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Neuntes Kapitel

Geister der dritten Stufe werden in der irdischen Natur, von der die Menschheit selbst ein Teil ist, wohnen wie in einem gemeinschaftlichen Leibe, und alle Prozesse der Natur ihnen dasselbe sein, was uns jetzt die Prozesse unseres Leibes. Ihr Leib wird die Leiber der zweiten Lebensstufe umfangen als eine gemeinschaftliche Mutter, gleichwie die Leiber der zweiten Stufe die der ersten umfangen.

Nur das aber hat jeder Geist dritter Stufe von dem allen gemeinsamen Leibe als seinen ihm eigenen Teil, was er im irdischen Reiche fortentwickelt, fortgebildet hat. Was in der Welt durch eines Menschen Dasein anders geworden, als wäre er nicht dagewesen, ist sein ferneres Dasein auf der gemeinsamen Wurzel alles Daseins.

Zum Teil sinds feste Einrichtungen und Werke, zum Teil fortlaufende in sich kreisende und auf sich zurückschlagende Wirkungen, wie auch der jetzige Leib aus Festem und aus Veränderlichem, was an dem Festen seinen Anhalt hat, besteht.

Nun greifen aber alle Daseinskreise, welche das Leben der jenseitigen Geister tragen, durcheinander, und du fragst, wie ist es möglich, daß so unzählige sich kreuzen, ohne sich zu stören, zu irren, zu verwirren.

Frage doch erst, wie ist es möglich, daß unzählige Wellenkreise sich in demselben Teiche kreuzen, daß unzählige Schallwellen sich in derselben Luft kreuzen, daß unzählige Lichtwellen sich in demselben Äther kreuzen, daß unzählige Erinnerungswellen sich in demselben Haupte kreuzen, daß endlich die unzähligen Lebenskreise der Menschen, welche ihr Jenseits tragen, sich schon diesseits kreuzen, ohne sich zu stören, zu irren und zu verwirren. Vielmehr kommt nur dadurch ein höheres Leben und Weben der Wellen, der Erinnerungen, der diesseitig und endlich der jenseitig Lebenden zustande.

Was aber scheidet die Bewußtseinskreise, die sich kreuzen?

Nichts scheidet sie in irgendwelchen Einzelheiten, worin sie sich kreuzen; sie haben alles einzelne gemein; ein jeder hat es nur in anderen Beziehungen als der andere; das scheidet sie im ganzen und unterscheidet sie in höhern Einzelheiten. Frage wieder, was Wellenkreise, die sich kreuzen, unterscheidet oder scheidet; einzeln nichts, doch unterscheidest du sie leicht selbst äußerlich im ganzen; noch leichter werden sich Kreise, die innerlich selbst bewußt sind, auch innerlich selbst unterscheiden.

Vielleicht schon manchmal hast du aus einem fernen Weltteil einen Brief empfangen, gekreuzt beschrieben nach Länge und nach Quere. Was läßt dich beide Schriften unterscheiden? Nur der Zusammenhang, den jede in sich selber hat. So kreuzen sich die geistigen Schriften, womit das Blatt der Welt beschrieben ist; und jede liest sich selbst, als hätte sie den Platz allein, und liest zugleich die andern als solche, die sie kreuzen. Nicht bloß zwei Schriften freilich, unzählige kreuzen sich in der Welt; der Brief ist aber auch nur ein schwaches Bild der Welt.

Wie aber kann das Bewußtsein seine Einheit in so großer Verbreitung seiner Unterlage noch bewahren, wie vor dem Gesetz der Schwelle des Bewußtseins noch bestehn? Dies erfahrungsmäßige Gesetz der Beziehung zwischen Leib und Seele besteht darin, daß das Bewußtsein überall erlischt, wenn die leibliche Tätigkeit, woran es hängt, unter einen gewissen Grad der Stärke, den man die Schwelle nennt, sinkt. Nach Maßgabe nun, als sie sich mehr ausbreitet, kann sie auch leichter durch die damit eintretende Schwächung darunter sinken. Wie das ganze Bewußtsein seine Schwelle hat, welche die Scheide zwischen Schlaf und Wachen des ganzen Menschen bildet, so auch alles Besondere im Bewußtsein, worauf es beruht, daß während des Wachens bald dies bald das im Bewußtsein auftaucht oder erlischt, je nachdem die besondere Tätigkeit, woran es hängt, die Sonderschwelle übersteigt oder darunter sinkt. Vergl. Elemente der Psychophysik Kap. 10. 38. 39 und 42.

Frag erst, wie es seine Einheit in der kleineren Ausbreitung des Leibes bewahren kann, deren Fortsetzung die große doch nur ist. Ist denn dein Leib, ist dein Gehirn ein Punkt? Oder gibt es einen Mittelpunkt darin als Sitz der Seele? Nein. Vergl. hierüber Elemente der Psychophysik, Kap. 37, und Atomenlehre Kap. 26. Wie's jetzt der Seele Wesen ist, den kleinen Zusammenhang deines Leibes zu knüpfen, wirds künftig ihr Wesen sein, den größeren des größeren Leibes zu knüpfen. Gottes Geist knüpft sogar den ganzen Zusammenhang der Welt; – oder wolltest du auch Gott in einem Punkte suchen? – Du wirst im Jenseits an seiner Allgegenwart nur größern Teil gewinnen.

Sorgst du aber, daß die Welle deines künftigen Lebens in ihrer Ausbreitung nicht mehr an die Schwelle reiche, die sie diesseits übersteigt, so denke auch daran, daß sie sich nicht in eine leere Welt hinein verbreitet, da sänke sie wohl rettungslos in den Abgrund, sondern in eine Welt, welche als ewiger Unterbau Gottes zugleich dem Deinigen sich unterbaut; denn nur auf Grund des göttlichen Lebens vermag die Kreatur überhaupt zu leben. Um nicht einen scheinbaren Widerspruch der obigen Betrachtung mit der psychophysischen Lehre von der Mischungsschwelle (worüber das Erläuterndste in Wundts philos. Stud. IV, S. 204 und 211) bestehen zu lassen, folgende Bemerkung: wenn die aus Komponenten mannigfachster Art zusammengesetzte psychophysische Lebenswelle des Menschen, um diesen kurzen Ausdruck fortzubrauchen, sich in eine Welt hineinverbreitete, die nur andersartige Komponenten enthielte, so würde freilich anzunehmen sein, daß sie durch ihre Ausbreitung unter die, hier in Betracht kommende, Mischungsschwelle fiele. Da aber das psychophysische Wellenmeer der Welt unter seinen übrigen Komponenten auch solche enthält, welche mit denen der Lebenswelle des Menschen gleichartig sind, und zwar von verschiedenster Hohe oder Intensität, also auch solche, welche die Mischungsschwelle schon übersteigen oder derselben nahe sind, und durch die zutretenden gleichartigen nur um so mehr gesteigert werden, so stellt sich das Resultat der obigen Betrachtung nur auf etwas gründlicherem Wege wieder her.

So kann der Zaunkönig auf dem Rücken des Adlers leicht einen Berggipfel überfliegen, wozu er für sich zu schwach wäre, und endlich von dem Rücken des Adlers aus den allgemeinen Flug desselben noch ein Stücklein überfliegen. Gottes aber ist der große Adler wie das kleine Vöglein.

Wie aber kann der Mensch nach dem Tode des Leibes, des Gehirnes missen, des so kunstvoll gebauten, das jede Regung seines Geistes trug, das von den Regungen des Geistes noch weiter ausgebaut solche in immer größerer Kraft und Fülle trug. War es umsonst gebaut?

Frage die Pflanze, wie sie des Samenkornes missen kann, wenn sie dasselbe sprengt, ins Licht zu wachsen, des so kunstvoll gebauten, was durch Treiben des innern Keimes sich noch weiter in sich selber ausgebaut. War es umsonst gebaut?

Doch wo ist draußen ein gleich kunstvoller Bau, wie dein Gehirn, der es im Jenseits ersetzte, und wo gar einer, der es überböte, doch soll das Jenseits ja das Diesseits überbieten.

Aber ist nicht schon dein ganzer Leib ein größerer und höherer Bau, als Auge, Ohr, Gehirn, nicht über jedem Teil? – So und unsagbar mehr überbietet die Welt, wovon die Menschheit mit Staat, mit Wissenschaft, mit Kunst und mit Verkehr nur ein Teil ist, dein kleines Hirn, den Teil von diesem Teil. Sieh nur, willst du zu einer höhern Ansicht dich erheben, in der Erde nicht bloß noch einen Ball aus trocknem Erdreich, Wasser, Luft; sie ist ein größeres und höheres einheitliches Geschöpf als du, ein himmlisches Geschöpf, mit wunderbarerm Leben und Weben in ihrem Oberraum, als du in deinem kleinen Gehirn trägst, womit du nur ein Winziges zu ihrem Leben beiträgst. Umsonst wirst du von einem Leben nach dir träumen, wenn du das Leben um dich nicht zu erkennen weißt.

Was sieht der Anatom, wenn er in das Gehirn des Menschen blickt? ein Gewirr von weißen Fasern, dessen Sinn er nicht enträtseln kann. Und was siehts in sich selbst? eine Welt von Licht, Tönen, Gedanken, Erinnerungen, Phantasien, Empfindungen von Liebe und von Haß. So denke dir das Verhältnis dessen, was du, äußerlich der Welt gegenüberstehend, in ihr siehst, und was sie in sich selbst sieht, und verlange nicht, daß beides, das Äußere und Innere, sich im ganzen der Welt mehr ähnlich sehe, als in dir, der nur ihr Teil. Und nur daß du ein Teil von dieser Welt bist, läßt dich auch einen Teil von dem, was sie in sich sieht, in dir sehen.

Und fragst du endlich etwa noch, was unsern weitern Leib, den wir so nennen, erst jenseits erwachen läßt, nachdem wir ihn doch schon diesseits ins irdische Reich hinausgetrieben, und er schon jetzt die Fortsetzung unsers engern Leibes ist?

Das selbst, daß dieser engere einschläft, ja vergeht. Nichts als ein Fall derselben allgemeinen Regel, die durchs ganze Diesseits reicht, Beweis, daß sie auch noch darüber hinaus reicht. Du Zweifler willst ja immer nur vom Diesseits schließen, also schließe.

Die lebendige Kraft des Bewußtseins entsteht nie wahrhaft neu, geht niemals unter, sondern kann wie die des Körpers, worauf sie ruht, nur ihre Stelle, Form, Verbreitungsweise zeitlich und räumlich wechseln, heut oder hier nur sinken, um morgen oder anderwärts zu steigen, heut oder hier nur steigen, um morgen oder anderwärts zu sinken. Unstreitig hängt dies, dem sog. Gesetze der Erhaltung der Kraft im Körpergebiete analoge, Gesetz auch mit demselben durch die Grundbeziehung des Geistigen zum Körperlichen irgendwie zusammen, ohne daß dieser Zusammenhang schon klargestellt ist, oder das Gesetz der Erhaltung der Bewußtseinskraft schon psychophysisch aus dem Gesetz der Erhaltung der Körperkraft ableitbar wäre, solange das Grundwesen der psychophysischen Tätigkeit selbst nicht klargestellt ist. Das Gesetz muß also für sich aus Tatsachen, wie sie oben folgen, gefolgert werden; und gewinnt, ohne exakt in voller Allgemeinheit bewiesen zu sein, doch eine Wahrscheinlichkeit dadurch, die es geeignet macht, Aperçus, wie die, um die es sich hier handelt, zugrunde gelegt zu werden. Damit das Auge wache, du mit Bewußtsein sehest, mußt du das Ohr in Schlaf senken, damit die innere Gedankenwelt erwache, die äußern Sinne schlafen lassen; ein Schmerz am kleinsten Punkt kann das Bewußtsein deiner Seele ganz erschöpfen. Je mehr sich das Licht der Aufmerksamkeit zerstreut, so schwächer wird das Einzelne davon erleuchtet, je heller es auf einen Punkt trifft, so mehr ins Dunkel treten alle andern, auf etwas reflektieren, heißt von anderm abstrahieren. Dein Wachsein heut verdankst du deinem Schlaf seit gestern, je tiefer du heut einschläfst, so munterer wirst du morgen erwachen, und je munterer du gewacht hast, so tiefer wirst du schlafen.

Nun aber schläft der Mensch diesseits im Grunde stets nur einen halben Schlaf, der den alten Menschen wieder erwachen läßt, weil noch der alte da ist: erst im Tode den vollen Schlaf, der einen neuen erwachen läßt, weil der alte nicht mehr da ist; doch die alte Regel ist noch da, die einen Ersatz des alten Bewußtseins fordert, und dazu der neue Leib als Fortsetzung des alten; also wird auch ein neues Bewußtsein da sein als Ersatz und Fortsetzung des alten.

Als Fortsetzung des alten! Denn was den Leib des Greisen noch die Fortsetzung desselben Bewußtseins tragen läßt, welches der Leib des Kindes trug, von dem er kein Atom mehr hat, wird auch den Leib des Jenseits noch dasselbe Bewußtsein tragen lassen, was der Leib des Greisen trug, von dem er kein Atom mehr hat. Das ists, daß jeder folgende die Fortwirkung dessen, der das frühere Bewußtsein trug, in sich aufgehoben hält und dadurch gebaut ist. Also ist es ein Prinzip, welches das diesseitige Leben von Heute in Morgen und vom Diesseits ins Jenseits sich fortsetzen läßt. Und kann es ein anderes als ewiges Prinzip der ewigen Forterhaltung des Menschen geben?

Und so frage auch nicht: was machts, daß Wirkungen, die du diesseits in die Außenwelt gezeugt, die über dich hinaus sind, dir mehr als irgendwelche andere, die über dich hinaus sind, noch zugehören sollen. Das machts, daß jene vielmehr als diese von dir ausgegangen. Jede Ursache behält ihre Folgen als ewiges Eigentum. Im Grunde aber waren deine Folgen nie über dich hinausgegangen; sie bildeten schon diesseits die unbewußte, nur des Erwachens zu neuem Bewußtsein harrende Fortsetzung deines Wesens.

So wenig ein Mensch je sterben kann, der einmal gelebt, könnte er je zum Leben erwacht sein, hätte er nicht vorher gelebt, nur daß er vorher nicht für sich gelebt. Das Bewußtsein, womit das Kind bei der Geburt erwacht, ist nur ein Teil des ewig dagewesenen allgemeinen göttlichen Bewußtseins, das sich in der neuen Seele für sich zusammengenommen. Wir können freilich die lebendige Bewußtseinskraft so wenig durch alle Wege und Wandlungen verfolgen, als die lebendige Körperkraft.

Sorgst du aber, das menschliche Bewußtsein werde, weil aus dem Allgemeinbewußtsein herausgeboren, auch wieder in ihm verfließen, so sieh den Baum an. Es hat lange Jahre gedauert, ehe die Zweige aus dem Stamme kamen; einmal gekommen, gehen sie nicht wieder in ihm unter. Wie wollte der Baum wachsen und sich entwickeln, wenn es geschähe, auch der Lebensbaum der Welt aber will wachsen und sich entwickeln.

Nach allem ist das die große Kunst des Schlusses vom Diesseits auf das Jenseits, nicht von Gründen, die wir nicht kennen, noch von Voraussetzungen, die wir machen, sondern von Tatsachen, die wir kennen, auf die größern und höhern Tatsachen des Jenseits zu schließen, und dadurch den praktisch geforderten, an höheren Gesichtspunkten hängenden Glauben von untenher zu festigen, zu stützen und mit dem Leben in lebendigen Bezug zu setzen. Ja, brauchten wir den Glauben nicht, wozu ihn stützen; doch wie ihn brauchen, hätte er keine Stütze.


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