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XII.

 

Graf Lohe saß allein auf der Veranda, unter den laubartigen Gehängen der Schlingpflanzen und Kletterrosen, in welchen sich in graziösen Bogen die Lampions schaukelten. Er hatte ein Glas Sektbowle vor sich stehen, starrte gedankenvoll in die auf- und niedersteigenden Bläschen und fand die ganze Welt eine nichtswürdige

Einrichtung, Am liebsten wäre er nach Hause gefahren. Aber er hatte Flanken versprochen, auf ihn zu warten, und der verrückte Kerl klebte just heut wie Pech und war rein wie umgewandelt! Sonst war ihm ein Ballsaal in den Tod verhaßt, und heut kam er bei jedem Tanz, stellte sich neben den Grafen hin, legte die Hände rückwärts zusammen und sah dem fröhlichen Gewirbel nachdenklich zu. »Es ist weiß Gott die reine Affenschande, daß ich nicht tanzen kann!« – Und wenn eine Tour vorüber war, klopfte er seinem Freund schmunzelnd auf die Schulter und sagte: »So, das wäre glücklich überstanden, nun will ich mich mal wieder ein bißchen anklexen!« Sprach's und steuerte direkten Wegs zu Jolante.

Seltsam! Was er nur für einen Narren an diesem gezierten, unliebenswürdigen Ding gefressen haben mag! Der Riese Goliath und Däumelingchen! Je nun, die Gegensätze berühren sich eben, und das allzu Gleiche stößt sich ab. Um des Geldes willen machte er ihr nicht die Kur, davon war Lohe überzeugt, denn er kannte den beinahe naiven Sinn dieses Naturmenschen, welcher wohl jähem Impuls zufolge mit Keulen dreinschlagen, aber nichts klüglich berechnen konnte! Gutmütig und harmlos wie ein Kind war er, die kleine, graziöse Puppe, das Elfchen aus dem Sommernachtstraum, erschien ihm ganz erstaunlich allerliebst, und wenn sie wie ein Goldbienchen im Tanz an ihm vorüberschwirrte, sagte er kopfschüttelnd, aber voll hoher Bewunderung: »Du ... Mark-Wolffrath, das sollen Füße sein ... und in ihren Händchen hat sie überhaupt gar keine Knochen, sondern höchstens Gräten!« Das mußte einem Mann, welcher mit seinem Schlachtroß Walzer tanzt, allerdings arg verwunderlich erscheinen.

»Jeder hat seinen Geschmack!« sagt der Franzose.

Lohe fand nun das jüngste Fräulein von Groppen geradezu fatal, und daß sie ohne jeglichen Einspruch auf einen Tanz mit ihm verzichtet hatte, das verzieh er ihr sein Lebtag nicht! Zerfallen mit sich und der Welt hatte er sich in das fernste Eckchen zurückgezogen, und bei der großen Anzahl von Tänzern ward er auch von niemand vermißt und von allen verschmerzt. Das war nagend Gift für sein eitles, sieggewohntes Herz. Da klingen plötzlich energische Schritte neben ihm. Ursula tritt vor ihn, stützt die Hände recht unfein in die Seiten und mustert stumm seine Stiefel. Zornesröte steigt in die Stirn des jungen Offiziers, aber die Kehle ist ihm wie zugeschnürt.

Und nun lacht sie, erst leise, dann immer lauter, schließlich patscht sie die Hände zusammen und will schier sterben vor Vergnügen. Wie allerliebst ihr dieses Lachen steht! Die dunklen Augen blitzen um die Wette mit den perlweißen Zähnchen, und die kurzen Locken, welche durch das Tanzen noch mehr verwildert erscheinen, liegen tief und genial in der Stirn, wie bei dem Richterschen Italienerknaben.

»Ich hab's ja gleich gesagt, Graf Lohe, vier diensttuende Knechte aus Nubierland reichen nicht aus, um eine Balltoilette einzupacken! Das Wichtigste haben sie natürlich vergessen, und ihr Herr und Gebieter kann in Schmierstiefeln Polka tanzen! Na, das ist ja ganz Wurst, und ich denke mir, Sie haben der Jolante nur einen festen Bären aufgebrummt, um hier faulenzen zu können!«

»Durchaus nicht, mein gnädiges Fräulein, ich bedauere mein tatsächliches Mißgeschick aufrichtig!«

»Aber zum Kuckuck noch eins! Sie haben ja ganz famose Botten an! Was wollen Sie denn nur? Blitzeblank und nicht eine einzige Zehe, die durchkommt ...«

»Ihr Fräulein Cousine erklärte sie trotz alledem gleich mir für unzulässig!«

»Jolante ist ein Schaf! Das habe ich Ihnen ja gleich gesagt! Die sieht natürlich nur danach, ob die äußere Pelle comme il faut ist, die Menschen, die drin stecken, sind ihr ganz gleichgültig, denn sonst hätte sie mit einem so netten Kerl, wie Sie einer sind, getanzt!«

Lohe hatte sich über das »Schaf« sehr alterieren wollen, bei dem Nachsatz fühlte er sich aber so geschmeichelt, daß er es unterließ. Obwohl ja Ursula genau so derb wie sonst war, fiel ihre Teilnahme doch wie Balsam auf sein gekränktes Herz.

»Sie sind unendlich liebenswürdig, mein gnädiges Fräulein, der Geschmack ist aber leider verschieden, und ich bin verurteilt, zuzusehen, wo alles tanzt und muß hier meine traurige Quarantäne halten.«

»Das sollte fehlen! Ich komme ja, um Sie zum nächsten Walzer zu holen! Mir ist es ja blitzegal, was Sie für Stiefel anhaben, meinetwegen können Sie in Holzpantoffeln losziehen! Kommen Sie flink!«

Er hatte, sich unschlüssig hin und herneigend, die wohlgepflegten Hände gegen die Ulanka gedrückt und sah dennoch wahrhaft gerührt zu dem Backfischchen hernieder. »Fräulein Ursula ... ich ...«

Da hob sie plötzlich die bittend zusammengelegten Händchen, und in dem rosigen Gesichtchen lag derselbe kindlich-treuherzige Ausdruck, wie vorgestern, als sie in dem Kahn saß und ihm so gut gefiel. »Ich möchte so gern nur ein einziges Mal mit Ihnen tanzen, und es ist nicht mehr lange Zeit, wir fahren bald nach Hause! Seien Sie doch nicht mehr böse über die Hammeln! Es war ja nur ein Witz, und wir wollen jetzt wieder tun, als wäre gar nichts vorgefallen, ja?«

»Gewiß, mein gnädiges Fräulein, ich bin Ihr gehorsamster Diener!« Mark-Wolffrath sah wie gebannt in ihre dunklen Augen.

»Sehen Sie, ich wußte es ja, daß Sie gar nicht so eklich sind, wie Sie immer tun!« jubelte die Kleine glückselig. »Eben fängt die Musik an, kommen Sie schnell, damit wir recht, recht lange tanzen können – sechsmal rum!«

Sie faßte ungeniert seine Hand, ihn mir fortzuziehen, Graf Lohe aber zögerte plötzlich und hielt ihre Fingerchen fest.

»Wenn ich jetzt mit Ihnen tanze, Fräulein Ursula,« sagte er ernsthaft, »tue ich Ihnen doch natürlich einen großen Gefallen; wollen Sie mir als Revanche etwas versprechen?«

Sie sah ihn mit großen, erstaunten Augen an, nickte aber sehr eifrig zustimmend: »Was denn?«

»Ich möchte Ihnen einmal ganz ehrlich und geradeaus etwas sagen, aber vorher geloben Sie mir, nicht böse oder beleidigt zu sein?«

Sie senkte ganz kleinlaut das Köpfchen, »Na, ich danke, dann ist es wohl eine gute Pauke?«

»Nicht im mindesten.«

»Nein? Na, dann: immer druff uff de Frösch'! Kann ich mich dazu setzen?«

Sie lachte ihn übermütig an, der junge Offizier aber legte ihre Hand auf seinen Arm und schüttelte den Kopf: »Jetzt ist nicht die passende Zeit dazu, ich hebe mir diese Unterredung noch auf. Vorerst wollen wir tanzen!« Mit strahlenden Augen trat Ursula an seiner Seite in den Saal zurück. Herr von Kuffstein stand in der Tür und versetzte seiner Einzigen einen wohlgemeinten, kleinen Stoß mit dem vorgestreckten Daumen.

»Du, Urschel-Purschel! Jetzt wird abgehalftert! Die Wagen fahren gleich vor!«

»Na adieu! Kommen Sie wohl über, Herr Gevatter!« nickte das Backfischchen in unglaublichster Weise zurück, und dann tanzte sie mit ihrem so energisch dazu »rangelangten« Leutnant. Einen so herrlichen Walzer wie diesen hatte sie in ihrem Leben noch nicht getanzt. Graf Lohe geriet zwar ein paarmal tüchtig mit ihr ins Gedränge, so daß die Spitzen und rosa Bandschleifen an dem Kleid böse Erfahrungen machten, aber Ursula blickte mit demselben Stolz darauf nieder, wie ein Feldherr auf die zerfetzten Fahnen und fand, »daß jetzt endlich Mum in die Sache kam!«

Und nun »mitten im schönsten Moment« wollte Papa Kuffstein diesem Sommernachtstraum ein Ende bereiten. Der

 

Champagner war vortrefflich gewesen, und in weinseligster Stimmung, welche aber bei dem rundlich beanlagten, alten Herrn bald in Müdigkeit überging, nahm er sein Töchterchen am Arm und erklärte, »die Stabsoffiziere führen jetzt auch nach Hause, und die arme Mama sei krank und werde auf des Töchterchens Rückkehr warten, darum müsse das Geschwofe jetzt aufhören!«

Ursula war sehr alteriert und sträubte sich aus Leibeskräften gegen die Heimfahrt, aber der Vater entwickelte eine überraschende

Energie, uud nachdem er noch eine Zeitlang gütlich mit seinem »Schlingelchen« unterhandelt hatte und alle Versprechungen nicht fruchteten, da erklärte er schließlich ganz martialisch: »Jetzt hältste den Schnabel! Pascholl, gute Nacht gesagt, es wird sogleich eingestiegen!«

Ursula schob die Unterlippe vor: »Na dann kommen Sie, Graf Lohe, dann mag die Karre in drei Teufels Namen losgehen!«

»Ich begleite Sie bis zum Wagen, meine Gnädigste!«

»Sie fahren doch mit?«

Der Garde-Ulan zuckte die Achseln. »Ich folge in kurzer Zeit nach. Flanken hat mir das Versprechen abgenommen, daß ich auf ihn warten soll, und der unglaubliche Mensch hat sich ja zum Blumenwalzer engagiert!«

»Sie bleiben noch? – Blumenwalzer?« stotterte das Backfischchen mit weit aufgerissenen Augen, »und ich soll weg? Oh – ich werde – oh, da soll doch!« und wie der Wirbelwind, mit aufblitzenden Augen, wandte sie sich ab und stürzte davon.

Herr von Kuffstein stand und klopfte seinem Schwager Büttingen gerührt auf den Rücken und lobte noch einmal den Sekt, welcher auch nicht ein bißchen nach dem »Pfroppen« geschmeckt hätte, und die Austernpastetchen, und die Cumberlandsauce, zu welcher man getrost selbst eine Schwiegermutter hätte essen können, und die Neunaugen mit Schlagsahne, welche es gar nicht gegeben hätte, und all die vielen netten Menschen, welche das notwendige Übel bei diesem Fest gewesen wären. Da trat ein Diener zu ihm heran und meldete mit tiefem Bückling, daß das gnädige Fräulein bereits im Wagen säße und auf den Herrn Papa wartete. Vater Julius war ganz verdutzt und über so viel Artigkeit derart gerührt, daß seine blaßblauen Äuglein unter Wasser traten. »Siehste Fritze! Nun sitzt sie schon in der Arche drinne! So ganz ohne Flausen hat sich das Mädel gefügt

– ich habe es ja immer gesagt, die Urschel-Purschel ist ein wahres Prachteremplar! Na, denn gute Nacht, lieber Fritze, gib mer'n Kuß – und grüß deine Alte noch mal von mir – und wenn du wieder einen solchen Taterata losläßt, dann weißte ja – der dicke Jule Kuffstein ans Wolkwitz, der kommt immer! – Gute Nacht, mein Fritzeken – noch'n Kuß!«

Und dann drückte er alle Hände, die sich ihm darboten, voll schluchzender Innigkeit, umarmte rechts und links und wuchtete die Treppe der Veranda hinab zu seinem Wagen.

Die erste Equipage mit den älteren Offizieren war bereits abgefahren, Herr von Kuffstein ließ sich durch kräftige Nachhilfe in sein Coupé befördern und sank ächzend in die Polster zurück.

Neben ihm, in den Mantel gewickelt und dicht verschleiert, saß Ursula, tief in die Wagenecke zurückgelehnt. Sie schien doch gewaltig schlechter Laune zu sein, denn sie regte sich nicht und sprach keine Silbe.

»Zufahren, Lebke!«

Der Wagen setze sich langsam in Bewegung, und Papa Kuffstein öffnete das Fenster, um seine Zigarre weiterrauchen zu können.

»Na, Urschel-Purschel – war ein ganz fideles Katzenschießen heut, was?« Keine Antwort.

»Getanzt haste wie ein Wasserfall und warst von der ganzen Lämmerherde entschieden die Hübscheste – hm, kleines Äffchen? Welcher von all den Strebepfeilern des einigen Deutschlands hat dir denn am meisten imponiert? Der Deiwelskerl, der Flanken, der mit seinem Elefantenküken Gudrun Ballett tanzte, oder der eine Major mit dem fixen Schnurrbart – hm?« Keine Antwort.

»Urschel-Purschel, du maulst wohl?«

Tiefe Stille. »Sei doch kein Döskopp! Ich schenke dir eine Spritztour nach Berlin, dann gehen wir ins Theater und essen alle Tage dreimal zu Mittag, so ein frisches Hummerchen mit Mayonnaisensauce, was meinste, he?« und der Sprecher schnalzte mit der Zunge und versetzte seiner schweigsamen Nachbarin einen kleinen Ellenbogenstoß. Sie rührte sich nicht.

»Na, dann maule du! – Ich habe der Mama versprechen müssen, daß um ein Uhr nach Hause gefahren werden soll, und es ist bereits halb zwei durch. Es ist ja gräßlich, wenn die Leute den Hals nicht vollkriegen können und einem erst die Morgensonne ins Gesicht scheinen muß, ehe man sich gähnend aus den Rückzug begibt.« Und Herr von Kuffstein tat noch ein paar behagliche Züge aus der Zigarre und warf sie dann zum Fenster hinaus.

 

»Ich schlafe einstweilen ein Ruckchen!« Sprach's und lehnte sich behaglich zurück, um sehr bald im tiefsten Traum zu schnarchen.

Wald und Flur tanzte im Mondschein vorbei, und nach kurzer Zeit rollte der Wagen in den Wolkwitzer Schloßhof. Der Schläfer erwachte und dehnte die Arme.

»So weit wären wir! Komm, Urschel-Purschel, nun klettere mal zuerst heraus!«

Die junge Dame regte sich nicht.

»Du! – schläfste?«

Keine Antwort.

Da wurde der müde Vater ungeduldig. Er faßt das eigensinnige Töchterchen mit beiden Armen, sie dem Diener entgegenzuheben, und läßt wie gelähmt vor Entsetzen die wunderliche Last wieder zurückfallen.

»Heiliges Schock-Bomben-Element!«

Der Schleierhut rollte hernieder, ein ganz absonderliches Etwas ragt im Dämmerlicht als Köpfchen aus dem Mantel heraus. Herr von Kuffstein tastet mit wahrem Grauen. Eine Schlummerrolle! Und wie er den Mantel faßt, da kugeln aus demselben eine Anzahl schön gestickter Rückenkissen dem entsetzten Vater entgegen.

»Urschel-Purschel! – Sollen doch gleich ein Dutzend lahmer Esel dreinschlagen! Hat die Wetterhexe mir diesen Wechselbalg unter die väterlichen Ältliche geschoben!« Und höchlichst alteriert, schnaufend vor Zorn und doch wieder laut auflachend über diesen Witz seines erfinderischen Töchterleins, wirft er den Wagenschlag zu und begibt sich in das Schloß, bei seiner Gattin, falls sie wachen sollte, in dieser unvorhergesehenen Situation Rat zu holen.

»Meinetwegen mag die Range nun in der großen Pauke übernachten!« denkt er voll Seelenruh. »Tante Klara wird sich recht freuen über den Zuwachs an Logierbesuch!« Und er kratzt sich hinter dem Ohr und findet es eigentlich eine wahre Riesenaufgabe, Vater zu sein, und dann tritt er in das Zimmer seiner Frau, nickt ihr schmunzelnd zu und erzählt mit strahlendem Gesicht: »'n Abend, Mutterchen! Nu höre mal, was unsere Pflanze wieder für einen brillanten Witz gemacht hat!«


Fünf Minuten, nachdem die Wolkwitzer Equipage mit Herrn und Fräulein von Kuffstein abgefahren war, stand Baronin

Büttingen im Kreise älterer Herrschaften und verabschiedete sich von Exzellenz Normann, welche mit Tochter und Schwiegersohn ebenfalls die Heimfahrt antreten wollte.

Plötzlich legten sich von rückwärts zwei Hände mit kräftigem Patsch auf die Schultern der Gastgeberin, und Ursula lachte schallend auf. »Na, Tante Klärchen, wat sagste nu?«

Vorerst sagte Frau von Büttingen gar nichts, sondern starrte das übermütige Gesichtchen an, wie eine Vision. »Mein Himmel – Urselchen! Wo kommst du denn wieder her! Es ist doch kein Malheur mit dem Wagen passiert?«

Die Kleine schüttelte jubelnd das Köpfchen, »I wo wird denn die alte Karre aus dem Leim gehen! Weißte, was ich getan habe? Eine ganz famose Puppe habe ich dem Ollen ausgestoppt und in den Wagen gesetzt; damit kann er nun bis Buxtehude fahren! Ich bleibe heut nacht hier, Tantchen, kann ja bei Jolante und Lena schlafen, oder meinetwegen mang die Stubenbolzen oder in der Badewanne, kommt mir gar nicht drauf an! Und nun will ich fix noch ein bißchen tanzen, ehe Julchen sein Kuckucksei im Nest entdeckt und den Wagen umkehren läßt!« Und unter den Äußerungen von Heiterkeit und händeringendem Erstaunen wirbelte das Enfant terrible davon, um in dem Tanzsaal stürmischen Jubel und großes Hallo durch ihr Erscheinen zu erregen. Zwischen all dem Lachen und Schwadronieren aber flog ihr Blick suchend umher, denjenigen zu entdecken, um derentwillen sie das Feld absolut nicht hatte räumen wollen.

Graf Lohe war nirgends zu entdecken.

Ursula trat auf die Terrasse – und richtig, auf seinem alten Platz, am äußersten, menschenleeren Ende des Vorbaues stand der junge Offizier und blickte nachdenklich in die mondhelle, blumenduftige Sommernacht hinaus.

»Graf Lohe, ich bin wieder da!«

Höchlichst überrascht wandte er sich um und blickte in das glückstrahlende Gesichtchen derjenigen, welcher soeben sein ernsthaftestes Denken gegolten.

»Fräulein Ursula, wie ist es möglich?! Soeben fuhr Ihre Equipage vor meinen Augen davon?« Sie schwang sich in ihrer ungestümen Weise neben ihn auf die Balustrade und faltete die Hände um das Knie. Atemlos vor Amüsement und Übermut erzählte sie, durch welch eine List sie sich vor dem väterlichen Gebot gerettet habe, und zum Schluß sah sie ihn treuherzig an und sagte naiv: »Den ganzen Abend wartete ich darauf, daß Sie einmal mit mir tanzen sollten, und wie ich Sie glücklich hier aus Ihrem Knurreckchen losgeeist hatte, da wollte man mich nach Hause spedieren! Ich möchte so schrecklich gern noch ein paarmal mit Ihnen tanzen – Sie sagten ja, Jolante könne es nicht übelnehmen – und darum kommen Sie schnell, sowie die Musik wieder beginnt! Es gibt auch wieder Eis drinnen – und pikante Bröter – bitte, bitte gehen Sie mit mir!«

Er hatte gar nicht über ihren Witz mit der Puppe gelacht, regungslos stand er und sah sie an.

»Wissen Sie, Fräulein Ursula, daß es nichts Häßlicheres und Verwerflicheres für ein junges Mädchen gibt, als ungehöriges und respektwidriges Betragen gegen die Eltern?« fragte er langsam.

Verwundert hob sie das Köpfchen. »Respekt? Vor Julchen brauche ich doch keinen Respekt zu haben? Der macht ja allen Unsinn mit!«

Mark-Wolffrath biß sich auf die Lippe. »Fräulein Ursula, ich glaube, es wäre jetzt der richtige Moment, meine Bitte von vorhin zu wiederholen! Darf ich Ihnen einmal ehrlich die Wahrheit sagen und wollen Sie mir nicht zürnen?«

Sie zog, schalkhaft lachend, ein krauses Näschen. »Nee, ich nehme nichts übel. In Gottes Namen, legen Sie los!« Und beide Händchen gegen den Magen drückend, seufzte sie tief auf. »Lung und Leber duckt euch, es kommt ein Platzregen!!«

Der junge Offizier sah ein, daß es Mühe kosten werde, ernst zu bleiben. Er lehnte sich in das rankende Grün zurück und verschränkte die Arme über der Brust. »Möchten Sie jemals geliebt werden, Fräulein Ursula?«

Die Frage hatte sie nicht erwartet; sie traf wie ein Blitz, Sprachlos starrte sie ihn einen Moment an, dann aber schlug sie wie in jähem Entzücken die Hände zusammen, »Ach ja!« klang's ehrlich, aus tiefstem Herzensgrund.

»Wie würde es Ihnen zumute sein, wenn der Mann, in welchen Sie sich einmal verlieben, sagen würde, nein, ich mag dich nicht, du mißfällst mir?!«

Ihr Auge blitzte auf, »Dann ... o ... dann würde ich ihn aus Wut erschießen ... wie die rote Gräfin ihren Josef – und hinterher ersäufte ich mich!«

»Das sind abscheuliche, romanhaft überspannte Ideen, an deren Ausführung Sie als Christin und braves Mädchen nie denken werden, davon bin ich überzeugt. Außerdem – verlangen Sie nicht nach einem besseren Glück, möchten Sie den Geliebten nicht viel lieber zu eigen gewinnen, als ihn verlieren?«

»Zum Donner – wenn er mich ja doch nicht will?«

»Wenn Sie ihm nicht gefallen, sind lediglich Ihre Fehler daran schuld, denn Sie sind ein hübsches, vornehmes und liebenswürdiges Mädchen, welches alle Eigenschaften besitzt, die einen Mann entzücken müssen. Aber die Rosen sind von so viel scharfen, häßlichen Dornen umgeben, daß sie nicht begehrenswert erscheinen. Und nun sagen Sie selber, Fräulein Ursula, wäre es da nicht besser, diese abscheulichen Dornen, einen um den anderen abzulösen, bis nur die lieblichen Blüten stehenbleiben, bis man nichts an Ihnen tadeln kann, und Herzen, welche sich erst von Ihnen abwenden, Ihnen nun voll inniger Liebe zufliegen?«

Sie hatte das Köpfchen ängstlich gesenkt und an sich niedergeblickt. »Ja du lieber Gott, wenn ich die Biester von Stacheln nur sehen könnte – ich weiß ja gar nicht, wo sie sitzen!«

»Soll ich es Ihnen sagen?«

Sie nickte eifrig, und bei all den herben Worten, welche ihr Mündchen sprach, lag doch ein so lieber und weicher Ausdruck auf den mondbeglänzten Zügen, daß es dem Grafen ganz warm um das Herz wurde.

»Ich meine es sehr gut mit Ihnen, Fräulein Ursula,« sagte er leise, »aber so, wie Sie jetzt sind, bin ich gar nicht zufrieden mit Ihnen. Warum werfen Sie die mächtigsten Waffen, welche die Natur dem Weibe verliehen, das starke Geschlecht unwiderstehlich zu bezwingen, so töricht aus der Hand? Die Waffen: Weiblichkeit und holde Anmut, welche einzig und allein den geheimnisvollen Zauber bergen, daraus die Liebe ihre goldenen Bande webt. Ein Frauenmund ist geschaffen zum Kosen, Schmeicheln und Beten, Worte, die er spricht, sollen den weißen Tauben gleichen, welche den Ölzweig in das sturm- und flutgeschleuderte Lebensschifflein des Mannes tragen, sollen die Tropfen heiligen Taues sein, mit welchem die Blüten alles Edlen, Milden und Göttlichen im Männerherzen genetzt werden. Keiner aber von uns will Mädchenlippen küssen, die genau so wettern, fluchen und derbe Dinge sagen können, wie wir selbst: Und nicht allein mit Worten, sondern auch in seinem Tun und Handeln soll ein junges Mädchen der weißen Lilie und nicht dem kecken Rittersporn gleichen, denn einen Freund und Kameraden mag kein Mann freien, wohl aber einen guten Engel, den er liebt, weil er sich ihm im süßen Vertrauen anschmiegt.«

Atemlos hatte Ursula gelauscht. Die farbigen Lampions über ihnen im Laube waren erloschen, der Mondschein floß wie ein breiter Silberstrom durch die Säulenbogen und tauchte die beiden jugendlichen Gestalten in sein geheimnisvolles Glitzerlicht. Wie verklärt in lieblicher Unschuld hob sich Ursulas Gesichtchen zu dem Sprecher.

»Ich hab's gar nicht gewußt, daß ich ein so böses, unleidliches Ding bin!« sagte sie treuherzig, »kein Mensch hat's mir noch gesagt, und ich bin es auch wirklich nicht mit Absicht, nein, ganz gewiß nicht! Aber was soll ich tun? Nie wieder eine Puppe ausstopfen? Wenn Sie nur gehört hätten, wie alle lachten, und Respekt vor Papa haben? Dann würde er sich selber ganz närrisch vorkommen! Und keine derben Worte sagen, nicht schimpfen und fluchen ... ja, du liebe Zeit, ich weiß ja gar nicht, wenn ich etwas Schlimmes sage, weil die Leute immer lachen, und Papa es doch auch sagt!«

»Lachen Ihre Erzieherinnen auch?«

»Na, die Drachen schimpfen natürlich über jede Kleinigkeit, weil sie mich schurigeln wollen, und wenn ich es Julchen sage – Mama darf ich ja nicht mit Klatschereien kommen, das regt sie auf! Dann ruft er jedesmal: Das Frauenzimmer hat einen Sparren! Tonleiter und Vokabeln soll sie dir beibringen, aber sonst ihre Weisheit für sich behalten!«

»Wie abscheulich es doch klingt, wenn Sie Ihren Herrn Papa mit Vornamen nennen! Wie darf sich ein gebildetes junges Mädchen so etwas erlauben?«

Höchlichst erstaunt riß Ursula die Augen auf: »Na, aber Mama nennt ihn doch auch Julius! Und wie ich, als kleine – ganz kleine Griebe ihn zum erstenmal ›,Jule‹ nannte, da hat er sich gekugelt vor Lachen und mir Zuckersachen geschenkt, so viel ich nur haben wollte!«

Das war's, da saß der Stachel im Fleisch. Graf Lohe zog finster die Augenbrauen zusammen und biß sich auf die Lippe, das Backfischchen aber glitt von der Balustrade herab und hob mit ihrem schelmischen, unwiderstehlichen Schmeichelgesichtchen die gefalteten Hände. »Nun haben Sie genug gescholten, lieber Graf, nun seien Sie bitte, bitte wieder gut! Sie sind ein so schrecklich feiner Mensch, darum sehen Sie so schwarz! Viel düsterer als alle anderen Menschen! Blicken Sie sich doch um! Niemand denkt wie Sie, die Leute haben mich alle gern – und –« sie lachte silberhell auf, »wenn mich einmal einer abkanzelt, dann ist's nur aus schlechter Laune, nicht wahr? Und Sie waren noch böse wegen der Hammel, ach und das war doch gar zu komisch und wirklich nicht schlimm gemeint! Und nun kommen Sie, und seien Sie mir wieder gut, ich will sa auch, weiß der Kuckuck, ganz artig sein!«

Was sollte Graf Lohe entgegnen? Ursula war noch viel zu sehr Kind, als daß Worte tiefen Eindruck auf sie machen konnten, war viel zu verwöhnt und verzogen, um auf die Strafpredigt eines einzelnen Gewicht zu legen. Ein Wesen, welches Ursula näher stand, konnte sie nicht erziehen, weil ihre bezaubernde Herzlichkeit und ihre bestrickenden Augen selbst den größten Zorn entwaffnen mußten. Hier war Ursula eine kleine Königin unter lauter Sklaven. Sie herrschte, und niemand opponierte, sie tat, was sie wollte, und jedermann applaudierte ihr. Von den Eltern an bis zu dem Stallburschen herab fügte man sich ihrer drolligen Eigenart. Solange Ursula ihr eigenwillig Regiment in Wolkwitz führte, nur des Vaters derbe Manier zum Vorbild, die Erste und Tonangebende in ihrem täglichen Verkehrskreise, solange konnte nun und nimmermehr eine günstige Wandlung ihres Wesens herbeigeführt werden. Auch die Liebe konnte nicht zur Lehrmeisterin werden, denn Ursulas Charakter war viel zu leicht und keck, um eine Neigung zu kultivieren, welche nicht erwidert wurde, und geschah es doch, so konnte es höchstens ihrer Wildheit und ihrem stolzen Sinn zum Stachel werden. Eine glückliche Liebe aber ließ ihre Ausgelassenheit im Übermaß der Wonne vollends über alles Ziel schießen.

Während einer Quadrille, welche das Backfischchen mit Fürst Schlüfften-Drasel tanzte, stand Lohe wieder auf der Terrasse, starrte in den Mondschein hinaus und sann auf Mittel und Wege, wie das maienschöne, wildemporgewachsene Lebensbäumlein wohl in die Hände eines guten, veredelnden Gärtners gelangen könne. Plötzlich zuckte ihm ein Gedanke durch den Kopf: Hofluft! – Hofluft war die allgewaltige Meisterin, welche einzig das Wunder vollbringen konnte, aus einem eigenwillig flirrenden Irrwischchen eine klarleuchtende Flamme zu erziehen.

Die Hofluft gleicht jenem kühlen, schneidenden Herbstwind, welcher über die Heide saust und zu dem wilden Röslein, das bisher stolz über das niedere Gras und Kraut geblickt und ringsum das Höchstgewachsene gewesen, strenge sagt: »Ducke dich!«

Dieser Herbstwind sieht nicht, wie hold und reizend das kecke Heideröslein ist, und er fragt nicht lang danach, ob sich bis jetzt alles vor diesem geneigt hat, er bläst unbarmherzig darüber hin, knickt die Sauersprossen an den Zweigen, und wenn der Frühling abermals ins Land kommt, hat der Rosenbusch gedemütigt seine Ranken zur Erde geneigt, aber er blüht doppelt so reich wie zuvor.

Graf Lohe hob siegesfreudig das Haupt. Ja, er wird dafür sorgen, daß die Hofluft über Ursulas Köpfchen weht, daß sie aus der widerspenstigen Katharina ein holdselig Käthchen macht!

 

Fürst Sobolefskoi war in die Saaltür getreten, als der Kotillon getanzt wurde.

Fürst Schlüfften kommandierte ihn an Lenas Seite und wußte nicht genug des Scherzhaften und Originellen zu arrangieren.

Daniel preßte die Hand auf die kranke Brust und starrte mit weitgeöffneten Augen zu dem jungen Mädchen hinüber. Sie erschien ihm verändert, zerstreut, unsicher, oft heiß erglühend. Wie sollte sie auch nicht. Waren in dieser Stunde doch die Grundfesten ihrer ganzen Lebensanschauung erschüttert. Was sie seit langen Jahren als eine Illusion verspottet hatte, den Stolz eines Mannes, welcher größer ist als die Macht des Goldes, seine edle Redlichkeit und Aufrichtigkeit, welche die Wahrheit redet, anstatt der Göttin Fortuna mit Lügen zu opfern, das hatte plötzlich Gestalt und Farbe gewonnen, das stand verkörpert vor ihr und hob sein Haupt mit dem Schicksalsspruch: »Ich begehre nicht das Gold jener Damen!« – Lena hatte gefunden, was sie suchte, und in diesem Augenblick, das wußte und empfand Daniel, war ihr Herz von dem Blitzstrahl getroffen, welcher es für ewige Zeiten von dem seinen losriß.

Er sah, wie Lenas Blick dem Freiherrn von Altenburg folgte, er sah, was sonst kein anderer bemerkte, wie ihr ganzes Interesse nur noch diesem einen galt, er sah, wie sich ihr Antlitz verdüsterte, wenn der junge Offizier Fräulein von Schwanringen durch stets neue ritterliche Aufmerksamkeiten auszeichnete.

Fürst Schlüfften erbat sich von etlichen Damen eine Blume aus dem Haar oder Brustbouquet, sie als »blind gezogen« von den Herren wählen zu lassen.

Herr von Altenburg tastete als letzter der Blindgreifenden vergeblich nach einer Blüte, und Schlüfften schlug die Serviette zurück, nahm ein kleines, welkes Kleeblatt aus dem Körbchen und reichte es ihm lachend dar: »Sie ahnen Ihr vierblättriges

Glück gar nicht, lieber Altenburg! La voilà! Wer zuletzt lacht, lacht am besten – Sie tanzen mit Fräulein von Groppen I.!«

Überrascht sah der junge Offizier auf den Klee hernieder und legte die vier welken, zusammengefalteten Blättchen sorglich wieder auseinander. Er hatte eine besondere Vorliebe für dieses poetische Glückszeichen. Er war auf dem Lande geboren, just zur Kleeernte, und als man dem Neugeborenen das erste Bad bereitete, schwamm ein Vierblatt auf dem Wasser. Man erklärte sich das Seltsame dadurch, daß die Magd mit dem Eimer dicht neben einem hochbepackten Wagen von Klee hergeschritten sei; die alte Kinderfrau gestikulierte sehr geheimnisvoll mit den Händen und sagte: »'s ist sein Glück! der Klee wird zu des Junkherrleins Schicksal – alles Gute, aller Segen kommt ihm, wann der Klee blüht!«

Altenburg schritt zu Lena, verneigte sich gemessen und bot ihr das welke Kräutlein dar.

»Gnädiges Fräulein haben den Klee heute abend als Schmuck getragen?«

Zum erstenmal traf sie sein Blick, nicht anders als in erstaunter Frage.

»Es war leichtsinnig, das Symbol meines Glückes ist dadurch welk und matt geworden!«

»Haben Sie das Vierblatt persönlich gefunden?«

»Ohne es zu suchen – ja.«

»So hätten Sie es verschenken müssen! Nur dann, so behauptet der Aberglauben, bringt es tatsächlich Glück.«

Lena wollte den Klee zurücknehmen, derselbe zerriß, und zwei Blättchen blieben in ihrer, zwei in Altenburgs Hand.

»Ah! –«

Sie sah lächelnd zu ihm auf. »Ich habe unfreiwillig geteilt; behalten Sie Ihre Hälfte, dann bringt dieses späte Geschenk vielleicht uns beiden noch Glück!«

Er verneigte sich dankend, nahm seine Brieftasche und legte die beiden Blättchen hinein, ernst, voll kühler Höflichkeit. Dann tanzte er mit ihr – nur wenige Schritte, die Musik brach ab.

Und als er sich verabschiedete, lagen seine dunkeln Wimpern wieder ebenso tief über den Augen wie zuvor.

Daniel Sobolefskoi hatte keinen Blick von der kleinen Szene verwandt. Eine wundersame Veränderung war mit ihm vorgegangen. Sein Atem ging keuchend, alle Dämone wilder, grausamer Leidenschaft, welche seit langen Jahren geschlummert hatten, spiegelten sich in seinem glühenden Auge.

»Das Kleeblatt liegt auf seiner Brust,« murmelte er mit zitternden Lippen, «gibt's freiwillig nicht wieder – holen muß ich's – womit? – Nur eine Kugel findet den Weg.« –

Ein Kleeblatt! Gedachte Sobolefskoi sonst daran, so sah er's im Geiste in seiner Mutter Hand liegen, in diesem Augenblick aber waren es nur die grellen, blutigroten Flammen, welche er schaute, und die schlugen über ihm zusammen und verschlangen das Glück.


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