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Das Bildnis

Nicolaus Copernicus, Terrae Motor, Solis Coelique Stator – Beweger der Erde, Befestiger der Sonne und der Sterne – so steht oder stand es auf dem Denkmal, das die Stadt Thorn ihrem großen, ihrem unsterblichen Sohne errichtet hatte. In Warschau hielt ein Denkmal des größten dänischen Bildhauers Bertel Thorwaldsen die Erinnerung an den Astronomen wach, der mit seinem neuen Weltbild die Wende zu einer neuen Zeit einleitete, eine vorzügliche Büste – von Brodzki – stand im Museum der Polnischen Gesellschaft der Wissenschaften in Posen. Noch weiß niemand zu sagen, ob der Krieg diese und andere Denkmäler von Kopernikus vernichtet hat oder ob sie erhalten geblieben sind. Wie sich in sagenhafter Frühzeit der griechischen Geschichte sieben Städte um den Ruhm gestritten haben sollen, daß in ihren Mauern die Wiege Homers gestanden habe, so streiten sich seit vier Jahrhunderten zwei Nationen um das Recht, Kopernikus zu einem der Ihren zählen zu dürfen. Für uns Deutsche, die wir die stammesgeschichtliche Herkunft von Kopernikus kennen, mag dieser Streit müßig sein, in unserm Herzen ist er längst entschieden. Entschieden ist er freilich auch vor jenem höheren Richterstuhl der Unsterblichkeit, wo der Mensch gewertet wird und sein Werk sowie der Dienst, den er der Menschheit und der Wahrheit geleistet hat, nicht aber die Nation, der er bei Lebzeiten angehört hat. Weil wahre Größe zuletzt immer alle Grenzen sprengt, weil solche Grenzen einmal, vielleicht sogar in einer gar nicht so fernen Zukunft, fallen werden und nur noch eines gilt: die große Gemeinschaft der Menschen auf dieser durch den Weltenraum kreisenden Erde.

Es gibt auch viele Bildnisse von Kopernikus. Sie alle – auch jenes im Ehrensaal des Deutschen Museums in München – stellen ihn dar in der schönen, reichen, pelzverbrämten Tracht des ausklingenden Mittelalters, der beginnenden Neuzeit. Er könnte ein reicher Patrizier sein, ein Bürgermeister, ein Ratsherr, ein großer Kaufmann. Oder auch ein Gelehrter von Rang. Den Domherrn, den geistlichen Würdenträger, würde kaum einer von diesen Bildnissen vermuten. Bei allen aber deuten Papierrolle oder Zeichenblock und der Zirkel, den die langfingrige, schmalgliedrige Rechte hält, auf Werk und Berufung des Dargestellten. Dieses Mannes, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, das Unendliche messen zu wollen, die durch alle Sphären des Raums waltende Harmonie der Bewegungen nachzuweisen, ihren Gesetzen mit Zirkel und Rechenstift nachzugehen und eine seit Jahrtausenden den Menschen innewohnende Überzeugung als Irrtum und Täuschung der Sinne zu enthüllen.

Das Antlitz: schmal, hohlwangig beinahe, männlich–herbe, lang und edelrassig. Es erinnert in einigem an Rainer Maria Rilke, wie wir ihn aus vielen Abbildungen kennen, auch an die Darstellung, die Rilke einmal in ein paar schönen Versen von sich selbst gegeben hat. Eine große, starke Nase, und die klugen, ernsten, großen Augen, dazu bestimmt, in die Tiefen des Alls einzudringen, überwölbt von dem kühnen, hohen Bogen dichter, dunkler Brauen. Die klare Stirn wird überschattet von den wohl dunkelbraunen, vielleicht gar schwarzen Haaren, die auch bis tief in den Nacken fallen. Die Zeit der Allongeperücken war damals noch nicht gekommen.

Dies also war das äußere Bild eines Menschen, den man nur anzuschauen brauchte – wie oft auch sich ein Genie unter unauffälliger Maske verhüllen mochte –, um zu wissen, daß sich hinter dieser Maske ein Ungewöhnliches verbarg. Oder, eigentlich, nicht verbarg, sondern daß dieses Ungewöhnliche und Besondere, den Rahmen des üblichen Sprengende aus jedem Blick dieser großen, brennenden Augen, aus jeder Regung des bewegten Mienenspiels immer wieder hervorbrach.

Dies war die Schale. Sie deutete bereits auf den Kern, den sie umschloß. Sie vermittelte auch dem Unwissenden, dem Fremden und nicht Unterrichteten, eine Ahnung. Ob Kopernikus als Domherr seines Amtes waltete oder als Kapitularstatthalter, als Jurist und Schlichter in bürgerlichen Streitsachen oder als Arzt, der mit den damals bekannten Medizinen und Latwergen und Ratschlägen seinen Patienten zu helfen, die Krankheiten aus dem Felde zu schlagen bemüht war: immer wehte jene, die mit ihm in Berührung kamen, eine dunkle Ahnung an, daß er eben mehr war und anderes als nur Domherr, nur Verwaltungsbeamter des Bistums, nur Arzt, nur Richter.

Das andere ankerte tief in seiner Seele, in seinem Charakter. Auch wir Nachgeborenen, wir Menschen von heute erkennen es noch, wittern es mindestens noch aus der Art, wie er um die große, sein ganzes Leben beherrschende Idee, wie er um die Wahrheit und den Beweis für die von ihm erkannte Wahrheit rang.

Diese »Persönlichkeit«, sie wurde bei der Darstellung von Leben und Werk des Kopernikus immer wieder andeutend gestreift. Es sei versucht, sie noch einmal, und nun losgelöst aus den schon geschilderten Zusammenhängen, abzutasten und nachzuzeichnen.

Seine groß angelegte, wahrhaft adlige Natur reifte wie alles Edle nur langsam und spät. Fehl geht jeder, der aus der langen Zurückhaltung, aus der erst im Alter schließlich gefundenen Bereitschaft, sein Werk der Öffentlichkeit zu übergeben, auf Regungen wie Furcht oder Angst schließen wollte. Gewiß war ihm in keinem Augenblick seiner jahrzehntelangen Arbeit die Gefährlichkeit seiner Lehre fremd geblieben. Aber niemals fürchtete er etwa die Kritik der Kirche oder gar den Scheiterhaufen. Es gibt der Beweise genug, daß es ihm nie an Mut gebrach – auch dort, wo er sich damit in unmittelbaren Gegensatz zu seinen Oberen stellte –, bei notwendig werdenden Entscheidungen eindeutig Partei zu ergreifen. Diesen Mut also minderte seine hohe geistige Überlegenheit in keinem Augenblick. Und wenn er doch etwas fürchtete, so eben nur die Preisgabe der Wahrheit an eine unreife und unwissende Menge. Denn er wußte um das, zunächst wenigstens, immer Zerstörende einer befreienden Tat, einer neuen Wahrheit.

Entschuldigungen, mit denen Talente seit jeher leichter bei der Hand sind als Genies, hat er niemals in Anspruch genommen, niemals gelten lassen. Besessen von jener Aufgabe, der er ein ganzes, langes, keine Müdigkeit kennendes Leben, der er Tausende von stillen Nachtstunden widmete, hat er diese Aufgabe doch nie als Vorwand und als Rechtfertigung genommen, um sich jenen anderen Obliegenheiten zu entziehen, an die ihn sein kirchliches Amt band. Er war ein ausgesprochener Pflichtenmensch, und wir wissen es aus seiner Tätigkeit als Kapitularstatthalter, aus jener Zeit, da die amtlichen Pflichten plötzlich in nicht erwarteter Fülle über den bisher vom Schicksal so Begünstigten hereinbrechen, daß er jahrelang und ohne Murren und Klagen zu ihren Gunsten seine wissenschaftliche Arbeit zurücktreten ließ.

Er liebte die Einsamkeit. Das mußte wohl so sein bei einem Menschen, der in langen, stillen Nächten nur immer lautlose Zwiesprache mit den Sternen gehalten hatte, mit den Himmelskörpern, die aus unvorstellbaren Tiefen des Raumes ihre Lichtbotschaft herniedersandten zu der dunklen, sündigen Erde. Aber hatte er nicht auch während der gleichen Zeit immer inmitten des tätigen Lebens gestanden? Und bedurfte nicht gerade die Einsamkeit des Genies auch wieder, ab und an, der Wärme menschlicher Nähe, menschlichen Verstehens und Mitfühlens? Von jeher pflegte er deshalb die Verbindung, den Verkehr mit ähnlich gesinnten Freunden, mit Männern, die ihn verstanden oder doch den hohen Flug seines Geistes wenigstens ahnend erfaßten. Und er litt vielleicht schwerer, als er es sich je anmerken ließ, unter der zunehmenden Vereinsamung seiner späten Jahre. Bald gab es für den Alternden nur den einzigen Trost, daß die mählich immer sichtbarer werdende Abschließung gegen die Außenwelt es ihm erleichterte, seine goldene Ernte endlich, endlich in die Scheuer zu bringen.

So also steht Nikolaus Kopernikus vor uns: als einer der größten Astronomen aller Zeiten, dessen Leistung sich in ihrem ganzen Umfang, in ihrem ganzen Gewicht nur den »Eingeweihten«, nur dem Kreise der Fachgelehrten erschließt. Aber er war eben nicht nur das. Er war doch, richtig gesehen, auch einer der großen Weisen und Denker des Menschengeschlechtes, der in den Strom seiner geistigen Entwicklung einen der bedeutendsten und folgenschwersten Gedanken geworfen hat.

»Eine freie Seele«, so hatte Kepler Jahrzehnte später seinen großen Vorgänger genannt, »ein Mann umfassendsten Geistes«. Kein schöneres Lob als jenes, das ein Großer einem anderen überragenden Genius spendet. Über die Zeiten, über die Grenzen hinweg, die aller Wissenschaft gezogen sind, ragt die ewig gültige geistige Gestalt des Frauenburger Domherrn, in ihrer Ruhe, in ihrer Weite und Sicherheit, ihrer in sich geschlossenen Vollkommenheit. Alles Beste in uns fühlt sich diesem bedeutendsten Sohn der alten Hansestadt Thorn verwandt: seinem langsamen Reifen, seinem schweren und ewig ringenden, zögernden, zweifelnden Schaffen, seiner ausgeprägten kraftvollen Männlichkeit, der wundervollen Klarheit, mit der er jedes Problem erhellte und durchleuchtete.

Er, der die Erde bewegte und die Kuppel des Himmels ins Unendliche weitete und erhöhte, wird auch nie aufhören, die Herzen der Menschen zu bewegen und den Flug unseres Geistes zu erhöhen.

 


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