Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI. Die verbannte Fee

Die Großmutter erzählte:

»Purzel!« sagte die Feenkönigin Mab zu ihrem ersten Minister, »Purzel, es geht nicht mehr so weiter!«

Der erste Minister winkte einer kleinen Elfe, ließ sich von ihr hinterm Ohr kratzen, denn das tat er der Vornehmheit wegen niemals selber und antwortete:

»Ja, Frau Königin, es geht wirklich nicht mehr so weiter!«

»Solange die Welt besteht,« fuhr die Königin fort, »hat es niemals eine so unbändige Fee gegeben. Sie ist ganz aus der Art geschlagen, die Bora, ich weiß nicht, woher das kommt!«

»Frau Königin dürften sich vielleicht auch nicht ganz von aller Schuld freisprechen,« wandte der Minister ein und gab der kleinen Elfe einen Schubs, daß sie einen Bückling für ihn machte. Diese riesige Vornehmheit hatte der Herr Purzel selbst erfunden und war dafür mit Recht zum ersten Minister im Feenlande Avalun ernannt worden. Früher war er Aktuar bei dem kleinen Amtsgericht in Gumpelskirchen gewesen; doch hatte er immer Beziehungen zum Feenreiche gehabt, weil eine alte pensionierte Fee seine Patin war. Wegen seiner großen Vornehmheit mochte ihn die Königin gut leiden, aber jetzt fuhr sie ihn doch an.

»Purzel,« rief sie, »was soll das heißen?«

Purzel winkte noch zwei kleine Elfen heran und ließ alle drei ein paar tiefe Verbeugungen machen, was natürlich einen außerordentlich guten Eindruck machte.

»Frau Königin wollen sich gütigst ein klein wenig der Vergangenheit erinnern,« sagte er würdevoll. »Während Frau Königin mit ihrer Liebe sonst nur die zarten Zephire und die weichen Westwinde zu beglücken pflegten, so daß aus diesen gesegneten Heiraten nur milde, sanfte und süße Feechen entsprossen, hatten Frau Königin eines schönen Tages die Laune, Herz und Hand dem Nordwind, dem wilden Boreas, zu schenken. Er hat sich dann derartig rauh und ungeschliffen im Lande herumgetrieben, daß er mit vieler Mühe verjagt werden mußte.«

»Ja, das ist wahr,« sagte die Feenkönigin. Sie seufzte ein paarmal in der Erinnerung und fügte halblaut hinzu: »Er war doch ein netter Kerl!«

Der Minister überhörte das.

»Aus dieser unheilvollen ehelichen Verbindung,« fuhr er fort, »ist die Feenprinzessin Bora hervorgegangen. Vom wissenschaftlichen Standpunkte aus ist es daher durchaus nicht zu verwundern, daß sie ein Unband geworden ist.«

Die Königin seufzte wieder.

»Sie ist ein arger Unband,« sagte sie, »gerad wie der Papa!«

»Frau Königin sollten daraus die Lehre ziehen, in Zukunft in der Wahl ihrer Ehegatten vorsichtiger zu sein. Wenn zum Beispiel Frau Königin einmal geruhen wollten, Ihre Augen auf mich zu werfen – –«

Die Königin sah ihren Minister von oben bis unten an und fing hell an zu lachen. Purzel aber ließ sich durchaus nicht stören.

»– – so könnte ich Ihnen garantieren,« fuhr er fort, »daß die aus solcher, unter einem glücklichen Sterne geschlossenen Ehe, entsprossenen Feechen wahre Muster an Vornehmheit sein würden!«

Die Königin lachte, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen.

»Nein, lieber Purzel,« rief sie, »und wenn die Feechen auch alle ganz grenzenlos vornehm werden würden, so möchte ich doch lieber hundert Nordwinde auf einmal heiraten als dich!«

Herr Minister Purzel ärgerte sich, aber er versteckte seinen Ärger unter einem sehr vornehmen Gesichtsausdruck.

In diesem Augenblick kamen laut schreiend ein halbes Dutzend junger Feen mit fliegenden Haaren angelaufen.

»Die Bora hat mich in den Arm gezwickt, daß ich einen ganz blauen Fleck habe!« rief die eine.

»Die Bora hat mir Juckpulver ins Bett getan!« jammerte die zweite. »Ich muß mich fortwährend kratzen.«

»Die Bora hat mich beim Baden immer untergeduckt!« piepste die dritte. »Ich kann gar keine Luft mehr kriegen.«

»Die Bora hat gesagt, ich hätte ein Hühnerauge!« wehklagte die vierte.

»Die Bora hat mir all meinen Kuchen weggegessen,« schluchzte die fünfte.

»Die Bora zieht mich immerfort an den Haaren!« heulte die sechste.

»Warum ziehst du sie denn nicht wieder an den Haaren?« fragte die Königin.

»Man kann sie ja kaum mehr daran ziehen!« antwortete die kleine Fee. »Die Bora hat gesagt, daß lange Haare dumm wären und hat sich alle an der Schulter abgeschnitten!«

»Nein, so was!« sagte der Minister. »Das verstößt gegen alle Vornehmheit.«

Aber auch die Königin war außer sich. Ganz lange Haare bis unter die Knie, das war der Stolz aller Feen, und nun hatte sich die Bora die Haare abgeschnitten!

»Der schreckliche Unband!« sagte die Königin.

»Es geht nicht mehr so weiter!« sprach der Herr Purzel. »Frau Königin müssen etwas dagegen zu tun geruhen.«

»Das will ich auch!« sagte die Königin. »Ich will sie verbannen.«

»Wenn die Frau Königin nur Ort und Zeit der Verbannung festsetzen wollen,« sagte der Minister.

Die Zeit, in die hinein die Prinzessin verbannt werden sollte, mußte nämlich auch festgesetzt werden, da die Feen eigentlich in gar keiner Zeit leben oder auch beliebig gerade in der Zeit, in der sie wollen.

»Welche Zeit hältst du denn für am besten, Purzel?« fragte die Königin.

»Ich möchte der Frau Königin den Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts vorschlagen,« meinte der Minister. »Das ist eine Zeit, in der die Menschen ganz besonders langweilig sind. Als Ort möchte ich gehorsamst einen großen Blumengarten in Vorschlag bringen, da wird die junge Feenprinzessin vielleicht ein wenig Sanftmut lernen!«

Die Königin nahm den Vorschlag des Herrn Purzel gleich an, weil er ihr ganz gut erschien. Die wilde Bora, die unter den alten Eichen lag und ein wenig schlummerte, wurde auf Befehl der Königin von ein paar leichten Zephirwinden sacht aufgehoben und schnell durch Zeiten und Länder in den Garten gebracht, in den sie verbannt werden sollte. Sie hatte gar nichts von der Entführung gemerkt und schlummerte ruhig weiter unter den Rosen auf dem weichen grünen Rasen, auf dem man sie niedergelegt hatte.

Der Garten gehörte aber zu einer der allerschönsten Villen, die draußen vor der großen Stadt lagen. Er war sehr lang und breit, fast ein Park, und stieß hinten mit der Gartenmauer an einen Wald. Der Garten und die Villa gehörten den Eltern von einem kleinen Mädchen, das Lise hieß.

Als die Feenprinzessin aufwachte, schaute sie sich verwundert um. Sie rieb sich die Äuglein, denn sie glaubte noch zu träumen, so fremd kam ihr die ganze Umgebung vor. Wenn auch der große Garten gewiß sehr schön war, so war er doch gar nichts gegen das Feenland, denn da ist es ebenso schön wie sonst nirgends auf der Welt, und noch viel, viel schöner als drunten im Welschland, wo die Orangen und Lemonen auf den Bäumen wachsen und wie dicke Goldkugeln in der Sonne funkeln. Bora merkte, daß irgendetwas mit ihr geschehen war, sie rief laut nach ihren Gespielen, aber niemand antwortete. Da kam ein kleines Kerlchen herangesprungen, das mit einem blauen Fliederzweig in der Luft herumschwenkte. Es war Schnuck, ein kleiner Elferich, den Bora immer besonders gern leiden mochte, weil er so lustig war.

»Tag, Fräulein Bora!« sagte er zu ihr. »Nun, wie gehts denn?«

»Wie solls gehen!« antwortete die Feenprinzessin, »wo sind wir denn hier eigentlich?«

Da erzählte ihr der Elferich, daß sie verbannt und über Nacht hieher gebracht worden sei.

»Das hat mir sicher der garstige Purzel eingetränkt,« rief die Prinzessin, »weil ich ihm eine Kellerassel in seine Perücke gesetzt habe! Na, warte, wenn ich ihn mal kriege! – Sag mal, Schnuck, was soll ich denn eigentlich hier?«

»Du sollst hier in dem großen Garten die Sanftmut lernen,« antwortete der Kleine. »Wenn du die gelernt hast, so darfst du zurückkehren, und dann wird dir der Herr Purzel jeden Tag zwei Lektionen in der Vornehmheit geben!«

»Nee, weißt du,« rief Bora, »dann geh ich lieber überhaupt nicht zurück! – Bist du auch verbannt, Schnuck?«

»Nein!« sagte der Elferich. »Ich bin nur mitgeschickt worden um dir etwas Gesellschaft zu leisten. Und dann soll ich ab und zu der Königin Nachricht bringen, ob du Fortschritte in der Sanftmut gemacht hast.«

»Sag mal, Kleiner,« unterbrach ihn Bora, »was ist das eigentlich: Sanftmut?«

»Woher soll ich das wissen?« antwortete Schnuck. »Ich habe gar keine Ahnung!«

Da wurde die junge Fee ganz traurig und senkte das Köpfchen.

»Wie soll ich denn da sanftmütig werden,« sagte sie, »wenn ich nicht mal weiß, was das ist!«

Der Kleine versuchte sie zu trösten.

»Vielleicht«, rief er, »kommts ganz von selber, wenn du dich hier ordentlich langweilst!«

»Ich will mich aber gar nicht langweilen!« klagte die Prinzessin. »Ach Gott, jetzt habe ich niemanden, den ich zwicken und schubsen oder am Haar ziehen könnte, es ist gräßlich!«

Sie schluchzte laut, und der Elferich ließ sie schluchzen, denn er meinte, das könnte wohl der Anfang zur Sanftmut sein.

»Ach,« jammerte Bora, »wenn ich wenigstens noch mein Juckpulver hätte!«

»Ich hab es dir mitgebracht!« lachte der Elferich und zog aus dem Täschchen, das er an der Seite hängen hatte, ein Tütchen heraus.

Bora nahm das Tütchen und war sofort wieder guter Dinge.

»O, du liebes, kleines Schnuckeltierchen!« rief sie. »Du bist ein prächtiger Kerl! Nun wollen wir mal sehen, ob wir jemand finden, der sich nach Juckpulver sehnt! – Du aber kannst schnell nach dem Feenlande fliegen und meiner Mama erzählen, daß ich schon große Fortschritte in der Sanftmut mache!«

Sie gab dem Kleinen einen Kuß und warf ihn hoch in die Luft. Er flog gleich durch die Bäume daher und wehte lustig mit seinem Fliederzweig.

»Bleib nur nicht zu lange fort, Schnuckchen!« rief ihm die junge Fee nach.

 

* * *

 

Bora sprang durch den Garten, um sich ein wenig im Lande ihrer Verbannung umzusehen. Es war kühl und frisch, obwohl es mitten im Sommer war und die Sonne hoch am Himmel stand. Sie lief über die breiten Rasenflächen und dann gerade in die Nelkenbeete hinein, die wie ein silberner Teppich dalagen. Sie haschte auch ein paar bunte Libellen, die sie auf die flache Hand setzte und dann eins, zwei, drei wieder in die Luft fliegen ließ. Dann blieb sie stehen, weil sie ganz in der Nähe ein sägendes Geräusch hörte, sie duckte sich hinter ein Rhododendron und schlich leise heran.

Es war aber nur der Gärtner mit dem roten Barte, der sein Mittagsschläfchen hielt und tüchtig dabei schnarchte. Bora kam auf den Zehenspitzen näher und betrachtete ihn. Er gefiel ihr ganz gut, weil er eine so komische dicke Nase hatte, die gerade aussah wie eine Kartoffel.

Da bemerkte sie, daß der Gärtner etwas in der Tasche stecken hatte. Sie zog es heraus, es war eine große Zeitung; die faltete sie auf, setzte sich hin und begann zu lesen. Denn die Feen können lesen und schreiben und reden und alles mögliche andre noch, sowie sie zur Welt kommen, und brauchen es deshalb nicht erst zu lernen. Es ist das eine sehr gute Einrichtung, die eigentlich auch bei den Menschen eingeführt werden sollte.

Die Feenprinzessin las also »Neueste Nachrichten« und da sie natürlich gern die neuesten Nachrichten aus aller Welt kennen lernen wollte, so las sie weiter. Sie erfuhr, daß ein Kind sich ganz schrecklich verbrannt habe, weil es unvorsichtigerweise mit Streichhölzchen gespielt habe, und das tat ihr sehr leid. Sie erfuhr auch, daß ein neues Denkmal enthüllt worden sei und daß jemand eine Rede dabei gehalten habe, und das war ihr ganz egal. Und dann stand noch in der Zeitung, wie hoch der Weizen im Preise stehe und wie hoch der Roggen und was ein Schwein koste und was ein Ochse. Und das war ihr erst recht gleichgültig. Aber vom Feenland stand gar nichts in der dummen Zeitung, und darüber ärgerte sich die Prinzessin Bora, sie hätte so gern etwas über ihre Verbannung gelesen. Aber sie wußte schon, woher das kam: seit nämlich der Herr Purzel Minister von Avalun war, wurde die Zensur dort ganz außerordentlich streng geübt, und das ist auch der Grund, weshalb wir Menschen so wenig Nachrichten vom Feenlande bekommen können.

Die junge Fee war also gar nicht zufrieden mit der Zeitung, und weil sie den Zeitungsschreiber nicht da hatte, so beschloß sie, wenigstens einen Leser der dummen Zeitung zu ärgern, den Gärtner nämlich. Sie öffnete die Tüte und bestreute ihn von oben bis unten mit Juckpulver, ganz vorsichtig, damit sie nicht selbst etwas auf die Hand bekam. Dann brach sie einen langen Grashalm ab und kitzelte den Gärtner in die Nase. Der nieste im Schlafe, aber da Bora ihn immer weiter kitzelte, mußte er noch dreimal niesen, und dabei wachte er auf. Er gähnte erst, dann fühlte er ein schreckliches Jucken am linken Bein.

»Hm!« sagte er. »Jedenfalls wieder so eine freche Ameise!«

Er kratzte sich so gut es ging, aber nun wirkte das Pulver auch am Halse und an den Armen und am andern Bein und auf der Brust. Überall juckte es ihn, es war, als ob hunderttausend kleine Krabbeltiere ihm über den ganzen Leib tanzten. Er kratzte sich aus Leibeskräften, aber dadurch wurde es noch viel schlimmer. Er hätte sich gern fünfzig Hände gewünscht, oder sechzig, um sich überall zugleich kratzen zu können.

Da er nun weder Ameisen noch sonst etwas fand und gar nicht begreifen konnte, was ihn denn eigentlich so sehr jucke, so machte er ein ganz schrecklich dummes Gesicht, so daß die junge Fee, die hinter dem Busche zusah, hell auflachen mußte.

»Aha!« rief der Gärtner, als er sie lachen hörte. »Also die kleine Lise hat mir wieder mal einen Streich gespielt!«

Wie er sich aber umdrehte, war die junge Fee schon längst durch alle Büsche gelaufen und der Gärtner hörte nur noch von ferne ihr silberhelles Lachen. Da beschloß er, sich erst mal unter die Pumpe zu stellen, um das unausstehliche Gejucke los zu werden.

Bora streifte durch den Garten einher und schloß schnell Freundschaft mit den Zeisigen und Buchfinken, mit den Amseln und den großen schwarzen Drosseln. Die Stunden gingen rasch herum und als zum Abend der Elferich Schnuck aus dem Feenlande zurückkehrte, war sie ganz erstaunt, daß er schon da war.

 

* * *

 

Die junge Fee lebte recht vergnügt in dem großen Garten. Der kleine Elferich leistete ihr getreulich Gesellschaft und war so komisch und lustig, daß sie zwanzigmal am Tage über ihn lachen mußte. Er wußte immer die Blumen aufzufinden, die den schönsten Honig hatten, und die Blätter, auf denen die klarsten Tautropfen lagen, denn die Feen und Elfen leben fast nur von Honig und Tautropfen. Auch in der Sanftmut übte sich Bora bisweilen, indem sie unversehens den großen Hund in den Schwanz kniff oder einem der weißen Pfauen, die im Garten herumspazierten, eine lange Feder ausrupfte.

Gar zu gern hätte sie die Lise kennen gelernt, das kleine Mädchen, deren Eltern der Garten und die Villa gehörten. Aber bisher hatte sie sie immer nur zusammen mit ihrer Gouvernante im Garten spazieren gehen gesehen, und die hatte so ernst drein geschaut, daß Bora und ihr Elferich sich gar nicht herangetraut hatten.

Meistens war die Gouvernante schon früher im Garten und wartete auf das kleine Mädchen.

»Lise!« rief sie. »Beeile dich, wir müssen die Schulaufgaben für die Naturgeschichte repetieren.«

Die Lise beeilte sich aber nicht sehr, sie kam ganz langsam herangekrochen.

»Also wir waren beim Birnbaum stehen geblieben. Was weißt du davon?« fragte die Gouvernante.

»Der gemeine Birnbaum, Pirus communis, gehört in die XII. Klasse zweiter Ordnung des Linnéschen Systems,« antwortete die Lise. »Die Blüte hat fünf Staubgefäße und zwanzig und mehr freie Griffel!«

»Falsch!« sagte die Gouvernante. »Fünf Griffel hat sie und zwanzig oder mehr freie Staubgefäße!«

»Sie bekommt gewiß Stunde in der Vornehmheit,« sagte Bora zu dem Elferich. »Das arme Ding!«

 

* * *

 

Eines Tages, als die junge Fee gerade an dem Rande des Springbrunnens saß und Goldfische fing, kam der Elferich herangelaufen.

»Fräulein Bora!« rief er, »ich habe das kleine Mädchen allein getroffen.«

»Wo ist es denn?« fragte Bora.

»Ach, jetzt ist es schon wieder im Hause, aber heute nacht kannst du es sehen!« sagte Schnuck.

»So erzähl doch!« rief die Fee.

Und der Elferich erzählte, daß er die Lise an der Gartenmauer getroffen habe, wo sie unter einem alten Holunderbaum schlief, eine große Puppe im Arm. Er habe ihr leise ins Ohr gesagt, daß heute nacht im Traum die Feenprinzessin Bora mit ihr spielen wolle.

Bora klatschte in die Hände; sie konnte kaum erwarten, bis es Abend war. Glücklicherweise mußte die Lise schon um halb neun Uhr zu Bett gehen und war nach einer halben Stunde ganz fest eingeschlafen.

Der Elferich hatte bald herausgefunden, in welchem Zimmer das kleine Mädchen schlief, und während die junge Fee bei dem Springbrunnen wartete, flog er hinauf und gerad durchs offene Fenster hinein.

»Lise!« rief er ganz leise. »Lise!«

»Ah – hm – hm – ah,« machte die Lise im Schlafe.

»Steh auf, faule Lise, steh auf!« rief der Elferich und zog ihr die Bettdecke fort. »Die Prinzessin Bora wartet im Garten auf dich!«

Da rieb sich das kleine Mädchen mit der Faust über die Augen und streckte die Beine zum Bett hinaus.

»Wie soll ich denn hinunterkommen?« fragte es. »Durch die Türe kann ich nicht, weil daneben mein Fräulein schläft, und fliegen kann ich auch nicht!«

Der Kleine nahm das große Bettuch und wickelte die Lise hinein, daß nur der Kopf und die Füßchen herausguckten. Er band die vier Ecken in einen großen Knoten zusammen und versuchte sie hochzuheben.

»Buh, bist du schwer1« prustete er. »Hier, nimm den Fliederzweig, da wirst du gleich leichter.«

Lise nahm den Fliederzweig in die Hand und fühlte sich mit einmal so leicht, daß sie gar nicht erstaunt war, wie der Elferich sie nur wie eine Feder aufhob. Er schwang seine vier Flügel und schwebte langsam zum Fenster hinaus.

Der Mond füllte mit weichem Silberlicht den weiten Garten. Alles war still und doch war überall ein zartes Auf- und Niederfluten, es war, als ob der Garten tief das Mondlicht einatme. Vorn am Rasen stand der gewaltige Kastanienbaum mit vielen hundert weißen Blütenkerzen. Der Schatten seiner Blätter zeichnete sich wie große Hände auf dem Wege ab.

Prinzessin Bora saß am Brunnenrande und träumte. Sie schaute einem großen Nachtfalter zu, der schweren Flugs über die Zweige des Kastanienbaumes flog. Und sie sang ein uraltes Feenlied in die Nacht:

»Irgendwo – – – irgendwo,
Weit in der weiten Welt,
Harrt mein ein junges Herz,
Harrt mein in wehem Schmerz,
Glühheiß von Lieb geschwellt – –
Wo? – – – Wo?

Irgendwann – – – irgendwann,
Weit in der Zeiten Gang,
Warten zwei Arme mein,
Warten in stiller Pein,
Warten lang, warten lang – –
Wann? – – – Wann?

Irgendwann – – – irgendwo
Fern unter blauem Zelt,
Find ich den Liebsten auf.
Weit in der Zeiten Lauf,
Weit in der weiten Welt –
Wann? – – – Wo?«

Und die Sehnsucht der verbannten Fee flog weit hinaus in alle blauen Welten. Zwei Tränen aber liefen ihr langsam, ganz langsam über die Wangen –. Da hörte sie ein Lachen über sich. Sie blickte auf und sah Schnuck in der Luft mit dem großen Bündel in der Hand, das er vergnügt hin- und herschaukelte.

»Fräulein Bora,« rief er, »da bring ich die Lise!«

Das kleine Mädchen streckte den Kopf vor, um besser sehen zu können. Dabei aber machte es eine ungeschickte Bewegung und ließ den Fliederzweig fallen. Sogleich wurde es wieder so schwer, daß der Elferich es nicht mehr halten konnte. Er machte eine verzweifelte Anstrengung, dann ließ er die Enden des Tuches los. Die Lise fiel gerade herunter, aber die junge Fee fing sie glücklich in den Armen auf.

»Also du bist die Lise?« sagte Bora. »Du hast ja gerade solche Haare wie ich.«

Wirklich hatte das kleine Mädchen gerade solche seidenweichen, goldblonden Locken, die ihr wellig auf die Schultern fielen.

»Und du hast gerade so große blaue Augen wie meine Mutter,« erwiderte die Lise.

»Vielleicht ist deine Mutter auch eine Fee,« sagte Bora.

»Glaubst du?« fragte das Mädchen.

»Wer weiß!« sagte Bora nachdenklich. »Es gibt mitten unter den Menschen viel mehr Feen, als die dummen Leute wissen! – Komm,« fuhr sie fort, »wir wollen ein wenig Ball spielen, hast du Schläger?«

»O ja,« erwiderte die Lise. »Auf dem Tennisplatz liegen welche.«

Sie liefen rasch dahin und das kleine Mädchen nahm die Schläger aus dem Kasten.

»Herrgott!« seufzte sie. »Nun sind keine Bälle da!«

»Das macht fast gar nichts!« rief die junge Fee. »Wir nehmen den Schnuck als Ball!«

Der Elferich wollte schnell weglaufen, Bora erwischte ihn aber noch. Sie hob ihn an den Flügeln hoch, warf ihn in die Luft und schlug ihn weit über das Netz. Die Lise war geschickt bei der Hand, sie ließ ihn gar nicht erst zu Boden fallen, sondern schlug ihn gleich in der Luft wieder zurück. Die Fee fing ihn auf und so flog der kleine Elferich eine Zeitlang hin und her über das Netz. Einmal aber schlug die Lise ihn so hoch, daß er mit den Händen einen Ulmenzweig greifen konnte. Er hielt sich daran fest, setzte sich und kam nicht mehr herunter.

Er wischte sich die Tränen ab und rieb sich den ganzen Körper, denn es ist sehr unangenehm, so als Ball immer herumgeschlagen zu werden.

»Flieg ins Feenland,« lachte ihm Bora zu, »und erzähle meiner Mama, daß ich gerade eine große Übung in der Sanftmut gemacht hätte!«

Dann sprang sie mit einem großen Satze hoch über das Netz zur Lise hin und faßte sie bei der Hand.

»Komm,« rief sie, »wir wollen Nachtfalter fangen!«

Sie zog das kleine Mädchen mit sich ins Gebüsch hinein und wies es an, Glühwürmchen zu suchen. Die wurden alle auf ein großes Kastanienblatt gesetzt, so daß es hell leuchtete in dem dunklen Gesträuch. Da flogen die starken Schmetterlinge von allen Seiten zusammen auf das Licht zu. Sie schienen aber ganz zahm zu sein, denn sie flatterten der jungen Fee auf die Hand und ließen sich ruhig von ihr streicheln. Die Lise griff mit beiden Händen in der Luft herum, aber wie sie sich auch abmühte, sie konnte keinen einzigen fangen. Da flog ein ganz großer Falter, der laut wie ein kleines Kind quiekte, auf sie zu, so daß sie ordentlich einen Schreck bekam. Bora streckte den Arm aus und der Nachtfalter ließ sich ruhig nieder.

»O!« rief die Lise. »Ein Totenkopf!«

»Ja,« sagte die Fee, »du kannst ganz deutlich die Zeichnung sehen.«

Die Augen des kleinen Mädchens leuchteten. Sie streckte langsam die Hand aus.

»Ach!« sagte sie. »Wenn ich den haben könnte!«

»Was willst du denn damit?« fragte Bora.

»Mein Vetter Otto hat eine Schmetterlingssammlung,« erwiderte Lise, »dem will ich ihn schenken!«

»So!« rief die Fee. »Was macht er denn damit?«

»Er spießt ihn mit einer Nadel auf und steckt ihn in den Kasten,« antwortete das Mädchen ziemlich kleinlaut.

Bora warf den Totenkopf in die Luft und zog dann die Lise tüchtig am Ohr.

»Du grausames Ding!« rief sie. »Was würdest du sagen, wenn ich dich mit einer Nadel aufspießen und dann in einen Kasten stecken würde?«

Lise schämte sich sehr, am liebsten wäre sie gleich weggelaufen. Aber die Fee zog sie am Nachtkittelchen tiefer in das Gebüsch hinein.

»Sei still,« sagte sie, »da kommt was.«

Über den Weg, gerade unter dem Kastanienbaum, schritt eine merkwürdige Gestalt, es war ein Herr mit langem schwarzen Gehrock, der unten wie eine Glocke auseinanderfiel. Ertrug weiße Gamaschen auf den Lackschuhen und über der gestrickten weißen Weste flatterte ein großer schwarzer Schlips. Der enge, hohe Kragen war von dem schwarzen Seidentuch umwunden und auf die Stirn fiel ihm eine mächtige Haartolle. In der linken Hand hielt er ein kleines Notizbuch und in der rechten, mit der er immer in der Luft herumfuchtelte, einen langen Bleistift.

»Es ist ein Verrückter!« flüsterte die Fee.

»Nein!« sagte Lise. »Es ist ein Dichter!«

»Die sind noch schlimmer!« erwiderte Bora. »Woher weißt du, daß er ein Dichter ist?«

»Er ist doch mein richtiger Onkel!« sagte das Mädchen. »Er macht sicher ein Mondscheingedicht!«

»Flur und Hain,« murmelte der Dichter, »Silberschein; Leid und Lust, Menschenbrust – – so geht es!«

Dann warf er den Kopf zurück, hob den rechten Arm hoch und deklamierte:

»Trauten Mondes Silberschein
Strahlet über Flur und Hain,
Lindes Leid und leise Lust
Weck er in der Menschen Brust!«

»Prachtvoll!« sagte er. »Ganz prachtvoll, ich muß es gleich aufschreiben.« Er schrieb die Zeilen in sein Buch, dann stützte er nachdenklich den Kopf in die Hand und dachte sehr tief nach.

»Ich habs! Ich habs!« rief er. »Das ist eine ganz überraschende Wendung! Sei bedankt, heilige Stunde, die du mir solche Gedanken gabst!«

Er schrieb eifrig in sein Notizbuch, dann drückte er die rechte Hand auf die Weste und rief zum Himmel hinauf:

»Blickt hinab, ihr ewigen Sterne, auf den Sterblichen, der Unsterbliches schuf!«

»Er ist ganz sicher mondsüchtig geworden,« murmelte die Fee.

Der Dichter aber ging mit langen Schritten weiter, schwenkte mit beiden Armen in der Luft herum und deklamierte:

»O Mond! Schöner Mond!
Traum meiner zarten Jugend
Und meiner ersten Liebe!«

»Er hat sein Notizbuch fallen lassen!« sagte das kleine Mädchen, schlüpfte vorsichtig aus dem Gebüsch heraus und hob es auf. Der Dichter war schon weit fort, man konnte ihn immer noch hören, wie er hinten im Garten schöne Verse an den Mond aufsagte.

»Paß auf, List!« sagte die Fee. »Jetzt machen wir einen Hauptspaß! Hast du vielleicht einen Radiergummi bei dir?«

Die Lift war aber im Nachtkittel und hatte gar nichts bei sich.

»Bei mir auf dem Tisch liegt einer,« sagte sie, »ganz vorn, neben dem Zeichenheft. Wenn der kleine Elferich da wäre, könnte er ihn leicht holen!«

»Der ist jetzt böse auf uns und läßt sich nicht blicken,« antwortete Bora. »Aber ich kann jemand anders schicken!«

Sie bog einen Haselstrauch zurück, der zwischen zwei Ästen ein rundes Nestchen trug. Die Fee kraute mit leichtem Finger den Vogel, der darauf saß, an den Halsfedern.

»Mama Drossel,« sagte sie, »tu mir doch den Gefallen und flieg mal in der Lise ihr Zimmer. Vorn links auf dem Tisch, gerade neben dem Zeichenheft, liegt ein Radiergummi, den hol uns!«

»Willst du denn so lange meine Eier hüten?« fragte die Drossel.

»Natürlich!« rief die Fee. »Ich brüte deine Eier schon weiter! Mach nur, daß du fortkommst!«

Da flog die Drossel auf.

»O wie hübsch!« rief die Lise. »Fünf kleine Eier!«

Die Fee aber hielt ihre Hand auf das Nest, damit es nicht kalt werde. Nach ein paar Augenblicken fühlte sie ein leises Picken.

»Ich glaube, Lise, die jungen Vögelchen kriechen aus!« sagte sie.

Und so war es. Pick, pick! schlugen die kleinen Schnäbel an die Eierschalen und es dauerte nicht lange, da waren alle fünf ausgekrochen und sperrten hungrig die gelben Schnäbel auf.

Die Fee fing rasch ein paar Mücken und steckte jedem der Tierchen eine in den Schnabel. Inzwischen kam die schwarze Drossel herangeflogen und brachte den Radiergummi herbei.

»Nun, Mama Drossel,« sagte die Fee, »habe ich nicht gut für dich gebrütet? Alle fünf sind schon ausgekrochen! Morgen werde ich dir was zum Frühstück bringen für deine Kleinen!«

Dann ging sie mit Lise den Weg hinunter und beide setzten sich mitten auf den weichen Rasen. Die Fee nahm das Notizbuch und radierte tüchtig drin herum.

»So!« sagte sie. »Die erste Strophe lassen wir stehen, damit er nicht gleich was merkt. Nun schreibe, Lise, was ich dir vorsage.«

Das kleine Mädchen nahm den Bleistift und stützte das Notizbuch auf die Knie.

Die Fee diktierte:

»Sitzend auf dem Hinterbein Bellt zum Mond ein Hündelein. Auf des Daches höchsten Zinken Glucksen laut die Elefinken.«

»Was ist das – Elefinken?« fragte die Lise.

»Das sind Tiere, die vorn Elefanten und hinten Finken sind,« sagte die Fee. »Sie haben meist einen sehr schönen Tenor! Schreib weiter:

Und die Libellasen grasen
Auf dem grünen Silberrasen.
Während dreizehn Dromelachsen
In dem Teiche langsam wachsen.«

»Was für komische Tiere kommen in deinem Gedichte vor!« sagte das Mädchen.

»Es sind mondsüchtige Tiere,« erwiderte die Bora. »Libellasen sind Hasen mit Libellenbeinen und Flügeln und Dromelachsen sind eine gewisse Art von Fischdromedaren.«

»Auf die Gurkaurikel froh
Huppt ein junger Girafloh.
Riesendachsschlang spielt mit Glanz
Den Topfkatern eins zum Tanz!

Wanzwurz wimmert und zuweilen
Heulen auch die Kürbiseulen.
Flatterbesen gogt die Gige,
Trommeln tut die Trichterfliege.

So ist, wenn der Mond gekommen,
Jegliches Getier entglommen
Und im zarten Silberscheine
Schwingt es seine Stelzgebeine!«

»Fertig!« lachte die Fee.

»Gott sei Dank!« sagte die Lise. »Mir ist ganz gruselig von all den Tieren. Ich glaube, ich werde selber mondsüchtig!«

»Das kommt nur daher, weil du nichts von der Mondzoologie verstehst!« antwortete Bora. »Die Giraflöhe sind sehr lustige Tiere, halb Flöhe und halb Giraffen. Der Riesendachsschlang ist weiter nichts als ein veredelter Dachshund, der langsam immer länger gewachsen ist und sich schließlich verschlangt hat. Topfkater sind ganz gewöhnliche Kater, die bloß statt eines Kopfes einen Topf haben; der Unterschied ist also gar nicht so groß, wie du siehst, nur ein T statt eines K. Gurkaurikeln aber sind gelbe oder rote Aurikeln, die als Stengel Gurken haben, IV. Klasse, dritte Ordnung des Mondsystems! Der Wanzwurz gehört seinerseits in die hundertachtzehnte Klasse, neunte Ordnung, es ist eine Art Vergißmeinnicht, nur daß Wanzen statt Blumen auf ihm wachsen. Zum Anstecken als Sträußchen eignet er sich weniger, weil er stinkt und obendrein noch beißt. Die Trichterfliege ist ein Trichter, der fliegen und trommeln kann, und der Flatterbesen ein musikalischer Besen, der flattern kann; das ist doch selbstverständlich!«

»Aber die Kürbiseule?« fragte Lise.

»Das ist ein Kürbis, dem es durch langes Nachdenken gelungen ist, sich zu ereulen. Er setzt langsam Federn an und wird, wenigstens oben, zum Vogel; er ist sehr gesellig und sitzt immer im Klumpen zusammen!«

»Ich möchte gern mal eine sehen,« sagte das kleine Mädchen. – Dabei konnte es aber ein leises Gähnen nicht unterdrücken.

»Du bist müde, Lise,« sagte die Fee. »Ich werde dich zu Bett bringen!«

Sie nahm das kleine Mädchen auf den Arm und trug es bis unter das Fenster ihres Zimmers. Dann küßte sie es zweimal auf die Augen, drehte es in die weiße Decke ein und warf es hoch durch die Luft in das offene Fenster hinein. Die Lise fiel im Bogen gerad auf ihr Bett, drehte sich ein paarmal herum und zog sich die Kissen zurecht. Aber sie schlief gar nicht ruhig, sie träumte viel von Dromelachsen und Giraflöhen und häßlichen Wanzwürzen – –

 

* * *

 

Am nächsten Abend kam Schnuck, der Elferich, ganz gemütlich zu der jungen Fee hingeflogen, als ob nichts passiert wäre.

»Fräulein Bora,« fragte er, »soll ich die Lise holen?«

»Gewiß, Schnuckchen,« antwortete die Fee, »eil dich!«

Der Elferich flog, wie in der Nacht vorher, zum Zimmer hinein, weckte das kleine Mädchen, gab ihm den leichtmachenden Fliederzweig, wickelte es ins Bettuch ein und flatterte zum Fenster hinaus. Die Fee wartete am Springbrunnen, und der Elferich flog mit seiner leichten Last auf sie zu. Als er aber mitten über dem Springbrunnen war, riß er schnell der Lise den Fliederzweig fort und öffnete den Knoten des Bettuchs, so daß das arme Mädchen pardautz ins Wasser fiel. Die Fee streckte ihr vom Rande aus die Arme hin, um ihr herauszuhelfen, aber Schnuck flog schnell hinter sie und gab ihr einen tüchtigen Schubs, daß sie auch in Wasser fiel. Da lagen sie nun alle beide und prusteten und zappelten und wurden naß wie die Pudelhunde.

Schnuck aber stand am Rande, er rieb sich die Hände und rief lachend:

»So, das wird euch lehren, daß ihr ein andermal einen anständigen Elferich nicht zum Ballspiel benutzt!«

Zum Glück war das Wasser ganz flach, und die beiden krabbelten leicht wieder heraus. Bora war gar nicht böse auf den Kleinen, denn sie mochte allen Spaß gern, auch wenn sie selbst ein bißchen darunter leiden mußte. Sie blies dem kleinen Mädchen ein paarmal ganz leise ins Gesicht, da rollten alle Wassertröpfchen herunter auf die Erde und in wenigen Augenblicken war es wieder trocken von oben bis unten, genau so wie vorher.

»Schnuck!« rief die Fee. »Da hast du uns einen dummen Streich gespielt, nun sei auch wieder gut und sage uns, was wir tun sollen!«

»Ich weiß was!« sagte der Elferich. »Der Hund von der Lise ihrem Onkel, dem Dichter, der häßliche Mops, hat sich in die große, weiße Lilie da hinten verliebt. Er will ihr heute nacht einen Heiratsantrag machen, da können wir zugucken.«

Schnuck führte die beiden über den Rasen, wo sie sich hinter einer großen Blumenvase versteckten, in der eine Musa mit breiten Blättern wuchs. Die prachtvolle weiße Lilie stand gerade vor ihnen. Bora wollte eben mit ihr ein Gespräch anfangen, als sie ein etwas heiseres Gebell hörten. Langsamen Schrittes kam der Mops über den Weg gegangen. Er hatte sich für die feierliche Gelegenheit einen reinen Kragen angetan und einen großen, wehenden Schlips.

»Den hat er sich von meinem Onkel, dem Dichter, gemopst!« flüsterte Lise.

»Natürlich!« murmelte Schnuck. »Alle Möpse mopsen!«

Der Mops hatte ein kleines Blatt weißes Papier in der Pfote, in dem er eifrig las.

»Ich bin sicher, er will zeigen, daß er was von seinem Herrn gelernt hat,« sagte Bora leise. »Er hat seine Erklärung in schöne Reime gebracht!«

Und so war es. Der Mops blieb vor der Lilie stehen, verneigte sich anmutvoll, seufzte, räusperte sich und begann:

»Hör mich, wundersüße Lilie,
Dir zu Füßen leise weinen.
Zur Begründung 'ner Familie
Tust du mir geeignet scheinen!

O erhör mich, schöne Lilie,
Stille meine Sehnsuchtzähren –
Manche zarte Mopsolilie
Wird der Himmel uns bescheren.

Und er wird uns, schöne Lilie,
Manches Lilimöpslein schenken;
Ach, das Leben in Familie
Kann man sich nicht schöner denken!

Darum, schönste aller Lilien,
Wolle mich zum Ritter wählen,
Weder Löwen noch Reptilien,
Sollen je dich, Holde, quälen!

Ha! wer kommt, um dir, o Lilie,
Seine Liebe zu beweisen,
Gar gekocht mit Petersilie,
Werd ich ihn zum Frühstück speisen!«

Der Mops war fertig, er fletschte wild die Zähne und sah dann mit liebebedürftigem Blick zur Lilie hinauf.

»Wartet!« sagte Schnuck leise. »Dem wollen wir seinen Mut schon austreiben!«

Mit diesen Worten sprang er hinter der Vase vor. Er stellte sich gerade vor den Mops hin, blies die Backen auf, stemmte die Hände in die Seiten und rief laut:

»Wer wagt es, hier mit unflätigen Liebeserklärungen meine Braut, das Fräulein Lilie, zu beleidigen?«

Der Mops, der gar kein großer Held war, sondern nur so tat, fing an zu zittern.

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung,« sagte er, »ich habe wirklich nicht gewußt, daß die junge Dame verlobt ist!«

»So!« schrie der Elferich. »Damit soll ich mich wohl zufrieden geben. Sie sind einer von den gemeinen Kerlen, die anständige Damen belästigen!«

»Verzeihung!« stammelte der Mops. »Ich hatte die ehrbarsten Absichten. Ich wollte mit dem Fräulein eine richtige Familie begründen!«

»Pfui!« schrie Schnuck. »Das wird ja immer schlimmer. Bilden Sie sich etwa ein, daß das Fräulein Lilie solch einen Flohzirkus, wie Sie sind, überhaupt nur anguckt?«

»Ich glaube, ich bin hier ungelegen,« meinte der Mops. »Erlauben Sie mir, mich zurückzuziehen!«

Aber der Elferich vertrat ihm den Weg.

»Nichts da!« rief er. »Du feige Doppelnase du! Du hast meine Braut beleidigt, du mußt mit mir kämpfen auf Tod und auf Leben!«

»Ach Gott,« wehklagte der Mops, »lassen Sie mich doch nach Hause gehen! Ich habe noch eine alte Tante zu Hause, die todunglücklich würde, wenn mir was passierte! Außerdem bin ich in allen Waffen ungeübt und im Beißen bin ich auch nicht besonders, ich habe zwei hohle Zähne!«

»Dann werden wir boxen!« schrie Schnuck. »Wehre dich, Krummbein, wenn du kannst!«

Damit schlug er ihm eins auf die Nase, daß er laut aufbellte. Der Mops wehrte sich so gut es ging, doch seinem geschickten Gegner konnte er nicht viel anhaben. Er überlegte sich bald, daß sein einziges Heil in der Flucht läge, machte kehrt und rannte weg. Aber der Elferich sprang ihm auf den Rücken und zwang ihn, als Reittier dreimal um den großen Rasen zu laufen. Dann ließ er ihn los und der Mops zog mit eingekniffenem Schwanz ab.

»Der wird nie wieder Lilien Liebeserklärungen machen!« lachte der Elferich, als er wieder zu der Fee und zu dem kleinen Mädchen zurückkehrte.

 

* * *

 

Noch manchen Abend holte der Elferich die Lise in den Garten hinab zur Fee Bora. Aber auch am Tage traf sich die Lise manchmal mit ihren Freunden, hinten an der Gartenmauer unter dem Holunderbaum. Freilich, am Tage zeigten sie sich nicht mehr in ihrer wahren Gestalt, aus Furcht, daß sie der Gärtner erwischte, der immer noch sehr böse wegen des Juckpulvers war. Deshalb flog die junge Fee als Singvöglein herum, in buntem Federkleide, rot und gelb, der Elferich aber verwandelte sich in einen dicken, struppigen Spatz. Das kleine Mädchen spielte mit ihnen und die Vöglein riefen »Piep! Piep!« und flogen furchtlos um sie herum.

Nun war der Sommer bald zu Ende. Und eines Nachts fand die Lise ihre Freundin, die junge Fee, nachdenklich auf dem Brunnenrande sitzen.

»Ich bin froh,« sagte sie, »jetzt kann ich bald wieder zurückkehren nach Avalun. Mein Vater war hier, der starke Nordwind, der wird nächstens ins Feenland fahren, da will er mich mitnehmen!«

»Ach!« jammerte das kleine Mädchen. »Das ist ja schrecklich, daß du weggehst! Kannst du mich nicht mitnehmen?«

»Nein!« antwortete die Fee. »Das geht nicht. Vielleicht hol ich dich später mal, wenn ich Königin bin. Weißt du, Lise, ich bin auch betrübt, ich habe den Garten so lieb gewonnen und dich auch!«

Sie küßte das kleine Mädchen auf die Wangen. Dann fuhr sie fort:

»Und dann ist noch was zu bedenken! Ich sollte doch hier die Sanftmut lernen und ich weiß gar nicht, wie ich meiner Mutter zeigen soll, daß ich recht viel Sanftmut gelernt habe!«

Da fiel der Lise was ein.

»Hör mal, liebe Fee Bora,« sagte sie, »ich will dir ein Zeugnis schreiben, das kannst du deiner Mama mitbringen!«

Die junge Fee klatschte vergnügt in die Hände und rief:

»Ja, ja, tu das, Lise! Bring es mir morgen mittag unter den Holunderbaum!«

Dann spielte sie Ringelreihen mit ihrer kleinen Freundin, bis die Lise müde wurde und von dem Elferich zu Bett gebracht wurde.

 

* * *

 

Am andern Tage, als die Sonne schon hoch stand, gelang es der Lise, in den Gatten zu schlüpfen. Ein frischer Wind wehte und pflückte manch halbwelkes Blatt von den Zweigen. Das kleine Mädchen lief hinten an die Mauer zu ihrem Lieblingsplatz, über den der alte Holunderbaum ein dichtes Blätterdach ausbreitete.

Vor ihr auf einem Zweige saß ein Singvögelchen.

»Piep! Piep!« zwitscherte es und sang eine Reihe glänzender Triller, um der Lise guten Tag zu sagen.

Ein Spatz aber, der natürlich der Elferich war, kam herangesprungen und wetzte sein Schnäbelchen in der Hand, die ihm das Mädchen hinstreckte. Das kitzelte die Lise und sie mußte lachen.

»Piep! Piep! Piep! Piep!« rief das bunte Singvögelchen. Aber die Lise verstand die Vogelsprache sehr gut, wenn sie unter dem Holunderbaum saß.

»Gewiß,« antwortete sie, »ich habe es mitgebracht!« Sie zog ein großes Stück Papier aus der Tasche und las:

 

Zeugnis

für die Fee Bora, Tochter von der Feenkönigin Mab von
Avalun.

Fleiß: Gut.
Betragen: Gut.
Sanftmut: Sehr gut und hat viele Fortschritte gemacht.

Lise Römer, V. Klasse.

 

»Piep! Piep!« zwitscherte die Fee im Vogelkleid.

»Ich bin froh, daß es dir gefällt!« sagte Lise. »Wann reist ihr denn?«

»Piep!« rief das Vöglein.

»Gleich?« antwortete die Lise. »Nun, dann grüße deine Mama von mir! Und dem Purzel, eurem vornehmen Herrn Minister, kannst du nur tüchtig Juckpulver ins Bett tun!«

»Piep! Pi–iep; Piep!« bestätigte das Vögelchen.

»Und hör mal!« fuhr das kleine Mädchen fort. »Schreib doch mal eine Postkarte mit Ansicht. Ich möchte so schrecklich gern eine Ansichtskarte vom Feenland bekommen!«

In diesem Augenblick ging ein mächtiges Rauschen durch die Büsche. Die Zweige bogen sich und viele Blüten und Blätter jagten durch die Luft.

Das Singvögelchen flatterte zur Lise hin, setzte sich ihr auf die Hand und gab ihr mit dem seinen Schnäbelchen einen Kuß auf die Lippen. Aber Schnuck, der Spatz, sprang ihr auf die Schulter und biß ihr zum Abschied ins Ohrläppchen.

»Au!« rief die Lise. »Frecher kleiner Kerl!«

Die beiden Vögel schlugen mit den Flügeln, flatterten auf und flogen durch die Luft, fern nach dem Süden hin –

»Lebt wohl! Lebt wohl!« rief die Lise.

»Piep! Piep! Piep!« zwitscherten die Vöglein.

»– Herrgott!« seufzte das kleine Mädchen. »Nun hat die Fee ihr Zeugnis vergessen!«

Aber Boreas, der Nordwind, der die Fee und den Elferich heimbrachte, hörte das. Er schnob wie ein Sturm durch den Garten, hob das Blatt auf und trug es fort, weit, weit, durch alle Lande, nach Avalun, ins Feenreich.


 << zurück weiter >>