Georg Engel
Hann Klüth
Georg Engel

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X

Zwei Tage später – bei Sonnenaufgang – da fand der einzige, goldige Strahl, der durch das hochangebrachte Traillengitter hindurchdringen konnte, den Moorluker Philosophen fröstelnd und mit blödem Haupt auf der Pritsche des Militärgefängnisses hingestreckt und mit dumpfem, verwundertem Ausdruck an den grauen Mauern hinaufstarren.

»Nee,« stellte er fest, indem er erwartete, Siebenbrod müsse ihn ja zuletzt mit einem Fußtritt aus dem schweren Traum erwecken, hielt sich den Kopf und schloß die Augen. Aber der liebe, erlösende Tritt Siebenbrods blieb aus, und das einzige, was zu ihm drang, war vom Hof aus ein Kommandoruf, dem ein hartes, klirrendes Geräusch folgte, wie wenn Gewehre taktmäßig auf das Pflaster gestoßen werden.

Hann riß abermals die Augen weit auf.

Halb zerschlagen kroch er von dem harten Marterlager herunter, um von neuem kopfschüttelnd um sich herum zu stieren.

Da in der Ecke die Pritsche mit der Wolldecke, an der anderen Seite ein Kasten, der häßlich roch und beinahe aussah, als ob man seine Notdurft darein verrichten sollte. Sonst nichts.

Kein Stuhl – kein Tisch. Auf vier Seiten lang und breit nur kahle, graue Mauern, und eine niedrige, braune Tür, die von innen keine Klinke bot.

Hann strich sich die Haare aus der Stirn und schüttelte sich.

Darauf schlich er zur Tür, um sie doch wenigstens einmal zu untersuchen, als an dem Holz in Manneshöhe eine Klappe herabsank, während ganz dicht etwas polterte.

Nun, das war doch gewiß ein gutes Zeichen, hoffnungsfroh steckte Hann die Hand durch die Öffnung, da erhielt er mit einem harten Gegenstand einen Hieb auf die Finger, daß er schreiend zurückfuhr, und zu gleicher Zeit wurde die Klappe durch ein bärtiges Gesicht ausgefüllt.

»Nicht so hitzig, Patron,« knasterte eine Stimme, die sehr geschäftsmäßig und keineswegs wohlmeinend klang, »'s kommt schon.«

Ein irdener Wasserkrug wurde hereingereicht, ein halbes Kommißbrot, und der Verschluß hob sich wieder.

»Halt,« schrie Hann in aufsteigender Verzweiflung. »Männing, weswegen – – –«

»Jawoll,« knasterte die barsche Stimme, und der Eingeschlossene hörte, wie die Klappe eilig wieder verriegelt wurde.

Ja, da sollte doch Gott den Deuwel totschlagen? – Was war denn nun?

Erschöpft, mit ängstlich klopfendem Herzen, sank Hann von neuem auf die Pritsche und starrte auf den Krug und das Brot.

Fi – das war ja nicht einmal etwas Warmes, wie es ihm Mudding doch täglich gab, und dabei fröstelte ihn, daß ihm die kalten Schauer die Brust zusammenschnürten.

»Präsentiert das – Gewehr«!« scholl es schrill von unten. Darauf ein klirrender Schlag.

Je, ja, waren das nicht Soldaten? – Hann erschrak so sehr, daß ihm beinahe der Krug entglitten wäre, – Bilder, lauter fremde Bilder zuckten plötzlich durch seine langsame Vorstellung. – Ein Gasthofszimmer, Uniformen, nackte Menschen! –

Wo war er denn gestern gewesen?

Mit Gewalt schob er sich plötzlich den Kasten zurecht, kletterte hinauf, und nun konnte er durch die Eisengitter hinuntersehen.

Ein weiter, schneebedeckter Hof, eingeschlossen von einer roten Ziegelmauer, vor deren einzigem Tor ein Soldat im grauen Mantel mit geschultertem Gewehr ruhig auf und ab wanderte. An der Seite, beinahe unter ihm, zwei Reihen Infanteristen, die unter Leitung eines Unteroffiziers mit roten Händen und roten Gesichtern Griffe übten. Unbeweglich, nur die Arme lebendig, immer Schlag auf Schlag.

»Das Gewehrrr über – Gewehrrr ab. – Das Gewehr über!«

»Also doch!«

Schwerfällig stieg Hann herab. Nun wußte er genug. Und nachdem er auf seiner Pritsche einen tiefen Zug aus der Kanne getan, schlug er sich mit der Faust auf die Stirn.

Ja – ja – er hatte es also doch erlebt. – Wie war's doch?


Ein lärmender Zug junger Fischer- und Bauernsöhne vor dem Voglerschen Gasthof, und immer zehn werden zugleich hineingeführt.

Unter der ersten Abteilung befindet sich – Hann.

Er hört noch die Stimme oll Kusemanns, der zur Feier des Tages mit in die Stadt gekommen.

»Immer an den großen Zeh denken. Das hilft.«

Ein kleines quadratisches Vorzimmer, weiß getüncht, mit einigen Kleiderrechen und Stühlen. Drinnen ein Unteroffizier – richtig. Hoffmann hieß der Brave – der sich unternehmend einen mächtigen, starrenden Schnauzbart dreht und, nachdem er mit einem überlegenen Blick die Schar gemustert, das Kommando erteilt: »Ausziehen!«

Die Burschen entkleiden sich.

»Den Rock auch?« fragt Hann Herrn Hossmann, nachdem er sich seines Überziehers entledigt.

»Selbstverständlich – wie Gott euch geschaffen hat, Kerls,« befiehlt der Unteroffizier, martialisch im Zimmer auf und nieder schreitend.

Hann streicht sich über die nackte Brust. Sein Herz klopft, als er so auf die anderen schielt.

»Die Büxen auch?« hält Hann nach einer Weile von neuem inne.

»Donnerwetter – Mensch – was sind das für Reden?« wettert der Aufseher. »Aber es is ja man wegen der Schanierlichkeit.«

»Aha, ich weiß schon, Sie sind wahrscheinlich auch so einer.«

Ein verdächtiger Blick streift ihn, während Hoffmann rasch in seinem Notizbuch etwas revidiert.

Aber Hanns methodischem Sinn ist diese Andeutung nicht verständlich genug. »Was für einer?« will er sich eben vorsichtig erkundigen, da erhält er einen Stoß gegen die Schulter, daß die streitigen Hosen ihm von selbst abfliegen, und eine wütende Stimme zischt dicht an seinem Ohr: »Maul halten – vorwärts – das weitere wird sich finden.«

– – – Die zehn nackten Menschen stehen plötzlich in einem niedrigen, weiten Gasthofszimmer, vor einem schmalen, langen Tisch, hinter dem mehrere Offiziere und einige Herren in Zivil sitzen. An einem Nebentische schreiben zwei Unteroffiziere.

»Heinrich Kagelmacher,« ruft es nach einigem Murmeln und Vergleichen von da.

»Hier,« meldet eine Stimme neben Hann.

»Stand?«

»Fischer!«

»Woher?«

»Aus Hermsmühl.«

»Geboren – Konfession?«

»21. Oktober 1877. – Evangelisch.«

»Kagelmacher, Heinrich,« murmelt daneben der zweite kontrollierende Beamte. »Stimmt.«

»Kagelmacher,« fordert der Unteroffizier Hoffmann und leitet den eben Aufgerufenen unter eine Art Galgen, wo die Länge und das Maß festgestellt werden.

Der Querbalken senkt sich.

»1,70,« meldet Hoffmann.

»Kagelmacher, Heinrich – 1,70,« murmeln beide Schreiber.

»Gut, na, nu kommen Sie mal her,« tönt jetzt eine bierfette, gemütliche Stimme, und ein beleibter Mann mit rotem Gesicht, dicken, wulstigen Lippen und weißen, pudligen Haaren erhebt sich und steht nun auf etwas zu kurz geratenen Beinen und mit offenem Uniformrock da, während er mit seinem schwarzen Auskultationsrohr winkt.

»Das muß woll so eine Art Doktor sein,« denkt sich Hann Klüth, während sein Nebenmann untersucht wird. Der ist jedoch ein großer, kräftiger Kerl, daher dauert das Beklopfen und Behorchen nur kurze Zeit. Der Oberstabsarzt, der von dem Bücken noch röter geworden, streicht Kagelmacher wohlwollend über die nackte Brust und blinzelt ihn schlau an: »Na, klagen Sie vielleicht über was?«

Jetzt wird der Bursche blutrot: »Herzklopfen,« bringt er zögernd hervor.

Kaum ist das Wort gefallen, da schickt der Untersuchende einen merkwürdig schlauen Blick zu dem stattlichen Oberst mit dem Habichtskopf hinüber, der in der Mitte der Tafel sitzt, und in demselben Moment erhebt sich dieser, schiebt seinen Stuhl wie empört zurück und wandert, leise Verwünschungen ausstoßend und säbelrasselnd, im Zimmer auf und ab, während er im vollen Zorn mehrmals auf ein Blatt Papier schlägt, das er in der Hand hält.

Mit einem Male bleibt er »baff« vor einem eleganten, jungen Herrn stehen, der, ein Monokle im Auge, die Begebenheit, weit über den Tisch gebeugt, verfolgt.

»Na, was sagen Sie zu der Bescherung, Herr Landrat?«

Der Angeredete erhebt sich und flüstert dem Oberst etwas zu. Darauf zuckt der die Achseln, nickt aber, und beide lassen sich wieder auf ihre Plätze nieder.

Unterdessen hat der Oberstabsarzt, immer mit seinem schlauen Lächeln, bei Kachelmacher tatsächlich starkes Herzklopfen konstatiert. »Na, da wird wohl nicht viel zu machen sein – treten Sie mal vorläufig zurück, Mann.«

Der Nächste.

Er ist gleichfalls aus Hermsmühl und klagt über dieselbe Beschwerde.

Der Oberstabsarzt bemerkt gegen den Landrat, daß dieses Hermsmühl in seinem Kreise doch ein höchst ungesundes Loch sein müsse.

Als aber auch bei den nächsten drei Hermsmühlern, die zwar verschüchtert über nichts zu klagen haben, unter großer Zufriedenheit des Untersuchenden »starkes Herzklopfen« festgestellt wird, pfeift der Oberstabsarzt eine kleine Tonleiter, und von irgendwoher fällt ein unterdrückter Fluch: »Die Bande.«

Inzwischen ist es sehr still im Zimmer geworden. Die Hermsmühler stehen in einer Ecke zusammengepfercht wie ein Häuflein nackter Sünder, das auf den Henker lauert.

Hann perlt der Schweiß von der Stirn, obwohl sein entkleideter Körper vor Kälte zittert.

Er merkt, daß hier »nicht alles richtig« ist.

Da –

»Johann Klüth,« ruft es von dem Unteroffizierstisch. Er stottert etwas, wird von seinem Freund Hoffmann unter den Galgen befördert, der Querbaum fällt ihm nicht gerade sanft auf den Kopf, und eine geringschätzige Stimme meldet: » 1,65.«

»Klüth – Johann –1,65,« rapportieren die beiden monotonen Echos gleichgültig.

Was nun kommt, gleitet wie ein Traum vorüber. Er befindet sich unter den Händen des dicken Herrn, es wird etwas von einem gesunden Herzen gesprochen.

Hierauf allerlei unverständliche Bemerkungen, und dann das bedauernde Wort, daß es sehr schade wäre, aber der Mann hätte linksseitig einen kürzeren Fuß.

»Ersatzreserve ohne Dienstpflicht.«

»O je – o je – Hurra,« stößt er hervor.

Was das bedeutet, das hat oll Kusemann Hann bereits vorher erklärt. Das wäre das Beste, das Allerbeste, Hanning, ja, wenn das dich so passieren könnte – – – –

Und über Hanns Gesicht verbreitet sich ein Leuchten, er lacht vor Vergnügen und will eben, nackt wie er ist, eine Art Dankverneigung machen, da bemerkt er mit Schrecken, wie sich der Oberst mit beiden Fäusten auf den Tisch stemmt und schreit, als ob der Kalk von den Wänden fallen sollte. Warum er sich so aufregt, das versteht Hann nicht. Er hört bloß verschwimmend: »Frechheit – hier Freude Ausdruck geben – Drückeberger von Kaisers Diensten – Exempel gegen solche Sozialdemokraten statuieren – stehen zum Glück am heutigen Tage alle unter den Kriegsartikeln – die Hermsmühler Bande noch besonders vornehmen –«

Und als er sich halbwegs auf sich selbst besinnen kann, da sieht er mit dumpfem Erstaunen, wie ihn zwei Soldaten in die Mitte nehmen, um ihn nach einem Marsch durch die Stadt hinter der roten Mauer abzuliefern.

Es ist Spätnachmittag, und noch immer hält er das Brot und den Krug in der Rechten und der Linken.

Was is denn nu?

Is das Kaisers Dienst??

Und von unten schallt es herauf, es werden Monturstücks geklopft, und eine frische Stimme summt dazu:

»Wer will unter die Soldaten,
Der muß haben ein Gewehr,
Der muß haben ein Gewehr,
Das muß er mit Pulver laden
Und mit einer Kugel schwer.«


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