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Charon

Charon · Alastor

Charon. Wohin eilst du so munter, Alastor? Alastor. Du kommst mir gerade recht, Charon, zu dir wollte ich. Charon. Was ist Neues los? Alastor. Ich bring' dir eine Botschaft, die dir wie der Proserpina die größte Freude machen wird. Charon. So sag' doch, was es ist, und erleichtere dich! Alastor. Die Furien haben ihr Geschäft ebenso eifrig wie glücklich betrieben: keinen Teil des Erdkreises haben sie unverseucht gelassen von höllischen Übeln, Zwist, Krieg, Räuberei, Pestilenz, also daß sie jetzt ganz kahl sind, weil sie ihre Schlangen überall hin entsandt haben und, da ihre Giftvorräte erschöpft sind, herumgehen, um aufzutreiben, was noch von Vipern und Ottern vorhanden ist; denn sie sind so glatt wie ein Ei und haben kein Haar auf dem Kopf und nichts mehr in der Brust von wirksamem Saft. Drum sorg' du dafür, daß Boot und Ruder bereit liegen, denn binnen kurzem wird eine solche Schar von Schatten eintreffen, daß ich fürchte, du möchtest nicht Platz genug haben, sie alle hinüber zu befördern. Charon. All das ist uns nicht unbekannt. Alastor. Woher weißt du es denn? Charon. Die Fama hat es mir schon vor zwei Tagen gemeldet. Alastor. Es gibt doch nichts Rascheres als diese Göttin. Aber warum kommst du hierher und lässest deine Barke im Stich? Charon. Ich konnte nicht anders. Ich bin hierher gewandert, um mir ein starkes dreiruderiges Schiff zu verschaffen; denn mein vom Alter morscher und geflickter Kahn würde für diese Arbeit nicht genügen, wenn es sich wirklich so verhält, wie die Fama erzählt hat. Doch was braucht es die Fama hierzu! Die Umstände selbst zwangen mich, denn ich habe Schiffbruch erlitten. Alastor. Wahrhaftig, du triefst ja noch; ich dachte, du kämst aus dem Bade. Charon. Ich bin schwimmend aus dem stygischen Sumpfgewässer ans Land gekommen. Alastor. Wo ließest du die Schatten zurück? Charon. Die schwimmen mit den Fröschen. Alastor. Aber was hat dir denn die Fama erzählt? Charon. Daß drei Herrscher der Erde in tödlichem Haß sich gegenseitig zu vernichten suchen, und daß kein Teil der christlichen Welt von der Kriegsfurie frei sei; denn jene drei ziehen alle übrigen in die Kriegsgemeinschaft hinein Gemeint sind Karl V., Franz I. und Heinrich VIII.. Alle drei seien daher so gegeneinander gesinnt, daß keiner dem anderen weichen wolle, weder der Däne, noch der Pole, noch der Schotte, und sogar der Türke verharre nicht ruhig. Schreckliches sei im Laufe: die Pestilenz wüte überall, bei Spaniern, Briten, Italienern und Franzosen. Zu alledem sei noch eine neue Seuche entstanden infolge der Verschiedenheit der Meinungen, welche die Gemüter so verderbt hat, daß es nirgends mehr eine wahre Freundschaft gibt, sondern der Bruder dem Bruder mißtraut und Weib und Mann sich nicht mehr verstehen. Man könne hoffen, daß auch von dieser Seite her ein prächtiges Unglück der Menschen erwachsen werde, wenn erst einmal statt der Zungen und Federn die Fäuste in Bewegung gesetzt werden. Alastor. Das alles hat die Fama ganz wahrheitsgetreu erzählt. Habe ich doch selbst mit eigenen Augen genug gesehen als treuer Begleiter und Helfer der Furien, die noch nie sich ihres Namens würdiger gezeigt haben. Charon. Es ist nur zu fürchten, es möchte irgend ein Dämon erstehen, der plötzlich zum Frieden mahnt; die Gemüter der Menschen sind so wandelbar. Wie ich höre, gibt es da droben in der Welt einen gewissen Vielschreiber Als polygraphum quendam porträtiert sich hier artig Erasmus, der nicht müde geworden ist in der Friedenspropaganda., der nicht aufhört mit seiner Feder den Krieg anzufeinden und zum Frieden zu mahnen. Alastor. Der predigt schon lange tauben Ohren. Ehemals schrieb er die Klage des vernichteten Friedens; jetzt schrieb er dem zerstörten Frieden die Grabschrift. Andere dagegen gibt es, die nicht weniger unsere Sache fördern als die Furien in eigener Person. Charon. Wer sind diese? Alastor. Es gibt gewisse Geschöpfe mit schwarzen und weißen Mänteln, aschfarbenen Kutten, mit verschiedenartigem Gefieder geschmückt; diese weichen nie von der Fürsten Höfen, sie träufeln ihnen ins Ohr die Liebe zum Krieg und ermahnen hierzu die Großen wie das Volk: in ihren evangelischen Ansprachen rufen sie aus, der Krieg sei gerecht, heilig und gottgefällig. Und damit man sich noch mehr über den tapferen Geist der Menschen wundere: sie rufen dasselbe bei beiden Parteien aus. Bei den Franzosen predigen sie, Gott stehe auf der Seite der Franzosen, und wer Gott zum Protektor habe, der könne nicht besiegt werden. Bei den Spaniern und Engländern lautet es: dieser Krieg werde nicht vom Kaiser, sondern von Gott geführt; sie sollten sich nur als tapfere Männer erweisen, der Sieg sei ihnen gewiß. Komme aber einer um, so sterbe er nicht, sondern fliege stracks in den Himmel, bewaffnet wie er sei. Charon. Und all dem wird Glauben geschenkt? Alastor. Ach, was vermag nicht eine heuchlerische Religion! Dazu kommt dann noch die Jugend, die Unerfahrenheit, die Ruhmsucht, der Zorn und ein Gemüt, das eine natürliche Neigung besitzt zu dem, was ihm da vorgehalten wird. So wird die Täuschung leicht, und es ist nicht schwierig, einen Wagen, der schön von sich aus Neigung zum Abstürzen hat, anzutreiben. Charon. Ich möchte diesen Geschöpfen gerne etwas Gutes erweisen. Alastor. Rüst' ihnen ein gutes Mahl, das ist ihnen das liebste. Charon. Eins aus Malven, Lupinen und Lauch. Etwas anderes wächst bei uns nicht. Alastor. Wo denkst du hin: ein Mahl aus Rebhühnern, Kapaunen und Fasanen, wenn du ihnen ein angenehmer Gastgeber sein willst. Charon. Aber was treibt sie denn dazu an, so mit aller Macht den Krieg zu schüren? Oder was für Nutzen haben sie davon? Alastor. Weil sie von den Sterbenden mehr Profit herausschlagen als von den Lebenden. Da gibt es Testamente, Leichenmähler, Bullen und noch manch andere nicht zu verachtende Gewinnste. Zudem bewegen sie sich lieber im Kriegslager als in ihren engen Zellen. Der Krieg hat schon viele zu Bischöfen gemacht, die in Friedenszeiten nicht einen Pfifferling galten. Charon. Die sind klug. Alastor. Aber sag', wozu ist deine Trireme vonnöten? Charon. Zu gar nichts, wenn ich Lust hätte, ein zweites Mal mitten im Sumpf Schiffbruch zu erleiden. Alastor. Geschah das damals infolge der Menge der Insassen? Charon. Freilich ja. Alastor. Aber du fährst ja Schatten, keine Körper. Und wieviel wiegen denn Schatten! Charon. Und seien es Wasserspinnen, so kann ihrer schließlich doch eine solche Menge sein, daß sie einen Kahn beschweren. Dann weißt du ja, daß auch der Kahn nur ein Schatten ist. Alastor. Ich erinnere mich aber, gesehen zu haben, als einmal die Menge ganz gewaltig war und die Barke nicht alle faßte, wie an dein Steuerruder zuweilen dreitausend Schatten sich hängten, ohne daß du deren Gewicht spürtest. Charon. Das stimmt bei Seelen, die nach und nach aus einem durch Schwindsucht oder Abzehrung geschwächten Körper gewandert sind. Diejenigen aber, welche plötzlich aus einem fetten Körper losgerissen werden, die tragen noch viel Körpermasse mit sich. Solche Leute aber senden mir zu der Schlaganfall, die Bräune, die Pest, vor allem aber der Krieg. Alastor. Ich denk' nicht, daß die Franzosen oder die Spanier viel Gewicht mit sich bringen. Charon. Allerdings nicht, obschon auch ihre Seelen durchaus nicht federleicht anlangen. Aber unter den wohlgenährten Engländern und Deutschen kommen dann und wann solche, daß ich neulich in Gefahr kam, als ich ihrer nur zehn hinüberfuhr, und wenn ich nicht einige über Bord geworfen hätte, wär' ich mit Schiff, Insassen und Fährgeld untergegangen. Alastor. Eine furchtbare Gefahr! Charon. Und dann, was meinst du, was geschieht, wenn dicke Satrapen, Prahlhänse und Säbelraßler ankommen? Alastor. Von solchen, die in einem gerechten Kriege umkommen, treffen wohl keine bei dir ein? Heißt es doch von ihnen, daß sie direkt in den Himmel fliegen. Charon. Wohin sie fliegen, weiß ich nicht; das aber weiß ich: so oft Krieg ist, kommen so viele verwundet und zerfleischt zu mir, daß ich mich nur wundere, wie überhaupt noch jemand auf der Oberwelt am Leben ist. Und sie kommen nicht nur beschwert von Weindunst und von Fresserei, sondern auch von Bullen und von Benefizien und einer Fülle anderer Dinge. Alastor. Aber all das bringen sie doch nicht mit sich, sie kommen ja nackt zu dir. Charon. Allerdings, aber die, welche frisch kommen, führen noch die Träume von diesen Dingen mit sich. Alastor. So beschweren denn auch die Träume? Charon. Sie beschweren meine Barke, oder was sag' ich: beschweren? sie haben sie schon zum Sinken gebracht. Und dann meinst du, daß all die Obole für die Überfahrt kein Gewicht darstellten? Alastor. Freilich, wenn die Schatten Kupfergeld mit sich führen. Charon. Deshalb muß ich eben für ein Schiff sorgen, das für diese Last genügt. Alastor. O du Glücklicher! Charon. Wieso Glücklicher? Alastor. Weil du nachgerade ein reicher Mann sein wirst. Charon. Wegen der Menge der Schatten? Alastor. Allerdings. Charon. Ja, wenn sie ihre Reichtümer mitbrächten. So aber bringen die, welche in der Barke darüber klagen, daß sie auf der Oberwelt Königreiche, Prälaturen, Abteien, ungezähltes Gold zurückgelassen haben, zu mir nichts mit als ihren Obolus. Darum geht jetzt alles, was ich mir in den bereits dreitausend Jahren zusammengerackert habe, ganz für die eine Trireme drauf. Alastor. Wer Gewinn machen will, muß auch etwas aufwenden. Charon. Aber, wie ich höre, machen die Sterblichen bessere Geschäfte, die mit Hilfe des Handelsgottes binnen dreier Jahre reich werden. Alastor. Diese Leute machen aber auch hie und da Bankrott. Dein Gewinn ist wohl geringer, dafür aber um so sicherer. Charon. Der Sicherheit traue ich nicht; es braucht jetzt nur ein Gott aufzustehen, der die Angelegenheit der Fürsten friedlich beilegt, so kann mir alle Chance fehl gehen. Alastor. Was das betrifft, so kannst du auf meine Garantie hin auf beiden Ohren schlafen. Innerhalb zehn vollen Jahren brauchst du keinen Frieden zu befürchten. Einzig der Papst in Rom mahnt eifrig zur Eintracht, aber es ist vergebene Liebesmüh'. Auch die Städte murren aus Überdruß an all dem Unheil; auch Völker, ich weiß nicht welche, beschweren sich im Stillen, indem sie sagen, es sei unrecht, daß um der privaten Eifersüchteleien und um des Ehrgeizes Zweier oder Dreier willen alles drunter und drüber gehe; aber glaub' mir, die Furien werden Siegerinnen bleiben über all die verständigen Ratschläge. Übrigens, warum brauchst du dich an die Oberwelt zu wenden? Haben wir nicht auch bei uns Schmiede? Wir haben ja den Vulkan. Charon. Ganz recht, wenn ich ein Schiff aus Kupfer suchte. Alastor. Aber es ließe sich doch sonst leicht ein Handwerker beschaffen. Charon. Das schon, aber es fehlt hier an Material. Alastor. Was hör' ich? Gibt es keine Wälder mehr hier? Charon. Nein. Sogar die Gehölze, die in den elysäischen Feldern einst waren, sind vernutzt worden. Alastor. Wofür? Charon. Zum Verbrennen der Schatten der Ketzer; deshalb waren wir jüngst genötigt, aus dem Inneren der Erde Kohlen auszugraben. Alastor. Wie kommt denn das? Können denn die Schatten nicht mit geringerem Aufwand bestraft werden? Charon. Das war nun einmal die Ansicht des Unterweltrichters Rhadamanthus. Alastor. Wenn du ein Schiff mit drei Ruderreihen kaufen willst, woher nimmst du die Ruderer? Charon. Meine Aufgabe ist, am Steuer zu sitzen, die Schatten mögen rudern, wenn sie hinüberfahren wollen. Alastor. Aber es sind doch solche da, die niemals rudern gelernt haben. Charon. Bei mir gibt's keine Ausnahme. Auch Monarchen rudern und Kardinäle, jeder nach der Reihenfolge, so gut wie arme Plebejer, mögen sie es nun gelernt haben oder nicht. Alastor. So kauf denn mit Merkurs Beistand glücklich deine Trireme. Ich will dich nicht länger aufhalten. Ich will die frohe Nachricht in den Orkus bringen. Aber halt noch einmal, Charon. Charon. Was gibt's noch? Alastor. Kehr' zeitig zurück, damit dich die Schar nicht erdrücke. Charon. Ja, du wirst jetzt schon mehr als zweihunderttausend am Ufer treffen, ungerechnet diejenigen, welche im stygischen Gewässer schwimmen. Ich will mich aber nach Möglichkeit sputen. Sag' ihnen, ich werde bald zur Stelle sein.


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