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Zwei Tote

Marcolphus · Phaedrus

Marcolphus. Woher kommst denn du, Phaedrus? Doch nicht aus der Höhle des Trophonius? Wir sind dieser Frage schon im Eingang des Dialogs von der unnatürlichen Ehe begegnet. Von der unheimlichen Orakelhöhle in Böotien ist bei Cicero wiederholt die Rede. Phaedrus. Warum fragst du so? Marcolphus. Weil du ganz ungewohnt düster und ungepflegt und graus dreinsiehst, wie es gar nicht zu deinem Namen stimmt Das griechische Adjektiv phaidrös bedeutet: strahlend, glänzend.. Phaedrus. Wer längere Zeit in einer Schmiede verkehrt, der holt sich stets einige Schwärze; was Wunder, wenn ich, der ich viele Tage bei zwei Kranken und Sterbenden und Begrabenen zugebracht habe, trauriger als gewöhnlich bin; namentlich da die beiden mir sehr lieb waren. Marcolphus. Von was für Toten sprichst du? Phaedrus. Du hast den Georg Balearicus gekannt? Marcolphus. Dem Namen nach, persönlich nicht. Phaedrus. Von dem andern weiß ich, daß er dir völlig unbekannt ist. Es ist Cornelius Montius, mit dem ich seit vielen Jahren aufs engste verbunden war. Marcolphus. Ich bin noch nie bei einem Sterbenden zugegen gewesen. Phaedrus. Ich öfter, als ich gewollt hätte. Marcolphus. Ist nun aber der Tod wirklich etwas so Furchtbares, wie man gemeinhin sagt? Phaedrus. Der Weg zum Tode ist härter als der Tod selbst. Wer diese Furcht vor dem Tode und diese Vorstellung des Sterbens aus dem Sinn vertreiben könnte, der würde sich ein gut Teil Leiden ersparen. In Kürze läßt sich sagen: was in Krankheit wie im Sterben das Kreuz weit erträglicher macht, das ist, wenn man sich ganz dem Willen Gottes überläßt. Denn was das eigentliche Gefühl von dem Tode selbst anbetrifft, wenn der Geist bereits sich vom Körper gelöst hat, so bedeutet das meiner Meinung nach gar nichts oder ist doch nur eine sehr dumpfe Empfindung, weil die Natur, bevor es so weit gekommen ist, alle sensiblen Teile betäubt und stumpf macht. Marcolphus. Bei der Geburt spüren wir gar nichts. Phaedrus. Wohl aber spürt es die Mutter. Marcolphus. Warum sterben wir nun nicht ebenso? Warum wollte Gott, daß der Tod so qualvoll sei? Phaedrus. Die Geburt wollte er schwer und gefährlich für die Mutter, damit sie das, was sie geboren hat, um so lieber habe; der Tod aber sollte für jeden furchtbar sein, damit die Menschen sich nicht so ohne weiteres selbst den Tod geben möchten. Denn wenn wir schon heute sehen, wie viele Hand an sich selber legen, was meinst du, würde erst dann geschehen, wenn der Tod keinen Schrecken hätte? So oft ein Knecht oder auch ein junger Sohn Hiebe bekäme, so oft eine Frau sich über ihren Mann ärgerte, so oft irgend etwas schief ginge oder uns schwer fiele, gleich würden die Menschen zum Strick, zum Schwert, zu einem Fluß oder Abgrund oder zum Gift ihre Zuflucht nehmen. So wie es jetzt ist, macht die Bitterkeit des Todes uns das Leben lieber, besonders da die Ärzte dem einmal aus dem Leben Geschiedenen nicht mehr auf die Beine helfen können. Und doch, wie nicht allen bei ihrer Geburt dasselbe Los zufällt, so ist auch die Art des Todes nicht bei allen dieselbe. Einige befreit ein rascher Tod auf der Stelle, andere siechen in einem langen Sterben dahin. Die von der Schlafsucht Befallenen wie auch die von einer Viper Gebissenen gehen aus dem Schlaf in den Tod ein, ohne daß sie ein Bewußtsein davon haben. Das eine habe ich beobachtet: keine Todesart ist so bitter, daß sie nicht derjenige ertragen könnte, welcher mit gefestigtem Geiste seinem Ende entgegensieht. Marcolphus. Welcher von den zwei Männern starb christlicher? Phaedrus. Georg starb mit mehr Ehren. Marcolphus. Hat denn auch der Tod seinen Ehrgeiz? Phaedrus. Ich sah noch nie zweie so verschieden sterben. Wenn du's hören magst, will ich dir das Abscheiden beider erzählen. Du magst dann selbst urteilen, welcher Tod dir für einen Christenmenschen wünschenswerter scheint. Marcolphus. Bitte, erzähl', wenn dir's nicht zu beschwerlich fällt. Ich für meine Person werde aufmerksam zuhören. Phaedrus. So vernimm denn zuerst Georgs Ableben. Als ihn der Tod schon sicher gekennzeichnet hatte, fing die Schar der Ärzte, die schon lange an dem Kranken herumkuriert hatten, an, ihre Bezahlung zu fordern; daß sein Zustand verzweifelt sei, verheimlichten sie ihm. Marcolphus. Wieviel Ärzte waren's? Phaedrus. Etwa zehn, zuweilen sogar zwölf, mindestens aber sechse. Marcolphus. Das hätte genügt, um einen Gesunden zu töten. Phaedrus. Nachdem ihnen das Geld ausbezahlt worden war, bedeuteten sie die nächsten Angehörigen des Kranken, der Tod stehe vor der Tür, sie sollten also für das sorgen, was zum Heil der Seele vonnöten ist; auf eine Heilung des Leibes sei nicht mehr zu hoffen. Durch intime Freunde wurde dann auch der Kranke freundlich gemahnt, er solle die Sorge für seinen Körper Gott anvertrauen und nur an das denken, was zu einem glückseligen Ableben diene. Wie er das hörte, richtete Georg seine Augen mit erstaunlichem Ingrimm auf die Ärzte, als sei er entrüstet darüber, daß sie ihn im Stiche ließen. Da meinten sie, sie seien Ärzte, keine Götter; was hier Kunst vermöge, hätten sie getan, im übrigen gebe es keine Medizin gegen den Schicksalsschluß. Worauf sie in ein anliegendes Zimmer weggingen. Marcolphus. Wozu blieben sie noch da, nachdem sie doch ihr Geld eingestrichen hatten? Phaedrus. Sie hatten sich nicht einigen können über die Art der Krankheit; einer sprach von Wassersucht, ein andrer von einem geschwollenen Leib, ein dritter von einem Geschwür im Unterleib, und so ein jeder von einer anderen Krankheit; die ganze Zeit über, da sie den Kranken behandelten, stritten sie sich heftig über die Art der Krankheit. Marcolphus. Welch ein glücklicher Zustand für den Kranken! Phaedrus. Um diesen Streit endlich zu beendigen, baten sie durch Vermittlung der Frau, man möchte sie die Leiche sezieren lassen; das sei eine ehrenvolle Sache und pflege ehrenhalber bei großen Herren vorgenommen zu werden; zudem sei dies für viele von Nutzen und werde so zu den Verdiensten des Toten gerechnet werden. Schließlich versprachen sie, sie wollten auf eigene Kosten dreißig Messen zugunsten des Toten lesen lassen. Nur ungern wurde schließlich auf die Zureden der Frau und der Verwandten hin diese Bitte gewährt. Daraufhin verzog sich die Versammlung der Ärzte. Sie sagen nämlich, es schicke sich nicht, daß diejenigen, die dem Leben ihre Hilfe angedeihen lassen, beim Tode als Zuschauer zugegen seien oder der Beerdigung beiwohnen. Bald darauf wurde dann Bernardinus, der ehrwürdige Franziskanerobere, den du kennst, geholt, damit er die Beichte abnehme. Kaum war diese vorüber, so war schon ein Schwarm von den vier Bettelorden im Hause. Marcolphus. So viele Geier auf ein Aas? Phaedrus. Hierauf wurde der Pfarrgeistliche gerufen, der den Kranken salben und ihm die Hostie reichen sollte. Marcolphus. So ist's frommer Brauch. Phaedrus. Aber es hätte nicht viel gefehlt, so wäre zwischen dem Pfarrer und den Mönchen ein blutiger Streit entstanden. Marcolphus. Am Bett des Kranken? Phaedrus. Ja und angesichts Christi. Marcolphus. Was erregte denn auf einmal diesen Tumult? Phaedrus. Als der Pfarrherr erfahren hatte, der Kranke habe einem Franziskaner gebeichtet, weigerte er sich, das Sakrament der Ölung und der Eucharistie zu erteilen oder die Beerdigung vorzunehmen, wenn er nicht erst mit eigenen Ohren die Beichte des Kranken gehört habe; er sei der Pfarrherr und müsse Gott für sein Schäflein Rechenschaft ablegen; das könne er aber nicht, wenn er die Geheimnisse des Gewissens nicht erfahren habe. Marcolphus. Hatte er darin nicht recht? Phaedrus. Den Mönchen schien das nicht so. Denn energisch erhoben alle Widerspruch, besonders Bernardinus und der Dominikaner Vincentius. Marcolphus. Was brachten sie vor? Phaedrus. Sie gingen mit scharfen Schmähungen auf den Pfarrer los, wobei sie ihn wiederholt Esel schalten und würdig, Schweine zu hüten. Ich, sagte Vincenz, bin Baccalaureus der Theologie, bald Lizentiat und sogar Doktor, du kannst kaum das Evangelium lesen, geschweige denn, daß du die Geheimnisse des Gewissens zu ergründen imstande bist. Wenn du neugierig sein willst, so forsch' einmal nach, was dein Weib und deine im Inzest gebornen Kinder bei dir zu Hause machen, und wie es mit andern Dingen steht, von denen ich mich zu reden schäme. Marcolphus. Was antwortete der Pfarrer darauf? Blieb er stumm? Phaedrus. Stumm? Er glich einer am Flügel gepackten Zikade: ich will, zirpte er laut, aus Bohnenstroh bessere Baccalaurei machen als du einer bist. Wo haben die Gründer und Häupter eurer Orden, Dominikus und Franz, die aristotelische Philosophie gelernt oder die Beweisführungen des Thomas Von Aquino. Natürlich ein Ignoranteneinwand, da Thomas ein Dominikaner wie Duns Scotus ein Franziskaner war. oder die Spekulationen des Scotus? oder wo sind sie mit dem Baccalaureustitel beschenkt worden? Ihr habt euch in die noch gutgläubige Welt eingeschlichen, aber nur wenige als Demütige, einige auch als gelehrte und fromme Männer; ihr nistetet euch auf dem Land und in den Flecken ein, dann wandertet ihr in die reichsten Städte und in den blühendsten Teil der Städte aus. So viele ländliche Ortschaften gibt's, die nicht imstande sind, einen Pfarrer zu ernähren; dort war für eure Arbeit der Platz; aber jetzt seid ihr nirgends zu treffen außer in reichen Häusern. Ihr prahlt mit den Namen der Päpste; aber eure Privilegien sind wertlos, außer wenn es an einem Bischof, einem Pfarrer oder dessen Vikar irgendwo mangelt. In meiner Kirche wird, solange ich gesund bin, keiner von euch predigen. Ja, ich bin kein Baccalaureus; auch der heilige Martin war keiner und führte doch den Bischofstitel. Wenn mir etwas von Bildung fehlt, so werde ich es mir gewiß bei euch nicht holen. Oder glaubt ihr, die Welt sei noch so dumm, daß sie beim Anblick einer Kutte des Dominikus oder Franziskus meint, das seien nun jene heiligen Männer selbst? Was geht euch an, was ich zu Hause treibe? Was ihr in euern Schlupfwinkeln treibt, wie ihr die geweihten Jungfrauen vornehmt, das weiß auch das Volk. Und alle Welt weiß, daß die Häuser der Reichen, die ihr frequentiert, deshalb um keinen Deut glücklicher oder reiner sind. – Mehr will ich, Freund Marcolph, nicht erzählen; kurz, der Pfarrer hat jene ehrwürdigen Patres so unehrerbietig als möglich behandelt. Und die Sache wäre nicht zu Ende gediehen, wenn nicht Georg mit der Hand sie bedeutet hätte, er wolle etwas sagen. Nur mit Mühe erreichte er, daß der Streit für ein Weilchen still wurde. Dann sprach der Kranke: Friede sei zwischen euch! Ich will dem Pfarrer zum zweitenmal beichten. Ferner soll ihm für das Läuten der Glocken, für den Kenotaph, für die Beerdigung das Geld ausbezahlt werden, bevor er aus dem Hause geht; ich will nicht, daß er sich in irgend etwas über mich beschweren könne. Marcolphus. Wies der Pfarrer so billige Bedingungen zurück? Phaedrus. Nein; er murmelte nur etwas wegen der Beichte, die er dem Kranken erlasse. Wozu, meinte er, durch eine Wiederholung den Kranken wie den Priester plagen? Hätte er mir beizeiten gebeichtet, vielleicht würde er dann sein Testament frömmer gemacht haben; jetzt sehet ihr zu! Das billige Vorgehen des Kranken kam den Mönchen krumm, sie waren erbost darüber, daß ein Teil der Beute für den Pfarrer abfallen sollte. Ich trat jedoch dazwischen und sorgte dafür, daß der Streit sich legte. Der Pfarrer salbte dann den Kranken, reichte ihm den Leib des Herrn und ging von dannen, nachdem ihm die Summe ausbezahlt war. Marcolphus. So folgte denn jetzt auf den Sturm die Ruhe? Phaedrus. Im Gegenteil: diesem Sturm folgte ein noch viel heftigerer auf dem Fuß. Marcolphus. Aus was für einem Grunde? Phaedrus. Das sollst du jetzt hören. Im Hause waren die vier Bettelorden zusammengeströmt; ihnen gesellten sich als fünfter die Brüder vom Kreuze bei. Gegen diese nun, gleichsam als gegen einen Wechselbalg, erhoben sich die vier andern mit großem Lärm und fragten sie, ob sie denn auch jemals einen Wagen mit fünf Rädern gesehen hätten? und mit welcher Stirn sie zu behaupten wagten, daß es mehr Bettelorden gebe als Evangelisten? Mit demselben Rechte könntet ihr alle Bettler von den Brücken und Kreuzwegen hierher bringen. Die Brüder vom Kreuze taten die Gegenfrage, wie denn seinerzeit der Wagen der Kirche sich fortbewegt habe, als es noch keinen einzigen Bettelorden gab, und wie dann, als ihrer nur einer und später deren drei waren. Mit der Zahl der Evangelisten habe die Zahl der Bettelorden nicht mehr Verwandtschaft als mit einem Würfel, der auf allen Seiten vier Ecken habe. Wer habe denn die Augustiner dem Orden der Bettelmönche angegliedert und wer die Karmeliter? Hat denn Augustinus oder Elias – denn diese zwei machen die genannten Orden zu ihren Gründern – jemals gebettelt? Solches und ähnliches donnerten jene; da sie aber für sich allein dem Ansturm der vier Heere nicht zu widerstehen vermochten, zogen sie schließlich ab, unter bösen Drohungen. Marcolphus. Nun trat dann doch wohl Ruhe ein? Phaedrus. Keineswegs: jene Bundesgenossenschaft gegen den fünften Orden verwandelte sich bald in einen Gladiatorenkampf. Der Franziskaner und der Dominikaner behaupteten, weder die Augustiner noch die Karmeliter seien rechte Bettelmönche, sondern nur Bastarde. Der Streit gedieh so weit, daß ich fürchtete, es möchte zu einem Handgemenge kommen. Marcolphus. Und der Kranke ertrug das alles? Phaedrus. Diese Dinge wickelten sich nicht an seinem Bett ab, sondern in einem an das Schlafgemach anstoßenden Vorzimmer, aber die Stimmen drangen deutlich bis zu dem Kranken, denn es ging nicht leise zu, sondern mit vollen Registern wurde das verhandelt; auch weißt du ja, daß ohnehin bei Kranken der Gehörsinn schärfer zu sein pflegt. Marcolphus. Wie ging der Streit schließlich aus? Phaedrus. Der Kranke ließ durch seine Frau bitten, sie möchten sich ein wenig still verhalten, er wolle den Handel schlichten. Er bat darauf, die Augustiner und die Karmeliter Mönche möchten für den Augenblick weggehen, es solle ihnen das nicht zum Schaden gereichen. Genau so viel Essen werde ihnen ins Kloster geschickt, wie sie erhalten würden, wenn sie hier im Hause blieben. Aber an der Beerdigung, so ordnete er an, sollten alle Orden, auch der fünfte, teilnehmen, und das Geld sollte zu gleichen Teilen jedem einzelnen verabreicht werden; jedoch sollten sie nicht am gemeinsamen Leichenschmaus sich beteiligen, damit nicht eine Streiterei ausbreche. Marcolphus. Ein kluger Mann, der noch im Tode solche Wogen zu glätten versteht. Phaedrus. Kein Wunder, er war viele Jahre lang Heerführer. Da sind solche Tumulte unter den Soldaten an der Tagesordnung. Marcolphus. Er war demnach ein reicher Mann? Phaedrus. Ja sehr. Marcolphus. Sein Geld wird er wohl, wie's zu geschehen pflegt, auf schlimmen Wegen erworben haben, durch Räubereien, Kirchenfrevel und Auspressungen? Phaedrus. So tun's für gewöhnlich allerdings die Kriegsobersten, auch will ich nicht beschwören, er sei solchen Gepflogenheiten ferne gestanden. Wenn ich aber den Mann genugsam gekannt habe, so hat er sein Vermögen mehr durch die Findigkeit seines Geistes als durch Gewaltmittel vergrößert. Marcolphus. Wieso? Phaedrus. Er verstand sich auf Arithmetik. Marcolphus. Was heißt das? Phaedrus. Das heißt, daß er seinem Fürsten dreißigtausend Mann verrechnete, während es deren kaum siebentausend waren. Sodann zahlte er vielen Soldaten gar nichts. Marcolphus. Das ist allerdings eine prachtvolle Arithmetik. Phaedrus. Ferner zog er den Krieg sehr kunstgerecht in die Länge, und pflegte sowohl von feindlichen als von befreundeten Städten eine monatliche Summe einzufordern: von den Feinden, auf daß sie keine Feindseligkeiten zu erdulden hätten, von den Freunden, damit sie mit dem Feinde paktieren dürften. Marcolphus. Daran erkenne ich die allgemeine Gepflogenheit der Kriegsleute. Doch bring' deine Erzählung zu Ende! Phaedrus. Bernardinus also und Vincentius blieben mit einigen ihrer Genossen bei dem Kranken zurück; den übrigen wurde das Essen geschickt. Marcolphus. Kam es zwischen denen, die als Besatzung zurückgeblieben waren, zu einem friedlichen Übereinkommen? Phaedrus. Nicht so ganz. Sie begannen etwas über ihre Vorrechte zu grunzen; doch wurde dann, damit das Stück zu Ende gespielt werde, die Sache beschwiegen. Schon wurden die Testamentsverfügungen herbeigeschafft und mit Beiziehung von Zeugen die Punkte festgestellt, die sie schon vorher unter sich abgemacht hatten. Marcolphus. Es interessiert mich, davon zu hören. Phaedrus. Ich will summarisch verfahren, sonst führt uns die Sache zu weit. Überlebend war die Gattin, die achtunddreißig Jahre alt war, eine tüchtige, verständige Frau; sodann zwei Söhne von neunzehn und von fünfzehn Jahren und ebensoviele Töchter, beide aber noch unmündigen Alters. Im Testament war bestimmt, daß die Frau, weil sie sich nicht dazu hatte verstehen können, Nonne zu werden, das Beghinenkleid nehmen sollte – das ist ein Mittelding zwischen Nonnen und Laienweibern –; der ältere Sohn, der ebenfalls nicht Mönch werden wollte, – Marcolphus. Ein alter Fuchs läßt sich nicht in der Schlinge fangen. Phaedrus. – der ältere Sohn sollte gleich nach des Vaters Bestattung nach Rom eilen, dort durch Dispens des Papstes vor dem rechtmäßigen Alter Priester werden und ein Jahr lang jeden Tag in der Vatikanskirche eine Messe für seinen Vater lesen, sowie jeden Freitag auf den Knien die heilige Treppe zum Lateran hinaufrutschen. Marcolphus. Ging er gern darauf ein? Phaedrus. Offen gestanden so, wie ein Esel die ihm aufgeladenen Säcke tragen muß. Der jüngere Sohn sollte dem heiligen Franz, die ältere Tochter der heiligen Klara und die jüngere der Katharina von Siena geweiht werden. Nur das konnte erreicht werden. Der Sinn Georgs stand nämlich dahin: alle fünf Überlebenden auf die fünf Bettelorden zu verteilen, um sich so Gott mehr zu verpflichten. Und mit Eifer arbeitete er darauf hin. Allein die Frau wie der ältere Sohn ließen sich weder durch Drohungen noch durch Schmeichelreden dazu bringen. Marcolphus. Das ist eine neue Art, die Seinen zu enterben. Phaedrus. Das ganze Erbe wurde so verteilt, daß nach Abzug der Begräbniskosten vom Ganzen ein Zwölftel auf die Frau fiel; aus der einen Hälfte dieser Summe sollte sie ihr Leben bestreiten, die andere dorthin abtreten, wo sie sich religiös verpflichten würde; ändere sie ihren Entschluß und trete davon zurück, so solle die gesamte Summe jener Vereinigung verbleiben. Das zweite Zwölftel sollte an den Sohn fallen, dem jedoch sofort das Reisegeld ausbezahlt werden muß und was er sonst bedarf für den Kauf des Dispenses und für seinen Jahresaufenthalt in Rom. Besinne er sich anders und nehme nicht die heiligen Weihen, so soll sein Zwölftel zwischen die Franziskaner und Dominikaner verteilt werden. Und ich fürchte, das wird so kommen, so groß ist die Abneigung des Sohnes gegen den Priesterrock. Zwei weitere Zwölftel würden an das Kloster kommen, in das der jüngere Sohn eintreten soll, ferner je zwei an die Klöster, die die Töchter aufnehmen würden; aber unter der Bedingung, daß, wenn die Kinder sich weigern sollten, dem Klosterleben sich zu weihen, doch die ganze Summe unangetastet in ihren Händen bleiben soll. Ein Zwölftel sodann kommt an den Bernardinus, ein weiteres an Vincentius. Die Hälfte von einem Zwölftel wird den Kartäusern vermacht für die Gemeinschaft an allen guten Werken, die im ganzen Orden getan werden. Die anderthalb letzten Zwölftel sodann sollen an verschämte Arme verteilt werden, welche Bernardinus und Vincentius als der Unterstützung würdig erachten. Das wurde dann nach dem Verlesen des Testaments mit folgenden Worten stipuliert: Georg Balearicus, bestätigst du bei lebendigem Leibe und gesundem Verstand dieses Testament, das du seinerzeit nach deinem Willen gemacht hast? – Ich bestätige es. – Und ist das dein letzter, unwandelbarer Wille? – Er ist's. – Setzest du mich und diesen Baccalaureus Vincenz da zu Vollstreckern deines letzten Willens ein? – Ich tu's. – Dann hieß man ihn nochmals unterschreiben. Marcolphus. Konnte das der Sterbende noch? Phaedrus. Bernardinus führte dem Kranken die Hand. Marcolphus. Was unterschrieb er? Phaedrus. Der ziehe sich den Zorn des heiligen Franz und des heiligen Dominikus zu, der es versuchen sollte, irgend etwas an dem Testament zu ändern. Marcolphus. Fürchteten sie denn nicht einen Gerichtshandel wegen dieses pflichtwidrigen Testamentes? Phaedrus. Eine Einsprache gibt es nicht bei Dingen, die Gott geweiht werden, und niemand fängt gern mit Gott einen Prozeß an. Hierauf schworen dann die Frau und die Kinder dem Kranken, indem sie ihm die rechte Hand gaben, sie wollten das, was sie auf sich genommen hätten, halten. Dann begann, nicht ohne Streitigkeiten, die Verhandlung über den Leichenpomp. Schließlich siegte die Ansicht, daß von den fünf Bettelorden je neun Mönche teilnehmen sollten, zu Ehren der fünf Bücher Mosis und der in neun Chöre geteilten Engel. Jeder Orden sollte sein Kreuz vorantragen und die Leichengesänge singen. Außer den Verwandten sollten dreißig (denn um so viel Silberlinge ist der Herr verkauft worden) schwarzgekleidete Fackelträger und ehrenhalber zwölf Klageweiber (das ist die Zahl der Apostel) gemietet werden als Leichenbegleitung. Hinter dem Leichenwagen sollte das Pferd des Georg schwarzgeschirrt folgen, mit dem Hals so auf die Knie gezäunt, daß es seinen Herrn am Boden zu suchen scheine. Die Bahrdecke sollte an den Ecken das Wappen zeigen, ebenso auch die Fackeln und die schwarzen Kleider mit dem Wappen versehen sein. Der Leichnam selbst sollte zur Rechten des Altars in einen Marmorsarkophag von vier Fuß Höhe gelegt werden, und die Gestalt des Mannes selbst, aus parischem Marmor gearbeitet, oben auf dem Sarkophag liegen, vollständig bewaffnet vom Scheitel bis zur Ferse; auch sollte die Helmraupe, der Hals einer Kropfgans, nicht fehlen, ebenso nicht der Schild im linken Arm mit dem Wappen, das drei goldene Wildschweinköpfe auf silbernem Grund zeigt; an der Seite dann das Schwert mit vergoldetem Griff und vergoldetem und mit Knöpfen aus Edelsteinen geschmücktem Wehrgehenk und an den Füßen goldene Sporen; war er doch ein goldener Ritter. Zu Füßen sollte ein Leopard seinen Platz erhalten. Die Ränder des Grabmals sollten eine eines solchen Mannes würdige Inschrift tragen. Sein Herz aber wollte Georg besonders in einer Kapelle des heiligen Franz beigesetzt haben; die Eingeweide dagegen vertraute er dem Pfarrer an, der sie ehrenvoll in der der jungfräulichen Mutter geweihten Kapelle beisetzen sollte. Marcolphus. Das ist allerdings eine ehrenreiche, nur gar zu kostspielige Beisetzung. In Venedig würde einem Schuhmacher noch mehr Ehre erwiesen werden und das mit geringeren Kosten. Eine schöne Bahre liefert die Bruderschaft, und einen einzigen Genossen begleiten oft ihrer sechshundert Mann, in Kutten oder Mäntel von Mönchen gekleidet. Phaedrus. Ich hab' das auch gesehen und mußte lachen über diesen für arme Leute so unpassenden Pomp. Feierlich schreiten die Walker und Gerber einher; aber oben und unten guckt ihnen der Banause aus dem Mönchshabit heraus – die reinsten Chimären. Auch hier war es übrigens nicht anders, wenn du es gesehen hättest. Auch daran dachte Georg, daß der Franziskaner und der Dominikaner unter sich durchs Los entschieden, welchem von beiden Orden der Vortritt im Zuge gebühre; nach ihnen sollten auch die andern das Los darüber ziehen, damit ja keine Unordnung entstehe. Der Parochialgeistliche und seine Kleriker sollten die geringste Stelle erhalten, in diesem Fall die erste. Anders hätten es die Mönche nicht zugelassen. Marcolphus. Der Mann verstand sich darauf, nicht nur eine Schlachtlinie, sondern auch einen Zug zu ordnen. Phaedrus. Auch dafür sorgte er, daß der Leichengottesdienst, der in der Pfarrkirche stattfinden sollte, ehrenvollerweise mit Musik zelebriert würde. Während das alles nun abgemacht ward, ergriff den Kranken ein Schauer, und sichere Zeichen bewiesen, daß seine letzte Stunde gekommen sei. So gelangen wir denn zum letzten Akt des Schauspiels. Die Bulle des Papstes ward vorgelesen, worin ihm Absolution von allen Vergehen versprochen und die Furcht vor dem Fegefeuer ihm völlig benommen wurde. Überdies wurden alle seine Güter als gerechtes Gut erklärt. Marcolphus. Während er sie doch durch Raub erworben hat. Phaedrus. Sag' besser durch Kriegsrecht und nach Soldatensitte. Zufällig war Philipp, ein Bruder der Frau, Jurist von Beruf, zugegen; dieser wies in der Urkunde auf eine Stelle hin, die anders hingesetzt war als es hätte sein sollen, und äußerte den Verdacht, es liege hier eine Fälschung vor. Marcolphus. Das sagte er aber recht zur Unzeit; er hätte schweigen sollen, selbst wenn ein Irrtum vorlag; der Kranke hätte sich deshalb um nichts schlechter befunden. Phaedrus. Ich bin deiner Ansicht. Der Kranke wurde denn auch durch diese Sache so aufgeregt, daß es an Verzweiflung grenzte. Da zeigte sich Vincenz als mutiger Mann; er hieß den Georg ganz ruhig sein: er besitze die Gewalt zu verbessern und zu ergänzen, wenn etwas in der Bulle verfehlt oder ausgelassen sei. Wenn dich – so sagte er – diese Bulle täuschen sollte, so setze ich jetzt diese meine Seele für dich zum Pfand, damit deine Seele gen Himmel ziehe, meine aber der Hölle überantwortet werde. Marcolphus. Nimmt Gott derartigen Seelenwechsel an? Und, wenn er ihn annimmt, war dem Georg mit diesem Pfände genugsam gedient? Wie, wenn nun die Seele des Vincentius auch ohne den Rollenwechsel der Hölle verfallen war? Phaedrus. Ich erzähle nur, was geschah. Jedenfalls erreichte Vincenz das, daß dem Kranken offenkundig wieder der Mut zurückkehrte. Es wurden dann die Bürgschaften verlesen, durch die dem Georg die Gemeinschaft an allen den Werken versprochen wurde, die durch die vier Orden getan würden, und auch durch den fünften, die Kartäuser. Marcolphus. Ich hätte Angst, ich würde zur Hölle hinabgedrückt, wenn ich eine solche Last schleppen müßte. Phaedrus. Ich rede von den guten Werken; die beschweren die Seele, die sich zum Emporflug anschickt, nicht mehr als Federn den Vogel. Marcolphus. Wem vermachen sie aber ihre schlimmen Werke? Phaedrus. Den deutschen Söldlingen. Marcolphus. Mit welchem Rechte? Phaedrus. Nach evangelischem Rechte: wer da hat, dem wird gegeben. Zugleich wurde die Zahl der Messen und Psalmgesänge verlesen, die die Seele des Toten begleiten sollen. Sie war ungeheuer. Dann wurde die Beichte wiederholt und der Segen gespendet. Marcolphus. Hauchte er dann seine Seele aus? Phaedrus. Noch nicht. Es wurde eine strohgeflochtene Matratze auf den Boden gelegt, deren aufgerolltes Kopfende eine Art Kissen bildete. Diese besprengten sie mit Asche, aber nur spärlich; dann legten sie den Körper des Kranken darauf. Die Kutte des Franziskaners wurde über ihn gebreitet, zuvor aber mit Gebeten und Weihwasser geweiht. Dem Haupt wurde die Kapuze untergelegt; denn anziehen konnte man sie ihm nicht mehr. Zugleich mit ihr wurden ihm die Bulle samt den Bürgschaften unter den Kopf geschoben. Marcolphus. Das ist eine neue Art des Sterbens. Phaedrus. Sie versichern, daß der Böse über die, die so sterben, keine Macht habe. So seien, abgesehen von anderen, der heilige Martin und der heilige Franz gestorben. Marcolphus. Aber dem Tode dieser hat auch ihr Leben entsprochen. Bitte, was kam dann noch? Phaedrus. Dem Kranken wurde ein Kruzifix und eine Wachskerze hingehalten. Zu dem hingehaltenen Kreuz sagte der Sterbende: Im Krieg pflegte ich mich auf meinen Schild zu verlassen; jetzt halte ich diesen Schild meinem Feinde entgegen. Und indem er das Kreuz küßte, schob er es an seine linke Schulter heran. Zur geweihten Kerze sagte er: Einst war ich im Kriege stark durch meine Lanze; jetzt werde ich diese Lanze gegen den Feind der Seelen schütteln. Marcolphus. Das war recht militärisch gesprochen. Phaedrus. Es waren seine letzten Worte. Denn bald nahm der Tod von seiner Zunge Beschlag und zugleich begann er die letzten Züge zu tun. Bernardinus stand unmittelbar zur Rechten des Sterbenden, Vincentius zur Linken, beide hübsch laut sprechend. Der eine zeigte ihm das Bild des heiligen Franz, der andere das des heiligen Dominikus. Die übrigen, im Zimmer verstreut, murmelten mit dumpfer Stimme Psalmen. Bernardinus erschütterte mit lauten Worten sein rechtes, Vincentius sein linkes Ohr. Marcolphus. Was sagten sie? Phaedrus. Bernardinus ungefähr folgendes: Georg Balearicus, wenn du auch jetzt noch zu dem, was zwischen uns abgemacht wurde, deine Zustimmung gibst, so neige dein Haupt zur Rechten. Er tat's. Vincentius von der anderen Seite sagte: Fürchte dich nicht, Georg; du hast den Franz und den Dominikus zu Vorkämpfern. Sei ganz sicher. Denke daran, wie vieler Verdienste du sicher bist, denk' an die Bulle; erinnere dich auch daran, daß ich meine Seele für dich zum Pfand eingesetzt habe, wenn je Gefahr drohen sollte. Wenn du das hörst und billigst, so neige dein Haupt zur Linken! Mit ähnlichen lauten Worten sagten die andern: wenn du das hörst, so nimm meine Hand. Er drückte dann die Hand. Während er so seinen Kopf bald hierin bald dorthin kehrte und die Hände faßte, verstrichen ungefähr drei Stunden. Als nun Georg den Mund aufzusperren begann, da sprach Bernardinus hochaufgerichtet die Absolution; er war noch nicht zu Ende gekommen, da hatte Georg seine Seele ausgehaucht. Das war gegen Mitternacht. Am Morgen wurde er seziert. Marcolphus. Was für eine Krankheit ergab sich? Phaedrus. Du erinnerst mich mit Recht daran, fast hätte ich es vergessen. Ein Stück Blei hing im Zwerchfell. Marcolphus. Woher kam das? Phaedrus. Seine Frau erzählte, er sei einmal von einer Kugel getroffen worden. Daraus schlossen die Ärzte, ein Teil des aufgelösten Bleies sei dann im Körper sitzen geblieben. Der ganz zerfetzte Körper wurde dann mit einer Franziskanerkutte bekleidet. Am Nachmittag wurde er beerdigt mit dem Pomp, der ausgemacht worden war. Marcolphus. Noch nie habe ich von einem mühseligeren Tod und einem ehrgeizigeren Leichenbegängnis gehört. Ich denke aber, du wirst nicht wollen, daß diese ganze Sache im Volk bekannt werde. Phaedrus. Weshalb? Marcolphus. Damit nicht die Hornissen Gemeint ist selbstverständlich das Mönchsgeschmeiß. gereizt werden. Phaedrus. Das hat keine Gefahr. Denn wenn das, was ich erzähle, etwas Gottseliges ist, so liegt es in ihrem eigenen Interesse, daß das Volk es erfahre; wenn aber nicht, so werden mir die guten unter ihnen Dank wissen, daß ich das bekannt gemacht habe, damit einige aus Scham aufhören, ähnliches zu tun; sodann mögen sich die einfachen Leute hüten, daß sie nicht in ähnlichen Irrtum fallen. Auch bei den Mönchen gibt es verständige und wahrhaft fromme Männer, die sich oft darüber bei mir beklagt haben, daß durch den Aberglauben oder die Unredlichkeit Weniger der ganze Orden bei den guten Menschen sich verhaßt mache. Marcolphus. Du handelst recht und mutig. Aber jetzt möcht' ich noch wissen, wie Cornelius gestorben ist. Phaedrus. Wie er gelebt hat: keinem zur Last, so ist er auch gestorben. Er hatte sein Jahresfieber, das zu bestimmten Zeiten jedes Jahres wiederkehrte. Diesmal setzte es dem Manne mehr als sonst zu, sei es, weil er älter geworden war (er hatte sein sechzigstes Lebensjahr überschritten), sei es aus anderen Gründen, und er fühlte selbst, daß sein Todestag gekommen sei. Vier Tage vor dem Ende war Sonntag; da ging er in die Kirche, beichtete seinem Pfarrer, hörte die Predigt und die Messe, und von der Messe kehrte er, nachdem er den Leib des Herrn andächtig empfangen hatte, nach Hause zurück. Marcolphus. Brauchte er keine Ärzte? Phaedrus. Einen einzigen zog er zu Rate, der ein ebensoguter Mensch als Arzt war; er heißt Jacobus Castrutius. Marcolphus. Ich kenn' ihn. Es gibt keinen ehrlicheren Menschen. Phaedrus. Dieser sagte, an seiner Hilfe solle es dem Freunde nicht fehlen; aber ihm scheine, bei Gott sei mehr Hilfe als bei den Ärzten. Cornelius nahm diese Worte so freudig entgegen, als wenn er ihm die sicherste Hoffnung auf Genesung gemacht hätte. Und obschon er stets nach seinem Vermögen gegen die Armen sehr wohltätig gewesen war, verteilte er, was für den Unterhalt seines Weibes und seiner Kinder nicht vonnöten war, unter die Bedürftigen, nicht unter jene aufdringlich und widerwärtig Bettelhaften, sondern unter die braven Armen, die mit fleißiger Arbeit gegen die Armut kämpfen. Ich bat den Mann, er solle sich zu Bette legen und einen Priester rufen lassen, anstatt seinen schwachen Körper zu ermüden. Er antwortete, es sei immer sein Bestreben gewesen, lieber, wenn es möglich sei, seinen Freunden beizustehen, als sie mit Anliegen zu belästigen; er wolle sich jetzt, da es zum Sterben gehe, nicht unähnlich werden. So lag er erst am letzten Tage und einen Teil der Nacht, in der er starb, zu Bette. Inzwischen bediente er sich für seinen müden Körper eines Stockes, oder er saß in einem Stuhl; nur selten legte er sich auf sein Ruhelager, aber in den Kleidern und mit aufgerichtetem Kopfe. Er traf dann derweilen Anordnungen zur Fürsorge für die Armen, die ihm besonders bekannt waren oder in der Nähe wohnten, oder er las in den heiligen Schriften, was das Vertrauen des Menschen zu Gott weckt und dessen Liebe zu uns erklärt. War er dazu aus Müdigkeit nicht mehr recht imstande, so hörte er einem vorlesenden Freunde zu. Oft mahnte er mit wunderbarer Eindringlichkeit die Seinen zu gegenseitiger Liebe und Eintracht und zum Streben nach der wahren Frömmigkeit; und wenn sie über seinen Tod sich Sorgen machten, so tröstete er sie aufs liebevollste. Zugleich mahnte er sie, daß nichts von Schulden unbezahlt bliebe. Marcolphus. Machte er kein Testament? Phaedrus. Schon früher, in gesunden Tagen hatte er das besorgt. Er meinte nämlich, das seien keine Testamente, die von Sterbenden gemacht würden, sondern Deliramente. Marcolphus. Hat er den Klöstern oder den Armen nichts vermacht? Phaedrus. Nicht einen Pfennig. Ich habe, so sagte er, meinerseits mein bißchen Habe verwaltet. Wie ich nun jetzt meinen Besitz andern überlasse, so überlasse ich ihnen auch die Verfügung darüber. Und ich habe das Vertrauen, daß die Meinen es frömmer verwenden, als ich selbst es getan habe. Marcolphus. Beschied er keine frommen Männer zu sich, wie Georg dies getan hat? Phaedrus. Nicht einen Menschen; außer seiner Familie und zwei intimen Freunden war niemand da. Marcolphus. Es nimmt mich wunder, was er sich dabei dachte. Phaedrus. Er sagte, er wolle bei seinem Tod nicht mehr Leuten beschwerlich fallen als bei seiner Geburt. Marcolphus. Ich bin gespannt auf das Ende deiner Erzählung. Phaedrus. Du sollst es gleich hören. Der Donnerstag kam. Er hatte das Lager nicht verlassen, da er sich äußerst müde fühlte. Man holte den Pfarrer, und dieser erteilte ihm die letzte Ölung, reichte ihm nochmals den Leib des Herrn, aber ohne Beichte. Der Kranke sagte nämlich, sein Herz sei frei von allen Gewissensbissen. Der Pfarrer begann dann von der Beerdigung zu sprechen: was für ein Leichengeleite und wo er bestattet zu werden wünsche. Laßt mich, antwortete er, so begraben, wie man einen Christen untersten Ranges beerdigen würde. Mir ist es gleichgültig, wo mein Körper ruht; man wird ihn am jüngsten Tage deswegen doch da finden, wo Ihr ihn hingebettet habt. Nach einem Leichenpomp frage ich nichts. Es wurden dann von dem Pfarrer das Glockengeläute, die Messen nach dreißig Tagen und Jahrestagmessen, die Bulle, die zu kaufende Gemeinschaft an den Verdiensten in Erinnerung gebracht. Daraufhin entgegnete jener: Lieber Pfarrer, es wird mir nicht schlechter gehen, wenn keine Glocke läutet. Haltet Ihr mich einer einzigen Totenmesse für würdig, so ist das mehr als genug. Gibt es aber etwas, dessen Unterlassung wegen des allgemeinen kirchlichen Brauchs bei den Schwachen Ärgernis erregen könnte, so stelle ich das Eurem Gutdünken anheim. Ich habe auch nicht Lust, die Gebete irgend jemandes zu erkaufen oder irgend einen seiner Verdienste zu berauben. Christus ist an Verdiensten reich genug; und ich habe das Vertrauen, daß die Gebete und Verdienste der ganzen Kirche mir zugute kommen werden, wenn ich nur ein lebendiges Glied derselben bin. Auf zwei Bullen aber steht meine ganze Hoffnung: die erste ist die meiner Sünden, die der oberste Hirte, unser Herr Jesus, getilgt hat, indem er sie ans Kreuz heftete; durch die andere, die er selbst mit seinem Blute geschrieben und versiegelt, hat er uns alle des ewigen Heils gewiß gemacht, wenn wir unser ganzes Vertrauen auf ihn selber setzen. Ferne sei es von mir, mit fremden Verdiensten und mit Bullen ausgerüstet meinen Herrn herauszufordern, daß er mit seinem Knechte ins Gericht gehe, da ich überzeugt bin, daß vor seinem Angesicht kein Lebender sich rechtfertigen kann. Ich appelliere von seiner Gerechtigkeit an seine Barmherzigkeit, die ja unendlich und unsagbar ist. Auf diese Worte hin ging der Pfarrer von dannen. Cornelius, als beseelte ihn eine starke Hoffnung auf sein Heil, ließ fröhlich und munter sich einiges aus den heiligen Büchern vorlesen, was die Hoffnung der Auferstehung und den Lohn der Unsterblichkeit bestätigt, wie z. B. jenes Wort aus dem Jesaia über die Krankheit des Hiskia samt dessen Danklied Für die Genesung; Jes. Kap. 38.; ferner das 15. Kapitel aus des Paulus erstem Brief an die Korinther, sodann die Stelle über den Tod des Lazarus im Johannes-Evangelium, vor allem aber die Passionsgeschichte Christi nach den Evangelien. Wie verschlang er das alles, hier und da seufzend, an andern Stellen die Hände zum Dank faltend, bei andern freudig frohlockend, und von Zeit zu Zeit verrichtete er ein kurzes Gebet. Nach dem Mittagessen schlummerte er kurze Zeit, dann ließ er sich das 12. Kapitel aus dem Johannes-Evangelium vorlesen bis zum Ende des Berichts. Da hätte man sagen können, der Mann werde völlig verklärt und rede mit einem neuen Geiste. Schon neigte sich der Tag dem Abend zu, da ließ er sein Weib und seine Kinder kommen; soweit es seinem kranken Körper möglich war, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Liebste Frau, die Gott einst zusammengetan hat, die trennt er jetzt, aber nur dem Körper nach und nur für kurze Zeit; Übertrag' die Sorgfalt, Liebe, Zärtlichkeit, die du bis dahin zwischen mir und den lieben Pfändern unseres Bundes zu teilen pflegtest, jetzt ganz auf sie. Glaube nicht, daß du irgendwie dir Gott und mich mehr verpflichten kannst, als indem du diese Kinder da, die Gott uns als Frucht der Ehe schenkte, so erziehst und unterweisest, daß sie für Christi würdig gehalten werden. Verdopple also deine treue Liebe zu ihnen, und denk' daran, daß mein Teil jetzt auf dich übergegangen ist. Wenn du so handeln willst – und ich verlasse mich völlig darauf – dann liegt kein Grund vor, weswegen sie als Waisen betrachtet würden. Solltest du wieder eine Ehe eingehen – bei diesen Worten brach die Frau in Weinen aus und fing an zu beteuern, sie werde niemals an eine zweite Heirat denken. Da sagte Cornelius: Geliebteste Schwester in Christo, wenn der Herr Jesus dir diesen Vorsatz ins Herz geben will und die nötige Kraft des Herzens dazu, dann verwirf diese himmlische Gabe nicht. Wenn dich aber des Fleisches Schwachheit einen anderen Weg sollte führen wollen, dann wisse, daß mein Tod dich von dem ehelichen Band befreit, nicht aber von der Treue, welche du in meinem und deinem Namen der Sorge für die gemeinschaftlichen Kinder schuldest. Was die Ehe betrifft, so gebrauche die Freiheit, die der Herr dir gestattete; nur eins bitt' ich dich und ermahne dich: daß du dir einen Mann auswählest von solchen Sitten und dich ihm so bezeigest, daß er, von seiner eigenen Güte geleitet oder durch deine Freundlichkeit veranlaßt, seine Stiefkinder liebe. Ebenso siehe zu, daß du dich durch keine Gelübde bindest. Erhalte dich frei für Gott und unsere Kinder. Erziehe diese in der Weise zu aller Frömmigkeit, daß du dich hütest, sie irgend einer geistlichen Regel zu eigen zu geben, bis ihr Alter und ihre Erfahrung zeigen werden, zu welcher Art des Lebens sie sich eignen. Dann wandte er sich zu den Kindern und ermahnte sie zum Streben nach Frömmigkeit, zum Gehorsam gegen ihre Mutter, zu gegenseitiger Liebe und Eintracht. Nach diesen Worten küßte er seine Frau, für die Kinder betete er, indem er das Zeichen des Kreuzes machte, um einen guten Geist und die Gnade Christi. Dann sah er alle Anwesenden an und sprach: Morgen früh wird der Herr, der in der Morgendämmerung auferstanden ist, in seiner Gnade meine Seele aus dem Grab dieses Körpers und aus dem Dunkel dieser Sterblichkeit zu seinem ewigen Lichte rufen. Ich will nicht, daß das zarte Alter durch unnütze Nachtwachen ermüdet werde; auch die übrigen sollen abwechselnd schlafen. Mir genügt es, wenn eine einzige Person wacht, damit sie mir aus der Schrift vorlese. Die Nacht ging vorüber. Da, um vier Uhr, als alle zugegen waren, ließ er den Psalm sich vorlesen, den der Herr am Kreuze betend gesprochen hat Psalm 22, der ab »Christi Leidenspsalm« in der Luther-Übersetzung bezeichnet ist.. Hierauf befahl er, die Kerze zu bringen und das Kruzifix, und indem er die Kerze empfing, sagte er: Herr, meine Erleuchtung und mein Heil, wen sollte ich fürchten? und das Kreuz küssend, sprach er: Herr, Beschützer meines Lebens, vor wem sollte ich zittern? Dann legte er seine Hände gefaltet auf die Brust und mit zum Himmel gerichteten Augen sagte er: Herr Jesu, nimm meinen Geist auf! Und sofort schloß er die Augen, als wollte er schlafen, zugleich verhauchte er leise und leicht sein Leben. Du hättest glauben können, er schlafe, nicht, er sei gestorben. Marcolphus. Noch nie hab' ich von einem weniger mühseligen Tod erzählen hören. Phaedrus. So war der Mann in seinem ganzen Leben. Die beiden Toten waren meine Freunde. Vielleicht beurteile ich nicht richtig, welcher von beiden christlicher gestorben ist; du, der unbefangener bist, magst das besser entscheiden. Marcolphus. Ich will's tun, aber du mußt mir Zeit dazu lassen.


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