Otto Ernst
Vom grüngoldnen Baum
Otto Ernst

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Über den Umgang des Autors mit Schauspielern.

Ich weiß nicht, ob es allgemein bekannt ist, daß ich der glückliche Besitzer einer großen diplomatischen Begabung bin. Daß ich mir schon verschiedentlich Beleidigungsprozesse zugezogen habe, scheint dagegen zu sprechen, scheint es aber nur. Ich gehöre eben nicht zur alten diplomatischen Schule, die durch Täuschung, Hinterhältigkeit, Heimlichkeit, Überlistung und Verschlagenheit ihr Ziel zu erreichen suchte; ich bin ein Schüler Bismarcks und Bülows, die eine Diplomatie der Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Offenheit vertraten und noch vertreten. Unsere Regierungskreise haben freilich bisher nicht den weiten Blick besessen, mich zu einer Mitwirkung auf der Weltbühne zu berufen; immerhin aber habe ich hundertfach Gelegenheit gehabt, auf der Bühne, die die Welt bedeutet und die nicht selten eine feinere Diplomatie verlangt als das politische Theater, meine Befähigung zum Staatsmann überzeugend zu beweisen.

Zu den selbstverständlichsten Eigenschaften eines Diplomaten gehört die Einsicht, daß man mit den vermiedenen Ständen, Bildungs- und Berufsklassen der Menschen nicht auf die gleiche Art verkehren dürfe. Der Soldat will anders behandelt sein als der Geistliche, der Landmann anders als der Lyriker, der Reichskanzler anders als der Liftboy, ja selbst eine alte Stiftsdame will anders genommen sein als eine Barkeeperin. Da ich nun als dramatischer Schriftsteller vielfach mit Schauspielern in Berührung gekommen bin, so liegt es nahe, daß ich mir über den Umgang des Autors mit Schauspielern ganz bestimmte Regeln aufgestellt habe, und diesen Autoren-Knigge sozusagen möchte ich hier, im Auszuge wenigstens, zu allgemeinem Besten, insonderheit zum Nutzen meiner Kollegen vortragen dürfen

Der Verkehr des Dichters mit dem Schauspieler beginnt schon mit der Entstehung des Dramas. Der Schauspieler empfindet es mit Recht als unwürdig, wenn der Dichter bei der Schöpfung seines Werkes nach dem Darsteller schielt, auf »gute Rollen« bedacht ist, ja, einem bestimmten Mimen gar »auf den Leib« schreibt. Der Schauspieler von heute weiß sehr wohl, daß die Dichtung nicht um des Schauspielers, sondern der Schauspieler um der Dichtung willen da ist, er weiß, daß ein Stück nicht aus lauter guten Rollen bestehen kann, weiß, daß es für einen großen Künstler keine kleine Rolle gibt und schickt darum auch die kleinste Partie nicht zurück. Der Dichter zeige sich solcher echt künstlerischen Gesinnung würdig und bringe in seinem Stück so viel alte Damen, hinausgeschmissene Liebhaber, Briefträger- und Bedientenrollen an, wie es ihm gut dünkt. Er kann dadurch in der Achtung der Darsteller nur gewinnen. Desgleichen, wenn er Stücke mit wenigen Personen schreibt. Kein Bühnenkünstler wird Goethes »Iphigenie« einen »elenden Schmarrn« nennen, weil, auch beim besten Willen des Direktors, kein ganzes Burgtheaterpersonal darin beschäftigt werden kann. Der Autor wende nicht ein, daß Goethe seit 77 Jahren tot sei. Es wird ein Tag kommen, wo er ebenso lange tot ist.

Wenn sein Stück auf einer Bühne erscheinen soll, dann versäume der Dichter nicht, sämtlichen Proben von der ersten bis zur letzten beizuwohnen. Die Darsteller freuen sich schon monatelang vorher auf sein Kommen; sie sagen es selbst. Das Erste, was der jubelnd Umringte alsdann zu tun hat, ist dies: er lese das ganze Stück den Darstellern vor, oder noch besser: er spiele es ihnen vor. Je besser er liest oder spielt, desto gespannter natürlich die Zuhörerschaft, deren Dank sich schließlich in donnernden Beifallssalven entlädt. Gerade der Schauspieler empfindet den von Tradition und Routine freien Vortrag eines Nichtschauspielers stets als ein wahres Labsal, und mit wahrhaft rührendem Eifer bemüht er sich, dem Vortragenden alles bis ins Einzelne hinein nachzumachen. Sollte der eine oder andere Darsteller dem Autor dennoch nicht zu Dank spielen, so schildere er eingehend, wie glänzend ein anderer Schauspieler an einer anderen Bühne dieselbe Stelle zur Geltung gebracht habe, dann wird es der gegenwärtige Darsteller sofort ebenso machen. Auch ist es dem Schauspieler sehr erwünscht, wenn der Dichter ihn bei jeder Stelle, die ihm nicht gefällt, sofort unterbricht und ihm in einer längeren und gediegenen Abhandlung auseinandersetzt, was dieser Passus eigentlich zu bedeuten habe. Andrerseits unterstütze er den Eifer der Darsteller durch öftere Zwischenrufe wie »Gar nicht so schlecht!« oder »Nun, nun, es wird schon werden!« oder »Keineswegs talentlos!« u. dgl.; besonders bei längeren leidenschaftlichen Entladungen ähnlich der des fluchenden Lear wirken solche Zurufe stets anfeuernd. Damen und jugendliche Liebhaber werden, wenn ihr Spiel und ihre Erscheinung die rechte Jugendlichkeit vermissen lassen, es dem Dichter Dank wissen, wenn er sie sofort darauf aufmerksam macht; Damen sind überdies für Winke, wie sie ihre Toilette geschmackvoller gestalten können, jederzeit empfänglich. Wenn sie sich umgekehrt zu jung, zu hübsch und elegant gemacht haben und der Autor ihnen vorstellt, daß sie sich noch mindestens 10 Jahre hinzuschminken müßten, dann werden sie mit entzückendem Erstaunen bemerken, daß sie dies ja schon getan hätten; wenn er sie aber an die gebieterischen Forderungen der Kunst gemahnt, werden sie gern in ihre Garderobe zurückkehren und abermals zum Schminktopf greifen. Dabei kommt es freilich vor, daß sie sich vergreifen, und wenn sie auf die Bühne zurückkehren, noch 10 Jahre jünger aussehen. Indessen sind diese Damen von einer so bestrickenden Logik, daß sie Shakespearen, wenn er sich noch einmal entschließen sollte, einer Macbeth-Probe beizuwohnen, die Versicherung abnötigen würden, er habe sich die Hexen selbstverständlich als blutjunge, fesche und elegante Weiberln gedacht.

Ist endlich der Augenblick der Premiere herangekommen, so wünsche der Autor vor Beginn der Aufführung jedem einzelnen Mitwirkenden Glück, genau wie man es bei Beginn der Jagd zu tun pflegt. Er zeige sich zuversichtlich und siegesgewiß und rufe einmal übers andre: »Alles wird gutgehen! Der Erfolg kann nicht ausbleiben!« Wenn die Schauspieler dann dreimal ausspucken, so bedeutet es Zustimmung. Sollte trotzdem der eine oder andre von ihnen versagen, so mache der Autor ihn unverzüglich nach seinem Abgang darauf aufmerksam, daß er heute nicht auf der Höhe sei; er wird dann in den folgenden Szenen viel besser werden. Ein bei den Premierenteufeln sehr beliebter Unfall sind die Sprünge im Dialog. Der Schauspieler springt z. B. versehentlich aus der 2. Szene in die 9. oder aus dem 1. Akt in den 3. Dann ist es sehr wünschenswert, daß der Antor einen Platz hinter den Kulissen habe, von dem aus er die ganze Bühne übersieht und dem Darsteller jederzeit durch lebhafte Gebärden, Mienen und Zurufe auf die rechte Spur helfen kann. Dieser fühlt sich dann um vieles ruhiger. Der Zwischenakt ist dann der geeignete Moment, um gute Einfälle, wie sie dem Autor während der Premiere zu kommen pflegen, noch in das Stück einzufügen, Streichungen vorzunehmen, Gestrichenes wiederherzustellen, Masken und Kostüme zu kritisieren usw. usw.

Wenn dann alles vorüber und ein großer Erfolg erzielt ist und man sich danach irgendwo beim Glase versammelt hat, dann halte der Dichter mit seinem Danke nicht zurück und spreche es unumwunden aus, daß, wenn der Erfolg auch zweifellos dem Stück zuzuschreiben sei, die Darsteller doch auch in gewissem Sinne zu dem Erfolge beigetragen, jedenfalls aber nichts verdorben hätten. In der Zeitung steht nämlich am folgenden Tage immer, daß nur die Kunst der Darsteller den Schmarrn herausgerissen habe, und wenn man da nicht vorbeugt, so glaubt es der eine oder andere Leichtgläubige unter den Schauspielern. Auch unterlasse der Toastende nicht, genau den Rang anzugeben, den die betr. Aufführung unter allen, die er gesehen hat, einnimmt; er sage z. B.: Nach der Hamburger, der Stuttgarter und der Merseburger Aufführung ist diese Berliner Aufführung entschieden die beste.« Ein gutes Wort findet immer eine gute Statt. Ausklingen lasse der Autor seinen Toast in einem Hoch auf die Hauptdarsteller. Sollte ein Zweifel darüber bestehen, wer diese seien, so bezeichne er sie genau. Diesen verehre er auch sein Bildnis mit einer angemessenen Unterschrift wie:

»Dem strebsamen und fleißigen Künstler.«

oder:

»Dem zweitbesten Darsteller meines Theobald.«

oder:

»Dem wackeren Schauspieler und unvergleichlichen Menschen.«

usw. usw.

Nicht zu billigen ist es, wenn der Autor jedem Darsteller einzeln sagt, daß er den Vogel abgeschossen habe. Es ist nicht zu vermeiden, daß die Schauspieler später wieder zusammentreffen und die abgeschossenen Vögel zusammenzählen.

Ähnlich wie den Schauspielern gegenüber verhalte sich der Autor im Verkehr mit den Direktoren, und wenn diese zugleich Schauspieler sind, sei er doppelt aufrichtig. Direktoren und deren Gattinnen, die an ihrer Bühne zugleich als Darsteller wirken, verzehren sich vor Verlangen nach dem ungeschminkten Urteil eines unbefangenen Mannes, der nicht an ihrer Bühne angestellt ist; diesem Bedürfnis komme der Autor in weiterem Maße entgegen. Andrerseits lobe er, wenn anders er Grund dazu hat, dem Direktor gegenüber gerade diejenigen Künstler – und zwar in deren Beisein – mit denen der Direktor gespannt ist, denen er vielleicht gar gekündigt hat oder die eine Gagenerhöhung gefordert haben; denn niemand weiß besser als ein Theaterdirektor, daß justitia das fundamentum auch der Theaterregierungen ist.

Wenn der Autor alle diese Regeln befolgt, dann werden sich die Schauspieler zu seinen Stücken drängen, und besonders die Erkenntlichkeit der Direktoren wird keine Grenzen kennen. Wenn man Dankbarkeit im allgemeinen bei den Menschen vergebens sucht – beim Theater und seinen Direktoren hat sie ihr Heim aufgeschlagen. Ein Mime, für den ein Dichter einmal einen Karl Moor geschrieben hat, wird in Zukunft aus nie verlöschender Liebe zu diesem Dichter jeden Stier von Uri spielen, und ein Direktor, der einmal mit dem Werk eines Dichters einen großen Erfolg und Gewinn erzielt hat, wird fortan alles spielen, was der Dichter schreibt, und wenn er an die Ausstattung eines Stückes hundert – ach, was sage ich! – hundertundzwanzig Mark wenden müßte.

Bin ich also dafür, daß der Autor das »zarte, leicht verletzliche Geschlecht« der Bühnenkünstler mit dem subtilsten Feingefühl und mit gewinnendster Liebenswürdigkeit behandle, so halte ich andrerseits dafür, daß der Dichter den gleichen Anspruch an die Schauspieler erheben dürfe, und es wäre dringend zu wünschen, daß ein Theatermann einmal die Regeln für die Behandlung der dramatischen Autoren zusammenstellte. Ich will gleich an einem Beispiel zeigen, wie ich mir das denke. Nehmen wir an, dem Darsteller stieße während der Probe ein Passus in seiner Rolle auf, der ihm wenig gelungen erschiene; wenn er sich dann unterbricht, sich an den Kopf faßt und zu dem im Parkett sitzenden Autor mit schwerem, tragischem Akzent hinunterruft: »Herr Doktor, soll ich das wirklich sagen??!!« so wird das auf den Angerufenen immer einen tiefen Eindruck machen, wenn man ihn auch im Dunkel des Theaterraumes nicht genau beobachten kann. Oder man denke sich, der Dichter beklage sich über Mangel an Proben; dann wird es ihn trösten und ihm wohltun, wenn der Schauspieler ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter legt und liebevollen Tones spricht: »Liebster, verehrtester Herr Doktor! An dieser Bühne probt man nicht einmal die wirklichen Dichter!« usw.

Ich habe die Absicht, diesen »Knigge« weiter auszuarbeiten und vor allem auf den Umgang des Autors mit der Presse auszudehnen. Die Presse – das weiß man – hat nur das eine Bestreben: Wahrheit und Gerechtigkeit um jeden Preis zu stabilieren und zu schützen. Die Freiheit des Wortes, die sie für sich verlangt, ist sie jedermann zu gewähren jederzeit bereit. Sie kennt keinen Boykott und keinen Terror. Darum heißt auch den Büchern und Stücken von Rezensenten gegenüber die oberste Forderung: Ehrlichkeit und Offenheit. Noch kürzlich habe ich das bewährt gefunden. Die Gattin eines Theaterkritikers übergab mir ihre Gedichte mit der Bitte um mein ehrliches, rücksichtsloses Urteil. Sie fügte hinzu, daß sie gerade mir dieses Buch besonders gern zur Beurteilung gebe, weil meine Offenheit bekannt sei. Ich las die Gedichte vom ersten bis zum letzten und brauchte mit meinem Urteil um so weniger zurückzuhalten, als ich der jungen und hübschen Dame mit bestem Gewissen sagen konnte, daß mir eines dieser Gedichte nicht übel gefallen habe. Sie sagte freilich: »Gott, Sie gräßlicher Mensch!« schien also nicht ganz befriedigt zu sein; aber sie hat sich, obwohl Schriftstellerin, mit keinem Federstriche gerächt: denn die fürchterliche Verreißung meines Stückes, die bald darauf in der Zeitung stand, war von ihrem Gatten.

Daß trotz solcher Erfolge die Diplomatie der Aufrichtigkeit noch nicht auf mich aufmerksam geworden ist – meine Schuld ist es nicht.


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