geladen. Aber vor halb vier Uhr tritt bei uns keine Drei-Uhr-Kommissionssitzung zusammen. Die vier Braten, das Geflügel, der Rahmkäse und so und so viele Schnäpse und Jässe – o unsere Kommissionen!«

»Du bist zum Scherzen aufgelegt, aber mich dünkt, doch zu einer gar ungeschickten Zeit!«

»Nie geschickter, Miggi! – Schau, ich weiß soviel Lustiges!«

»So red einmal, du altes Rätsel!« forderte Emil etwas befangen.

»Nein, zuerst mußt du mich wirklich absolvieren. Mir gab man die Strecke Absom-Miezeler-Absomalp. Ich wollte die ganze Linie prüfen und habe die Weigete gleich mit Mißtrauen betrachtet. Aber da hieß es: Tu du nur deine Schuldigkeit. Die Geologen haben alle Strecken untersucht und als durchaus gesichert taxiert. Mußt wissen, der größte Erdkenner von ihnen ist ein Vetter des Präsidenten Broller. Der wisse ja, hieß es, alles Absomergebiet im Kopf auswendig. Was tun? Ich führte meine Messungen bis zur Alpe aus –«

»Und die sind flott genommen, das ist wahr –«

»Laß, Laß! – Aber je mehr ich das Volk und die ganze Talpolitik und den freien Berg kennen lernte, um so widerlicher ward mir die Arbeit. Bisher hatte ich immer mit Land und Leuten gewerkt. Hier mußt' ich's zum erstenmal Land und Volk zuwider tun. Davon bin ich unglücklich und krank geworden. Glaub's nur, die Erkältungen sind nur eine Ausrede!«

»Aber warum hast du das Gerümpel dann dem Broller nicht vor die Füße geworfen?«

»Ich wollte aufs erste große Regnen warten. Da wollt' ich erfahren, was sich in der Weigete nach einer strammen, strengen Wasserschütte begäbe. Vorher gab ich's nicht gern in fremde Hände. Von den meisten Kollegen wußt' ich wohl, daß sie die Linie, grad oder krumm, einfach fertigzeichnen, einerlei, ob das Werk dann bei der Ausführung verlumpe. Und du warst im Waadtländischen beschäftigt.«

Emil nickte. Seine Richterstimmung schwand merklich. »So hielt ich trotz dem Nierenleiden noch eine Zeitlang aus. Da vernahm ich deine Heimkehr. Du wollest in die Ferien. Mich verließen die Kräfte. Ich ward nach Hause transportiert, rief dich zu mir und war unendlich froh, daß du Ja sagtest. Man hatte mir unter der Arbeit auch die zweite Strecke übergeben. Also hattest du den ganzen Berg in Händen. Du konntest jetzt mit deiner ehrlichen Kunst meine – ungehörigen – meine – wie sagtest du nur? – meine Schnödigkeiten oder so was – gutmachen.«

Maria hatte die Gläser gefüllt und sagte fröhlich: »Wohl bekomm's!«

Emil hackte die Oberzähne in die Lippe und errötete über das ganze Gesicht. Aber rasch erhob er sein Glas und sprach: »Fräulein Marie, auf Ihr Wohl und gutes Herz!«

Sie neigte anmutig ihre große Stirne und ging lautlos wie eine weiße Wolke hinaus.

»Nun fahr' ich mit dir in die Verhandlung und sekundiere. – Aber ich wollte von dem gar nicht reden, sondern ich wollte vielmehr –« er erhob sich feierlich und drückte mit seiner vermagerten Rechten Emils Hand fast schmerzhaft – »dem glücklichen Vater gratulieren! He, stoßen wir diesmal auf Mang an!«

Emil war zaudernd aufgestanden. »Das weißt du auch?« lispelte er beschämt. »Ach so, der Hinz, der große Posaunenbläser, war ja wohl schon da.«

»Das hab' ich doch lange vor Sette und Heinz und selber vor dem eigenen Vater gewußt,« erklärte Bert lustig.

»Du?« – Emil trat vor Staunen einen Schritt zurück.

»Was ist da so kurios? Ich war doch bei Uelis, bei Brollers, bei Mang und oft in der Plättlihütte bei den Sennen. Mit Mang war ich wochenlang allein. Da war's wahrhaftig kein Kunststück mehr, den Vater dieses Jungen zu erraten. Du weißt doch, daß ich Anno dazumal munter dabei war und dich den ganzen Tag wegen deinem abenteuerlichen Heimlichtun in der Plättlihütte und wegen der Jungfer aufgezogen habe. Und dann die Ähnlichkeit! Diese grünen Eidechsenaugen! Die haben eigentlich meine ganze Entdeckung angestiftet. Damals schien sie mir ein Wunder von Zufall. Jetzt würd' ich's für ein Wunder halten, wenn ich oder du daneben vorbeigegangen wäre. Ganz unmöglich ist das zu denken.«

»Bert, Bert,« rief Emil mit wunderlicher Sanftmut in der Stimme, »und du hast mir nichts gesagt!«

Bert sah den Manuß mit kleinen, lustigen Augen an.

»Ich mein', du willst mich narren, Miggi!«

»Nein, Bert, das mit der Bahn mag angehen, – aber das andere da, so etwas Wichtiges, ja Furchtbares zu verschweigen, mir, dem Vater, – Bert, das ist eine –«

»Keine bösen Worte, bitte, Miggi,« wehrte Bert schnell ab. »Also, du kommst zu mir ans Bett, und ich sage dir: Miggi, übernimm die obere Absomerstrecke! Du findest dort schwierige Felsen und nebstdem so bei Gelegenheit einen fünfzehnjährigen Buben, dem du Vater bist! – Du hättest gelacht, mich ausgespottet und mir keine Silbe geglaubt. Einen Beweis von Fleisch und Blut oder auch nur aus dem Munde jenes Weibes hätte ich dir nicht erbringen können. Auf keine Art hätte ich deinen harten Kopf überzeugt. Du wärest widrig geworden und hättest die Linie gar nicht mehr übernommen. Mir aber hättest du sicher die Freundschaft gekündigt!«

»Das hätt' ich.«

»Und doch wärest du immer ein wenig unruhig geblieben.«

»Sicher, Bert, du hast jetzt immer recht.«

»Dazu war ich den Aufregungen einer solchen Mitteilung und allem, was zwischen uns geschah, nicht mehr gewachsen, als ich dich an meinem Bett sah. Ich soll schon recht irr' geschwatzt haben. Was wäre da Dummes herausgekommen!«

»Bert, ich sehe schon, ich, ich habe jetzt wie ein Verrückter geredet.«

»Da war es besser, du gingest ohne Ahnung hin. Es mußte ja in einem solchen Flecklein Land, wo jeder dem andern auf die Füße steht, alles von selber kommen. Bei dir gewiß noch schneller als bei mir: das Erinnern dort oben, die Gerüchte, die Cäcilie, der Mang, der Bastian und so weiter, was dein scharfer Verstand alles dazu erriet. Und ich wußte, es würde dir ganz anders zumute, wenn du alles selber sähest und tropfenweise erführest, aber bis aufs Tüpfelchen genau und gar nicht zum Entrinnen mehr! Und wenn du dann dem Mang in die seltenen Augen blicktest! – Und wenn die Berge dazu – so –weißt du, wie's mir immer vorkommt? – so wie etwa der Chor der Alten in einem Griechenstück – stumm zuschauen, aber dann doch auch in einer entscheidenden Szene gewaltig mitreden – das hast du wohl auch erfahren – oder? –«

»Wie du das schön sagst! Ach, vielmal, Bert, hab' ich's gespürt.« – Emil dachte an den ersten Aufstieg über die Mordfluh, an die Szene auf dem Gipfel, ans letzte Gewitter.

»Und so war's doch besser, ich ließ dich allein schalten. Du machst es dann schon recht. Das freilich hat mir nun Heinz prächtig erzählt. Laß dich umarmen, Herzkerl, trockener, kalter, langweiliger und nun doch so ein Lieber! – Und dir nochmals gratulieren zum Bub – und gerade so einem! – und wenn ihr nun einen Götti Pate braucht, so –«

»Dir bin ich viel schuldig!« gestand Emil erschüttert. Er vermochte noch nicht zum letzten Späßchen zu lachen.

Wahrhaftig, dieser halbkranke Bert warf ihn aus allen Sätteln. Mit jedem Satz sagte er ihm eine Wahrheit. Erst jetzt sah Emil, was die herrlichen Berge in dieser kleinen Spanne aus ihm gemacht hatten. Scham und Freude überwältigten ihn fast.

»'s ist angespannt,« meldete Maria. Dann fragte sie mit schelmischer Unschuld: »Darf ich wohl einmal mit den Kindern zu Heinz hinüber? Alle möchten den jungen Absomer sehen.«

»Geht nur alle und macht ihm Kurzweil,« ermunterte Emil.

Darauf gab es eine junge Völkerwanderung ins Manußhaus.

………

Die Verhandlungen geschahen merkwürdig knapp und ruhig. Die Ingenieure wiesen nach, wie gründlich das Bodenstudium gewesen, und wie sich infolge der Sommergewitter die geplante Linie als schlechthin unausführbar gezeigt habe. Mit kleinen, aber sehr festen und gescheiten Zahlen rechnete Emil aus, daß eine Bahn auf den Absomer mit heilen Gliedern nur von der andern Seite erstellt werden könne, daß hierbei ein dreistündiger Bogen durch starken Felsbau nötig sei, daß dann aber eine achtziffrige Summe notiert und Betriebskosten gefordert würden, die auf ein Jahrhundert statt Dividenden Zuschüsse zeitigten. Diese Zahlen Emils machten eine so unerbittliche Miene, daß kein einziger Aktionär ein Widerwort versuchte. Man hatte Mühe genug, sich der scharfen Hiebe Emils wegen liederlicher Unternehmung, Irreführung zweier Ingenieure und zu großer Sorglosigkeit der engern Kommission zu erwehren. Das Schicksal des Hauptbeteiligten lag wie eine dunkle Wolke über den Köpfen. Emil bewies, daß der Broller, dieser kühne, in seiner Art genialische Mann, es durchaus nicht verdiene, als Sündenbock vorgeschoben zu werden. Nicht seine großartigen Übergriffe, sondern die Naturgewalten hätten ihn zu Fall gebracht. Es würde einen Makel auf alle die Herren hier und ihr weiteres Geschäftsgebaren werfen, wenn sie nicht solidarisch Brollers Finanzen zu den ihrigen machten, das heißt, in seine Verluste kollegial einträten. Wenn jeder von den im Provisorium unterzeichneten achtzig Herren für seinen achtzigsten Teil hafte, gebe es gar keine Schwierigkeiten, und ein großartiger Mann mit seiner ganzen Familie sei dadurch vor dem Ruin bewahrt. Der Broller verdiene um so mehr Hilfe, als er weniger für seinen Sack als für den Ruhm seines Ländchens so gewalttätig gehandelt und alles, was er eigenmächtig vorauswirkte, zum allergrößten Nutzen der Aktionäre gewagt habe. So den Vorkauf von Wiesen, Wäldchen und Weidstreifen. All das wäre nach der Konstituierung der Gesellschaft und nach der Ausgabe der Aktien dreimal teurer gekommen. Sehr eindringlich sagte Emil, er und ganz Absom erwarte von den Herren denn auch diese Solidarität als etwas Selbstverständliches. Er, fügte der Sprecher noch ätzend scharf bei, schon darum, weil sonst eine Reihe von schweren Anklagen auch gegen einige Mitglieder hier, besonders gegen die engere Kommission und das sogenannte geologische Komitee, fast unvermeidlich würden. Denn er stehe stramm für Ernst Broller ein und habe bereits amtlich die Regelung seines Soll und Haben im Auftrag der Familie und Gemeinde übernommen.

Schwere, schwere Atemzüge gingen durch den Saal der Safranzunft. Einige Herren zogen nervös ihre dicke Uhrkette fester, andere kratzten, wo es keinen Haarwuchs gab, der Aktuar putzte immer wieder seine Brille, und Herr Sutter buchstabierte leidenschaftlich das Wort Museum rückwärts und versuchte es dann von vorne und von hinten rasch dreimal nacheinander auszusprechen, was tatsächlich schwierig war. Aber am tiefsten ließ das Vizepräsidium den Kopf hängen. Denn zu allem hatte es vor der Sitzung fünf Kreuzjässe verspielt, fünfe nacheinander, und nur weil sein Mitpartner sein Augenzwinkern nicht verstehen wollte. Dem mochte er eigentlich den Hereinfall mit der Bahn ordentlich gönnen.

Nur Herr Peter Affenloser, der nachmittags drei Kaffee mit sechs Kognaks getrunken hatte, vermochte noch mit einem letzten Rest von Optimismus den Manuß anzulächeln. Das wollte etwas heißen, in der allgemeinen seelischen Depression so hervorragender und charaktervoller Männer noch allein das Fähnlein der Unverzagtheit zu schwingen. Der Aktuar wird es zu Protokoll nehmen.

Den Ingenieur ergötzte die Qual dieser Profitknechtlein unendlich. Um so ärgerlicher ward ihm der einzige Lacher da in der zweiten Bank. Aber da half nichts. Er mußte einmal mit dem tröstlichen Teil seiner Rede beginnen. Er tat es verdrießlich. Aber dabei sah er den Fähnleinschwinger so grün und gefährlich an und begann mit einer so eiskalten Stimme, daß nun auch dieser Kaffeeritter erblaßte und überhaupt die ganze Korona meinte, nun würden sie alle endgültig geköpft.

Ja, sagte Emil trocken wie ein Pfund Kreide, er wolle ihnen nun einen Weg öffnen, auf dem sie nicht nur ihre eigenen Fehler gutmachen, sondern auch den Schaden mit der Absombahn dreifach decken und ein gutherziges Völklein beglücken könnten. Darauf legte er ruhig seinen Plan eines Straßenbahnnetzes vor, Karten, Skizze, Berechnung der Kosten und Einnahmen. Er schilderte die unbenützten Wasserkräfte, die da massenhaft aus den Schluchten geholt würden, und strich insbesondere die soziale Wohltat eines solchen Verkehrsmittels heraus. Dabei wußte er fein zu malen, wie die böse Stimmung im Volke wegen der unbeliebten und aufgezwungenen Bergbahn durch so ein gemeinnütziges und volksfreundliches Unternehmen verwischt würde. Denn jedes Bein würde in einem so häuserbesäten, menschenvollen, aber unwegsamen Hügelland den Segen der Straßenbahn schon in der ersten Woche merken und laut preisen. – Es wirkte ermutigend, daß Emil sich selber sogleich mit einer fünfstelligen Summe als Hauptaktionär ins Projekt stellte und Bert das gleiche Manöver mit einer zwar nur vierstelligen, aber immer noch recht kühnen Zahlenreihe wagte. Die stille, doch mächtige Ansteckung, die ein fröhlicher Waghals stets auf andere ausübt, griff um sich, das sah man den nickenden und aufgeheiterten Mienen an.

Was Emil sehr hart und kalt, aber logisch erzählt hatte, erwärmte dann Bert mit seinen poetischen und malerischen Beifügungen. Er vergoldete sozusagen die grauen Skizzen des Manuß, malte eine Sonne darob und setzte einen süßen violetten Schatten daneben. Und wo Emil die frostige Mathematik und die fast ebenso frostige soziale Gerechtigkeit angerufen hatte, zitierte Bert viel lieber den Genius der Republik und die mütterlich flehenden, blauen Augen der Mutter Helvetia. So ward, bevor am Münster die Sechsuhrglocke bimmelte und die benachbarten Amtsleute aus ihren Bureaus erlöste, der einhellige Beschluß gefaßt, sich von einer verunglückten Bergbahngesellschaft in eine hoffnungsvollere Straßenbahngesellschaft umzutaufen. Morgen schon wollte man einen Augenschein vornehmen und mit den Landesbehörden und Gemeindehäuptern bei dieser Gelegenheit sich vereinbaren. Ist alles reiflich zubereitet, vor allem das Volk jener Gegend gründlich über die bequemen Fahrten im elektrischen Wagen aufgeklärt, und haben Bund und Kanton ihr Siegel daran gekleckst, so soll ohne Verzug an dieses von Steinschlag und Lawinen und Gießbächen gottlob unbedrohte, aber noch umfangreichere Werk geschritten werden.

Emil wurde zum Oberingenieur der ganzen Arbeit ernannt. Bert sollte sein Kollege sein, sobald er völlig genas. Für die Ausgaben Brollers erklärte sich die nun schon zum Prassen geneigte Gesellschaft Kopf für Kopf verbindlich. Emil erhielt alle erforderlichen Vollmachten und Kredite. So war Brollers Besitz und Geld zum größten Teil gerettet. Dem unglücklichen Manne wollte man über die heutige merkwürdige Umstellung seines Projektes baldmöglichst Mitteilung machen und ihm in den schwunghaften, klassisch geformten Perioden Berts die Hoffnung vermelden, daß der stattliche, heimatsfreudige Mann bald wieder am Werke persönlich mittue.

Die Gesichter hoben sich, und hochauf pflanzte Herr Affenloser wieder sein lustigstes Fähnlein. Der Aktuar spielte jetzt wie der verwegenste Schnelligkeitskünstler mit seinem ›Museum‹ Fuß- und Handball und der Vize sagte unter dem Portal: »Herr Affenloser, wollen wir's nicht nochmal mit einem Jäßchen probieren? Auf zwei, drei Kognaks kommt's mir nicht an. Nur,« er lächelte, »bitt' ich mir einen andern Stuhl aus.«

………

Indessen hatte Walter das stubenreiche Manußhaus in allen Winkeln durchstöbert, jede Waffe im Rüstkämmerlein von der Wand gerissen und beängstigend nahe um Heinzens Dichterhaupt geschwungen. Der alte Kerl duckte sich unter diesem stählernen Mutwillen. Noch tiefer bog er sich unter der Ahnung, daß er hier einen neuen jungen Tyrannen kriege. Von den Gemälden tüchtiger deutscher und schweizerischer Meister gefiel ihm nur ein von Anton Stockmann gezeichnetes Brustbild. Das war ein behelmter Jüngling, der auf irgendeinen Trompetenstoß hin mit heftiger Hand das Visier lüftet und mit einem heillos kecken Gesicht unter dem blauen Stahlschatten hervor nach einem Dutzend Königskronen ausschaut. Ein Eroberer jedenfalls, ein Achill oder Alexander! Von diesem Gesicht mochte sich der Bursche fast nicht trennen, und als es hieß, es sei der zweiundzwanzigjährige Emil Manuß selber, da merkte sich Walter den eigentümlich groben Namen des Meisters wohl. Der mußte auch ihn einmal abschildern als Förster und Jagdmeister in den Tannen oder noch lieber als Kavallerieoberst auf einem funkelnd schwarzen Rappen, die Manöver im Aaregebiet leitend &…133;

Dann kamen sie in die Bibliothek, wo Heinz den Wildling an die Glaskästen drängte, aber von Walter mit geradezu niederträchtigem Lachen hinausgezerrt wurde. Hinter dem Haus gefielen ihm die Lauben und Felsgrotten und ein tiefes Wasser am meisten, das von einem glashellen Bronn gespeist in der heimeligen Form des Vierwaldstättersees sein dunkles Kreuz durch all den buschigen und steinige Gartenspaß zog. So etwas Künstliches hatte Walter noch nie gesehen.

Aber nun zur Stallung! Hejo! – ein Apfelschimmel und ein sehr eleganter, kastanienbrauner Fuchs streckten ihre langen Köpfe mit den menschenklugen Augen dem Jüngling entgegen und dehnten und rekelten, als wäre ihnen eine kleine Unterhaltung mit dem neuen Gast lieb, die dünnen, seidenglatten Beine und schüttelten die kurze, wohlgekämmte Mähne. Walter bebte vor Entzücken. Er tätschelte die Tiere, die so ungeduldig wie er nach einem tollen Ausritt zur Stadt hinaus auf die Allmende verlangten. Vornehme Tiere, aber der dunkle irische Fuchs war das feinere. Auf dem muß er galoppieren. Und da er nicht sogleich aufsitzen konnte, schwang er wenigstens die Reitpeitsche, daß es dem Heinz wie von Hornissen um die langen Ohren summte.

Und wieder tauchte das kühne, junge Ritterbild vor seinem Auge auf. Der Maler hat da einen großen Fehler gemacht, dachte Walter. Kein Brustbild, eine ganze Figur hätte er geben sollen, so daß man das Pferd und die Sporen und in Reiters Hand, wenn nicht einen Speer, so doch eine flotte Peitsche sieht.


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