Georg Engel
Hann Klüth
Georg Engel

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VIII

Mächtig verhaltene Aufregung war über die Familie gekommen. Kaum hatte der Konsul das Haus verlassen, da begab sich die Mutter auf die Bodenräume und begann klopfenden Herzens Brunos Sachen in einen Koffer zu verpacken.

Siebenbrod half ihr dabei; er wollte auch etwas Väterliches leisten.

Inzwischen hatte sich der Wind gelegt. Warme Abendsonne lag über dem Dörfchen, und überall waltete eine Frische, die alles Ferne nah und klar erscheinen ließ.

Da litt es den aufgeregten Bruno nicht länger in der weiten, niedrigen Stube, eine Furcht war über ihn gekommen, die er sich selbst nicht erklären konnte. – Wenn nur die Rede des Konsuls über seine neuen Pflichten nicht gewesen wäre!

Eine merkwürdige Ahnung der Zukunft beschlich ihn. Er fühlte, etwas Unfertiges, Halbes war in ihm, er war zu wenig gerüstet, der Welt, die er nun bezwingen sollte, entgegenzutreten.

Unbestimmte, ferne Dämmerungen taten sich vor ihm auf. Und immer wieder plagte ihn der phantastische Eindruck, als höre er drinnen aus der Stadt, von der er nur die Türme ragen sah, Tanzmusik, Goldklingen und Mädchenlachen. Das war gräßlich. Aber er vernahm es immerfort. Halb verzweifelt bedeckte er sich mit dem modischen Hut, der auch bereits in der Stadt gekauft war, und lief hinaus.

Ah, hier war doch Bläue, Frische, Abendsonnenschein.

Was kümmerte es ihn, daß auch die beiden Kleinen, Line und Hann, mit ihm zugleich aus der Tür traten? Als sie ihm nachriefen, rannte er nur umso schneller dahin. Nein, nein, er mußte erst mit diesen törichten und doch quälenden Dingen, die er nur aus unreifen Büchern aufgelesen haben konnte, fertig werden.

»Bruno – nimm uns mit!«

Er hörte nicht.

So schlichen denn die beiden dem Voraufgegangenen nach, immer nach ihm ausspähend, doch beide von dem einen Ehrgeiz besessen, mit dem erwachsenen Bruder diesen letzten Abend noch gemeinsam verbringen zu dürfen.

Gegenüber von der gemütlichen Krugwirtschaft, aus der gerade Gesang von Studenten schallte, überschritt Bruno eine baufällige Brücke, die in das Nachbardorf hinüberleitete.

Und immer auf die fernen Türme der alten Hansestadt starrend, die im Abendflimmer wuchsen und sich verbreiterten, schritt er weiter. So war er in den uralten Wald gelangt, in jenen dunklen Götterhain, der seit grauen Zeiten ein Wahrzeichen der Gegend bildet.

Unter riesigen Eichen ragten hier Ruinen und zerstörte Kreuzgänge eines alten Zisterzienserklosters auf, und da hatte auch Bruno seinen Lieblingsplatz. Aus roter, zertrümmerter Mauer brach in halber Manneshöhe eine mächtige, verwitterte Grabplatte hervor. Gott allein wußte, welch weltfremder Abt hier bestattet liegen mochte. Die Schriftzüge der Tafel waren lange verwischt; nur unten sprang in groben Buchstaben ein Wort hervor: »Mors.«

Dort ließ sich der Sekundaner nieder. Eine Weile blieb er allein, dann hallten Tritte durch den Wald.

Verwundert merkte er, daß die beiden Kinder mit ihm waren.

»Was wollt ihr?« fragte er gezwungen lächelnd, denn hart und verletzend wie sein älterer Bruder konnte Bruno sich niemals geben.

Treuherzig antwortete Hann: »Bei dir bleiben!«

Da ließ er sie beide neben sich auf den steinernen Sitz. Und stumm und ohne sich viel zu rühren saßen die drei nun nebeneinander. Durch die dunklen Bäume schimmerte das Blau der See, durchschnitten von ungeheuren, blutroten Brücken, die die scheidende Sonne über die Fläche gezogen hatte. Und über diese Stege sahen die Geschwister tausend und aber tausend bunter, perlender Kugeln auf sich zu rollen.

Ein stiller – klarer – deutscher Abend!

Über ihnen, in einem der zerstoßenen Fenster des Klosters nistete eine Meisenfamilie. Die schwirrten in scharfem unhörbarem Flug den langen Hauptgang herunter, verschwanden im Dunkel des Laubes und kehrten sausend zurück.

Aus dem Binsensumpf kurz vor der See drang ein Surren und Summen. Sonst schwieg alles, wie die drei auf dem Stein.

Auch der Wald regte sich nicht. Er sann und träumte wie sie.


Aber einer war unter ihnen, der war bereits dazu bestimmt, einem Beruf anzugehören, der ihn immer wieder hart und rauh aus solch goldenen, undurchdringlichen Jugendträumen herausriß.

Von der Seite, wo das zerstörte Bauwerk mit dem Dominium zusammenstößt, drängte sich durch die Eichengebüsche eine große, vierschrötige Gestalt.

»Hann!« schimpfte Siebenbrod, der sich mühsam auf die Spur der Kinder gefunden hatte und nun entrüstet war, mindestens eine Stunde Zeit zu verlieren.

»Jung! Was ist nun wieder? Was sitzst du hier und kuckst in die Luft? Weißt du nicht, daß wir raussegeln müssen? Bist ja ganz dumm, Bengel. Steh auf, hier ist es nicht hübsch.«

Damit packte er ihn bei der Hand, und ohne daß er die beiden anderen eines Blickes gewürdigt oder zugelassen hätte, daß Hann sich auch nur verabschiede, zog er seinen Schutzbefohlenen mit sich fort. In dem dämmrigen Kreuzgang wurde es wieder ruhig. Dann bemerkten die beiden Zurückbleibenden, wie ein einzelnes Boot sich von der Mündung löste und mehr und mehr die See gewann.

Die braunen Segel blähten sich, undeutlich gewahrten sie hinten am Steuer einen plumpen Kopf, der nach dem Hain und den roten Ruinen sehnsuchtsvoll zurückzuspähen schien.

Dann wurde der braune Punkt winziger und verging.


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