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Sechstes Kapitel

Die Sehnsucht, die jedem Menschen inwohnt, denen, die ihm hier am liebsten waren, nach dem Tode wieder zu begegnen, mit ihnen zu verkehren und das frühere Verhältnis zu erneuern, wird in vollkommnerem Grade erfüllt werden, als je geahnt und versprochen worden.

Denn nicht bloß begegnen werden sich in jenem Leben die, welche in diesem durch ein gemeinschaftliches geistiges Element verknüpft waren, sondern in eins zusammenwachsen werden sie durch dies Element; es wird ein ihnen gemeinschaftliches Seelenglied werden, das beiden mit gleichem Bewußtsein angehört.

Denn schon jetzt sind ja die Toten mit den Lebenden, wie die Lebenden selbst untereinander, durch unzählige solche gemeinschaftliche Elemente verwachsen; aber erst, wenn der Tod den Knoten löst, den der Körper um die Seele jedes Lebenden zieht, wird zur Verknüpfung des Bewußtseins auch das Bewußtsein der Verknüpfung treten.

Jeder wird im Augenblicke des Todes erkennen, daß das, was sein Geist von früher Verstorbenen aufnahm oder mit ihnen gemeinschaftlich hatte, auch diesen Geistern immer noch mit angehört, und so wird er nicht wie ein fremder Gast in die dritte Welt eintreten, sondern wie ein längst Erwarteter, dem alle, mit denen er hier durch eine Gemeinschaft des Glaubens, des Wissens, der Liebe verknüpft war, die Hände entgegenstrecken werden, ihn an sich zu ziehen als ein ihnen zugehöriges Wesen.

In gleich innige Gemeinschaft werden wir auch treten mit jenen großen Toten, die lange vor unserer Zeit die zweite Lebensstufe durchwandert und an deren Beispiel und Lehre sich unser Geist gebildet. So, wer hier ganz in Christo lebte, der wird dort ganz in Christo sein. Aber seine Individualität wird nicht erlöschen in der höhern Individualität, sondern nur Kraft gewinnen in ihr und jener Kraft zugleich verstärken. Denn welche Geister miteinander verwachsen durch ihre gleichen Momente, die gewinnen jeder des andern Kraft zu ihrer eignen und bestimmen sich zugleich durch das damit zusammenhängende Verschiedene.

So werden sich manche Geister gegenseitig verstärken durch große Teile ihres Wesens, andre auch nur verknüpft sein durch einzelne zusammenfallende Momente.

Nicht alle diese Verknüpfungen, die auf die Gemeinschaftlichkeit eines geistigen Moments gegründet sind, werden bleiben; aber die werden bleiben, deren Moment der Wahrheit, Schönheit oder Tugend angehört.

Alles, was nicht die ewige Harmonie in sich trägt, wird, wenn es auch dieses Leben noch überdauert, doch endlich in sich zerfallen und eine Zerspaltung der Geister bewirken, die eine Zeitlang dadurch zu einem verwerflichen Bunde vereinigt waren.

Die meisten geistigen Momente, die im jetzigen Leben sich entwickeln und die wir in das folgende mit hinübernehmen, tragen zwar einen Kern des Wahren, Guten und Schönen in sich, aber eingehüllt durch viel Zusatz des Unwesentlichen, Falschen, Verkehrten und Verderbten. Welche Geister durch solche Momente zusammenhängen, die können verbunden bleiben oder sich trennen; je nachdem sie sich beide vereinigen, das Gute und Beste darin festzuhalten und das Schlechte den bösen Geistern, bei ihrer Scheidung von ihnen, allein zurückzulassen oder je nachdem der eine das Gute, der andere das Schlechte ergreift.

Welche Geister aber einmal sich einer Form oder Idee des Wahren, Schönen oder Guten in ihrer ewigen Reinheit gemeinschaftlich bemächtigt haben, die bleiben auch durch sie verbunden in alle Ewigkeit und besitzen sie auf dieselbe Weise als Teil ihrer selbst in ewiger Einigkeit.

Das Erfassen der ewigen Ideen von den höhern Geistern ist daher ein Zusammenwachsen derselben durch diese Ideen zu größern geistigen Organismen; und wie alle individualen Ideen in allgemeinen und diese in allgemeinern wurzeln, so werden zuletzt alle Geister als Gliedmaßen mit dem größten Geiste, mit Gott, zusammenhängen.

Die Geisterwelt in ihrer Vollendung wird daher nicht eine Versammlung, sondern ein Baum von Geistern sein, dessen Wurzel in dem Irdischen eingewachsen ist und dessen Krone in den Himmel reicht.

Nur die größten und edelsten Geister, Christus, die Genien und Heiligen, vermögen unmittelbar mit ihrem besten Teile bis zur innern Höhe Gottes hinanzuwachsen; die kleineren und geringeren wurzeln in sie wie Zweige in Äste und Äste in Stämme ein, und hängen so mittelbar durch sie mit dem, was in dem Höchsten das Höchste ist, zusammen.

So sind die gestorbenen Genien und Heiligen die wahren Vermittler zwischen Gott und den Menschen; sie sind zugleich der Ideen Gottes teilhaftig, führen sie den Menschen zu, zugleich empfinden sie die Leiden, Freuden und Wünsche der Menschen, und führen sie Gott zu.

Hat sich doch der Kultus der Toten mit dem vergötternden Naturkultus gleich im Ursprunge der Religion halb verschwistert, halb geteilt; die rohsten Völker haben das Meiste, die gebildetsten das Höchste davon behalten, und wo gäb es heut noch eine, die nicht ein großes Bruchstück davon als ihr Hauptstück bewahrte.

Und so sollt es in jeder Stadt einen Tempel ihrer größten Toten geben, angebaut an den Tempel Gottes oder in ihm eingebaut, indes man Christus wie bisher mit Gott selbst im selben Zimmer wohnen lasse.


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