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Viertes Kapitel

Indem die höheren Geister nicht bloß in einzelnen Menschen wohnen, sondern indem jeder sich in mehrere hineinverzweigt, sind sie es, die diese Menschen auf geistige Weise verknüpfen, sei es zu einer Form des Glaubens, oder einer Wahrheit, einer moralischen oder politischen Bestrebung. Alle Menschen, die irgendeine geistige Gemeinschaft miteinander haben, gehören zum Leibe eines und desselben Geistes zusammen und gehorchen der Idee, die von ihm in sie eingegangen ist, wie zusammengehörige Glieder. Oft lebt eine Idee in einem ganzen Volke auf einmal, oft wird eine Masse Menschen zu einer und derselben Tat begeistert: das ist ein mächtiger Geist, der sie alle überkommt, in alle epidemisch hineinstrahlt. Freilich nicht bloß durch die Geister der Toten geschehen diese Verknüpfungen, sondern unzählige neugeborene Ideen wirken von den Lebenden in die Lebenden hinein, aber alle diese Ideen, die vom Lebenden in die Welt gehen, sind ja schon Glieder seines künftigen geistigen Organismus.

Wenn nun zwei verwandte Geister in der Menschheit sich begegnen und durch ihre gemeinschaftlichen Momente verwachsen, indes sie sich zugleich durch ihre verschiedenartigen wechselseitig bestimmen und bereichern, so treten zugleich die Gesellschaften, Geschlechter, Völker, denen sie erst einzeln innewohnten, in geistige Gemeinschaft und bereichern sich durch ihr geistiges Besitztum. So geht die Entwicklung des Geisterlebens dritter Stufe in der Menschheit untrennbar mit der Entwickelung, dem Fortschritte der Menschheit Hand in Hand. Die allmähliche Ausbildung des Staats, der Wissenschaften, der Künste, des menschlichen Verkehrs, die Organisation dieser Lebenssphären zu immer größern harmonisch gegliederten Ganzen ist die Folge dieses Zusammenwachsens von unzähligen geistigen Individualitäten, die in der Menschheit leben und weben, zu größern geistigen Organismen.

Wie möchten auch sonst jene großartigen Sphären sich nach so unwandelbaren Ideen herausgestalten aus dem wirren egoistischen Treiben der einzelnen, die mit ihrem kurzsichtigen Auge in der Mitte nicht den Umfang und im Umfang nicht die Mitte erblicken, wenn nicht die klar durch das Ganze schauenden höhern Geister durchwirkten durch das Getriebe, und indem sie sich alle um das gemeinsame göttliche Zentrum drängen, und dabei zusammenfließen mit ihren göttlichen Teilen, auch die Menschen, in denen sie wirken, dem höhern Ziele vereint zuführten.

Aber neben der Harmonie der Geister, die sich freundlich begegnen und gatten, besteht auch ein Kampf der Geister, deren Wesen im Widerspruch ist, ein Kampf, in dem alles in endlichem Zwist Befangene sich zuletzt aufreiben wird, damit das Ewige in seiner Reinheit allein übrigbleibe. Auch dieses Kampfes Spuren zeigt die Menschheit auf im Streit der Systeme, im Haß der Sekten, in den Kriegen und Empörungen zwischen den Fürsten und Völkern und den Völkern untereinander.

In alle diese großen geistigen Bewegungen tritt die Masse der Menschen hinein mit blindem Glauben, mit blindem Gehorsam, mit blindem Haß, mit blinder Wut; sie hört nicht und sieht nicht mit den Ohren und Augen des eignen Geistes; sie wird getrieben von fremden Geistern nach Zwecken und Zielen, von denen sie selbst nicht weiß, sie läßt sich führen durch Sklaverei und Tod und greuliche Drangsale, wie eine Herde folgend dem Antriebe der höhern Geister.

Freilich gibt es auch Menschen, die mit klarem Selbstbewußtsein und mit innerer Selbständigkeit handelnd und leitend in diese große Bewegung eingreifen. Aber sie sind nur freiwillige Mittel zu großen vorbestimmten Zwecken; durch ihr freies Handeln zwar vermögend, die Art und Schnelligkeit, aber nicht das Ziel des Fortschritts zu bestimmen. Nur die haben Großes in der Welt gewirkt, welche die geistige Richtung der Gegenwart, in der sie lebten, erkannt und ihr freies Handeln und Denken nach dieser Richtung gelenkt haben; wohl ebenso große Menschengeister, die ihr widerstrebten, sind untergegangen. Jene hat sich der Geist, der die besseren Ziele setzt und bessern Wege dazu kennt, zu neuen Mittelpunkten seiner bewegenden Kraft ausersehen; nicht als blinde Werkzeuge, sondern als solche, welche aus eignem Antriebe und mit eignem Verstande seinen Rechten und seiner Weisheit dienen. Nicht der gezwungene Sklave verrichtet den bessern Dienst. Womit sie aber Gott diesseits zu dienen beginnen, das werden sie jenseits als Teilhaber seiner himmlischen Herrschaft weiter führen.


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