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Wirkung in die Ferne

Die aus wohlwollender Zurückhaltung, spöttischer Verachtung, zögernder Ablehnung allmählich zu ausgesprochener Feindschaft sich entwickelnde Einstellung der Kirche beider christlichen Bekenntnisse erklärte sich hinreichend aus der »Entthronung der Erde« durch das neue Weltsystem des Kopernikus. Es war ein Urteil, oder – richtiger gesagt – es war eine Verurteilung, bei der das kirchlich-dogmatische Interesse Pate stand. Man glaubte, ein Weltbild ablehnen zu müssen, das unter Umständen für den christlichen Glauben und für die Anwendbarkeit der Bibel als einer unbedingten und göttlichen Wahrheit gefährlich werden konnte.

Aber in dem großen Werk von Nikolaus Kopernikus handelte es sich ja nicht um Fragen des Glaubens, für die es keine Beweise gibt und bei denen es also auch keiner Beweise bedarf. Darin lag ja eben das unverlierbare Verdienst, der große Wurf, das Genialische, daß Kopernikus sich nicht an den Glauben wandte. Daß er sich nicht etwa darauf beschränkte – wie Osiander es in seiner gefälschten Vorrede ihm unterstellte –, die Bewegung der Erde und der übrigen Planeten um die Sonne als eine Annahme vor der Erfahrung aufzustellen. Das wäre dann in der Tat nur eine Hypothese gewesen. Kopernikus galt es, diesen Satz von der Erd- und Planetenbewegung durch Beobachtung und Berechnung auf mathematische Gesetze zurückzuführen und ihn damit allgemeingültig und notwendig zu beweisen. »Mathematik wird nur für Mathematiker geschrieben« – hatte er das nicht schon in seiner Vorrede an den Papst Paul III. gesagt? Und so erhebt sich die Frage, wie die sogenannte »wissenschaftliche Welt« das Werk über die Umdrehungen der Himmelskörper aufnahm und welche Wirkung dieses Werk in der Folgezeit innerhalb der astronomischen, und das heißt natürlich auch philosophischen, Fachwissenschaft ausübte.

Merkwürdiger Weise war die Aufnahme, die das Werk in den Kreisen der Fachgelehrten fand, zunächst keineswegs günstig, mindestens nicht eindeutig günstig. Das galt auch für viele jener Gelehrten, die ganz unvoreingenommen, unbelastet durch religiöse Bedenken oder gar menschliche Schwächen, Neid, Mißgunst usw., an eine Prüfung des Buches herangingen.

Die Gründe für eine solche kritische Einstellung waren mannigfacher Art. Zunächst wurden Bedenken praktischer Art laut. Denn was verlangte man wohl von einer Planetentheorie? Was glaubte man in erster Linie von ihr verlangen zu müssen? Eine unbedingte Brauchbarkeit zur Vorausberechnung der Himmelserscheinungen und des Kalenders! Gerade diese Aufgabe hatte ja im Laufe der Zeit die alte Bewegungslehre des Ptolemäus nur immer schlechter und unvollkommener erfüllen können. Aber zu ihrer Lösung ergab, wie sich sehr bald herausstellte, auch das neue System des Kopernikus keine sehr viel bessere Handhabe. Das konnte nicht anders sein, denn Kopernikus hatte ja seine neue Bewegungslehre in weitem Umfange auf dem Fundament der alten, von Ptolemäus überlieferten Beobachtungen errichten müssen, obwohl er selbst häufig genug an ihrer Richtigkeit, Genauigkeit und Zuverlässigkeit Zweifel geäußert hatte. Außerdem hatte er, um allen Erscheinungen am Himmel gerecht zu werden, bei der Ausarbeitung seiner neuen Weltsysteme viel von dessen ursprünglicher Klarheit und Übersichtlichkeit opfern, vor allem den Planeten zusätzliche Bewegungen, erteilen müssen. Dadurch minderten sich natürlich die Vorzüge gegenüber dem System des Ptolemäus, dessen verwirrende Kompliziertheit Kopernikus eben doch nur teilweise zu beheben vermochte.

Als ein weiterer Einwand gegen die Richtigkeit der Kopernikanischen Lehre wurde vorgebracht, daß sie die Begriffe Ruhe und Bewegung verwirre. Tatsächlich schuf hier erst das auf Galilei zurückzuführende Gesetz von der Trägheit, von dem Beharrungsvermögen einstweilige – für die damalige Zeit vollkommene – Klarheit, bis schließlich in unserer Zeit Einstein mit seiner Relativitätstheorie die alten Ideen und Überzeugungen noch einmal unter die kritische Sonde nahm und für neue Erkenntnisse Bahn brach.

Sehr viel gewichtiger aber erwies sich das dritte Bedenken, das man gegen Kopernikus erhob. Wenn, so sagte man, die Erde bei ihrem jährlichen Lauf um die Sonne sich den einzelnen Sternen der Fixsternsphäre bald nähere, sich bald von ihnen entferne, so müßten diese doch eine ähnliche scheinbare Bewegung zeigen wie die Planeten. Das heißt also, ihre gegenseitige Stellung am Himmel könnte, von der Erde aus gesehen, keine »fixe«, sondern sie müßte gleichfalls eine veränderliche sein. Da aber noch niemand etwas Derartiges am Fixsternhimmel habe wahrnehmen können, dieser vielmehr sich durch die vollständige Starrheit und Unveränderlichkeit der Fixsterne in ihrer Stellung zueinander auszeichne, so könne die Bewegung der Erde einfach nicht wahr sein.

Dieser Einwand war schon vorgebracht worden, ehe das Werk in seiner geschlossenen Form gedruckt erschienen war, d. h. also, noch zu Lebzeiten von Kopernikus. So konnte sich Kopernikus auch noch gegen ihn verteidigen. Er tat es mit der für die damalige Zeit unerhört kühnen Behauptung, daß die Entfernungen der Fixsterne von der Erde unvorstellbar groß seien gegenüber dem Durchmesser der Erdbahn. Die durch den Umlauf der Erde um die Sonne entstehenden scheinbaren Bewegungen auch der Fixsterne könnten demnach einfach nicht wahrgenommen werden.

Daß eine solche scheinbare Bewegung der Fixsterne wirklich vorhanden sei, war mit den damals zur Verfügung stehenden Instrumenten nicht nachzuweisen. Diesen sogenannten parallaktischen Beweis für die Richtigkeit der Kopernikanischen Lehre konnte erst dreihundert Jahre später, 1835, der große Königsberger Astronom Bessel erbringen. Gerade Bessel aber hat auch in bewegten Worten das ungeheure Verdienst gewürdigt, das sich Kopernikus nach dieser Richtung hin erworben hat. »Er«, sagte er, »der es gewagt hatte, eine von den Vorstellungen seiner Zeit gänzlich verschiedene Weltordnung zu begreifen, hatte kein Bedenken, die Entfernungen der Fixsterne für so groß anzunehmen, daß, von ihnen aus gesehen, der von der Erde bei ihrem Lauf um die Sonne durchmessene Raum aus den Augen verschwindet – so groß er auch erscheinen mag, wenn er mit einem irdischen Maße gemessen wird.« In der Tat hatte Kopernikus durch seine Behauptung ja auch die ganze bisherige Größenordnung zerstört und zum ersten Mal den Begriff der Grenzenlosigkeit, ja vielleicht sogar der Unendlichkeit des Weltalls in die Astronomie eingeführt.

Trotz der teilweise ablehnenden Haltung, der das Werk des Kopernikus – wie es nicht anders zu erwarten war – wenigstens in der ersten Zeit begegnete, fand es praktische Auswertung. Reinhold, gleich Rheticus Professor in Wittenberg und wie letzterer ein glühender Bewunderer und Parteigänger von Kopernikus, berechnete unter Zugrundelegung der neuen Lehre Tafeln, die unter dem Namen Tabulae prutenicae, Preußische Tafeln, bekannt wurden. Sie waren dem Herzog Albrecht von Preußen gewidmet, erschienen 1551 in Tübingen im Druck und sollten die seit langem als ungenügend erkannten Alphonsinischen Tafeln ersetzen. Diese Planetentafeln bildeten die Grundlage für die sogenannte Gregorianische Kalenderreform im Jahre 1553 und waren bis zum Beginn des siebzehnten Jahrhunderts, wenn nicht allgemein, so doch häufig in Gebrauch. Sie wurden erst abgelöst durch die Rudolfinischen Tafeln Johannes Keplers, die 1627 erschienen und die Preußischen Tafeln sehr bald völlig verdrängten.

Wenn etwas die Verbreitung und vor allem die schnelle Anerkennung des Kopernikanischen Weltbildes hemmte und verzögerte, so wohl vor allem die nicht abzuleugnende Tatsache, daß seine Beobachtungen ungenau und seine Berechnungen voller Fehler waren. Es waren Fehler, die nicht auf Flüchtigkeit oder gar auf falsche Voraussetzungen des großen Astronomen zurückzuführen waren, sondern einzig und allein auf die mangelhaften Instrumente und unzureichenden Beobachtungsmittel, die dem Frauenburger Domherrn zur Verfügung gestanden hatten. Die Überzeugung brach sich Bahn, daß es vor allem darauf ankomme, durch neue, bessere, genauere Beobachtungen der Gestirne eine ausreichende erfahrungsmäßige Grundlage für die Planetentheorie von Kopernikus zu schaffen.

Unter den vielen Astronomen des Abendlandes, die sich eingehend und voller Hingabe mit dieser weltumstürzenden Theorie beschäftigten, waren es vor allem drei Männer, deren unermüdlicher, genialer Arbeit es gelang, dem kopernikanischen System schließlich zum siegreichen Durchbruch zu verhelfen: der Däne Tycho de Brahe, der Deutsche Johannes Kepler und der Italiener Galileus Galilei.

Tycho de Brahe, 1546 als Sohn eines dänischen Edelmannes geboren, widmete sich schon in jungen Jahren und gegen den Willen seiner Eltern astronomischen Studien. Er hatte an mehreren deutschen Universitäten studiert und in Augsburg die Kunst des Instrumentenbaus erlernt. Darauf erbaute er unter weitgehender Förderung durch den Dänenkönig Friedrich II. auf der Insel Hven im Sund eine prächtige Sternwarte und beobachtete hier mit seinen Gehilfen viele Jahre hindurch die wechselnden Stellungen der Planeten mit einer Sorgfalt und Genauigkeit, wie sie bisher innerhalb der gesamten Astronomie nicht erreicht worden war. Früh hatte sich in ihm die Überzeugung durchgesetzt, daß es zunächst einmal darauf ankomme, durch neue und bessere Beobachtungen der Gestirne die Grundlage für alle theoretischen Schlußfolgerungen zu schaffen. Nach dem Tode seines Gönners, des dänischen Königs, hatte er seine Sternwarte auflösen müssen und war mit seinem gesamten, überaus kostbaren Instrumentarium nach Prag übergesiedelt, um hier die Stelle eines kaiserlichen Hofmathematikers zu übernehmen. Aber er starb schon nach zwei Jahren – 1601 –, ohne seine wertvollen Beobachtungsreihen abschließen zu können.

Brahes Beobachtungen, auch die von sechs Kometen, deren Erscheinen in seine Lebenszeit fiel, hatten ihn auch dazu angeregt, sich Gedanken über den Bau des gesamten Weltalls zu machen. Das ptolemäische System erschien auch ihm zu verwickelt, als daß man es als zutreffend hinnehmen und kritiklos an seine Richtigkeit glauben könnte. Das kopernikanische Weltbild wieder glaubte er ablehnen zu müssen, da es einerseits im Widerspruch mit der Heiligen Schrift stand, andererseits nach Brahes Ansicht mit den physikalischen Gesetzen nicht in Einklang zu bringen war. Er hielt es für abwegig, daß man der trägen, schweren Erde eine solche Bewegung im Raum zuschrieb, wie sie Kopernikus voraussetzte. So kam er, »fast durch Eingebung«, wie er sich selbst ausdrückte, zu einem eigenen und ganz neuen System.

Es sollte eine Art vermittelnder Stellung zwischen dem ptolemäischen Weltgebäude und jenem des Kopernikus einnehmen. Die Erde, so lehrte er, ruht im Mittelpunkt der Welt, umkreist vom Monde, der Sonne und der Sphäre der Fixsterne, während die fünf Planeten sich wiederum um die Sonne drehen. Dieses System fand besonders in jenen Kreisen der Wissenschaftler Anerkennung und Anhänger, die von der Unzulänglichkeit des komplizierten Systems des Ptolemäus überzeugt waren, aber andererseits ihre hauptsächlich in religiösen Vorstellungen wurzelnde Bedenken gegen die Annahme einer bewegten und durch die Tiefen des Weltalls sausenden Erde nicht überwinden konnten. Es gab also etwa um 1600 herum drei miteinander rivalisierende Planetensysteme, und alles kam nun darauf an, welchem der drei schließlich der Sieg zufallen würde. Die Entscheidung dieser Frage aber hing wieder vor allem davon ab, was man aus den so sorgfältigen und ungewöhnlich genauen Beobachtungen Tycho de Brahes würde herausholen können – eben jenen Beobachtungen, die der dänische Astronom wegen seines unerwarteten und plötzlichen Todes leider unvollendet hatte hinterlassen müssen.

Der Mann, dem diese große und für die ganze zukünftige Entwickelung der Weltschau bedeutsamste Aufgabe zufiel, der für ihre Bewältigung die glänzendsten Voraussetzungen mitbrachte, ihr sein ganzes Leben widmete, war Johannes Kepler.

Anders als Kopernikus oder auch Tycho de Brahe in schwierigen und oft von Widerwärtigkeiten aller Art überschatteten Lebensverhältnissen aufwachsend, hatte der 1571 zu Weil oder Weilderstadt im Württembergischen geborene Astronom an der Universität Tübingen in Michael Maestlin einen ausgezeichneten Lehrer gefunden. Maestlin las in Tübingen Mathematik und Astronomie. Er weihte seinen leidenschaftlichen und wißbegierigen Schüler in die Geheimnisse der Kopernikanischen Lehre ein, ohne diese doch – wohl aus Besorgnis vor etwaigen Mißhelligkeiten und Verfolgungen – offiziell vom Katheder aus zu verkünden. Kepler selbst kannte solche Bedenken nicht und entschied sich sehr bald vorbehaltlos für dieses Weltbild. Nach Vollendung seiner Studien folgte er, erst dreiundzwanzigjährig, einem Ruf als Professor der Mathematik in Graz, wo er schon zwei Jahre später sein astronomisches Erstlingswerk, das »Weltgeheimnis« (Mysterium cosmographicum), veröffentlichte.

Mit diesem Werk bewegte sich Kepler freilich noch ganz auf dem Boden pythagoräischer Gedanken. Er versuchte, die Dimensionen der Planetenbahnen aus den Größenverhältnissen der fünf regelmäßigen oder sogenannten platonischen Körper, des Tetraeders, des Hexaeders (Würfels), des Oktaeders, des Dodekaeders und des Isokaeders, sowie aus den Radien der ihnen eingeschriebenen oder umschriebenen Kugeln zu berechnen. Ihn erfüllte bei dieser Vorstellung der Gedanke von der im ganzen Weltensystem waltenden Ordnung und Harmonie. Freilich war sein »Weltgeheimnis« insofern nur ein schöner Traum, als es ja nur fünf regelmäßige Körper gibt und damit die später entdeckten Planeten nicht mehr in das geometrische Weltgebäude von Kepler einzuordnen waren. Doch blieb die Arbeit trotzdem nicht ohne fruchtbare Wirkung.

Es waren ja ähnliche Gedankengänge, die Kepler sehr viel später auf die Spur seines dritten Gesetzes über die Planetenbewegung brachten. Und vor allem: obwohl das Erstlingswerk Keplers mindestens ebenso viele und begründete Ablehnung wie begeisterte Zustimmung fand, so erregte es doch die Aufmerksamkeit Tycho de Brahes, der ihm einen anerkennenden, wenn auch vorsichtig zurückhaltenden und kritischen Brief schrieb. Er forderte ihn auf, zu ihm nach Prag zu kommen und an der Auswertung seiner Beobachtungen mitzuwirken. Gleichzeitig wies er allerdings auch, mit warnend erhobenem Zeigefinger, darauf hin, daß alle wirkliche Astronomie mehr durch nüchterne und unermüdliche Beobachtungen als durch Spekulationen, seien sie noch so geistreich, gefördert würde.

Da Keplers Stellung in Graz durch die ausbrechenden Religionskämpfe ohnehin schwer erschüttert war, so folgte er ohne Zögern der Einladung Brahes. Dieser Entschluß sollte für seine ganze weitere Zukunft und wissenschaftliche Entwicklung von einschneidendster Bedeutung werden. Es kam zu einer Art Vertrag zwischen den beiden Männern, durch den Kepler zunächst die Berechnung der Bewegungen des Planeten Mars übertragen wurde. Nach dem wenig später erfolgenden Tode Tycho de Brahes wurde ihm dann aber die wissenschaftliche Verantwortung für das Ganze auferlegt. Er erhielt nun seinerseits, wie Tycho de Brahe vor ihm, den Titel eines kaiserlichen Hofmathematikers und ein Gehalt, das die kaiserliche Schatulle ihm freilich meist schuldig blieb oder doch nur zu geringerem Teile auszahlte. Kepler mußte deshalb, um den notwendigsten Lebensunterhalt bestreiten zu können, sich Einnahmen aus Kalendern und astrologischen Prognosen verschaffen.

Von Anfang an auf dem Boden des kopernikanischen Weltbildes stehend, erkannte Kepler gerade bei den ihm zunächst übertragenen Berechnungen der Bewegungen des Planeten Mars, daß sich dieser Planet und mit ihm alle anderen Planeten unmöglich in Kreisen um die Sonne bewegen könnten. Es würde zu weit führen, wollte man den verwickelten Weg nachzuzeichnen versuchen, auf dem Kepler zu dieser Überzeugung kam. Letzten Endes war es wohl doch zunächst jene innere Eingebung, jene »Intuition«, die seit jeher das Genie vom Durchschnittsmenschen unterscheidet. Kepler errechnete und erkannte die Planetenbahnen als Ellipsen und fand so das erste der drei großen, nach ihm benannten Gesetze: »Die Bahnen der Planeten um die Sonne sind Ellipsen, in deren einem Brennpunkt sich die Sonne befindet«.

Gerade mit diesem Gesetz war aber zugleich das Kopernikanische System von allen ihm noch anhaftenden Mängeln befreit worden und stand nun in seiner ganzen strahlenden Klarheit und Einfachheit dem verwickelten geozentrischen System des Ptolemäus gegenüber. Denn wir hatten ja gesehen, daß jene Schwierigkeiten, die auch das Kopernikanische Weltbild noch bereitete, nur darauf zurückzuführen waren, daß sein Schöpfer lediglich den einen der aristotelischen Grundsätze aufgegeben und an der Annahme der kreisförmigen Bewegungen noch festgehalten hatte.

Kepler begnügte sich mit dieser ersten, umstürzenden Feststellung nicht. Unter Beobachtung und Einbeziehung der einzelnen Stellungen des Mars zur Erde nach Ablauf von je 687 Tagen – so lang war ja die Umlaufszeit des Mars – die wechseln mußten, weil ja eben auch die Erde selbst sich bewegte – gelang es ihm, mit einer überaus geistreichen Methode zu seinem zweiten Gesetz vorzustoßen. Dies besagte, aus der etwas schwierigen wissenschaftlichen Formulierung in allgemein verständliches Deutsch übertragen, daß der sogenannte Leitstrahl, die gedachte Verbindungslinie zwischen Sonne und Planet, in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreicht. Stand also der Planet der Sonne auf seiner elliptischen Bahn näher, d. h. war der Leitstrahl kürzer, so mußte er sich demzufolge schneller bewegen, entfernte er sich von der Sonne, so mußte sich seine Bewegung verlangsamen. Damit erklärte sich auf sehr einfache und einleuchtende Art die ungleichförmige Bewegung der Planeten, der man bisher nach dem Ptolemäischen System nur durch die Annahme excentrischer Kreise, eben jener schon mehrfach erwähnten Epizyklen, hatte Herr werden können.

Aber immer noch lebte tief im Herzen Keplers die Überzeugung, daß es ein oberstes Gesetz geben müsse, das alle Planetenbahnen organisch und harmonisch miteinander verbindet. Um es zu finden, ließ er nichts unversucht. Schließlich kam er, nach vielen Irr- und Umwegen, zu jenem dritten und letzten Gesetz, das seinen Namen trägt. Mit ihm bewies er, daß das Verhältnis der zweiten Potenzen der Umlaufzeiten zu den dritten Potenzen der großen Achsen der Bahnellipsen für alle Planeten gleich sei. Es gab also wirklich ein oberstes Gesetz, dem jeder Planet im Weltenraum in seiner Bewegung unterworfen war. Jene alle Weltkörper umschließende Harmonie, die er in seinem Mysterium cosmographicum vergeblich gesucht hatte, war endlich gefunden worden. Dankbar und beseligt verkündete der große, von tiefer Religiosität erfüllte Astronom in seinem 1619 erschienenen Werk »Harmonices mundi«: »Nach langen, vergeblichen Anstrengungen erleuchtete mich endlich das Licht der wunderbarsten Erkenntnis. Ich habe ans Licht gebracht, daß die ganze Natur der Harmonie in ihrem ganzen Umfange und mit allen ihren Einzelheiten in den himmlischen Bewegungen vorhanden ist, nicht zwar in der Weise, wie ich es mir früher gedacht, sondern in einer ganz anderen, durchaus vollkommenen Weise.«

Die von Kepler gefundenen drei großen Gesetze ermöglichten es ihm, in Verbindung mit den sorgfältigen Beobachtungen Tycho de Brahes die Bahnen der Planeten mit großer Genauigkeit vorauszuberechnen. Die Tafeln, auf denen die Ergebnisse dieser Berechnungen aufgezeichnet wurden, nannte er zu Ehren seines kaiserlichen Herrn und Gönners die Rudolfinischen Tafeln. Sie bedeuteten einen solchen Fortschritt, daß damit dem heliozentrischen System der Vorrang gesichert wurde, obwohl die Zahl der erklärten Anhänger von Kopernikus zunächst noch gering blieb. Mit ihrer Veröffentlichung war das Lebenswerk, war die Lebensaufgabe Keplers erfüllt. Schon 1612, unmittelbar nach dem Tode Kaiser Rudolfs, hatte er Prag wieder verlassen, wo er elf Jahre lang gewirkt hatte, und war als Professor der Mathematik nach Linz gegangen. Wegen seines rückständigen Gehaltes, das inzwischen bis auf zehntausend Gulden angewachsen war, an Wallenstein verwiesen, reiste er 1624 nach Sagan. Da er auch dort sein Gehalt nicht ausbezahlt bekam, machte er sich auf den Weg nach Regensburg, um dem dort versammelten Reichstag seine Forderungen vorzutragen. Hier erkrankte er, kaum angekommen, schwer und starb, bis zum letzten Augenblick von bittersten wirtschaftlichen Sorgen zerquält, im Jahre 1630. Inzwischen war der Lehre des Kopernikus in Italien ein weiterer Vorkämpfer in der Person von Galileus Galilei erstanden, der durch sein Wirken weitere und überzeugende Beweise für die Richtigkeit des kopernikanischen Systems erbrachte. Schon im Jahre 1609 war durch die gesamte wissenschaftliche Welt ein Gerücht gegangen, demzufolge es in Holland gelungen sei, ein Instrument zu konstruieren, das gestattete, entferntere Gegenstände dem Auge nahe zu rücken und sehr viel größer und entsprechend deutlicher zu sehen.

Galilei, damals Professor in Padua, hatte kaum von dieser Mär vernommen, als er auch schon, ewig wißgelüstig und von dem Trieb nach immer neuen Erkenntnissen bewegt, begann, mit geschliffenen, linsenförmigen Gläsern herumzuexperimentieren. Das Glück, ohne das nach Napoleons Meinung weder Generale ihre Schlachten gewinnen noch große Gelehrte ihre Entdeckungen machen können, war ihm hold; verhältnismäßig rasch gelang es ihm, ein Fernrohr zu konstruieren, das ihm gestattete, die Gegenstände, auf die er es richtete, etwa dreimal näher und neunmal größer zu sehen, als dies mit unbewaffnetem Auge möglich war. Er hätte nicht Galilei sein müssen, wenn er nun nicht als erstes die unendliche Weite des Weltenraums, den gestirnten Himmel, mit seinem neuen Werkzeug beobachtet und abgetastet hätte. Hierbei machte er nun gleichsam Schlag auf Schlag eine Reihe von Entdeckungen, die seinen Namen in der ganzen gelehrten Welt gleichsam über Nacht bekannt und berühmt machten. Da war zunächst der Mond. Was bisher dem menschlichen Auge als eine silbern schimmernde, glänzende, von leichten Schatten da und dort überwölkte Scheibe erschienen war, das entpuppte sich nun als eine rauhe, vielgestalte Oberfläche mit Bergen und Tälern und kraterähnlichen Vertiefungen, mit Erhebungen, die einen richtigen Schatten warfen. Das war der erste Schritt zu einer physischen Erforschung des Sonnensystems, die bald mit der bisherigen nur astronomischen, also mathematischen Hand in Hand gehen sollte. Galilei entdeckte den Ring des Saturn, ohne ihn freilich als solchen völlig zu erkennen – dazu war sein Fernrohr noch zu leistungsschwach – und die vier Monde des Jupiter. Mit deren Entdeckung bekam das alte, ptolemäische und also geozentrische Weltsystem einen neuen harten Schlag, denn dadurch wurde auch die bisher gewähnte Sonderstellung der Erde, die als einziger Himmelskörper über einen Trabanten, eben den Mond, zu verfügen schien, beseitigt. Auch die Sonnenflecken beobachtete Galilei, eine Entdeckung, deren Priorität ihm freilich durch den Jesuiten Christoph Scheiner in Ingolstadt bestritten wurde. Für die Entscheidung der Frage, welches Weltsystem das richtige sei, war aber von besonderem Gewicht die ebenfalls nur mit Hilfe des Fernrohrs gelungene Entdeckung des Phasenwechsels des Planeten Venus. Dieser Phasenwechsel, der sich in der gleichen Art vollzog, wie jener von Urzeiten her bekannte des Mondes, lieferte den Beweis, daß die Sonne im Mittelpunkt der sich bewegenden Planeten stehen müsse. Damit erhielt aber die alte, geozentrische Lehre ihren Todesstoß, die Unmöglichkeit dieses Systems war nach Ansicht Galileis restlos bewiesen, und er verschrieb sich nun ohne weiteren Vorbehalt der kopernikanischen Weltansicht, für die er ohne Zögern sofort und mit Leidenschaft offen eintrat.

Leider war Galilei nur flüchtig mit den Arbeiten Keplers bekannt geworden, die ihm noch weiteres und wertvollstes Rüstzeug geliefert hätten. Die persönliche Berührung der beiden großen Gelehrten und Astronomen beschränkte sich auf den gelegentlichen Wechsel höflicher und anerkennender Briefe. Es war wohl auch die große Verschiedenheit der Charaktere, die den Deutschen und den Italiener voneinander fern hielt. Keplers zähe, kühle, verbissen einem bestimmten Ziel entgegenstrebende Art machte ihn zu dem Systematiker, der planmäßig und Schritt für Schritt ein Steinchen zum andern fügte, bis sich aus zahlreichen Beobachtungen schließlich ein allgemein umfassendes und allgemein gültiges, einfach nicht anfechtbares Gesetz ergab. Das glühende, leidenschaftliche Temperament des Italieners, des Südländers, ließ ihn polemisch in den Streit der Weltanschauungen eingreifen. Seine erfolgreichen astronomischen und sonstigen wissenschaftlichen Arbeiten hatten seinen Ruhm immer mehr verbreitet. Der bescheiden besoldete Professor war längst zu einem mit Gunstbeweisen überschütteten »ersten Philosophen und Mathematiker« am Hofe des Großherzogs von Toscana geworden, mit einem für die damalige Zeit fürstlich anmutenden Gehalt. Gerade die Gunst des Hofes aber weckte die Feindschaft der Neider, und als Galilei zudem durch den Kampf um die Priorität hinsichtlich der Entdeckung der Sonnenflecken es mit dem Jesuitenorden verdorben hatte, verdächtigte man ihn beim Großherzog, daß all seine Wahrnehmungen allzu sehr zugunsten der als ketzerisch angesprochenen Lehre von Kopernikus anzusehen wären und bei dem Papst Ärgernis erregen dürften. Galilei ging nach Rom, in der Zuversicht, daß es ihm gelingen würde, den Papst und die kirchlichen Würdenträger mit der von ihm vertretenen Überzeugung zu versöhnen. Er wies dort sein Fernrohr vor und erzielte wirklich einen solchen Erfolg, daß er, mit Beifallsbezeugungen und Anerkennungen überhäuft, nach Pisa zurückkehren konnte. Aber wenig später wurde, wie schon erwähnt – 1616 –, das Lebenswerk von Kopernikus als ketzerisch gebrandmarkt und auf den Index gesetzt und jede Verbreitung des Buches oder der darin vertretenen Ansichten verboten. Alle infragekommenden Wissenschaftler wurden von diesem Verbot unterrichtet, also natürlich auch Galilei, und letzterer unterwarf sich ihm ohne den Versuch einer Widerrede.

Als etwa zehn Jahre später der Freund und Gönner Galileis, der Kardinal Bellarmin, mit der Tiara geschmückt wurde, hielt Galilei den Augenblick für günstig, endlich sein seit langem vorbereitetes und abgeschlossenes polemisches Werk, die »Dialoge über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme« zu veröffentlichen, in dem er in geistreicher, glänzender Form und leidenschaftlicher Sprache alle Beweise für die Richtigkeit des kopernikanischen Systems zusammentrug. Als Anhänger des ptolemäischen Systems trat darin ein etwas einfältig gezeichneter Mann namens Simplicius auf, und obwohl das Buch die Druckgenehmigung der päpstlichen Kurie erhalten hatte, wußte man dem Papst die Meinung beizubringen, Galilei habe in jenem Simplicius ihn selbst zeichnen und damit der Lächerlichkeit preisgeben wollen.

Nun wurde Galilei im April 1633 nach Rom vor den geistlichen Gerichtshof zitiert und durch die Androhung der Folter – er war damals schon fast siebzig Jahre alt – gezwungen, seine Überzeugung von der Richtigkeit des kopernikanischen Weltbildes abzuschwören. Beim Verlassen des Gerichtssaales soll er die berühmt gewordenen Worte vor sich hingemurmelt haben: »Und sie bewegt sich doch!«

Der Widerruf rettete das Leben des greisen Mannes. Aber doch nur sein Leben. Irgendetwas war in ihm zerbrochen. Etwas, das nie mehr verheilen und verharschen würde. Er hatte seine Überzeugung verraten und war so an dem Werk seines Lebens selbst zum Verräter geworden. Dennoch wußten alle, die ihm nahe standen, daß er nicht aufhören würde, gerade das zu glauben, was er vor dem hohen Tribunal abgeschworen hatte.

Die Nachwelt hat es ihn, den kranken und verzweifelten Mann, einen der Großen unter den Astronomen aller Zeiten, nicht entgelten lassen. Sein Ruhm blieb ungeschmälert, ein kleiner Kreis gläubiger, verehrender Schüler blieb ihm treu. In Arcetri, einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Florenz, verbrachte er seine letzten Lebensjahre. Noch ein zweiter Schicksalsschlag traf ihn durch seine vollständige Erblindung, die er sich vielleicht bei der angestrengten Beobachtung des Himmels zugezogen hatte. Im Alter von 78 Jahren ist Galilei in seinem Verbannungsort gestorben.

Der Ausbreitung der kopernikanischen Lehre hat weder das Urteil des Heiligen Officiums in Rom aus dem Jahre 1616, durch das des Kopernikus Werk auf den Index gesetzt wurde, noch die erzwungene Abschwörung Galileis ernsthaft schaden können. Im Gegenteil: gerade der kirchlichen Macht und ihrer Unduldsamkeit wurde dadurch ein schwerer Schlag versetzt. Diese Vorgänge gaben gleichsam das Signal, auf das hin sich die Wissenschaft aus ihrer bisherigen engen Verbindung mit der im Dogmatischen erstarrten Theologie löste. Langsam wurde der Begriff der exakten Wissenschaft geboren. Immerhin währte es noch ein rundes Jahrhundert, ehe die letzten gegnerischen Stimmen unter der sich häufenden Last der Beweise für die Richtigkeit der kopernikanischen Weltschau verstummten. Noch 1635 sprach sich die berühmte Pariser Sorbonne gegen Kopernikus aus. Noch 1675 leitete die theologische Fakultät der Universität Upsala ein Verfahren gegen den bekannten Physiker Celsius ein – von dem unsere Gradeinteilung des Thermometers stammt –, weil er für Kopernikus eintrat. Und erst gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hatte sich das heliozentrische System vollkommen durchgesetzt und bildete die unumstrittene Grundlage aller astronomischen Berechnungen und Erkenntnisse.


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