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Achtes Kapitel

Der Mensch verkehrt während seines Lebens nicht allein geistig, sondern auch materiell mit der Natur.

Wärme, Luft, Wasser und Erde dringen von allen Seiten in ihn hinein und strömen nach allen Seiten aus ihm wieder zurück, schaffen und wechseln seinen Leib; aber indem sie, die außer dem Menschen nur nebeneinander hergehen, sich in ihm begegnen und kreuzen, knüpfen sie einen Knoten, der des Menschen leibliches Gefühl und hiermit zugleich alles, was noch innerlicher ist als dies Gefühl, abschließt vom Gefühle der Außenwelt. Nur durch die Fenster der Sinne vermag er noch aus seinem leiblichen Gehäuse in die Außenwelt hineinzusehen und hineinzufühlen und wie mit kleinen Eimern etwas daraus zu schöpfen.

Wenn aber der Mensch sterben wird, so wird sich mit dem Verfaulen seines Leibes jener Knoten lösen, und der Geist, nicht mehr durch ihn gefesselt, wird sich nun mit völliger Freiheit durch die Natur ergießen. Er wird nicht mehr bloß die Licht- und Schallwellen empfinden, wie sie an sein Auge und Ohr schlagen, sondern wie sie im Äther- und Luftmeere selbst fortrollen, nicht mehr bloß das Anwehen des Windes und das Anwogen des Meeres gegen seinen darin gebadeten Leib fühlen, sondern in der Luft und dem Meere selbst rauschen; nicht mehr äußerlich im Waldes- und Wiesengrün wandeln, sondern Wald und Wiese mit den darin wandelnden Menschen fühlend durchdringen.

So geht ihm also nichts verloren im Übergange zu der höhern Stufe, als Werkzeuge, deren beschränkten Dienst er missen kann in einem Dasein, wo er vollständig und unvermittelt alles in sich tragen und empfinden wird, was auf der niedern Stufe ihm durch jene träge Vermittelung nur einzeln und äußerlich nahe trat. Was sollten wir auch in das folgende Leben noch Auge und Ohr mit hinübernehmen, um das Licht und den Schall zu schöpfen aus dem Borne der lebendigen Natur, da der Wellenzug unseres künftigen Lebens mit der Licht- und Schallwelle in eins gehen wird? Doch mehr!

Das Auge des Menschen ist nur ein kleines sonnenhaftes Fleckchen auf der Erde und hat vom ganzen Himmel nichts als lichte Pünktchen. Das Verlangen des Menschen, vom Himmel mehr zu wissen, wird hier nicht erfüllt.

Er erfindet das Fernrohr und vergrößert damit die Fläche und die Tragkraft seines Auges; umsonst, die Sterne bleiben Pünktchen.

Nun meint er, was das Diesseits nicht gewähren kann, im Jenseits zu erlangen, seine Wißbegierde endlich dadurch zu befriedigen, daß er in den Himmel kommt und fortan alles klar erblickt, was seinen irdischen Augen hier verborgen blieb.

Er hat recht; nicht dadurch aber kommt er in den Himmel, daß er Flügel bekommt, von einem Gestirne zu dem andern oder gar in einen unsichtbaren Himmel über den sichtbaren Himmel zu fliegen; wo gab es in der Natur der Dinge dazu die Flügel; nicht dadurch lernt er den ganzen Himmel kennen, daß er nach und nach in immer neuen Geburten von einem Gestirne auf das andere getragen wird; kein Storch ist dazu da, die Kindlein von Stern zu Stern zu tragen; – nicht dadurch gewinnt sein Auge die Tragkraft für die größten himmlischen Wetten, daß es zum größten Fernrohr gemacht wird; das Prinzip des irdischen Sehens will nicht mehr reichen; – sondern dadurch gelangt er zu allem, daß er als jenseitiger bewußter Teil des großen himmlischen Wesens, das ihn trägt, an dessen Lichtverkehr mit den andern himmlischen Wesen bewußten Anteil gewinnt. Ein neues Sehen! für uns hienieden keines, weil unseres hienieden keines für den Himmel ist. Im Himmel schwebt die Erde selbst als großes Auge, ganz eingetaucht in die Lichtmeere der Gestirne und rings sich darin wendend, den Wellenschlag aller von allen Selten zu empfangen, der sich millionen- und aber millionenmal kreuzt und doch nicht stört. Mit diesem Auge wird der Mensch einst in den Himmel sehen lernen, indem der Wellenschlag seines künftigen Lebens, womit er es durchdringt, dem äußern Wellenschlag des Äthers, der es umgibt, begegnet und ihm entgegen mit feinsten Schlägen durch die Himmel dringt.

Sehen lernen! Und wie viel wird der Mensch noch nach dem Tode lernen müssen! Denn mag er doch nicht meinen, daß er der ganzen himmlischen Klarheit, wozu das Jenseits ihm die Mittel bietet, gleich beim Eintritt mächtig sein wird. Auch diesseits lernt das Kind erst sehen, hören; denn was es anfangs sieht und hört, ist unverstandener Schein, ist Schall, worin kein Sinn, zuerst sogar nur Blendung, Betäubung und Verwirrung; nichts anderes aber mag das Jenseits den neuen Sinnen des neuen Kindes anfangs bieten. Nur was der Mensch aus dem Diesseits mitbringt, den gesamten Erinnerungsnachklang alles dessen, was er diesseits getan, gedacht, gewesen, sieht er mit dem Übertritt auf einmal in sich klar erhellt, doch bleibt er damit zunächst nur, was er war. Auch meine niemand, daß die Herrlichkeit des Jenseits dem Törichten, dem Faulen, dem Schlechten anders zugute kommen wird, als daß sie ihn den Mißklang seines Wesens dazu empfinden läßt und dadurch endlich nötigt, sein Wesen umzukehren. Schon in das jetzige Leben bringt der Mensch ein Auge mit, die ganze Pracht des Himmels und der Erde zu schauen, ein Ohr, die Musik und Menschenrede zu vernehmen, einen Verstand, den Sinn von alledem zu fassen, was frommts dem Törichten, dem Faulen, dem Schlechten?

Wie das Beste und Höchste des Diesseits, ist auch das Beste und Höchste des Jenseits nur da für die Besten und Höchsten, weil selbst nur durch die Besten und Höchsten verstanden, gewollt und geschaffen.

Also mag auch erst der höhere Mensch des Jenseits das Verständnis für den bewußten Verkehr des Wesens, das ihn trägt, mit den andern himmlischen Wesen gewinnen und selbst als Werkzeug in diesen Verkehr mit eintreten.

Ob nicht endlich doch die ganze Erde, allmählich immer engere Kreise ziehend, nach Äonen von Jahren in den Schoß der Sonne zurückkehren wird, dem sie einst entronnen, und von da ein Sonnenleben aller irdischen Geschöpfe beginnen wird, wer weiß es; und wozu not, daß wir es jetzt schon wissen?


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