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VI.

Wiederholt hat Gräfin Arlowsk zur schleunigen Abreise nach Petersburg gedrängt. Fürst Daniel Sobolefskoi aber scheint keine sonderliche Eile zu haben, und die Stiftsdame muß sich voll herben Unmuts an die Tatsache gewöhnen, daß ihr Pflegebefohlener ein Mann geworden, welcher sich von niemand mehr befehlen läßt, auch nicht von ihr. Daniel hat ihr das zum erstenmal bewiesen, als Gräfin Arlowsk ihm das Gelübde abfordern wollte, nie nach seiner Mutter, nach ihrem Namen und ihrer Herkunft zu forschen. Er verweigerte dieses voll aufflammenden Zornes, hatte hastig seinen Geburtsschein und die Ehepakten seiner Eltern unter den Händen der Gräfin fortgerissen und zum erstenmal hochklopfenden Herzens den Namen des geliebtesten Wesens gelesen: »Eglantina Ruzzolane!« Ehrfurchtsvoll drückte er die teuern Buchstaben an die Lippen, und dann wandte er das Haupt und musterte die Gräfin mit einem finstern, beinahe verächtlichen Blick.

»Jetzt begreife ich dich und den Haß, welchen du gegen die unebenbürtige Gemahlin des Fürsten Sobolefskoi gehegt. Mir erscheint derselbe unbegründet und lächerlich. Was weißt du von der Familie meiner Mutter? Erzähle mir!«

Kathinka Arlowsk lachte hart und kurz auf; ihr Blick schillerte. »Nur Tatsachen, welche mich in deinen Augen abermals lächerlich machen würden! Wart's ab, bis du nach Petersburg kommst, dort pfeifen's die Spatzen auf dem Dach!« Und die alte Dame wandte sich voll tief beleidigten Stolzes ab und schritt aus dem Zimmer. »Undank ist der Welt Lohn,« murmelte sie bitter, »hätt' ich doch meine Hände davon gelassen, einen Fürsten großzuziehen, in dessen Adern doch nur Komödiantenblut gegen jeden aristokratischen Gedanken rebelliert!«

Sie wies den Besuch Daniels, welcher sich seiner schroffen Worte halber mit Vorwürfen quälte und der langjährigen Protektorin seiner selbst und seines Hauses voll Reue und Dankbarkeit die Hand küssen wollte, unversöhnlich zurück und reiste schon an dem darauffolgenden Tag wieder nach ihrem Stift ab.

Daniel erzwang sich noch ein Lebewohl beim Abschied, denn er wußte nicht, ob er die betagte Dame noch einmal wiedersehen werde. Aber dasselbe ward weder Trost noch Segen für ihn, Gräfin Arlowsk grüßte den Sohn der Eglantina Ruzzolane, wie man einem Bettler am Wege ein Almosen zuwirft. Sie hatte ihn ja nie geliebt, und was sie für ihn getan, war Pflicht gewesen.

Der junge Fürst schickte ihr zum Dank die Schenkungsurkunde seines Palais in Petersburg, der unbemittelten Gräfin einen angenehmen Aufenthalt in ihrer geliebten Residenz zu ermöglichen. In zwei Stücke zerrissen erhielt er das Dokument zurück. Mit ihm waren die Bande zwischen Pflegemutter und Pflegesohn für ewige Zeiten gelöst.

Da Miß Jane sich in einer mehrjährigen Stellung sehr wohl fühlte, Daniel aber nicht wußte, wie ihn sein Schicksal noch durch die Welt treiben werde, setzte er der einzigen Freundin seiner Kindheit ein echt fürstliches Taschengeld aus und rüstete sich alsdann, dem Ruf des Zaren zu folgen.

Die Kaiserliche Familie hatte abermals einen kurzen Aufenthalt in Gatschina genommen, und so wurde der Sohn des ehemaligen

Kammerherrn zur ersten Audienz in dasselbe Zimmer befohlen, in welchem vor langen Jahren sein Vater zum letztenmal vor seinem Kaiser gestanden.

Wieder sausten die Rappen der Sobolefskoischen Equipage an dem Standbild des kaiserlichen Ahnherrn vorüber, die Rampe vor dem Schloß empor, wieder rissen kräftige Tscherkessenfäuste mechanisch die Türflügel auf, und der junge Fürst trat ahnungslos über die Schwelle, an welcher das Lebensglück seines Vaters zersplittert war, Lakaien und Kammerdiener neigten sich mit respektvollem Gruß, und dennoch rissen sie die Augen weit auf vor Staunen, als unter dem pelzverbrämten Mantel die unglückliche Gestalt dieses vornehmsten aller russischen Aristokraten sichtbar wurde.

Langsam, schleppenden Schrittes, hier und da stehenbleibend, um mühsam Luft zu schöpfen, stieg Daniel Sobolefskoi die Marmorstufen der »goldenen Treppe« empor. Und an derselben Stelle, in demselben Saal, wo vor langer Zeit Madame de Loux den letzten Blick auf Fürst Gregor geworfen, standen auch heute wieder drei Namen in leise tuschelndem Gespräch, und die Zeremonienmeisterin, Gräfin Karnitcheff, die korpulente Matrone in der langschleppenden, kirschroten Samtrobe, hob ungeniert die Lorgnette und musterte den Sohn des Kammerherrn mit ernstem Blick. Und à tempo hoben auch die beiden andern Damen die Gläser vor die Augen, ließen den Blick scharf prüfend über den jungen Mann gleiten und wandten sich dann, wie in händeringendem Erstaunen, einander wieder hastig zu.

Daniel befand sich zum erstenmal am Hof. Die weiche, balsamische Luft, welche ihm entgegenwehte, hatte ihm zuerst den Atem benommen, jetzt aber, wo die neugierigen Blicke der Damen ihn Spießruten laufen ließen, wo ihr unverhohlenes Staunen, ihr spöttisches Kichern und Flüstern ihm ins Herz schnitt und heiße Glut in sein Antlitz jagte, jetzt legte sie sich wie ein Zentner auf seine Brust und deuchte ihm unerträglich. Wie ein Traum wirbelte die bunte Fracht etlicher Säle an ihm vorüber, dann schlug der vorausgehende Kammerdiener mit tiefer Reverenz eine Portiere zurück, und Daniel trat in das Vorzimmer seines Zaren.

Der Adjutant eilt ihm entgegen, nennt in zuvorkommendster Weise seinen Namen und bietet die Hand zum Gruß, aber auch sein Blick haftet frappiert auf der verwachsenen Figur des Fürsten, und ein fast verlegenes Lächeln spielt um seine Lippen, als er den jungen Mann für eine Saison voll Spiel und Tanz willkommen heißt. Dann stellt er den Kammerherrn Baron Tolly vor. Sobolefskoi versichert mit leiser Bitterkeit in der Stimme, daß er sich gern an der Freude anderer mitfreuen werde, wenngleich er sich bei den meisten Vergnügungen der Jugend wohl an dem Zusehen genügen lassen müsse, außerdem wolle er jede freie Stunde benutzen, um weiter zu studieren.

Der junge Offizier ergeht sich in einem Schwall liebenswürdigster Phrasen, und während er den Millionenerben am liebsten glauben machen möchte, daß er der berühmteste aller Professoren und mindestens Vortänzer im Winterpalais werden würde, fliegt sein Blick verstohlen zu Tolly herüber, mit einem Ausdruck, welcher fragt: »Wie findest du die Idee? Der und Walzer tanzen!! wäre ein kleiner Scherz fürs Affentheater!«

Daniels Wimpern liegen tief über den Augen, dennoch sieht er alles, und sein Herz blutet. Das Warten in diesem Vorzimmer erscheint ihm widerwärtig. Die Herren unterhalten ihn zwar mit ausgesuchtester Höflichkeit, laden ihn dringend in ihren Klub ein – kleine Imitation des Jockeyklubs in Paris –, in welchem man vortrefflich aufgehoben ist. Dort werden die unglaublichsten Wetten gemacht, und es ist Ehrensache im Hofstaat des »König Makao«, Glanz und Wohlstand des Hauses zu repräsentieren. Die beiden Herren sind auch täglich daselbst zu finden, und sie hoffen, daß sich Durst Sobolefskoi öfters als dritter im Bunde mit ihnen vor den zweiundfünfzig Blättern aus des Teufels Gebetbuch assoziieren werde.

 

Daniel beobachtet die Gesichter der Kavaliere, als er höflich lächelnd versichert, ein Gelübde verbiete ihm, jemals eine Hand zum Spiel zu leben: man sieht enttäuscht aus, erzählt aber desto animierter von den Wetten auf andere Spieler, welche oft in erstaunlicher Höhe gehalten werden.

Endlich ertönt silberner Glockenschlag aus dem Arbeitszimmer des Zaren, und nach wenigen Minuten steht Fürst Sobolefskoi vor seinem Herrn und neigt das Haupt zum Kuß aus die gnädig dargereichte Hand.

Auch der Blick Seiner Majestät hat voll Überraschung aufgezuckt, als der einzige Erbe eines uralten Namens in jammervoller Mißgestalt vor ihn tritt. So hat er den Sohn des eleganten Kammerherrn seines Vaters nicht erwartet, aber wunderbar, selbst mit diesem Äußern ist ihm der junge Mann sympathischer, als wenn er schön und schlank, als das verjüngte Ebenbild jenes treulosen Günstlings vor ihm erschienen wäre, welcher seinen Vater so schwer beleidigt hatte.

Jene Zeiten sind vorüber, aber der hohe Herr wird nicht gern an dieselben erinnert, wenngleich er persönlich dem verstorbenen Fürsten Sobolefskoi die Weigerung: »Madame de Loux zu heiraten« seiner Zeit als einen Akt der Treue gegen ihn, den Großfürsten, ausgelegt hatte,

Wenn ihn auch die unglückliche Gestalt Daniels schmerzlich bekümmert, so ist es ihm dennoch lieb, daß keine Ähnlichkeit Erinnerungen weckt, welche ganz Petersburg vergessen haben soll und muß.

Voll außerordentlicher Huld und Leutseligkeit unterhält sich der hohe Herr mit dem jungen Mann, dessen wehmutsvoll düstere Augen sein Interesse fesseln, und Daniel atmet freier auf und denkt bei sich: wunderbar, die Fürstenkronen und Alpenfirnen gleichen sich! Zu ihren Füßen lagert eine schwüle Luft, die manch giftig Samenkörnlein weiterträgt und mit zauberischem Blütenduft die Sinne betäubt: je höher man aber emporsteigt zu den majestätischen Häuptern selbst, desto frischer und klarer weht's einem entgegen, desto gewaltiger bläst einem der Odem, welcher einzig das Edelweiß als Schmuck und Zierde duldet, durch Leib und Seele!

Als Daniel verabschiedet war, hatte er das Gefühl, als müsse er mit eiligen Rossen davonstürmen aus Nimmerwiederkehr, um sich dieser Stunde Segen zu bewahren! Wer einmal mit vollem Verständnis echten Wein geschlürft, kann dem gefälschten nie wieder Wohlgeschmack abgewinnen. Der Sohn des alten Höflings aber war ein absonderlicher Mensch, welcher weder durch einen Zug des Gesichts noch der Seele dem Vater ähnlich sah. Daniel glaubte: so reine und köstliche Hofluft, wie er Auge in Auge mit dem Kaiser geatmet, werde seine Stirn doch nie wieder umwehen, denn Kammerherr konnte und wollte er seiner Mißgestalt wegen nicht werden, und der Zar war ein durch Arbeitslasten überbürdeter Mann, welcher nur die notwendigsten Audienzen erteilen konnte. Die Luft aber, welche in weiteren Kreisen die Säle und Korridore der Fürstenschlösser durchzog, die deuchte ihm so schwer und giftig, daß sie sein wundes Herz und seine kranke Brust nicht ertragen konnten.

Ja, er möchte vor ihr hinaus in die weite Welt fliehen, aber das Wort des Zaren bindet ihn für die nächste Zeit noch an Petersburg, er soll nicht nur gekommen sein, um wieder zu gehen, er soll in einem Palais heimisch werden, dessen Grundfesten aus den Schildern seiner Ahnen ruhen. Und resigniert seufzt der junge Fürst bei diesem Gedanken aus und fügt sich dem Willen seines Herrn.

Als er durch die Halle zurückschreitet, sieht er hinter der Glastür, welche den Eingang in einen Wintergarten oder eine Orangerie zu gewähren scheint, wieder eine der drei Namen stehen, welche schon zu Anfang seinen Weg gekreuzt. Der feuerfarbene Atlas ihrer Toilette hat ihm schon vorhin in die Augen gestochen. Jetzt sieht er ihr direkt in das schelmische, pikante, von dunklen Löckchen umzitterte Antlitz. Sie lächelt ihm mit einer koketten Bewegung zu, als wolle sie sagen, »ich weiß, wer du bist!« und sieht ihm dabei mit einen wahrhaft berückenden Blick in die Augen. Sobolefskoi fühlt, daß ihm abermals dunkle Glut in die Wangen schießt, daß er Gefahr läuft, in seiner Verlegenheit auf dem weißen Marmor zu stolpern. Aber diesmal klingt kein Kichern und flüstern an sein Ohr, im Gegenteil, das reizende kleine Fräulein trägt einen Ausdruck im Gesichtchen, wie Desdemona, als sie das Mitleid für den häßlichen Mohr übermannte.

Daniel verneigt sich mit hastigem Gruß, sie wiegt anmutig das Köpfchen, und der Erbe ungezählter Reichtümer eilt verwirrt und unsicher wie ein Kind die goldene Treppe hernieder. Er möchte fragen, wer jene Dame war? Aber er hält es für unschickliche Neugier und schreitet mit stummem Gegengruß an Lakaien und Tscherkessen vorüber nach seinem Wagen.

In dem Palais Sobolefskoi in Petersburg angekommen, wirft er sich auf den lichtblauen seidenen Diwan im ehemaligen Boudoir seines Vaters nieder und stützt in dumpfem Nachsinnen das Haupt in die Hand. – –

Fürst Daniel Sobolefskoi war in Petersburg geblieben und hatte sich auf den Wunsch des Zaren ausnahmslos an den Festen der Saison beteiligt. Dem Beispiel des hohen Herrn zufolge, wurde er überall mit exquisiter Höflichkeit aufgenommen, und dennoch deuchte es dem Sohn des ehemaligen Kammerherrn, als stünde er inmitten des tollsten Karnevalstreibens einsamer und verlassener, denn auf den Dünen seines weltvergessenen Strandschlosses. Bei seiner Feinfühligkeit empfand er es voll Bitterkeit, daß jedes freundliche Wort, welches ihm gesagt wurde, lediglich die Glasur über Gleichgültigkeit, Spötterei oder bedauerliches Mitgefühl war, daß die Menschen ihre Liebenswürdigkeiten nicht ehrlich meinten, daß sie ihn bei aller Zuvorkommenheit

doch nur – gewissermaßen – das Gnadenbrot in ihrem Kreise essen ließen. Da sein Erscheinen in der Residenz selbstverständlich viel Staub aufgewirbelt hatte, so erfuhr es Daniel gar bald, welch eine Mesalliance sein Vater geschlossen hatte. Er war weder überrascht, noch peinlich berührt davon, sondern dachte, mit einem ehrerbietigen Kuß auf die gemalten Augen seiner Mutter: »Wie schön, wie edel und gut mußt du gewesen sein, daß das Schicksal eine Fürstenkrone auf deine Stirn gedrückt, daß mein Vater nicht gezögert hat, dich zu seiner Gemahlin zu erheben!«

 

Daniel hatte eine flache Goldkapsel in Form eines Herzens arbeiten lassen, aus dessen Deckel sich die Gravierung eines Schutzengels in zarten Linien abhob, dahinein hatte er das Stückchen Leinewand aus dem verbrannten Gemälde der Fürstin gelegt, um die teuren Augen der Mutter stets als Talisman auf der Brust tragen zu können.

Der junge Fürst war ein charakterfester, rechtlich denkender Mann geworden, welcher den Versuchungen der Welt widerstand und sich nicht zum Spielball anderer Menschen machte. Er hatte sich dadurch bald unter den Herren seine Widersacher gemacht, welche ihn als Geizhals, als unliebenswürdigen und ungefälligen Menschen verschrien, und welche sich an ihm durch Nadelstiche rächten, die gegen seiner Mutter Namen und Ehre gerichtet waren. Und damit trafen sie Sobolefskoi am empfindlichsten und schlugen ihm Wunden, welche nicht wieder vernarbten.

Mehr und mehr überkam ihn der Ekel und Widerwillen gegen die Komödie dieses täglichen Lebens, deren Schalheit und meist verächtliche Tendenz er zu wohl durchschaute.

Stand er isoliert in der Ecke des Saales, die Pracht und Eigenartigkeit eines Hofballs zu überblicken, und schaute er dann mit seinem nüchternen, klaren Verstand all die kleinlichen Intrigen, die Neid und Eifersucht spinnen, die Minen und Gegenminen, welche Ehrgeiz, Falschheit und Selbstsucht legen, diesen Kampf, welcher unter dem Schild des frommen, vollsten Friedens wütet, diese Steine, welche mit graziösestem Lächeln in den Weg anderer geschleudert werden, all die leise zischenden Schlänglein, welche sich durch Rosen und Brillanten winden, dann hatte er stets von neuem das Gefühl, welches ihn zum erstenmal in der Vorhalle von Gatschina beschlichen hatte: Die Hofluft ersticke ihn!

Und kein frischer Hauch weht ihn an, im Gegenteil, schmerzliche Enttäuschung, wohin er auch blicken mag.

Sacha Wronski, die kleine Gräfin mit den großen Sprühaugen, die vielumschwärmte Hofdame, welche dem Fürsten Sobolefskoi den ersten Gruß in Gatschina zugelächelt, ist danach noch oftmals als lockendes und betörendes Irrlichtchen über seinen Weg getanzt, – Als Irrlicht! Daniel hat es bald eingesehen und voll Ergebung auch diese schnell aufflackernde Hoffnung zu Grab gelegt, Anfänglich hatte er mit dem scheuen Entzücken eines Knaben ihre fast auffälligen Liebenswürdigkeiten wahrgenommen. Er war zu naiv, um ihre Koketterien sofort zu durchschauen, aber er hatte bei öfterem Verkehr ein sich stets steigerndes Gefühl von Unbehagen über ihre Art und Weise, welche so gar nichts von der engelhaften Milde und Reinheit einer Desdemona an sich hatte. Es lag oft ein Ausdruck in den dunklen Augen, welcher Daniel unangenehm berührte. Dieses Flackern und Glühen hatte nichts mit der klar brennenden Leuchte des Friedens gemein, welche sich gleich einem Christstern über dem Kreuz seines Elends erheben soll. Sein idealer und frommer Sinn verabscheut eine Liebe, welche in den Staub der Welt herniederziehen will. Nein, in solchen Augen wird seine Mutter ihm nimmermehr erscheinen.

Sachas Bemühungen um den reichen Erben, »den goldenen Kern in bitterer Schale«, wie man ihn spottend nennt, sind nicht unbemerkt geblieben. Die Mißgunst schleicht sich an des Fürsten Ohr und flüstert ihm voll rüder Offenheit die Pläne zu, welche das Teufelsköpfchen mit dem Engelslächeln schmiedet! »Siehst du nicht, wie der schlanke Offizier, der Schönste seines Regiments, sie eben zum Tanz führt? In ihren Blumenstrauß, welchen er neckend ihrer Hand entwindet, versenkt er heimlich ein rosiges Billet ... und um die bestimmte Stunde wirft Sacha den Pelz um die schönen Schultern und tritt in den verschwiegenen Park, um dem Geliebten durch perlweiße Fähnchen zuzuflüstern: »Nie kannst du auf die Goldsäcke eines Zwerges eifersüchtig sein!«

So zischt Frau Fama leise Kunde, und sie sagt dem mißgestalteten Manne nichts Neues, sie bestätigt nur mit klaren Worten, was er selbst gemutmaßt hat. Ob er Beweise verlangt? Nein, er beabsichtigt durchaus nicht, Gräfin Sacha zu heiraten, weder sie noch jemals eine andere, sein Glauben an Liebe und Treue ist vergiftet. Er sucht kein Weib mehr, das ihn mit Kuß und Liebeswort belügen wird, er sucht eine Samariterin, welche mit dunklen Augen den Frieden in seine Seele lächelt, welche die kühle, schwesterliche Hand auf sein müdes Haupt legt und mit ihm weint, daß alles so gekommen. Die Augen seiner Mutter sucht er! Die beiden Himmelssterne, aus deren frommem Glanz sie ihm entgegenlächeln wird, um all sein Herzeleid für immerdar von ihm zu nehmen!

Eine fieberhafte Unruhe erfaßt den jungen Mann und treibt ihn in die Ungewißheit der weiten Welt hinaus.

Die Hofluft, welche dem Vater so unentbehrlich gewesen, daß er sein Leben hinwarf, als ihm versagt wurde, sie ferner zu atmen, ist dem Sohn so unerträglich, daß er planlos in die Fremde flieht, um sich vor ihr zu retten.

Der Zar bedauert es aufrichtig, daß die häufiger denn je auftretenden asthmatischen Beschwerden des Fürsten einen Klimawechsel für denselben bedingen. Als Zeichen seiner dauernden Huld verleiht er ihm denselben russischen Hausorden, welcher ehemals die Brust des verstorbenen Kammerherrn geschmückt, und spricht den Wunsch aus, den einigen Vertreter des Sobolefskoischen Namens zu öfterem, wenn auch kurzem Aufenthalt in der Heimat wiederzusehen.

Und als Daniel durch das Portal des Palais zurückfährt, hebt sich seine Brust unter einem tiefen Seufzer der Erleichterung.

Das Funkeln und Glitzern, welches seinen müden Augen weh getan, der heiße, balsamische Hauch, jenes geheimnisvolle Gemisch von »Sonne, Mond, Sternenglanz und Veilchenduft«, unter dessen schwüler Last seine kranke Brust ächzte, all die Nadelstiche und Gifttropfen, welche Insekten gleich diese Luft durchschwirrten, liegen hinter ihm. Nun zieht es ihn mit Allgewalt in die Ferne, zu schweifen hin und her, zu wandern und zu suchen, ob er das verheißene Glück finden möge!

Auf seinem Herzen aber ruhen zwei dunkle Augen, die lächeln treu und unverändert: Sei getrost, mein kleiner Schmerzensreich, wenn dein Tränenkrüglein gefüllt ist, komme ich und trage seine Last!


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