Ferdinand Emmerich
Neuseeland
Ferdinand Emmerich

   weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Weltreisen und Forscher-Abenteuer

Ferdinand Emmerich

Neuseeland

Mein Reiseziel war die große Doppelinsel Neuseeland. Während ich mich mit rasch gewonnenen Freunden in Valparaiso über die einzuschlagende Route unterhielt, tönte vom Hafen her ein merkwürdig heulender Sirenenton.

»Was mag denn das für einer sein?« fragte Oldehaver, der junge Bierbrauer aus Santiago. »Den Ton haben wir hier doch noch nie gehört. Der heult ja wie ein Kriegsdampfer.«

»Laß' ihn heulen,« fiel ihm Köhler in die Rede. »Solange es kein Kosmosdampfer ist, der unseren Forscher nordwärts entführt, hat er kein Interesse für uns. – Prosit!«

»Merkwürdig, daß man keine einzige direkte Verbindung von hier nach Australien hat, wo doch die beiden Länder, Chile und Neuseeland, auf denselben Breitengraden liegen und beide einen regen Handelsverkehr haben.«

»Aber nicht miteinander,« antwortete der Agent der Kosmoslinie. Höchstens Kohlenschiffe wählen den direkten Weg. Wer, wie Sie, nach der anderen Leite des stillen Ozeans will – und das kommt nicht oft vor –, muß bis San Franzisko nach Norden hinauf und dann dieselben fünfundsechzig Breitengrade wieder zurückfahren, um Australien oder Neuseeland zu erreichen. Das ist noch ein wunder Punkt in unseren Verkehrsverhältnissen.«

»Ich würde ein Segelschiff nehmen,« fiel der Kapitän der ›Denderah‹ ein, die gerade im Hafen lag und ›heimwärts‹ bestimmt war. »Draußen liegt ein feiner Blankeneser Dreimaster, der nach Sidney will. Reden sie doch ein Wort mit dem Kapitän. Seegewohnte Passagiere nimmt er vielleicht mit.«

»Na, ich weiß doch nicht...« sagte der Agent, wurde aber in seiner Rede von einem jungen Hamburger unterbrochen, der atemlos in die Bierhalle stürzte und rief:

»Draußen liegt ein amerikanischer Vergnügungsdampfer! Alles machen uns die Yankees nach. Kaum haben unsere großen Reedereien damit angefangen, da kommt auch schon der Amerikaner und läßt auch solche Luxusdampfer laufen. Nur, daß es mit der Aufmachung ein wenig windig ist. – Ich war eben an Bord...«

»Wohin geht denn die Vergnügungsreise?« unterbrach ich den Wortschwall.

»Nach den Südsee-Inseln, Australien, was weiß ich!«

»Donnerwetter!« rief ich aufspringend. »Das wäre ja etwas für mich. An wen muß ich mich da wenden. Wie heißt der Agent?«

»Hm – glauben sie, daß Sie das aushalten? Vier bis fünf Wochen mit den Yankees beiderlei Geschlechts auf dem langweiligen Pazifik zu leben? – Übrigens fragen sie beim amerikanischen Konsul an. Da steht er gerade an der Bar und nimmt seinen Whisky mit Soda...«

Der junge Landsmann sprach noch weiter, als ich schon mit dem mir bezeichneten Herrn verhandelte.

»Mit dem ›Washington‹ wollen sie nach Australien?« fragte der Konsul, indem er mich mit kritischem Blicke musterte. »Das wird viel Geld kosten, denn wir müssen von Ausländern natürlich den Überfahrtspreis erheben, den unsere Dampfer von hier nach Frisko und weiter nach Auckland nehmen. – Es ist wegen der Konkurrenz. Die Vergnügungsdampfer dürfen unseren anderen Linien keine Passagiere wegnehmen. Fair play, you know

»Das begreife ich alles, bester Herr. Aber ich mache im Auftrage eines hervorragenden wissenschaftlichen Institutes der glorreichen Vereinigten Staaten eine Forschungsreise. Und da auch Engländer nach Neuseeland unterwegs sind, möchte ich denen den Rang ablaufen und Galveston die ersten Berichte sichern... Sie verstehen...«

»Aoh, wenn das so ist, dann wird der Kapitän mit sich reden lassen. – Sie haben doch Papiere von der Universität?«

»Hier sind sie, Herr Konsul!«

»Well! Kommen sie heute abend zu mir. Ich werde Ihnen Nachricht geben. – Hm, also Engländer wollen auch die Veränderungen im Gebiete des... wie nannten sie doch das Ding da? ...«

»Des Rotomahanasees...«

»Na ja, das wird der Kapitän wissen! Also die wollen das auch durchforschen und sind schon unterwegs?«

»Sie sind im Begriff abzureisen. Wenn mich der ›Washington‹ mitnimmt, sichern wir den Vereinigten Staaten die ersten Berichte.«

An unseren Tisch zurückgekehrt, ging das Fragen los. Nicht direkt, aber auf Umwegen wollte der Kosmosagent gern wissen, ob er Gefahr liefe, seinen Passagier zu verlieren.

»Der Amerikaner wird keine Passagiere von hier mitnehmen, nicht wahr? Ich las die Absage auf seinem Gesicht.«

»Nicht doch! Ich hoffe morgen an Bord gehen zu dürfen. Es sind nur noch Formalitäten zu erfüllen.«

»Ja, ja, die hiesigen Behörden sind streng. Nicht jeder Dampfer kann hier so ohne weiteres Passagiere mitnehmen.«

»Möchte wissen, wer mir das verbieten will?« fragte der Kapitän.

»Schauen wir uns den Dampfer in der Nähe an, meine Herren,« schlug Köhler vor. »Mir als chilenischen Offizier wird man es nicht abschlagen, die Einrichtungen an Bord in Augenschein zu nehmen.«

Außer mir folgte keiner der Anwesenden der Aufforderung. Unterwegs fragte mich mein Begleiter nach dem Papier, das ich dem Konsul ausgehändigt hatte.

Ich mußte lachen.

»Wenn Sie mich nicht verraten, sage ich es Ihnen. Ich habe den guten Mann ein wenig verkohlt. Ich reise im Auftrage der Universität in Galveston nach Neuseeland, um dort die geologischen Veränderungen festzustellen, die bei dem jüngsten Erdbeben in dem berühmten Becken der Taupozone stattgefunden haben. – Nun habe ich als Grund meiner Eile angegeben, daß auch von England aus Gelehrte aufbrechen, um dasselbe zu untersuchen. Wenn nun Amerika zuerst da ist, dann hat dieses Land auch die ersten Berichte... Ich spekulierte dabei auf den Nationalstolz der Yankees.«

»Wann sind denn die Engländer abgereist?«

»Was weiß ich! Ich habe keine Ahnung, ob überhaupt jemand dorthin reist. Es ist ja eine englische Insel, dieses Neuseeland, und es wird nicht an Männern in Auckland fehlen, die das feststellen. – Für mich handelt es sich darum, von hier fort zu kommen, und das hoffe ich zu erreichen.«

»Das haben sie gut gemacht,« lachte Köhler. »wenn Sie den Engländer gegen die Amerikaner ausspielen, dann gewinnen Sie die Partie.«

Am nächsten Tage wurde ich feierlich an Bord des Dampfers ›Washington‹ empfangen. Ich sage feierlich, denn gegen die Regel auf solchen Dampfern standen der Konsul, der Kapitän, ein paar Offiziere, der Doktor und eine Anzahl von Herren und Damen oben an der Treppe und begrüßten den »berühmten« Forschungsreisenden in ihrer Mitte. Ich bekam eine sehr gute Kabine und erfreute mich während der ganzen Reise bester Bedienung und größter Zuvorkommenheit aller Mitreisenden, besonders der älteren Damen. Alles das, was ich in den ersten sechs Bänden dieser »Erlebnisse« niedergeschrieben habe, mußte ich erzählen. – Allabendlich umgab mich ein wissensdurstiger Kreis, an den sich, nach verschwinden der alten Damen, die Schiffsoffiziere anschlossen. Dann allerdings wechselte das Thema und man vertiefte sich in Gespräche, die besser zum »Whisky mit Soda« passen.

Juan Fernandez, die Robinson-Insel, oder, wie sie offiziell in den chilenischen Karten heißt, »Mas a tierra« war unser erster Haltepunkt. Schon am Tage vorher hatte fast jeder der Passagiere das bekannte Buch von Defoe »Robinson Crusoe« in der Hand und las eifrig die Abenteuer des armen Matrosen nach, damit man nachher auch alle die Orte kennen lernte, an denen sich diese und jene Begebenheit abspielte. Daß ich dabei von allen Seiten mit Fragen bestürmt wurde, brauche ich kaum Zu erwähnen. Alle Proteste, daß ich die Insel nie besucht, fielen nicht ins Gewicht. Ich mußte eben alles wissen. – »Wozu sind Sie denn Forschungsreisender.« Mit Mühe nur konnte ich mich der Aufforderung, den verschiedenen Gruppen als Führer zu dienen, entziehen. Zum Glück gab es unternehmungslustige Eingeborene, die sich gern ein paar Dollars verdienten. Unter deren Leitung verteilten sich die wißbegierigen Passagiere auf der Insel.

Obwohl auch bei uns in Deutschland fast jeder Schüler seinen Robinson verschlungen hat, herrscht doch allgemeine Unkenntnis über die Insel selbst, deren Einwohner und sogar deren Lage. Einige Worte darüber sind daher hier am Platze.

Die aus mehreren Inseln bestehende Gruppe liegt etwa vierhundert Seemeilen vom chilenischen Festlande entfernt im Stillen Ozean. Sie besteht aus den beiden größeren Inseln Mas a tierra (Mehr beim Festlande) und Mas a fuera (Mehr draußen), sowie auch einigen kleineren Inseln. Bewohnt ist nur Mas a tierra, deren Hafenstadt mit dem Namen Juan Fernandez bezeichnet wird. Für uns Deutsche hat die Inselgruppe ein größeres Interesse, weil hier in der Bucht der kleine Kreuzer ›Dresden‹ gegen alles Völkerrecht im Weltkriege von den Engländern in den Grund geschossen wurde, und weil die Bewohner der Insel in der Mehrzahl – Deutsche sind. Im Jahre 1867 siedelten sich sechzig sächsische Kolonisten auf der Insel Mas a tierra an. Sie schufen aus dem damals wild verwachsenen Lande ein wahres Paradies. Leider verfielen auch sie dem alten Fehler der Deutschen. Sie vermischten sich rasch mit den anwesenden und nachfolgenden Chilenen. Obwohl in der Mehrzahl, verzichteten unsere Landsleute gar bald auf ihre Muttersprache und nahmen dafür das Spanische an. Zwanzig Jahre später, als ich mit dem ›Washington‹ die Insel besuchte, sprachen nur noch die älteren Leute, die ersten Ansiedler, deutsch, oder richtiger ein spanisch anmutendes Sächsisch. Unser altes Nationalunglück! Über unserer Sucht nach dem Fremdländischen vergessen wir unsere eigene Sprache und unsere deutsche Eigenart – wie wir es ja leider täglich in unserem eigenen Vaterlande wahrnehmen können!

Das für die Reisegesellschaft auf dem ›Washington‹ Interessanteste war natürlich die Höhle, in der jener schiffbrüchige Matrose Selkirk vier Jahre lang gehaust hat. Auch ich besuchte sie. Der Weg dorthin führt über üppige Wiesen, auf denen unter der Obhut blauäugiger, kleiner Hirten, die auf deutsche Anrede spanisch antworteten, Kühe und kleine Pferde weideten. Sanft ansteigend gelangt man aus dem Tal in einen dichten, subtropischen Wald, in dem Farnbäume, Myrthen und großblätterige Tropenpflanzen unter riesigen, immergrünen Bäumen oft undurchdringliche Dickichte bilden. Große Taubenvögel streichen durch die Wipfel. Rascheln im Gebüsch deutete auf die Anwesenheit von Vierfüßern.

Hat man die Höhe erklommen, so bietet sich dem Auge ein erfreuender Rundblick über die Insel und das Meer. Von Norden bis Nordosten erheben sich ausgedehnte Wälder. In der entgegengesetzten Richtung dagegen bieten kahle, schroff zum Meere abstürzende Felsen Millionen von Seevögeln Nistgelegenheit. – Vom Höhenzuge abwärts läuft ein kaum wahrnehmbarer Pfad in eine Schlucht, die mit dem Meere in Verbindung steht. Sechzig Meter vom Strande entfernt, dessen Einbuchtung noch heute den Namen »El Puerto del Ingles« führt, liegt die Höhle. Ein hohes, gewölbtes, nur zwei Meter tiefes Felsenloch, das nichts Sehenswertes bietet. Im Gegenteil. Es schien mir eher als eine Ablagerungsstätte für allen möglichen Unrat zu sein. – Die Amerikaner allerdings bestaunten diese Oeffnung und gingen an der Hand des Buches gewissenhaft bis zu der Stelle, wo das Schiff seinen Untergang gefunden haben soll und wo der junge Seemann dann später seine ersten Balken behauen hat. – Nachdem in mehrstündigem Bewundern auch der kleinste Stein vor den wissensdurstigen Augen vorübergerollt war, griff jeder ein

Stück Holz, eine Muschel, einen Stein auf – zum Andenken an die Robinson-Insel!

Mit der sinkenden Sonne verließ der ›Washington‹ die Insel. Das Wetter war umgeschlagen und die See begann sich mit »Katzenpfötchen« zu schmücken. So nennt man die kleinen Schaumköpfe, die bei auffrischenden Winden sich auf den Wellen des Ozeans bilden. Als wir an den steil ins Meer abfallenden Klippen vorüberdampften, kam alles an Deck und bewunderte das herrliche Schauspiel, das die sich an den Klippen brechenden Wellen boten. Die See phosphoreszierte stark. Als dunkelgrün schillernde Masse rollte die heranstürmende Woge dem Lande zu. Dort, wo der Strand seicht war, verlor sich das Wasser als breites Band von Goldschaum in der Dunkelheit. Traf es aber auf die starren Felsen, dann schoß eine Funkengarbe in goldgrün auseinanderstäubendem Regen bis hoch hinauf in die grauen Zacken der Insel und entlockte den Zuschauern begeisterte Rufe des Erstaunens und der Bewunderung. Das prachtvolle Schauspiel ließ es die Mehrzahl der Fahrgäste übersehen, daß sich die Besatzung des Schiffes in etwas überstürzter Weise mit den auf Deck lose herumliegenden Gegenständen und deren Bergung beschäftigte. Mich veranlaßte diese ungewöhnliche Geschäftigkeit, mich an das Navigationszimmer heranzuschlängeln und einen Blick auf das Wetterglas zu werfen. Zu spät bemerkte das der auf der Brücke diensttuende zweite Offizier. Er legte mir Verschwiegenheit ans Herz.

»Warum sollen wir den Passagieren vorzeitig Mitteilung von dem machen, was zu erwarten steht?« fragte er.

»Sehr recht. Sie merken es ohnehin früh genug, wenn ihnen der Sturm seinen Morgengesang bläst, Wann erwarten sie das Wetter?«

»Die See läuft jetzt schon auf. In zwei bis drei Stunden werden wir die Kajütstüren von außen verschließen. Sie wissen ja, wie unangenehm es ist, wenn bei schlechtem Wetter die Passagiere frei herumlaufen dürfen. Und erst unsere ... na, ich will mich nicht weiter aussprechen!«

»Kenne das, lieber Freund. Aber ich als Mann vom Fach bin doch vom Einsperren ausgeschlossen, oder ...?«

»Bedaure, aber sie sind Passagier und Ausnahmen dürfen wir hier nicht machen.«

»Auch nicht, wenn dringende Gründe dazu vorliegen?«

»Was wären das für Gründe?«

»Nun, wenn ich zum Beispiel eine eben angebrochene Flasche besten Whisky, echten Monongahela, besäße, die ich nur in Ihrer Gesellschaft, also in Ihrer Kabine, trinken möchte...«

»Dann allerdings dürfen Sie sich unter meinen Schutz stellen,« lachte der Offizier verständnisvoll. »Um zwölf Uhr werde ich abgelöst. Sie kennen ja meine Kammer?«

wir hatten eben auf eine gute Fahrt angestoßen, als ein kurzer, scharfer Pfiff durch die Takelung ging. Die See war jetzt schwarz wie Tinte und rauschte hohl. Träge brachen sich die schwerfällig heranrollenden Wogen am Schiffskörper. Eine beängstigende Stille lagerte in der Luft.

»Gleich wird er da sein,« sagte ich, als ich von einem Gang an die Reling wieder in die Kammer trat. »Wollen sie nicht die Eisenplatten vor das Bullauge schrauben?«

»Oh, bis hier herauf werden die Seen nicht laufen, meinte der Offizier, der zum erstenmale auf einem so großen Dampfer Dienst tat und die Wogen des südlichen Pazifik noch nicht kannte.

»Warten sie es ab, Mann,« erwiderte ich. »Ich habe Erfahrung in dem Wüten der Stürme hier unten. Lassen Sie alles dicht machen, denn ich fürchte, daß auch die großen Glasfenster im »Wintergarten« auf dem Oberdeck gefährdet sind.«

Die letzten Worte hatte der Erste Offizier gehört, der, von dem Geruch angelockt, seine Nase in die Kabine steckte.

»Eben gab ich den Befehl dazu,« sagte er. »Ich denke, wir werden in den nächsten vierundzwanzig Stunden nicht viel zu essen und zu trinken bekommen ... Und dabei ist mir schon jetzt ganz trocken im Halse ...«

»Ich verstehe Ihren Kummer, Mate,« erwiderte ich lachend und reichte ihm ein gefülltes Glas, »wenn Sie dienstfrei sind, berichten Sie wohl, was in Ihrer Wache vorgefallen ist.«

»Hm, hält das so lange vor?« fragte er, indem er die Flasche gegen das Licht hielt.

»Nee, aber wenn sie mir den Steward mit einer neuen Flasche hierherschicken, bevor das Deck unter Wasser steht, dann sind Sie sicher, daß noch etwas da ist.«

Der Sturm setzte mit gewaltiger Kraft ein. Er warf den großen Dampfer auf die Seite und hielt ihn in der schrägen Lage so fest, daß man hätte glauben können, er wolle sich nie wieder aufrichten. Aber das gibt es natürlich nicht. Ueber einen gewissen Punkt hinaus kann er nicht gedrückt werden. Das aber wußten die plötzlich unsanft aus ihren Betten geschleuderten Vergnügungsreisenden nicht. Man hörte vereinzelte Rufe. Herren versuchten auf das Oberdeck zu gelangen. Da sie aber überall nur verschlossene Türen fanden, begannen sie ihre Kaltblütigkeit zu verlieren und aus den Rufen wurden Flüche, untermischt mit Klopfen und Poltern. Das machte natürlich die Damen nervös. Und während draußen die Windsbraut heulend über die See fegte, entstand in den Kabinengängen ein Lärm, der selbst den Sturm übertönte.

»Herr des Himmels, ist das eine Gesellschaft!« rief ich aus und schenkte dem Offizier das Glas voll. »Gehen sie doch hinein und stiften sie Ruhe, sonst geschieht ein Unglück!«

»Das ist Sache der Stewards! Wenn ich hineingehe – und das kann nur durch die Schottentüre geschehen, die den untern Kajütengang gegen das Zwischendeck abschließt – dann zwingt man mich, ihnen diesen Ausgang freizugeben ... nee, dann ist es schon besser, sie schreien sich heiser, sie hören dann von selbst auf!« »Aber die Angst kann unheilvolle Folgen nach sich ziehen ...«

»Dafür ist der Doktor da,« erwiderte kaltblütig der Offizier.

Darauf ließ sich nichts erwidern. Als jedoch der Sturm an Stärke zunahm und das Schiff in der kochenden See wie ein Kork herumgeworfen wurde, entschloß ich mich, in den Kajütssalon zu gehen und den geängstigten Reisenden Mut zuzusprechen. Ich ließ mich zu der nur der Mannschaft bekannten Tür geleiten. Nachdem man mir versprochen, mich um vier Uhr wieder herauszulassen, schlüpfte ich in den zum Glück ziemlich düstern Kabinengang und stand wenige Minuten später mitten unter den im großen Speisesaal versammelten Reisenden.

Der Anblick dieser angstverzerrten Gesichter, all' dieser Menschen in einer Kleidung, deren Unzulänglichkeit nur mit der Todesangst entschuldigt werden konnte, entlockte mir ein lautes Lachen. Ich konnte nicht anders, ich mußte wirklich hell herauslachen. Dieser Ton wirkte indessen Wunder. Die Angstrufe verstummten. Alles blickte auf mich und mein vor Heiterkeit strahlendes Antlitz. Eine Dame, die mich besonders auszeichnete, eilte auf mich zu und rief in vorwurfsvollen, weinerlich hervorgestoßenen Worten:

»Oh, Mister Emmerich, wie können sie angesichts eines vielleicht nahen Todes noch lachen?«

»Sie irren, Miß Price, ich habe durchaus keine Selbstmordgedanken. Ich befinde mich äußerst wohl auf dieser Welt. Besonders seit einigen Tagen, wo mir ein gütiges Geschick eine so liebenswürdige Dame in den Weg geführt hat.«

Dabei küßte ich ihr, gegen alle Regel der Amerikaner, leicht die Hand.

»Lassen Sie das, Sir,« entgegnete sie streng, »wer weiß, wie nahe wir dem Untergange sind!«

»Meinen Sie dieses Schiff, Miß Price?«

»Natürlich, was denn sonst?«

»Das geht nicht unter, verehrte Dame!« rief ich mit einer Bestimmtheit, die ihren Eindruck nicht verfehlte. »Unser ›Washington‹ wird doch das bißchen Sturm noch vertragen können. Haben Sie so wenig Vertrauen in die Schiffbaukunst Ihrer Landsleute?«

»Aber sehen Sie doch, wie er sich auf die Seite legt. Einmal muß er doch umfallen!« jammerte eine alte Dame.

Wieder lachte ich ungebührlich laut.

»Gerade das Ueberlegen nach einer Seite verhindert ein Kentern. Die Schiffe sind so gebaut, daß sie nur bis zu einem gewissen Grade auf die Seite gedrückt werden können. Dann müssen sie sich wieder aufrichten ...«

»Aber man weiß doch von gekenterten Dampfern!« warf ein Herr ein.

»Frachtdampfer – ja. Wenn denen die Getreide- oder Kohlenladung losschlägt und nach einer Seite schießt, dann mag es vorkommen. Aber unser ›Washington‹ mit seiner schönen Ladung kann nicht kentern. Beruhigen Sie sich nur. Der Sturm braust vorüber und nachher freuen Sie sich, daß Sie auch einmal das Meer von seiner unangenehmen Seite kennen lernten.«

»Aber daß man uns nicht auf Deck läßt! Wenn etwas passiert, können wir uns ja nicht einmal retten!«

»Eben deshalb schließt man uns ein. Der Kapitän weiß es so gut wie ich und jeder Seemann, daß dem Schiff keine Gefahr droht. Um uns Reisende vor Schaden zu bewahren, schließt er uns ein ... Nur finde ich es unrecht, daß man den Damen keinen Tee serviert. Ich werde mich sofort auf die Suche nach dem Steward begeben ... Nehmen Sie ruhig Platz und unterhalten Sie sich inzwischen.«

Diese Unterhaltung hatte wirklich die weniger ängstlichen Gemüter beruhigt. Einige Damen bemerkten, daß ihre Nachtgewänder doch nicht ganz salonfähig waren und eilten in ihre Kabinen um in passenderer Kleidung in den Saal zurückzukehren. Andere erkundigten sich, ob man sich auf das Bett legen könne, ob man auch ganz sicher sei ...

Ich fand die Türe im Schott zur angegebenen Stunde wieder geöffnet und berichtete dem inzwischen eingetroffenen Ersten über meine Mission im Saal.

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie wieder hinübergingen,« sagte er ernst. »Das Wetterglas fällt immer noch, und es ist nicht ausgeschlossen, daß wir beidrehen müssen. Dabei kann es krachen und wenn dann einer da ist, der zur rechten Zeit beruhigend wirkt, dann ist viel gewonnen. Besonders auf dieser ersten Fahrt, die wir als »Vergnügungsdampfer« machen, darf keine Panik aufkommen, sonst geht uns kein Mensch mehr mit.«

»Warum gehen sie denn gegen die See an? Es ist doch einerlei, wo sie in der Südsee zuerst landen. Wenn sie mit dem Wind laufen, arbeitet das Schiff doch nicht so schwer.«

»Das wohl. Aber unser Kapitän hat einen Kopf für sich ...«

»Na ja! Dann allerdings begreife ich es. – Uebrigens werde ich mein Bestes tun. Sorgen Sie nur für ein reichhaltiges Frühstück, denn beim Essen läßt sich überzeugender sprechen.«

»Das glaube ich weniger!« erwiderte er lachend.

»Warum werden dann alle wichtigen Geschäfte und Verhandlungen, die einschneidende Wirkung haben sollen, durch ein besonders reiches Mahl unterbrochen? Doch nur, um, bewußt oder unbewußt, durch den Magen auf die Stimmung und Urteilskraft der Geladenen einzuwirken!«

Eine donnernde See unterbrach unser Zwiegespräch. Sie kam brüllend von vorn über die Back, überflutete schäumend das Vorderschiff und brach sich krachend an dem hohen Decksaufbau, wo eine ungeschützte Scheibe dem Druck nachgab und nach innen fiel, wo sie zersplitterte. Ein gellender Schrei aus zahlreichen Kehlen folgte dem Unfall.

»Eilen Sie, bitte,« drängte der Offizier. »Es wird vielleicht noch besser kommen. Tun sie Ihr Möglichstes ...«

»Vor allen Dingen schicken sie das Frühstück ... und zu meiner Gesellschaft den Doktor.«

»Der ist seekrank. Aber das Frühstück wird besorgt.«

Im Speisesaal war wieder alles in heller Aufregung. Kaum erblickte mich Miß Price, als sie auch schon auf mich zustürzte:

»Oh Gott, wo waren Sie denn soeben bei dem Unglück ...?«

»Was ist denn vorgefallen?« fragte ich erschreckt. »Ich weiß ja gar nichts von einem Unglück.«

»Haben Sie denn den Krach nicht gehört ... und das Klirren? Da muß doch ein großes Loch in die Schiffswand geschlagen sein.«

»Im gewissen Sinne haben Sie recht,« antwortete ich. »Allerdings war das Loch schon da und zwar verglast. Als ich unvorsichtigerweise, und gegen die Vorschrift, mein Kabinenfenster öffnete, schlug mir die See die Scheibe ein und – wie Sie sehen – bekam ich ein wenig Seewasser mit.«

»Ach ja, Sie sind ja ganz naß! Und es war wirklich nur eine Scheibe? ... Kein Leck ...?«

Mein Lachen brachte wieder einige Beruhigung hervor. Das Erscheinen der Aufwärter lenkte auch das Gespräch in andere Bahnen und zehn Minuten später war der größte Teil der Passagiere mit dem Verzehren des Frühstücks beschäftigt.

Mitten in dieser Beschäftigung riß mich ein Laut aus meiner Ruhe, der den andern entgangen war. Ein Signal wurde von der Kommandobrücke aus zur Maschine gegeben. Dieses Klingelzeichen während der Fahrt auf hoher See hat immer etwas Beunruhigendes. Meist handelt es sich um Manöver zur Verhütung eines Zusammenstoßes oder um plötzlich hereingebrochenen Nebel, der ein Langsamgehen der Maschine erforderlich macht. In allen solchen Fällen ist der Fachmann gern auf Deck. Ich erhob mich daher und ging in den unteren Kajütsweg, um auf die mehrerwähnte Art zu den Offizieren zu gelangen. Der Ausgang war jedoch verschlossen. Es gelang mir aber durch die Küche in den Wohngang der Heizer zu kommen und dort erblickte ich eine dicke weiße Wand, die durch den abflauenden Sturm zu einer wild durcheinander wirbelnden Masse aufgebaut, sich schwer vor uns hinschob. Da ich keinen Sirenenton vernahm, erkundigte ich mich bei einem Maschinisten, wie lange denn der Dampfer schon in dem Nebel säße.

»Oh, erst eine Viertelstunde,« erwiderte dieser sorglos.

»Und da gebt Ihr kein Signal mit der Sirene?« fragte ich verwundert.

»Das ist hier nicht nötig,« erwiderte der hinzutretende Erste Maschinist. »In dieser Gegend sind wir ganz allein. Da brauchen wir nichts zu befürchten. Die Passagiere sind durch den Sturm schon nervös genug. Die brauchen nicht noch aufgeregter zu werden.«

»Aber es sind doch Segler unterwegs. Wie leicht könnte man da einen armen Teufel in den Grund bohren. Die Passagiere müssen sich eben damit abfinden.«

»Unser Kapitän denkt da anders. – Er wird schon das richtige anordnen,« entgegnete der Maschinenmann, indem er unter leichtem Gruße seine Kammer aufsuchte. Eben wollte ich mich zu dem Offizier begeben, um ihm einen Guten Morgen zu wünschen, als ein seltsamer Ton durch die von der Dämmerung heller gefärbte Nebelwand drang. Erschreckt blieb ich stehen und blickte zur Kommandobrücke empor, wo der Kapitän neben dem Zweiten und Vierten stand und sich lebhaft mit diesen unterhielt. Durch Zeichen wollte ich die Aufmerksamkeit der Offiziere auf den Laut lenken, da ertönte wiederum das Geräusch. Diesmal war es unverkennbar der Ton eines von Menschen geblasenen Nebelhornes. Es war so dicht bei uns, daß ich förmlich das, was nun kommen mußte, im voraus empfand und mit einem lauten »Achtung« die Treppe zur Brücke hinaufsprang.

Auch denen auf der Brücke war der Schrecken in die Glieder gefahren. Der Kapitän riß an der Leine, um die Sirene anzuschlagen, sie war aber so voll Wasser, daß kostbare Sekunden vergingen, bevor der heulende Ton zur Geltung kam – und da war es zu spät! Ein Ruck ging durch das ganze Schiff. Ein Krachen und Splittern, untermischt mit menschlichen Hilferufen. Zu beiden Seiten unseres Dampfers tauchten blitzartig Masten und Segel auf. Der Dampfer bäumte, wie wenn er über ein welliges Gelände glitte. Die Schraube klapperte ... dann verhüllte die weiße Wand mitleidig die entsetzliche Katastrophe, die durch die Schuld eines gewissenlosen Schiffsführers über brave Seeleute hereingebrochen war.

Natürlich folgte auf den ersten Schrecken das Signal, die Maschine zu stoppen.

»Boote aussetzen!« entfuhr es mir unwillkürlich und fast unbewußt sprang ich zum nächsten Davit, um die Taue zu lösen. Aber das erwartete Kommando von oben blieb aus. Auch die wenigen Matrosen, die der blitzartig erfolgten Kollision zugesehen, rührten keine Hand. – Ich eilte wieder zur Brücke. Da trat mir der Zweite Offizier entgegen. Mein erstauntes Gesicht traf doch wohl sein Gewissen. Er eilte zurück und sprach einige Worte mit seinem Vorgesetzten. Dann kam ein Befehl:

»Boot Nr. 4 zu Wasser. Rasch – ruft die Mannschaft!«

Das Kommando war ungeschickt gegeben, weil es Verwirrung anrichten mußte. Auf großen Personendampfern hat jedes Boot, für den Fall einer Katastrophe, seine vorher bestimmte Besatzung. Trifft ein Unfall das Schiff, so daß die Rettungsboote ausgesetzt werden müssen, so begibt sich jeder, der zur Mannschaft gehört, zu der ihm bekanntgegebenen Nummer, ohne sich um die Kameraden zu bekümmern. Die Passagiere finden in ihren Kabinen ebenfalls eine kleine Tafel, auf der es heißt: »Im Falle eines Alarms begeben sie sich zum Boot Nr. ...« In diesem Falle nun rannte die Deckswache kopflos umher und es vergingen fast zehn Minuten, bevor der Erste Offizier die des Segelns und Ruderns kundigen Leute zusammengebracht hatte. Der Dritte Offizier wurde mit dem Befehl über die Rettungsmannschaft betraut und gab sich alle Mühe, das Boot über Bord und zu Wasser zu bringen. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich, wie unsinnig es ist, die Bootstaue und Blöcke dick mit weißer Farbe zu streichen. Bevor es gelang, die steifen Taue überhaupt zu lockern und sie dann durch die, von der in zehnfacher Schicht aufgetragenen, jahrealten Farbschicht unbeweglich gemachten Blöcke zu ziehen, verging eine weitere Viertelstunde ...

»Die Mühe können sie sich sparen,« rief ich, innerlich empört, dem jungen Schiffsoffizier zu. »Was nicht beim Uebersegeln ertrunken ist, hat die See längst verschlungen.«

Er gab mir keine Antwort, aber sein Blick sagte mir, daß er meine Ansicht teilte. Auch der Zweite schüttelte bedauernd den Kopf, als er den Kollegen mit der ungeübten Mannschaft im Nebel verschwinden sah. Ich fürchte, daß wir auch das Boot nicht mehr wiedersehen,« sagte ich, zu dem Offizier gewendet. »Die Menschen verstehen ja nicht einmal zu rudern, wie wollen sie das Boot gegen die See halten?«

»Ja, das ist ja das Schlimme auf den modernen Dampfern, daß sie keine Seeleute mehr haben. Sieben Achtel unserer Mannschaft stammt aus allen möglichen Landberufen. Wirkliche Seeleute haben wir nur wenige an Bord. – Träfe uns ein Unglück, was Gott verhüten möge, so wären die meisten Boote durch die Schuld ihrer Bemannung verloren, die weder segeln, noch steuern, noch den Kompaß lesen kann. – Uebrigens erzähle ich Ihnen damit nichts Neues. Sie kennen das aus eigener Erfahrung.«

»Leider ja. Aber was ich heute hier sah, hätte ich doch nicht für möglich gehalten. Ich meine, daß Sie bei dickem Wetter fahren, ohne Nebelsignale zu geben. Nicht einmal der Ausguck war doppelt besetzt ... Das kostet Ihrer Gesellschaft viel Geld und dem Kapitän das Patent.«

»Der Segler gab auch kein Warnungszeichen, sonst wäre der Zusammenstoß sicher nicht erfolgt. Das mindert unsere Schuld.«

»Sie irren, Verehrtester. Der Segler gab Nebelsignale. Ich selbst habe sie deutlich gehört. Aber unser Dampfer ließ nichts von sich hören ...«

»Der Kapitän wollte die Passagiere nicht erschrecken. Es war auch nicht anzunehmen, daß sich hier gerade Segelschiffe befinden. Uebrigens hatte ich die Wache. Sie werden doch Ihre Wahrnehmungen nicht weiter melden?«

»Wie wäre es, wenn Sie die Passagiere über unser Stilliegen ein wenig aufklärten. Sehen Sie, wie man die Nasen gegen die Scheiben drückt. Man könnte die Türen ruhig aufschließen. Das Wetter ist vorüber.«

Mit dieser Ablenkung wurde ich einer Antwort auf die Frage des Offiziers überhoben. Ich wollte mein Verhalten von dem Ergebnis der Rettungsexpedition abhängig machen. Keinesfalls aber wollte ich die Hand zur Vertuschung der Pflichtwidrigkeit unseres Kapitäns bieten. Noch viel weniger den Eigentümer des Seglers um seinen Anspruch auf Schadenersatz bringen. – Dasselbe sagte ich dem Ersten Offizier, der sich später zu mir gesellte und die Fragen wiederholte. – Daß ich mir damit die Freundschaft der Schiffsführer verscherzte, lag auf der Hand, obwohl sie es in ihrem Benehmen nicht zum Ausdruck brachten, während des ganzen Tages genoß ich noch die »Ehre«, von ihnen ins Gespräch gezogen zu werden, wenn es sich um nautische Dinge handelte, denn das Rettungsboot ließ sich nicht blicken, trotz wiederholter Signale mit der Sirene.

»Hoffentlich trifft Ihre vorhersage nicht ein,« bemerkte der Zweite, als er sein Erstaunen über das Ausbleiben des Bootes immer dringlicher betonte.

»Ich möchte wissen, wie es Ihr Kamerad machen soll, um den Dampfer in dem Nebel wiederzufinden. Er weiß ja gar nicht, wo er ihn suchen soll.«

»Wir zeigen ihm unsere Lage doch mit der Sirene an. Die wird er doch hören.«

»vielleicht. Sie wissen aber auch, wie sehr die Schallrichtung bei Nebel täuscht, wenn Sie wenigstens die ebenfalls vorgeschriebenen Signale für stillliegende Dampfer gäben – ich meine das Läuten der Schiffsglocke – dann hätte er mehr Anhaltspunkte.«

»Allerdings – ja – Sie haben recht. Der Erste hat vergessen, das anzuordnen und der »Alte« hat sich schlafen gelegt. – Ich werde es sofort befehlen.«

Der Doktor schob sich mit dem Ersten Maschinisten neben mich an die Reling. Er schien sehr zufrieden, daß die Seekrankheit ihn nun endlich aus ihren Klauen losgelassen hatte.

»Warum mag unser Kapitän hier wohl vor Anker gegangen sein?« fragte er seelenvergnügt. »Fürchtet er bei dem Rebel irgendwo auf den Strand zu laufen?«

Verwundert blickte ich den Frager an. War es möglich, daß jetzt, fünf Stunden nach dem Zusammenstoß, noch jemand an Bord war, der von dem Unglück keine Kenntnis hatte. Ich überließ dem Ersten Maschinisten die Beantwortung der Frage. Der aber gab so geschraubte Erklärungen, daß selbst der Arzt argwöhnisch wurde.

»Ist denn etwas passiert?« fragte er, und man sah es ihm an, daß ein jäher Schrecken durch seine Glieder fuhr. »Der Erste Offizier sagte uns, daß wir wegen des Nebels hier liegen bleiben müßten.«

Der Maschinist schien nicht gesonnen, seinem Kameraden reinen Wein einzuschenken. Er wollte wahrscheinlich das Unglück so wenig als möglich bekanntgeben. Mir aber lag mehr der Segler am Herzen und je mehr Zeugen nachher für diesen aussagten, desto besser war es für die Geltendmachung seiner Ansprüche. Ich ließ daher die Worte fallen:

»Warum geben Sie dem Herrn Doktor keine Aufklärung, Chief?«

Ein unwilliger Blick traf mich und verlegen rückte er an der Mütze.

»Worüber soll ich den Doktor aufklären. Ich weiß so viel, wie er selbst.«

»Ist das wirklich wahr? Dann würde ich Ihnen raten, einmal die Schraube zu probieren und den Schaft nachsehen zu lassen. Wie leicht kann da etwas gebrochen sein. Oder spürten sie den stoß nicht?«

»Was sagen Sie?« rief der Doktor. »Haben wir auf Grund gestoßen? Sind wir gestrandet?« Er wurde fast weiß im Gesicht.

»Ich bin mir nicht bewußt, etwas von Strandung oder Grundstoß gesagt zu haben,« erwiderte ich.

»Ach, das ist nicht der Rede wert,« fiel nunmehr der Ingenieur ein. »wir stießen auf ein Wrack und liefen darüber hin. – Schaden haben wir nicht weiter davongetragen.«

»Wissen sie das ganz bestimmt?« fragte ich.

»Na, ich würde es doch sofort bemerken,« erwiderte er giftig.

»Auch wenn wir still liegen und die Maschine nicht arbeitet?«

»Auch dann!« lautete die kurze Antwort, worauf er sich entfernte.

»Noch einen Feind!« entfuhr es mir. Der Doktor griff das Wort auf.

»Warum sagen sie das? Die Frage konnte ihn doch nicht beleidigen.«

»Wie man's nimmt. Wenn er sich von dem überzeugte, was er sagt, dann nicht. Sonst aber kann er meine Zweifel als Hieb empfinden.«

»Was ist denn eigentlich vorgefallen? sie scheinen mehr zu wissen, als Sie eingestehen und – hm – jenen Herrn lieb ist.

»Merken Sie das auch? Nun, ich setze voraus, daß Sie kein Interesse daran haben, Ihre Brotherren zu schädigen, was der Fall wäre, wenn die Vergnügungsreisenden das erführen, was ich mit eigenen Augen sah. – Unser ›Washington‹ hat ein Segelschiff überrannt. Boot Nr. 4 ist fort, um die etwa noch im Meere treibenden Seeleute zu retten – falls es sie findet. – Nun kehrt auch dieses nicht mehr zurück. Deshalb liegen wir hier.«

»Und die Glocke läutet man, damit das Boot weiß, wo wir liegen?«

»Nein, weil es Vorschrift ist. Nebenbei soll auch der Rettungsmannschaft ein Fingerzeig gegeben werden.«

»Warum aber diese Heimlichkeit. So etwas kann doch jedem Schiff zustoßen, wenn der andere nicht aufpaßt...«

»So etwas darf eben nicht vorkommen! Noch dazu, wenn man ein paar hundert Passagiere an Bord hat. Was würden die wohl sagen, wenn sie die Wahrheit erführen? Ich glaube, der Kapitän müßte nach Valparaiso zurückkehren und sie dort ausschiffen.«

»Aber was fällt denn Ihnen ein! Was kann der Kapitän dafür, wenn es ein gewissenloser Schiffsführer unterläßt, die vorgeschriebenen Warnungssignale zu geben und dadurch in's Unglück rennt?«

»Wenn aber der andere die Signale gab? Hörten Sie in der Nacht unsere Sirene?«

»Donnerwetter – nein! Also liegt die Schuld nicht bei dem Segler?«

»Das mögen die Gerichte entscheiden. Ich hörte das Nebelhorn des Segelschiffes und weiß, daß unsererseits keine Antwort gegeben wurde.«

»Dann allerdings begreife ich es, daß die Offiziere sich bemühen, eine von der Wahrheit abweichende Ursache zu geben. – Da bin ich ja auf einen empfehlenswerten Dampfer geraten. Von jetzt ab schlafe ich nicht mehr ruhig.«

»Gar so schlimm müssen sie das nicht nehmen. Wir lassen die Nebel bald hinter uns und dann ist keine Gefahr mehr vorhanden. Sie sind wohl noch nicht lange auf See?« »Dies ist meine erste Reise. Genau drei Wochen bin ich ›Seemann‹«.

»Dann bewahren sie nur Ihre Ruhe und reden Sie erst wieder über das, was Sie wissen, wenn man Sie auf dem Seeamt fragt. Es kann sein, daß ich nicht gerade bei der Hand bin, wenn der Segler seine Ansprüche geltend macht. Sie teilen dem Gericht dann wohl mit, was ich Ihnen sagte.«

Fortan war der Doktor mein steter Begleiter auf Deck. Je mehr sich die Schiffsführer von mir zurückzogen, um so enger schloß sich jener an mich an – zu seinem Nachteile.

Die Nacht brach herein. Der Nebel war im Laufe des Tages von der Sonne aufgesogen worden und das Meer hatte sich beruhigt. Der ›Washington‹ mußte seine Fahrt wieder aufnehmen. Man hielt es für nötig, mir zu sagen, daß man in der Nähe bleiben und im großen Kreise um die Unglücksstelle herumfahren würde. Bei der Gelegenheit hoffte man das vermißte Boot zu finden.

»Die Passagiere wissen nichts von dem Vorfall,« sagte mir der Zweite, »Sie sollen auch von dem Boot nichts erfahren. – Sie, als der einzige Seekundige unter den Passagieren, werden mir den Gefallen erzeigen und nichts davon erwähnen. Während der Nacht suchen wir das Meer ab und lassen Raketen steigen. Weit können sie doch nicht sein.«

»Wenn das Boot verproviantiert ist und besonders Wasserfässer darin sind, dann kann Ihr Kollege zur Not auch Juan Fernandez erreichen. Wir sind doch kaum sechzig Meilen davon entfernt. »Nein, nein!« erwiderte er rasch, mit einem Unterton des Entsetzens, »wir müssen das Boot finden und zwar noch in dieser Nacht, sonst...«

»Verdursten die armen Menschen,« ergänzte ich. »Die alte Geschichte auf Passagierdampfern! Aus der Angst heraus, daß die Passagiere an den eigentlichen Zweck der Boote erinnert werden könnten, unterläßt man es, wie das Gesetz vorschreibt, den Proviant für vierzig bis fünfzig Personen alle vier Wochen und das Trinkwasser alle acht Tage zu erneuern. – Das kommt auf deutschen Dampfern nicht vor! – Hoffentlich dient Ihnen das zur Warnung, wenn Sie später als Erster und als Kapitän fahren. – Ich kann Ihnen aus meinen eigenen Erfahrungen da recht schauerliche Geschichten erzählen.«

Ich konnte es in meiner Kabine nicht aushalten. Die Unruhe über das Schicksal der armen Seeleute trieb mich auf Deck. Dort waren alle Offiziere versammelt und blickten mit ihren Nachtgläsern suchend über die weite Wasserfläche. Zum Glück phosphoreszierte das Wasser nicht, so daß jeder etwa aufleuchtende Lichtblitz sofort als solcher erkannt werden konnte. Man ließ es stillschweigend geschehen, daß ich mich vorn in den Bug legte und mich an der Suche beteiligte. – Je weiter die Nacht vorschritt, um so weniger wurde gesprochen. Keiner der Wachhabenden dachte daran, seine Kammer nach beendigtem Dienste aufzusuchen. Das Gefühl der furchtbaren Verantwortung, die auf den Führern lastete, verscheuchte den Schlaf.

Mit halber Kraft durchfurchte der imposante Dampfer das stille Meer. Alle Lampen waren in den Salons wieder angezündet worden, um eine möglichst reiche Lichtfülle den Vermißten darzubieten. Von Zeit zu Zeit stiegen Raketen in den sternklaren Himmel. – Nichts! Man las die Hoffnungslosigkeit auf allen Gesichtern...

Da – es dämmerte bereits im Osten – meldete der Ausguck im Mastkorbe:

»Licht voraus! Zwei Strich an Steuerbord!«

Der Ruf elektrisierte uns alle. Zehn Ferngläser richteten sich auf den angegebenen Punkt. Der Erste jagte die Wanten hinauf. Nach wenigen Minuten kam die Bestätigung:

»Sie müssen es sein! Es ist ein flackerndes Feuer. Flammt auf und erlischt! – Streichhölzer!«

Schon lag das Steuer in der angegebenen Richtung. Mit voller Kraft peitschte die Schraube die See. Immer deutlicher trat der weiße Umriß aus der weichenden Dunkelheit... Endlich klirrte im Maschinenraum der Telegraph:

»Stopp!« Dann scheuerte das Boot den Schiffsrumpf. Die Treppe rasselte herab – aber keiner der Insassen machte Miene auf Deck zu kommen.

»Halloh, warum beeilen Sie sich nicht?« rief der Kapitän.

»Helft uns – wir verdursten,« stammelte in spanischer Sprache der Mann am Steuer.«

Ich übersetzte. Dann drängte ich mich an dem Ersten vorbei und war in wenigen Sprüngen im Boote. Dort lagen sie, die wackeren Männer, mit verglastem Blick, zerrissenen, blutigen Lippen, die Zunge unförmlich geschwollen ... Zehn Mann vom ›Washington‹ und drei Fremde.

Behutsam wurden die Verschmachteten in den Rauchsalon gebracht und meiner und des Doktors Sorge gern überlassen. Vor neugierigen Blicken schützten uns die dichten Fensterverschlüsse. Dennoch ging ein Gemurmel durch den Saal.

»Wir fischten drei Schiffbrüchige auf,« hieß es und das gebefreudige Amerika ließ es nicht an reichen Spenden fehlen.

Zum Glück sprach außer mir keiner spanisch. So blieb das Geheimnis gewahrt.

Man versuchte von Seiten der Schiffsführung den geretteten fremden Seeleuten eine Darstellung des Unfalles zu entlocken, die den ›Washington‹ möglichst von jeder Schuld freisprach. Da aber die Verhandlungen auf der einen Seite in englischer, auf der anderen Seite in spanischer Sprache geführt wurden, kam natürlich dabei nichts heraus. Endlich griff man zu dem einzig möglichen Auswege, den man aber am liebsten vermieden hätte, und bat mich um meine Dolmetscherdienste. Lange sträubte sich der Kapitän dagegen. Er gab erst nach, als ihm sein Erster vorstellte, daß ich mich mit den fremden Matrosen ja doch unterhalten hätte, und deren Darstellung von der Katastrophe sicher an Land weiterverbreiten würde.

Die Geretteten waren die einzigen Ueberlebenden einer aus zehn Köpfen bestehenden Besatzung des Schoners ›Carmencita‹ aus Valparaiso. Das Schiff war mit einer Ladung Weizen von Juan Fernandez nach seinem Heimathafen unterwegs und von dem Sturm nach Westen vertrieben worden. Man hatte an Bord des Schoners den Dampfer bereits bemerkt, bevor noch der Nebel einfiel und gab daher in kürzeren, als den vorgeschriebenen Zwischenpausen ein laut tönendes Nebelsignal. Die ganze Besatzung stand auf Deck, um den Sirenenzeichen des ›Washington‹ zu lauschen. Aber man vernahm eher das Schlagen der Schraube, als den Warnungspfiff. Als dieser dann ertönte, war der Zusammenstoß unvermeidlich geworden. In richtiger Erkenntnis des sicheren Unterganges gab der Kapitän des Schoners den Befehl, das Boot klar zu machen. Wie weit dieser zur Ausführung gelangte, wußten die geretteten Matrosen nicht zu sagen, sie standen auf dem Vorderdeck und wurden bei dem Anprall des Dampfers mit dem Klüver und Bugspriet über Bord geworfen. Nur der glückliche Zufall, daß die Stagsegel noch standen, und ihnen Schutz vor dem Untergang gewährten, verdankten die drei Männer ihr Leben. – Bitter beklagten sie sich darüber, daß in dem Rettungsboote weder Wasser noch Brot, noch Kompaß vorhanden war, und daß keiner der Ruderer zu steuern verstand. – Letzteres wollte der Erste Offizier nicht in das Protokoll aufnehmen. Der eine der Matrosen, ein intelligenter Chilene, erklärte aber, seine Unterschrift nicht geben zu wollen, wenn man den Satz nicht aufnähme. Ich mußte ihm Wort für Wort übersetzen, wobei er mißtrauisch in das Logbuch schaute, in dem das Protokoll niedergeschrieben wurde. An das vom Schoner klar gemachte Boot klammerte sich die Hoffnung der drei Geretteten. Sie gaben die Möglichkeit zu, daß es noch vor dem Zusammenstoß vom Schiffe abgekommen sei. Der Dampfer solle auf seinen Kurs zurückkehren und danach suchen. Bei der Gelegenheit könne man die Matrosen in Juan Fernandez wieder an Land setzen.

Als dem Kapitän dieses Ansinnen gemeldet wurde, geriet er in hellen Zorn. Er weigerte sich mit aller Entschiedenheit, diesem Verlangen zu entsprechen. Lange genug habe er die Unglücksstelle abgesucht. Ein Boot hätte er sicher gefunden, wenn ein solches in der Nähe gewesen wäre. Darin mußte auch ich ihm beistimmen, und mit meiner ganzen Ueberzeugung suchte ich dem Wortführer der Chilenen das begreiflich zu machen. Umsonst! Auch er wurde zornig und bald standen sich zwei Hartköpfe wie die Kampfhähne gegenüber.

Natürlich drang der Lärm des Wortwechsels, der unter Deck geführt wurde, in die Unterkunftsräume der Mannschaft des Dampfers. Zwischen dieser gab es auch Männer, die ihren eigenen Vorgesetzten nicht »grün« waren und sich, ohne eigentlich zu wissen, um was es sich handelte, auf die Seite der Chilenen schlugen und zu murren anfingen. An mich traten sie heran mit dem Ersuchen, ihnen zu sagen, warum ihr spanischer Kamerad gegen den Kapitän so aufgebracht wäre. – Da ich im weiteren Verlauf der Dinge leicht eine Meuterei heraufbeschwören konnte, wenn ich das, was ich wußte, aussagte, so ging ich achselzuckend auf Deck und schloß mich in meine Kabine ein.

Zehn Minuten konnten verflossen sein, da klopfte es. Ich gab keine Antwort. Erst als ich des Doktors Stimme erkannte, öffnete ich und ließ ihn ein. Hinter ihm aber stand der Zweite Offizier, der sich nicht abweisen ließ.

»Nun lassen sie mich endlich in Ruhe mit Ihren Schiffsangelegenheiten!« rief ich unwirsch und warf mich der Länge nach auf mein Bett. »Ich bin hier als Passagier und bedauere das von ganzem Herzen.«

»Wir sind Ihnen auch zu großen Dank verpflichtet, daß sie uns Ihren Beistand liehen. Der Kapitän wird sich in jeder gewünschten Weise erkenntlich zeigen. Nur helfen sie uns jetzt noch, damit wir unsere Leute beruhigen. Es geschieht sonst das größte Unglück.«

Der Zweite Offizier legte beschwörend seine Hand auf meinen Arm und in seinem Blick lag etwas von stummer Verzweiflung. Auch der Doktor legte sich auf's Bitten, als ich die Antwort verzögerte.

»Was soll ich denn eigentlich noch tun?« fragte ich aufspringend. »Die Bootsmannschaft kann ja besser als ich erzählen, wie die Fremden aufgefischt wurden.«

»wenn sie den Leuten erklärten, daß unser Dampfer schuldlos an dem Zusammenstoß ist ... das heißt, wenn sie eine Rede der Chilenen so ähnlich übersetzen würden... dann beruhigen sich die unseren...«

»Nein, meine Herren, das werde ich nicht tun! So viel Autorität werden sie und Ihr Kapitän denn doch noch besitzen, daß Ihre Leute Ihren Worten glauben und Ihren Befehlen gehorchen ...«

»Aber die Chilenen fluchen und wettern, daß auch die Passagiere schon aufmerksam werden. Und wenn die das erfahren, dann ist es aus mit dem guten Einvernehmen,« jammerte der Doktor.

»Dann bringen sie die Chilenen doch so rasch als möglich nach Juan Fernandez zurück. In zwei Tagen sind Sie sie los!« »Und was sollen wir den Passagieren als Grund angeben? Nein, das tut der Kapitän unter keiner Bedingung.«

In dieser Weise redeten wir noch eine halbe Stunde lang hin und her. Der Lärm im Zwischendeck nahm zu. Ich entschloß mich daher, den Chilenen zu mir heraufzuholen und ihm unter vier Augen Vernunft beizubringen.

»Was es auch kosten mag,« versicherte der Offizier, »der Kapitän bringt jedes Opfer. Nur muß die Ruhe im Schiff wieder einkehren.«

Leicht war es nicht, den wütenden Chilenen, dessen blutunterlaufene Augen Blicke des höchsten Jähzorns auf uns warfen, mit mir auf das Oberdeck zu bringen. Ich führte ihn in meine Kabine und suchte ihn vor allen Dingen zu beruhigen. Es gelang mir, als ich ihm die Ueberzeugung beibringen konnte, daß ich nichts mit der Schiffsführung zu tun und nur aus Menschenfreundlichkeit mich zum Vermittler hergegeben hatte.

»Wohin fährt das Schiff?« fragte er, als der Boden zu einer ruhigen Aussprache geebnet war.

»Zunächst nach den Cooks-Inseln,« gab ich zur Antwort.

»Wo ist das. Die kenne ich nicht, sind die Inseln in der Nähe von Valparaiso?«

»Hm, das gerade nicht. Aber der Kapitän zahlt Euch den Aufenthalt dort, bis Ihr ein Schiff findet, daß Euch heimbringt.«

»Wie lange wird das dauern?«

Die Frage brachte mich in Verlegenheit. Nach meiner Ueberzeugung konnten Jahre vergehen, ehe ein nach Chile bestimmtes Schiff die Cooks-Inseln anlief. Er mußte den weiten Umweg über San Franzisko machen, wenn er nach Ablauf einiger Monate heimatlichen Boden betreten wollte. – Mein Zögern ließ ihn eine ähnliche Antwort ahnen. Er wiederholte daher die Frage in schärferem Tone:

»Ich weiß es nicht genau,« erwiderte ich. »Der Steward soll den Kapitän fragen.«

Während der Aufwärter meinen Auftrag ausführte, schilderte ich dem Manne die Freuden des guten Lebens, das er auf Rosten des Kapitäns leben dürfe. Bis zur Rückkehr nach Valparaiso würde der Dampfer ihm alle Kosten, einschließlich des entgangenen Verdienstes, ersetzen. Diese Aussicht machte keinen Eindruck auf den Chilenen. Er wollte von mühelosem Verdienen nichts wissen. Man sollte dafür sorgen, daß er so rasch als möglich nach Valparaiso komme. Dort vor dem Seegericht müsse ihm dann auch sein Anteil an Schiff und Ladung der untergegangenen »Carmencita« ausbezahlt werden.

Als der Steward die Nachricht zurückbrachte, daß der ›Washington‹ als nächsten Hafen die Fidschi-Inseln anzulaufen beabsichtigte, wagte ich das nicht zu übersetzen. Zwölf bis vierzehn Tage wäre der Mann nicht hinzuhalten gewesen. Ich wählte den Mittelweg. Ich sagte, der Kapitän wolle die nächste größere Insel anlaufen und ihn und seine Kameraden dort an Land setzen. Dabei hoffte ich die Schiffsleitung dazu zu bestimmen. – Mit dieser Auskunft gab sich der Chilene einstweilen zufrieden. Das Ruhebedürfnis war auch bei ihm ein sehr großes und als er erst zehn Stunden lang geschlafen hatte, war er ruhiger geworden.

Jetzt steckte ich mich hinter die Passagiere. Da man bemerkt hatte, daß ich in der Rettungsangelegenheit eine Rolle gespielt, wurde ich mit der Bitte um Erzählen geradezu erdrückt. Indem ich diesen Wünschen in weitestem Umfange gerecht wurde, kam mir plötzlich ein Gedanke, dessen Ausführung mir zur Erfüllung eines längst gehegten Wunsches helfen konnte. – Ich suchte die Passagiere dahin zu beeinflussen, daß sie den Kapitän zu einer Programmänderung veranlaßten. Statt geradewegs nach Viti Levu zu steuern, sollten sie ihn um vorheriges Anlaufen der Gesellschafts-Inseln bitten. Ich schilderte ihnen den Reiz dieser Eilande, die ich nie gesehen, in den glühendsten Farben. Schwärmte von dem Idyll der vertriebenen Königin, die für jeden Besuch dankbar sei und bezeichnete gerade jene Inselgruppe als etwas, das jeder gebildete Amerikaner einfach gesehen haben müsse.

Der Funken zündete. Bei der Mittagstafel brachte Miß Gould die Bitte vor. Sie unterließ es nicht, meine farbenreiche Schilderungen dabei gebührend zu unterstreichen, was mir einen zornigen Blick des Herrn Kommandanten eintrug. Gerade dieser Dame, die wohl großen Einfluß auf die Direktoren der Dampfergesellschaft zu haben schien, konnte der Kapitän nicht leicht etwas abschlagen. Er sagte anscheinend zu, kam aber mit so vielen »Wenn« und »Aber«, daß jedermann die Ablehnung deutlich herausfühlte. Ich ließ die Bemerkung los, daß ein deutscher Vergnügungsdampfer die Inselgruppen der Südsee gewiß nicht aus weiter Ferne seinen Fahrgästen zeigen würde:

»Das herrlichste an Naturschönheiten, daß es auf der Welt gibt, muß man gesehen haben. Und dann, Kapitän,« fügte ich hinzu, »können Sie in Papeete Ihre Geretteten am besten loswerden. Dort laufen oft Segelschiffe an, die nach dem Osten bestimmt sind, und die armen Kerle können von dort leicht in die Heimat zurückkehren, wo Frauen und arme Kinderchen zu dieser Stunde wohl schon bangenden Herzens nach dem sorgenden Vater ausschauen. Bedenken Sie das Leid, das über die bedauernswerten Menschen hereinbrechen muß, wenn Wrackteile des Schoners gefunden werden und die Kunde von dem Untergang des Schiffes nach Valparaiso gelangt, bevor die Geretteten in die Arme ihrer Familie zurückgekehrt sind.«

Das wirkte mehr als die begeistertste Naturschilderung. Das Thema wurde von den Damen so ausgeschlachtet und mit einer Gründlichkeit besprochen, der nur Amerikanerinnen fähig sind. Dem Kapitän blieb schließlich nichts anderes übrig, als seine Zustimmung zu der Abweichung zu geben.

»Wenigstens werde ich da die drei unangenehmsten Menschen los,« sagte er im Fortgehen zu seinem Ersten, der gerade neben mir stand.

»Sagen sie ruhig die vier, Käpt'n!« erwiderte ich lachend. »Ich werde Sie auch in Papeete verlassen.«

Was er zwischen den Zähnen als Antwort zerkaute, klang nicht wie Bedauern ...

Acht Tage später dampfte der »Washington« durch die unzähligen Eilande, die mit den Sammelnamen Paumotu-Inseln in die Weltkarten eingetragen sind. Hier belebte sich das bis dahin einsame Meer mit zahlreichen Einbäumen, die teils mit dem seitlichen Ausleger, als Schutz gegen das Umschlagen bei hohem Seegang versehen, teils aber als Kielboote gebaut waren. Die meisten oblagen dem Fischfang. Mit Speeren, Pfeil und Bogen gingen die braunen Söhne der Südsee den großen Fischen zu Leibe und fast jeder Pfeil traf sein Ziel. Unmittelbar nachdem der Pfeil von der Sehne geschnellt, sprang der Fischer in's Meer und warf seine zappelnde Beute in's Kanoe. Hierauf strich er sich das Wasser aus dem langen Haar und warf wohl einen spöttisch-geringschätzigen Blick auf den Hai, der eben heranschoß.

Zwischen den Inseln Pukaruha und Reao glitt der Dampfer in das nicht ungefährliche Fahrwasser. Auf der erstgenannten Insel fand ein Fest statt. Zahlreiche mit Blumen geschmückte Eingeborenenboote, deren jedes wohl an die zwanzig Menschen beförderte, strebten in langem Zuge dem Strande zu. Eine ohrenbetäubende Musik, die der Wind in kurzen Stößen an Bord trug, rief unsere sämtlichen Fahrgäste an die Reling. Unbegreiflicherweise schienen die Insulaner gar keine Notiz von dem nahenden Dampfer zu nehmen, so daß der Wachhabende auf der Brücke zur Dampfsirene greifen mußte. Der heulende Ton war aber noch nicht verklungen, als die ganze Flottille die bisherige Ordnung auflöste und wie ein Ameisenschwarm durcheinander fuhr, viele Ruderer warfen die Stangen in's Meer und suchten schwimmend den Strand zu erreichen. Andere Kanoes drehten von dem bisherigen Kurse ab, machten den Versuch, das nächstgelegene Eiland anzulaufen. Die uns zunächst treibenden Fahrzeuge, die wohl einsahen, daß eine Flucht nicht mehr möglich war, griffen ihre Waffen auf und schienen entschlossen, ihr Leben teuer zu verkaufen.

Die ungewohnte Aufregung bei unserem Erscheinen war uns allen unerklärlich. Ich kannte die Südsee von früher, hatte auch über diese Inselgruppe schon viel gehört, aber nichts, was diese offensichtliche Furcht vor dem Dampfer erklären konnte. Natürlich fragten auch die Passagiere nach den Gründen.

»Wahrscheinlich stehen die Franzosen, die sich die Herrschaft über diese Eilande anmaßen, in keinem guten Andenken bei den Eingeborenen,« erwiderte ich. »Man sieht hier selten große Schiffe und hält unsern ›Washington‹ vielleicht für ein französisches Kriegsschiff. Ich möchte den armen Menschen gern eine andere Meinung über uns beibringen. Wir störten sie mitten in einem großen Feste und brachten dadurch großes Leid über die Inseln.«

»Wenn es aber einem ihrer Götzen zu Ehren gehalten werden sollte, so war es ein gutes Werk, das wir begingen,« warf eine bigotte Dame mit scheinheiligem Augenaufschlage ein.

»Durchaus nicht,« gab ich zurück, »wenn die Leutchen das Bedürfnis fühlen, zu ihrem Gott zu beten und ihm für etwas zu danken, so sollen wir sie nicht stören. Im Gegenteil ...«

»Aber, mein Herr, das sind doch Götzendiener, Heiden, die man ausrotten sollte ...«

»Meist stecken unter der braunen Haut bravere Menschen, als unter mancher weißen. Ich habe Eingeborene kennen gelernt, an deren Lebenswandel sich mancher weiße Matrose ein Beispiel hätte nehmen können...«

»Aber das sind doch Menschenfresser, die hölzerne Götzenbilder anbeten,« jammerte die Dame, die ganz entrüstet war, daß ihr gegenüber jemand die Partei der Eingeborenen nahm, »wenn sie hörten, was unsere Missionare darüber zu erzählen wissen!«

Ueber dieses Kapitel weiß ich zufällig gründlich Bescheid und es war wohl mehr als Zufall, daß mich der Erste Offizier gerade jetzt abrufen ließ und mich zu sich bat.

»Wir steuern dicht an die drei Kanoes dort heran,« sagte er. »wenn Sie versuchen würden, mit den Eingeborenen zu reden...«

»Versuchen kann ich es ja, aber von deren Sprache habe ich keine Ahnung. Möglicherweise spricht einer französisch oder englisch. Jedenfalls aber kennen sie die Schnapsflaschen. Wenn sie das Verständigungsmittel anwenden wollen, dann sind wir sofort gut Freund.«

»Daran zweifle ich durchaus nicht,« gab er lachend zurück. »Ich für meinen Teil wäre einem guten White Horse auch zugänglich. Immerhin werde ich es dem »Alten« sagen. Die Damen peinigten ihn bis aufs Blut. Sie wollen unter allen Umständen die Braunfelle an Deck haben.«

»Halt!« Dagegen muß ich entschieden protestieren. Lassen sie um Gotteswillen die Eingeborenen nicht an Deck, wenigstens nicht in Anzahl, sie würden sie ohne brutale Gewalt nicht wieder los.«

»Ach, die Angst habe ich nicht! Wenn uns wirklich mehr besuchen wollten, als mir lieb ist, dann lasse ich die Treppe aufziehen. Sie können dann ruhig schimpfen.«

»Glauben sie denn, sie Unschuldsengel, daß die Braunfelle überhaupt die Treppe benutzen, um herauf zu kommen? Die sind oben, ehe sie die Treppe nur festgemacht haben ... Und schließlich möchte ich verhindern, daß man gegen die Menschen mit Gewalt vorgeht! ... Doch da sind die Kanoes. Sehen sie nur den bösartigen Blick, den uns der Mensch zuwirft. Ich werde ihn mit den beiden einzigen Phrasen, die ich von der Sprache der Cooksinsulaner einmal aufgefangen habe, begrüßen. – Haben sie die Flasche?«

»Versuchen sie es erst so. Es wäre schade um den guten Stoff!«

»Oh, Sie ...! Der Kapitän stiftet sie ja doch. Also her damit!«

Ich beugte mich so weit als möglich über die Reling, hob die Flasche und rief den Kanoeinsassen zu:

»Hare mai, otu! Joranna!«

Die Worte begleitete ich mit meinem gewinnendsten Lächeln. Beim Klang dieser Rede horchten die Männer auf. Einer erwiderte die Grußformel »Joranna«, während die übrigen erstaunt auf das sechs Meter über ihren Köpfen sich drängende fremde Volk blickten und ihren Augen wohl nicht trauten, als sie die kaum je gesehenen weiblichen Wesen sich in allen möglichen Verkleidungen (nach ihren Begriffen) auf die Reling schwingen sahen.

Der eine der Eingeborenen, eben jener, der mich begrüßte, rief mir nun einige Worte zu. Ich verstand sie nicht, schloß aber aus der Geste, daß er gern die Flasche haben wollte. Mein Nicken verstand er richtig. Auch meine nach einem Ton suchenden Blicke schien er zu verstehen. Kurz, er nahm mir die Mühe ab, ließ sein Kanoe an den langsam durchs Wasser gleitenden Dampfer laufen und war in wenigen Sekunden mitten unter den erschreckt auseinanderfahrenden Damen. Das gelinde Entsetzen ließ sich leicht erklären. Der Mann stand vor ihnen in dem Gewand, mit dem er zur Welt gekommen war, ohne einen anderen Faden, als die um den Nabel geschlungene Schnur. – Mit raschem Blick hatte er herausgefunden, daß ihm von unserer Seite kein feindseliger Angriff drohte. Das machte ihn sicher, und frei und offen trat er an mich heran und hielt mir eine kurze Rede, die er mit einer Gebärde schloß, die ich als Bitte auffaßte. Ich nahm die Flasche, zog den Kork heraus und setzte sie an die Lippen. Aufmerksam verfolgte der Braune jede Bewegung und da ihn mein Bart verhinderte, die Schluckbewegung zu beobachten, zögerte er eine Minute. Diese Pause benutzte geschickt der Erste Offizier. Er nahm mir die Flasche aus der Hand, zeigte dem wilden sein bartloses Kinn und tat dann einen langen Zug aus derselben.

»Siehst du, Braunfell, wie das hinunterläuft!« rief er dabei aus, während ich mich bemühte, den Inhalt für den Wilden zu retten. Die Situation war so komisch, daß sie schallendes Gelächter unter den Umstehenden auslöste, in das der Wilde herzhaft einstimmte.

Ob die Bootsinsassen die Lachsalve als eine Aufforderung gedeutet hatten oder ob sie die Neugier trieb, kurz, im nächsten Augenblick saßen etwa vierzig Männer auf der Schanzkleidung unseres Dampfers. Aus den erstaunten Mienen schloß ich, daß sie noch nie ein solches Schiff gesehen, noch weniger aber mit Wesen zusammengetroffen waren, die sich nach der Art der Damen einhüllten.

Das Erscheinen so vieler Eingeborener schien weder dem Kapitän, noch dem erstgekommenen Wilden angenehm zu sein. Ersterem hatte der Offizier meine Warnung hinterbracht, und obwohl er ebenfalls darüber in sein spöttisches Lachen ausgebrochen war, dachte er jetzt wahrscheinlich anders über den Besuch. Der Wilde aber fürchtete für sein »Feuerwasser«, das er mit den andern teilen mußte. Beide wandten sich jetzt an mich, und da der Kapitän so wenig wie der Wilde wußte, daß meine Sprachkenntnisse längst zu Ende waren, redeten beide auf mich ein. Soviel verstand ich, daß der Kapitän sich jeden weiteren Besuch verbat. Da ich eine Ansprache an das Braunfell von vornherein für aussichtslos hielt, ersuchte ich den Kapitän, die Dampfsirene in Tätigkeit zu setzen. Auf das Ablassen des Dampfes und das darauf folgende Geheul setzte ich große Hoffnungen.

Ich wurde nicht enttäuscht. Die Unterredung des sichtlich wütenden Kapitäns mit mir war natürlich der Aufmerksamkeit der noch immer scheu auf der Reling hockenden Eingeborenen nicht entgangen. Sie sahen, daß der Kapitän die Treppe zur Kommandobrücke hinauflief und dort an einer Leine riß. Schon beim Zischen des Wasserdampfes glitten einige der Aengstlicheren an dem Rumpf hinab. Der erste heulende Ton aber ließ auch die übrigen blitzschnell verschwinden. – während alles an die Reling stürzte, um dem Gebaren der Wilden zuzuschauen, lief ich zur Brücke.

»Stoppen sie die Maschine, um Gotteswillen, Käpt'n!« schrie ich und setzte eigenmächtig den Telegraph in Bewegung. »Die Kanoes treiben nach hinten ab und geraten in die Schraube...«

Wirklich wurde ein gräßliches Unglück nur um Haaresbreite verhütet. Die stillgelegte Schiffsschraube traf mit ihrer letzten Umdrehung noch den Ausleger eines Bootes und zersplitterte ihn. Die Eingeborenen aber ruderten, als ob es um ihr Leben ging, aus dem Bereiche des Ungetüms.

Mit größter Vorsicht setzte der ›Washington‹ seine Fahrt durch die Inseln fort. Kurz vor Einbruch der Nacht sichtete man den Vulkan auf Wahitahi, der sich mit zunehmender Dunkelheit mit einer dunkelrot glühenden Rauchkappe umzog. Hunderte von flackernden, auf dem Meere tanzenden Lichtern umgaben die Inseln der Haogruppe. Hier waren Eingeborene beim Trepangfange beschäftigt. Das Nahen unseres hellerleuchteten Kolosses rief auch bei diesen Wilden abergläubisches Entsetzen hervor. Die zahlreichen Boote stieben in wilder Flucht auseinander und retteten sich auf die vielen kleinen Inseln.

Mit Sonnenaufgang erblickten wir einen kleinen Dampfer, der aus einer Gruppe von Atollen auftauchte. Er lief eine Weile neben uns her und hißte dann die französische Zollflagge. Als der ›Washington‹ das Sternenbanner auswehen ließ, kam er in Rufweite. Er fragte nach dem Wohin und Woher und auf unsere Mitteilung, daß wir den Haupthafen der Gesellschafts-Inseln, Papeete, anzulaufen beabsichtigten, stellte er die weitere Frage, ob wir die neuesten Seekarten besäßen. Seit einem halben Jahre seien die Tiefenverhältnisse zwischen den Atollen der Marokan-Gruppe verändert und die Schiffahrt dort gefährlich. Nach diesem freundlichen Rat drehte er ab und verschwand dort, woher er gekommen war. Unser Kapitän fluchte.

»Konnte uns der verdammte Kerl nicht noch sagen, woher wir hier einen Lotsen nehmen, der das Fahrwasser kennt, wir können doch nicht wieder umkehren.«

»Wenn wir südlich um die Gruppe herumgehen, laufen wir keine Gefahr,« erwiderte der Erste. »Hier auf der Karte sind überall Tiefen von mehr als viertausend Yards angegeben und so hebt sich der Boden nicht, daß wir nicht ein paar Meter Wasser unter dem Kiel behalten sollten.«

»Eine mißliche Geschichte bleibt es dennoch. Hätte ich mich doch nicht verleiten lassen, die alte Route zu verlassen. Aber da kommt so ein Mensch und setzt den Passagieren weiß Gott was in den Kopf und ich muß auf so etwas eingehen! Oh, es ist zum ...«

Den Rest des Satzes verschluckte er, denn eben trat jene Dame auf das Oberdeck, die den Kapitän zu dem Abstecher veranlaßt hatte. Ich beschloß, mich zu rächen. »Sie haben wahrscheinlich gehört, Miß Gould, daß in diesem selben Augenblick von Ihnen die Rede war,« sagte ich nach der höflichen Begrüßung.

»Oh, das ist mir neu! Wer beschäftigte sich denn mit mir?«

»Die Herren auf der Kommandobrücke. Nachdem sie meiner liebevoll gedacht, sprachen sie auch von dem Passagier, der den Kapitän verleitete, zwischen diesen prachtvollen Inseln hindurchzusteuern. Das waren doch Sie, wenn ich mich recht erinnere.«

»Allerdings und ich bin froh, daß ich gestern die Wilden so ganz in der Nähe sehen konnte. Das ist doch eine große Seltenheit auf Vergnügungsdampfern. Der Kapitän wird sich doch auch darüber gefreut haben?«

»Nach dem, was ich soeben hörte, muß ich leider das Gegenteil glauben. Er bedauerte, daß er sich verleiten ließ, diesen Kurs zu steuern.«

»Was? Das hat der Kapitän gesagt? Ist das möglich? Haben Sie ihn nicht falsch verstanden?«

»Ich stand hier auf dieser Stelle und die beiden Herren unterhielten sich auf der Brücke über mir. Ein Mißverständnis ist ausgeschlossen. Mir kam es so vor, als sei ihnen nicht recht wohl in diesem fast unbekannten Fahrwasser...«

Meine Rede wurde durch den Kapitän unterbrochen. Er hatte jedes meiner Worte so gut gehört, wie ich vorher seine Auslassungen. Auf seinem Gesichte malte sich heller Zorn, als er auf die Dame zuschritt und ihr seinen Morgengruß bot. Sie unterbrach ihn jedoch, ohne seinen Gruß zu erwidern, mit den Worten: »Ich höre soeben, daß Sie es bedauern, uns diese Inseln gezeigt zu haben? Darf ich wissen, warum?«

Da ich keine Bewegung machte, ihm das Feld Zu räumen, konnte er die Tatsache nicht gut in Abrede stellen. Er berief sich auf die Angaben des französischen Dampfers und auf die mangelhaften Karten, über die er verfüge:

»Wenn wir wirklich auf einer Untiefe festgeraten sollten, so sind wir hilflos den Wilden ausgeliefert und die Verantwortung kann ich leider nicht auf mich nehmen,« schloß er.

Die Dame aber schien die Sache von einem andern Gesichtspunkte aus zu betrachten. Sie erwiderte kühl:

»Oh, ich wußte nicht, daß Sie sich vor den armen braunen Menschen fürchten. Nehmen Sie nur keine Rücksicht auf meine Wünsche, Sir. Ich werde auf einer nächsten Reise mit einem andern Schiff hierher zurückkehren. – werden Sie mich begleiten, Mr. Emmerich?«

Damit ließ sie den verblüfften Kapitän stehen und setzte an meiner Seite den Spaziergang auf Deck fort.

Wir steuerten einen Südwestkurs und sichteten mit der untergehenden Sonne die kleinen Nengonengo-Inseln, an deren Riffen wieder Trepangfischer tätig waren. Nun hatten schon gestern abend einige Passagiere den Wunsch geäußert, sich diese Arbeit der Eingeborenen genauer anzusehen. Heute wäre der Kapitän nicht abgeneigt gewesen, eine halbe Stunde in der Nähe der Fischer zu opfern, aber, als bei Tisch die Frage gestellt wurde, zeigte sich gar kein Interesse mehr dafür. – Der Kapitän fand es für gut, durch versteckte Anspielungen mich wieder als den Urheber der Obstruktion hinzustellen und da aller Augen auf mich gerichtet waren, schwieg ich auch nicht still.

»Ich weiß nicht, warum mich der Kapitän der Ehre würdigt, meine Person in Verbindung mit der Besichtigung der Holothurienfischerei zu bringen,« sagte ich, zur Allgemeinheit gewendet. »Ich kenne diese Art der Gewinnung des Trepang sehr genau und wenn ich auf die an mich gerichteten Fragen darüber erschöpfende Auskunft gab, so dürfte das eher zur Augenscheinnahme anregen. Ich verschwieg allerdings nicht, daß ich an den hier betriebenen Holothurienfängen zweifelte, da ich nie gehört, daß die Eingeborenen dieser Inseln die Seegurken als Nahrungsmittel verwenden. Aber eben darum wäre es mir persönlich sehr angenehm, wenn ich mir darüber Gewißheit verschaffen könnte.«

»Sie werden begreifen,« erwiderte der Kapitän rasch, daß ich wegen eines einzigen Passagiers nicht die Damen warten lassen kann...«

»Vollkommen, Herr Kapitän,« unterbrach ich. »Auch lege ich um so weniger Wert darauf, als ich dieses gastliche Schiff in Papeete verlasse und einige Wochen darauf verwenden will, die schönsten dieser Inseln zu besuchen und dort zu verweilen.«

Damit war zur stillen Genugtuung des Kapitäns die Angelegenheit erledigt, und er konnte seinen Willen durchsetzen, bis der helle Tag ihm wieder den Mut zurückgab, mit dreifach besetztem Ausguck das Schiff wieder Westnordwestkurs zu legen. Das brachte uns in die Nähe einer kleinen Insel Hereheretue, in dessen Riffen ein Segelschiff vor Anker lag. Zahlreiche Kanoes belebten das Binnenwasser, von denen einige bei unserer Annäherung aus dem Korallengürtel herauskamen und offensichtlich mit uns in Verkehr zu treten beabsichtigten. Die Kanoes waren voll herrlicher Früchte, die uns verlockend anlachten. Aber unsere Schiffsführung schien keine Lust zu haben, mit den Eingeborenen Tauschgeschäfte zu machen, obwohl dem Offizier auf der Brücke die verlangenden Ausrufe der Damen nicht entgehen konnten.

Da war es wieder Miß Gould, die das Wort ergriff und dem Ersten zur Brücke hinaufrief:

»Wollen sie nicht langsamer fahren lassen. Wir möchten nach der langen Reise einige frische Früchte von den Eingeborenen kaufen. Hier liegt keine Gefahr eines Ueberfalles vor, denn dort drüben ankert ja ein Segelschiff, das sicher weniger Besatzung hat, als unser Dampfer. Allerdings ist es ein englisches Schiff...«

Das Klirren des Maschinentelegraphen, der der Maschine das Langsamfahrsignal übermittelte, unterbrach die Rede der Dame, von der Brücke kam das Kommando, die Treppe herabzulassen und die Trillerpfeife des Bootsmannes beorderte einige Matrosen zur Wache und Regelung des Verkehrs an das Fallreep.

Wenige Minuten später schleppten schöngewachsene Eingeborene ganze Massen der herrlichsten Früchte auf Deck, die im Handumdrehen von den Passagieren gekauft waren. Mit der Bezahlung hatte es allerdings seine Schwierigkeiten. Geld kannten die Eingeborenen nicht. Sie erhielten als Bezahlung für die Kokosnüsse, die sie den Segelschiffen alljährlich einmal in Form von Kopra lieferten, nur Tauschartikel und zwar in der Hauptsache Mehl und Reis. Ich selbst führte all' die kleinen Dinge bei mir, die bei allen Eingeborenen, die fern vom Weltverkehr wohnen, sehr begehrt sind und ich machte daher den Anfang, meinen Anteil mit roten und grünen Glasperlen zu bezahlen. Der Jubel, den diese bei den braunen Schönen auslöste, veranlaßte auch unsere Damen, in ihren Koffern Umschau zu halten und nun kam eine Unmasse von Gegenständen zum Vorschein, die in kurzer Zeit unser Deck in einen großen Kramladen verwandelte. Bei dem Tauschgeschäft entwickelten sich rasch Freundschaften zwischen Weißen und Braunen und obwohl keiner den andern verstand, herrschte bald allgemeine Verbrüderung und Jubel und Fröhlichkeit.

Daß bei dieser Verbrüderung auch der Wunsch laut wurde, die Eingeborenen auf ihrer Insel zu besuchen, war nur natürlich. Einige sehr junge Damen traten zuerst zaghaft mit der Anregung hervor. Sie fand rasch Anklang und bald darauf war der Kapitän von Bittstellern jeden Alters und Geschlechts umringt. Da es diesmal nicht nur die Damen waren, die mit dem Wunsche, an Land zu gehen, hervortraten, so gab er nach kurzer Beratung mit seinen Offizieren nach. Ein großes Boot wurde zu Wasser gelassen und die Zahl der Andrängenden war so groß, daß es sie auf einmal nicht befördern konnte. Man sandte daher zuerst eine Anzahl Herren – auch ich war darunter – hinüber, damit den Damen der nötige Schutz zur Seite stünde! Du lieber Gott! Das harmlose Völkchen dachte gar nicht daran, den fremden Besuchern zu nahe zu treten!

Unsere kräftigen Matrosen ruderten uns in einer halben Stunde bis an die Insel, sie bestand eigentlich aus drei Teilen, die sich auf dem Rücken einer kreisrunden Korallenbank gebildet hatten. Innerhalb des Riffes war stilles Wasser, klar und durchsichtig, so daß es einen Blick bis tief hinunter auf die terrassenförmig aus dem Meere steigenden Wände gestattete, und uns die Wundertiere der Südsee in grünen und tiefblauen Schattierungen vor Augen führte. Das Binnenwasser war von zahlreichen Eingeborenenkanoes belebt, die vom Strande her vollgeladen zu dem Segler fuhren, um dort ihre Ware gegen Tauschartikel abzugeben. Jede einzelne Kanoemannschaft ließ sich sofort den Gegenwert für die angelieferte Ware aushändigen, was natürlich lange Zeit in Anspruch nahm und zu ewigen Streitigkeiten führte. Wie müssen die armen Insulaner schon betrogen worden sein, bis ein derartiges Mißtrauen bei ihnen Wurzel fassen konnte! Ein starker Strom trieb uns rasch durch die schmale Einfahrt in das ruhige Wasser des kreisrunden Kessels und nun entfuhr selbst mir, dem an tropische Pracht gewöhnten Reisenden, ein Ausruf der Bewunderung. Ein wahres Paradies lag da vor uns. Himmelhohe Palmen brachen sich Bahn durch einen blütenübersäeten Urwald gewaltiger Laubbäume, prächtige Orchideen und andere schönblühende Epiphyten streckten ihre süßduftenden Kelche der Sonne entgegen und aus dem Unterholz leuchteten goldene Früchte in üppiger Fülle. – Unter Kokospalmen versteckt, zog sich ein langgestrecktes Dorf auf niedern Pfählen errichteter Hütten längs der größeren der Inseln hin. Um den Anblick der paradiesischen Flora länger noch genießen zu können, schlug ich vor, zunächst eine der anscheinend unbewohnten Inseln anzusteuern und an deren Strande entlang zu dem Dorfe zu fahren. Bei unserer Annäherung an das Ufer erhoben sich Schwärme von Seevögeln aus den Randgebüschen. Zahlreiche Schildkröten von jener prächtigen Art, die uns das Schildpatt liefert ( Testudo imbricata), eilten dem schützenden Wasser entgegen, während ein paar schwarze Schweine neugierig herbeiliefen, um die fremden Ankömmlinge zu begrüßen.

Vor dem Dorfe rief unser Erscheinen die ganze Einwohnerschaft an den Strand. Mit unverhohlenem Erstaunen betrachtete man die niegesehenen Damen, doch zeigten die Frauen keinerlei Furcht, sondern kamen uns freimütig entgegen und waren sogar unsern weiblichen Begleitern beim Verlassen des Bootes behilflich. Zum Dank dafür, und um uns gut einzuführen, verteilte ich einige Hände voll Glasperlen, was auch hier große Freude hervorrief.

Kaum, daß wir den Strand betreten hatten, stieß das Boot wieder ab, um die nächste Ladung Neugieriger zu bringen. Hierdurch wurde anscheinend das Mißtrauen der Dorfbewohner geweckt, die wahrscheinlich glaubten, die fremden Ankömmlinge wollten sie aus ihrem Wohnsitze vertreiben, vergebens bemühten wir uns, den Leuten das Gegenteil zu beweisen, sie wichen scheu vor uns Männern zurück und suchten Schutz auf den niederen Plattformen ihrer Hütten. (Eine der Frauen nahm eine große Tritonmuschel und entlockte ihr weithin schallende Töne. Das war ein Signal für die Männer, die bei dem Schoner beschäftigt waren. Wir sahen, daß sich zwei Kanoes von dem Segler ablösten und eiligst zurückruderten. – Sie steuerten jedoch nicht auf das Dorf zu, sondern gingen einige hundert Meter unterhalb an Land. Eiligen Laufes verschwanden sie im Walde. Dort trafen sie die Frau, die ihnen von der mutmaßlichen Absicht der Weißen Mitteilung machte und sie zum Schutze ihres Eigentums aufforderte. – Die vier Männer zeigten wirklich Mut. Sie kamen, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, bis auf etwa fünfzig Meter an uns heran und der Aeltere von ihnen fragte uns in seinem Pidschin-Englisch, warum wir ihr Dorf überfielen.

Run war wenigstens die Möglichkeit einer Verständigung gegeben. Einer unserer Mitpassagiere sprach dieses verstümmelte Englisch fließend. Nachdem auf diese Weise den Dörflern unsere friedliche Absicht und der Wunsch, sie in ihren Lebensgewohnheiten kennen zu lernen, klargemacht war, kannte die Freude keine Grenzen. Wie an Bord, so war auch hier im Handumdrehen ein enger Freundschaftsbund zwischen den Rassen geschlossen. Als das Boot wieder anlegte und diesmal in der Mehrzahl Damen brachte, glaubte der Häuptling es seinen Gästen schuldig zu sein, daß er die Arbeiten am Schoner unterbrach. Die Muschel rief sämtliche Kanoes zurück und nun wimmelte bald der Strand von unbekleideten Insulanern und in luftige Stoffe gekleideten Amerikanern beiderlei Geschlechts. Ls waren weit über vierzig braune Männer und fast ebensoviele Frauen da, die den sechzig Dampfergästen ein echtes Eingeborenenfest gaben. Die Männer schleppten herbei, was nach ihren Begriffen würdig der hohen Besucher war. Große, schön gezeichnete Fische, taubenartige Vögel und sogar ein Ferkel zierte das schnell improvisierte Festmahl. Mit einer fabelhaften Geschwindigkeit entfachten die Eingeborenen ein gewaltiges Feuer am Strande, steckten die Fische auf die Spitzen ihrer Pfeile und ließen sie am hellen Feuer anbraten. Mit den so zubereiteten Meeresbewohnern traten sie an die Damen heran und boten ihnen die nach ihrer Meinung leckere Delikatesse. Da ich schon auf der Hinfahrt die Passagiere daraus aufmerksam gemacht hatte, daß die Eingeborenen eine tödliche Beleidigung in der Verweigerung einer Speise erblickten, so nahm jeder die gereichte Gabe mit einem verzweifelten Seitenblick auf den Nachbarn, denn keiner besaß ein Besteck und ohne dieses Kulturrequisit hatten wohl nur die wenigsten ein Mahl genossen. Ich machte daher den Anfang, indem ich meinen Fisch an seinen beiden Enden packte und herzhaft hineinbiß. Daß er nur halbgar war, bemerkte ich gar nicht.

Nun folgten einige Damen meinem Beispiel. Es war ergötzend zu sehen, wie linkisch sie sich dabei benahmen. Ich ermunterte sie jedoch zum Zubeißen, in dem ich meiner Tischdame von Bord zurief:

»Nehmen sie keine Rücksicht auf Ihr weißes Kleid, Miß Price. Ehe sie den ›Washington‹ wieder betreten, leuchtet es doch in allen Farben. Der Fisch ist ja noch harmlos gegenüber den Tauben. Und wenn dann der Schweinebraten serviert wird, schwimmen wir buchstäblich in Fett.«

»Hören sie auf,« rief die Dame entsetzt, »wir sollen doch das nicht alles essen, was hier herumliegt. Damit kann man ja unsere ganze Mannschaft ein paar Tage sättigen.«

»Das ist noch nicht alles, verehrte Dame. Sie hören doch, daß man eben ein junges Borstentier bei den Ohren zum Feuer zieht. Das bildet den Glanzpunkt. Während es bratet, gibt man uns zum Zeitvertreib die Vögel, die hier liegen. Wenn ich Ihnen raten darf, suchen Sie sich eine junge Taube aus, denn wenn Sie einen Kakadu erwischen, kauen sie morgen früh noch daran. Sehen Sie, hier ist ein kleines Täubchen.«

Ich suchte auch mir ein solches aus dem Haufen und zog mein Taschenmesser, um es auszuweiden. Auch meiner Dame bot ich meine Dienste an.

»Sie müssen doch die Tauben erst rupfen,« rief sie mit einer komischen Geste, als sie bemerkte, daß ich zur Oeffnung des Körpers schritt.

»Ach nein, Verehrteste, das ist bei den Wilden ein längst überwundener Standpunkt,« entgegnete ich belustigt. »Hier herrschen Gebräuche, von denen wir noch nicht viel wissen. Sehen Sie dort den gelben Haufen? Das ist Lehm. In diesen wickelt man den ausgenommenen Vogel – das heißt, die Wilden halten das Ausnehmen auch für überflüssig – und formt daraus einen hermetisch verschlossenen Klumpen. Diesen wirft man in die heiße Asche und Sie werden staunen, wie gut das Tier schmeckt.«

»Woher kennen Sie denn diese Zubereitungsart?« fragte Miß Price, höchst erstaunt über die Beschreibung.

»Hm, ich lernte sie vor mehr als zehn Jahren auf Neuguinea kennen. Beinahe wäre ich da allerdings auch leidender Teil bei einer solchen Mahlzeit geworden.«

»Gott, wie interessant!«

»Na, für mich war es das keineswegs, denn ich saß ziemlich dicht beim Bratspieß der Wilden. Gar so interessant fand ich den kritischen Augenblick gerade nicht. – Doch da kommt das Prachtstück, das Ferkel... Blicken sie zur Seite, Miß, denn eben befördert man das arme Vieh vom Leben zum Tode.«

»Gott, wie grausam!« schrie die Dame, als sie hörte, daß dem Tiere mit einer Keule der Schädel eingeschlagen wurde. Sie sah aber trotzdem zu der Gruppe hinüber. Plötzlich rief sie ängstlich:

»Für wen wird denn dort das Grab ausgeworfen? Sehen sie doch, man gräbt ein tiefes Loch. Es wird doch niemand getötet?«

»Außer dem Schwein nicht, und das hat es überstanden. Uebrigens ist das die Grube für diesen Toten bestimmt. Er wird darin gebraten.«

»Ach nein, Sie machen sich über meine Unwissenheit lustig!«

»Das würde ich niemals wagen! Es ist so wie ich sage, wenn sie genau aufmerken, werden Sie sehen, daß ich recht habe. – Uebrigens sind unsere Tauben fertig. Die wilden Damen verteilen bereits die Speisen. Sie werden erfreut sein, wenn sie bemerken, daß wir ihren Gebräuchen Rechnung tragen.«

Ich nahm die beiden Lehmklumpen, die große Risse zeigten und schlug sie mit einem Stein auseinander.

»Hier, meine Gnädigste! wie sie sehen, sitzen Haut und Federn in dem zu Stein gebrannten Lehm, während das Fleisch appetitlich gar gekocht ist. so reinlich werden die gefiederten Braten bei uns nicht zubereitet.«

»Wenn ich doch nur ein Messer hätte ...«

»Das ist hierzulande nicht üblich. Folgen sie meinem Beispiel. Brauchen Sie ihre zarten Finger...«

»Aber das Fett beschmutzt mich ja!«

»Ich hatte bereits die Ehre, sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Kleider in ziemlich buntem Farbenspiel an Bord zurückkehren. Achten sie nicht weiter darauf. Es geht uns allen nicht besser. – Nur Mut! Reißen sie zuerst den Flügel aus... Sehen Sie so!«

Zagend, als ob es sich um eine Operation handelte, zupfte Miß Price an dem Flügel. Aber so einfach ging das doch nicht. Erst als sie kräftig daran riß, gab der Knochen nach. Gleichzeitig ergoß sich aber auch ein Strahl flüssigen Fettes über ihre Bluse, der ihr einen Entsetzensschrei entlockte.

»Jetzt brauchen sie nicht mehr für Ihr Kleid zu bangen,« tröstete ich. »seien sie froh, daß es so weit ist. Das Essen wird Ihnen besser munden. – Uebrigens wird dort das Schwein zubereitet. Interessiert es sie auch, dessen Zubereitung kennenzulernen?«

Wir überkletterten ein paar neben uns im Sande liegenden braune Sprößlinge und gingen, in der Hand die Reste der Taube, zu der Grube, um die sich die Eingeborenen in dichter Reihe scharten, sie freuten sich im voraus auf den Festbraten. – In der Vertiefung lag, auf grüne Bananenblätter gebettet, das ausgenommene Schwein. Eben füllte eine Frau mit zangenartig geformten, gespaltenen Bambusstäben das Innere des Tieres mit großen Steinen, die in der Asche des Feuers zur Rotglut erhitzt worden waren. Dann legte sie eine Schicht kleinerer glühender Kiesel auf dessen Außenseite und bedeckte auch diese mit einer Schicht grüner Blätter. Das Ganze wurde mit einer dicken Erdschicht zugeworfen. Da die Eingeborenen sich wieder dem Feuer zuwandten, kehrten auch wir auf unsern Platz zurück. Miß Price hatte inzwischen Gelegenheit gefunden, ihre Taube zu »verlieren«. Sie gab eben ihrer Genugtuung darüber Ausdruck, als sich ihr ein hübscher brauner Bursche näherte, und ihr auf dem Pfeil eine braune Walze brachte.

»Um's Himmels willen, was ist denn das?« fragte sie entsetzt.

»Nehmen Sie es. Der junge Mann ist sonst beleidigt. Beißen Sie ein Stück ab davon, dann geht er wieder.«

»Kann man das denn essen? Ich bin ja so gesättigt!«

»Das ist der Übergang zum Schweinebraten,« sagte ich. »Die Gäste müssen beschäftigt werden. – Bitte, beißen Sie hinein... der Braune zieht schon die Stirn kraus.«

»Wenn ich nur wüßte, was das ist!«

»Ich sage es Ihnen dann... Nun, es schmeckt ganz gut, nicht wahr?«

»Ja, nicht schlecht, wie eine Auster.« – »Das sind Holothurien. Die Tiere, über die wir gestern abend an Bord sprachen. Getrocknet führen sie den Namen Trepang, sie leben von Algen, die sie auf den Koralleninseln abweiden. Alle Südsee-Insulaner lieben die Speise. Sie werden zugeben, daß sie nicht schlecht schmeckt.«

»Allerdings. Ich fange an zu begreifen, daß die Insulaner Feinschmecker sind. Die Gerichte, die man uns bot, gehören auch bei uns zur feineren Küche. Fische, Tauben, Seetiere, Schweinebraten...«

»Und was dann noch folgt: Ich sehe dort Eier, Hummern, Schildkröten...«

»Aber das wollen wir doch nicht alles noch essen? Nein, nein, ich bringe nichts mehr herunter.«

»Ich höre eben, wie einige der Damen dort drüben dasselbe sagen. Es wird aber nichts anderes übrig bleiben.«

»Dann lasse ich mich an Bord rudern!«

»Glauben sie, daß die Matrosen sich die gute Gelegenheit zu einem Schweinebraten entgehen lassen? Sie würden vergeblich nach ihnen rufen.«

»Dann rudern sie mich hinüber!«

»Dazu ist das Boot zu schwer. Draußen steht der Wind nach dem Lande zu und gegen Wind und Strömung kann ich allein nicht rudern.«

»Oh, es werden Ihnen einige unserer Herren helfen. Ich werde gleich fragen.«

Miß Price kehrte nach einer Weile ziemlich kleinlaut zurück.

»Die Herren zeigen keine Lust, jetzt schon an Bord zurückzukehren. Auch die Damen wollen noch bleiben.

Nach dem Essen würde ein Tanz aufgeführt und den will man sich nicht entgehen lassen.«

Die Aussicht auf den Tanz schien auch meiner Begleiterin den Appetit wiedergegeben zu haben. Sie wehrte sich nur noch schwach gegen den fettriefenden Schweinebraten, der ihr wieder von dem hübschen Burschen gebracht wurde, welcher die Holothurie kredenzte. Daß das Kleid bei der Mahlzeit sehr schlecht wegkam, spielte nun keine Rolle mehr. – Ebenso willfährig nahm Miß Price die Möweneier und den gerösteten Hummer aus der Hand desselben Eingeborenen entgegen.

Inzwischen waren vereinzelte Damen und Herren aufgestanden und hatten sich zwischen den Hütten umgesehen. Nach und nach folgten die übrigen, und um nicht mit meiner Dame allein am Feuer zu sitzen, erhob auch ich mich. In diesem Augenblick bot der galante junge Insulaner sein Kanoe zur Fahrt an die Riffe an. Ich lehnte ab, aber meine Begleiterin glaubte annehmen zu sollen.

»Oh, wir sind gleich wieder zurück!« rief sie. »Die kühle Brise wird mir gut tun. Erwarten Sie mich hier an dieser Stelle.«

»Dann streife ich durch die Wälder, verfehlen können wir uns nicht. Das Boot kehrt um sechs Uhr an den ›Washington‹ zurück. – viel Vergnügen, Miß Price.«

Dem Forscher bot die Insel nichts besonders Wertvolles. Zwischen den Palmen fanden sich viele Eisenholzbäume ( Cordia), die heute auf den Südsee-Inseln bereits selten werden. Ihr Holz ist, wie schon der Name sagt, sehr dauerhaft und darum sehr gesucht. Da sich kein Mensch Mühe gibt dem Raubbau Einhalt zu tun, ist die Zeit nicht mehr fern, wo der letzte Baum verschwunden sein wird. – Sehr zahlreich waren Spinnen und Ameisen, die wohl durch Schiffe hierher verpflanzt worden sind, denn jedes Handelsschiff in den Tropen hat seine Ameisenfauna und bringt alle Arten dieser Insekten aus einer Gegend in die andere. Am meisten wunderte ich mich über das Vorkommen des großen Atlas-Nachtfalters ( Attacus atlas), der auf den Sunda-Inseln und in Indien heimisch ist. – Ein Sirenenton vom Dampfer mahnte zur Rückkehr. Als ich an den Strand kam, fand ich noch eine prächtige junge Carett-Schildkröte, die ich später in Papeete einem Naturfreunde verehrte.

Dem Ruf folgten nur wenige Passagiere. Ich war der dritte, der sich einfand. Nach und nach erschienen noch einige ältere Damen und Herren. Da der Bootsmann erklärte, auf das Signal hin an Bord zurückkehren zu müssen, hob er den Anker und segelte heimwärts, nicht ohne den suchenden Blick oftmals rückwärts zu wenden. Dicht bei der Durchfahrt sahen wir Miß Price mit dem Eingeborenen auf dem Korallenriff herumklettern, wir steuerten dicht an sie heran und luden sie ein, in unser Boot zu springen, da in wenigen Minuten die Nacht hereinbrechen mußte. Sie wehrte lachend ab und gab zur Antwort, sie würde mit dem nächsten Boote kommen. Sie wolle vorher noch ein wenig schwimmen. Der Kapitän war äußerst ungehalten über die Saumseligkeit seiner Fahrgäste. Er ließ seinen Zorn an dem Bootsmann aus, der natürlich keine Schuld trug. Aus den an diesen armen Teufel gerichteten harten Worten entnahm man unschwer, wer mit der Apostrophierung gemeint war. – Zum Schluß seiner Rede ließ er die Sirene lange brüllen und sandte dann nochmals das Boot ab. Dem Bootsmann schärfte er ein, diesmal alle Fahrgäste, und zwar so schnell als möglich, zurückzubringen. Er bedachte aber nicht, daß das Boot nur höchstens vierzig Köpfe fassen konnte und noch mindestens fünfzig Passagiere auf der Insel weilten. Ich wollte ihn anfangs auf das Mißverhältnis aufmerksam machen, zog dann aber vor, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Mochten sie sehen, wie sie fertig wurden!

Die Sonne war inzwischen in den Ozean getaucht und die frische Nachtbrise wiegte den großen Dampfer langsam auf den schwach phophoreszierenden Wellen. Von der Insel drangen verschwommene Töne herüber, die darauf schließen ließen, daß das Tanzfest in vollem Gange war. Ob die Fahrgäste während der Lustbarkeiten die Insel verlassen würden, hielt ich für äußerst zweifelhaft. Ich sagte das dem zweiten Offizier, der sich zu mir an die Reling gelehnt hatte und knüpfte daran die Bemerkung, daß es die Insulaner übel aufnehmen könnten, wenn man so brüsk aufbräche.

»Unser ›Alter‹ nimmt das noch viel ungnädiger auf,« erwiderte er. »Ich glaube nicht, daß der Häuptling da drüben so zornig werden kann, wie der da droben« – er deutete auf das Navigationszimmer – »in diesem Augenblick ist. – Uebrigens hat er so unrecht nicht, wir sitzen hier in einem fast unbekannten Fahrwasser, von dem nur sehr alte Karten an Bord sind und laufen Gefahr, bei unruhigem Wetter auf irgendein Riff zu laufen. Es ist mindestens rücksichtslos von den Passagieren, daß sie mit Einbruch der Nacht nicht zurückkamen. So interessant kann doch der Humbug nicht sein, daß man darüber seine Pflichten vergißt!«

»Nun, Humbug ist so ein echter Tanz der unzivilisierten Eingeborenen keineswegs. Es liegt für den Forscher ein tiefer Sinn darin. Die meisten der Gäste sehen sich die Belustigung aber nur an, um eine Unterbrechung in das eintönige Bordleben zu bringen. Andere wieder finden einen Nervenreiz in dem Verkehr mit den in ihrer paradiesischen Unverdorbenheit lebenden Naturmenschen. Ich wäre nur des Tanzes wegen dageblieben, wenn...«

»Warum vollenden Sie nicht?«

»Na ja, sagen wir, wenn ich das Schauspiel in Gesellschaft von Kollegen oder doch ernsten Männern hätte genießen können.«

»Es sind doch unsere alten Herren auch drüben. Sagen Ihnen die nicht zu?«

»Nein, denn sie betrachten das Leben der Eingeborenen mit ganz andern Augen. Außerdem wirkt die Anwesenheit so vieler Damen in luftiger Bordtoilette störend. – Doch ich höre Ruderschläge. Das Boot kommt!«

»Ich will nur wünschen, daß er alle Passagiere mitbringt,« erwiderte mein Nachbar, »sonst kracht's da oben.«

Die schwachen Funken, die am Bug des rasch herannahenden Bootes aufleuchteten, zeigten uns, daß die Mannschaft sich alle Mühe gab, ihren Kapitän zufrieden zu stellen. Der Offizier, der die Laterne über Bord hängen ließ, um den Ankommenden die Treppe zu zeigen, bestätigte das und wollte eben einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen, als er sich weit vorbeugte und mir zurief:

»Das Boot kommt ja wieder halb leer! Es sind kaum fünfundzwanzig Personen darin! Na, das Donnerwetter!«

Er hatte recht gesehen. Neunundzwanzig Passagiere hatten dem zweiten Sirenenrufe Folge geleistet. Einundzwanzig fehlten noch. Ein älterer Herr, der als General in die Schiffsliste eingetragen war, übernahm es, dem Kapitän, der an die Treppe getreten war, die Entschuldigung der Fehlenden zu überbringen.

»Sie können unmöglich verlangen, Käpt'n, daß das junge Volk mitten aus dem Tanzvergnügen heraus, auf Ihren Ruf an Bord eilt. – Die Damen und Herren amüsieren sich zu gut. – Sie sollen das Boot in zwei, drei Stunden nochmals senden!«

»Ich werde den Teufel tun!« polterte der Kommandant los und auf seiner Stirn schwoll die Zornesader. »Mögen sie die ganze Rächt hindurch tanzen. Ich fahre weiter!«

»Das werden sie nicht tun, Käpt'n!« erwiderte ruhig, aber fest, der General. »Unsere Freunde tanzen natürlich nicht, sondern sind nur Zuschauer. Aber bevor die Eingeborenen nicht aufhören, werden auch die Passagiere nicht kommen.«

»Das kann drei Tage dauern!« warf ich ein.

»Wieso drei Tage?« fragte man.

»Ich habe Feste der Südsee-Insulaner mit angesehen, die ohne Unterbrechung drei Tage und Nächte dauerten. Sie nahmen auch nur deshalb ein Ende, weil sich kein Mitglied des Stammes mehr auf den Füßen halten konnte.«

»Und so lange soll ich hier warten? Nie!« brüllte der Kapitän. »Vorwärts – Hoch den Anker!«

Wie ein Ameisenhaufen stieb die Mannschaft auseinander, um den Befehl auszuführen. Bald hörte man das Schlagen der Ankerwinde und gleich nachher die Meldung »Anker klar.« Unmittelbar darauf begann die Schraube Zu arbeiten und langsam glitt der »Washington« in die offene See.

Einer der zuletzt gekommenen Passagiere fragte mich:

»Wird der Kapitän die Damen wirklich zurücklassen?«

»Gewiß nicht! Es ist aber das einzige Mittel, um die noch auf der Insel weilenden Fahrgäste zur Besinnung zu bringen, wenn sie das Schiff nicht mehr sehen, schwindet ihre Zuversicht und vor allen Dingen: die Eingeborenen werden zudringlich!«

»Das möge Gott verhüten! Die armen Damen werden ja eine furchtbare Angst ausstehen...«

»Sind denn nur noch Damen drüben?«

»Höchstens noch fünf oder sechs Herren – und nicht gerade die Mutigsten. Wäre es nicht besser, Sie machten den Kapitän auf die gefährliche Lage der Zurückgebliebenen aufmerksam?«

»Ich? – Nein! Ich mag mich in die Entschließungen des Kapitäns nicht einmischen. – Uebrigens wird es für die Damen eine Warnung sein. Ein zweites Mal find sie vorsichtiger.«

»Wenn ihnen aber etwas zustößt.«

»So können wir das auch nicht ändern. Uebrigens liegt ja der Schoner noch in der Lagune. Dessen Mannschaft wird im Notfalle Hilfe leisten.«

»Hm – es find fast nur Farbige...«

»Um so schlimmer! Ich habe es an Warnungen nicht fehlen lassen, aber man lachte mich nur aus. Miß Price zum Beispiel kletterte mit einem der Braunen auf den Riffen herum und wollte, wie sie sagte, noch ein wenig schwimmen. Auch sie hörte nicht.«

»Miß Price holte sich einige der Damen, die dann mit auf die Riffe gingen, was dort Interessantes zu sehen war, weiß ich nicht. Als wir heimfuhren, hörten wir fröhliches Lachen vom Riff her.«

»Sie werden den wilden ihre Schwimmkünste gezeigt haben! – Aber nun will ich in meine Koje kriechen, es ist spät.«

Lange vor Sonnenaufgang war ich auf Deck. Aus dem Dunste der nahen Dämmerung hoben sich undeutliche Umrisse einer Insel ab. Der schwache Donner einer Brandung drang an mein Ohr. – Auf der Brücke gewahrte ich neben dem zweiten Offizier den Kapitän. Da ich diesem, wenn es irgend möglich war, aus dem Wege ging, verzichtete ich auf den beabsichtigten Blick auf den Kompaß. Nach den Sternen stellte ich fest, daß wir auf Ostkurs lagen. Da wir die Konturen des nahen Landes an Steuerbordseite hatten, wußte ich, daß wir die Insel in der Nacht in weitem Bogen umfahren hatten. Mit Sonnenaufgang würden wir wieder vor der Einfahrt liegen.

Meine Annahme erwies sich als richtig. Mit dem ersten Sonnenstrahl ließ der ›Washington‹ seine Sirenentöne erschallen. Gleichzeitig setzte er das Boot aus, um zum dritten Male die Fahrt nach der Insel anzutreten. Die Arbeit wurde den Rudersleuten jedoch erspart, denn in diesem Augenblick schoß der Segler aus der Lagune, begleitet von einem großen Schwarm lärmender Insulaner. – Mit großem Interesse beobachtete ich durch mein Fernglas das lustige Treiben, ohne zunächst dessen Ursache feststellen zu können. Als ich dann bemerkte, wie der Schoner gegen uns aufkreuzte, sah ich, daß an dessen Deck ein ungewöhnliches Durcheinander herrschte. Ich unterschied die in der Sonne glänzenden braunen Leiber der Eingeborenen. Dann entwickelten sich helle Figuren aus den Massen...

»Donnerwetter, Kapitän, der Segler hat unsere Passagiere an Deck,« rief ich zur Kommandantenbrücke hinauf.

»Mag er sie behalten. Ich gönne sie ihm,« erwiderte er unwirsch. Als er aber die erstaunten Gesichter einiger Herren auf sich gerichtet sah, schwächte er seine Worte ab und fügte hinzu: »Das bringt ihm einen Extraverdienst, den er gut vertragen kann.«

Das Uebernehmen der Passagiere vom Segler ging ziemlich rasch vonstatten. Eingeborene ließen es sich nicht nehmen, dabei hilfreiche Hand zu leisten, wobei unsere Damen oft in recht bedenkliche Situationen gerieten. Schließlich aber standen alle unversehrt, wenn auch mit recht übernächtigten Spuren auf den schläfrigen Gesichtern, auf Deck. – Nun erschien auch der Steuermann des Schoners und verlangte Bezahlung. Die Damen hätten ihn veranlaßt, sie nach Papeete zu bringen. Er habe vorzeitig seine Ladearbeit unterbrochen und verlange nun Entschädigung.

Bei der Gemütsstimmung unserer Schiffsleiter ging die Regelung der Angelegenheit nicht so einfach vonstatten. Der englische Steuermann verfügte über einen ebenso reichen Wortschatz an seemännischen Kraftausdrücken wie sein amerikanischer Kollege, nur daß ersterer die weniger gewählten Redewendungen in drastischerer Weise zum Ausdruck brachte, als dieser. Zum Unglück mischte sich auch eine der zurückgebliebenen Damen zugunsten ihres Landsmannes in den Streit, der nun Formen annahm, die die Damen in schleunige Flucht trieb. Durch die Intervention eines Herrn wurde die Forderung des Engländers bewilligt und der Dampfer setzte seine Reise fort, ohne die auf eine Entlohnung rechnenden Insulaner auch nur zu beachten.

Die Stimmung unter den Passagieren hatte durch das unbesonnene Verhalten der jungen Damen einen starken Stoß erlitten. Die amerikanische Prüderie konnte sich nicht damit abfinden, daß sich einige Mitglieder der guten Gesellschaft ohne die nötige Aufsicht mit den Insulanern unterhalten hatte. Es kam zu recht unangenehmen Auseinandersetzungen in den Kabinen, deren dünnen Wände nicht immer die nötige Diskretion wahrten. so kam es, daß einige der besonders gekränkten Damen beschlossen, im nächsten Hafen das Schiff zu verlassen. – Ich selbst atmete auf, als wir einige Tage später die Berge von Tahiti sichteten. Ich hatte genug von dem amerikanischen Vergnügungsdampfer. Leichten Herzens nahm ich Abschied von den Mitreisenden und wandte meine ganze Aufmerksamkeit dem Hafen von Papeete zu. Die ziemlich hohen, bis in die höchsten Punkte dicht bewaldeten Gipfel des Gebirges fesselten mein Auge. Im Geiste sah ich mich schon dort oben im Kampfe mit Schlinggewächsen und stachelbewehrten Büschen. – Dann tauchte neben der Einfahrt in die Riffe ein paradiesisch schönes Inselchen, Motu Uta, vor uns auf, an dessen Strand mir allerdings eine bittere Pille in den Freudenkelch geworfen wurde. Französische Offiziere lustwandelten dort mit braunhäutigen Schönen und winkten dem Riesendampfer Grüße zu.

Langsam durchfuhren wir die Einfahrt und genossen in vollen Zügen das reizende Bild, das der Hafen von Papeete von der Seeseite bildet. Zu beiden Zeiten ging der Kranz der Riffe in breite Landzungen über, aus deren dicht bewachsenen Gestaden die Dächer freundlicher Hütten hervorschimmerten. Am Strande tummelten sich Scharen von braunen Kindern in den leise herankriechenden Wellen und ihr frohes Jauchzen klang wie ein herzliches Willkommen hinüber zu den geputzten Menschen auf dem großen Ozeanriesen. Auf der inneren Seite des Bogens zieht sich langgestreckt die eigentliche Stadt hin, die eher einer Kolonie von Gartenhäusern und unter Palmen versteckten Farmen, als einer Handelsstadt gleicht.

Einige Hundert Meter vom Strande rasselte der Anker in die Tiefe. Fünf Minuten später schwärmte das Deck von braunen Gestalten.

Wenn ich von Tahiti hörte, dann schwebte mir immer eine kleine Inselstadt vor Augen, in denen die Eingeborenen noch den hervorragendsten Bestandteil der Bevölkerung ausmachten und Weiße nur in der Minderzahl vertreten waren. Hier aber erlitt ich eine arge Enttäuschung. Zwar war das angegebene Verhältnis der Bevölkerung zueinander noch vorhanden, aber die braunen Söhne und Töchter dieser prachtvollen Inselwelt hatten nichts mehr von ihrer Ursprünglichkeit. Sie sprachen kaum noch ihre Sprache. Dagegen machten sich Europäer und Mischlinge überall breit. Die meisten Kaufläden befanden sich in den Händen von Franzosen und Engländern. Ein paar deutsche Namen fand ich in der Nähe der Bootslandung vertreten, darunter auch eine Niederlassung des Hauses Godeffroy in Hamburg. Jener Firma, der ich während meiner ersten Reise in die Südsee so vieles zu verdanken hatte. (vergl. Band I Unter den Wilden der Südsee.) Leider war der eigentliche Chef des Hauses in Europa. Sein Vertreter, ein Mischling, der nur gebrochen deutsch sprach, machte aber einen so unangenehmen Eindruck auf mich, daß ich mich nicht länger bei ihm aufhielt.

Wie überall, wo Franzosen die Herrschaft an sich gerissen haben, gab es auch hier ein Grand Hotel de France. Der Besitzer, ein Mann mit einem ausgeprägten Sträflingsgesicht, suchte mich schon an Bord für seinen Gasthof zu gewinnen. Ich ließ ihn aber einstweilen im Unklaren über meine Absichten und beschloß, erst einmal einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Zu oft war ich schon in den tropischen Hotels mit dem hochtönenden Namen hereingefallen. Mit einigen Bordpassagieren landete ich denn auch, von dem Bummel durch die ausgedehnte Stadt ermüdet, in dem Speisesaal des genannten Hotels, wo sich sofort eine Schar gelbhäutiger Burschen in sehr fragwürdigen, einst weiß gewesenen Kitteln auf uns stürzten. Im Handumdrehen standen rissige Steingutteller, von Fliegen beschmutzte Gläser und einige Flaschen einer schwarzroten Flüssigkeit vor uns, die man uns als Vin de Bordeaux bezeichnete. – Es bedurfte nur einer kurzen Beratung unter uns, um unsern Entschluß, lieber gar nicht, als hier zu essen, zu fassen. Da wir aber einmal den Raum betreten hatten, forderten wir Whisky mit Soda, wobei ich dem bedienenden Boy ausdrücklich befahl, die Flasche mitzubringen. Die Vorsicht erwies sich als angebracht, denn obwohl der Kellner erst versichert hatte, das Getränk sei da, kam er nach langem Zaudern endlich mit einer Flasche Kognak unbekanntester Marke. – Da ich nicht mit Unrecht auf einen ähnlichen Zustand der Zimmer schloß, unterließ ich deren Besichtigung.

Nach dieser ersten schlechten Erfahrung begaben wir uns, mit einer großen Dosis Mißtrauen ausgerüstet, in die Rue de la Plage, wo wir das Schild eines American Hotel gesehen hatten. Hier trafen wir bereits einige Mitpassagiere vor einem Gericht gebratener Bananen, das sehr einladend aussah. Es schmeckte auch ganz gut. Der nächste Gang aber schüttelte uns die Gedärme durcheinander. Der Boy brachte ein Gericht, das einen Duft ausströmte, der mir unwillkürlich den alten Hafen von Marseille ins Gedächtnis rief. Nur dort konnte man dieses Gemisch von Knoblauch, Safran und – Stockfisch vertragen. Und das wurde uns hier serviert! Man denke, ausgerechnet in Tahiti Stockfisch! Auf einer Insel, deren Binnenwasser die feinsten Fische beherbergt, die nur je im weiten Weltmeer vorkommen. Ich kargte dem Wirt gegenüber auch nicht mit meiner Entrüstung über diese Zumutung. Achselzuckend erwiderte er: »Was wollen sie? Heute ist Freitag. Bei mir speisen die Offiziere der Garnison und die verlangen ihr Leibgericht, das Aijoli!«

Hungrigen Magens verließ ich die ungastliche Schwelle. Meine Gefährten zogen die Gesellschaft ihrer Landsleute vor. Sie blieben da, während ich weiter durch die in der Sonnenglut menschenleeren Straßen zog. – Schon wollte ich an Bord des »Washington« reumütig zurückkehren, da begegneten mir zwei Gestalten, die auf hundert Schritt den deutschen Seemann erkennen ließen. »Hummel, Hummel!« sprach ich sie lachend an und als sie ebenso vergnügten Antlitzes den berühmten Antwortspruch zurückgaben, entschuldigte ich mich zunächst wegen der Art der Ansprache und gestand dann, daß ich »bannigen Hunger« hätte, aber nicht wüßte, wo ich etwas Eßbares kaufen könnte.

»Waren Sie denn noch nicht bei Luten Struve?« fragte der Aeltere, der sich als Kapitän Kröger der im Hafen liegenden Bark »Pelikan« vorstellte.

»Wie soll ich den kennen? Ich bin ja erst seit drei Stunden auf dieser gesegneten Insel.«

»Luten Struve fühlt jeder Hamburger. Den braucht man nicht erst zu kennen,« antwortete Wichhorst, der erste Steuermann.

»Sind Sie auf dem ›Weiberkasten‹, der heute morgen einlief?«

»Gewesen! Ich habe Ueberfahrt bis Auckland bezahlt, gehe aber hier von Bord, weil ich es da nicht aushalten kann.«

»Das kann ich Ihnen nachfühlen,« sagte der Kapitän. »wenn man mich auf so einen Dampfer schickte, ließ ich ihn wahrhaftig auf Strand laufen, Wie kann ein echter Seemann bloß auf so einem Dampftrog gehen! Verstehen Sie das Wichhorst?«

Die ganze Verachtung des Segelschiffskapitäns gegen die Dampfer lag auf den Mienen der beiden Wasserratten ausgeprägt.

Aus der Hauptstraße bogen wir in eine ruhige Seitenstraße ein, in der sauber gehaltene einstöckige Häuser lebhaft an eine deutsche Kleinstadt erinnerten. In der Mitte der Straße stach ein schuppenähnlicher Bau von dem Gesamtbilde ab. Ein weiter Torweg ließ den Blick in einen schattigen Garten frei, in dessen Hintergrund eine breite Holzveranda sichtbar wurde.

»Hier wohnt Luten Struve,« sagte Kapitän Kröger, indem er in den Torweg einbog. »Unter diesen riesigen Mangobäumen habe ich schon vor dreißig Jahren als Schiffsjunge gesessen. Seitdem kehre ich immer hier ein, wenn ich in diese Inseln komme und das geschieht alle drei bis vier Jahre.«

Von der Veranda erhob sich eine breitschulterige Gestalt. Ein echt deutscher Mann von der Wasserkante, mit blauen Augen und grauem, einst blond gewesenen Barte. Er ging uns ein paar Schritte entgegen und begrüßte die beiden Seeleute herzlich.

»Hier, Luten, bring ich dir einen hungrigen Landsmann. Er führte sich mit unserm Hamburger Kennwort bei uns ein. Wirst du ihm was zu essen geben?«

»Tja, diesmal schon, weil du ihn bringst,« erwiderte der Mann langsam, während seine Augen an meiner Gestalt auf und ab liefen. »Für gewöhnlich gebe ich nur Kost einem deutschen Fahrensmann, weißt du. Und das ist keiner. – wo kommt denn der Herr her?«

»Von dem Vergnügungsdampfer, der heute einlief,« gab ich zur Antwort. »Aber ich halte es da nicht aus, darum gehe ich schon hier von Bord. – was übrigens den Fahrensmann anbetrifft, so bin ich auch vor dem Mast gefahren.« »So, so!?« Ungläubig streifte mich sein klares Auge, »wo denn und auf was für einem Schiff?«

»Zuerst von Rotterdam mit dem ›Konink Willem‹, der im Teifun bei den Paracelsus unterging, später war ich auf dem Schoner ›Matupi‹ mit Käpt'n Breckwoldt und dann mit Sutor auf dem ›Gustav‹«.

»Was, sie kennen Breckwoldt und Sutor?« riefen die drei wie aus einem Munde. »Dann seien sie herzlich willkommen bei Luten Struve. – seine Freunde sind meine Freunde! – Da setzen sie sich hin. In dem Sessel hat vor vier Wochen – oder sind es schon sechs? – mein alter Breckwoldt gesessen, der mit der »Gretchen Amsink« hier war.«

»Was, der alte Breckwoldt fährt immer noch?« rief ich erstaunt. »Der muß doch hoch in die sechzig sein.«

»Ja, er nahm Abschied für immer. Er wird nicht wiederkommen.«

Fast schien es, als wollte Struve eine Träne zerdrücken. So nahe ging ihm das Bewußtsein, einen lieben Freund für immer verloren zu haben.

»Kannten sie ihn länger?« fragte ich, um ihm Gelegenheit zu geben, in Gedanken bei dem Gegenstand zu verweilen.

»Seit der Steuermannsschule. Wir fuhren dann beide in der Südsee. Er für Godeffroy, ich für Herrnsheim. Oft lagen wir nebeneinander an den Menschenfresser-Inseln. Manches Jahr verbrachten wir da draußen. Dann gingen wir wieder gemeinschaftlich heimwärts. In Samoa nahmen wir Abschied, weil jeder auf einem andern Schiffe zurückkehren mußte. – Am gleichen Tage trafen wir auf der Elbe ein. – Das war eine Freude...« Sein Auge leuchtete in der Erinnerung an jene fernen Tage. – Er fuhr fort:

»Breckwoldt ruhte nicht eher, bis ich auch auf Godeffroysche Schiffe in die Südsee kam. Er kam als Kapitän auf die ›Matupi‹. Ich wurde Erster auf der ›Tafua‹ mit Sutor als Käpt'n. – Herr, das war ein Leben... Und dann bekam ich eines schönen Tages Streit mit einem Englischmann... Nun ja, wie es so geht... Sie wissen ja... kurz, ich ging aus der Fahrt und war einige Monate auf der Faktorei in Aitutaki auf den Cooks. Dann kam Breckwoldt mit seinem Schoner und holte mich wieder ab. Auf den englischen Inseln war ich nicht sicher... Und hier auf der Faktorei blieb ich, bis der junge Godeffroy selbst herauskam und die Geschäfte übernahm. – Jetzt lebe ich hier in Ruhe und Frieden, wenn mich deutsche Seeleute besuchen, und das tun sie alle, bin ich froh und heiße sie willkommen, sie finden Speise und Trank bei mir. Aber nur diese. Für andere ist Luten Struve nicht zu sprechen. – Wie lange bleiben sie hier?« fragte er unvermittelt.

Ich teilte ihm kurz meine Pläne mit.

»Dann wohnen sie auch bei mir. Allerdings brauchen sie die Erlaubnis der französischen Behörde, die jeder haben muß, der hier Wohnung nimmt. Deutsche sind zwar nicht gern gesehen, aber ich denke, daß man Ihnen keine Schwierigkeiten in den Weg legen wird. Uebrigens sorgen Sie dafür, daß der Dampfer sie richtig aus dem Bordmanifest streichen läßt, sonst macht man Ihnen deshalb noch Umstände.«

Nach dem vorzüglichen Essen begleitete mich Struve zu dem französischen Beamten, der mir auch nach kurzem Verhör einen » Permis de séjour« ausstellte. Damit waren alle Formalitäten erfüllt und ich durfte mich nun frei auf der Insel bewegen.

Noch vor Sonnenuntergang fuhren wir alle an Bord des ›Pelikan‹, um auch dort einen Besuch Zu machen. Es war ein schmuckes Schiff, dem man es nicht ansah, daß es schon zwei Jahre auf der Fahrt war. Alles war blitzblank gescheuert und geputzt und selbst die mit allerlei Bordarbeiten beschäftigten Matrosen kleideten sich sauber und aus den frischen Gesichtern las man die Freude am Beruf. – Jeder Kundige sah auf den ersten Blick, daß zwischen der Schiffsführung und den Leuten vor dem Mast ein gutes Einvernehmen herrschte. Unter »Leuten vor dem Mast« versteht man die Matrosen und Schiffsjungen, sie heißen so, weil ihr »Logis« (das Wort wird gesprochen, wie man es schreibt) vor dem ersten Mast liegt.

Vom Achterdeck des ›Pelikan‹ konnte man auf den »Washington« hinüber sehen. Gerade spielte sich dort eine Szene ab, die mir eine Pflicht ins Gedächtnis rief. Ich sah, daß die chilenischen Seeleute in einer Unterhaltung mit dem Kapitän und ersten Offizier begriffen waren und so wie ich die beiden letztgenannten kannte, wollten sie anscheinend die armen Matrosen übertölpeln. Da, wie ich wußte, niemand da drüben spanisch sprach, mußten die Chilenen den kürzeren ziehen. – Meine gespannte Aufmerksamkeit für den Disput da drüben veranlaßte Struve zu einer Frage.

»Mich dauern die drei chilenischen Matrosen,« sagte ich erklärend. »Der ›Washington‹ übersegelte unterwegs im Nebel einen Schoner, von dem er die drei Mann rettete. Der Rest ertrank. Jetzt sucht er wahrscheinlich die Leute zu einem falschen Rapport zu überreden. Es gab schon während der Reise deshalb Streit. Ich war als Dolmetscher hinzugezogen, als der einzige, der spanisch sprach. Hier will der Kapitän die Leute an Land setzen.«

»Das kann er doch nur, wenn er Verklarung belegt. Er muß hier vor der Seebehörde den Zusammenstoß zu Protokoll geben. Das weiß er doch!« rief der Kapitän, den meine Schilderung empörte.

»Hm, wenn er die Wahrheit sagt, wird es ihm die Goldtressen kosten,« entgegnete ich. »Schuld hat er an der Kollision. Er gab weder Nebelsignale, noch war der Ausguck doppelt besetzt. Ich machte ihn erst auf das Nebelhorn des Gegenseglers aufmerksam.«

»Ist das möglich?« rief Struve aus. »so leichtsinnig kann doch kein Kapitän sein, waren denn die Steuerleute nicht da?«

»Alle waren auf Deck. Aber der Kommandant wollte die Passagiere nicht erschrecken. Darum unterblieben die Signale.«

»Und er mordete dadurch ein Dutzend Menschen! Hören sie, lieber Herr, das müssen sie anzeigen. Der Dampfer darf nicht weg, bevor das nicht klar gestellt ist. Kommen Sie mit mir an Land. Ich kenne den Hafenkapitän gut. Bin neugierig, ob der etwas davon weiß.«

»Aber, Herr Struve, ich möchte mich wirklich nicht in diese heikle Angelegenheit mischen.«

Erstaunt blickte mich dieser an. Dann rief er:

»Sie waren deutscher Seemann und reden so! Mann, Mann, besinnen Sie sich...«

»Das muß gemeldet werden,« stimmte auch Wichhorst bei. Eine solche Gewissenlosigkeit muß exemplarisch bestraft werden, wir alle sind dabei beteiligt. Wenn noch mehrere solcher Kapitäne auf dem Ozean fahren, dann sind wir alle dem gleichen Schicksal ausgesetzt. Ueberwinden sie Ihre Scheu und gehen sie mit Luten Struve.«

»Sie haben recht. Ich dachte daran nicht. Kommen Sie, ich werde meine Anzeige machen.«

Der Hafenkapitän saß auf der Terrasse des American Hotel vor einem Brandy mit Soda. Er saugte die eisgekühlte Flüssigkeit mit einem Strohhalm und ließ sein Auge mit Wohlgefallen über die Damenwelt schweifen, die zu dieser Stunde die Promenade belebte, um die kühle Seebrise zu genießen und um – gesehen zu werden.

In der Meinung, wir würden ihm helfen die Langeweile zu vertreiben, lud er Struve und mich an seinen Tisch und bestellte, wie das in den Tropen üblich, ein Getränk für uns.

Struve fiel nach den ersten Begrüßungen mit der Tür ins Haus.

»Hat Ihnen der amerikanische Dampfer Verklarung belegt?« fragte er. »Das nicht. Ein Offizier war da und wollte mir drei mittellose Seeleute übergeben, die sein Schiff unterwegs aufgepickt hat. – Wir haben aber für solche Leute kein Geld, und da auch kein Konsul hier ist, so verweigerte ich die Abnahme. Er soll sie irgendwo anders abladen.«

Diese Darstellung erregte meinen Zorn.

»Wenn der Offizier Ihnen das so darstellte, wie sie sagen, dann hat er nur einen Teil der Wahrheit gesagt,« erwiderte ich. »Die Dinge liegen wesentlich anders. Ich war auf dem ›Washington‹ und habe den ganzen Vorgang genau verfolgt. Nach meinem Dafürhalten war der ›Washington‹ schuld an der Kollision.«

Jetzt horchte der Beamte auf.

»Eine Kollision hatte der Dampfer? Davon sagte mir der Offizier kein Wort. – wissen Sie das gewiß? Ist kein Irrtum möglich?«

»Herr Kapitän, ich war selbst Seemann. Zur kritischen Zeit befand ich mich auf Deck!« Und nun erzählte ich die bereits geschilderten Vorgänge mit allen Einzelheiten, wobei ich auch nicht zu erwähnen vergaß, daß ich selbst als Dolmetscher tätig gewesen war.

Meine Erzählung versetzte nicht nur Struve, sondern auch den Hafenkapitän in nicht geringe Aufregung. Er sprang auf und griff nach seinem Hute.

»Der Dampfer will heute abend noch auslaufen. Er darf den Hafen nicht verlassen, bis die Angelegenheit geklärt ist. Ich werde sofort mit dem amerikanischen Konsul reden. – wo wohnen Sie?«

»Bei mir, Kapitän,« beeilte sich Struve zu erwidern. »Er steht Ihnen jederzeit zur Verfügung.« Zu mir gewendet, sagte er:

»Jo, jetzt kehren wir aus den ›Pelikan‹ zurück. Nun wird uns das Bier noch mal so gut schmecken, sie haben wirklich ein gutes Werk getan. Nicht nur gegenüber den armen Matrosen, sondern auch für die ganze Schiffahrt.«

Am Strande pfiff Struve dem Boote des ›Pelikan‹, während wir dort warteten, ertönte vom »Washington« der erste Sirenenruf. Die säumigen Passagiere sollten an Bord kommen. Einige standen bereits an der breiten Holztreppe, an der die Regierungsboote anzulegen pflegen. Sie riefen mir einen Gruß zu und boten mir in ihrem Boote einen Platz an.

»Danke sehr. Ich bleibe hier,« rief ich zurück. Die Antwort löste wirkliches Bedauern aus. Bei den meisten wohl nur, weil ihnen damit die Erklärung so manches Unbekannten vorenthalten blieb. Einige jedoch, darunter die Damen Price und Gould, vermißten ihren täglichen Begleiter wirklich. Erstere, die nach dem Abenteuer auf Hereheretue nicht mehr an Deck gekommen war, traf gerade bei den andern ein, als ich meine Absage hinüberrief, sie wollte es nicht glauben, weil ich ihr versprochen hatte, mit ihrer Gesellschaft nach den neuseeländischen Geysern zu gehen.

In wenigen Sprüngen stand sie neben mir: »Ist das wahr, daß sie nicht mehr an Bord des »Washington« zurückkehren?«

»Ja, Miß, das ist wahr. Ich habe so manches Unangenehme dort erfahren, daß ich die Reise nicht fortsetzen kann. Ich werde eine spätere Gelegenheit benutzen, um nach Auckland zu reisen.«

»Oh, das tut mir aber sehr leid,« rief sie aus und man sah, daß sie es aufrichtig meinte, »wann werden sie dann in Auckland ankommen?«

»Das weiß ich noch nicht, Miß Price. Es kann vierzehn Tage dauern, ehe hier ein Schiff nach Neuseeland anläuft. Die Geyser laufen mir übrigens nicht weg.«

»Vergessen Sie, daß Sie uns dorthin führen wollten?«

»Keineswegs, wenn Sie bei meinem Eintreffen noch dort find, löse ich mein Versprechen ein.«

»Ich werde dort sein. Fragen sie bei unserem Konsul nach mir. Auf Wiedersehen! Eben ruft die Sirene wieder. Ich muß eilen.«

»Jetzt geht der Dampfer dem Hafenmeister doch durch die Lappen,« sagte ich, zu Struve gewendet. »Das täte mir wegen der Chilenen leid.«

»Nee, der geht nicht aus. Dort liegt ja noch das Boot der Hafenbehörde. Ehe er die Papiere nicht hat, darf er nicht fort. – Wo mag denn unser Boot bleiben? ... Halloh, ›Pelikan‹ ahoi!«

Aus dem Gewirr der Fahrzeuge schob sich das breite Schiffsboot an den Strand. Im Begriff einzusteigen, hielt mich ein Mann an, in dem ich einen der Chilenen erkannte. Auf seinem Gesichte prägte sich die Freude über das Zusammentreffen aus.

»Oh, Señor, wie haben wir Euch gesucht,« rief er aus. »Kein Mensch will uns hier verstehen. Bitte, helft uns doch!« Es lag so viel Verzagtheit in den wenigen Worten, die auch Struve, der spanisch sprach, verstand, daß ich nicht umhin konnte, dem Manne Rede zu stehen.

»Wo sind deine Kameraden?« fragte ich.

»Auf dem Dampfer. Man will uns hier an Land nicht aufnehmen und der Kapitän will uns nicht mehr mitnehmen. Er gibt uns jedem zehn Dollars, was sollen wir damit?«

»Warum habt ihr die Kollision nicht angezeigt?«

»Es versteht ja niemand unsere Sprache. – Oh, Señor, verlaßt uns nicht!«

»Habt keine Angst. Ich habe Anzeige erstattet und ihr werdet sicher die Aufenthaltserlaubnis erhalten. Der Dampfer wird den Hafen nicht verlassen, bis euere Ansprüche nicht voll geregelt sind ...«

»Da kommt gerade der Hafenkapitän,« sagte Struve. »Der kann den Chilenen gleich sagen, wo sie Unterkunft finden.« – Er trennte sich von uns und ging zur Treppe, wo er den Beamten anhielt. Eine kurze Unterhaltung folgte, dann trat er wieder zu uns. Zu dem Chilenen sagte er:

»Natürlich bekommt ihr Wohnung an Land, bis euch ein Schiff in die Heimat mitnimmt. Aber heute abend ist das nicht mehr möglich. Ihr müßt die Nacht auf dem Dampfer verbringen ... oder noch besser: hole deine Kameraden und komme an Bord der Bark »Pelikan«, die neben dem Dampfer liegt. Dort könnt ihr für eine Nacht Unterkunft finden.«

Nach einigen näheren Erklärungen drückten wir dem Manne ein paar Silberlinge in die Hand und liehen uns an Bord rudern. »Sie haben ein paar glückliche Menschen geschaffen, Struve,« sagte ich, als das Boot seine glühenden Furchen durch das nächtliche Meer zog. »Die Leute werden sie segnen.«

»Und Ihnen wird das Gegenteil in reichstem Maße zuteil werden, wenn der Herr Kommandant des »Washington« den Besuch seines Konsuls und der Hafenbehörde empfangen hat. – Leichten Kaufes wird er nicht davon kommen. Der Hafenkapitän ist froh, daß endlich einmal ein recht interessanter Fall seiner Entscheidung unterstellt wird, wie ich ihn kenne, zieht er die Untersuchung in die Länge, damit nur recht viel Staub aufgewirbelt wird. Das macht seinen Namen bekannt und er hofft dadurch endlich abberufen und nach Frankreich zurückversetzt zu werden, viel Ruhe wird er auch Ihnen nicht gönnen.«

»Das ist mir recht, wo bleibt aber der Dampfer inzwischen?«

»Hier natürlich. Die Fahrgäste werden Gelegenheit und Zeit haben, den ganzen Archipel zu besuchen! – Achtung! Klar bei dem Fallreep!«

Kapitän Kröger war natürlich gern bereit, die Chilenen über Nacht auf seinem Schiffe zu beherbergen. Er gab sofort die nötigen Befehle in das Logis und da seine Mannschaft bereits das Abendessen bekommen hatte, mußte der Koch noch Reis mit Speck bereithalten, um die Matrosen, die jedenfalls hungrig waren, noch zu beköstigen. Das Fallreep wurde heruntergelassen und eine Laterne bezeichnete die Stelle, wo es hing.

Eine halbe Stunde nachher rief die Wache den Kapitän an Deck. Dort standen drei triefende Gestalten, in der Hand ein Bündel Kleider, und blickten ratlos um sich. Sie erkannten sofort den Kapitän in dem Ankommenden und zögernd brachten sie die Mitteilung hervor, daß man ihnen hier an Bord Unterkunft versprochen habe.

Der Anblick der dem Meere entstiegenen nackten Männer entlockte dem Kapitän ein Lächeln. Er kramte sein ganzes Spanisch aus und hieß sie willkommen. Da bei der Rede ein gut Teil Hamburger Plattdeutsch mit unterlief und er selbst lachen mußte, stimmte auch die Deckswache in die Heiterkeit ein. Dadurch wurden auch Struve und ich aufmerksam. Wir gingen nach oben. Kaum hatte ich, hinter Struve gehend, den Kopf aus dem Kajütsluk gesteckt, da stürzten die drei auf mich zu und gaben ihrer unverhohlenen Freude in überschwenglichster Weise Ausdruck.

»Wie ein Hund, der seinen verlorenen Herrn wiederfindet,« sagte Kröger nachher.

»Kleidet euch erst mal an und dann eßt ordentlich, später kommt ihr dann aufs Achterdeck und erzählt, wie es euch drüben noch ergangen ist,« befahl Struve, indem er die Schiffbrüchigen dem Bootsmann übergab.

»Die armen Teufel sind ganz ausgehungert, Kapitän,« meldete der Koch. »Darf ich ihnen noch die Kartoffeln geben, die für morgen mittag zurückgesetzt sind?«

»Ja, Koch, gib ihnen so viel, daß sie satt werden. Es sind arme Schiffbrüchige und denen darfst du nichts versagen. Denk immer, daß auch wir Seeleute sind.«

Nach einer guten Stunde kam Gonzales, der Sprecher der Chilenen. Er erging sich in Danksagungen, die aber Kapitän Kröger kurz abschnitt.

»Warum seid ihr an Bord geschwommen? War kein Boot da?«

»Der Kapitän hat uns gedroht, uns über Bord werfen zu lassen, wenn wir sein Schiff nicht sofort verließen. Boote waren nicht da, und da sind wir über Bord gesprungen und hierher geschwommen.«

Kapitän Kröger unterdrückte ein hartes Wort über diese grausame Handlungsweise des Amerikaners, wie leicht hätten die Leute eine Beute der Haifische werden können.

»Was veranlaßte denn den Kapitän zu dem grausamen Befehl?«

»Soviel ich verstand, darf er nicht auslaufen. Es waren Beamte da, die ihm drei Soldaten an Deck stellten.«

»Aha,« rief ich aus. »Morgen werden euere Ansprüche voll befriedigt werden. Gebt bei dem Verhör nur genau nach der Wahrheit den Hergang der Kollision an. Ihr müßt es beschwören.«

Tiefe Stille lag über dem Binnensee, als ich mit Struve zu später Stunde an den Strand zurückruderte. Der ›Washington‹ hatte seine Seitenlichter eingezogen und dafür die Ankerlaternen ausgebracht. Aus dem Salon drangen die Töne gelangweilten Klavierspieles, aber nichts deutete darauf hin, daß der Riesendampfer über siebzig Vergnügungsreisende an Bord hatte. Er lag wie ausgestorben. Nur die erleuchteten Kabinenfenster zeigten das pulsierende Leben an.

Am Strande trat ein Polizist an uns heran. Er verlangte von mir den Ausweis, daß ich an Land wohne. Struve kannte er.

»Was hat denn das zu bedeuten?« fragte ich, als uns der Mann wieder verlassen hatte.

»Ein alter Zopf, solange ich hier bin, und das sind viele Jahre, besteht die Verordnung, daß jeder fremde Europäer, der nach dem Zapfenstreich auf der Straße getroffen wird, sich ausweisen muß. Das Warum? kann Ihnen weder der Gouverneur noch sonst ein Beamter erklären. Es ist einmal Vorschrift. Daß sie im höchsten Grade lächerlich ist, sieht jeder ein, aber kein Mensch hat den Mut, den Zopf abzuschneiden.«

»Wenn nun einmal ein fremder Seemann ohne Papiere betroffen wird, was geschieht mit dem?«

»Nichts. Der Polizist merkt sich den Namen und damit ist der Fall erledigt!«

Wir hatten unterdessen Struves Haus erreicht. Bevor mir mein freundlicher Wirt das einfach, aber sehr bequem eingerichtete Zimmer anwies, holte er noch die Likörflasche.

»Ich habe die Gewohnheit, mit einer »Nachtmütze« schlafen zu gehen, hier, nehmen Sie auch eine. – Es ist echter Nordhäuser Korn.«

In dieser Nacht schlief ich nach langer Zeit wieder einmal in einem Bett, das nicht hin und her gewiegt wurde. Auch hörte ich das Plätschern der Wellen an den Wänden nicht. Tiefste Ruhe herrschte ringsum. Und doch erfreute ich mich keines ruhigen Schlafes. Ich stand noch zu sehr im Banne der Schiffsschraube, wie man auf der Seereise sofort aus tiefstem Schlafe erwacht, wenn plötzlich die Schraube nicht mehr arbeitet, so fuhr auch ich in der Nacht mehrmals auf und hob lauschend den Kopf, bis ich soweit wach wurde, daß ich mich auf meine Umgebung besinnen konnte. Dann warf ich mich in die Kissen zurück und schlief, dank der vielen genossenen »Nachtmützen«, rasch wieder ein.

Ein Kanonenschuß weckte mich. – Auch ein alter Zopf. Bei Sonnenauf- und -untergang wird oben auf dem alten Fort ein Kanonenschuß abgefeuert. »Damit die Soldaten wissen, wann es Tag und wann es Nacht wird,« erläuterte mit sarkastischem Lächeln mein Gastfreund. In Wirklichkeit soll es vor vielen Jahren ein Zeichen für die Eingeborenen gewesen sein, die nur in der Zeit des Sonnenlichtes die Stadt betreten durften.

Da die Stadt mir nichts Sehenswürdiges zu bieten vermochte, so beschloß ich, einen Ausflug gegen das Gebirge zu machen. Einesteils wollte ich dadurch dem vielen Fragen der Dampferreisenden aus dem Wege gehen, die sich natürlich über die Stadt zerstreuen würden, andererseits glaubte ich den Chilenen und den Amerikanern bei der Seegerichtsverhandlung Gelegenheit geben zu sollen, sich unter sich nach Herzenslust auszusprechen. Ich wollte dann später mein Zeugnis ablegen. Nach dem Frühstück ließ ich mich von Struve auf wenig begangenen Seitenwegen aus dem Weichbilde der Stadt herausführen.

»Wirtshäuser finden sie nirgends, aber Guiaven, Bananen und herrliche Orangen gibt es genug. Erstere wachsen wild, die beiden letztgenannten Früchte haben einen Eigentümer. Ich sage das nur, weil man nie unterscheiden kann, ob man in der Wildnis oder in einem Eingeborenengarten ist. Beides ist gleich wenig gepflegt.«

Dort, wo die Hütten der Eingeborenen seltener werden, verließ mich Luten Struve. Er bezeichnete mir einen Pfad, der mich ins Gebirge führen würde. Allerdings fügte er gleich hinzu, daß er selbst noch nie auf der Landseite die Stadt verlassen hatte, da bekanntlich Seeleute nicht gern klettern. Aber in halber Höhe wohne ein Deutscher, ehemaliger Fremdenlegionär, der ihm oft den Weg zu seiner Behausung beschrieben hätte. Ich könnte gar nicht fehl gehen.

Ich war Struve sehr dankbar für diese Mitteilung. Ich beschloß, diesem Menschen bestimmt aus dem Wege zu gehen, denn ich habe es einem Deutschen nie verzeihen können, daß er ausgerechnet unserm Erbfeinde, dem Franzosen, Kriegsdienste leistet. Wenn ein gehetzter Verbrecher in dieser zweifelhaften Legion Schutz sucht und findet, so kann ich das vom rein menschlichen Standpunkte aus verstehen, wenn aber ein Deutscher, der sich auch in seinem Vaterlande erhobenen Hauptes sehen lassen kann, dem tückischen Franzmann Blut und Leben zu dessen Eroberungen darbringt, dann kann ich keine Achtung mehr für ihn haben. Viele ehemalige Legionäre fühlen das auch selbst, wenn ihnen der Franzose erst einmal seine Verachtung unverblümt ins Gesicht geschleudert hat. Sie kehren dann nicht mehr in die alte Heimat zurück und führen in Frankreich oder sonstwo im Auslande als Geächtete ein bedauernswertes Leben.

Auch diesem Legionär wollte ich nicht begegnen. Ich verließ daher in der ersten Lichtung den Pfad und suchte mir einen Weg durch die zu dichten Gebüschen zusammengewachsenen Guiaven. Die Früchte waren gerade reif und wenn ich auch noch keinen Hunger verspürte, so lockte mich doch das saftige rote Fleisch der Frucht. Um sie unbeschädigt zu bekommen, stieg ich aus die niederen Bäume und pflückte die schönsten ab, die ich dann vorsichtig ins Gras gleiten ließ. Dabei passierte mir folgendes komische Mißgeschick:

Ich saß auf einem der strauchartigen Bäume, der sich etwas mehr als die andern aus dem buschigen Unterholze erhob und brach mir die größten und schönsten der überreifen Früchte ab. Um sie nicht in der Tasche zu zerdrücken, ließ ich sie, wie gesagt, vorsichtig am Stamme entlang, in das hohe Gras fallen, wo auch mein Rucksack lag. Der Baum war bald leer gepflückt. Ich stieg herab und bückte mich nach meiner Ausbeute. Aber soviel ich auch suchte, die Guiaven waren nicht da. Kopfschüttelnd nahm ich meinen Sack und suchte mir einen anderen Baum. Ich fand ihn in der Rahe. Auch diesmal ließ ich etwa zehn der schönsten Aepfel in das Gras gleiten, wer aber beschreibt mein Erstaunen, als ich auch diese nicht wiederfand?

Mein erster Gedanke war an einen räuberischen Indianer. Ich verwarf ihn jedoch sofort, denn was sollte diesen veranlassen, meine Früchte zu nehmen, wo ihm doch Hunderte in den Mund wuchsen. Spuren menschlicher Anwesenheit fand ich ebensowenig.

Ich versuchte es zum dritten Male. Diesmal wählte ich einen Baum ohne Unterholz, der mir den Blick nach unten frei ließ. Ich brach eine Guiave und ließ sie hinuntergleiten. Goldgelb leuchtete mir die Schale entgegen, als ich mich wieder nach oben reckte, um eine zweite zu pflücken. Eben beugte ich mich vor, um auch diese fallen zu lassen, da bemerkte ich, daß die erste verschwunden war.

»Daß dich der ... Diesmal kommst du mir nicht aus, du Satan du!« rief ich wütend.

Kaum kollerte die Frucht in das Gras, da erschien auch schon ein rauhborstiger, schwarzer Kopf, stürzte sich auf die Beute und verschwand ebenso rasch wieder im Unterholz.

Sekundenlang blickte ich überrascht auf die Stelle, wo die Erscheinung verschwunden war. Ich hatte, von der Sonne geblendet, nicht so schnell ausmachen können, welcher Art eigentlich der Räuber war. Jetzt rutschte ich aber schnell am Stamme hinunter und bog die Büsche auseinander. Ein drohender Laut ließ mich anstatt der Hände den Stock nehmen – da stand er denn vor mir, der Dieb. Ein sehr großes, aber bis auf die Knochen abgemagertes schwarzes Schwein!

Lachend gab ich die Ernte an dieser Stelle auf.

Nach kurzer Wanderung kam ich in einen Orangengarten. Auch diese Bäume hingen voll der schönsten Früchte in allen Stadien der Reife. Eingedenk der Warnung Struves bezwang ich meine Lust und spürte nach einem Pfade, der mich der Hütte des Eigentümers zuführen sollte. Ich suchte jedoch vergeblich. Ich arbeitete mich durch das fast meterhohe Unkraut nach allen vier Himmelsrichtungen – eine Hütte fand ich nicht. Endlich geriet ich in eine dichte Wand kräftiger Pisangpflanzen und als ich an dieser mit vielem Geräusch entlang strich, hörte ich plötzlich eine menschliche Stimme. Was man mir zurief, verstand ich natürlich nicht. Ich antwortete mit dem einzigen Worte aus meinem Sprachschatze, dem Gruß.

»Joranna!«

Es wurde etwas erstaunt erwidert. Darauf folgte ein Knacken und in der Umrahmung der großen Blätter erschien ein lieblicher Mädchenkopf. Die großen Augen blickten erstaunt auf den Weißen und die hervorgestoßenen Worte bedeuteten jedenfalls die Frage:

»Wo kommst denn du eigentlich her?«

Mit ein paar Gesten beantwortete ich die Anrede in diesem Sinne und ich mußte wohl das Richtige getroffen haben, denn nun schüttelte das Mädchen den Kopf und trat beiseite, um mir den unsichtbaren Pfad durch die Bananen frei zu geben. Im Vorübergehen lächelte ich ihr freundlich zu.

Auf der anderen Seite der grünen Wand stand die Hütte, deren einziger Raum ein paar Töpfe, eine Hängematte und in der Ecke ein mit ein paar Decken verhülltes Blätterlager aufwies. Steine vertraten die Stühle. Eine größere Kiste diente als Tisch, Schrank usw. Auf dem kleinen vor der Hütte aus Steinen aufgeführten Herde kochte irgendeine Speise, an der ich anscheinend Anteil nehmen sollte, denn die Maid hob den Deckel und sprach mit bedauernden Blicken ein paar Worte. – Um eine Unterhaltung anzubahnen, sprach ich das Mädel in französischer spräche an. Sie kannte nur wenige Worte. Ebenso erging es mit dem Englischen. Ich sprach nun, um etwas zu sagen, deutsch. Das begriff sie eher, weil sie in meinem Mienenspiel den Sinn erriet. Sie stand auf und führte mich durch den Orangenhain bis zu einem klaren Bache, an dessen rechter Seite ein Fußweg entlang führte. Zum Dank für die Freundlichkeit schenkte ich der jungen Dame ein Fünffrankenstück. Die Gabe schien ihr so groß, daß sie sie erst gar nicht nehmen wollte. Erst als ich ihr das Geld fest in die Hand preßte, wußte sie, daß der Reichtum ihr Eigentum war. Nun zögerte ich auch nicht, mir ein paar Orangen von den Bäumen zu brechen, was sichtlich den Beifall der Schönen fand. Mit einem freundlichen Joranna setzte ich meine Wanderung fort.

Der Bach führte kristallklares Wasser, in dem dunkle Fische mit großen roten Flecken eilig hin- und herschossen. Anfangs waren die beiden Ufer noch mit Fruchtgärten bestanden, in denen wohl die Hütten ebenso versteckt lagen, wie die vorbeschriebene. Gar bald aber wurde der Pflanzenwuchs seltener und nach kaum einer Viertelstunde befand ich mich inmitten eines Tales, dessen Wände sich, je höher ich stieg, mehr und mehr einander näherten, bis sie schließlich eine so enge Schlucht bildeten, daß das Sonnenlicht keinen Eingang mehr fand. Nichtsdestoweniger waren die Wände mit einer Ranke bedeckt, die sich mit seinen Widerhaken an dem glatten Felsen festhielt.

Während ich mir noch die Frage vorlegte, was ich eigentlich in dieser Sackgasse zu tun beabsichtigte, hörte ich, wie sich hinter mir ein Stein löste. Zurückblickend bemerkte ich drei Farbige, die jeder einen dicken Knüppel trugen und, als sie sich entdeckt sahen, eifrig auf dem steinigen Boden herumsuchten, und glauben machen wollten, daß sie dort irgendeine Beschäftigung ausübten. Das ganze Aeußere der Burschen ließ mich auf den ersten Blick erkennen, daß ich es mit den Müßiggängern zu tun hatte, die sich in allen französischen Kolonien unangenehm bemerkbar machen. Um sie möglichst schnell los zu werden, fragte ich sie in französischer spräche, was sie dort zu suchen hätten. Die Frage kam ihnen wohl überraschend. Einer aber besaß die Frechheit zu antworten, sie hätten gesehen, daß ich hier in diese gefährliche Gegend ginge und da wären sie mir gefolgt, um mir beizustehen, falls mir ein unangenehmes Abenteuer begegnete. Mit diesen Worten kam er näher, seine Kumpane folgten ihm.

»Halt!« rief ich und zog den Revolver. »Das unangenehme Abenteuer haben wir bereits. Es fragt sich nur, wer die Folgen zu tragen hat, Ihr drei oder ich! Kehrt so rasch als möglich um, sonst knallt's! Verstanden?«

Sie mochten wohl an meinem Gesichte sehen, daß es mir mit meiner Drohung ernst war, denn sie wichen sofort um zehn Schritt zurück. Da sie sich nun außer Treffweite wähnten, begannen sie mit den lästerlichsten Flüchen zu schimpfen, wobei sie die Drohung ausstießen, daß sie schon Mittel fänden, mir das heimzuzahlen. Ich stand im Begriff, auf den Nächststehenden abzudrücken, als mir noch einfiel, daß ich mich ja auf französischem Gebiete befand und daß ich es in den Strolchen mit Franzosen zu tun hatte, vor Gericht hätte ich als Deutscher also den kürzeren gezogen. Ich müßte mich auf andere weise aus der Schlinge ziehen.

Ich kehrte auf der Stelle um und folgte daher den Strolchen, ohne es zu wollen. Da sie meine Beweggründe nicht kennen konnten, das böse Gewissen ihnen aber wer weiß was eingab, so beschleunigten sie ihre Schritte, als sie sahen, daß ich ihnen mutig zu Leibe ging. Der Revolver ließ sie für ihr kostbares Leben bangen.

So kamen wir endlich an den Ausgang der Schlucht und in das dicht bewachsene Tal. Hier machten sie von der günstigen Gelegenheit Gebrauch und tauchten in die Fruchtgärten unter. Aber auch ich verließ den Pfad, überschritt den Bach und suchte mich durch die Baumbestände nach der Stadt durchzuschlagen. Solange ich in den Orangen- und Zitronen-Pflanzungen war, kam ich rasch vorwärts. Bald aber sah ich mich wieder in den Guiaven und nun mußte ich mir durch hohes Gras, dichtes Unterholz und Verwachsungen von zahlreichen Sträuchern einen Weg suchen. Zu allem Unheil kam nun auch noch eines jener Tropengewitter, die von gewaltigen Wolkenbrüchen begleitet zu sein pflegen. Sie ziehen mit Windeseile heran. Kaum, daß sie sich als Wolkenfetzen am Firmament angekündigt haben, verteilen sie sich mit rasender Schnelligkeit über den ganzen Horizont. Der Tag weicht nächtlicher Dunkelheit und dann blitzt und donnert es rings um den ganzen Horizont, als sei der jüngste Tag angebrochen. Der Regen wird von dem orkanartigen Sturm mit gewaltiger Kraft heruntergepeitscht und wehe dem Wanderer, der dann kein schützendes Dach über sich hat. In weniger als einer Minute ist er naß bis auf die Haut und der Sturm spielt mit ihm Fangball, da Menschenkraft nicht immer ausreicht, sich gegen den Anprall zu wehren.

Einer dieser zyklonartigen Wetterbrüche überraschte mich in jenem Dickicht. Sobald ich die Gefahr erkannt hatte, eilte ich zurück in den Orangenhain und wandte mich nach Süden, wo ich die Hütten vermutete. Meine Führerin hatte mich heute vormittag in nördlicher Richtung geleitet, also durfte ich hoffen, in entgegengesetztem Wege wieder in menschliche Ansiedlungen zu geraten. – schon bogen sich die Bäume unter dem Druck des Windes bis fast zum Boden. Laut prasselnd flogen die reifen Früchte zu Hunderten in das dürre Laub. Da entlud sich die Spitze der heraufziehenden Wetterwolke und sandte einen ersten Guß, der im Handumdrehen das trockene Erdreich mit einer Wasserschicht überzog und mich bis auf die Haut durchnäßte. – Diese kleine Sintflut hatte aber auch ihr Gutes, sie trieb das vagabundierende Geflügel zum häuslichen Stalle und gleich nach den ersten Tropfen zeigte mir ein flüchtender Hahn den Weg. Wenige Minuten später stand ich vor einer Hütte und bat dringend um Obdach. von innen wurde der Pflock gelöst und die Tür flog knarrend auf. Ich stand wieder vor derselben Indianerin, die mir wenige Stunden vorher bereits helfend beigesprungen war.

Die Freude des unerwarteten Wiedersehens war gegenseitig. Das Mädchen zog mich in die Hütte und begann mit bedauernder Miene und unter einem eifrigen Redeschwall mich des nassen Rockes und des Flanellhemdes zu entledigen, die sie neben dem Feuer ausbreitete. Da sie selbst den Oberkörper unbedeckt trug, machte ich keinerlei Schwierigkeiten. Dann aber suchte ich ihr begreiflich zu machen, daß ich eines ihrer Röcke bedürfe, da wir Europäer nicht gewöhnt seien, uns unbedeckt den Witterungseinflüssen auszusetzen. Da wir uns gegenseitig nur mangelhaft verständlich machen konnten – jedes sprach seine Sprache – so gerieten wir in ein Pantomimenspiel, daß der Komik nicht entbehrte. Bald lachten wir so, daß selbst die dröhnenden Donnerschläge kaum beachtet wurden.

Am Feuer, das nun im Innern brannte, stand wieder, oder immer noch, der Topf mit der undefinierbaren Flüssigkeit. Da mich infolge des reichlich genossenen Sturzbades und der ungewohnten Verhüllung fröstelte, entschloß ich mich, uns einen echt norddeutschen steifen Grog zu brauen. Aus meinem Sack brachte ich die blecherne Feldflasche zum Vorschein und ließ unter scherzhaften Pantomimen das Mädchen an der Oeffnung riechen, schaudernd wandte sie sich ab. Die Sorte »Feuerwasser« – es war echter Jamaika-Rum – war ihr unbekannt. Ich nahm einen gründlichen Schluck und holte dann meinen Trinkbecher hervor, den ich aus der Kalabasse in der Ecke mit Wasser füllte. Darin ließ ich ein Stück Zucker zergehen und goß nunmehr den Rum bedächtig darüber. Jede meiner Bewegungen hatte das Mädchen mit großer Spannung verfolgt. Als sie das Behagen sah, mit dem ich den etwas stark geratenen kalten Grog langsam schlürfte und sich das Aroma des Branntweins in der engen Hütte verbreitete, wurden die Augen meiner jungen Wirtin verlangender. Sie streckte die Hand nach der Flasche aus und sog langsam den Geruch der kräftigen Flüssigkeit ein. – Nun reichte ich ihr den Becher, vorsichtig nippte sie, trank einen kleinen Schluck, den sie prüfend über die Zunge gleiten ließ, und goß dann den ganzen Inhalt des Bechers in einem Zuge hinunter. Ich wollte ihr wehren, kam aber zu spät.

»Donnerwetter, Mädel, das kann gut werden. Das mache ich Dir nicht nach. Den Katzenjammer ...«

Sie begriff, daß sie etwas getan hatte, was sie nicht hätte sollen, und zog nun ein so zerknirschtes Gesicht, daß mein Unmut rasch verflogen war. Ich füllte den Becher wiederum mit Wasser und schob ihn in die heiße Asche, um das Wasser anzuwärmen. Unterdessen suchte ich nach meinen mitgenommenen Lebensmitteln und packte den vom ›Pelikan‹ stammenden Edamer Käse und ein Stück Weißbrot aus. Höflicherweise bot ich ihr beides an. Den Käse kannte sie nicht und wies ihn zurück, wofür ich ihr besonders dankbar war. Das Brot fand Beifall und war bald verzehrt.

Mittlerweile hatte auch das Wasser den erforderlichen Wärmegrad erreicht und ich ging nun an die Bereitung eines echten steifen Grogs, zu dem auch noch der Saft der frischen Zitronen kam. Diesmal brauchte ich nicht lang zu bitten. Der heiße Trunk mundete der Indianerin noch besser als der kalte. Nur bekam sie nicht mehr, als ich glaubte, ihr noch verabfolgen zu dürfen.

Draußen lagerte sich die Dunkelheit über die Obstgärten und noch immer regnete es in Strömen. An ein Aufbrechen konnte ich nicht denken, da ich allein den Weg schwerlich gefunden haben würde. Ich klammerte mich an die Hoffnung, daß der Mann oder wer sonst der männliche Beschützer der jungen Dame war, nun bald nach Hause kommen würde und daß dieser durch Geld und gute Worte bewegen werden könnte, mich bis zur Stadt zu begleiten.

Die Indianerin bemerkte meine nachdenkliche Miene und schloß sehr richtig, daß ich an den Heimweg dachte. Sie ergriff meinen Rock und zeigte mir, daß er noch nicht gebrauchsfähig war. Die Gesten und die wenigen französischen Worte luden mich zu längerem Verweilen ein, wobei vielleicht die Rumflasche die Triebfeder war. Ich packte sie daher in meinen Rucksack und bedeutete dem Mädchen, daß für heute Schluß mit dem Grog gemacht würde.

Nun wollte die braune Dame sich ihrerseits als Wirtin zeigen. Sie zog den Topf vom Feuer, holte ein paar Holzscheiben und zwei Gabeln hervor und fischte aus der Flüssigkeit ein paar Fleischstücke heraus, die sich, trotz meiner zoologischen Kenntnisse, in keine Tierklasse einzureihen wußte. Sie sahen übrigens appetitlich aus und um die so lieb gebotene Speise nicht zurückweisen zu müssen, beschloß ich sie zu essen. – Ich hatte in meinem langen Leben unter wilden Völkern so manches Unbekannte essen müssen, daß ich auch hier keine langen Umstände machte. Das Fleisch war etwas zähe, obwohl es sehr lange gekocht hatte, und schmeckte wie Hühnerbrust, allerdings mit einem tranigen Beigeschmack. Auch war es sehr fett. Meine Frage nach der Herkunft des Tieres verstand die Indianerin nicht. Sie aß übrigens nicht viel und nötigte auch mich nicht, ein zweites Mal zu nehmen. Den Topf hing sie unter die Decke, die zugleich das Dach bildete und streifte dann mit wehmütigem Blick meinen Rucksack.

»Du hast recht, Kind. Auf den fetten Schmaus gehört ein Schnaps,« rief ich und brachte die Flasche zum Vorschein. In demselben Augenblick rückte das Mädel auch schon den gefüllten Becher zum Feuer und klatschte vor Vergnügen in die Hände. – Es half nichts, ich mußte ihr den Gefallen tun und noch einen Grog brauen.

Das Feuer brannte herunter. Trockenes Holz war nicht mehr in der Hütte und da auch nichts vorhanden war, womit man den Raum hätte beleuchten können, so saßen wir nach einer Weile im Dunklen, tranken Grog und starrten in die verglimmenden Kohlen. Die Müdigkeit, unterstützt durch die Finsternis, machte sich geltend. Der Mann kam immer noch nicht. Ich nahm mir endlich die Hängematte, hing sie in die dazu bestimmten Haken und warf mich hinein.

Heller Sonnenschein weckte mich. Mit einem Satze stand ich in der offenen Türe. Das Mädchen war bereits aufgestanden und kam eben mit einem Korbe frischer Orangen und Bananen aus dem Obstgarten zurück. Auch auf ihren Zügen lag sonnige Freude. Keine Spur des gefürchteten Katzenjammers. Ich verzehrte mehrere der mir gebotenen Früchte und sah mich dann nach Wasser um. Das allmorgendliche Bad wollte ich auch hier nicht entbehren. Ich hoffte sogar in dem nahen Bache Gelegenheit zu finden nach den vielen Bädern im Meerwasser, mich einmal gründlich in frischem Wasser erquicken zu können. – Das Mädchen verstand meine Frage. Sie führte mich durch die unvermeidlichen Guiaven in einen Garten, in dem riesige Mangobäume ein schattiges Dach über einem Teiche bildeten. Das Wasser war trotz des niedergegangenen schweren Regens schon wieder kristallklar. Es wurde von einer auf dem Grunde aufwirbelnden Quelle erneuert und besaß eine Temperatur, die mir Zähneklappern verursachte. Der Weiher war übrigens der Badeplatz für die ganze Einwohnerschaft der umliegenden Hütten, denn während ich noch im Wasser war, kamen einige Weiber, die sich ohne viel Rücksichtnahme von einem Aste aus in den Teich warfen und lustig darin herumplätscherten. Von mir nahmen sie erst Notiz, als meine Wirtin mich als ihren Gast vorstellte. Jetzt wurde ich auch die Zielscheibe ihrer Ausgelassenheit, so daß ich mich beeilte, nach der Hütte und zu meinen Kleidern zu gelangen.

Das Mädchen erbot sich, mich bis zu den ersten Häusern der Stadt zu begleiten. Da ich weder einen Mann gesehen, noch die Spuren irgendeines Gewerbes entdeckt hatte, wußte ich nicht, ob ich eine reiche Frau vor mir hatte, oder ob ich dem Mädchen eine Bezahlung der genossenen Gastfreundschaft nach den ortsüblichen Preisen anbieten mußte. Den Fünffrankentaler, den ich ihr gestern geschenkt, hatte sie in ihrer Hütte hinter zwei Bambusstäben in der Art eines Wandschmuckes eingeklemmt. Daraus wollte ich den Schluß ziehen, daß sie Geld nicht dringend nötig hatte. Um aus dem Zwiespalt herauszukommen, fragte ich sie, teils deutsch, teils pantomimisch, ob ich ihr Ohrringe, Fingerringe oder anderen Schmuck besorgen solle. Derartiges lieben ja alle Naturvölker, sie blieb aber bei der Erwähnung der Dinge ziemlich kalt. Nun zog ich ein Zwanzigfrankenstück hervor und bot es ihr. Vorsichtig, als sei es zerbrechlich, nahm sie es zur Hand, betrachtete es genau und reichte es mir zurück. Mit einem amerikanischen Zehndollarstück erzielte ich auch keine größere Wirkung. Da ich schon die ersten Häuser durch die Räume schimmern sah, mußte ich mich beeilen. Ich nahm einige Fünffrankentaler und drückte sie ihr zum Abschied in die Hand, sie behielt nur einen und gab mir die andern zurück. Dahingegen griff sie nach meiner Uhrkette, ließ sie durch die Finger gleiten und sprang mit kurzem Gruße davon. Nun wußte ich, wie ich meine Schuld abtragen konnte. Ich kaufte ihr eine Halskette und überbrachte ihr, in Begleitung von Tuten Struve, noch an demselben Nachmittag das Geschenk. Ihre Hütte war leicht zu erfragen, da ich beim Bade gehört hatte, das man das Mädchen Tahiwa gerufen hatte. Nun erfuhr ich auch, daß das junge Weib allein in der Hütte wohnte. Ihr Mann war vor Jahresfrist beim Fischen ertrunken, und solange sie nicht selbst durch gewisse Bräuche kundtat, daß sie eine neue Ehe eingehen wollte, näherte sich ihr kein Mann. Da das Mädchen aus den besseren Eingeborenenkreisen stammte, hielt sie den alten Brauch der Gastfreundschaft noch heilig und nie würde sie eine Bezahlung für ihre Dienste angenommen haben. Die Geschenke erfreuten sie über alle Maßen, und ich fand später noch öfter Gelegenheit, ihr in Begleitung meiner Freunde Besuche zu machen. Die Verhandlungen vor dem Seegericht zogen sich in die Länge. Auf mein Zeugnis hatte man verzichtet, da die eigene Mannschaft so belastend gegen den Kapitän aussagte, daß dieser vorzog, sein Kommando freiwillig niederzulegen. Der Erste Offizier brachte den ›Washington‹, nachdem er fünf Tage in Papeete gelegen hatte, nach Neuseeland.

Die Inseln, so lieblich sie sich auch vom Meere aus dem Auge darbieten, konnten mich nicht fesseln. Sie waren zu sehr zivilisiert und noch dazu von einem Volke, in dessen Gefolgschaft sich die Sittenlosigkeit besonders breit macht. Auch Fauna und Flora boten mir nichts von Belang und so fing ich bald an, mich herzlich zu langweilen. Hätte nicht Struve mit seinem trockenen Humor die Stimmung zu heben gewußt, so wäre ich mit einem vorübergehend eingelaufenen Schoner nach den Cook's-Inseln gegangen. Kapitän Kröger machte mir einen Vorschlag:

»Wenn sie nicht an eine bestimmte Zeit gebunden sind, dann kommen sie doch mit mir nach Sydney, von dort finden sie leicht Gelegenheit nach Neuseeland. Fast jeden Tag geht ein Dampfer nach Auckland.«

»Hm, das Angebot will überlegt sein. Ich gehe zwar mit dem Gedanken um, eine der Cook's-Inseln zu besuchen, weil ich dort noch Eingeborene zu finden hoffe, die ihre Ursprünglichkeit bewahrt haben...«

»Dann sagen sie nur ja,« fiel Struve ein. »Denn auf den Cook's-Inseln erleben sie dieselbe Enttäuschung wie hier, da die Engländer sich in Rudeln dort niedergelassen haben...«

»Und dann fährt auch unser ›Pelikan‹ dorthin,« ergänzte Wichhorst. »Wir bekommen in Aitutaki etwa hundert Fässer Palmöl, die man als ersten Versuch dort gewonnen hat. sie haben demnach reichlich Zeit, sich davon zu überzeugen, daß die schönen Südsee-Inseln, wenigstens soweit sie Engländern und Franzosen gehören, der Vergangenheit angehören.«

»Das würde ich auf das tiefste bedauern,« erwiderte ich, »denn gerade das Leben und Treiben der Eingeborenen verlieh den Inseln ihren bezaubernden Reiz. Nimmt sich erst die Kultur ihrer an, dann sind die armen Völker verloren. Hier auf Tahiti haben Sie den Beweis dafür. Die einstige edle Rasse geht in der Vermischung mit den Franzosen unter.«

Der Abschied von Luten Struve fiel mir sehr schwer. Galt es doch eine Trennung für immer. Im allgemeinen hatte ich ja in meinem langen Forscherleben gelernt, rasch gewonnene Bekannte auch plötzlich wieder zu verlassen. Nur wenige Freunde ließen mich einen wirklichen, tiefergehenden Trennungsschmerz empfinden, und merkwürdigerweise waren es immer mir an Jahren überlegene Seefahrer. Und so wie ich sie, hatten auch sie mich ins Herz geschlossen. Auch Struve begleitete den ›Pelikan‹, der mich von seiner Insel entführte, bis weit außerhalb der Riffe. Immer und immer wieder winkte er mir ein Lebewohl zu. Erst als uns hinter der Insel Eimeo die frische Brise schäumend durchs Wasser jagte, blieb er mit seiner Segeljacht zurück.

Aitutaki, der damalige Sitz des englischen Residenten, ist ein großes Dorf, in dem sich ein paar englische und amerikanische Kaufleute angesiedelt haben. Das Verhältnis der Weißen zu den Eingeborenen war kein gutes. Wir sahen das sofort, als wir den Fuß an das Land setzten. Die schwarzbraunen, in Leinenkleider gehüllten Eingeborenen erwiderten unsern Gruß nicht, wenn wir an ihnen vorüberschritten und nur da, wo Polizisten ein wachsames Auge auf herumlungernde Burschen hatten, ließen sich letztere zu Handreichungen herbei. Der dafür geforderte Lohn stand aber in gar keinem Verhältnis zu den Leistungen. Schon am ersten Tage verging mir die Lust nach einem Ausflug in das Innere der Insel, so verlockend auch die wahrhaft prachtvolle Vegetation auf mein dafür stets empfängliches Gemüt einwirkte. Wir alle waren herzlich froh, als der ›Pelikan‹ seine Ladung an Bord hatte und wir die ungastlichen Gestade verlassen konnten. Nach den Cook's-Inseln würde ich nicht zurückkehren.

Ein Erlebnis hatte ich in Aitutaki, das mir aufrichtige Freude bereitete. Kurz vor unserer Abreise lief ein kleiner englischer Schoner ein, der die Versorgung der englischen Inseln jener Breiten mit europäischen, richtiger, englischen Erzeugnissen zu seinen Aufgaben zählte. Dieser Schoner konnte seines geringen Tiefganges wegen näher an die Rüste, als unsere Bark. Als er in die Bucht einlief, saß ich gerade in unserem Boot, um auf die Riffe zum Hummerfang zu fahren. Hart glitt der Schoner, und rücksichtslos wie die »Herren der Meere« nun einmal sind, an unserm Fahrzeug vorüber, das fast in Gefahr kam, übersegelt zu werden. Ich hatte mich aufrecht ins Boot gestellt und rief dem Manne auf dem Achterdeck – keine Schmeichelworte – zu. Da beugte sich ein schwarzer Kopf über die Reling. Ein paar Arme fuchtelten wild in der Luft herum und ein lauter Schrei, der wie der gellende Ruf meines Namens klang, vermischte sich mit dem Rasseln der gerade jetzt niedergehenden Segel.

»Der Schneeball kennt Sie wohl!« rief mir Wichhorst zu, der vom Achterdeck aus der Einfahrt des Seglers zugeschaut hatte.

»Ich wüßte mich nicht zu entsinnen, wo und wann ich die Ehre seiner Bekanntschaft hatte. Seit zwölf Jahren war ich nicht in hiesiger Gegend. Ich vermute aber, daß er meine Koseworte erwiderte.«

»Nein, nein. Ich hörte deutlich wie er Ihren Namen, allerdings verkürzt, rief. Das glänzende Gesicht leuchtete vor Freude.«

»Dann wird er mir wohl seine Aufwartung machen. Einstweilen habe ich meine Sprechstunden auf das Riff verlegt. Sagen Sie ihm das, wenn er kommen sollte.«

Ich lag gemächlich unter dem Sonnensegel und trank in Gesellschaft von Kröger und Wichhorst meinen Nachmittagkaffee, als sich ein Matrose näherte:

»Butenbords hängt so 'nen swatten Düwel an de Ankerkett! He will unsen Passascheer spreken,« meldete er in breitem Plattdeutsch.

»Das wird Ihr Freund von dem Schoner sein,« rief Wichhorst.

»Na, denn will ich mal mit nach vorn gehen ...«

»Ach wat!« unterbrach der Kapitän. »Lat em an Deck kummen, Krischan, un bring en no achtern. Wi liggt hier grod so scheun.«

Im Laufschritt stürzte der Braune, der schon auf der Back stand, über das Deck auf mich zu und warf sich vor meinem Liegestuhl auf die Planken.

»Sie sind es, o gewiß, Sie sind es, Mister Emery. Wie freut sich Tonga, daß er seinen Herrn wiedergefunden hat.«

Verwundert wehrte ich die mit diesem Herzenserguß verbundenen Handgreiflichkeiten ab, und blickte dem Eingeborenen in die Augen. Blitzartig traten mir die Ereignisse auf Viti Levu vor Augen.

»Tonga, du!« rief ich, und meine Freude war kaum geringer, als die des Fidschi-Insulaners, »wie kommst du hierher?«

Die Frage war ziemlich überflüssig, da ich ihn ja an Bord des Schoners gesehen hatte. Er antwortete auch gar nicht darauf, sondern rief immer wieder:

»Gut, gut, daß mein Herr wieder da ist. Tonga bleibt jetzt immer bei seinem Herrn.«

Natürlich waren meine Begleiter über die Erkennungsszene höchlichst belustigt und auch die Deckswache blickte von unten mit unverhohlenem Erstaunen auf uns beide. Ich war dem Kapitän eine Erklärung schuldig.

»Das ist mein getreuer Begleiter und Lebensretter von Suwa. Als ich vor zwölf Jahren mit dem »Gustav«, Kapitän Sutor, in Viti Levu war, machten ein deutscher Kollege und ich einen Ausflug auf die noch von Kannibalen bewohnte Insel Mbenga. Hier unser Freund Tonga begleitete uns. Er war es, der meinen Gefährten Riebe, der bereits gefesselt in der Gewalt der Wilden war, befreite. Später noch leistete er uns gute Dienste aus Viti Levu und Levuka. – Es freut mich aufrichtig, daß mich der Mann nicht vergessen hat. Dafür muß ich ihm an Land eine kleine Freude machen. – was hättest du gern, Tonga?«

»Oh, keine Geschenke, Herr! Tonga ist so froh, so froh. Tonga geht mit Ihnen, wohin Sie gehen, Mister Emery.«

Es tat mir weh, dem braven Menschen eine Enttäuschung bereiten zu müssen. Ich konnte ihn unmöglich mit nach Neuseeland und nach Australien nehmen. Das hätten die englischen Behörden auch gar nicht erlaubt. Das sagte ich ihm denn auch. Gleichzeitig versprach ich ihm, mit ihm an Land zu fahren und ihm in einem der Kaufhäuser ein Andenken an seinen früheren Herrn zu erwerben.

Tonga sah mich an, wie etwa ein treuer Hund seinen grausamen Gebieter anschauen würde. Er schüttelte traurig den Kopf:

»Tonga hat Andenken genug,« sagte er. »Tonga will nur dableiben und mitgehen, wohin Mister Emery geht.«

Nun legte sich der Kapitän ins Mittel.

»Sei vernünftig, Tonga. Die Engländer erlauben es nicht, daß du aus den Inseln fortgehst. Du kannst auch nicht am Lande mit Mister Emery frei verkehren, denn du weißt, daß das die weißen Engländer nicht gern sehen. Wenn du aber hier an Bord bleiben kannst, das heißt, wenn dich dein Steuermann beurlaubt, dann komme jede Zeit zu uns. Meine Leute lassen dich an Deck kommen.«

»Oh, mein Steuermann ist so böse. Hat Tonga verboten von Bord zu gehen. Aber Tonga mußte zu Mister Emery. Tonga einfach fortgelaufen.«

»Donnerwetter, das kann böse für dich ausgehen, Tonga. Das war sehr unklug von dir. Du weißt, daß schwere Strafe auf Desertion steht.«

»Ja, aber wie sollte ich anders zu meinem Herrn kommen?«

»Nun ja. Es ist nun einmal geschehen und wir müssen sehen, wie wir die Geschichte wieder in Ordnung bringen können. Ich werde zu meinem englischen Kollegen hinüberfahren und ihm die Rührszene vortragen. Hoffentlich hat er noch keine Anzeige erstattet.«

Kapitän Kröger ließ sofort sein Boot klarmachen, vor der Abfahrt sagte er noch:

»Bearbeiten sie den armen Kerl nur, daß er vernünftig wird, versprechen sie ihm einen Besuch auf seiner Insel. Aber auf sein Schiff muß er zurück. Da hilft kein Bitten und Betteln.«

Wichhorst vereinigte seine Überredungskünste mit den meinen, um dem armen Kerl Vernunft beizubringen. Es ging aber auch ihm zu Herzen, daß unter der braunen Haut ein so empfindsames Gemüt wohnte. Selbst die Matrosen, denen die Geschichte natürlich bekannt geworden war, blickten freundlich auf Tonga, sie hätten nichts dagegen gehabt, wenn er an Bord geblieben wäre, so sehr sie sich sonst gegen Farbige wehren.

»Der hat ein Herz wie ein Hamburger Leichtmatrose,« sagte später der Zimmermann. »Der ist nur aus purem Versehen in die braune Haut geraten.« Der Tonga setzte anfangs allen Versuchen, ihn wieder auf sein Schiff zu senden, hartnäckigsten Widerstand entgegen. Erst als Wichhorst erwähnte, daß der ›Pelikan‹ auf seiner Heimreise von Australien auch Suwa anlaufen würde, begann er »handlicher« zu werden. Selbstverständlich verschwieg der Steuermann, daß ich dann nicht mehr an Bord war. Die verzeihliche Täuschung mußten wir im Interesse des Burschen selbst vornehmen. – Ob dann später der ›Pelikan‹ den Mann in Suwa gesehen, erfuhr ich nie, denn ich bekam keine Gelegenheit wieder, die Freunde nochmal zu sprechen.

Kapitän Kröger kehrte bald zurück.

»Der Kollege von der ›Swallow‹ ist freundlicher als ich das von ihm voraussetzte. Er wird uns heut' abend hier an Bord besuchen, um von Ihnen die Menschenfressergeschichte zu hören. Tonga kann solange hierbleiben, muß aber mit seinem Kapitän an Bord zurück.«

Diese deutsch gesprochenen Worte übersetzte ich dem braunen Freunde, der nun weniger widerspenstig war. Er ließ sich aber von Kapitän Kröger bestätigen, daß er mit seiner Bark ganz bestimmt nach Suwa kommen würde.

Ich benutzte die Gelegenheit, um mich über die Bewohner der Kannibalen-Insel näher zu unterrichten.

»Die sind ganz fromm geworden,« sagte er mit wegwerfender Handbewegung. »Bald nachher find Missionare nach Mbenga gegangen, um den Wilden den wahren Gott zu bringen. Drei davon haben sie aufgefressen. Da aber einer der Umgekommenen ein Verwandter des Residenten war, wurden Soldaten auf die Insel geschickt. Die hausten noch schlimmer wie die Wilden. Nun ist alles ruhig. Sie können Schmetterlinge fangen, ohne zu fürchten, daß man Sie nebenbei auffrißt.«

Der Kapitän des Schoners, ein trinkfester Herr, der unglaubliche Mengen Whisky vertragen konnte, ließ sich von mir die damalige Episodevgl. Band I, S. 190 ff. mit allen Einzelheiten erzählen. Ich setzte die Verdienste meines Tonga in das gebührende helle Licht. Ich erwies damit meinem braunen Freunde einen wertvollen Dienst, denn der Kapitän zeigte volles Verständnis für den kühnen Mut und die Treue des Mannes. Er versprach mir fest, den Tonga nunmehr im Auge zu behalten, weil auch er den zunehmenden Mangel an verläßlichen Leuten unter den Eingeborenen beklagte. Hoffentlich hat er Wort gehalten. – Der Abschied von mir, als der fremde Kapitän den Tonga mit sich nahm, gestaltete sich rührend. Das Versprechen, mich am nächsten Tage besuchen zu dürfen, veranlaßte ihn, den Befehlen seines Vorgesetzten zu gehorchen. Ich sah ihn aber erst drei Tage später und dann nur auf kurze Zeit wieder. In der Nacht kam nämlich ein Unwetter auf, das uns zwang, die hohe See aufzusuchen, da wir in das Binnenwasser nicht mehr einlaufen konnten. Wir mußten, der vielen Klippen wegen, etwa zwei Grade nördlicher gehen und als das Wetter vorübergezogen war, zwang uns Gegenwind, zu kreuzen. Wir kamen erst nach Aitutaki zurück, als die »Swallow« bereits den »blauen Peter« im Vortopp hatte. Jene Flagge, die vor der Abfahrt eines Schiffes gesetzt zu werden pflegt.

Sechs Wochen später verließ ich den ›Pelikan‹ im Hafen von Sidney. Da Australien, meinem Reiseplane nach, erst nach dem Besuche von Neuseeland bereist werden sollte, so nahm ich den ersten nach Auckland abgehenden Dampfer. Dort mußten zahlreiche Briefe für mich auf dem deutschen, wie auf dem amerikanischen Konsulate lagern. – Ich fand auch eine ganze Anzahl, unter denen einer mich besonders dringend aufforderte, meine Aufgaben auf Neuseeland mit möglichster Beschleunigung zu beenden, da man meine Anwesenheit in einem entgegengesetzten Teile der Welt, in Nordsibirien wünschte...

Noch etwas anderes fand ich in Auckland. Die Dame vom Vergnügungsdampfer »Washington«, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, sich meiner Expedition ins Innere der Nordinsel (Neuseeland besteht bekanntlich aus drei Hauptinseln) anzuschließen. Ich hatte mein damals etwas voreilig gegebenes Versprechen längst vergessen und war daher nichts weniger als angenehm überrascht, als ich die Dame, die übrigens Verwandte in Auckland hatte, dort plötzlich vor mir auftauchen sah. – Die Witterungsverhältnisse ließen es übrigens wünschenswert erscheinen, zuerst die Südinsel zu besuchen. Der Winter stand vor der Türe und in der Jahreszeit ist das Reisen in jenen Gegenden äußerst schwierig und für den Zoologen ziemlich zwecklos. – Ich betrieb die Vorbereitungen zu der Reise besonders eilig, weil ich hoffte, dadurch meine unbequeme Begleitung auf anständige Art loszuwerden. Der amerikanische Konsul unterstützte mich dabei aus leicht begreiflichen Gründen. Er schlug Ausflüge in die Umgebung vor. Am Waitewata-See besaß er ein Landhaus. Dort sollte Miß Price sich mit der aristokratischen Jugend von Auckland die Zeit vertreiben, bis der Deutsche wieder abgereist war. – Während der ersten Tage meines Aufenthaltes auf dem Isthmus widmete ich meine Aufmerksamkeit den zahlreichen erloschenen Vulkanen, die sich im Umkreise von fünfzehn Kilometern um die Stadt Auckland aufbauen. Es sind zwar nur Kegel von zwei- bis dreihundert Meter Höhe, aber so regelmäßig gebildet, daß man den Eindruck hat, als seien sie künstliche Gebilde von Menschenhand.

Diese Kraterberge haben ein historisches Interesse. Hier lebten einst die Urbewohner des Isthmus von Auckland. Ein hochbegabtes, friedfertiges Volk, das allerdings dem Kannibalismus verfallen war. In der Ueberlieferung heißt der Stamm Ngatiwatua, der über vierzigtausend Krieger seinen Feinden gegenüberstellen konnte. Auf den Höhen der Kraterberge stieß ich noch auf die Ueberreste einstiger Befestigungen und ein Maorijunge, der sich dort oben herumtrieb, führte mich an eine Grube, die unter Gras und wucherndem Unkraut noch Haufen von Muschelschalen barg, mit deren Tieren sich einst die Krieger genährt haben sollten. – Von dem vor zwei Menschenaltern noch so mächtigen Stamme ist heute fast nichts mehr übrig geblieben. Ein kleines Dorf an der Haurakibucht beherbergt noch wenige Familien, die von jenen Ngatiwatuas abstammen sollen. Bei meinem Besuche wurde ich aber so unfreundlich empfangen, daß ich es vorzog, mein Boot an die gastlichere Küste zurückzurudern. Ich bedauere das um so mehr, als es wohl nur noch eine Frage weniger Jahrzehnte ist, daß auch diese letzten Vertreter eines so hochbegabten Volkes vom Erdboden verschwinden. Ihnen folgen die Maori, die von der angelsächsischen Rasse ebenso vertilgt werden, wie ihre Leidensgenossen. Das weiß übrigens auch der Maori, der selbst sagt, daß sein Volk von den Engländern ebenso vernichtet werden wird, wie der Klee das heimische Farnkraut verdrängt hat.

Eines Morgens stand ich vor den Lavahöhlen von Three Kings, in denen zahllose Gerippe Erschlagener modern, als mir der Wind den Ton einer Dampfersirene herübertrug. Hinter den drei Felsenfingern vor dem Hafen Manukan stieg eine Rauchfahne in den Aether. Der langersehnte Dampfer, der mich nach Christchurch auf der Südinsel bringen sollte, war endlich eingetroffen. Zwei Stunden später stand ich bereits auf seinem Oberdeck und ließ meine Blicke über die wunderschöne Gartenstadt schweifen, die sich zwischen dem Manukan und dem Waitewata über Tal und Hügel hinzieht. Hier in dem modernen England merkt man kaum, daß man sich in Neuseeland befindet, selbst der sich im Norden des genannten Sees aus dem Wasser erhebende Kanzitoto sieht so aus, als ob er ebenfalls aus England hierher verpflanzt worden sei.

Ich empfand keinerlei Bedauern, als die »Solingen« langsam aus der Bucht dampfte und ihren Kurs südwärts durch die Plenty-Bai nahm. Derart europäisierte Landstriche sind mir von jeher wie eine Entweihung des Eigentums fremder Völkerrassen vorgekommen, und wenn ich auch einsehe, daß unser altes Europa für seinen Ueberschuß an Menschen neuer Gebiete bedarf, so sehne ich mich doch immer wieder in jene Länder zurück, in denen der Weiße noch eine seltene Erscheinung ist. Allerdings werden derartige Landstriche von Jahr zu Jahr seltener und es dürften keine fünfzig Jahre mehr vergehen, bis unsere Rasse auch in die entferntesten Winkel unseres Erdballes vorgedrungen ist.

Unter den wenigen Fahrgästen unseres Frachtdampfers befand sich ein Mann, dessen ganze Ausrüstung darauf hindeutete, daß er ebenfalls das Innere des Landes anzusehen beabsichtigte. Er war äußerst wortkarg und ging jedem aus dem Wege, der es versuchte, ihn in ein Gespräch zu ziehen. Dahingegen bekundete er ein großes Interesse an den Reisezielen der Mitpassagiere. Einer der Aufwärter mußte jeden einzelnen ausforschen und ihm das Ergebnis mitteilen.

Da wir uns auf einem Hamburger Dampfer befanden, war es sehr natürlich, daß ich mit Kapitän und Offizieren bald in dem heimatlichen Plattdeutsch Erinnerungen austauschte. Dabei wird man rasch einander nähergebracht und als die beiden Teilen naheliegenden Gesprächsstoffe erschöpft waren, begann sich die Unterhaltung um Land und Leute zu drehen.

»Sie haben wohl davon gehört, daß man auf der Nordinsel reiche Goldlager gefunden hat?« fragte mich der Kapitän, als wir in Sicht der kleinen Vulkaninsel Wakari (White Island) über die Inselberge sprachen.

»Wer hat Ihnen denn das aufgebunden?« erwiderte ich lachend. »In Auckland weiß man noch nichts davon. Und dort sollte man doch am ehesten darüber orientiert sein.«

»In Brisbane schrieben die Tagesblätter lange Artikel darüber und in Sydney hätte ich sogar einige fünfzig Goldgräber als Passagiere bekommen können. Ich winkte aber ab. Ich mag mit dem Gesindel nichts zu tun haben. Einer scheint mir aber doch hängen geblieben zu sein ...«

»Sie meinen jenen wunderlichen Heiligen dort?«

»Er gab sich als Schulmeister aus, als er in Sydney an Bord kam. Nachher behauptete er, er sei Photograph, wenn sie aber sein Gepäck betrachten, dann wissen sie sofort, daß er auf den Goldschwindel hereingefallen ist. – Es ist übrigens ein Deutscher.«

»Dann sollte man den armen Kerl doch warnen!«

»Hm – wenn sie es versuchen wollen. Ich habe keine Veranlassung dazu, da er, wie gesagt, angab, er wolle als Photograph das Innere bereisen.«

Der Abendspaziergang auf Deck bot Gelegenheit, mit dem Wortkargen ein Gespräch anzuknüpfen. Aus dem niederen Krater der Wakari-Insel, der höchstens zweihundert Meter aus dem Meere aufragt, schossen unvermittelt hohe Flammensäulen in den dunkelnden Himmel, während am Tage dichte weiße Dampfwolken über dem Regel lagen, stieg jetzt schwarzer Qualm aus dem Vulkan. Die Wahrnehmung veranlaßte den Kapitän, seinen Kurs zu ändern, um vor Ueberraschungen sicher zu sein. Seebeben im Gefolge solcher Ausbrüche sollen nicht gerade zu den Seltenheiten gehören. Der zweite Offizier, der bereits im Innern der Nordinsel gewesen war, gab uns nähere Aufschlüsse über das Phänomen.

»Der Wakari steht in direkter Verbindung mit dem Tongariru-Vulkan im Innern der Insel,« sagte er in belehrendem Tone, »wenn der Kleine hier anfängt Feuer zu spucken, dann wird sein großer Bruder am Tauposee auch nicht ruhig sein. Dann ist es nicht ratsam, die Gegend aufzusuchen. Das ganze Land zwischen der Küste und dem Tongariru ist dann in Aufruhr. Man erkennt deutlich den Weg, den das unterirdische Feuer zwischen den beiden Vulkanen nimmt. An vielen hundert Stellen strömt der Boden Dämpfe und giftige Gase aus. Der berühmte Rotomahanasee, der gleichfalls in dem Trakt liegt, schießt seine kochenden Wasser viele, viele Meter hoch in den Aether...«

Während der lebhaften Schilderung des Offiziers hatte sich auch der schweigsame Passagier unserer Gruppe genähert. Mit großem Interesse folgte er den Erklärungen. Als nun der Rotomahanasee erwähnt wurde, warf er, wie absichtslos, die Frage auf:

»Ist das der See, der sich am Fuße des Vulkans Ruapahu hinzieht?«

»Nicht doch, der Ruapahu liegt südlich von dem tätigen Vulkan Tongariru. Er ist längst erloschen. Sie meinen wohl den großen Tauposee?«

»Der Tauposee wurde mir in Sydney als ein großer ruhiger Landsee geschildert. Ich beabsichtige, mich an seinen Ufern niederzulassen,« erwiderte der Fremde. »Da Sie die Gegend zu kennen scheinen, wäre mir eine Auskunft sehr erwünscht.«

Lachend antwortete der Offizier:

»Wer Ihnen das sagte, hat sich einen Scherz mit Ihnen erlaubt, wenn irgendein Punkt in der Welt ungeeignet als Wohnsitz ist, so ist das die Gegend um den Tauposee. Sie irren sich in der Ortsbezeichnung.«

»Darf ich fragen, ob Ihnen ein Gesellschafter angenehm ist?« wandte ich mich jetzt an den fremden Landsmann. »Ich habe die Absicht, das Seengebiet zu durchforschen. Allerdings wollte ich zuerst der Südinsel einen Besuch machen, wenn ich aber in Gesellschaft eines Landsmannes ...«

Er ließ mich nicht ausreden.

»Ach nein. Ich danke Ihnen. Ich habe vorher noch Geschäfte in Wellington. Ich möchte Sie nicht aufhalten ...«

Die Ablehnung war zu deutlich, um mißverstanden zu werden. Ich ließ die Idee fallen und wandte mich wieder der allgemeinen Unterhaltung zu. – Ich sollte den sonderbaren Menschen später noch wiederfinden!

In Napier verließ uns der Herr, um mit der Bahn nach Wellington zu fahren. Als er den Dampfer verlassen hatte, teilte mir der Aufwärter mit, daß er durch Indiskretion – er hatte das Tagebuch durchgeblättert – erfahren habe, daß der Mann am Ruapahu Gold graben wolle. Er habe dort ein Stück Land zu dem Zwecke angekauft. – Die Mitteilung löste ein lebhaftes Bedauern mit dem Manne aus, der zweifellos in die Hände von Schwindlern gefallen war.

In Christchurch verließ ich die ›Solingen‹. Das freundliche Städtchen, seine niedrigen Häuser mit Glas- oder Wellblechdächern, machten einen anheimelnden Eindruck. Auch die gastfreie deutsche Familie, an die ich von Auckland aus empfohlen war, überbot sich in Freundlichkeit, aber – zu einer Reise in's Hochland kam ich zu spät. Der Winter hatte seinen Einzug gehalten und die Berge waren bis tief hinunter beschneit. Unter diesen Umständen mußte ich schweren Herzens darauf verzichten, auch nur bis an den Fluß der wildzerrissenen Gebirgskette vorzudringen. Kein Führer hätte mich dorthin begleitet. Ich benutzte daher schon drei Tage später die Gelegenheit eines Küstendampfers, um mich wieder auf die Nordinsel zu begeben. Mein Versprechen, mit Eintritt des Sommers zurückzukehren, konnte ich nicht einlösen.

In Wellington, einer lärmenden Handelsstadt an der Cookstraße, kannte man ebenfalls das Gerücht von den Goldfunden im Innern. Hier sprach man indessen von dem Berge Taranaki als dem Fundorte. In eben der Gegend baute eine englische Gesellschaft eine Eisenbahn und ich glaube, daß nur diese das Gerücht aussprengte, um billige Arbeitskräfte zu bekommen, denn in den Straßen der Stadt besagten Plakate, daß jeder, der acht Tage an der Bahn baue, freie Fahrgelegenheit bis zum Fuße des Taranaki oder Mount Egmont, wie ihn die Engländer nennen, bekommen. Natürlich war der Andrang ein großer und die Unternehmer machten rasche Fortschritte.

Das Goldfieber war meinen Zwecken insofern ungünstig, als sich die Löhne für jede Handreichung ins Fabelhafte verstiegen. Als ich zuerst verlauten ließ, daß ich einige handfeste Burschen als Träger ins Innere benötigte, umschwärmten mich sofort alle Müßiggänger des Hafenviertels. Jeder witterte in mir eine »Milchkuh«, die zur richtigen Zeit auch abgeschlachtet werden konnte. Andere wieder glaubten in dem Naturforscher jenen Mann zu erkennen, der die reiche Ader entdeckt und nun die Absicht habe, sie auszubeuten. Zu allen Tagesstunden, ja selbst in der Nacht, drängten sich Menschen an mich heran, die Anteilscheine kaufen wollten. Meine Versicherungen, daß ich nichts von Goldadern wisse, begegneten ungläubigem Kopfschütteln. Mit feindseligen Blicken verfolgte man jeden meiner Schritte und nach einigen Tagen kam es soweit, daß ich auf Schritt und Tritt Leuten begegnete, die sich vorher mit zuvorkommendsten Worten als Freunde bezeichneten, jetzt aber unwillkürlich unter die Weste nach der verborgenen Waffe griffen.

Da ich unter solchen Umständen nicht darauf rechnen durfte, am Platze passende Leute zu finden, entschloß ich mich, weiter nach Norden zu fahren und in Napier mein Heil zu versuchen. Mittags im Gasthause äußerte ich den drei Deutschen gegenüber, mit denen ich speiste, meine Absicht und flocht dabei das Bedauern ein, daß es mir nicht vergönnt sei, das Innere der Insel zu bereisen.

»Warum machen sie die Reise denn nicht zu Wasser?« fragte einer der Herren, der ein Schiffsartikelgeschäft betrieb.

Die Frage machte mich nachdenklich.

»Ja, warum eigentlich nicht?« fiel nun auch der Schweizer ein.

»Weil ich daran nicht gedacht habe,« konnte ich nur erwidern. »Gibt es denn Orte an der Westküste, von denen aus man einen Marsch ins Innere antreten kann?«

»Wenn ich es zu machen hätte, würde ich den Wanganuifluß hinauffahren,« sagte der Kaufmann.

»Ist denn der schiffbar?«

»Im allgemeinen wird er wohl nicht befahren, weil die Dörfer, die an seinen Ufern liegen, jetzt von der Bahn versorgt werden. Sie können aber mit einem Boot bis an die Stromschnellen gelangen. Damit ist dann auch wohl Ihr Zweck erreicht.«

»Sie können mir doch sicher ein für die Reise passendes Boot verkaufen?« fragte ich lauernd.

Der Schweizer lachte belustigt, als der Kaufmann offenherzig antwortete:

»In der Tat möchte ich Ihnen den alten Trog aufhängen, den ich hier liegen habe. Es ist für Ihre Reise wie gemacht. Ein breites Flachboot, nicht teuer und es hält auch einen Puff aus. An Ort und Stelle angekommen, lassen sie es treiben. Irgendeiner wird es sich dann als gute Beute aneignen ...«

»Und Ihnen wieder verkaufen!« ergänzte der Schweizer.

»Wenn es solange zusammenhält, warum nicht!«

»Nach alledem handelt es sich also um einen Kahn, der mir auch schon am ersten Tage Ueberraschungen bereiten kann?« fragte ich, den Punkt ernsthafter prüfend.

»Wenn sie nicht vorsichtig damit umgehen, ist das nicht ausgeschlossen. Das Boot trieb vor etwa zehn Jahren hier an und da es niemand als Eigentum beanspruchte, zog ich es in meinen Schuppen, ließ es kalfatern und teeren ...«

»... und seit der Zeit harrt es auf einen neuen Herrn!« ergänzte der allzeit fröhliche Schweizer.

»Wie bringe ich das Boot bis an die Wanganuimündung?«

»Hm, das ist wohl der schwierigste Punkt,« antwortete der Kaufmann.

»Ist es seetüchtig?«

»Ich würde mich damit keine hundert Meter aus dem Hafen wagen, obwohl ich einst Seemann war!«

»Das genügt. In dem Falle kann aus unserm Handel also nichts werden,« erwiderte ich. »Mir bleibt demnach nur die Eisenbahn und die benutze ich nur sehr ungern.«

»Sie befördert auch noch keine lebenden Menschen.«

»Warum sagen Sie ›lebende‹ Menschen?«

»Weil unter dem Gesindel, das an der Bahnlinie arbeitet, Mord und Totschlag an der Tagesordnung sind. Die Leichen werden mit den Arbeitszügen hierhergebracht. Aus dem Grunde würde ich Ihnen auch davon abraten, Ihren Kahn mit dem Zuge bis an den Fluß befördern zu lassen.«

» Meinen Kahn?«

»Na, sie kaufen ihn ja doch,« rief der Händler treuherzig. »So eine alte Seeratte wie Sie fährt doch lieber auf einem Brette auf dem Wasser, als erster Klasse auf der Eisenbahn.«

»Das haben Sie erraten. Aber wenn ich das Boot nicht an die Flußmündung geliefert bekomme, kann ich es nicht brauchen.«

»Nun, dann lassen Sie uns ernsthaft über das Geschäft reden,« begann der Kaufmann in verändertem Tone. »Der Kahn ist nicht ganz so schlimm, wie ich ihn schilderte. Ich sagte Ihnen allerdings über dessen Erwerb und Alter die Wahrheit, damit Sie wissen, woran sie sind. Wenn Sie mit den hiesigen Fischern ein Abkommen treffen, bringen diese das Boot im Schlepp an Ort und Stelle, während Sie selbst mit den Barken fahren. Ich ordne das schon.«

»Und woher bekomme ich die Ruderer und die Träger, die mich später begleiten sollen? In der Stadt habe ich alles versucht, ohne zu einem Resultate zu gelangen.«

»Haben Sie schon mit den Maori gesprochen, die vom Lande hereinkommen?«

»Das allerdings übersah ich. Uebrigens verstehe ich deren Sprache auch nicht und sie werden nicht englisch sprechen.«

»Lassen Sie mir freie Hand, die nötigen Vorbereitungen zu treffen? Wohin sollen Sie die Leute begleiten?«

»Wenn irgend möglich bis zur Plentybai. Jedenfalls bis in den Seendistrikt.«

»Gut. Ich ordne das. Wollen sie Ihren Kahn sehen?«

Das Boot hatte verzweifelte Aehnlichkeit mit einem riesigen Backtrog. Wenn es jemals an Bord eines Seeschiffes war, dann mußte es schon ein respektables Alter haben, denn die ältesten Seeleute konnten sich nicht erinnern, je ein solches Ungetüm in der Schiffahrt bemerkt zu haben. Es war übrigens sehr solide gebaut. Das verwendete Holz war eisenhart und wenn das Boot einen Kiel gehabt hätte, wäre ich selbst damit in See gegangen.

»Lassen Sie ihm einen falschen Kiel machen,« schlug der Händler vor. »Draußen auf der Werft ist das in acht Tagen geschehen.«

»Nein, aber Ausleger lasse ich anbringen, so wie es die Südsee-Insulaner mit ihren Einbäumen machen. Die verhindern das Kentern und ...«

»... erschweren das Segeln ungemein,« fiel der Kaufmann ein.

»Schadet nichts. Zeit genug habe ich ja.«

Drei Tage später erlebten die Hafenbewohner ein ungewohntes Schauspiel. Aus ihrem Hafen lief ein ungeschlachtes Fahrzeug vor zwei großen Segeln in die unruhige See. Zu beiden Seiten des Bootes schwammen, an je zwei Stangen befestigt, scharf geschnittene Baumstämme, die das Wenden des Kahnes bedeutend erschwerten, und der frischen Brise einen kräftigen Widerstand entgegensetzten. Uns selbst bot das eigenartige Fahrzeug Stoff zu manchem faulen Witze und wir nahmen es den Matrosen der im Hafen ankernden Schiffe nicht übel, daß sie ihrem Spott freien Lauf ließen. Ich war aber zu dieser Sicherung des Bootes gezwungen, weil sich niemand fand, der mir den Kahn bis an die Mündung des Flusses geschleppt hätte. Jeder schwor hoch und heilig, daß das flache Fahrzeug keine zehn Meter draußen segeln könne ohne zu kentern. Dieser Ansicht war auch ich und da ich den schadenfrohen Bummlern am Hafen nicht den Triumph gönnte, einen Deutschen vor einem Wagnis zurückweichen zu sehen, griff ich zu jenem Ausweg. Uebrigens begleiteten uns eine Anzahl Neugieriger teils auf dem Wasser in seefesten Kielbooten, teils am Lande. Jeder wartete auf den Augenblick, wo der verdammte Deutsche um Hilfe rufen werde. – Den Gefallen tat ich ihnen aber nicht. Wir kamen auch gar nicht in die Lage, denn das Boot hielt sich vorzüglich – solange es im Schutze der Küste war. Als wir, übermütig geworden, uns etwas weiter in See wagten, begann ein Tanz, daß uns Hören und Sehen verging und unser Rudersmann, ein farbiger Fischer, schleunigst wieder die Nähe der Küste aufsuchte.

Wir waren unserer fünf. Der deutsche Kaufmann ließ es sich nicht nehmen, an der abenteuerlichen Fahrt teilzunehmen. (Sein Name ist mir entfallen.) Er hatte einen farbigen Fischerknecht, der wie eine Ente schwimmen konnte, als Steuerer gewonnen, und zwei englischsprechende Maori aus dem Norden als Diener für die Dauer der Reise engagiert. Diese beiden wurden schon in den ersten zehn Minuten seekrank. Dem Umstande habe ich es auch zu danken, daß sie die Reise überhaupt mitmachten und nicht bei dem ersten Tanze über Bord gingen. Die uns begleitenden Menschen sahen unsern Manövern teils belustigt, teils mit offenem Hohne zu. Es gab aber auch Menschenfreunde, die in wirklicher Sorge um uns waren. Diese kamen in unsere Nähe und boten uns ihre eigenen Fahrzeuge an. – Von außen mag es auch sehr gefährlich ausgesehen haben, wie wir den Kampf mit der Dünung ausfochten. Uns Bootsinsassen jedoch kam der Gedanke an eine Gefahr überhaupt nicht. Wir hatten fast gar kein Wasser übergenommen und durften hoffen, unser Reiseziel glücklich zu erreichen, wenn wir uns von den Klippen freihielten, die oft bis dicht an den Wasserspiegel reichten.

Als unsere Begleiter sahen, daß wir keine Miene machten, den Kahn zu verlassen, verloren sie das Interesse an der Fahrt. Nach und nach wendeten sie den Bug wieder heimwärts. Endlich gegen Mittag war nur noch ein Segelboot in unserer Nähe, dessen Steuerer uns hartnäckig das Geleit gab. Diese Beharrlichkeit bot uns manchen Gesprächsstoff, denn jeder von uns wollte in dem unermüdlichen Nachbarn etwas anderes sehen. Meine Annahme, daß der Mann am Ruder nur wissen wollte, wo ich zu landen beabsichtige, um dort sofort alles erreichbare Land anzukaufen, schien mir das richtige.

Nachmittags begann der Wind, der bisher vom Lande nach der See geweht hatte, aus umgekehrter Richtung zu blasen. Dadurch wurde unsere Lage bedeutend unangenehmer, denn nun waren wir gezwungen zu kreuzen und das ging mit den hemmenden Auslegern nur sehr schwer. Manch' kecke Welle verirrte sich in unser Fahrzeug und nach kaum einer Stunde waren wir bis auf die Haut durchnäßt und hatten zwei Hände breit Wasser im Kahn.

»Steuere an die Küste,« befahl ich dem Farbigen. »Suche dir eine Stelle aus, an der wir geschützt liegen und ein Feuer anzünden können. Wenn wir die Kleider getrocknet haben und die beiden Mauren gesund sind, rudern wir weiter. Bei dem Winde taugt das Boot nicht zum Segeln.«

Mein deutscher Freund war mit dem Vorschlage um so eher einverstanden, als er seine Begleitung nicht weiter ausdehnen wollte. Er war etwa dreißig Kilometer von seinem Landhause entfernt und hoffte in den Farmen der Umgebung ein Pferd zu finden, das ihn noch am gleichen Tage nach Hause trüge. – Ich ließ diese plötzliche Entschuldigung gelten, obwohl ich den wahren Grund anderswo suchte. Dennoch lud ich ihn zu einem frugalen Imbiß ein, der mit einem reichlichen Trunke, ohne den ein Deutscher ja keinen Abschied feiern kann, benetzt wurde.

Die abendlichen Schatten legten sich schon auf den steinigen Strand, als wir uns wieder an Bord begaben. Wir mußten nun zu den Rudern greifen und ich bekam an diesem Abend einen Vorgeschmack von den Annehmlichkeiten der bevorstehenden Flußfahrt. Seit längerer Zeit des andauernden Ruderns ungewohnt, bedeckten sich bald meine Handflächen mit Blasen und meine Arme drohten den Dienst zu versagen. Die drei Farbigen ließen ihrer Schadenfreude freien Lauf, als sie ihren neuen Herrn in dem Zustande sahen. Ich aber holte meine ganze Willenskraft heran, biß die Zähne zusammen und trieb die Ruderer zu immer neuen Anstrengungen an, wenn sie davon sprachen, die Küste anzulaufen, um dort die Nacht zu verbringen. – In den langen Jahren tropischer Wanderungen gewitzigt, wollte ich den Leuten keine Gelegenheit geben, mich mit meinem Troge irgendwo auf dem Strande sitzen zu lassen. Solange man noch ein paar Meter weit sehen konnte, ließ ich unentwegt rudern, wobei ich jede Klippe auf ihre Verwendbarkeit als Nachtlager mit den Blicken prüfte. Endlich, als die volle Mondscheibe schon auf dem Ozean stand, tauchte rechts von uns ein flacher Felsen auf, dessen moosbewachsene Oberfläche mir als ideales Ruheplätzchen erschien. Das leicht phosphoreszierende Meer zeigte um den Fuß des Felsens eine lebhafte Unruhe. Ich schloß daraus, daß Haie dort einen Futterplatz gefunden hatten und durfte nun auch darüber beruhigt sein, daß meine Ruderer auch auf Schwimmübungen verzichteten. Die mürrischen Gesichter, die sie mir zeigten, als ich meinen Kahn in Lee der zerklüfteten Klippe festmachte, sprachen Bände.

Recht schwierig gestaltete sich der Transport meines Gepäcks aus dem Boot auf den Felsen. Der Steuerer rührte keine Hand zur Hilfe, da er dazu nicht gedungen sei. Die Maori zeigten ebenfalls keine rechte Lust zu der Arbeit und ich hatte sie stark im Verdacht, daß sie mir eine der beiden Blechkisten ins Meer fallen lassen würden, wenn ich sie auch nur auf Augenblicke allein ließ.

Lange überlegte ich, wie ich es anstellen konnte, die Kisten sicher aufs Trockene zu bringen. Für mich allein waren sie zu schwer. Ich konnte aber auch nicht zugleich im Boot und auf der Klippe sein. Die Taue, deren wir uns zum Hochziehen bedienen mußten, wollte der Steuerer zwar oben beaufsichtigen, allein damit war mir nur gedient, wenn er auch ziehen half und das verweigerte er. So verging eine Stunde in zwecklosem Hin- und Herreden. Die drei Braunen saßen oben auf der Klippe. Ich stand im Boot, fest entschlossen, es nicht zu verlassen, wenn nicht alles, Gepäck, Ruder, Steuer und Segel, auf den Felsen geschafft würde. Dann wurde mir die Sache zu dumm. Ich verabreichte den Leuten ihre Abendration an gedörrtem Fleisch und Brot, wünschte ihnen eine geruhsame Nacht und streckte mich im Boot zum Schlafen aus. Vorsichtig löste ich dabei das Tau, das den Kahn hielt, und trieb von den kurzen, leichten Wellen getragen, langsam der Küste zu. Als ich fühlte, daß der Boden den Sand scheuerte, streckte ich den Reservemast fest in den Ufersand und schlang um diese Stütze das Haltetau. So schlief ich, bis mich die aufgehende Sonne weckte.

Meine Leute waren bereits munter, als ich mich anschickte, sie aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen. Sie verlangten ungestüm nach warmen Getränken, da sie ohne Feuer in der Nacht recht empfindlich unter der Kühle gelitten hatten. – Wenn sie aber geglaubt hatten, zu dem Zwecke an die Küste rudern zu dürfen, so hatten sie sich arg getäuscht. Ich schickte sie auf den Felsen zurück, nahm Blechflasche und Spirituskocher und röstete für jeden eine Handvoll Gerste, die mit Rum hinuntergespült wurde. Dieses eigenartige Frühstück erfreute sich rasch der Gunst der Braunen und wenn ich nicht gezwungen gewesen wäre, mich wegen der bewiesenen Unbotmäßigkeit zurückhaltend zu zeigen, so hätte ich mir schon jetzt Freunde geschaffen, die für mich durchs Feuer gegangen wären – wenigstens solange sie mich noch im Besitze des Rums wußten.

Eine frische Landbrise trieb uns vor dem Winde flott durch die Wellen. Wir näherten uns einem größerem Dorfe, dessen männliche Einwohnerschaft dem Fischfang oblag. Das Meer wimmelte von kleinen Fahrzeugen, dessen Insassen unseren Trog mit offenem Munde anstaunten, und offenbar nicht wußten, was sie aus dem seltsamen Schiffe machen sollten. Aber nicht nur die Maori zerbrachen sich den Kopf darüber, sondern auch andere Leute. – Vom Lande stieß ein weißgemaltes, scharfgebautes Boot ab, daß in schneller Fahrt auf uns zuflog und uns sehr bald eingeholt hatte.

»Wohin und woher? Wer sind sie? Was bedeutet das seltsame Fahrzeug?« fragte der neuseeländische weiße Beamte.

»Viele Fragen auf einmal, Herr Leutnant,« erwiderte ich. »Aber ich will versuchen, Ihnen so kurz zu antworten, wie sie die Fragen stellten. Ich bin Naturforscher, komme von Wellington und will den Wanganui soweit hinauffahren, als es möglich ist. Mein Ziel ist der Tauposee. Das Boot kaufte ich von Herrn N., weil ich zu der Flußfahrt ein Flachboot brauche.«

»So, so! Das kann ich glauben oder nicht ...«

»Wie es Ihnen beliebt, Herr Leutnant,« erwiderte ich pikiert.

»Ja, ja. Sie haben wohl Papiere, die Aufschluß über Sie geben?«

»Ein dickes Paket, Leutnant. Hier in der Blechkiste ist es.«

»Die möchte ich sehen. Bitte, folgen Sie mir an Land. Ich kann mich hier nicht mit der Prüfung befassen.«

»Und doch werden Sie es tun müssen, wenn Sie darauf bestehen, Ihre Neugier zu befriedigen. Mein Kahn läßt sich, wie Sie sehen, nicht so leicht regieren, wie der Ihrige, und dann,« ich beugte mich an sein Ohr, »brennen mir meine Leute durch.«

»Die werden nicht weit kommen, wenn sie einen richtigen Dienstvertrag abgeschlossen haben,« gab der Beamte lachend zurück. »Kommen Sie nur zu mir herüber. Einer meiner Soldaten bleibt als Wache auf Ihrem ...«

»Sagen Sie ruhig Backtrog!«

»Ich hatte einen andern Ausdruck auf der Zunge. Also bitte! Und die Papiere nicht vergessen!«

Beim Oeffnen der Blechkiste fiel der Blick des Beamten auf die zerlegte Büchse und einen Revolver. – Wie von einer Viper gestochen, fuhr er empor:

»Sie haben auch Waffen! rief er entrüstet. »Herr, wissen sie auch, daß Sie das auf lange Jahre ins Zuchthaus bringt?«

»Andere ja, mich nicht!« antwortete ich ruhig.

»Die Waffen muß ich beschlagnahmen. Sie sind mein Arrestant.«

»Für die nächste Viertelstunde, ja. Dann werden Sie mich aber gern wieder laufen lassen und froh sein, wenn ich mich mit einer Entschuldigung zufrieden gebe. – Aber bitte, beendigen wir die Unterhaltung. Ich habe Eile, an den Wanganui zu kommen. Gehen wir an Land.«

Mein fester Ton und die kaltblütige Ruhe, die ich zur Schau trug, machten Eindruck auf den Zollbeamten. Er beorderte noch einen zweiten Soldaten in meinen Kahn, raunte ihm ein paar Worte ins Ohr und gab dem Bootsführer Befehl, an Land zu fahren.

Natürlich hatte sich während dieser Unterredung die gesamte Fischerflottille um unsere Fahrzeuge versammelt. Jeder wollte sehen und hören. Man ahnte in dem Weißen einen schweren Verbrecher, den ihre Küstenwache unschädlich gemacht hatte. Diese Kunde pflanzte sich von Mund zu Mund und lange, bevor unser Boot in den kleinen Hafen einlief, war das Gerücht schon im Dorfe verbreitet. Als ich die kurze Strecke vom Boote zum Wachhause zurücklegte, begleitete mich ein Gemurmel in allen Tonarten. Zum Glück für den Beamten verstand ich kein Wort davon.

Auf der Wache hätte es beinahe eine heikle Szene gegeben. Ein allzu eifriger Beamter, der mich ungefesselt in den Raum eintreten sah, sprang auf mich zu und stand im Begriff, Hand an mich zu legen, als ihn noch ein rasches »Halt!« seines Vorgesetzten davon abhielt. Durch höfliches Anbieten eines Stuhles suchte der Leutnant den Mißgriff seines Beamten wieder gut zu machen.

Ein höherer Beamter wurde gerufen. Wahrscheinlich hatte man ihn beim Frühschoppen gestört. Er machte ein Gesicht, als habe er eben Essig getrunken. Den Leutnant fuhr er ungnädig an. Mich würdigte er keines Blickes.

»Was hat also der Mann verbrochen?« fragte er verdrießlich.

Der Leutnant berichtete. Zum Schluß sagte er:

»Da ich im Besitz des Mannes Waffen fand, ersuchte ich ihn, mir hierher zu folgen, um seine Papiere zu prüfen und ...« »Unsinn!« rief der Höhere, aufspringend. »Sperren Sie den Kerl ein und senden Sie ihn nach Wellington. Ich habe keine Zeit, mich damit zu befassen!«

Er eilte der Tür zu, doch mein Ruf bannte seinen Schritt.

»Wollen Sie meine Berechtigung, Waffen zu führen, sofort prüfen oder nicht!« rief ich mit lauter, drohender Stimme. »Es könnte sonst sehr bald ein anderer an Ihrer Stelle diese Station kommandieren!«

Der Ton, in Verbindung mit meinem energischen Auftreten veranlaßte den Mann, an seinen Tisch zurückzukehren. Er war feuerrot im Gesicht geworden und die Zornesader lag wie ein Strick auf seiner Stirn. Das falsche graugrüne Auge schoß giftige Blitze. Ich ließ ihm nicht die Zeit, das Wort zu ergreifen, sondern begann sofort:

»Ich verbitte mir vor allen Dingen einen derartigen Ton. Sie haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, jeden Ihnen zweifelhaften Fall aufzuklären. Von dem Rechte haben sie Gebrauch gemacht. Nun tun Sie Ihre Pflicht. Prüfen Sie diese Papiere. Zunächst diesen Freibrief Ihrer neuseeländischen Regierung, die alle ihr unterstellten Behörden – verstehen Sie wohl, alle – anweist, mir in jeder von mir gewünschten Weise dienlich zu sein. – Dann prüfen sie diesen Waffenpaß. Er ist von der gleichen höchsten Stelle ausgestellt ...«

»Oh, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Mister ... Mister ...,« er suchte nach dem Namen. Mein Leutnant hat da eine furchtbare Dummheit gemacht. Ich werde ihn schwer bestrafen ...«

»Halt!« rief ich. »Der Leutnant tat in höflichster Weise seine Pflicht. Ueber ihn werde ich mich nicht beklagen und Sie werden ihn nicht bestrafen ... Lassen Sie mich nun endlich weiter reisen und betrachten Sie den Zwischenfall als erledigt. Nur tun Sie mir den Gefallen und sorgen Sie dafür, daß mir auf meiner Fahrt zur Flußmündung nicht noch mehr derartige Belästigungen zustoßen.«

Kaum hatten die im Vorzimmer herumlungernden Zollsoldaten den Umschwung in der Stimmung ihres höchsten Herrn wahrgenommen, als sie wie ein Unwetter zwischen die vor dem Wachhause versammelte Menge losfuhren und im Handumdrehen den Platz säuberten. Mit Staunen sahen die Bewohner, wie der Gewaltige in eigener Person den vermeintlichen Schwerverbrecher bis an den Strand begleitete, wo die Bootsmannschaft in strammer Haltung Ehrenbezeigungen machen mußte. Der Herr Oberst blieb auch am Hafensteg stehen, bis das Zollboot neben meinem Trog angekommen war.

Auch auf meine drei Mann übte der Zwischenfall eine gute Wirkung aus. Sie blickten mit einer Art Scheu auf mich und suchten von nun an jeden meiner Wünsche zuvorzukommen. Vielleicht spielte auch der Rum eine Rolle dabei.

An diesem Abend mußte ich am Strande lagern. Ich wählte dazu einen bis an das Meer hinabreichenden Wald, durch dessen Baumbestand der Schein unseres Feuers nach drei Seiten hin verdeckt wurde. Nach See zu konnte ich die Flammen indessen nicht abblenden, allein ich glaubte keinen Grund zu der Befürchtung zu haben, daß etwa vorübersegelnde Schiffe dadurch irregeführt wurden. – Und doch war es so.

Wir hatten uns eben den letzten Grog gebraut und der Steuermann war damit beschäftigt, das Wasserfäßchen an einem Bächlein frisch zu füllen, als wir ein Segel wahrnahmen, das gerade auf unsern Lagerplatz zusteuerte. Mein erster Gedanke war an eine Barkasse der Küstenwache, und ich machte mich schon bereit, den Kasten aufzuschließen. Dann sah ich aber, daß der Rumpf dunkel gehalten war und nun holte ich meine Revolver hervor.

»Das ist das Boot, das mit uns aus Wellington auslief,« sagte der Steuermann, als er das Fahrzeug länger betrachtet hatte. »Was mag der hier zu suchen haben?«

»Rufe ihn an. Er könnte sonst meinen Kahn beschädigen.«

Auf den Warnungsruf des Farbigen hin, änderte man an Bord des Seglers den Kurs und nach einer Weile fielen die Segel klappernd auf das Deck. Fünfzig Meter von uns entfernt lief das Boot in den weichen Sand. Ich hatte mich erhoben und die Maori ermahnt, auf das Gepäck achtzugeben. Man hatte bisher zwar nichts von Räubern in Fahrzeugen gehört, aber dieser neue Betriebszweig konnte eben jetzt in Aufnahme kommen. Jedenfalls wollte ich mir die Gesellschaft vom Leibe halten.

Von dem Segler loste sich ein Mann, der das Boot mit langer Leine an einem Baum festmachte. Hierauf kehrte er bis zum Schiff zurück, verweilte dort kurze Zeit und machte dann Miene, an unser Feuer zu kommen. Mein Steuermann rief ihn an:

»Halloh, Mann, bleibt wo Ihr steht. Wir wünschen keinen Besuch, der die Sonne scheut.«

»Bin ich bei dem Deutschen aus Wellington?« fragte der Mann zurück.

»Ihr sollt auf alles Antwort haben, wenn die Sonne aufgegangen sein wird. Jetzt wollen wir schlafen und wir raten Euch dasselbe zu tun. Wir sind übrigens gut bewaffnet, damit Ihr wißt, woran Ihr seid.«

»Halloh, ich bin kein Strandräuber,« lachte der andere. »Ihr könnt mir schon einen Platz an Euerm Feuer gönnen.«

»Tut, was ich Euch rate, Mann. Ihr wollt doch keinen Selbstmord begehen, taxiere ich?«

»Wer spricht denn da? Ist das der Weiße?« hallte es zurück.

»Ein Mann, der seine Ruhe haben möchte, spricht mit Euch. Ich denke, Ihr habt mich jetzt verstanden. Gute Nacht!«

Ein langer Fluch war die Antwort. Meinem Steuermann aber goß ich einen Extraschnaps für seine Rede ein. Er hatte mir einen großen Dienst erwiesen, denn ich trug kein Verlangen nach ungebetenen Gästen, und die Tatsache, daß der Mann von meiner Reise wußte, sagte mir, daß er mich jedenfalls über meine Pläne auszuhorchen beabsichtigte.

Die Nacht verging ohne Störung. Der Nachbar hatte sich die Warnung gemerkt und keinen Versuch gemacht, unsere Ruhe zu stören. Die Sonne war schon längst aufgegangen, und wir standen bereits im Begriff, unser Fahrzeug flottzumachen, als er auf uns zuschritt.

»Donnerwetter, Mann, Sie sind ja schwer zugänglich,« rief er lachend. »Ich hätte mich gern an Ihrem Feuer gewärmt!«

»Das hätten Sie bequemer haben können, wenn Sie sich selbst ein Feuer angezündet haben würden,« erwiderte ich trocken.

»Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Darum bin ich Ihnen gefolgt.«

»Das hätten Sie ebenfalls bequemer haben können, wenn Sie mir den in Wellington gemacht haben würden. Hier ist es zu spät.«

»Warum zu spät?« fragte er. »Für Geschäfte ist jede Zeit recht.«

»Ich mache keine Geschäfte. Sie irren sich in der Person.«

»Verdammt, Herr, seien Sie nicht so verschlossen. Allein können Sie es ja doch nicht machen und mein Geld ist so gut wie jedes andere. Also lassen Sie uns in Ruhe darüber reden.«

»Ueber was? Ich verstehe Sie nicht.«

»Nun, über Ihren Goldclaim, zum Henker! Es ist doch stadtbekannt, daß sie Goldadern gefunden haben und sie jetzt verkaufen wollen ...«

Nun mußte ich so herzhaft und so andauernd lachen, daß mich der andere wütend anfuhr:

»Herr, wenn Sie mich auslachen ...«

»Ich kann nicht anders. Es ist zu komisch. Ich und Goldadern! Nein lieber Herr, mein Geschäft wirft kein Gold ab. Ich besitze weder Claims noch Adern, noch bin ich sonst mit den Goldgräbern verwandt. Da hat man Ihnen einen schönen Bären aufgebunden.«

»Ich glaube Ihnen einfach nicht,« beharrte der Fremde. »Sie haben sich schon anderweitig verpflichtet und wollen nicht darüber reden. – Aber ich komme doch noch dahinter, wenn Sie auch noch so geheimnisvoll tun. Auf Wiedersehen, Herr, in Ihrem Claim.«

»Also dann auf Wiedersehen an der Wanganuimündung,« erwiderte ich lachend und sprang in mein Boot. Der Andere aber kehrte nochmal um und rief:

»Dachte ich es doch! an der Wanganuimündung! Dort also muß ich suchen. Deshalb haben Sie auch das flache Boot! – Nun, ich bin jedenfalls vor Ihnen dort und werde wissen, was ich zu tun habe.«

Mit einer Hast, als hing sein Seelenheil davon ab, sprang er in sein Boot, trieb den einzigen Knecht zur Eile an und rauschte schon nach kurzer Zeit an uns vorüber. Einen höhnischen Zuruf verschluckte der Wind.

Wir lachten noch lange über den schlauen Betrüger und malten uns das enttäuschte Gesicht aus, wenn er uns in den Fluß einfahren und aufwärts rudern sah.

Soweit waren wir aber noch nicht. Der heutige Tag brachte uns bei spiegelglatter See große Hitze und schwere Arbeit. Wir mußten rudern und noch dazu gegen eine Strömung, die uns viel zu schaffen machte und oft manchen errungenen Fortgang wieder zuschanden werden ließ. Eine Klippe lud uns förmlich zu einer Rast ein und ohne vorherige Verständigung ließ der Steuermann das Boot in eine Rinne einlaufen, die uns Schatten gewährte. Das Meer war an dieser Stelle so klar, daß wir weit hinunter in die Tiefe blicken und uns an dem Formenreichtum der Seegewächse erfreuen konnten. Einer der Maori zeigte große Gewandtheit im Speeren großer Fische. In einer halben Stunde hatte er vier große, äußerst feinschmeckende Stachelflosser erlegt, während sein Kamerad nach einer Languste tauchte und sie glücklich ins Boot brachte.

Diese angenehme Abwechslung unserer Speisekarte hob auch den Mut meiner Leute, und als gegen Mittag wieder eine Landbrise aufkam, ging es sogar mit Gesang unter Segel. Heute wollten wir die Nacht wieder am Lande schlafen und meine Braunen sehnten sich nach der Gesellschaft lustiger Kameraden, die auf der Hobson-Insel, deren Umrisse deutlich vor uns lagen, zu finden sein sollten. Es wurde aber Nacht, bevor wir die ersten Klippen des Eilandes vor unserm Bug auftauchen sahen, und nun mußten wir vorsichtig wiederum zum Ruder greifen, damit wir uns vor einem folgenschweren Zusammentreffen mit den Felsblöcken bewahrten. Trotzdem aber entgingen wir einer Kollision nur mit knapper Not.

Die genannte Insel dient vielen Schmugglern zum Schlupfwinkel. Sie erfreut sich daher der besonderen Aufmerksamkeit der staatlichen Schutzorgane, die unablässig bemüht sind, die kühnen Schwärzer »zur Strecke« zu bringen. Mit Vorliebe wählen naturgemäß beide Teile die Nacht zu ihren Fahrten. Je dunkler, je besser. Und da beide auch kein besonderes Interesse daran haben, ihre Anwesenheit dem andern Teile bekannt zu geben, so fahren deren Fahrzeuge ohne die vorgeschriebenen Lichter.

Mir war nichts von diesen Dingen bekannt, als ich das Boot in den Schatten der Insel steuerte und vorsichtig an den oft steil abfallenden Hängen entlang rudern ließ. Wir unterhielten uns absichtlich ziemlich laut, um etwa entgegenkommenden Fahrzeugen unsere Anwesenheit bemerkbar zu machen. Von Zeit zu Zeit brannte ich auch ein Wachszündholz an. So suchten wir uns an dem Felsenufer vorwärts zu tasten, bis wir die Stelle erreichten, an der allein eine Landung möglich sein sollte und wo das Dorf lag. Eben zog sich der helle Streifen über den Horizont, der das Erscheinen des Mondes ankündigt, als unvermittelt das Schlagen einer Schraube hörbar wurde. Gleichzeitig krachte es an meiner rechten Seite und unser Kahn neigte sich so tief, daß ich fürchtete, er würde kentern. Eine rauhe Stimme rief von dem gespenstisch aus der Dunkelheit auftauchenden kleinen Dampfer:

»Haben wir euch endlich. Ergebt euch, oder wir rennen euch in den Grund wie den andern dort.« Das Aufblitzen heller Laternen begleitete die Worte.

Aber auch ich war durch die rücksichtslose Art des Dampfers aufgebracht und schrie zurück:

»Wißt ihr nicht, daß man Signale gibt, wenn man nachts um Felsvorsprünge steuert! Jetzt habt ihr eine nette Schadensrechnung zu erwarten. Wie heißt euer Kahn und wo seid ihr zu Hause?«

Die Rede mußte auf der Barkasse maßloses Erstaunen hervorgerufen haben, denn man ließ sich Zeit mit der Antwort. Dann aber prasselte eine Flut von Schimpfwörtern über uns hernieder, die als Einleitung einer Anzahl Kommandos diente. Nun erst begriff ich, daß wir zum zweiten Male Zollbeamten ins Netz gegangen waren, deren Uniform auch schon neben uns auftauchte. Mit einem Satze waren zwei Soldaten in meinem Trog, hielten uns die Revolver vor die Brust und kommandierten:

»Hände hoch!«

Während wir dem Befehl natürlich nachkamen, sagte ich:

»Nehmt das Schießeisen herunter, Leute. Ihr seid im Irrtum. Wir sind keine Schmuggler, wie ihr zu glauben scheint!«

»Das kann jeder sagen,« erwiderte von Bord aus eine Stimme, »Wer und was seid ihr dann?«

»Das sage ich Euch, wenn ich Euer Gesicht sehen kann. Laßt eine Laterne herbringen und gebt Befehl, daß uns die Revolver vor der Nase weggenommen werden. Mir schlafen die Hände ein!«

»Ein Unglück wäre das gerade nicht,« höhnte die Stimme.

»Könnte aber unangenehm für Euch werden. Ich bin Deutscher und habe einen besonderen Schutzbrief von Eurer Regierung. Also besinnt Euch rasch.«

Das wirkte. Die Soldaten warteten den Befehl erst gar nicht ab. Sie entschuldigten sich und suchten sich rasch in ihr Boot zurückzuziehen, während der Sprecher von Bord plötzlich verstummt war. Er besprach sich anscheinend mit einem Kollegen. Gleichzeitig wurden ein paar hellbrennende Lampen auf die Reling gebracht und wir konnten nun auch die Zerstörung betrachten, die der Dampfer an unserem Ausleger angerichtet hatte.

Während wir uns hierüber noch mit den beiden Soldaten unterhielten, hörten wir plötzlich dumpfe Ruderschläge, die sich eiligst entfernten. Sie wurden auch auf der Barkasse vernommen, denn die Stimme rief wieder:

»Verdammt, dort gehen sie hin. Volldampf voraus!«

Die kleine Schraube peitschte das Wasser zu Schaum. Nach dem dritten Schlage aber klirrte es. Ein Surren zeigte, daß die Schraube unserem Auslegerbaum zu nahe gekommen und gebrochen war. Nun entstand an Bord des Dampfers ein Lärm, der jedes gesprochene Wort tötete. Zehn Stimmen fluchten und schimpften zugleich. Man lästerte Gott und die Heiligen, ging dann zu Verwünschungen der Schmuggler über und als das alles die verlorenen Schraubenflügel nicht wieder ersetzte, beschäftigte man sich mit uns und unserem Boote. Noch kannte, außer mir, kein Mensch die Ursache des Unfalles. Den Auslegerbaum hatte man noch nicht gesehen. Vielmehr glaubten die Zöllner, daß sie ein Boot überrannt hätten. Daß sie keinerlei Versuch zur Rettung etwa darin befindlicher Menschen machten, charakterisiert die Denkungsart der Engländer.

Ich kam dem Kapitän mit meinen Vorwürfen zuvor: Er stand gerade im Begriff, sich an uns zu reiben und hob bereits die Stimme zu dem einleitenden lästerlichen Fluche, als ich ihm zurief:

»Halloh, Kapitän, wollt Ihr Euch gefälligst den Schaden ansehen, den Ihr mir zugefügt habt? Sobald ich an die Küste komme, werde ich meine Ansprüche gegen Euer Schiff geltend machen. Ihr allein tragt die Schuld an dem Zusammenstoß.«

»Hoho, Mann, wißt Ihr, mit wem Ihr redet? Ich bin Beamter der neuseeländischen Regierung und ...«

»... seid als solcher in erster Linie zur Beachtung der Gesetze verpflichtet,« unterbrach ich ihn. »Ihr seid ohne Licht gefahren und habt damit gegen die Seeregeln verstoßen ...«

»Was zum Henker, habt Ihr auch hier zu suchen?«

»Das ist Nebenfache. Ich habe das Recht, jede offene Seestraße zu befahren und jedes Schiff ist verpflichtet, zur Nachtzeit die vorgeschriebenen Lichter zu führen. Wer das nicht tut, macht sich strafbar ...«

»Aber ich bin im Dienst!«

»... und hat für jeden Schaden aufzukommen. Sie werden mir also jetzt auf der Stelle oder im Dorfe drüben eine Summe Geldes geben, die dem Schaden entspricht.«

»Den Teufel werde ich tun! Was für Schäden habt Ihr überhaupt erlitten? Und was habt Ihr hier überhaupt bei Nacht und Nebel zu suchen? Das möchte ich zuerst wissen.«

»Im Dorfe werdet Ihr alles erfahren. Bemüht Euch dorthin. Eigentlich solltet Ihr mein Boot schleppen ...«

»Ihr seid verrückt, Mann. Ihr seht doch, daß meine Barkasse manövrierunfähig ist und wir selbst Hilfe brauchen. Ihr könntet uns in den Hafen schleppen.«

»Gegen den gesetzlichen Bergelohn werden meine Leute es versuchen,« erwiderte ich.

Ein lautes Gelächter empfing meine Worte. Dann rief eine Stimme:

»Das wäre ein Geschäft für Euch. Für eine halbe Stunde rudern ein paar hundert Pfund Sterling Bergelohn. Geht zum Teufel!«

»Ich würde Euch dort nur Euern Platz wegnehmen,« gab ich zurück. »Wenn Ihr nicht wollt, fahre ich ohne Euch. Euere Barkasse weiß ich wiederzufinden.«

Damit griffen wir die Ruder auf und trieben unsern Kahn vorwärts, indem wir uns eines Lichtscheines als Leitstern bedienten. Den nur noch lose mit unseren Bord verbundenen Ausleger warf ein Beilhieb in die See. Schon nach wenigen Metern hatte uns die Dunkelheit den Augen des Dampferkapitäns entzogen und nur seine Flüche und Schmähungen deuteten auf Anwesenheit von Engländern.

Nun begann auch mein Steuermann redselig zu werden. Er rieb sich vergnügt die Hände, als er den Dampfer zur Untätigkeit verurteilt sah und sagte:

»Die Schmuggler werden uns dankbar sein, daß wir ihnen den Feind vom Halse hielten. Wenn sie erst erfahren, daß die Zollsoldaten gerade vor ihrem Schlupfloche festliegen, dann mag es jenen nicht gut gehen.«

»Warum? Glaubst du, daß man den Beamten ein Leid zufügt?«

»O nein. Grausam sind die Insulaner nicht. Sie werden jeden Einzelnen erdolchen und den Haifischen übergeben.«

»Wie? Glaubst du wirklich, daß man sie ermordet?«

»Ermorden kann man nicht sagen. Die beiden Parteien führen Krieg miteinander und jeder sucht den anderen dadurch unschädlich zu machen, daß er ihn beseitigt. Ist das Mord?« »Aber das ist ja furchtbar. Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich in der Nähe geblieben. Vier Mann mehr sind eine achtbare Verstärkung in einem solchen Kampfe.«

»Wir drei rühren keinen Finger um die Beamten zu retten ... Sie allein wären ebenso rasch überwältigt wie die andern.«

»Dann müssen Männer aus dem Dorfe helfen!« rief ich aufgeregt. »Wie weit sind wir noch davon entfernt?«

»Wir sind schon da. Jene dunklen Punkte sind die Häuser. Gleich werden wir auf den Strand laufen.«

»Wie kommt denn das, daß die Einwohner hier kein Licht brennen. Sie können doch noch nicht schlafen?«

»Dort kommen schon einige Männer,« erwiderte der Steuerer. Dann legte er die hohle Hand an den Mund und stieß einen lauten Ruf aus, der ganz in der Nähe beantwortet wurde. Aus dem dunklen Haufen schälte sich ein Mann heraus, der auf uns zukam.

»Sieh da, Tiahu, was führt dich zu uns,« rief er dem Steuermann zu, indem er das Boot auf den Strand zog. Ist das dein Kahn?«

»Nein, nein,« wehrte dieser hastig ab. »Das Fahrzeug gehört dem weißen Mann hier. Er ist ein Fremder.«

»Will er Waren abholen?« fragte er, halb zu mir gewendet.

Ich verneinte, fügte aber hinzu, daß dort hinter den Felsen ein Boot Hilfe benötigte.

»Was für ein Boot?« fragte er rasch, und andere drängten sich neugierig herbei, um die Antwort zu hören. – Statt meiner erwiderte mein Steuermann:

»Der Zolldampfer treibt vor dem ›Katzenriff‹. Er hat die Schraube gebrochen. Der Herr meint, es solle ihm jemand von hier zu Hilfe kommen.«

»Ja, Leute, rudert hinaus und schleppt ihn hierher. Ihr tut ein gutes Werk, denn die Mannschaft ist, wie Tiahu sagt, in Gefahr!«

Eisiges Schweigen folgte meinen Worten. Keine Hand rührte sich. Ich begriff sofort, daß sich tatsächlich Staat und Insel feindselig gegenüberstanden. Wo ich Beistand für die Schiffbrüchigen suchte, fand ich nur Menschen, die eher zum Verderben der Beamten beitragen würden, als ihnen helfen. – Ich brach daher das Gespräch ab und fragte nach einem Nachtlager. – Das wurde uns bereitwillig zur Verfügung gestellt. Von allen Seiten rief man uns zu. Die Gastfreundschaft dem Fremden gegenüber wurde in weitestem Maße gewährt.

Meine Maori trugen meine beiden Kisten in das dem Hafen nächstgelegene Haus, das eigentlich nur aus zwei Räumen bestand, die sich auf einen Innenhof öffneten. In einem der Zimmer wurde uns eine Ecke angewiesen, in der wir unsere Decken ausbreiten konnten. Ein aus Steinen aufgeführter niedriger Herd diente zur Beleuchtung, Erwärmung und als Kochgelegenheit. Da wir ausgehungert waren, begab sich ein Diener auf die Suche nach Brennmaterial. Aber schon in der Tür stieß er mit einem Maorimädchen zusammen, die noch heiße, gebratene Fische auf einer geflochtenen Platte hereinbrachte und sie auf den Herd stellte. Dann entfernte sie sich wieder und brachte Brot. Das alles vollzog sich geräuschlos und mit einer Selbstverständlichkeit, die mich in Erstaunen setzte. Wir fielen natürlich über die schmackhafte Speise her und saßen im Handumdrehen vor der leeren Platte. – Nun wollte ich, da der Hunger keineswegs schon gestillt war, aus meinen Vorräten ein Paar Dosen opfern. In dem Augenblicke aber, da ich mich erhob, stand das Mädchen wieder in der Türöffnung und brachte große Stücke dampfenden Ziegenfleisches. – Da mir eine derartig rasche Bedienung unangemeldet, zu ungewöhnlicher Stunde hereingeschneiter Gäste selbst in unseren allerersten europäischen Gasthöfen noch nicht vorgekommen war, interessierte ich mich natürlich für den Kochprozeß und erfuhr, daß die Strandbewohner dieser Insel stets auf den Besuch von »Fremden«, soll wohl heißen Schmugglern, vorbereitet sind. Sie haben stets Fische und zubereitetes Fleisch in einem der Häuser vorrätig und wenn dann der Besuch erscheint, so erfordert es nur kurze Arbeit, um dem Gaste ein frischgekochtes Mahl vorzusetzen. – Man kocht die Speisen auf maorische Art in einem Erdloche und verfährt dabei ganz nach der von den Urvätern übernommenen einfachen Methode. Der Boden des meterlangen Loches wird mit trockenem Holze und dürren Zweigen ausgefüttert. Auf diese Unterlage legt man gleichmäßig große Kieselsteine, die auf dem angezündeten Holzfeuer rasch in Gluthitze gebracht werden. Nun räumt man die Aschenteile weg und bedeckt die glühenden Steine mit einer feuchten Matte, auf die eine Lage großer Blätter gebreitet wird. Auf dieses Blätterlager kommt nun der Fisch oder das Fleisch, oder was sonst man zu kochen wünscht. Die Speise wird nun wieder mit einer Schicht grüner Blätter und mit Matten bedeckt und auf das Ganze häuft man eine Lage Erde. Der heiße Dampf besorgt in kurzer Zeit den Kochprozeß. Da in fast allen Strandhütten stets Feuer unterhalten wird, so sind auch immer glühende Steine zu Hand. Dadurch erklärt es sich, daß wir so rasch bedient werden konnten.

Nach dem Essen begaben wir uns noch vor das Haus. Am Strande waren zahlreiche Männer versammelt, die dem Bericht eines Mannes lauschten, der augenscheinlich eben erst mit einem Kanoe angekommen war. Er mußte eine unangenehme Kunde bringen, denn hin und wieder entfuhr den Lippen der Zuhörer ein unmutiger Ruf und Zorn und Entrüstung zeigte sich in den Bewegungen der Männer. – Bei unserem Erscheinen verstummte das Gespräch. Ich wollte aber nicht störend in die Unterhaltung eingreifen und beeilte mich daher, den Leuten zuzurufen, daß sie sich durch mich nicht stören lassen sollten, da ich kein Wort von ihrer Sprache verstünde. Mein Steuermann mußte das auf meine Aufforderung hin bestätigen. An dem anerkennenden Gemurmel, das darauf durch die Menge lief, erkannte ich, daß man mich in der Tat für einen Störenfried gehalten hatte.

Ich ging zu meinem Boote hinunter, um beim Scheine des Vollmondes den entstandenen Schaden zu besichtigen. Wie ich noch mit der Prüfung der Spanten beschäftigt war, fielen auf See hintereinander drei Revolverschüsse. Sie kamen aus der Gegend, in der ich den Dampfer wußte. Mein erster Impuls war, den Beamten ein Zeichen zu geben daß ihr Hilferuf – als solchen faßte ich die regelmäßigen Schüsse auf – gehört worden sei. Im Begriff, den Revolver zu ziehen, fiel mir aber ein, daß es kein für mich vertrauenerweckendes Zeichen sein konnte, wenn man mich im Besitze der streng verbotenen Waffen sah. Ich ließ daher durch keine Bewegung erkennen, daß ich den Schüssen irgendwelche Bedeutung beilegte, und beugte mich weiter über den Rand meines Fahrzeuges. Dabei bemerkte ich, daß die Detonationen auf die Männer am Strande die Wirkung eines Steines im Ameisenhaufen hervorgebracht hatten. Sie liefen hastig auseinander und verschwanden zum großen Teile in den Häusern, während andere in die am Strande liegenden Boote eilten und sie ungestüm ins Wasser schoben. In wenigen Minuten hatten sie die Klippen meinen Blicken entzogen. – Auch dieser Bewegung legte ich anscheinend keine Bedeutung bei, obwohl ich nicht ohne Besorgnis an das Schicksal der Beamten dachte, falls diese einen Überfall der Inselbewohner auszuhalten haben sollten.

Mitten in meinen Betrachtungen störte mich der Steuerer: »Es ist besser, Herr, Sie gehen jetzt ins Haus und legen sich schlafen,« sagte er in dringlichem Tone. »Was die hiesigen Bewohner unter sich auszumachen haben, geht fremde Männer nichts an. Es ist sogar nicht einmal gut, wenn wir überhaupt etwas von den Händeln sehen und hören. Fragt man uns später, dann sagen wir keine Lüge, wenn wir angeben, wir wüßten von nichts, weil wir das Haus nicht verlassen hätten.«

Ohne den Mann nach der Bedeutung seiner Warnung zu fragen, erhob ich mich und sprang auf den Sand. Dabei taumelte ich rückwärts und fiel in das zuletzt angekommene Kanoe. Der Steuerer reichte mir die Hand, um mich zu stützen. Auch ich griff unwillkürlich nach einem Halt, wobei ich mich in die auf dem Boden des Kanoes liegenden Matte krallte. Als ich mit einem Satze wieder auf den Beinen stand und über mein Mißgeschick lachend eine Bemerkung machte, sah ich, daß meine Hand naß von Blut war. Zurückblickend glitzerten mir einige durch die verschobene Decke leuchtende Gewehrläufe entgegen ...

Auch mein Steuermann hatte die verbotenen Waffen entdeckt. Mit einem Sprunge stand er neben mir und raunte mir ins Ohr:

»Reiben Sie die Hände fest mit Sand, dann geht das ›Fischblut‹ leicht weg,« und als ich, seinem Rate folgend, die Hand wieder aufhob und in die heranleckenden Wellen tauchte, beugte er sich zu mir nieder und besah sich aufmerksam Finger, wie Handfläche. – Wir verloren kein Wort über die Entdeckung. Ein Blick genügte zur Verständigung.

In der Hütte erwartete uns ein weiches Lager. Über einen Haufen duftenden Grases hatte man einige schöngeflochtene Flachsmatten gebreitet, die ein Bett in unserm Sinne vollkommen ersetzten. Ich warf mich mit dem wohligen Gefühle des müden Schläfers auf die Liegestatt und war bald fest eingeschlafen. Einmal in der Nacht weckte mich der Eintritt von Männern, die sich in der andern Ecke zu schaffen machten. Die Störung war indessen nicht derart, daß sie meinen Schlaf hätte verscheuchen können. Am anderen Morgen sah ich am Strande den Dampfer. Er schaukelte friedlich vor seinem Anker. Nichts deutete darauf hin, daß ein lebendes Wesen an seinem Deck war. Auch mein Kahn lag bereits, mit Mast und Segel versehen, zur Abreise fertig in tiefem Wasser. Der Steuermann trat auf mich zu und sagte:

»Die Männer sind schon zeitig zum Fischen hinaus, gefahren. Wir können sofort segeln.« »Ich muß aber den Frauen wenigstens ein Geschenk für die Gastfreundschaft geben. Rufe mir das Mädchen her.«

»Das würde sie höchstens kränken. Drücken Sie ihr die Hand. Das ist die größte Belohnung für unsere Rasse.«

In der Tat strahlte das Antlitz des jungen Mädchens, als ich ihr einen inhaltreichen Händedruck bot. Zum ersten Male wurde mir hier die echt maorische Begrüßung zuteil: Das Kind drängte sich an mich heran und rieb ihre Nase an der meinigen!

Mit der frischen Brise hatten wir bald die Insel hinter uns. Es zeigte sich, daß unser Kahn bei vorsichtiger Navigierung auch ohne den zweiten Ausleger ganz gut auf dem Wasser lag. Jedenfalls schwamm er jetzt besser und ließ sich leichter steuern. Das zeigte sich besonders, als wir uns später durch eine große Anzahl dicht beieinander fischender Fahrzeuge hindurchwinden mußten. Mit dem zweiten Ausleger hätte das sicher zu unliebsamen Zusammenstößen geführt.

Unsere Mittagmahlzeit bestand aus kaltem Ziegenbraten, von dem uns unsere sorgende Wirtin ein großes Stück unter die Matte gelegt hatte. Mit dem Verzehren der guten Speise beschäftigt, rief mich mein Steuerer an:

»Dort kommt wieder ein Zollkutter. Sagen Sie ihm nichts von der Barkasse.«

»Wenn er uns aber fragt?«

»Nun, dann haben wir einen kleinen Dampfer bei der Hobson-Insel gesehen. – Uebrigens wird es gut sein, jetzt gleich den Kurs auf die Küste zu nehmen, denn das Zollboot wird uns doch wohl befehlen, ihm an das Städtchen dort drüben zu folgen.«

»Das möchte ich bezweifeln,« gab ich zur Antwort.« Immerhin bin ich einverstanden, daß wir dichter an das Land herangehen, denn hier beginnt stärkerer Seegang und die alte Kiste scheint Seewasser an Bord nehmen zu wollen.«

In der Tat begann mein Trog, was er bisher mit zwei Auslegern nie getan hatte, zu stampfen. Das Vorderteil stieg auf die kleinsten entgegenkommenden Wellen und tauchte dann so tief ins Meer, daß jedesmal etwas Wasser ins Boot spritzte. Dadurch waren wir gezwungen, von Zeit zu Zeit das Gepäck umzustauen und das eingedrungene Wasser auszuschöpfen.

Das Boot kreuzte immer noch, ohne den Kurs zu ändern. Durch das Fernglas konnte ich erkennen, daß man sich drüben mit uns beschäftigte. Plötzlich sah ich, wie ein Mann sich am Flaggenfall zu schaffen machte und gleich darauf flatterte die Landesflagge im Winde. – Das hatte ich am allerwenigsten erwartet. Ich riß in fieberhafter Eile die Kiste auf, holte unsere lieben schwarzweißroten Farben hervor und ließ sie ebenfalls am Maste emporsteigen. Und nun geschah das fast Unglaubliche. Das Zollboot dippte die Flagge. Das heißt, es grüßte mein Boot auf seemännische Art. Natürlich unterließ ich es nicht, auf gleiche Weise zu danken. Auf die verwundert-fragenden Blicke meiner Leute antwortete ich stolz:

»Da könnt ihr sehen, welche Achtung mein Vaterland den Engländern einflößt. Sie grüßen mich zuerst in ihren Gewässern.«

In Wirklichkeit war es wohl das Telegramm des ängstlich-besorgten Oberst, das mir als Beschwichtigungsmittel die Ehrenbezeugung eintrug.

Der nordöstlich laufende Gebirgsrücken trat nun bis dicht an die Küste heran. Er verwandelte die Nähe des Landes in ein sehr ungemütliches Fahrwasser, das von Klippen wimmelte und uns mehr als einmal in recht unsanfte Berührung mit den Steinen brachte. Zum Glück erwies sich mein vielgelästerter Kahn als ein unverwüstliches Fahrzeug, das einen ordentlichen Stoß vertragen konnte. Immerhin gebot uns die Klugheit, schon vor Sonnenuntergang zu landen, da die schrägfallenden Strahlen den Wasserspiegel in eine polierte, blendende Scheibe verwandelten, auf der wir kein Hindernis mehr zu erkennen vermochten.

In einer sich gabelförmig nach dem Meer zu öffnenden Landzunge fanden wir einen sicheren Landungsplatz und auf dem schneeweißen Sande am Ufer eine Lagerstätte, wie man sie sich besser nicht wünschen konnte. Selbst die See bot uns reiche Nahrung in ein paar starkbesetzten Austernbänken, die meine Leute fleißig abernteten, solange noch das Tageslicht ein Tauchen ermöglichte. Der Steuerer hatte das Glück, in zwei Muscheln je eine Perle zu finden, deren wahren Wert ich ihm allerdings erst nennen mußte. Sonst pflegen die Maorifischer, wenn sie Perlen in den Schalen finden, diese an englische Händler in Wellington für verschwindend geringen Wert zu vertauschen.

Kurz vor Sonnenuntergang ließ sich ein Zug wilder Gänse in unserer Nähe an einem Teiche nieder. Das ließ in mir das Jagdfieber erwachen, und schon packte ich meine Büchse aus, um mich an die fetten Vögel heranzupirschen, als mich der ältere meiner eingeborenen Diener, der den seltenen Namen Pu Nambu führte, darauf aufmerksam machte, daß der Knall der Büchse die Vögel verjagen und uns im besten Falle nur zwei Braten liefern werde. Er und Toaho, sein junger Kamerad, wüßten besser mit der Jagd auf dieses Wild Bescheid. Ich solle ihnen die Erlaubnis geben, sich vom Lager zu entfernen. Sie brächten kurz nach Einbruch der Nacht bestimmt eine größere Anzahl ans Feuer. Tiahu solle nur für genügenden Holzvorrat sorgen, damit man die Beute sofort braten und morgen mitnehmen könne. – Ich willigte ohne langes Besinnen ein und nachdem sich die beiden entfernt hatten, durchstreifte ich mit dem Steuerer die nähere Umgebung, um Holz herbeizuschaffen. Die Nächte waren sehr kühl und das Feuer durfte vor dem nächsten Morgen nicht erlöschen. – Die Ausbeute in der Nähe des Lagerplatzes war nicht sehr bedeutend. Immerhin befanden sich unter dem eingebrachten Holze einige angeschwemmte Schiffstrümmer, die solange brennen konnten, bis Tiahu größere Mengen aus dem nahen Walde herbeigeschafft hatte. Bevor ich den Steuerer entließ, schärfte ich ihm noch ein, sich nicht zu weit zu entfernen, damit er in dem zerklüfteten, felsigen Gelände nicht zu Schaden käme. Er sollte stets in Sicht meines Feuers bleiben, damit wir uns im Bedarfsfalle durch Signale verständigen könnten. Ich weiß nicht, warum ich ihm diese überflüssige Mahnung besonders einschärfte, glaube aber, daß es eine Ahnung des Kommenden mir eingab.

Noch bevor die Dämmerung der Nacht gewichen war, prasselte ein helles Feuer empor, an dem ich vor allen Dingen einen recht starken Kaffee kochte. Das meinen Maori unbekannte Getränk pflegte ich für mich allein zuzubereiten, und ich glaubte, mir die Zeit nicht besser vertreiben zu können, als wenn ich mir den frischen Abend durch dieses duftende Labsal verschönte. Ich hatte mich recht behaglich in den weichen Sand gebettet und blickte in die sich langsam verfärbenden kleinen Wölkchen am Westhimmel, wobei ich den warmen Blechbecher mit den Händen umklammerte und in kurzen Zügen das köstliche Getränk schlürfte.

Ueber den steinigen Rücken am Meere kam Pu Nambu mit seiner Beute. Vier fette Gänse warf er in den Sand, rief mir ein paar unverständliche Worte zu und lief in großen Sprüngen davon. Auf meine erstaunten Fragen machte er eine Geste mit den Händen und eilte, ohne sich umzusetzen, weiter. – Ich betrachtete lange die schönen Vögel, denen der Hals umgedreht worden war, und machte mich daran, sie zu rupfen. Die Federn, die ich zu meinem lebhaften Bedauern nicht mitnehmen konnte, um sie der ersten weißen Frau zum Geschenk zu machen, warf ich in übermütiger Laune in die Luft und verfolgte ihren Flug mit der Abendbrise. Dabei begegnete mein Auge auf dem Rücken des hinter mir liegenden Grates einer Erscheinung, die mich lebhaft aufspringen ließ. Ich glaubte, einen großen Mann gesehen zu haben, der eine Wurfkeule trug. Als ich aber aufrecht stand und den Punkt genauer ins Auge faßte, war das Phänomen verschwunden. – Ich dachte an eine Täuschung, ging aber nichtsdestoweniger bis an jene Stelle und leuchtete mit dem brennenden Aste, der mir als Fackel diente, die Umgebung ab. Nichts deutete auf die Anwesenheit von Menschen. Ich sagte mir auch, daß gerade hier, an der unzugänglichsten Stelle, sich kaum ein Mensch aufhalten würde, der nicht vom Meere her kam. Ein Boot aber war, soweit das Auge reichte, an diesem Abend nicht gelandet.

Während ich langsam zum Feuer zurückschlenderte, ließ ich meine Augen suchend über die jetzt in tiefes Halbdunkel getauchten Felsen wandern. Von meinen Leuten hörte ich nichts. Weder der Steuermann, noch die Diener gaben ein Lebenszeichen, obwohl ich es schon für an der Zeit hielt, daß sie zurückkehrten. – Meine frohe Stimmung war dahin. Ich wurde nervös und wie das in solchen Zuständen vorkommt, begann ich mir Gedanken über das lange Ausbleiben der drei Männer zu machen. Mißmutig nahm ich die dritte Gans zur Hand und fing an, sie ihres Federkleides zu berauben, vorher hatte ich das Feuer reichlich gespeist und eine hohe, weithin sichtbare Flamme mußte meine Leute vor einem Verirren sichern. Ich saß nun mit dem Gesichte jenem Grate zugekehrt, auf dem ich die Erscheinung gesehen zu haben glaubte. Vereinzelte niedere Bäume narrten mich anfangs, da ihre Umrisse in dem lodernden Flammenscheine Leben bekamen. Gar bald aber erkannte ich die Täuschung und setzte meine Arbeit fort.

Die dritte Gans war gerupft. Ich stand auf, um die vierte in Angriff zu nehmen. Da kollerte von dem Grate in meinem Rücken ein Stein, der mit dumpfem Schall in den Sand fiel.

»Endlich kommt einer der Herren – na, wartet!« sagte ich vor mich hin und überdachte die Strafpredigt, die ich den armen Sündern halten wollte. Aber wiederum war ich das Opfer einer Täuschung geworden. – Nun aber nahm ich diese Erscheinungen nicht mehr leicht. Mir fielen die Erzählungen von der Unsicherheit auf den Straßen wieder ein. Ich hatte zwar keine Ahnung, ob hier in erreichbarer Nähe überhaupt Straßen vorüberführten, aber immerhin! Ich ging zum Boot hinunter und entnahm meiner Kiste beide Revolver. Dabei fiel mir die Büchse ins Auge, die ich vorher nicht wieder eingepackt hatte und nahm auch diese mit. Wie ich nun so mit Waffen behangen war, mußte ich laut lachen über meine rege Einbildungskraft und ich empfand ein Gefühl der Scham, daß ich mich von meinen überreizten Nerven ins Bockshorn jagen ließ. Viele, viele Nächte hatte ich schon allein im Walde und auf Steppen geschlafen, ohne je unliebsam belästigt worden zu sein – und nun? Ich ließ die Büchse fallen und setzte mich wieder ans Feuer, um den Vogel fertig zu rupfen. Diesmal drehte ich dem Meere den Rücken, um die Stellen vor mir zu haben, an denen meine Leute auftauchen mußten.

So verging wohl eine halbe Stunde. Die Gänse waren gerupft und wenn ich das geeignete Holz zu Spießen gehabt hätte, so würde ich mit dem Braten begonnen haben. Diese Überlegung lenkte meine Gedanken wieder zu den drei Farbigen. Sicher waren sie desertiert und ich würde sie wohl kaum wiedersehen.

»Ob sie mich wohl bestohlen haben?« Ich warf einen neuen Ast auf das Feuer und ging zum Boot hinunter, das ich vom Feuer aus nicht sehen konnte, weil ein größerer Felsblock, an dem es vertäut war, in der Blickrichtung lag. – Ein unerklärliches Gefühl ließ mich auf halbem Wege zum Feuer zurückkehren. Ich riß einen hellbrennenden Ast heraus und benutzte ihn als Fackel, indem ich den vor mir liegenden Strand damit ableuchtete. Dicht vor dem Felsblock blieb ich stehen und schaute zurück. Als ich mich wieder umwandte, prallte ich zurück, denn vor mir stand ein langer Kerl mit schwarzem, wildem Vollbart. Sekundenlang ruhten unsere Blicke prüfend aufeinander, dann fragte ich, einen Schritt zurückweichend:

»Was sucht Ihr hier?«

»Euch!« zischte er durch die Lippen.

»Sehr erfreut!« erwiderte ich höhnisch, denn jetzt, wo ich wußte, woran ich war, hatte ich mein kaltes Blut wiedergefunden. »Und was wollt Ihr denn von mir?«

»Zuerst Essen.« »Bedauere, es ist noch nicht fertig. Und was sonst noch?«

»Das werde ich Euch nachher sagen. Laßt uns zum Feuer gehen und gebt mir, was Ihr zu essen habt. Ich bin hungrig und mich friert. Es wird schon recht kalt.«

»Das Essen ist noch nicht fertig, wie ich bereits sagte. Aber am Feuer möchte ich Euch selbst gern sehen. Hier kann ich nicht erkennen, welche Art von Ehrenmann mich besucht.«

»Hütet Euere Zunge, Mann! Ich bin nicht aufgelegt, höhnische Worte einzustecken. Ihr versteht mich doch?«

»Oho, pfeift Ihr solche Töne?« rief ich. »Dann tut Ihr wirklich gut, mich ein andermal zu besuchen, denn auch ich bin heute nicht gut aufgelegt und dann kann ich recht borstig werden.«

Wir standen uns in drohender Haltung gegenüber und maßen uns mit feindseligen Blicken. Der Fremde schien einer jener Burschen zu sein, den lange Zuchthausstrafen nicht nur nicht gebessert, sondern erst recht auf die Bahn des Verbrechens getrieben haben. In seinen Zügen lag rohe Grausamkeit. Er schien nur noch nicht über die Kraft seines Gegners im klaren zu sein. Eine einzige Blöße, die ich mir gab, mußte zum Kampfe auf Leben und Tod führen.

Da bemerkte er die am Boden liegende Büchse. Ein rauher Schrei entrang sich seinen Lippen, als er sich darauf stürzte und sie triumphierend betrachtete.

Ich zog den Revolver. Ruhig sagte ich:

»Legt die Büchse wieder hin, Mann. Sie ist nicht geladen und außerdem – seht her! – habe ich hier fünf Bohnen, die meine Worte unterstreichen!«

Ein lasterhafter Fluch entfuhr seinen Lippen, als er den Revolver in meiner Hand sah. Zögernd ließ er das Gewehr wieder in den Sand fallen, dann erwiderte er mit häßlichem Grinsen:

»Habt eine liebenswürdige Art, Gäste zu empfangen, das muß Euch der Neid lassen.«

»Ich habe Euch nicht gebeten. Ihr müßt mich nehmen, wie ich bin.«

»Da habt Ihr ja ein paar prachtvolle Vögel«, rief er plötzlich. »Darf ich mir ein Stück davon braten?«

»Bedient Euch. Der Bissen ist Euch gegönnt!«

»Und zu trinken habt Ihr nichts?«

»Wenn in dem Topfe noch Kaffee ist, gehört er Euch.«

Der Fremde warf sich zu Boden und hob den Topf, um zu trinken. In demselben Augenblick griff er nach meinen Beinen und versuchte, mich zu Fall zu bringen. Er fand mich aber auf derartige tückische Ueberfälle vorbereitet. Immerhin strauchelte ich und der Revolver entglitt meiner Hand. Im Nu hatte ich den Kerl an der Kehle und preßte ihm den Hals zu, bis ich ihn für kampfunfähig hielt. Einen Faustschlag auf den Kopf brachte den Räuber vollends um die Besinnung.

In diesem Augenblick kamen auch meine Leute zurück. Tiahu, der den anderen voran war, rief schon von weitem:

»Ah, habt Ihr den Banditen erschlagen? Das ist recht! Wir verfolgen den Kerl schon über eine Stunde. Dort im Walde liegt eine Leiche, die auf sein Konto kommt.«

»Tot ist er nicht – nur betäubt. Aber jetzt sage mir ...«

»Nicht tot?« rief Pu Nambu, mich unterbrechend. »Dann aber macht schnell!« Er hob die Keule zum Schlage.

»Halt! Das ist nicht unser Amt,« wehrte ich. »Der Räuber gehört dem Richter. Was der mit ihm macht, ist seine Sache.«

Die drei Maori sahen mich an, als ob sie falsch verstanden hätten.

»Was hat denn noch der Richter zu sagen, wenn man einen Mörder auf der Tat ertappt? Und wer soll den Banditen zur Stadt bringen? Nein, Herr, sie kennen die Landesgebräuche nicht. Ich habe ihn bei dem Toten gesehen und mir gehört der Mann.«

»Meinetwegen, Tiahu. Schaffe mir aber den Menschen aus den Augen und dann geht an euere Arbeit. Es ist spät geworden und mich hungert.«

Der Befehl war ihm lieber, als meine vorher gegebene Anweisung. Er rief den Maori ein paar Worte in ihrer Sprache zu, worauf er sich zu dem noch Bewußtlosen niederbeugte und ihm den Gürtel löste. Ein blutbeflecktes Messer fiel in den Sand. Frische Blutspuren klebten an den Unterkleidern des Mannes. Jeder Zweifel an der von dem Steuerer gegen ihn erhobenen Beschuldigung fiel damit fort. Toa war inzwischen zum Boot gelaufen und brachte von dort eine starke Leine mit, die so um den Körper des Gefangenen geschlungen wurde, daß dieser weder Arme noch Beine rühren konnte. Tiahu lud den zu einem Bündel Verschnürten sodann auf die Schulter und verschwand damit in der Dunkelheit. Zehn Minuten später kehrte er zurück.

»Wohin hast du den Banditen gebracht? Du wirst ihn doch nicht ermordet haben?«

»Er liegt dicht neben seinem Opfer, bis er seine Strafe erleidet.«

Ich schwieg. Ändern konnte ich doch nichts an seinem Schicksal.

Die beiden Diener gingen jetzt mit unruhiger Hast an ihre Geschäfte. Toa hatte noch vier Gänse mitgebracht, die wir gemeinschaftlich rupften, während der Steuermann die Stäbe spitzte, an denen die Vögel gebraten werden sollten. Die Arbeit ging recht einsilbig vonstatten. Über uns allen lag der Eindruck des Erlebten und ganz besonders des Kommenden. Denn daß einer meiner Leute den erschlagenen Landsmann rächen würden, unterlag für mich keinem Zweifel. Nur durfte es nicht in meiner Gegenwart geschehen.

Nach Beendigung des Bratprozesses nahm sich jeder soviel Fleisch, als er glaubte, essen zu können. Der Rest wurde in Blätter geschlagen und im Boote untergebracht. Auf Bitten des Steuermannes gab ich den Leuten auch noch je einen Grog, den ich auch für mich zubereitete. Dann bestimmte ich die Reihenfolge der Wache und wickelte mich in meine Decke, die Füße dem Feuer zugekehrt. – Kurz nachher riß mich ein markerschütternder Schrei aus dem ersten Halbschlummer. Der Ton klang so entsetzlich, daß ich aufsprang und die Büchse ergriff. Ich glaubte nichts anderes, als daß meine Leute den Gefangenen marterten. Aber alle drei saßen am Feuer und waren wohl ebenso überrascht von dem Schreckensschrei, wie ich selbst.

»Er ist erwacht und sieht sein Opfer,« sagte Tiahu kalt. »Das kann ein Mörder nicht ertragen. Er soll aber alle Qualen des Gewissens leiden, bis ...«

Er vollendete nicht und ich wollte nichts wissen. Von neuem wickelte ich mich in meine Decke und versuchte, lange vergeblich, den so nötigen Schlaf zu finden. Endlich gelang es dem rhythmischen Rauschen des Wellenschlages, meine Nerven zu beruhigen. Ich schlief ein.

Ein kalter Wind pfiff über eine graue See, als ich erwachte. Toa hatte eben den Kaffee für mich bereitet und brachte mir den heißen Trank mit einer Miene, als habe er Essig getrunken. Er erwartete sichtlich eine Frage. Als die ausblieb, holte er das Brot und ein paar frisch gebrochene Austern und reichte mir beides mit der Bemerkung, daß seine beiden Kameraden noch nicht zurückgekehrt seien. Ob er inzwischen das Boot klar machen solle?

Auch auf diese Mitteilung, die dem Bedürfnis entsprungen war, mir eine unangenehme Neuigkeit zu melden, blieb ich die Antwort schuldig. Ich ging zum Boote hinunter, packte aus dem Effektensack einige Wäschestücke und schickte ihn damit zum Teich.

»Wenn du die gewaschen hast und deine Kameraden sind dann noch nicht zurückgekehrt, dann segle ich allein weiter. Wir werden ohnehin heute abend an Ort und Stelle sein.«

Befiehlt der Herr, daß ich das meinen Kameraden sage?«

»Nimm die Wäsche und tue, was ich dir auftrug. Du wirst ohnehin wissen, was du zu tun hast.«

Mit den Worten wandte ich mich ab und ging zum strande, mein gewöhnliches Bad zu nehmen. Nachher vertrieb ich mir die Zeit mit dem Studium der auf den Sand geworfenen Seetiere, deren prächtige Formen mich lange Zeit beschäftigten, von dem, was in der vergangenen Nacht in jenem finsteren Walde geschehen sein mochte, wollte ich nichts wissen.

Meine Diener waren bald zur Stelle. Wortlos schoben sie den Kahn in die unruhige Flut, verstauten das Gepäck und sprangen hinein. Ich selbst wartete noch ein paar Minuten, da ich aus der Eile, mit der die Leute zur Abfahrt drängten, den Schluß zog, daß sie verfolgt würden. Es geschah aber nichts dergleichen.

Die aufgepeitschte See machte uns in dem klippenreichen Wasser sehr viel zu schaffen. So unterblieb von selbst jedes nicht zur Sache gehörige Gespräch. Zum Segeln war der Wind zu unstet. Hier unter dem Gebirge blies er aus allen Richtungen und bei der beschränkten Steuerfähigkeit des unbeholfenen Fahrzeuges mußten wir bald darauf verzichten, Segel zu führen. Aber auch das Rudern bot viel Schwierigkeiten. Ueberall stieß das Ruder auf felsige Riffe und manches liebe Mal glaubten wir von einer Brandungswelle umgeworfen zu werden. Der Kahn krachte dann in allen Fugen, aber merkwürdigerweise blieb er dicht, obwohl er auch sonst genug Wasser übernahm. – Da wir zu wenig Fortgang machten, legte ich mir die Frage vor, ob wir es nicht doch auf freiem Meere versuchen sollten. Gar oft hatte ich Wilde in ihren Einbäumen im stürmischen Wetter auf See gesehen und mich gewundert, daß die Luvbäume das schwankende Fahrzeug vor dem Kentern schützten. Allerdings wären jene Wilden auch nicht in Verlegenheit gekommen, wenn das Kanoe umgeschlagen wäre. Sie hatten nichts darin, was nicht augenblicklich hätte ersetzt werden können, und sie konnten schwimmen wie die Fische. – Beides lag bei mir anders. – Ich holte das Gutachten des Steuermannes ein.

»Wenn wir glücklich in die Strömung geraten, die hier an der Küste vorüber auf das Kap zu setzt, und wenn wir an der Mündung des Wanganui wieder herauskommen, dann möchte ich ja sagen. Ich kenne aber Fahrzeuge, wie dieses, zu wenig. Oft schon glaubte ich, es würde sinken oder kentern, aber es richtete sich immer wieder auf. – Haben Sie wertvolle Habe zu verlieren?«

Diese gewundene Auskunft ließ mich wieder zaudern. Wir arbeiteten weiter mit dem Ruder. Gegen Mittag sahen wir immer noch unseren letzten Lagerplatz, und dessen Anblick schien den Leuten ebenso unangenehm zu sein, wie mir. Ich raffte mich nun zu dem Wagnis auf und ließ Segel setzen, um die bezeichnete Strömung zu erreichen. – Kaum ging die Leinwand hoch, da machte der Kahn einen Satz, wie ein Roß, das zum erstenmal den Reiter spürt. Rauschend schnitt der unförmige Bug durch die Wellen. Zwei Minuten später stand das Wasser handhoch im Schiff. Der Steuerer schüttelte den Kopf. Ich aber wollte mein Glück versuchen und nickte ihm aufmunternd zu. – Und es glückte. Wir konnten uns aus den unsteten Bergwinden befreien und in die Strömung segeln, die uns nun mitnahm, wie etwa ein Mühlenbach einen Waschzuber mitnimmt. Wir jagten wirklich vorwärts. Alles kam nun auf richtiges Steuern an. Schlug der Trog quer, dann waren wir verloren.

Vor uns tauchten Fischerboote auf. Sie kamen aus irgendeinem kleinen Hafen und suchten durch die Strömung aufs hohe Meer zu gelangen. Da ihre Boote den Anforderungen entsprachen, so bot ihnen das keine besondere Schwierigkeiten. Wir sahen jedoch nicht ohne Besorgnis, daß auch sie nicht ohne weiteres sich der Umklammerung des Stromes entziehen konnten. Was sollte aus uns werden, wenn zu Mittag der Wind nicht umsprang.

Die Fischer wurden auf unser seltsames Fahrzeug aufmerksam. Im Vorbeifahren rief man uns Wünsche für eine gute Reise, aber auch Warnungen zu. Dann bot einer seine Hilfe an. Er war wohl ein besserer Seemann, als die andern und erkannte die Gefahr, in der wir schwebten. Ehe wir uns aber schlüssig werden konnten, waren wir bereits vorübergerast.

»Nehmen sie das Segel weg, Herr,« riet der Steuerer.

»Lieber nicht, Tiahu. Je mehr Fahrt wir machen, desto besser steuert sich unser Kahn. – Hast du Angst?«

»Ich sehe bereits zwei Haifische, Herr!«

»Die fressen uns erst, wenn wir im Wasser liegen.«

»Wird nicht mehr lange dauern, Herr. Der Strom geht auf die Klippen zu. Wir müssen versuchen, in ruhiges Wasser zu kommen.«

»Versuche es, aber gib gut acht, daß wir nicht querschlagen.«

»Dann muß das Segel weg, Herr!«

Ich ließ das Stagsegel fallen. Bevor es aber geborgen werden konnte, riß der Wind es dem Maori aus der Hand, und während sich die beiden bemühten, die Leinwand zu bergen, vergaßen sie die Vorsicht. Der Kahn wurde aus der Fahrt und auf eine Seite gedrängt. Die Flut faßte ihn halb seitwärts und drängte ihn soweit auf den Wasserspiegel, daß er ohne die Ausleger gekentert wäre. Immerhin nahmen wir sehr viel Wasser über und die Gefahr des Sinkens war groß. Wir schöpften mit unsern Hüten in fieberhafter Hast das Boot aus, aber immer, wenn wir glaubten, gewonnenes Spiel zu haben, kam eine neue Welle über. – Endlich sahen wir das Zwecklose unserer Arbeit ein. Wir griffen zu den Rudern. Nach ungeheuren Anstrengungen brachten wir den schweren Trog endlich in die richtige Lage und zugleich auch in ruhiges Wasser.

»An Land!« Der Ruf entfuhr fast gleichzeitig unsern Lippen.

Während ich mich daran machte, das eingedrungene Wasser auszuschöpfen, ruderten die Maori aus Leibeskräften dem fernen Ufer zu. Wir fühlten instinktiv die Gefahr, die uns aber erst zur Gewißheit wurde, als ich die Wahrnehmung machte, daß unser Boot ein Leck bekommen hatte. Das Wasser nahm trotz meiner angestrengten Arbeit nicht ab. Da ich es jedoch auf dem gleichen Stande zu halten vermochte und der Strand nicht mehr fern war, versuchten wir gar nicht erst, das Leck zu finden und zu reparieren, da wir Gefahr liefen, durch Zeitverlust das Fahrzeug einzubüßen. Fünf Meter vom Ufer sackte der Kahn denn auch plötzlich weg. Zum Glück in seichtem Wasser. Immerhin ging uns die Flut bis an den Hals und ein paar Haie schienen nicht übel Lust zu haben, sich die Beute auch aus dem flachen Wasser zu holen.

Wir froren jämmerlich in unsern nassen Kleidern. Zu allem Unglück überzog sich nun auch noch der Himmel mit dicken Regenwolken und kaum hatten wir den Strand erreicht, da brach ein Gewitter aus, das einem wahren Wolkenbruch das Geleite gab. Dazu brüllte das Meer einen unheimlichen Gesang, der uns für unser Boot und meine Habe das Schlimmste fürchten ließ. Ratlos standen die Kulis an der Strandungsstelle. Sie erwarteten, daß die steigende Flut den Kahn höher auf den Sand heben würde, wodurch wir ohne Lebensgefahr wieder in den Besitz unserer Ladung gelangt wären. Da das nicht geschah, mußte ich handeln.

»Vorwärts, Tiahu, binde dir ein Tau um den Leib und nimm ein zweites mit, das du an dem Bug befestigst. Wir halten dich.«

»Herr, die See geht zu hoch. Sie wird mich erschlagen.«

»Unsinn, du läßt dich von der rückflutenden Welle dahin tragen. Am Boote findest du Halt, wir sorgen für deine Sicherheit.«

Nach längerem Debattieren warf sich der Steuermann mit der nächsten Welle ins Meer. Sie hob ihn auf ihren Rücken und trug ihn über das Boot hinaus und zwar mit solcher Gewalt, daß wir drei uns fest in den Boden stemmen mußten, um ihn zu halten. Einmal im Wasser, machte der Steuermann auch ganze Arbeit. Obwohl ihn die wütenden Wogen dutzendmal ins Meer zurückwarfen, gelang es ihm doch endlich, das Tau in den Bugring des Kahnes zu befestigen. Die nächste Welle warf ihn, halb ertrunken, wieder zu uns auf den Strand.

Ich ließ dem braven Menschen Zeit, neue Kräfte zu sammeln und gab dann den Befehl, das Boot auf das Ufer zu ziehen. Das ging nun nicht so leicht, wie wir uns das vorgestellt hatten. Das Wasser übte einen zu großen Druck auf die breite Fläche des Kahnes aus. Jedesmal, wenn wir eine über die Stelle hinwegbrandende Woge nutzbar machen wollten, um mit deren Hilfe das Boot weiter zu uns heranzuziehen, fühlten wir, wie ein Druck von oben unsern Anstrengungen entgegenarbeitete. – Endlich brauste das Wetter vorüber und der Sturm nahm an Stärke ab. Der Druck der Wogen wurde schwächer. Wir schöpften neuen Mut und sahen denn auch nach zweistündiger harter Arbeit unsere Mühe belohnt. Langsam folgte das Boot unserem Ziehen, bis wir es schließlich auf dem Trockenen hatten. Mein erster Griff war nach den Kisten, sie waren noch da. Die eisernen Klammern hatten gehalten. Dagegen suchte ich vergeblich nach meinem Wäschesack. Ihn hatte die See behalten. Ebenso büßten wir Ruder, Mast, Segel und die losen Gegenstände ein – die fetten Gänse nicht zu vergessen.

Der Strand war an dieser Stelle flach und das daran grenzende Land zeigte sich als eine öde, sumpfige Steppe, auf der weder Baum noch Strauch wuchs. Da ich meine gesamte Wäsche eingebüßt hatte, war ich gezwungen, mich bis auf die Haut zu entkleiden, und es der Sonne, die eben noch einmal einen Blick auf das dünende Meer warf, zu überlassen, ob sie mir das Gewand trocknen wollte. Leider war dazu der Tag schon zu weit vorgeschritten. Ich mußte also dem Beispiel meiner Leute folgen und einstweilen im Adamskostüm auf die Suche nach Brennmaterial gehen. – Ich wählte mir dazu den Strand, der durch hohe Ufer gegen den Blick etwa Vorübergehender geschützt war, obgleich weit und breit keine Spur menschlicher Wohnstätten zu sehen war. – So sehr stehen wir Europäer im Banne der Kultur.

Meine Ausbeute am Strande überstieg meine Erwartungen. Ich fand nicht nur drei unserer vier Ruder, sondern auch den Mast. Dieser war allerdings gebrochen. Außerdem hatte die See noch alte Schiffstrümmer aus dem Ufersande gewühlt und mehrere morsche Hölzer angeschwemmt. Ich mühte mich besonders mit einem Balkenstück ab, das Ornamentik zeigte und mich einen seltenen Fund ahnen ließ. Aber nicht das allein war der Grund, sondern mich fror jämmerlich und ich hoffte, durch die schwere Arbeit meinem Körper Wärme zuzuführen.

Die Maori fanden nur Reisig und harte torfartige Erde, die, wie sie sagten, gut brennen sollte. Die Angabe bewahrheitete sich auch. Mit meiner Ausbeute vereinigt, brachten wir bald ein qualmendes Feuer zustande, das wenigstens soviel Wärme ausstrahlte, daß es unsere Decken und Kleider trocknete. Zu dem Zweck hatten wir die Ruder und den Mast im Viereck um das Feuer aufgestellt, die Decken und Kleider auf Taue gehängt und so eine »spanische Wand« geschaffen, die einen dreifachen Zweck erfüllte. Sie bot uns Schutz vor dem Winde, trocknete unsere Sachen, und trug den Geboten der Schicklichkeit Genüge, falls es einen Europäer gelüsten sollte, seinen Abendspaziergang bis zu uns auszudehnen.

Empfindlicher als unter der Kälte, litten wir unter dem Mangel an Nahrung. Meine Konserven waren mit dem Sack verloren gegangen und in den Kisten befanden sich von genießbaren Sachen nur Getränke. Diese allerdings gab ich in Rücksicht auf die überstandenen Strapazen gern heraus. Allerdings in unverdünntem Zustande, da uns auch Frischwasser fehlte. Den Maori war das gar nicht so unangenehm. – Alle diese farbigen Völker lieben die scharfen Schnäpse.

Es wurde Mitternacht, bis wir uns in die Decken hüllen konnten. Da auch unser Holzvorrat zu Ende ging, mußte ich den behauenen Stamm opfern, den ich für ein gründliches Studium aufgespart hatte. Obwohl er ungezählte Jahre im Meeressande geruht haben mußte, war das Holz noch kerngesund und eisenhart. Es brannte auch nicht, sondern glomm, unter nur geringer Wärmeabgabe, die ganze Nacht hindurch.

Die aufgehende Sonne beleuchtete eine Gruppe recht verdrießlicher Menschen. Wir waren hungrig, durstig und nach einer schlecht verbrachten Nacht durchfroren. Kein Tropfen Wasser weit und breit zum wärmenden Frühtrunk, und zu alledem noch ein erlöschendes Feuer ... Woher sollten wir da Lust und Tatkraft zum Flottmachen unseres ertrunkenen Kahnes nehmen? Es mußte zunächst Nahrung herbeigeschafft werden. Ich rief Pu Nambu.

»Hier hast du Geld. Suche eine menschliche Behausung zu entdecken und bringe vor allen Dingen Eßbares mit. Toa geht auf die Suche nach Wasser. – Wer zuerst wieder zurück ist, bekommt einen Schnaps extra.«

Ein Leuchten verklärte die Züge der Maori. Das Versprechen war wohl das geeigneteste Mittel, die Leute zur Eile anzutreiben. Sie waren auch in der nächsten Sekunde schon unterwegs.

Mit dem Steuermann machte ich mich nun an die Untersuchung unseres Kahnes. Zunächst mußte er leergeschöpft werden und ich muß gestehen, daß wir uns nur mit Widerstreben in das schmutzige Wasser wagten. Die mühevolle Arbeit erwärmte uns jedoch, und wenn der knurrende Magen nicht gewesen wäre, so hätten wir den Humor wiedergefunden. Tiahu machte öfter Anspielungen auf innere Erwärmung, aber ich fürchtete den nachteiligen Einfluß des Alkohols auf den leeren Magen und winkte zum großen Verdruß des Steuerers immer ab. Um ihn bei Laune zu halten, vertröstete ich ihn auf die Rückkehr der beiden Maori.

Das Leck im Boot war durch das Aufstoßen auf die scharfen Klippen entstanden. Zum Glück hatten die Bodenplatten nur das eine Loch davongetragen, aber auch dieser geringe Schaden verursachte uns viel Kopfzerbrechen, da uns jedes Werkzeug fehlte, ihn auszubessern.

Das Nächstliegende wäre gewesen, den Kahn einfach hier liegen zu lassen und den Weg bis zur Wanganui-Mündung zu Fuß zu machen. Nach meiner Berechnung waren wir höchstens vierzig Kilometer davon entfernt und das hätten wir leicht in einem Tage bewältigt. Meine beiden Diener wären auch zu einem Fußmarsch verpflichtet gewesen, aber ich glaubte es dem Steuermann schuldig zu sein, daß er seine geheimen Wünsche in Erfüllung gehen sah. Ich hatte während der Reise den Eindruck gewonnen, daß er mir das Boot später in Verrechnung mit seinem Lohne abkaufen wollte. Für ihn bildete dessen Besitz ein Kapital, mit dem er sich als Frachtführer im Hafen von Wellington selbständig machen konnte. Für mich wurde es wertlos, wenn ich im Wanganui nicht mehr weiter flußaufwärts fahren konnte. Diese Rücksicht auf den auf seine Art recht braven Mann ließ mich auch die Arbeit der Wiederinstandsetzung des Bootes nicht verdrießen.

Während wir so in unserer Ratlosigkeit vor dem Kahne standen, bemerkte ich deutlich, wie dem Steuermann der Schicksalsschlag zu Herzen ging. Noch war allerdings zwischen uns kein Wort über den Besitzwechsel gesprochen worden, um den armen Kerl aber wieder aufzurichten, schnitt ich nun endlich die Frage an und sagte:

»Wenn du wüßtest, Tiahu, wie weh es mir tut, den Kahn gerade hier liegen lassen zu müssen! Ich würde ihn gern ausbessern, wenn sich jemand fände, der die nötigen Werkzeuge herbeischaffte.«

»Bis zum Flusse könnten wir ihn in seichtem Wasser schleppen, Herr. Dort finden sich dann Handwerker, die Ihnen die Arbeit machen.«

»Kannst denn du nicht auch das kleine Leck ausbessern? Ich meine, daß man sein Eigentum nicht gern in fremde Hände gibt und für eine Arbeit bezahlt, die man selbst machen kann.«

»Wenn es mein Kahn wäre, wüßte ich, was zu tun wäre!«

»Und was würdest du tun?«

»Das Notsignal der Fischer setzen. Es käme dann bald eine Barke, die mir das nötige Material gäbe. Pech, Werg und Werkzeuge sind auf jedem Fischerfahrzeuge.«

»Warum tust du das denn nicht?«

»Für eine fremde Barke darf ich es nicht verlangen. Es ist wegen der Arbeiter am Lande ...«

»Nun denn, da ich die Absicht habe, dir das Boot später zu überlassen, so rufe deine Kameraden. Es ist doch wohl einerlei, ob du heute oder in einer Woche den Kahn dein eigen nennst?«

»Wie, Herr, höre ich recht?« rief Tiahu erfreut und ein Zittern ging durch seinen Körper. »Sie wollen mir das Boot verkaufen? Wenn Sie am Wanganui sind, darf ich es mein eigen nennen?«

»Genau das will ich sagen. Aber verstehen wir uns recht, solange ich es noch brauchen muß, gehört das Boot mir. Nachher ist es dein Eigentum. Ich schenke es dir!«

Wer beschreibt die Freude des Mannes, als ihm so plötzlich ein Vermögen vom Himmel fiel. Er tat einen Freudensprung, umarmte mich und hätte mich sicher in seinem Glücksgefühl mit der Bruderschaft bedacht, wenn ihn nicht die Rückkehr der beiden Diener zur Vernunft gebracht hätte. Die beiden Maori brachten Lebensmittel für mindestens drei Tage und kündigten mir gleichzeitig den Besuch eines Weißen an, der mit ihnen gekommen wäre, wenn er nicht noch in seinem Hofe zu tun gehabt hätte.

Ich musterte die mitgebrachten Leckerbissen, worunter ein Truthahn mein besonderes Interesse erregte.

»Wo hast du denn das alles aufgetrieben? Dazu kann doch das Geld nicht ausgereicht haben?«

Pu Nambu lächelte verschmitzt, griff in die Tasche und brachte die zwanzig Schillinge zum Vorschein, die ich ihm mitgab.

»Du hast doch nicht etwa gestohlen?« fuhr ich ihn empört an.

»Aber, Herr, wie können Sie das denken? Der weiße Mann wollte kein Geld. Er kommt selbst.«

»Nun dann wollen wir die Rechnung später begleichen. Nun macht rasch Feuer. Toa hole Holz und Reisig. Rasch, Junge. Ich falle um vor Hunger.«

Diesmal dauerte es keine Viertelstunde bis die glühende Asche das Kaffeewasser zum Kochen brachte. Ich war noch beim Genusse des würzigen Trankes und warf verlangende Blicke nach dem Indian, der sich langsam bräunte, als plötzlich ein mit zwei Eseln bespannter Wagen auf der Uferbank erschien. Ein dicker Mann mit ausgeprägt deutschem Gesicht sprang zu uns hinunter und trat mit ausgestreckten Händen auf mich zu.

»Grüß Gott, Landsmann!« sagte er. »Ich segne den Zufall, der sie in meine Nachbarschaft bringt, wenn es auch für sie ein Unfall ist. Seit fünf Jahren sind sie der erste Deutsche, der sich in diese Gegend verirrt. Nun aber steigen sie auf. Sie dürfen hier nicht am Strande kampieren. Seien sie mein Gast, je länger, je lieber!«

Ich mußte den Mann ausreden lassen, so schnell kamen die Worte über seine Lippen. Da ich aber in einem Zustande war, in dem ich mich vor keinem Menschen sehen lassen konnte, mußte ich ablehnen. Ich tat das mit den Worten: »Herzlichen Dank, verehrter Landsmann, für die reiche Hilfe, die sie mir durch Abgabe der Lebensmittel angedeihen lassen, wir sind halb verhungert ...«

»Bravo, das freut mich!« rief er.

»Und ich habe meine sämtlichen Kleider verloren ...«

»Um so besser! Wie mich das freut ...«

»Aber erlauben sie. Das ist durchaus nicht angenehm!«

»Freut mich aber!« rief er frohlockend. »Um so eher gehen sie auf meine Bitten ein, mit mir auf meine Farm zu kommen. Dort finden sie alles, was Ihnen fehlt. – Verehrter Herr, sagen sie nur nicht nein! Sie dürfen mir meine Bitte nicht abschlagen!«

Die dringende Einladung ergötzte mich. Er bemerkte das Lächeln und nahm mich nun bei der Hand, wie man ein Kind führt.

»Nicht wahr, Sie stimmen zu? Sie bleiben ein paar Wochen bei mir. Ich bin mit meiner Frau und dem Gesinde allein in der Gegend. Der nächste Nachbar wohnt zehn Meilen entfernt und das ist ein Kerl – na – ich will nichts weiter sagen – ein Franzos ...«

»Das genügt zur Charakteristik!« warf ich ein.

»Begreifen sie jetzt, daß ich Feuer und Flamme war, als ich von Ihrem Maori hörte, daß ein weißer Mann um Lebensmittel bäte?«

»Woher mußten Sie denn, daß ich ein Deutscher bin?«

»Aus den Antworten des Braunfells. Ein weißer Mann, der Käfer und Schmetterlinge sammelt, ist in neunundneunzig von hundert Fällen ein Deutscher. Ferner erfuhr ich die Geschichte mit dem Zollboot, das die Flagge zeigte. Als ich dann von schwarzweißrot hörte, ließ es mir keine Ruhe. Da bin ich! Kommen Sie!«

»In diesem Zustande ist es unmöglich. Besonders wenn Damen in Ihrem Hause sind.«

»Ich führe sie zuerst auf Ihr Zimmer und gebe Ihnen einen Anzug. Schlagen Sie ein!«

»Aber meine Leute ...«

»Wohnen bei mir!«

Ich sah ein, daß ich die Einladung annehmen mußte. Als ich zusagte, glitt wirkliche Freude über das Antlitz des Mannes. – Nun ward auch die Frage der Instandsetzung meines Kahnes geregelt. Auf der Farm fand ich alles, was mein Steuermann zu seiner Arbeit bedurfte und nachdem ich mich vergewissert hatte, daß mich während meiner Abwesenheit keine Verluste treffen konnten, bestieg ich den Wagen und fuhr mit meinem Gastfreunde durch Steppe und grünende Felder auf dessen Farm.

Herr Wadler war vor sechs Jahren mit seiner jungen Frau aus Deutschland nach Neuseeland ausgewandert. Er stammte aus der Gegend von Passau und hatte sich in den Kopf gesetzt, den Neuseeländern bayrisches Bier zu brauen. Nachdem er nach den ersten Versuchen in Wellington eingesehen hatte, daß der Industriezweig nie zu einer Existenz führen konnte, nahm er kurz entschlossen das ihm noch verbliebene Geld und kaufte sich in einer Gegend an, vor der man ihn am meisten gewarnt hatte. Durch eisernen Fleiß war es ihm gelungen, aus einer öden Steppe fruchtbares Land zu machen und heute erfreute er sich eines Besitzes, der selbst in diesem Lande zu einem der reichsten gezählt werden konnte.

»Wenn ich auf die Leute gehört hätte, wäre ich heute bankrott. Man muß sich immer auf das eigene Urteil verlassen, dann fährt man immer am besten,« schloß er seine Erzählung.

Drei schöne Tage verbrachte ich auf der Farm des gastfreundlichen Landsmannes. Dann setzte ich meine Reife fort, aber nicht, wie geplant, zu Wasser, sondern ich folgte dem Rate des landeskundigen Herrn Wadler und faßte den Entschluß, das Gebirge schon jetzt zu überschreiten und auf dessen Ostseite weiterzureisen. Zwar warnte er mich vor dem Gesindel, das oben auf dem Passe mit den Eisenbahnarbeiten beschäftigt war, und das aus dem Auswurf der menschlichen Gesellschaft bestehen sollte, aber dem konnte ich ja aus dem Wege gehen.

Mein Steuermann war bestürzt, als ich ihm meine veränderten Reisedispositionen mitteilte. Er hatte nicht erwartet, sich so rasch von mir trennen zu müssen. Das schmälerte ihm auch die Freude, als ich ihm das Boot schon jetzt schenkte und ihm außerdem noch den bedungenen Lohn für die ganze Reise gab. Sogar ein Segel konnte ich ihm noch stiften, das aus einer defekten Wagendecke des Herrn Wadler angefertigt wurde. Seiner Abfahrt in die Heimat sah ich noch zu. – Möge ihm der Kahn Glück gebracht haben.

Aus den Beständen meines Gastfreundes erwarb ich vier kleine, aber ausdauernde Gebirgspferde nebst Geschirr. Die Maori reiten nicht gern und auch meine Diener waren nur zum Besteigen der Pferde zu bewegen, als ich ihnen mit Entlassung drohte. Sie legen allerdings zu Fuß große Strecken zurück, allein auf meiner langen Reise brauchte ich stets frische und ausgeruhte Leute, besonders in einer Gegend, die sich in bezug auf Sicherheit keines guten Rufes erfreut. – Ich will hier gleich erwähnen, daß wir auf dem gefürchteten Gebirgspasse unbehelligt blieben. Ob das auf die zahlreichen, dort umherstreifenden Gendarmen zurückzuführen war, mag dahingestellt bleiben.

Herr Wadler gab uns noch zwei Stunden weit das Geleite und verabschiedete sich dann äußerst herzlich, nicht ohne mir warme Grüße an seine Heimat aufzutragen. Der Zufall führte mich zwei Jahre später nach Passau und dort entledigte ich mich persönlich des Auftrages.

Zur Ueberquerung des Gebirgszuges brauchten wir drei Tage, während derer wir fast immer mit Menschen aller Rassen zusammentrafen. Die Gegend ist besiedelt und es herrscht ein reger Verkehr mit dem als Knotenpunkt zweier Eisenbahnlinien ausersehenen freundlichen Gebirgsstädtchen.

Mit dem Eintritt in die Ebene entfernten wir uns von den begangenen Wegen und zogen in den Vorbergen des süd-nördlichen Gebirgsstockes nach Norden in das Gebiet der noch in ihren überlieferten Sitten lebenden Maoris. Diesen galt in erster Linie mein Besuch.

An dieser Stelle sind wohl einige Angaben über die Ureinwohner von Neuseeland, die Maori (sprich Mauri) angebracht.

Als die große Doppelinsel gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Cook und Tasman besucht wurde, lebte daselbst ein Volksstamm, den die Entdecker als rohe, aber auf hoher Kulturstufe stehende Menschen bezeichneten. Sie wohnten in geräumigen Holzhütten, deren Fachwände aus Lehm und Flachsgeflecht hergestellt waren. Die Giebelbalken der Häuser trugen kunstvoll geschnitzte Ornamente, deren Muster an Arbeiten der Samoaner erinnern. Man glaubt daher, und aus andern Gründen, daß die Maori einstmals von Polynesien her eingewandert sind und die Ureinwohner von Neuseeland nach und nach ausrotteten. Daß sie ein Mischvolk waren, ging schon aus der Verschiedenart der Hautfarbe hervor. Tasman fand Menschen mit ganz brauner Haut und straffem, schwarzen Haar, und solche von rotbrauner Hautfarbe, die kurzes, gekräuseltes Haar hatten. Auch hebt er den Unterschied in der Gesichtsbildung hervor. Im großen und ganzen kann man die Maori als schöne, gutgewachsene Menschen bezeichnen. Besonders unter dem weiblichen Geschlecht findet man auch heute noch Mädchen, die selbst nach unseren europäischen Begriffen als Schönheiten angesprochen werden können.

Die Bewohner der Doppelinsel waren tatauiert (von dem samoanischen Worte tatau = künstlerisch hergeleitet. Tätowiert ist falsch). Die in die Haut eingeätzten Verzierungen fielen den genannten Entdeckern besonders wegen ihrer eigenartigen schönen Zeichnungen auf. Spätere Forscher stellten fest, daß das Tataunieren einer Kulturhandlung gleichkam, bei der ganz bestimmte Gebräuche beobachtet werden mußten. Das zu der Operation verwendete Werkzeug bestand aus Muscheln oder Knochen mit sehr scharfer Schneide. Damit wurden Schnitte in die Haut geritzt und diese zu kleinen Wülsten zusammengedrängt, was äußerst schmerzhaft gewesen sein muß. Das Gesicht besonders wurde mit schönen Zierraten bedeckt und es galt als ein Vorrecht der Häuptlinge, sich Kinn und Lippen in bunten Farben zu tataunieren. – Während der Operation und bis die Narben vollständig geheilt waren, hatte der Patient gewisse Vorschriften streng zu beobachten. – Die Tataunierung hat sich unter den Maori bis in die neueste Zeit erhalten. Ich fand auf meiner Reise noch viele ältere Männer mit schönen Zeichnungen. Auch junge Mädchen, die ihre an sich schon anmutigen Züge durch künstlerische Tataunierung des Kinns verschönt hatten, sah ich einige Male in den einsam gelegenen Gebirgsdörfern. Diese letzteren waren in der gleichen Art gegen unbefugtes Eindringen geschützt, wie es auch bei der Entdeckung der Inseln gehandhabt wurde. Gräben und hohe Holzzäune umgaben jedes einzelne Haus und selbst die Felder, auf denen in der Hauptsache Melonen, Taro und Bataten (süße Kartoffeln) gezogen wurden, umzog man mit Gräben. – Fischfang und Jagd bildeten damals die Hauptbeschäftigung der Maori. Da es an jagdbaren Säugetieren mangelte, mußten wilde Hunde, Ratten und Vögel neben den Fischen und Seetieren die Hauptnahrung liefern. Als es nun mit der Zunahme der Bevölkerung und mit dem Rückgang der Jagd zu einem Mangel an Fleischnahrung kam, verfielen die Maori, vielleicht durch den Hunger getrieben, auf den Kannibalismus. Sie begannen zuerst in ganz vereinzelten Fällen die im Kriege gefallenen Feinde zu verzehren und aus diesen Einzelfällen bildete sich dann der fürchterliche Brauch heraus, die Feinde oder auch die eigenen Sklaven aufzuessen. In der ersten Zeit nach der Entdeckung der Inseln fielen auch Europäer dem Kannibalismus zum Opfer. Mir wurden noch einzelne alte Leute gezeigt, die in ihrer Jugend Menschenfleisch gegessen hatten. Sie machten daraus auch gar keinen Hehl. – Mit dem Vordringen des Christentums verschwand dann die gräßliche Sitte. Leider hat es die vordringende Kultur auch hier, wie überall, wo der Engländer und Franzose als Kolonisator aufgetreten ist, dahin gebracht, daß das Volk der Maori langsam vom Erdboden verschwindet. Zu der Zeit, als ich auf der Insel reiste (1888), soll es nur noch zwölftausend Urbewohner gegeben haben. Die meisten dieser letzteren wußten, daß sie zum Untergange bestimmt waren und machten die größten Anstrengungen, durch Abschießen vom Europäer, ihre Rasse zu erhalten. Es dürfte ihnen kaum gelingen, denn der Engländer hat kein Interesse daran, – eher das Gegenteil. So wie er vor fünfzig Jahren den letzten Tasmanier begrub, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, den Volksstamm zu erhalten, so werden auch unsere Kinder das Aussterben der einst so mächtigen und kulturell auf hoher Stufe stehenden Maori erleben.

Vom Christentum haben sich die im Innern der Inseln lebenden Maori wenig mehr als die äußeren Formen angeeignet. Mit dem Herzen hängen sie noch an ihren heidnischen Gebräuchen. Sie verehren zwar auch einen einzigen Gott, haben indessen keine Tempel oder Götzenbilder. Nur das Tiki-Tiki, das als eine Art Amulett um den Hals getragen wird, könnte man als ein Götzenbild ansehen. Es stellt eine groteske Figur dar, die aus Jadeit oder Nephrit roh herausgearbeitet ist und meist von dem Familienoberhaupt getragen wird. Dieses Stück gilt als heilig. Es erbt sich von Generation zu Generation fort und nie würde es einem auf seinen Ruf haltenden Maori einfallen, sich dieses Tiki-Tiki zu entäußern. – Ich selbst bot einem anscheinend in größter Armut lebenden Manne einige Goldstücke dafür, erntete aber eine entrüstete Absage, die von Drohgebärden unterstützt wurde. –

Wenn man vom Neuseeländer spricht, dann muß man auch der Flachslilie ( Phormium tenax) Erwähnung tun. Diese nützliche Pflanze ist derart mit dem Maori verwachsen, daß sie den weitesten Raum in seinem Leben einnimmt. Sie ist ihm unentbehrlich geworden, da sie ihm Kleidung, Wohnung, Hausgerät und gleichzeitig Handelsartikel darbietet. – Das Blatt der Flachslilie liefert mit seiner Faser das Material zu den oft künstlerisch schön und geschmackvoll gearbeiteten Mänteln und Röcken der Frauen. Die Hütten werden mit Flachslilienblättern gedeckt. Sie bieten durch die Art ihres Flechtwerks Schutz gegen den stärksten Regen. Matten bedecken die Wände der Hütten und verhindern das Eindringen der Kälte, und wenn der fremde Reisende die gastfreie Einladung des Maori annimmt, so wird er auf dem Tische Platten und Körbchen finden, die von geschickten Mädchenhänden geflochten, unsere Teller und Schüsseln vollkommen ersetzen. Aus weichen Phormium-Matten besteht das Bett und eine feine, sehr warme Decke aus demselben Blatte schützt den Schläfer vor Kälte. – Die Männer unterstützen die Frauen bei der Herstellung der Handelsartikel aus der Phormiumfaser. Sie drehen Schnüre und Bindfaden, Seile bis zur Stärke dickster Schiffstaue. Sie flechten Körbe, weben Mäntel, spinnen Garne und stricken Fischnetze – alles aus der Faser der Flachslilie. Sogar die Segel ihrer schön gearbeiteten und reichverzierten Kanoes sind aus dem gleichen Material hergestellt. Die Form der Phormiumblätter erinnert an unsere Schwertlilie. Aus der zwiebelartigen Wurzel der Pflanze treiben zahlreiche Blätter, die bei einer Breite bis zu zehn Zentimetern eine Höhe von zwei bis drei Metern erreichen. Die Farbe ist dunkelgrün mit roten Streifen auf der Rückseite der Blätter. Die Flachslilie blüht nur einmal, und zwar im fünfzehnten oder zwanzigsten Jahre. Sie treibt dann einen langen Schaft empor, der mit zahlreichen süßlich duftenden roten Blüten bestanden ist. – Die Verarbeitung des Blattes geschieht heute mit Maschinen, die den fleischigen Teil entfernen und die Faser bloßlegen. Diese letztere wird in ähnlicher Weise behandelt, wie der Flachs bei uns.

Kehren wir nach dieser Abschweifung auf den kaum erkennbaren rauhen Gebirgspfad zurück, den meine Diener mir vorgeschlagen hatten. Hier in diesen Bergen war Pu Nambu aufgewachsen und hier wollte er mir noch einen Rest echt neuseeländischen Lebens, in dem Dörfchen eines seiner Verwandten zeigen, der mit der vordringenden europäischen Kultur auf gespanntem Fuße stand. Mein Diener machte mich von vornherein darauf aufmerksam, daß ich mich auf anstrengende Kletterpartien gefaßt machen müsse und daß wir unsere Pferde nur bis zu einem bestimmten Punkte benutzen könnten. An einem Gebirgssee müßten wir sie unter der Obhut Toas zurücklassen.

Durch einen noch jungfräulichen Bergwald, in dem der Baum der Insel, die Kaurifichte vorherrschte, erkletterten unsere Pferdchen eine Hochebene, die uns eine herrliche Fernsicht bot. Trotz der vorgerückten Jahreszeit standen noch viele Wiesenblumen in Blüte und selbst eine alte Bekannte aus der Heimat, die Erdbeere bot ihre süßen Früchte dar. Allerdings wich diese in der Farbe von ihrer europäischen Schwester ab. Sie trug goldgelbe Früchte, die aber in Geschmack und Aroma ganz unserer Erdbeere glichen.

Da der Himmel während des ganzen Tages graue, zerfetzte Wolken von Westen nach Osten gejagt hatte, beschlossen wir, an dieser Stelle die Nacht zu verbringen. Zu dem Zwecke mußten mir meine beiden Maori einen Rancho bauen, wie ich dies in Südamerika meistens zu tun pflegte. Während sie sich damit beschäftigten, hing ich die Büchse um und wanderte in den Wald hinauf, um nach jagdbarem Wilde Ausschau zu halten. Mein Diener hatte zwar Zweifel geäußert, ob außer ein paar Taubenvögeln noch andere größere Lebewesen in den Felsen anzutreffen wären, aber unsere Vorräte mußten noch längere Zeit vorhalten und jede Bereicherung durch Wild war willkommen.

In einer Sandreiße kletterte ich aufwärts. Ich hatte mir eine bewachsene Kuppe zum Ziele genommen, deren saftiges Grün auf Vorhandensein von Wasser deutete, und wenn irgendwo, so mußte sich dort wild befinden, das Weide und Wasser an einer Stelle fand. – Ich mochte etwa eine halbe Stunde gestiegen sein, als ich links über mir ein dumpfes Pochen vernahm. Die Schläge fielen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und schienen von Menschenhänden auszugehen. Da ich nicht die geringste Lust verspürte, mit Weißen oder sonstigen Kulturmenschen zusammenzutreffen, so verließ ich die geröllhaltige Einsenkung und stieg rechts in den Wald, wo ich allerdings ein recht schwieriges Gelände fand. Der Baumbestand war mit Brombeersträuchern dicht bewachsen und ich hatte oft Mühe eine lichte Stelle zu finden, die mir einen Schritt weiter gestattete. So arbeitete ich mich langsam zu dem vorbezeichneten Punkte empor. Dort fand ich auch meine Voraussetzung bestätigt. Ein Reh äste arglos das saftige Gras und mußte seine Unachtsamkeit mit dem Tode büßen. – Nachdem ich das Tier aufgebrochen hatte, warf ich die Büchse wieder auf die Schulter und betrachtete noch eine Weile die eben hinter dem Taranaki – oder Mount Egmont (2500 Meter), wie ihn die Engländer nennen – verschwindende Sonne. Der Berg lag klar im Aether und sein schneegekrönter Gipfel leuchtete in den prächtigsten Farben. Da wo ihn der letzte Sonnenstrahl voll traf, glühte der Firn wie lauterstes Gold, während die südlicher liegenden Hänge als violett und grün leuchtendes Silber erschienen.

Ich war so in das großartige Schauspiel vertieft, daß ich gar nicht bemerkte, wie sich nächtliche Schatten über den Wald legten und mir den Abstieg zu meinem Rancho unmöglich machten. – Als ich mich endlich von der hehren Pracht losriß, erschrack ich leicht. Finsternis gähnte mir aus der Tiefe entgegen, und wenn ich an den dornigen Aufstieg dachte, wußte ich, daß ich für diese Nacht an kein wärmendes Feuer, noch weniger aber an Essen denken durfte. Ich hatte nichts bei mir. Sogar Decke und Feuerzeug waren unten zurückgeblieben. – Die Kosenamen, die man sich bei derartigen Wahrnehmungen zu geben pflegt, ersparte ich auch mir nicht. Aber damit änderte sich meine Lage um keines Fingers Breite. – Eine schwache Hoffnung setzte ich auf meine Leute. Sie wußten, wo ich zu finden war. Ob sie wohl soviel Verständnis für meine Lage aufbrachten, daß einer von ihnen zu mir aufstieg?

Ich ließ einen lauten, kräftigen Jodler erschallen, der in dem Namen Tao-ho ausklang – und tat unvorsichtigerweise damit das dümmste, das ich tun konnte. Hätte ich kein Lebenszeichen von mir gegeben, so würde man mich gesucht haben. Nun aber hörte ich die lauten Antwortrufe meiner Leute, deren Wortsinn mir aber ebenso verloren ging, wie ihnen meine Worte.

Endlich gab ich es auf. Auch diese Höhe begann sich in ihre nächtlichen Schleier zu hüllen und es wurde empfindlich kalt. Ich schleppte den Rehbock etwas tiefer in den Wald, lehnte mich mit dem Rücken an einen gewaltigen Fichtenstamm und benutzte das tote Wild als Decke für meine Füße. So ergab ich mich in mein Schicksal, fest überzeugt, ganze elf Stunden frierend und hungernd hier zubringen zu müssen. Von unten herauf tönten noch einige Rufe, die ich jedoch nicht beantwortete. Ich war wütend auf meine Leute, die doch keinerlei Schuld an meinem Mißgeschick trugen. – So ist oft der Mensch!

An meinen harten Baum gelehnt, überdachte ich nochmals den beim Anstieg zurückgelegten Weg. Ich wußte, daß in einigen Stunden eine noch genügend stark leuchtende Mondscheibe den Wald erhellen mußte und prüfte mangels anderer Gedanken die Möglichkeit eines Abstiegs durch die Reiße, wobei ich allerdings auf den Transport meiner Beute verzichten mußte. Ich verhehlte mir auch nicht, daß es dabei auf ein paar Risse in Haut und Kleidern nicht ankommen dürfe.

Mitten in diesen Gedankengang schob sich ein fremdartiger Ton. Das Klirren von Eisen auf Stein. Irgendwo in meiner Nähe hielten sich Menschen auf. Mein Schuß hatte sie auf mich aufmerksam gemacht und ich konnte ruhig deren Ankunft abwarten. Wenn sie hier oben ihren Wohnsitz hatten, würden sie dem Knall des Gewehrs nachgehen. Ich ersparte mir durch das Verharren an meinem Platze den unbequemen Weg durch den unbekannten Wald und kam doch zu einem Obdach, wenn die Leute überhaupt ein solches zu vergeben hatten.

Lange vernahm ich keinen Laut. Ich überlegte, ob ich rufen sollte. Gab aber den Gedanken auf. Mir fiel wieder die Warnung meines gastfreundlichen Landsmannes ein und ich entschied mich für ein Ausharren in meiner Lage, bis mich der kommende Morgen erlöste. Mit dem Gesindel, das hier in den Bergen nach Metallen suchte, wollte ich nichts zu tun haben.

Der Mond ging auf und versilberte mit seinem weißen Lichte die wie eine schwarze Wolkenwand vor mir liegenden Wälder. Ueber die Waldblöße huschte flüchtigen Fußes ein Reh. – »Schau, schau!« sagte ich leise vor mich hin. »Also bekomme ich doch Besuch, das Tier würde sonst nicht so rennen!« Langsam entsicherte ich meine Büchse und legte sie auf die Knie. Mein Auge hing suchend an der Umgebung.

Plötzlich standen zwei Männer auf der Lichtung. Beide trugen Gewehre, die sie schußbereit in der Hand hielten. Der eine führte eine Laterne mit sich, die kaum hell genug brannte, um die dem Boden eingeprägten Spuren meiner Stiefel erkennen zu können. Sie waren allem Anscheine nach meiner Fährte gefolgt, und hatten sie auf dem harten Grasboden verloren. Die unsichere Haltung der Männer, ihr verwahrlostes Aeußere, das der Mondschein noch mehr hervortreten ließ, und das Zusammenzucken bei jedem Knacken eines herunterfallenden Zweiges, ließen den Schluß zu, daß ich es hier mit Individuen zu tun hatte, die sich nicht ohne zwingende Gründe in die Einsamkeit dieser Berge verkrochen hatten.

Ich gab kein Lebenszeichen von mir, beobachtete aber genau die Bewegungen der beiden Unbekannten. Daß sie mich suchten, schloß ich aus den Gesten des einen, eines bartlosen, schmächtigen Gesellen, der die Sandreiße hinab deutete und den Kameraden zu überreden schien, ihm dorthinunter zu folgen. Der andere, eine wilde Gestalt, mit großem schwarzen Barte, schien jedoch anderer Meinung zu sein. Er betrachtete die Sträucher am Rande des mich schützenden Waldes und mußte zweifellos zu einem richtigen Schlusse gekommen sein, denn er hob das Gewehr und zielte in der Richtung meines Versteckes, wenn er aber die Absicht zu feuern wirklich gehabt hatte, so brachte ihn sein Kumpan davon ab. Dieser rief plötzlich ein paar Worte, die den andern veranlaßten, sich rasch in den Schatten der hohen Tannen zu verbergen. Er stand nun keine zehn Schritte von mir entfernt, aber fünf bis sechs Meter höher. Sein Schuß, wenn er nicht gerade Schrote geladen hatte, würde mich nicht getroffen haben. Ich aber hatte ihn, falls er böse Absichten nährte, jedenfalls in meiner Gewalt.

Noch grübelte ich darüber nach, was den Kerl wohl zu dem Versteck getrieben haben könnte, da hörte ich, wie sich links von mir ein Stein löste. In größeren Absätzen sprang er von Baum zu Baum, bis sich das Geräusch in der Tiefe verlor. Darauf war es minutenlang totenstill um mich her. Eine Stille, die ein Ereignis in sich birgt, das sich unseren Sinnen schon im voraus mitteilt. Man weiß, daß sich etwas ereignen wird und bereitet sich darauf vor.

Zu meiner Linken knackte ein Zweig. Rasch flogen unsere Augen nach der Richtung hin. Der Bärtige hob das Gewehr. Ich unterschied eine Gestalt, die sich vorsichtig weiter aufwärts schob – zweifellos ein Mensch. War es Furcht, die ihn so geräuschlos durch den Wald kriechen ließ oder war es ...

»Ein Gendarm!« entfuhr es unwillkürlich meinen Lippen, denn ich hatte glitzernde Tressen gesehen. So leise das Wort gehaucht war, der Mann über mir hatte es vernommen. Blitzschnell fuhr er herum und suchte in der Dunkelheit des Waldes den Sprecher zu erkennen. Durch die Stämme gedeckt blieb ich für ihn unsichtbar und nun mochte ihm der Aufenthalt an jener Stelle doch nicht mehr recht geheuer erscheinen. Er sank zu Boden und glitt wie eine Schlange rechts in die Büsche. – Mein leises Wort hatte ein Menschenleben gerettet, denn der Mann hätte sicher geschossen.

Wieder nahm die lautlose Stille den Wald gefangen. Vier Menschen befanden sich auf einen kleinen Kreis zusammengedrängt. Jeder glaubte in dem anderen den Todfeind zu sehen, dem er durch einen wohlgezielten Schuß zuvorkommen müsse. Jetzt wußte jeder von der Anwesenheit des anderen, aber keiner wußte, was er von dem Nächsten zu erwarten hatte. War es da nicht ratsam, sich zu melden?

Die Frage wälzte ich längere Zeit im Kopfe herum. Wenn ich den Gendarm anrief? Würde da nicht der Bärtige, der mich von seinem Versteck aus gut sah, sofort auf mich feuern? Oder würde der Kumpan des Bärtigen, der zweifellos an der Reiße in den Büschen lag, nicht auf den Gendarm feuern, falls sich dieser meldete? – Ich legte die Entscheidung in Gottes Hand. Ruhig verharrte ich in meinem Versteck und harrte der weiteren Entwicklung der Dinge. Meine Blicke richteten sich auf die Lichtung. Dort allein konnte sich unser nächtliches Intermezzo entscheiden. Andernfalls mußten wir bis Tagesanbruch im Walde liegen bleiben und jeden Augenblick der Kugel des Nachbarn gewärtig sein.

Mich fror und hörbar schlugen meine Zähne aufeinander. Vom Berge herüber blies nunmehr ein frischer Wind, der ein Rauschen in die Wipfel legte. Nun wurde es im Walde unruhig. Aeste brachen herunter. Tannenzapfen fielen dumpf pochend zu Boden. Zweige und junge, nebeneinander stehende Stämmchen brachten durch gegenseitige Reibung quietschende Töne hervor. Alte Stämme knarrten. Hie und da kollerte ein Stein den Berg hinunter.

Den schwachen Lärm mußten die beiden Männer, falls sie ein schlechtes Gewissen trieb, benutzen, um aus der unheimlichen Nachbarschaft zu fliehen. Und sie taten es. Der Bärtige flog plötzlich wie ein Pfeil vom Bogen in den gegenüberliegenden Wald, wo er den Blicken entschwand. Nur Sekunden brauchte er, um die Lichtung zu überqueren. Jedenfalls war er nun vor dem Gewehre des Gendarmen sicher. Daß dieser schießen wollte, bewies mir das deutliche Schlagen des Schlosses. Das veranlaßte mich auch, dem Beamten meine Anwesenheit zu melden.

»Bleiben Sie ruhig liegen, Gendarm!« rief ich ihm zu. »Decken Sie sich nach oben und nach links. Mehr wie zwei Mann sind nicht da.«

»Wer ist da? Wer ruft mich?«

»Ein Deutscher, der hier von der Nacht überrascht wurde.«

»Sie gehören zu dem Lager da unten?«

»Jawohl! – Aber Mann, bleiben Sie liegen! Im Walde sind ein paar Kerle, die Ihnen das Lebenslicht schon ausgeblasen hätten, wenn mir nicht ein Wort entschlüpft wäre.«

»Ich weiß, daß sich hier ein paar Verbrecher versteckt halten. Meine Kameraden streifen ebenfalls nach ihnen. Sind sie bewaffnet?«

»Beide haben Gewehre!«

»Teufel auch, wo haben sie die gestohlen!«

»Bedauere, danach fragte ich sie nicht.«

»Können sie zu mir kommen? Ich sehe sie nicht.«

»Hm, das wird schwer halten. Aber ich will versuchen, weiter abwärts einen Halt zu finden. Dort erwarte ich sie. Kriechen sie langsam zurück und sorgen sie, wie gesagt, dafür, daß Ihnen der da drüben kein Loch in die Uniform schießt.«

»Danke für die Warnung.«

Meinen Bock an einem Laufe packend, ging ich langsam abwärts, von Baum zu Baum in Deckung springend. Bald nahm die Finsternis so zu, daß ich Gefahr lief, mir an den dürren Aesten die Augen aus dem Kopfe zu stoßen. Ich blieb neben einem größeren Stein stehen und gab durch einen kurzen Ruf dem Gendarm zu erkennen, daß ich einen geschützten Platz gefunden hatte. Unvorsichtigerweise beantwortete der Beamte den Anruf. Er verriet dadurch seinen Stand und gab den Banditen Gelegenheit, einen Schuß anzubringen. Auf dem Knall erfolgte ein lauter Aufschrei. Dann gellte das Signalhorn durch den Wald.

»Herr des Himmels! Mann, sind sie verwundet?« rief ich, ohne mein Versteck zu verlassen.

»Ja, ich kann mich nicht mehr rühren. Aber bleiben sie um Gottes willen, wo sie sind. Mir ist nicht mehr zu helfen,« schallte es zurück.

»Aber ich muß Ihnen doch Beistand leisten ...«

»Nein, nein. Rühren sie sich nicht, sonst ist's auch mit Ihnen aus!«

Diese Worte wurden von einem todeswunden Röcheln begleitet.

Das Ereignis hatte mir einen Schauer durch die Glieder gejagt. Ich stand im Begriff, aufzuspringen, um den Beamten zu rächen. Aber ich weiß nicht, was mich veranlaßte, davon abzusehen. War es die klare Stimme, die so gar nicht zu einem Sterbenden paßte, oder bannte mich der Selbsterhaltungstrieb an dem Ort? Ich machte keinerlei Anstalten, mein Versteck zu verlassen.

Da fiel plötzlich in meiner Nähe ein Revolverschuß, auf den ein Schrei antwortete. Eine frohlockende Stimme rief:

»Ah, bist du darauf hereingefallen, du Grünschnabel? Du wirst in diesem Leben auf keinen Beamten mehr schießen!«

»Halloh, Gendarm, sind Sie das?« rief ich verwundert.

»Ja! Der Kerl ist richtig auf den Leim gegangen. Er glaubte einen Sterbenden zu finden. Jetzt wird er daran glauben. – Verdammt schlechter Schütze, der Hund. Fehlt mich auf zehn Schritte!«

»Ist er tot?«

»Noch nicht. Ich hoffe ihn noch lebendig nach Cooktown hinunterzubringen, damit ihn seine Freunde hängen sehen. – Ein feiner Spaß. Hahaha!«

»Vergessen Sie nicht, daß noch einer da oben liegt. Geben Sie sich keine Blöße!« rief ich warnend zurück.

»Keine Angst! Uebrigens kommen meine Kameraden.«

»Ich höre nichts. Man müßte sie auch warnen.«

»Nicht nötig! Sie kommen von unten. Ich habe zweimal das Zeichen gehört.«

»So – was für ein Signal ist denn das?«

»Sie werden es verstehen, wenn ich Ihnen die Antwort schuldig bleibe. Es könnte auch andere Leute interessieren, die hier herumlaufen. – Da, gleich werden sie hier sein.«

»Guten Morgen, mein Herr!« sagte da eine Stimme neben mir. »Haben Sie keine Sorge. Ich bin von der Polizei.«

Vergeblich suchte ich die Dunkelheit zu durchdringen, um den Sprecher zu erkennen. Die tiefen Schatten verschlangen alles ringsum.

»Ich gebe Ihnen den Gruß mit Dank zurück,« erwiderte ich, »obgleich ich Sie nicht sehe. Wo sind Sie?«

Aus dem dunklen Umriß eines Baumes streckte sich mir ein Arm entgegen. Nun begriff ich sofort, warum mir der Mann unsichtbar blieb. Die körperliche Ausdünstung verriet den Farbigen. Die nachtgraue Uniform verschmolz mit der dunklen Hautfarbe in dem finstern Walde zu einem unerkennbaren Schatten. Selbst die Knöpfe der Uniform waren schwarz gehalten.

»Ihr Kamerad hat eben einen guten Fang gemacht«, sagte ich. »Er hat einen der Banditen anscheinend schwer getroffen.«

»Dachte es mir gleich, daß der erste Schmerzensschrei fingiert war,« erwiderte der Beamte, der nun dicht neben mich trat. »Aber was liegt denn da vor Ihnen? Ein Stück Wild?«

»Ich schoß uns einen Bock zum Abendessen, auf den ich leider verzichten mußte, weil ich den Weg nicht zurückfand.«

»Ah, dann schossen Sie kurz vor Sonnenuntergang?«

»Allerdings. Und der Schuß zog mir die beiden Buschklepper auf den Hals.«

»Und die Polizei,« ergänzte er. »Denn ohne den Schuß hätten wir unsern Ritt durch das Tal fortgesetzt. Da ja nur sehr wenige Privatpersonen Waffen führen dürfen, dachten wir gleich an lichtscheues Gesindel.– Sie haben doch einen Waffenschein?«

»Natürlich!« entgegnete ich lachend. »Aber bei dieser Beleuchtung werden Sie wohl auf das Vorzeigen verzichten.«

»Ich glaube Ihnen aufs Wort. Uebrigens wissen wir, daß ein Deutscher hier in der Gegend umherzieht, der einen Waffenschein besitzt. Wir vermuteten Sie aber auf der Straße im Flußtale.«

»Da habe ich nichts zu suchen,« entgegnete ich.

»Was suchen Sie denn hier in den Bergen? Etwa Gold?«

»Nein,« erwiderte ich lachend. »Das wäre wohl verlorene Mühe. Ich suche vor allem unverfälschte Eingeborene. Ich möchte Maori kennen lernen, die noch der Ueberlieferung ihrer Väter leben ...«

»Dann beeilen Sie sich nur. Unser Volk stirbt aus. Nur sehr wenige Pa's gibt es noch, wo Greise mit ihrer Familie noch den überlieferten Gebräuchen leben. Ob diese Sie aber in ihre Dörfer kommen lassen, bezweifle ich sehr.«

»Mein Diener Pu Nambu stellte mir einen Besuch auf dem Dorfe eines seiner Vorfahren in Aussicht.«

»Ah, Pu Nambu ist bei Ihnen? Ich glaubte ihn in Wellington. Er stammt aus einer alten Häuptlingsfamilie, und es ist möglich, daß sein Großvater noch lebt. – Versuchen Sie es immerhin, ihn zu sprechen.«

»Schrie da nicht ein Seevogel?« fragte ich unvermittelt, denn der Ruf des Albatros hier auf dem Lande setzte mich in Erstaunen.

»Ach, Sie kennen den Schrei?« fragte der Polizist. »Das ist auch selten, daß man hier im Innern jemand antrifft, der das weiß.«

»Jetzt verstehe ich erst. Es ist Ihr Signal. Sind Ihre Kameraden in der Nähe?«

»Oben auf der Lichtung.«

»Um Gottes willen, warnen Sie sie. Da ist der andere Bandit versteckt!«

»Glauben Sie, daß der standgehalten hat, als er seinen Kameraden fallen hörte? – Immerhin werde ich sie warnen.«

Der schrille Schrei der Möve zitterte durch die Fichten. Dann rief wieder die Nachtschwalbe. Gleich darauf knackten Aeste im Walde über uns und wenige Minuten später sprangen zwei Männer durch die Dunkelheit. Nach einigen orientierenden Worten standen sie vor uns.

»Wen hast du da?« fragte eine Stimme. »Einen Gefangenen?«

Der Beamte gab kurz Aufschluß und sagte dann: »Ich rief euch, weil mir der Herr hier sagte, daß da oben ein Bandit versteckt läge. Einen hat Lyons unschädlich gemacht.«

»In der Tat? Wo ist er denn?«

»Hier!« scholl es uns entgegen. »Es ist der junge Dampier. Er schoß auf mich und fehlte auf zehn Schritt, der Stümper. Dann kroch er auch noch auf den Leim, als ich den Sterbenden markierte. Jetzt liegt er da vorn an der Reiße mit einem Loch im Oberschenkel. Ich habe ihn solide gebündelt, möchte ihn aber doch in Sicherheit haben, wer hilft mir ihn hinuntertragen?«

»Jetzt, bei Nacht? Das geht wohl kaum.«

»Vielleicht macht er es nicht mehr lange. Die Wunde blutet stark.«

»Wenn Sie Licht haben, will ich ihn untersuchen,« erwiderte ich. »Ich verstehe genug von der Kunst.«

»Warum wollen wir uns so viele Mühe mit dem Banditen geben? Er wird ja doch in zwei Tagen gehängt,« antwortete einer wegwerfend.

»Es ist doch immerhin ein Mensch!« warf ich ein.

»Und was für einer!« lachte der andere. »Bei dem ist Mitleid am allerwenigsten angebracht. Er hat eine weiße Ansiedlerfamilie auf grausame Art hingemordet. Wegen seiner Jugend bekam er nur lebenslänglich. Er schnitt einem Aufseher den Hals ab und brannte durch. Mit dem sollen wir Mitleid haben?«

»Vielleicht holt ihn sein Kumpan,« sagte der als Lyons bezeichnete Beamte.

»Das wäre gerade recht. Dann fingen wir noch einen. Wer ist denn der andere? Kennen wir ihn nicht?«

»Ich habe ihn nicht gesehen,« bekannte Lyons.

»Ein starker Mann mit schwarzem Vollbart,« sagte ich. »Sonst sah ich nicht viel von ihm. Er führte eine Doppelflinte!«

»Was! Den Teufel auch! Sollte das der alte Waterstone sein, den wir seit Jahren suchen? Das wäre ein Tanz!«

»Unsinn! Der ist längst tot!« rief mein Nachbar.

»Wenn das der ist, dann holt er uns den Gefangenen zwischen den Händen weg. Einen verwegeneren Burschen kenne ich nicht. Jetzt bin ich wirklich in Sorge um meinen Gefangenen.«

»Laß doch die Grillen, Lyons. Der Alte ist längst tot. Und was du verschnürst, das hat so leicht keiner befreit.«

»Immerhin! Gehen wir zu dem Verwundeten. Der Doktor hier mag uns sagen, wie es steht.«

Wir brachen unter Anwendung der gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln auf. Voran schritt Lyons, der inzwischen seine Blendlaterne angezündet hatte und sie so trug, daß nur ein winziger Lichtfaden den Boden streifte. Eben genug, um uns zu zeigen, welche Richtung der Vordermann zwischen den Bäumen jeweils genommen hatte. Dicht vor der Stelle, wo der Angeschossene liegen mußte, hing er die Laterne an einen Ast und stieß einen zirpenden Ton aus.

»Niederlegen!« raunte mir mein Vordermann zu. Der Befehl war noch nicht ausgeführt, da klirrte es über unseren Köpfen, und donnernd brach sich das Echo eines Schusses in den Bergen. Der Bandit hatte auf den Lichtschein gefeuert und trotz des unsicheren Lichtes sehr gut getroffen.

Die Beamten gaben keinen Laut von sich. Mit angehaltenem Atem klebten wir am Boden, ängstlich besorgt, daß kein verräterischer Ton zu den Ohren des Verbrechers drang. Dieser selbst aber gab sich gar keine Mühe, sich zu verbergen. Ein höhnisches Lachen kam von der Geröllhalde herüber und eine tiefe Baßstimme rief:

»Ich bin nicht so dumm, wie der andere. Magst du getroffen sein oder nicht. Lebendig verläßt du den Platz nicht!«

Lautlos wanden sich die Polizeibeamten in das Unterholz, das den Rand der Reiße einfaßte. Hier ließ das Rauschen des Windes in den Wipfeln eine leise Verständigung zu. Lyons hauchte seinem Nebenmann die unangenehme Kunde ins Ohr:

»Der Gefangene ist fort.«

Die Kunde ging von Ohr zu Ohr, und das Knirschen der Zähne bewies, daß die Beamten davon aufs unangenehmste berührt wurden. Der Sergeant ließ an mich die Frage gelangen, ob ich groben Schrot bei mir hätte.

»Im rechten Lauf sind Rehposten, der Kugellauf neuner Kugeln.«

»Dann bitte ich um Ihre Büchse.«

Nur ungern kam ich dem Wunsche nach. Denn Büchse und Pferd leiht man nicht gern aus, weil beide verdorben werden können. In diesem Falle sah ich die Notwendigkeit ein. Unser aller Leben stand in Gefahr, wenn die Dämmerung dem Banditen freiere Rundsicht gewährte.

Wohl eine halbe Stunde lang lagen wir so an die Stelle gebannt. Von der andern Seite trug der Wind öfter das Knacken dürrer Aeste herüber. Auch ein unterdrücktes Stöhnen wollte einer gehört haben. Nichts aber gab einen Anhaltspunkt, wo die Banditen sich aufhielten.

Da flatterte plötzlich mit lautem Gekreisch ein Erdbrüter vom Neste und rettete sich in die Halde. In demselben Augenblick klatschte der Kugelschuß und die Rehposten streuten durch die Büsche. – Ein kurzer Aufschrei, dem ein lästerlicher Fluch folgte, gab uns die Gewißheit, daß der Bandit sich an jener Stelle aufhielt. Eine Sekunde später nahmen die Polizisten den Strauch unter Schnellfeuer – aber kein weiteres Zeichen von Leben wurde bemerkbar.

Wir krochen nach der Salve rasch vorwärts, um dem Banditen unsern Stand nicht zu verraten. Hinter einer Gruppe starker Fichten fanden wir Schutz und Zeit zum Laden.

»Ich glaube, wir haben beide ausgelöscht,« sagte der Sergeant. »Der Schrei war zu natürlich, um gemacht zu sein.«

»Wenn es der alte Waterstone wirklich ist, dann traue ich ihm jede List zu. Ich schlage vor, wir gehen abwärts und steigen in seinem Rücken an ihm vorbei. Dann nehmen wir ihn von vier Seiten.«

»Ich würde es anders machen,« sagte ich. »Es gibt hier Bäume genug, von deren Wipfel man das Buschwerk einsehen kann, wenn sich einer unter dem Schutze der Dunkelheit da oben festsetzt, kann er den Kerl beim ersten Dämmerschein abschießen.«

»Die Idee ist nicht schlecht, wer aber soll sie ausführen?«

»Alle vier,« schlug Lyons vor.

»Wir können den Herrn nicht ohne Schutz lassen.«

»Oh, darauf nehmen Sie keine Rücksicht. Ich warte hier, bis der Tag graut und nehme dann meinen Bock auf den Rücken. Dann finde ich schon den Weg zu meinen Leuten.«

»Donnerwetter, die haben wir ganz vergessen,« sagte der Sergeant. »Da unten stehen ja unsere Pferde. Wenn die der Bandit findet, sehen wir ihn für lange Zeit nicht wieder. Einer von uns sollte sofort hinuntergehen und dort Wache stehen. Lyons, das wäre ein Auftrag für dich. Du kennst den Wald gründlich..« »Und dienen mir bei der Gelegenheit als Führer, denn ich gehe mit Ihnen. Zu zweien können wir uns gegenseitig decken.«

Der Vorschlag wurde angenommen. Während drei Mann sich geeignete Beobachtungsposten suchten, trat ich mit dem Beamten den Rückweg zu meinem Lagerplatz an. Wir erreichten ihn auch, ohne eine Spur von den Banditen bemerkt zu haben. Uns selbst ging es aber bei dem steten Abrutschen durch Gestrüpp und Geröll ziemlich schlecht, und als ich beim Scheine des Lagerfeuers meinen äußeren Menschen betrachtete, mußte ich hell auflachen. – Ich war wieder in dem Zustande des echten Forschers. Haut und Kleidung wetteiferten miteinander in der Anzahl und Größe der Risse.

Pu Nambu hielt Wache bei einem klein gehaltenen Feuer. Beim Geräusch unserer Schritte sprang er auf und rief uns an.

»Halt! Keinen Schritt weiter, sonst schieße ich!« Wie er es von mir gehört hatte, so wandte er die Phrase in der Praxis an. – Ich gab mich zu erkennen und sprach ihm ein Lob über seine Wachsamkeit aus, was ihm sichtlich wohltat. – Ueber mein langes Ausbleiben verlor er kein Wort. Auch von den Schüssen erwähnte er nichts. Auf Befragen meinte er treuherzig: »Ich glaubte, der Herr fände viel Wild.« Daß ich seines Beistandes bedürfen konnte, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen.

Die Pferde fanden wir dort vor, wo sie die Polizei zurückgelassen hatte. Daraus zog Lyons den Schluß, daß die Banditen sich noch im Walde befinden müßten. Ich überließ ihm nun die Sorge für unsere Sicherheit und warf mich, nachdem ich noch für sein leibliches Wohl gesorgt hatte, auf meine Decke, nahm den Sattel als Kopfkissen und war rasch eingeschlafen.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als ich erwachte. Mein erster Blick fiel auf die Gruppe der Polizeisoldaten, die vor dem Rancho lagerten und ungeduldig das Garwerden einiger Fleischstücke erwarteten, die sich langsam am Spieße bräunten.

»Wir müssen um Entschuldigung bitten, daß wir eigenmächtig über Ihren Bock verfügten, aber der Hunger trieb uns ...«

»Und ich danke Ihnen, daß Sie mir die Arbeit der Herrichtung abnahmen,« erwiderte ich. »Wie ist denn die Streife abgelaufen?«

»Dort stehen die Bahren,« sagte der Sergeant, nach dem Walde deutend. »Wir fanden beide in den Büschen in bewußtlosem Zustande. Sie sind gründlich getroffen worden, und es ist ein Wunder, wenn wir sie noch lebend zum Städtchen bringen. Uebrigens stehen auf dem Kopfe des Waterstone fünfzig Pfund Sterling Prämie, auf die eigentlich Sie den größten Anspruch haben ...«

»Und den ich Ihnen gern abtrete, wenn Sie mir ein Verhör oder derartiges ersparen. Es ist ja nicht notwendig, daß Sie meiner Person überhaupt Erwähnung tun.«

Ein Freudenschimmer lief über die Mienen der vier Beamten, als sie von meinem Verzicht auf die Kopfprämie hörten. Soviel Großmut hatten sie anscheinend nicht erwartet, denn für sie war die Summe ein kleines Vermögen. Um ihnen das Zusammentreffen mit mir aber noch nachhaltiger ins Gedächtnis zu schreiben, holte ich die Whiskyflasche hervor und bot jedem einen ordentlichen Trunk. Im Ueberschwange des Dankes rief der Sergeant:

»Wir sind nur kleine Beamte und können uns nicht erkenntlich zeigen. Aber eines kann ich tun. Geben Sie mir Ihr Notizbuch. Ich werde Ihnen eine Empfehlung an meine Kameraden hineinschreiben. Da Sie zweifellos öfter noch wegen der Waffen angehalten werden, so wird das Empfehlungsschreiben die Kontrolle bedeutend vereinfachen.«

Tatsächlich genügte später das einfache Vorzeigen des Geleitschreibens, um der umständlichen Prüfung des Waffenscheines und der Vergleichung der Waffen mit den Eintragungen in letzterem aus dem Wege zu gehen. Die Gewehre und Revolver werden in fast allen englischen Kolonien mit peinlichster Sorgfalt im Waffenpaß beschrieben, wobei Marke, Nummer, Maße und alle sonstigen Kennzeichen genau angegeben werden. Jeder Polizeibeamte hat das Recht, zu jeder Stunde die Vorzeigung des Erlaubnisscheines zu verlangen und die Uebereinstimmung der Waffen mit diesem zu prüfen. Wie umständlich das ist, kann man ermessen, wenn man bedenkt, daß viele Waffenfabriken auch an verborgenen Teilen der Waffe Nummern und Zeichen einhämmern. Um diese zu finden, muß natürlich das Gewehr oder der Revolver auseinander geschraubt werden. – Dies alles wurde mir durch das Papier des Sergeanten erspart. Er machte mir damit unbewußt ein Geschenk, das den Wert der fünfzig Pfund weit überstieg.

Kurz nach Mittag trennten wir uns. Die Beamten zogen mit ihrer traurigen Last der Stadt zu und ich machte mich auf den Weg in die Wildnis, um die letzten Vertreter einer einst mächtigen Rasse in ihren versteckten Dörfern aufzusuchen. Zwei Tagereisen brauchten wir, um ein Dörfchen zu erreichen, das schon in seiner weiteren Umgebung an entschwundene Zeiten erinnerte. Mitten im Walde sahen wir uns plötzlich einer gerodeten Lichtung gegenüber, auf der eine große Anzahl von Pflanzen der Flachslilie angebaut war. Das Feld war von einer buschähnlichen Staude eingezäunt, deren Wurzeln, wie ich später hörte, zum Färben der Matten und Kleider dient. An jeder Ecke des Feldes stand ein nicht gerade künstlerisch ausgeführtes Bildwerk auf kurzen Pfählen. Das Eigentumszeichen der Dörfler.

Die Phormiumpflanze hatte in mehreren Exemplaren ihren Blütenschaft entwickelt und ich ließ halten, um die langen Spindeln genauer zu betrachten. Pu Nambu machte sich unterdessen mit einem Bündel noch frischer Blätter zu schaffen, daß er von einem der Bildklötze herunternahm. Als ich wieder zu ihm trat, sagte er:

»Mein Großvater ist nicht zu Hause. Er ist mit seinen Enkelinnen vor Sonnenaufgang fortgegangen und wird erst mit der zweiten Sonne zurückkehren.«

»Woher weißt du denn das?« fragte ich erstaunt, da ich niemanden bemerkt hatte, der ihm die Kunde hätte bringen können.

»Er hat es geschrieben,« war die Antwort.

»Du erlaubst dir einen Scherz, Pu Nambu. Das solltest du nicht tun.«

»Wirklich, Herr. Er hat es geschrieben. Nicht an mich, sondern an diejenigen seiner Freunde, die ihn etwa zu besuchen kämen. Sehen sie diese Blätter an. Darauf steht es ausführlich.«

Der Maori faßte das Blätterbündel an der Spitze, löste eine Faser und legte die einzelnen Teile desselben vor sich auf den Boden.

»Sehen Sie die Schrift, Herr?«

»Ich sehe allerdings eine Anzahl Striche und Zeichen. Soll das die Schrift sein?«

»So schreiben unsere alten Leute noch. Wir haben in unserer Missionsschule gelernt, die Worte mit bestimmten Zeichen und die Zahlen mit andern Zeichen auszudrücken. Meine Vorfahren hatten aber nur Ziffern, mit denen sie alles ausdrückten. – Diese ersten Zeichen besagen ›Kei ahau‹ oder ›Wer kommt...‹ sie sind ausgedrückt durch die Zahlen 723. 1. 615. Das kann jeder lesen, der noch unsere alte Sprache und Schreibweise kennt. Und für diese ist die Mitteilung bestimmt. Alle derartigen Briefe werden in der gleichen Weise niedergeschrieben und dort hingelegt, wo sie dem Adressaten ins Auge fallen müssen. Ich werde unser Kommen jetzt anmelden.«

Er setzte sich nieder und begann seine Zeichen auf gleiche Manier mit einem Dorn in das Phormiumblatt einzuritzen. Hierauf legte er es zu dem Bündel und hing es wieder an seinen Platz.

»Wenn der Herr noch etwas Wild schießen will, so führe ich ihn an einen kleinen See. Dort ließen die weißen Ansiedler vor vielen Jahren Rehe und Hirsche frei, die sich stark vermehrten, seitdem die Ansiedler tot sind.«

»Gibt es hier in der Nähe Farmen?« fragte ich überrascht.

»Heute nicht mehr, seit vor vielen Jahren Tito Kowaru die Bewohner dieser Gegenden hat ermorden und – aufessen lassen. Das Land hier gehört noch den Maori und mein Großvater ist der Runangu (oberste Häuptling) des Landes.«

»Lieber wäre es mir, wenn wir jetzt gleich in das Dorf gingen. Ich habe dann Muße, mir alles gründlich anzusehen. Du wirst begreifen, daß es für mich und spätere Geschlechter von großem Werte ist, einen Einblick in die Lebensgewohnheiten dieser leider verschwindenden Menschenrasse zu bekommen.«

»Wir dürfen das Dorf in Abwesenheit des Häuptlings nicht betreten. Wenn Sie allein wären, nähme man Ihnen das vielleicht nicht übel. Aber mein Großvater weiß, daß ich seine Kunde lesen kann. Es wäre eine Beleidigung, würde ich sie dennoch dorthin führen.« »Nun, wenn es so ist, warte ich gern noch zwei Tage. Lasse uns abkochen und dann zu dem See reiten.« »Auch abkochen dürfen wir hier nicht, Herr ...«

»Gut! Ich achte alle Sitten und Gebräuche,« rief ich, indem ich mich in den Sattel schwang. »Führe mich, wohin du willst. Hier interessiert mich alles.«

Pu Nambu umging in großem Bogen das zum Dorfe gehörige Land und brachte mich in zweistündigem Ritt an die Ufer eines stillen Sees, der sich wie ein träumerisches blaues Auge in die hügelige Landschaft einschmiegte. Scharen von Enten belebten seine Ufer und in den klaren Fluten spielten zahlreiche Fische. Am meisten fielen mir die zwar vernachlässigten, aber reich mit Früchten behangenen Obstbäume auf, von denen ich mir einen ganz besonderen Genuß versprach.

»Ein herrliches Stück Erde!« rief ich begeistert aus, als ich mein Pferd inmitten eines Fichtenhaines verließ. »Hier halte ich es auch noch länger als zwei Tage aus.«

»Der Platz wird von allen gemieden, Herr. Schreckliches ist hier vorgefallen. Hier ließ Tito Kowaru die Weißen abschlachten.«

»Das sind allerdings traurige Erinnerungen. Aber wenn wir alle jene Orte für immer meiden wollten, an denen einstmals Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben sind, so würde es uns schwer werden, auf der bewohnten Erde noch ein Unterkommen zu finden. – Steht das Haus noch?«

»Nur noch wenige Pfosten bezeichnen die Stelle. Aber die Grube wird noch vorhanden sein, in der die Gebeine der Weißen ruhen. Mein Großvater hat sie von den Tapuweibern sammeln und dorthin bringen lassen.«

»Was für Weiber sind das?«

»Heute ist der Gebrauch nur noch in einigen Dörfern. Früher gab es allgemein eine bestimmte Klasse von Frauen, meist solche, die sich gegen ihre Männer etwas zuschulden kommen ließen, denen es oblag, die Knochen der im Kampfe Gefallenen aufzulesen und sie an bestimmten Stellen niederzulegen. Das war ihre Strafe für Lebensdauer oder für eine bestimmte Frist. Während die Frauen unter dieser Strafe standen, durfte sich kein Mensch ihnen nahen. Nur ein einziger Diener des Häuptlings, der ihnen die Lebensmittel und was sie sonst brauchten, in ihre Hütten brachte, verkehrte mit ihnen.

»Warum begrabt ihr oder die Missionen aber die Gebeine nicht? Ihr seid doch Christen und müßt Glaubensgenossen auch ein christliches Begräbnis zuteil werden lassen.«

»Das wagt keiner, Herr. Wenn es der Häuptling erführe, würde er wiederum die Tiuha-Tiuha (Streitaxt) ausgraben und die jungen Leute zum Kampfe gegen jene aufrufen, die das befohlen.«

»Ist denn der Haß so groß, daß er noch über das Grab hinaus dauert?«

»Der Maori vergißt nicht, was ihm die Weißen genommen haben. Unser Stamm der Ngai-tahu war einst mächtig. Unsere Grenzen berührten an drei Seiten das Meer. Dann kamen die weißen Männer ...«

»Nun ja, die alte Geschichte, die sich überall da wiederholt, wo die gold- und landgierigen Engländer und Franzosen mit friedlichen Eingeborenen der Inselwelt zusammentreffen, was sich nicht gutwillig knechten läßt, das wird vernichtet. – Ich möchte die Grube sehen, wo ist sie?«

»Wenn sie dem linken Ufer des Sees folgen, treffen Sie eine kleine Bucht. Dort stand das Haus. Daneben ist die Grube.«

»Warum begleitest du mich nicht?«

»Herr, hier starben auch meine Vorfahren. Aber Coa wird Sie begleiten.«

Der gerufene junge Diener war von dem Auftrage auch nicht gerade entzückt. Er konnte jedoch keine Gründe für eine Weigerung vorbringen, und so ging er eben mit. Während des kurzen Spazierganges suchte ich auch manches über seinen Stamm zu erfahren, aber in ihm war jede Ueberlieferung erloschen. Er kannte nur den Namen und das Land, wo seine Ahnen begraben lagen. Irgendwelche Erinnerungen an diese hatte er nicht mehr.

Die bezeichnete Stelle fand ich leicht. Zwei vom Feuer geschwärzte Pfosten aus Eichenholz waren die einzigen Ueberbleibsel einer einst blühenden, ausgedehnten Farm. Dort, wo vielleicht der Blumengarten in den Obstgarten überging, standen noch einige alte Pfirsichbäume, deren reife Früchte ich mir zum späteren Gebrauche abzuholen beabsichtigte. Ueber gestürzten Stämmen waren junge Bäume emporgeschossen und an deren Früchten sah man, daß die pflegende Hand des Europäers sie nicht mehr betreut hatte. Ihre Tragfähigkeit war vermindert und die Frucht sauer und holzig. So ging es mit allen andern Obstsorten auch. Nur die Beerenfrüchte waren süß und in einer Ueppigkeit vorhanden, die das ganze Dorf hätte versorgen können. Ich schwelgte lange in den längst entbehrten Himbeeren und mein Toa, als er sah, daß mich bei der Beschäftigung weder Geister noch sonstige Fabelwesen störten, fand ebenfalls Geschmack an der saftigen Frucht. Er benutzte auch die Gelegenheit, zu verschwinden.

Die ominöse Grube schien sich eher einer gewissen Pflege zu erfreuen. Bei dem Reichtum an wuchernden Brombeeren und dergleichen hatte ich erwartet, die Schädelstätte unter Dornen und Schlingpfanzen ausgraben zu müssen. Ich fand jedoch eine rechteckige, gemauerte Vertiefung, die früher andern Zwecken gedient haben mochte, die frei von Unkraut und Wucherpflanzen gehalten war und unverkennbar Spuren sorgender Menschenhände trug. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß Verwandte der hier Bestatteten von Zeit zu Zeit nach dem Rechten sehen. – Bestattet ist nicht der richtige Ausdruck für die Art, wie man hier die sterblichen Ueberreste froher Menschen der Erde übergab. Alle Knochen liegen wahllos durcheinandergeworfen in der Grube. Nur die Schädel haben die Mörder sorgsam nebeneinander an der Längsseite des Rechtecks aufgestellt. Vermutlich begeben sie sich noch jetzt zu bestimmten Zeiten hierher, um sich an der Erinnerung an jene Schreckenszeit zu erfreuen. Ich zählte die Schädel von acht Männern, vierzehn Frauen und elf Rindern. Frauen und Kinder waren durch Einschlagen der Hirnschale getötet worden. Die männlichen Köpfe zeigten Einschnitte von Beilen oder auch Kugelschüsse. Alle hier aufgeschichteten Gebeine aber tragen Spuren des Kannibalismus, die sich in der Farbe der Knochen am deutlichsten zeigten. Man hatte die Unglücklichen gebraten und aufgezehrt. – Wie ich später erfuhr, war der Großvater meines Dieners an den Mordtaten und dem abenteuerlichen Mahle hervorragend beteiligt gewesen.

Beim Besuche dieser Stätten einstmaligen blühenden Wohlstandes hatte ich mich verspätet. Ich kam am Seeufer erst wieder an, als die Dämmerung ihre grauen Schleier bereits über die dunklen Wasser zu breiten begann. In dieser Färbung übte der See einen eigenartigen Reiz auf mich aus. Er paßte so recht zu der trüben Stimmung, die sich meiner bemächtigt hatte, als ich allzu lange über das traurige Schicksal jener Unglücklichen nachdachte. Ich ließ mich auf einem moosbewachsenen Steine, einer einstmaligen Ruhebank, nieder und blickte träumend über den, durch nichts bewegten Spiegel. Um mich her zirpten Grillen. Mit lautlosem Flügelschlage durchschnitt die beutesuchende Fledermaus die laue Abendluft. – Meine Gedanken weilten rückblickend bei jenen weißen Ansiedlern, die hier einst im Kreise ihrer Lieben von mühevollem Tagewerk ausruhten, sie eilten zu jenen Kriegern, die in Verteidigung ihrer alten Rechte, den Weißen erst baten, dann aufforderten, die Stätte zu verlassen, auf der die Gebeine ihrer Vorfahren der Auferstehung entgegenschliefen. Ich sah im Geiste die überlegene Geste, mit der der fremde Einwanderer, auf die Stärke seiner heimischen Macht pochend, die braunen Söhne der Berge hohnvoll abwies, und sah vor meinem inneren Auge die heranschleichenden Krieger, wie sie im Schutze der Dämmerung von allen Seiten in die Farm einbrachen. Ich hörte den Schreckensschrei der geraubten Frauen, sah die braunen Eindringlinge mit ihrer jammernden Beute im Arme sich an den See flüchten...

Da berührte eine Hand meine Schulter. Aufblickend sah ich einen alten Maori. Das Gesicht mit der reichen Tätowierung eines Häuptlings verziert, blickte mich die Gestalt unbeweglich mit forschendem Auge an. In der rechten Hand trug sie die Tai-aha, das kurze schwertartige Messer...

Ich befand mich derart im Banne meiner Träumereien, daß ich beim Anblick des Mannes keinerlei Ueberraschung zeigte, sondern nur abwehrend die Hand ausstreckte. Eine Frage, die der Mann an mich richtete, brachte mich zurück in die Wirklichkeit. Sie war im schlechtesten Englisch gehalten und lautete:

»Was führt dich hierher, Fremder?«

Eine Ahnung sagte mir, daß der Häuptling ein Recht zu der Frage hatte. Ich antwortete daher:

»Ich warte auf die Rückkehr eines großen Häuptlings. Mein Freund Pu Nambu vom Stamme der Ngati toa weilt bei mir. Nach der zweiten Sonne brechen wir von hier auf.«

Es dauerte lange, bis der Maori diese mehrfach wiederholten Worte endlich verstanden hatte. Dann fragte er rasch:

»Wer bist du, daß du Pu Nambu deinen Freund nennst.«

»Ein Mann der Wissenschaft aus dem mächtigen Reiche der Deutschen. Ich machte die weite Reise über das Meer, um einen großen Häuptling, dessen Taten bis zu den Ohren meines Volkes drangen, persönlich kennen zu lernen.«

»Welchen Häuptling meinst du?«

»Er heißt Te Pehi und ist Herr über diese Länder.«

»Er steht vor dir!«

Obwohl mir die Antwort nicht überraschend kam, sprang ich doch von meinem Sitze empor und ergriff die Hand des Alten. Der Mann war »jeder Zoll ein König«. In seiner Ruhe imponierte er mir. Ich empfand etwas wie Freude, daß ich mich dem Manne gegenübersah, den man als den Urheber des hier einst stattgefundenen Blutbades bezeichnen durfte. Hoffte ich doch von ihm Aufschluß über die zu dem Ueberfall führenden Vorgänge zu erhalten. Da die Dunkelheit inzwischen eingetreten war und auf den Zügen des Alten nichts mehr zu erkennen war, so richtete ich die Frage an ihn, ob er mich nicht zum Feuer begleiten wolle, das Pu Nambu inzwischen angezündet haben mußte. Stolz erwiderte er:

»Pu Nambu hat zu mir zu kommen.«

»Dann erlaubst du, daß ich ihn rufe?«

»Warum weiß er nicht, daß sein Häuptling hier ist?«

Auf diese eigentümliche Frage wußte ich nichts zu antworten. Ich holte aber mein kleines Signalhorn hervor und gab das unter uns verabredete Zeichen. Zu meiner Verwunderung hörte ich Pu Nambu aus nächster Nähe antworten. Er sagte:

»Wenn der große Häuptling es erlaubt, wird sein Enkel an seine Seite treten.«

Geschmeichelt erwiderte dieser:

»Pu Nambu ist willkommen.«

Zwischen den beiden Männern entspann sich nun eine längere Unterhaltung in der mir unverständlichen Eingeborenensprache, die sich wohl in der Hauptsache um mich und meine Reisezwecke drehte. Ich konnte zwar nur die schattenhaften Umrisse der beiden Farbigen erkennen, fühlte aber trotzdem, wie das Auge des Alten forschend auf mir ruhte und wie er abwägte, ob er mich aufnehmen oder – meine Knochen zu jenen in der Grube werfen sollte. Kein Ort auf der Welt wäre wohl geeigneter zur Ausführung eines Mordes gewesen, wie dieser, den nie eines Weißen Fuß offen betreten durfte. – Insgeheim ließ ich meinen Revolver aus dem Gürtel in die Hosentasche gleiten.

Endlich erhob sich der Alte und verschwand, ohne mir auch nur ein Zeichen zu machen, in der Finsternis. Pu Nambu trat zu mir.

»Ich bemerkte den Häuptling bereits, als er vor Sonnenuntergang am See auftauchte. Ohne seine Aufforderung durfte ich ihn jedoch hier nicht begrüßen, denn es ist Sitte, daß man den Häuptling erstmals in seinem Pu (Dorf) aufsucht. Da ich von einem Zusammentreffen mit Ihnen Unheil befürchtete, schlich ich mich hier in die Nähe und hörte jedes Wort...«

»Wo ist der Häuptling jetzt? Wird er mich empfangen?«

»Er wird später zu unserm Feuer kommen und ein Stück Fleisch mit uns essen.«

»Donnerwetter! Ich vergaß ganz, daß ich ein Stück Wild schießen wollte. Was setzen wir ihm denn nun vor?«

»Toa fing einige Enten auf ihren Nestern. Auch Eier brachte er. An Nahrung fehlt es uns nicht. Wird der Herr von seinem ›Feuerwasser‹ anbieten wollen?«

»Welche Frage! Wenn der Häuptling es liebt, gern. Aber ich fürchte, wenn es ihm zu Kopfe steigt, wird er ungemütlich werden, wie?«

»Der Herr darf nicht zu viel zeigen. Wenn der Häuptling die ganze Flasche sieht, wird er sie haben wollen. Sieht er nur die halbe, dann will er auch diese. Also zeigen Sie recht wenig.«

Ich befolgte den Rat, als wir zu der Stelle kamen, an der Toa ein riesiges Feuer angezündet hatte. Ich nahm aus der Kiste eine halbe Flasche und trug sie zum nahen See. Dort leerte ich den halben Inhalt ins Wasser und füllte sie wieder auf. Eine Kostprobe überzeugte mich, daß der Whisky auch so noch genügend stark, wenn auch ziemlich ungefährlich war. Die Flasche legte ich oben auf in den Rucksack. – Ich ahnte nicht, daß meine Bewegungen von verräterischen Augen belauscht worden waren.

Die ersten Enten wollten wir drei ohne den hohen Gast verspeisen. Pu Nambu fürchtete, daß wir später nicht satt werden würden. Denn wenn der Häuptling Begleiter mitbrächte, was wohl keinem Zweifel unterlag, dann erforderte es die Sitte, daß man erst die Gäste sättigte, ehe man an den eigenen Magen dachte. Unter verhaltenem Kichern schlug sich jeder von uns mit seinem gebratenen Vogel in die Büsche zu den Pferden, um dort in Hast das leckere Mahl zu verzehren. Etwaige Beobachter wurden dadurch getäuscht, daß wir uns eifrig mit den Pferden beschäftigten. Ich trat mit Toa eben aus dem Dickicht in den Lichtkreis des Feuers zurück, den Mund und die Finger noch triefend vom Fett der saftigen Enten, und forderte Pu Nambu auf, seinerseits »Nach den Pferden« zu sehen, als plötzlich der Häuptling vor ihm stand. In seinem Gefolge befanden sich fünf Maorikrieger, alle mit den alten Streitäxten bewaffnet.

Pu Nambu erschrak derart vor dem unerwarteten Erscheinen seines gestrengen Großvaters, daß er diesem, wie abwehrend, die Ente entgegenstreckte und dabei ein paar konfuse englische Worte fallen ließ. – Ehe er sich seines Irrtums bewußt wurde, hatte Te Pehi den Vogel bereits erfaßt:

»Ich danke meinem Enkel für seine Aufmerksamkeit,« sagte er in vollkommen ruhigem Tone, so daß man im Zweifel sein konnte, ob er im Scherz oder im Ernst sprach. »Ich sehe darüber hinweg, daß er seinem Häuptling die Speise aus der Hand anbietet. Ihr werdet keine Schüsseln mit euch führen. Nun sorge auch dafür, daß meine Freunde bewirtet werden.«

Das Gesicht meines hungrigen Dieners zu beschreiben, ist unmöglich. So mitten aus dem Vorgefühl höchsten Genusses die delikate Speise opfern zu müssen, war hart. Ich glaube, der selige Tantalus machte auch kein schmerzlicheres Gesicht, als Pu Nambu bei den Worten des Großvaters. Er faßte sich jedoch rasch und sagte:

Auf so zahlreichen Besuch war mein weißer Freund (Herr durfte er nicht sagen) nicht vorbereitet. Wir haben nur drei Vögel am Feuer. Wenn mir der große Häuptling erlaubt, werde ich den Versuch machen, am See noch ein paar Enten zu schlagen.«

Pu Nambu erwartete eine zustimmende Antwort. Bei der Gelegenheit hätte er dann den Rest des Bockes aus dem Rucksack geholt und während der Jagd verzehrt. Aber auch das mißlang.

»Mein Enkel darf sich einer solchen Arbeit nicht unterziehen. Es ist keine Jagd, sondern ein einfaches Erwürgen schlafender Vögel,« antwortete der Alte nach kurzem Besinnen. »Der Weiße mag gehen. Die Maori sind Herren des Landes.«

Mir schwebte eine derbe Antwort auf den Lippen. Ich besann mich aber noch rechtzeitig, denn ich mußte mir den stolzen Alten ja warm halten. Ich tat, als hätte ich nicht auf die Worte geachtet und beschäftigte mich eifrig mit ein paar Enteneiern, die eben in der glühenden Asche gar gekocht waren. Da ich sie in Gegenwart der Gäste nicht essen durfte, bevor diese nicht auch ihr Essen hatten, so schob ich sie in die Tasche und stellte drei weitere Eier an deren Stelle. Von den Gästen nahm ich keinerlei Notiz. Mochte Pu Nambu sehen, wie er sich mit seinem Häuptling auseinandersetzte.

Auch Toa kochte Eier. Die drei gerupften Enten lagen hinter dem Sitze des Häuptlings im Gebüsch. Begreiflicherweise rührte keiner von uns den Finger, um sie den ungebetenen Gästen auszuliefern. Diese hatten noch keine Notiz von uns genommen. Wortlos starrten sie bald in die Flammen, bald auf den Häuptling, der mit seiner gemessenen Ruhe einen der zugespitzten Stäbe aufhob und die Ente daran aufspießte. Gelangweilt näherte er den Braten der Flamme, um ihn wieder zu erwärmen. Endlich brach er die peinliche Stille.

»Was gedenkt Pu Nambu seinen Gästen vorzusetzen. Sie sind hungrig und warten,« fragte er, ohne aufzublicken.

»Ich sagte bereits, daß ich auf den Besuch nicht vorbereitet war. Wir haben nicht genügend Fleisch bei der Hand. Am See aber sind Enten genug. Befiehlt der Häuptling, daß Pu Nambu sie holt?«

»Warum geht dein weißer Freund nicht?«

»Weil man in seinem Lande die Enten nur mit dem Gewehr erlegt,« antwortete ich. »Bei Nacht kann man aber kein Wild schießen, selbst wenn ich das Feuergewehr in der Hand hätte.«

Die Antwort überraschte die Maori, von denen wohl die meisten die englische Sprache verstanden. Daß man einem so deutlichen Befehle ihres Häuptlings nicht nachkam, ließ sie vor Erstaunen aufschauen. – Einlenkend fügte ich hinzu:

»Wenn der große Häuptling einen meiner Freunde mit mir gehen heißt, mag mir dieser zeigen, wie man die Ente auf dem Neste erwürgt. Der Weiße versteht das nicht.«

Das war nun noch schlimmer, nachdem der Alte eben erst zu verstehen gegeben hatte, daß die Art der Jagd eines Maori unwürdig sei. Pu Nambu hatte mit wachsender Besorgnis die sich mehr und mehr verfinsternden Gesichtszüge seines Großvaters bemerkt. Er kam nun auf den rettenden Gedanken, die drei Enten zu opfern. Hastig sprang er auf und griff in den Busch, in dem die Enten versteckt lagen. Ein quietschender Laut wurde hörbar und als er die Hand wieder zurückzog, hatte er ein Kiore (eine große Rattenart) umklammert. Diese Ratte ist für den Maori ein seltener Leckerbissen, der jeder anderen Speise vorgezogen wird. Pu Nambu begriff sofort den Wink des Schicksals. Er zeigte den zappelnden und um sich beißenden Nager dem Großvater und sagte:

»Mein Häuptling erhält hier die einzige, seiner würdige Speise. Er verzichte auf die Ente und gestatte seinem Enkel, ihm den Kiore sofort zu braten.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, erwürgte er das Tier und in weniger als fünf Minuten stak der blutige Klumpen auch schon am Spieß. Neidisch blickten die Begleiter des Häuptlings auf den zu erwartenden Genuß. Aber dessen gierige Blicke ließen keinen Zweifel, daß er den saftigen Leckerbissen für sich allein zu behalten gedachte. Auf meinen Wink holte Toa die Enten hervor und steckte sie an die Stäbe. Nun wurden auch die Mienen der Krieger heller, denn sie nahmen mit Recht an, daß nunmehr die vier Enten unter sie verteilt werden würden. Kaum waren die Vögel halb gar, da fielen die Krieger darüber her, als ob sie drei Tage lang gefastet hätten.

Mitten im Kauen fragte der Häuptling nach einem Getränk. Ich tat, als hörte ich die Frage nicht, denn mein Whisky reute mich jetzt, wo ich sah, daß Te Pehi nichts weniger als ein angenehmer Gesellschafter war. Pu Nambu warf mir einen bittenden Blick zu. Er wollte nicht sagen, daß wir nur Wasser tränken, denn das hätte uns kein Mensch geglaubt. Gab es doch damals kaum einen Fremden auf der Insel, der nicht seine Schnapsflasche mit sich führte. Der Häuptling wiederholte auch die Frage ziemlich ungnädig und da Pu Nambu gleichzeitig aufstand, erhob auch ich mich und holte die vorhin aufgefüllte Flasche, die ich Pu Nambu in die Hand drückte. Da er von meinem Taufvorgang nichts wußte, konnte er den Inhalt arglos als ein »des Häuptlings würdiges Getränk« bezeichnen. – Auf seine Aufforderung hin holte jeder der Gäste seinen Becher hervor und eben wollte Pu Nambu einschenken, als der Häuptling nach der Flasche griff und sie seinem Enkel entwand.

»Was will Pu Nambu den Gästen Te Pehis vorsetzen?« fragte er mit harter Stimme.

»Englisches Feuerwasser. Die Flasche habe ich selbst in Wellington gekauft.«

»Und ist der Inhalt wirklich Branntwein und nicht Wasser aus dem See der Verdammten?«

Hilflos blickte Pu Nambu zu mir herüber. Ich verstand sofort, daß mich der Alte gesehen hatte. Darum übernahm ich die Antwort:

»Der Inhalt ist scharfer Branntwein, gemischt mit Wasser. Wir können ihn nicht unverdünnt trinken. Ich füllte deshalb auf die Hälfte des gebrannten Wassers solches aus dem See. Für unseren Gebrauch ist er noch scharf genug, denn wir brauchen jederzeit klare Augen und frische Köpfe. Wir wußten nichts von Euerer Ankunft, sonst hätten unsere Gäste unverdünntes Feuerwasser bekommen.«

Der Alte nahm keine Notiz von meinen Worten. Er wandte sich wieder an seinen Enkel:

»Weiß Pu Nambu, daß der Inhalt dieser Flasche guter Branntwein ist?«

»Mein Großvater hat eben gehört, daß wir diese Mischung trinken.«

»Gut, dann mag er zuerst einen Becher leeren.«

Hastig reichte ich meine Trinkschale dem Diener hinüber und zog sie erst zurück, als sie recht voll war. Ebenso schnell leerte ich sie bis zur Neige. Sofort reichte ich sie nochmal zum Einschenken, aber jetzt schien der Alte um seinen Anteil besorgt zu werden, denn er verlangte die Flasche zurück und als er sie bekommen hatte, steckte er sie ohne weiteres in seinen Gürtel. Mochten die übrigen sehen, wie sie zu einem Trunke kamen.

Diese Unverfrorenheit ärgerte mich. Ich gedachte den braunen Heiden dennoch einen Streich zu spielen und zwar gründlich. In meinem Gepäck befand sich noch eine Flasche Spiritus, in dem ich allerdings bereits einen großen Tausendfuß konserviert hatte. Das sollten die Kerle saufen. – Ich wartete eine kleine Weile und als der Alte keine Anstalten traf, die Flasche der Allgemeinheit zugängig zu machen, fragte ich mit dem harmlosesten Gesicht:

»Nachdem der große Häuptling seinen Anteil an unseren Vorräten an sich genommen hat, darf ich seinen Begleitern wohl einen Trunk Branntwein bringen? Allerdings ist er noch nicht mit Wasser vermengt und man kann ihn erst trinken, wenn man den Becher weit über die Hälfte mit Wasser füllt.«

Die Krieger blickten erwartungsvoll auf ihren Häuptling. Doch dieser überlegte wohl gerade, wie er auch diese zweite Flasche in seinen Besitz bringen könnte und schwieg. – Nun sprach einer der Krieger:

»Der Weiße gebe uns die Flasche. Wir werden nach seinen Worten handeln.«

Das lag nun gerade nicht in meiner Absicht. Ich erwiderte daher:

»Wir haben noch viele Tage zu wandern, bis wir wieder an einen Ort kommen, wo wir das Getränk ersetzen können. Darum können wir nicht die ganze Flasche hergeben. Aber jeder soll einen genügend großen Anteil haben.«

Mit den Worten erhob ich mich, um die Flasche zu holen. Ich hatte aber noch keine zwei Schritte gemacht, da stand einer der Krieger neben mir. Er wollte wohl verhindern, daß ich das Mischexperiment auch jetzt wieder vornehme. – Das lag nun nicht in meinem Sinn, aber es war mir auch nicht möglich, den Tausendfuß vorher zu entfernen.

»Meinetwegen könnt ihr den auch haben,« dachte ich, als ich die Flasche hervorholte und entkorkte.

»Habt ihr Wasser geholt?« fragte ich den Krieger, der jede meiner Bewegungen aufmerksam mit den Blicken verfolgte.

»Wir brauchen kein Wasser,« erwiderte er. »Wir trinken den Whisky ohne Mischung.«

»Alle Achtung vor euerm Magen, Mann!« rief ich aus. »Das bringe ich nicht fertig. Aber das hier ist kein Whisky, das ist Gin.«

»Einerlei!« grinste er. »Wenn er nur recht scharf ist.«

»Das ist er. Verlaßt euch darauf. Aber ich übernehme keine Verantwortung für die Folgen.«

»Gebt nur dem Häuptling nicht zu viel. Der hat bereits eine Flasche voll, von der wir nichts bekommen.«

»Keine Sorge, Mann. Dem biete ich ihn gar nicht erst an.«

Wir waren wieder beim Feuer angekommen. Zu den Kriegern sprechend, rief ich:

»Hier ist scharfer Gin, der nicht ohne Wasser genossen werden darf. Man reiche mir die Becher. Ihr müßt das Getränk dann selbst mit Wasser verdünnen.«

Gewitzigt durch das Vorgehen ihres Häuptlings, sprangen die fünf Krieger hastig auf und umringten mich, ehe noch ihr Oberhaupt ein Wort dagegen sagen konnte. Nochmal warnte ich vor dem unverdünnten Getränk, dann schenkte ich jedem etwa zwei Finger hoch in den Becher.

Der erste brachte das Gefäß vorsichtig an die Nase, sog den durch die Ausscheidungen des großen Insekts wohl etwas veränderten scharfen Geruch mit Behagen ein, schnalzte mit der Zunge und – weg war es.

Erschrocken hielt ich inne. Ich hatte gerade den vierten Mann vor mir, der ungeduldig drängte.

»Mann, seid Ihr des Teufels?« rief ich entsetzt, »wie könnt Ihr das Zeug so unvermischt saufen?« Ein Leuchten ging, statt jeder Antwort über seine Züge. Der bittende Blick rief nach einer Wiederholung. Aber das war mir zu gefährlich. Denn nun tranken auch die andern den Spiritus so, wie er aus der Flasche kam. Der letzte gab meinem Arm sogar noch einen Stoß, damit er recht viel bekam. Auf ein Haar hätte er bei der Gelegenheit den Tausendfuß erwischt.

Um die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben, entfernte ich mich rasch mit der Flasche in der Richtung auf den See zu. Aber auf halbem Wege holte mich Pu Nambu ein.

»Herr, mein Großvater möchte das Getränk kosten. Bringen Sie ihm die Flasche.«

»Aber, lieber Freund, das ist ja reiner Alkohol. Ein starkes Gift in unverdünntem Zustande. Außerdem schwimmt der Zentiped darin.«

»Nehmen sie ihn heraus, aber geben Sie mir die Flasche. Hören Sie den Lärm? Der Alte wird ungeduldig.«

»Nun gut,« erwiderte ich und goß noch ein größeres Quantum aus. Der Rest scheint ihm nicht zu schaden, denn nach allem, was ich sehe, sind deine Leute die reinsten Spiritusfässer. Ich hätte nie gedacht, daß ein Maori so etwas vertragen kann.«

»Herr, sie bekommen sehr selten Branntwein. Gönnen Sie ihnen den Genuß!«

»Nun ja, es ist nicht mein Schädel, der morgen früh brummt. Tue ihnen den Gefallen. Mehr aber bekommen sie nicht, verstanden?«

Er wurde der Antwort überhoben, denn aus der Dunkelheit tauchte der Häuptling vor uns auf. In der Hand trug er die Whiskyflasche.

»Wo ist das gute Getränk, das der Weiße meinen Kriegern gab? Warum bietet er es dem Häuptling nicht an?«

»Weil das kein Trunk für einen Häuptling ist. Te Pehi hat besseres in der Flasche.«

»Zeige mir das Getränk!«

Pu Nambu reichte ihm die Flasche. Er setzte sie an den Mund und verzog das Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse. Ich fürchtete schon, er hätte den Tausendfuß verschluckt. Daher rief ich schnell:

»Pu Nambu soll dem Häuptling eine seiner würdige Mischung machen. Er gieße die beiden Getränke zusammen.«

Dem Alten schien das einzuleuchten. Er reichte seinem Enkel die Whiskyflasche, die bereits halb leer war und ließ sich den Spiritus hineingießen. Hierauf setzte er die Mischung an den Mund und prüfte nochmal. Diesmal fand das Getränk Gnade vor seinen Augen. Er schnalzte wohlgefällig und kehrte zum Feuer zurück.

Hier herrschte jetzt eine fröhliche Stimmung. Die Krieger waren aufgetaut und begannen leise vor sich hinzusummen. Auch der Häuptling hatte eine andere Miene aufgesetzt. Er ließ Pu Nambu an seine Seite kommen und begann sich mit ihm zu unterhalten. Bald sprang das Gespräch auf alte Zeiten über und man erwähnte der Taten, die an eben diesem See den Namen der Ngatitoa gefürchtet gemacht hatten. Plötzlich rief der Häuptling dem Aeltesten seiner Begleiter zu:

»Wisse, Taua-to, an eben dieser Stelle verzehrten wir Tiaia, deine Schwester, die uns verraten wollte.«

Gleichmütig erwiderte der Angeredete:

»Es geschah ihr recht, wenn der Verrat erwiesen war.«

Der Nachsatz mußte wohl einen Vorwurf für den Häuptling in sich schließen, denn er erhob sich halb und rief:

»Er war erwiesen. Atua, der große Geist, hat es durch den Mund der Priester verkünden lassen.«

Ich witterte eine interessante Geschichte und die Stimmung ausnützend, fragte ich:

»Will der große Häuptling uns nicht den Hergang erzählen.«

»Ja, ja, er erzähle sie,« riefen nun auch die jüngeren.

Eine Weile zögerte der Alte, dann aber reckte er sich empor und mit seiner ruhigen Stimme hub er an:

»Ich war eben erst zum Häuptling unseres Stammes gewählt worden. Die Weißen drangen von allen Seiten auf uns ein, um uns zu unterwerfen. Wir aber waren stark und mächtig und schlugen sie, wo wir sie fanden, in die Flucht. Unsere Nachbarn aber, die jenseits des Sees das Dorf Pehia bewohnten, das wir seitdem niederbrannten, ließen sich von den Fremden überreden und unterwarfen sich ihnen.

Zu jener Zeit lebte in unserem Pa eine schöne Blume, Tiaia, die Tochter Otakis, die Schwester meines Freundes Tauato. Sie war in Liebe entbrannt für einen jungen Mann aus dem feindlichen Pa Pehia. Ehrlich offenbarte sie diese Liebe dem Vater, der mit mir darüber zu Rate ging, ob eine Verbindung mit den Ngaitahus im Dorfe Pehia erwünscht sei. Da ich Tiaia gern leiden mochte, sie auch wohl selbst zum Weibe genommen hätte, so berief ich die Ältesten und trug ihnen den Fall vor. Sie entschieden, daß Tiaia auf den Mann verzichten müsse und bedrohten sie mit Strafe, wenn sie den Verkehr aufrecht erhalte.

Tage vergingen. Da kam eines Tages ein junger Krieger mit der Meldung zu mir, er habe in der Nacht den Ngaitahu aus Tiaias Hütte kommen sehen. Er habe ihn verfolgt bis an den See, dort aber sei er in der Dunkelheit verschwunden. An dem gleichen Tage war mir die Nachricht zugegangen, daß die Männer von Pehia sich zu einem Angriff auf unser Dorf rüsten.

Der junge Krieger wiederholte die Anklage in der Versammlung der Männer. Otaki wollte sofort die Tochter für die Tat züchtigen, aber der Oberpriester hielt ihn zurück:

›Hört mich, ihr Männer der Ngatitoa, was die Geister der letzten Nacht mir verkündeten. Ich sah einen Leichnam auf der Erde liegen – es war Tiaia, die Tochter Otakis. Und ich sah unsern Pa aufgehen in Flammen, unsere Männer töten, unsere Frauen und Kinder von Fremdlingen gegessen. Und der große Geist Atua flüsterte mir die Worte ein:

›Erhebe dich, rufe die Männer der Ngatitoa zum Kampfe, damit das verderben nicht über euern Pa komme. Über dem See drüben wohnen die, die euch verderben wollen. Auf, schlaget sie und verzehret ihren Leib.‹

Alle unsere Männer begrüßten unsern Waffenruf mit lauter Freude. Die meisten wollten noch in der gleichen Nacht aufbrechen, aber der Oberpriester gebot Ruhe.

›Der große Atua muß aber ein Opfer haben,‹ fuhr er fort. ›Es ist Verrat begangen worden und der Schuldige sei ihm geweiht ...‹

Bei diesen Worten erhob sich großer Lärm:

›Wer ist es!‹ riefen alle durcheinander. ›Nenne uns den Schuldigen!‹

›Es ist Tiaia, die Tochter Otakis. Sie muß sterben.‹

Die Nachricht wirkte niederschmetternd auf uns alle. Jeder hatte das schöne stille Mädchen gern. Keiner wollte auch die Opferung vollziehen und wenn der Oberpriester nicht das Gebot Atuas verkündet haben würde, so wäre ihr das Leben geschenkt worden.«

Der Häuptling machte eine lange Pause, die durch keine Zwischenfrage gestört wurde. Er fuhr fort:

»Mich traf die Pflicht, das junge Weib zu opfern. Ich tat es mit schwerem Herzen. – In ihrer Hütte sagte mir der kleine Taua, der hier in unserm Kreise sitzt, seine Schwester sei an den See gegangen. Dorthin folgte ich ihr und dort sah ich sie, in Gedanken versunken, das träumende Auge dem jenseitigen Ufer zugekehrt, wo der Geliebte ihrer harrte.

Ich schlich mich heran – Atua wollte es so – hob die Jaspiskeule und zerschmetterte ihr das schöne Haupt. Ich kehrte zum Dorfe zurück und meldete das Geschehene dem Oberpriester. Dieser befahl mir, die Krieger zusammenzurufen und mit ihnen zum See zu gehen. Er wollte dort die Leiche den Göttern opfern. – An dieser Stelle wurde Tiaia aufgebahrt. Unsere Krieger sangen den brausenden Ngeri, tanzten den Kriegstanz und schworen Rache den Feinden. – Der Priester opferte die schönen Haare den Göttern. Dann befahl er ein großes Feuer und zwang unsere Sklaven, den Körper zu zerteilen und zu braten. Als er verzehrt war, wurden die Tapuweiber benachrichtigt, die Knochen zu sammeln und sie Otaki auszuliefern.

Wir aber setzten noch in der gleichen Nacht über den See, überfielen das Dorf Pehia im Schlafe und brannten es nieder. Wir töteten die Männer und nahmen Frauen und Kinder als Sklaven mit uns. Der erste Mataati (Erschlagene) wurde Atua geweiht. Wir schnitten ihm das Herz aus dem Leibe und steckten es auf einen Pfahl, damit der große Geist es genieße. Der zweite Erschlagene wurde für den Oberpriester gebraten. Andere fielen den Kriegern zu. Einige gefangene Weiber und junge Mädchen wurden unsern Frauen ausgeliefert. Diese stachen ihnen die Halsadern auf und tranken ihr warmes Blut. Dann wurden sie gebraten. Von den getöteten Männern durften die Weiber nicht essen, sondern deren Knochen wurden in den See geworfen ... Später folgten ihnen die Gebeine der weißen Ansiedler, die es gewagt hatten, den Worten Te Pehis Trotz zu bieten.«

Diese mit dem größten Gleichmute vorgetragene entsetzliche Erzählung machte keinerlei Eindruck auf die braunen Zuhörer. Höchstens die Schilderung der Siegesbeute ließ ihre Augen erglänzen. Auch Taua to gab keinerlei Zeichen innerer Erregung, als der Tod und das kannibalische Ende seiner Schwester erwähnt wurde. Er schien das ganz in der Ordnung zu finden.

Ich selbst aber nahm mir vor, auf den Besuch des Dorfes zu verzichten. Mehr, als mir diese Erzählung sagte, konnte ich auch im Dorfe nicht über neuseeländische Sitten erfahren. Der alte Mordgeselle war mir plötzlich so zuwider geworden, daß ich ihn nicht mehr anschauen konnte. Ich begrüßte daher freudig die Morgendämmerung, die meine ungebetenen Gäste zu ihren Geschäften zurückrief. Ich wußte es so einzurichten, daß ich nicht zur Stelle war, als die braunen Heiden unser Lager verließen. Um keinen Preis der Welt hätte ich meine Nase gegen die der Maori gewetzt.

An der Stelle, wo vor einem Menschenalter die schöne Tiaia unter Mörderhänden ihr junges Leben ausgehaucht hatte, schliefen wir einige Stunden. Sodann befahl ich den Aufbruch.

»Ich kann deinen Großvater nicht in seinem Pa besuchen,« erklärte ich Pu Nambu auf seine Frage. »Die Gründe erspare mir. Wenn du jedoch zu einem Besuche verpflichtet bist, so magst du hingehen. Ich erwarte dich jenseits des Sees im Walde, wo ich mich inzwischen mit der Versorgung mit Wildfleisch beschäftige.«

»Herr, ich muß zu dem Häuptling gehen. Er weiß jetzt, daß ich hier bin und er würde ...«

»Schon gut,« unterbrach ich die Rede. »Zeige uns den Weg zu einer passenden Stelle, an der wir ungestört von deinen Stammesbrüdern bis zu deiner Rückkehr lagern können, und dann ziehe mit Gott. Bist du in zwei Tagen nicht zurück, dann setzen wir unsern Weg fort.«

An einer mit fettem Weidegras bewachsenen Lichtung machten wir Halt. Wie die zahlreichen Obstbäume bewiesen, waren hier vor vielen Jahren die Ngaitahu angesiedelt, über deren tragisches Ende wir aus dem Munde das alten Häuptlings Kunde erhalten hatten. Pu Nambu verließ uns hier, um seiner Pflicht zu genügen. Ich gab ihm einige Geschenkartikel mit, damit er nicht gar zu sehr unter dem Zorne des durch die Verschmähung seiner Einladung beleidigten Alten zu leiden hatte.

Die Jagd in dieser, von Menschen selten betretenen Wäldern war überaus reich. Wir nahmen uns auch die nötige Zeit, um die besten Fleischstücke zu räuchern und für einen längeren Marsch haltbar zu machen. Pünktlich am nächsten Abend traf Pu Nambu wieder ein. Sein Großvater hatte geflucht und den Zorn Atuas auf die Weißen im allgemeinen und mich im besonderen herabgerufen. Schließlich habe er sich aber Glück gewünscht, daß ich seinen Pa nicht durch meine Anwesenheit befleckt hatte.

Da meine Gebirgswanderung nun ihren Zweck erreicht hatte, beschloß ich, die Straße wieder aufzusuchen und nach dem Gebiete der heißen Quellen zu reisen. – Auf diesem Wege traf ich mit einem alten Bekannten zusammen. Eines Abends brieten wir an unserm Lagerfeuer ein paar Enten und unterhielten uns über die Einsamkeit der Gegend. Nach den begangenen Wegen zu schließen, mußte das Land hier doch besiedelt sein. Trotzdem hatten wir seit zwei Tagen keinen Menschen gesehen. Eben war das letzte Wort darüber gesprochen, da rief uns eine menschliche Stimme an:

»Ist es erlaubt, an Ihr Feuer zu kommen?«

An der Aussprache erkannte ich sofort den Deutschen. Verwundert über das Zusammentreffen mit einem Landsmann, erwiderte ich in unserer Sprache:

»Seien Sie willkommen, Landsmann.«

»Gott sei Dank, dann bekomme ich wohl auch zu essen?«

Mit diesen Worten tauchte im Lichtkegel unseres Feuers ein ziemlich verwildert aussehender Geselle auf, der plötzlich seinen Schritt hemmte.

»Nur heran, Landsmann. Eine Ente ist für Sie übrig.«

Er trat einen Schritt näher und fragte dann zögernd, als ob ich die Einladung rückgängig machen könnte:

»Sie kennen mich wohl nicht.«

»Ist auch nicht nötig,« antwortete ich, die Frage mißverstehend. »Jeder Hungrige kann mit mir teilen.«

»Sie sind doch der Herr, der auf der ›Solingen‹ war?«

Nun betrachtete ich mir den Mann genauer und erkannte in dem Bittsteller jenen Lehrer, oder was er war, der meine Begleitung damals ausgeschlagen hatte. Ich mußte lachend an diese Weigerung denken und sagte:

»Nun nehmen sie doch meine Begleitung an, nicht wahr?«

Die Worte machten einen entgegengesetzten Eindruck auf den Menschen. Ich beeilte mich, hinzuzusetzen:

»Nun essen sie vor allen Dingen erst diesen Entenvogel. Alles andere besprechen wir, wenn Sie satt sind. Ein Becher Whisky steht Ihnen auch zur Verfügung.«

An der Gier, mit der die Speise verschlungen wurde, erkannte ich, daß der Mensch am Ende seiner Barmittel war. Zunächst bot ich ihm noch ein großes Stück geräucherten Wildprets, das auch noch mit Appetit verzehrt wurde. Und dann ließ ich mir erzählen. Ich begann mit der Frage nach seinem Gepäck.

»Ausgeplündert!« war die lakonische Antwort.

»Also wollten sie Gold graben?«

»Suchen, nicht graben. Hier herum sollen goldhaltige Berge sein. Wenn ich eine Ader gefunden habe, dann verkaufe ich die Anteilscheine. Selbst graben – nee. Das tut Böhming nicht. Das können Dümmere besorgen.«

Verwundert blickte ich den Landsmann an. War der bei Sinnen?

»Wissen sie denn, wo diese goldhaltigen Berge sind?« fragte ich.

»Nun, hier herum. Bei den Vulkanen. Das ganze Gebirge führt Gold.«

»Lieber Herr, da irren sie sich aber gewaltig. Wer Ihnen das gesagt hat, der hat sich einen Scherz mit Ihnen erlaubt. Hier gibt es ganz gewiß kein Gold. Ich habe hier ein paar einwandfreie Zeugen. Sie sind beide hier geboren und in den Bergen aufgewachsen. Die müssen es wissen.«

Ich legte Pu Nambu und Toa die Frage vor. Beide verneinten auf das entschiedenste.

»Ha, die Maori werden sich hüten, uns das Geheimnis zu verraten. Die behalten ihr Gold selbst.«

»Glauben Sie, daß die Maori in die Fremde auswandern und niedere Arbeit verrichten würden, wenn sie daheim Gold hätten?«

»Absicht, verehrter Herr! Absicht.«

Nun gab ich es auf. Gegenüber solcher Verbohrtheit war jede Beweisführung verlorene Mühe. Ich bat ihn um Schilderung seiner bisherigen Erlebnisse, weil ich wissen wollte, wo eine Hilfe einzusetzen habe.

»Ich hatte mir in Napier ein paar Einheimische gemietet, die mich an die Vulkane begleiten sollten. Diese wollte ich als Tourist besichtigen. Später will ich dann die Adern aufsuchen. – Wir waren schon vierzehn Tage unterwegs, da begegneten uns eines Abends in einer Schenke ein paar Engländer. Sie führten Pickel, Brechstangen usw. und aus ihren Gesprächen merkte ich bald, daß sie ebenfalls nach dem edlen Metall suchen wollten. Wir wurden miteinander bekannt und wanderten in das Tal des Wanganui. Dort kannten die Engländer eine goldhaltige Schlucht. Natürlich mußte ich meine Diener ablohnen. Sie brauchten den Ort nicht kennen zu lernen. – Der ältere der beiden Einheimischen warnte mich allerdings vor den Kerlen. Er traue ihnen nicht. – Na ja, das sagen sie immer, wenn sie ihre Stelle verlieren. Diesmal hatte der Mann leider recht. Vor vier Tagen – wir schliefen am Flußufer – machten sich die beiden über meine gesamte Habe her. Von dem Lärm erwachte ich und nun mußte ich auch noch Geld und Waffen herausgeben. Sie verschwanden unter Mitnahme meines Pferdes in der Dunkelheit. – Seitdem irre ich nun in der Wildnis umher. Zum Glück fand ich sie, sonst wäre ich sicher verhungert ...«

»Nun sind Sie hoffentlich vom Goldfieber geheilt?«

»Goldfieber? Das habe ich nie gehabt. Ich weiß nur, daß ich von jetzt ab allein gehen werde. Da passiert mir das nicht mehr ...«

»Natürlich nicht. Denn was sollte man Ihnen jetzt noch nehmen?«

»Hm. Wenn Sie mir einen Revolver mit Munition und ein paar Pfund Sterling auf Schuldschein vorschießen möchten ...«

»Nein, lieber Böhming. Das würde Sie auch noch ins Gefängnis bringen. Ohne Waffenpaß dürfen Sie keine Waffen führen – oder haben Sie den Ihrigen noch?«

»Den nahmen die Engländer mit.«

»Also darf ich Ihnen den Revolver auch nicht geben. Und was wollen Sie hier mit Geld? Ich habe in den letzten Wochen noch keine Gelegenheit gehabt, auch nur einen Schilling auszugeben. – Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Legen Sie sich hier ans Feuer und schlafen Sie aus. Morgen reden wir weiter.«

Spät erst erwachte Böhming. Das Essen und der ausgiebige ruhige Schlaf hatte seinen Zügen das Krankhafte genommen. Er blickte wieder frischer in die Welt.

»Nun, Landsmann, wollen Sie mit uns reisen? Wir können abwechselnd reiten. Sie kommen dann jedenfalls schneller zum Ziel.«

»Ich möchte nach Napier zurückkehren und mich neu ausrüsten,« gab er zur Antwort. »Wenn ich nur den Weg wüßte.«

»Den werden meine Leute kennen. He, Pu Nambu, kennst du den Weg nach Napier. Der Herr will zur Küste wandern?«

»Das wird der Herr nicht können. Es ist sehr weit von hier. Aber wir werden in zwei oder drei Tagen ein Dorf erreichen. Die Bewohner verkaufen Matten und Stricke nach der Stadt. Von da aus ist oft Gelegenheit, mit Pferd oder Wagen nach Napier zu gelangen.«

»Ich möchte doch meinen eigenen Weg gehen ...«

»Nun, dann wandern Sie mit Gott. Hier haben Sie ein paar Pfunde, damit sie nicht ganz mittellos sind. Auf Wiedersehen.«

Wir waren kaum zwanzig Schritte entfernt, da kam dem Starrkopf doch die Einsicht. Er lief uns nach und bat um Mitnahme bis zu dem Maoridorfe.

Von dem neuen Begleiter war ich keineswegs erbaut. So schweigsam der Mann auf dem Schiffe gewesen, so redselig wurde er jetzt. Immer war seine Ansicht die richtige. Alles wußte er besser. Sogar den Maori wollte er die Kenntnis ihrer eigenen Gebräuche abstreiten. Am ersten Abend schon bereute ich es, den Mann mitgenommen zu haben. Ich hatte oft das abweisende Wort auf der Zunge, aber immer wieder siegte das Mitleid. Schließlich konnte der Mann ja nicht aus seiner Haut und – es war ein unpraktischer Landsmann, dem ich half.

Die Goldadern spukten immer weiter in seinem Hirn. Wenn wir an einem Gebirgswasser lagerten, um der Mittagsrast zu pflegen, stieg Böhming in den Felsen herum und suchte »Adern«. Dabei ging ihm jede geologische Vorbildung ab. Er hörte nicht auf Warnungen und hörte jede Beweisführung mit überlegenem Lächeln an.

Ich war froh, als wir am dritten Tage ein Maoridorf antrafen. Hier war Coa bekannt und seiner Fürsprache gelang es, die Flachsbauern zur Mitnahme Böhmings an die Küste zu bestimmen. Nun aber wollte dieser nichts mehr von der Reise wissen. Er wollte Gold suchen.

Unsere Maori sprachen natürlich von der fixen Idee meines Landsmannes. Unglücklicherweise war nun unter den Bauern ein Mann, der behauptete, in einem alten Krater in der Nähe befinde sich tatsächlich Gold. Vor längerer Zeit seien ein paar Weiße dort gewesen, die ganz ansehnliche Stücke losgebrochen und mitgenommen hätten. Sie seien aber nicht wiedergekommen.

»Also war es kein Gold, das sie fanden,« warf ich ein.

»Im Gegenteil. Sie sind auf dem Rückwege umgekommen,« sagte Böhming in seiner überlegenen Weise. »Jetzt werde ich die Ader für mich eintragen lassen. – Aber auch Sie sollen nicht leer ausgehen. Ich trete Ihnen einen Artikel gratis ab.«

»Nein, nein, ich danke. Ich suche mir mein Gold auf anderm Gebiete. Uebrigens, verkaufen Sie das Fell nicht, bevor Sie den Bären haben.«

»Habe ich, habe ich!« rief er. »Der Mann führt mich an die Stelle. Dann werde ich Ihnen die gelben Klumpen zeigen. Oder gehen Sie mit?«

»Ich muß dankend ablehnen. Aber meine Diener sollen Sie begleiten, für den Fall, daß Sie irgend etwas brauchen.«

»Ach ja. Und ein Pferd, das die Ausbeute herunterschafft.«

»Auch das sollen Sie haben,« rief ich belustigt.

Mit dem ersten Morgengrauen zogen Böhming und meine beiden Maori in den mit dichtem Nebel behangenen Wald. Was an Pickeln, Brecheisen und Seilen aufzutreiben war, wurde auf ein Pferd geladen und mitgenommen. Auch Mundvorrat für zwei Tage ließ Böhming sich geben, denn solange wollte er »graben«. Meinen Leuten aber befahl ich, unter allen Umständen an dem gleichen Abend noch zurückzukehren, wie auch immer das Ergebnis ausfallen möge.

Ich selbst benutzte die Ruhezeit, um meine Sammlungen zu ordnen, das Tagebuch nachzutragen und Briefe zu schreiben, die ich von hier aus an die Küste senden konnte. Dann sah ich mir die wunderbaren Erzeugnisse an, die von den Maori aus den Fasern der Flachslilie hergestellt werden: künstlerisch verzierte Kleidungsstücke für den eigenen Gebrauch, schön gemusterte Matten, Netze, Stricke und sogar ein fast armdickes Tau lag versandtbereit.

Unter den alten Leuten sah ich auch schön tatuierte Gestalten. Diese künstlerisch schönen Zeichnungen erhöhen den Reiz der an sich schon hübschen, kraftvollen Menschen mit den glänzenden, durchdringenden Augen, den regelmäßigen Gesichtszügen und den langen, schwarzen Haaren. Der jüngere Nachwuchs hatte bereits die Sitte des Tatauierens abgelegt. – Gegen Mittag kamen die Frauen von der Feldarbeit, im Herrensitz beritten, nach Hause. Es waren unter ihnen Schönheiten, wie man sie in Europa nur selten findet. – Ich wurde zum Essen eingeladen und freute mich aufrichtig, in Gesellschaft der liebenswürdigen Menschen von reinlichen, reich verzierten, geflochtenen Mattentellern eine auf Maoriart gekochte Fleischspeise verzehren zu dürfen. Selten hat mir eine Speise so gemundet, wie jener Braten und die schmackhaften Fische.

Nach dem Essen warf ich mich in eine eben gekaufte Hängematte und pflog der Siesta. Da kam plötzlich Toa auf schweißbedecktem Pferde den Berg hinuntergesprengt und rief schon von weitem:

»Ein Unglück, Herr! Der weiße Mann ist verunglückt. Rasch, lange Stricke und Männer!«

Ich war sofort auf den Beinen und suchte aus dem ganz ausgepumpten Menschen näheres zu erfahren. Auch einige der Bauern waren herbeigeeilt, da sie aus dem ungewöhnlich scharfen Ritt schon die wahre Ursache entnahmen.

Endlich war Toa soweit, daß er berichten konnte.

»Der Aufstieg zu dem Berge war ziemlich schwierig. Des Pferdes wegen mußten wir oft Umwege machen. Der Weiße war aber ungeduldig und drang mit den Bauern quer durch den Wald. An dem Kraterrande fanden wir sie wieder. Der Weiße suchte jeden Winkel in den Wänden des Kessels ab, wobei ihm der Maori von oben her zurief. Lange blieb das Suchen vergeblich, bis der Weiße endlich in der Tiefe das gelbe Metall entdeckte. Wir alle mußten ihm bestätigen, daß es wirklich Gold ist, das da zutage tritt. – Es sieht auch so aus. Aber die Stelle, wo es sitzt, ist an einer völlig glatten Wand, zu der man unmöglich hingehen konnte. Nun suchte der Weiße die ganze obere Kante nach einer Abstiegmöglichkeit ab. Als er sie nicht fand, nahm er ein langes Seil, ließ es sich um den Leib binden und an einem Baum befestigen. Pu Nambu sollte ihn herunterlassen. Aber dieser weigerte sich, weil er es für Wahnsinn hielt. Dann ist er allein in den Krater hinuntergegangen.

Während wir andern oben im Walde lagen und uns über das Tolle des Unternehmens unterhielten, hörten wir auf einmal dringende Hilferufe. Wir fanden das Seil zerrissen, an den scharfen Steinen durchgescheuert, und der Weiße? Er steht auf einem handbreiten Felsstück, fast frei in der Luft. – Ich bin sofort hierher geritten. Was tun wir nun?«

Ja, was tun wir nun? Die Maori schüttelten bedenklich den Kopf, als ihnen Toa die Erzählung in ihrer Sprache wiederholte.

»Wir müssen unter allen Umständen hinauf, und Hilfe leisten«, rief ich. »Ein paar Männer müssen mit. Ihre Mühe werde ich reich belohnen.«

Toa übersetzte das, und es fanden sich auch hilfsbereite Hände, die den Ernst der Lage begriffen. Eine halbe Stunde später waren wir mit Tragmatten und Stricken unterwegs. Da es schon spät und der Weg weit war, schonten wir die Pferde nicht. Ohne Pfad hasteten wir quer durch das Unterholz aufwärts. Oft hielten uns Schlingpflanzen auf, die sich wie Schlangen um den Leib legten. Dornen zerfetzten meine Kleidung. In Zwischenräumen gab ich einen Schuß ab, um unsere Annäherung und den Weg, den wir nahmen, anzuzeigen. Nach vierstündigem Ritt standen wir endlich vor dem Krater. Kein Laut war weit und breit zu hören. Wir riefen mit aller Kraft unserer Lungen. Schauerlich gab der Abgrund das Echo zurück. Nichts regte sich.

Ein Schauer durchrieselte mich. Ich dachte an die entsetzlichen Todesqualen, die Böhming erlitten haben mußte, bevor er bei vollen Sinnen in den Abgrund stürzte. Herr, sei ihm gnädig!

Aber noch gab ich nicht alle Hoffnung auf. Ich wanderte weiter mit den Leuten. Ich wollte die Stelle finden, wo das gerissene Seil am Baum hing. Vielleicht konnte Böhming doch noch gerettet werden.

Je weiter wir marschierten, desto geringer wurde der Baumbestand. Zweifellos waren wir an der unrichtigen Seite. Toa mußte sich verirrt haben. – Er gab das auch unumwunden zu. In der Aufregung hatte er die Richtung verloren.

Nun feuerte ich wieder einen Schuß ab, dessen Echo von den Wänden vielfach wiedergegeben wurde. – Und dann hörten wir auch aus weiter Ferne rufen. Jetzt hinderte uns auch die hereinbrechende Nacht nicht mehr. Die waldvertrauten Maoris liefen wie die Hasen durch das Buschwerk. Ich konnte nur langsamer folgen und stieß etwas später auf Pu Nambu, der mir sagte, daß Böhming noch lebe, aber sich kaum noch lange halten könne.

An der Unglücksstelle angekommen, warf ich mich zu Boden und kroch an den Rand des Abgrundes.

»Böhming, hören Sie mich?«

»Gottlob, daß Sie da sind. Bitte, helfen Sie mir schnell. Meine Finger sind schon ganz steif. Wenn ich loslasse, stürze ich in den bodenlosen Abgrund.«

»Haben Sie denn keinen Halt?«

»Nur die Wurzel einer Schlingpflanze. Bewegen darf ich mich nicht. Gibt es denn gar keine Rettung?«

»Warten Sie; ich lasse ein Seil hinunter, wenn Sie das fassen können, binden Sie sich fest.«

Das Seil aber half ihm auch nichts. Er konnte es mit einer Hand fassen, aber da er die andere Hand nicht loslassen durfte, konnte er sich nicht anbinden. Er mußte es wieder fahren lassen, da ihn das Gewicht hinabzuschleudern drohte.

Nun brach die Nacht voll herein. Tiefe Finsternis legte sich über den Kessel. Böhming sah selbst ein, daß jetzt jede Rettungsaktion ihm nur den Tod bringen konnte.

»Verlassen Sie mich nicht. Bleiben Sie in der Nähe!« jammerte er. Und ich sprach ihm ununterbrochen, die ganze Nacht hindurch, Trost zu. Nach und nach wurde Böhming ruhiger, und ich fürchtete schon, der Schlaf würde ihn übermannen. Dann rief ich ihn öfter an.

»Ich bete zu Gott um Rettung; bitte, unterstützen Sie mich,« flehte er. Ich kam seinem Wunsche nach, und es war mir möglich, ihn während der ganzen Nacht zu beschäftigen, um ihn vor dem Einschlafen und dadurch vor dem sicheren Tode zu bewahren.

Die Maori arbeiteten unterdessen an der Herstellung eines Rettungskorbes. Sie flochten um ein Querholz einen breiten Sitz und zwei zur Aufnahme der Schenkel dienende Schlingen. Auf diesem Gestell wollten sie ihn bei Tagesanbruch heraufholen. Aber der Verstiegene mußte noch manche qualvolle Stunde in seiner entsetzlichen Lage ausharren, bis sich die Baumwipfel von dem dämmernden Morgenhimmel abhoben.

Ein Maori erbot sich, zu Böhming herabzusteigen und ihn auf dem hergestellten Sitz zu befestigen. Mit peinlicher Genauigkeit prüfte er die starken Flachsseile und deren Befestigung an den Bäumen. Dort, wo sie auf den Kraterrand zu liegen kamen, ließ er Baumrindenstücke daran befestigen. Endlich schlang er sich ein Seil um den Leib und rutschte, auf dem Querholz sitzend, an der steilen Wand hinunter. Wir alle sicherten ihn durch vorsichtiges Gleitenlassen des Strickes.

Ich blickte über den Rand, um die erforderlichen Weisungen zu geben. Böhming rief ich zu, sich nicht zu rühren; es käme ein Retter. Er versprach es auch. Dennoch ließ er in dem Augenblick, als der Maori neben ihm erschien, die Wurzel los und machte eine halbe Drehung nach dem Manne hinüber. Diese Bewegung hätte ihm um ein Haar das Leben gekostet, wenn ihn nicht der Maori blitzschnell ergriffen und recht unsanft gegen die Wand gepreßt hätte.

Böhming verlor in diesem Moment das Bewußtsein. Das erleichterte dem Eingeborenen wesentlich die Rettung, denn nun konnte er ihm die Schleifen über die Oberschenkel streifen, wobei wir von oben her dadurch Hilfe leisteten, daß wir das Seil nach den Angaben des Retters nach Bedarf hoben oder senkten. Manch gefährliche Situation mußte indessen überwunden werden. Aber die unerschütterliche Ruhe, mit der der Maori zu Werke ging, half ihm über alle Gefahren hinweg.

Endlich war Böhming auf dem Querholz befestigt. Der Maori hing sich in eine Seilschleife und gab Befehl zum Aufziehen. Langsam, Hand um Hand, zogen wir das Seil herauf. Bange Minuten verbrachten wir, denn ich hatte gesehen, daß der Retter einen leblosen Körper an dem Seile befestigt hatte; war er gestorben?

Da erschien der Kopf des Maori. Mit den Füßen stieß er sich und seine Last von der Wand ab. Blut klebte an seinem hageren Leibe. Noch ein Ruck. Bleich, mit Totenfarbe übergossen, den Kopf schlaff zur Seite geneigt, kam jetzt Böhming herauf, seine Hände umklammerten krampfhaft ein Stück Wurzel. ...

Vorsichtig betteten wir den Leblosen auf das Gras. Die qualvoll verzerrten Gesichtszüge drückten noch die ausgestandene Todesangst aus. Die Fingernägel der linken Hand hatten sich tief in das Fleisch eingegraben. Die rechte Hand zeigte an der Stelle der Nägel nur noch blutige Stümpfe. – Mit Hilfe der Maori stellte ich sofort Wiederbelebungsversuche an, die erst nach vieler Mühe von Erfolg gekrönt waren. Böhming schlug die Augen auf, schien jedoch keinen von uns zu erkennen. – Dann hoben regelmäßige Atemzüge seine Brust. Aus dem Schlafe schreckten ihn aber wüste Traumbilder auf. Mit lautem Schrei fuhr er empor, setzte sich aufrecht hin und verfiel in heftige Weinkrämpfe. – Während Pu Nambu sich mit Böhming beschäftigte, öffnete ich meine Reiseapotheke, doch der Retter wehrte mit einer bezeichnenden Gebärde ab. Er wollte damit andeuten, daß sie besser mit derlei Wunden umzugehen verständen, als die klugen, weißen Männer.

Erst am Spätnachmittag erlaubte der Zustand des Böhming den Transport ins Dorf. Die Maori hatten ihn für sich in Beschlag genommen und betteten ihn unten auch in eine ihrer Hütten. Der Retter versprach mir, die Pflege zu übernehmen.

Als ich am andern Morgen reisefertig war, suchte ich Böhming auf. Er war noch sehr schwach, aber außer Lebensgefahr. Er schien um zehn Jahre gealtert. Von seinem Goldfieber war er gründlich geheilt. Er flüsterte mir noch zu, daß das Metall, das er für Gold angesehen hatte, Antimonerz war. Ich gab ihm noch den guten Rat mit auf den Weg, nach der Küste zurückzukehren und sich nach Auckland zu begeben; dort fände er leicht sein Brot. – Ob er es tat?

Nach dem Abschied von dem verblendeten Landsmann hatte ich noch eine Dankesschuld abzutragen. Ich suchte die an dem Rettungswerke beteiligten Maori auf, um ihnen mit einigen Goldstücken für ihre Hilfeleistung zu danken. Zu meinem Erstaunen fand ich überall freundliche, aber entschiedene Ablehnung. Sie betrachteten Böhming jetzt als ihren Gast, und ihre Anschauungen von den Pflichten der Gastfreundschaft erlaubten ihnen nicht, irgend etwas als Entgelt anzunehmen. – Hoffentlich hat sich Böhming später der Rücksichten würdig gezeigt.

Ich verließ nun das Hochland und stieg in die große Zone der vulkanischen Bildungen hinab. In der Geologie ist dieser Landstrich als die Taupozone bekannt, die ihren Namen von dem großen Binnensee Taupo bekommen hat. Schon am nächsten Morgen genoß ich den großartigen Anblick der in den klaren Morgenhimmel ragenden beiden höchsten Berge Neuseelands. Zu meiner Linken erhob sich der erloschene Vulkan Ruapehu (2851 Meter). Seine vulkanische Natur wird durch die aus der Ferne gut wahrnehmbaren zerrissenen Wände um seinen schneebedeckten Gipfel herum gekennzeichnet. Rechts von mir grollte der kleinere der beiden Berge, der 1950 Meter hohe Tongariro. Um seine beiden Häupter wallten in unruhigen Bewegungen sich erschöpfende Dampfwolken. Wie ich später hörte, sollte er gerade in diesen Tagen glühende Lava ausgestoßen haben. Von meiner hohen Warte aus konnte ich noch zahllose kleinere Vulkane in ihrer Tätigkeit sehen. Es sind eigentlich keine Berge mehr, sondern mehr oder weniger hohe Bodenerhebungen, aus denen weiße und dunkle Dämpfe, gleich Atemstößen, in die Luft geschleudert werden. Sie ziehen sich wie eine Kette vom Fuße des Tongariro bis weit in die graue Ferne und sollen – wie ich bereits erwähnte – mit dem Wakari-Vulkan auf der »Weißen Insel« die Auspufföffnungen eines einzigen unterirdischen Feuersees bilden.

Mit dem Eintritt in das Seengebiet näherten wir uns auch wieder der europäischen Zivilisation. In den wenigen Dörfern gingen die Eingeborenen in europäischer Kleidung. Sie bezogen ihre Lebensbedürfnisse aus Kaufläden, die englische Firmen trugen. Englische Missionen und neuseeländische uniformierte Beamte führten das Regiment. Als ich am Abend unseres Eintreffens am Fuße des Ruapehu mit meinen Leuten im Freien lagerte und am offenen Lagerfeuer ein Stück Wild briet, kamen ein paar berittene Polizisten und hätten uns um ein Haar als »Landstreicher« in das Gefängnis eines fünf Meilen entfernten Dorfes eingeliefert. Hier half mir wieder die Empfehlung des Sergeanten und seiner Soldaten. Mehr jedenfalls, als der von der Regierung in Auckland ausgestellte Schutzbrief.

Mein Interesse an dieser, mit so großen Erwartungen ersehnten Gegend war durch die mannigfachen Zwischenfälle bedeutend herabgestimmt. Ich glaubte hier in voller Freiheit mich bewegen zu können und fand überall Hindernisse. Schon bei der Besteigung eines der kleineren Vulkane, des Karakameha, an dessen Fuße ich meine Pferde unter der Aufsicht Toas warten ließ, während ich oben mit Pu Nambu einige Lavagebilde losbrach, kamen mir wiederum ein paar Wächter der öffentlichen Sicherheit nachgesetzt und verlangten von mir Ausweise. Zu allen Sammlungen seien Erlaubnisscheine nötig! Daß ich unter solchen Umständen auf den Besuch der immerhin vom wissenschaftlichen Gesichtspunkte interessanten kleinen Vulkane (Pi Hanga, Hau Hanga, Kuharua) verzichtete, kann man mir nachfühlen.

Mein Diener Toa war in dieser Gegend aufgewachsen und übernahm es, mich abseits der Landstraße auf Umwegen zu den Ufern des Tauposees zu geleiten. Wir brauchten zu den hundertfünfzig Kilometern sechs Tage, aber jeder Tag bot mir neue prachtvolle Ausblicke. Oft befanden wir uns in einem finstern Tannenforste, durch dessen hundertjährigen Baumbestand der leise Morgenwind den Schneehauch des Ruapehu trug und uns zwang, die Decken fester um die Schultern zu ziehen, und dann standen wir unvermittelt vor einem der zahlreichen Geiser, der in meterhohen Wassersäulen heilkräftige, kochende Wasser in die Luft schleuderte und eine der Atmosphäre wohlige Wärme mitteilte. – Buntschillernde kleine Seen, bis an den Rand gefüllt mit heißem, durchsichtig klarem Wasser und eingefaßt mit blendendweißem Kalksinter, krönten die Gipfel von Miniaturbergen. – An anderer Stelle wieder lauerten tückische, unergründliche Bodenrisse des arglosen Wanderers. Aus ihren dampferfüllten Innern träufelten bläuliche Rauchwölkchen empor, liefen wie im neckischen Spiele an den Rändern entlang und schmiegten sich an seltsam glänzendem Gestein empor, ihre Bahn durch goldgelbe Schwefelablagerungen andeutend. – Schauerliche Moore, von krächzenden Rabenvögeln belebt, hatte sich der erloschene Rauka Hanga als Schutzwehr um seinen Fuß gelegt. Brodelnde Schlammkessel verbargen sich in gelbrotem Haidekraut und gaben Zeugnis von dem im Innern noch glühenden Feuer.

Die Eingeborenen, die in vereinzelt stehenden Familienhütten diese einzig in der Welt dastehende Gegend bewohnen, ohne jedoch Sinn für deren Reiz zu haben, wissen sich der heilkräftigen Quellen zu bedienen. Sie führen ihre Hütten meist neben den kleinen Heißwasserbecken auf und baden allmorgendlich mit Kind und Kegel in dem klaren Wasser. Auch ich machte von der Gelegenheit Gebrauch. Allerdings erst, nachdem der regelmäßig emporsteigende Sprudel das Wasser wieder zur Kristallhelle geklärt hatte. Man mußte auch die Vorsicht gebrauchen, den Sprudel wieder »absterben« zu lassen, bevor man in das Becken trat, denn nach Angaben der Eingeborenen soll sich beim Erscheinen des quellenden Strahles eine größere Oeffnung auf dem Grunde des Beckens bilden und den Vermessenen, der es wagt, in diesem Augenblick hineinzutreten, verschlingen. Wenn das nun auch der Wahrscheinlichkeit entbehrt, so glaube ich doch, daß man sich Verbrennungen zuziehen kann, wenn man gerade da steht, wo sich der erste Auswurf betätigt. Ich selbst spürte auf dem klaren Sande jedesmal ein starkes Kribbeln, verbunden mit erhöhter Temperatur unter den Füßen, wenn ein neuer Ausbruch bevorstand. Da ich immer sofort auf die Warnung reagierte, weiß ich über ein Oeffnen des Bodens nichts zu sagen. – Uebrigens befinden sich unter den Quellbecken auch solche, deren Wasser Siedehitze haben. Diese werfen dann auch meist den Strahl über den Rand ihrer natürlichen Einfassung hinaus. Die Tiefe der Quellgruben soll sehr verschieden sein. Später, am Rotomahanasee, fand ich solche, deren Tiefe unergründlich zu sein schien. Es waren jedenfalls die Erdrohre, die mit dem unterirdischen Bassin, das diese Heißwasservulkane speist, in direkter Verbindung stehen.

Meinen Aufenthalt in der Taupozone habe ich an anderer Stelle ausführlich beschrieben, so daß ich hier nicht weiter darauf eingehen kann. Ich erwähne hier nur noch, daß meine Reise durch Neuseeland mit der Besichtigung des Rotomahanasees eigentlich ihr Ende fand. Die herrlichen, jeder Beschreibung spottenden Kalksinterterrassen, mit ihren kristallhellen, kreisrunden Becken, die wie blaue Kinderaugen in den Aether blickten, finden nur ein Gegenstück im Yellowstonepark. Für die heutige und die späteren Generationen allerdings sind sie verloren. Im Juni l896 entstanden plötzlich gewaltige unterirdische Explosionen unter den Rotomahanabecken und schleuderten sie in die Luft. – Damit sind sie vorläufig zerstört. Im gleichen Jahre verschwand auch ein anderes Unikum vulkanischen Ursprungs. Der in meinem sechsten Bande beschriebene Feuersee auf Hawaii versank plötzlich in die Tiefe.


   weiter >>