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Das dritte Scheibchen – – – und diesmal war's eine mächtige Scheibe, die mir amerikanische Moral heruntersäbelte.

Ich wurde eingesperrt im achtzehner Jahre – ich hatte bei meiner Geburt das entsetzliche Verbrechen begangen, als Deutscher auf die Welt zu kommen. Nicht, dass alle Deutschen im Lande verhaftet wurden, das wäre bei den Millionen Deutschgeborenen nicht gut möglich gewesen. Man musste also eine gewisse Auslese treffen und tat das nach sehr gescheiten Grundsätzen. Zunächst wurden alle Seeleute, Offiziere und Mannschaften der in den Häfen liegenden deutschen Schiffe festgenommen – da man die Schiffe beschlagnahmte, so musste man die Besatzungen dort irgendwie unterbringen. Dann wurden viele harmlose Menschen festgenommen, die aus allen möglichen Gründen von allen möglichen Menschen denunziert waren – Zufallverhaftungen, die sich aber im Laufe der Monate und Jahre summierten.

Ein sehr geschickter Schachzug war es, alle die Deutschen einzustecken, die grosse Vermögen, Fabriken, Geschäfte ihr eigen nannten oder solche vertraten: auf diese Weise konnte man viel bequemer die deutschen Vermögen stehlen, da man sich aus der Haft heraus, von jeder Verbindung mit der Aussenwelt abgeschnitten, ja nicht wehren kann. Und endlich gab es noch eine Kategorie, zu der ich gehörte; das waren die Deutschen, deren Namen einigermassen bekannt waren. Damit konnte man in der Presse mächtig Reklame machen: wiedermal hatte man den deutschen »Meisterspion« gefangen. Ob irgendein Müller, Schulze oder Lehmann eingesperrt wurde, das interessierte keine Katze, aber mit der Verhaftung Dr. Karl Mucks beispielsweise, des in der ganzen Welt berühmten damaligen Leiters des Boston-Symphony-Orchesters, konnte man ein ungeheures Geschrei machen. Es war erstaunlich, was man bei dieser Gelegenheit einem gutgläubigen Publiko alles auftischen konnte. Der Dr. Muck hatte überall an den Küsten drahtlose Stationen eingerichtet und nebenher sichere Landungsplätze für deutsche U-Boote gebaut, die demnächst das Land erobern sollten. Er hatte an vielen Stellen im Lande chemische Laboratorien eingerichtet, in denen Bazillen für Maul- und Klauenseuche erzeugt wurden – mit diesem Teufelszeug zog er dann herum und infizierte Pferde, Maultiere, Kühe und Kälber. Nicht genug damit – dieser fürchterliche Mensch hatte in allen grossen Städten luxuriöse Bordells geschaffen, in welchen die Mädchen künstlich venerisch verseucht wurden, und die so präparierten Buhldirnen liess dieser Abschaum dann in Kasernen und Lager los, versyphilisierte so die Verteidiger des armen, amerikanischen Vaterlandes gleich regimenterweise. Das – und noch manche andere seiner diabolischen Machenschaften – las man alltäglich in allen Blättern des Landes; ich habe nie begreifen können, wie der Mensch bei so anstrengender Tätigkeit noch Zeit fand, ausserdem fast allabendlich ein Konzert zu geben, allnächtlich auf der Bahn in eine andere Stadt zu fahren, um allmorgendlich dort mit seinen Philharmonikern eine Probe abzuhalten – aber das tat er gewiss nur, um seine wahre Tätigkeit zu verschleiern!

Natürlich wurde dem Dr. Muck das Handwerk gelegt; neben ihm noch ein paar anderen – und mir auch – denen die Zeitungen ähnliche Verbrechen nachsagten. Ich habe also ein halbes Dutzend Zuchthäuser und Gefängnisse kennengelernt, war schliesslich froh, als ich nach einigen Monaten solchen Ferienaufenthaltes im Gefangenenlager landete.

Um diese Zeit gelang meine Trockenlegung; nicht restlos zwar, aber immerhin gründlicher, als mir lieb war.

In dem Festsaale, den ich in dem zweiten Zuchthause, mit dem ich Bekanntschaft machte, einnahm – sieben Fuss hoch, sieben Fuss breit und sieben lang und der ausser mir noch viele Tausende anderer lebender Wesen beherbergte, wurde mir freilich dringend genug von dem Wärter, der mir das sogenannte Fressen unter das Gitter schob, eine Aufbesserung der Kost durch vorzüglichen Whisky empfohlen. Gegen sehr hohe Bezahlung natürlich – aber der Kerl behauptete, dass er dafür auch das Beste vom Besten herbeischaffen könnte. Bei seinen Verbindungen! Wenn man nun, wie ich, in Ermangelung jeder anderen Lektüre, die Bibel schon fünfmal vom ersten bis zum letzten Buchstaben durchgelesen hat und dabei, von Noah bis zur Hochzeit von Kanaan, manche hübschen Geschichten über die Freude eines guten Trankes geniesst, so bekommt man Durst und gibt gern einen Teil der im Stiefel verborgenen Schätze für solche Versprechungen her.

Und der Mensch betrog mich nicht: schon am übernächsten Tage beim Zubettgehn – man geht im Zuchthaus um sieben Uhr abends zu Bett, das heisst, man wickelt sich in alte Zeitungen und legt sich auf die verlauste Pritschendecke – schob er mir heimlich ein zerbrochenes Glas durch das Gitter – als alter Kenner roch ich zunächst einmal daran. Gekostet habe ich auch, wenigstens die Zunge hineingesteckt; aber ein guter Instinkt bewahrte mich davor, auch nur einen Tropfen davon zu trinken.

Alkohol war es freilich, daran war nicht zu rütteln. Aber es war Methylalkohol; das kam nach einiger Zeit heraus, als eine Reihe anderer Gefangener, darunter ein wegen Mordes schon seit Monaten zum Tode verurteilter Nigger, der die Zelle neben mir bewohnte, gefährlich erkrankten. Drei davon erblindeten – nur der Nigger hatte wirklich einen Vorteil davon: er musste wieder einigermassen gesund gepflegt werden, so dass er erst dreiviertel Jahre später in Sing-Sing auf dem elektrischen Stuhl Platz zu nehmen genötigt wurde.

Was mich betrifft, so benutzte ich das Zeug dazu, eine neue Todesart für meine Mitbewohner auszuprobieren – neben dem Bibellesen war Morden längst meine Hauptbeschäftigung geworden. Dem, der besonders dafür Interesse haben sollte, will ich gerne verraten, dass – während doch die meisten Tiere sich leicht an Alkohol gewöhnen und dann eine starke Vorliebe dafür haben – Holzalkohol ihnen äusserst zuwider ist. Läuse gehen überraschend schnell darin zugrunde, bei Flöhen und Wanzen dauert es schon einige Zeit. Kakerlaken aber zeigen auch gegen dieses abscheuliche Gesöff eine erstaunliche Widerstandskraft.


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