Ferdinand Emmerich
Neuseeland
Ferdinand Emmerich

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Aitutaki, der damalige Sitz des englischen Residenten, ist ein großes Dorf, in dem sich ein paar englische und amerikanische Kaufleute angesiedelt haben. Das Verhältnis der Weißen zu den Eingeborenen war kein gutes. Wir sahen das sofort, als wir den Fuß an das Land setzten. Die schwarzbraunen, in Leinenkleider gehüllten Eingeborenen erwiderten unsern Gruß nicht, wenn wir an ihnen vorüberschritten und nur da, wo Polizisten ein wachsames Auge auf herumlungernde Burschen hatten, ließen sich letztere zu Handreichungen herbei. Der dafür geforderte Lohn stand aber in gar keinem Verhältnis zu den Leistungen. Schon am ersten Tage verging mir die Lust nach einem Ausflug in das Innere der Insel, so verlockend auch die wahrhaft prachtvolle Vegetation auf mein dafür stets empfängliches Gemüt einwirkte. Wir alle waren herzlich froh, als der ›Pelikan‹ seine Ladung an Bord hatte und wir die ungastlichen Gestade verlassen konnten. Nach den Cook's-Inseln würde ich nicht zurückkehren.

Ein Erlebnis hatte ich in Aitutaki, das mir aufrichtige Freude bereitete. Kurz vor unserer Abreise lief ein kleiner englischer Schoner ein, der die Versorgung der englischen Inseln jener Breiten mit europäischen, richtiger, englischen Erzeugnissen zu seinen Aufgaben zählte. Dieser Schoner konnte seines geringen Tiefganges wegen näher an die Rüste, als unsere Bark. Als er in die Bucht einlief, saß ich gerade in unserem Boot, um auf die Riffe zum Hummerfang zu fahren. Hart glitt der Schoner, und rücksichtslos wie die »Herren der Meere« nun einmal sind, an unserm Fahrzeug vorüber, das fast in Gefahr kam, übersegelt zu werden. Ich hatte mich aufrecht ins Boot gestellt und rief dem Manne auf dem Achterdeck – keine Schmeichelworte – zu. Da beugte sich ein schwarzer Kopf über die Reling. Ein paar Arme fuchtelten wild in der Luft herum und ein lauter Schrei, der wie der gellende Ruf meines Namens klang, vermischte sich mit dem Rasseln der gerade jetzt niedergehenden Segel.

»Der Schneeball kennt Sie wohl!« rief mir Wichhorst zu, der vom Achterdeck aus der Einfahrt des Seglers zugeschaut hatte.

»Ich wüßte mich nicht zu entsinnen, wo und wann ich die Ehre seiner Bekanntschaft hatte. Seit zwölf Jahren war ich nicht in hiesiger Gegend. Ich vermute aber, daß er meine Koseworte erwiderte.«

»Nein, nein. Ich hörte deutlich wie er Ihren Namen, allerdings verkürzt, rief. Das glänzende Gesicht leuchtete vor Freude.«

»Dann wird er mir wohl seine Aufwartung machen. Einstweilen habe ich meine Sprechstunden auf das Riff verlegt. Sagen Sie ihm das, wenn er kommen sollte.«

Ich lag gemächlich unter dem Sonnensegel und trank in Gesellschaft von Kröger und Wichhorst meinen Nachmittagkaffee, als sich ein Matrose näherte:

»Butenbords hängt so 'nen swatten Düwel an de Ankerkett! He will unsen Passascheer spreken,« meldete er in breitem Plattdeutsch.

»Das wird Ihr Freund von dem Schoner sein,« rief Wichhorst.

»Na, denn will ich mal mit nach vorn gehen ...«

»Ach wat!« unterbrach der Kapitän. »Lat em an Deck kummen, Krischan, un bring en no achtern. Wi liggt hier grod so scheun.«

Im Laufschritt stürzte der Braune, der schon auf der Back stand, über das Deck auf mich zu und warf sich vor meinem Liegestuhl auf die Planken.

»Sie sind es, o gewiß, Sie sind es, Mister Emery. Wie freut sich Tonga, daß er seinen Herrn wiedergefunden hat.«

Verwundert wehrte ich die mit diesem Herzenserguß verbundenen Handgreiflichkeiten ab, und blickte dem Eingeborenen in die Augen. Blitzartig traten mir die Ereignisse auf Viti Levu vor Augen.

»Tonga, du!« rief ich, und meine Freude war kaum geringer, als die des Fidschi-Insulaners, »wie kommst du hierher?«

Die Frage war ziemlich überflüssig, da ich ihn ja an Bord des Schoners gesehen hatte. Er antwortete auch gar nicht darauf, sondern rief immer wieder:

»Gut, gut, daß mein Herr wieder da ist. Tonga bleibt jetzt immer bei seinem Herrn.«

Natürlich waren meine Begleiter über die Erkennungsszene höchlichst belustigt und auch die Deckswache blickte von unten mit unverhohlenem Erstaunen auf uns beide. Ich war dem Kapitän eine Erklärung schuldig.

»Das ist mein getreuer Begleiter und Lebensretter von Suwa. Als ich vor zwölf Jahren mit dem »Gustav«, Kapitän Sutor, in Viti Levu war, machten ein deutscher Kollege und ich einen Ausflug auf die noch von Kannibalen bewohnte Insel Mbenga. Hier unser Freund Tonga begleitete uns. Er war es, der meinen Gefährten Riebe, der bereits gefesselt in der Gewalt der Wilden war, befreite. Später noch leistete er uns gute Dienste aus Viti Levu und Levuka. – Es freut mich aufrichtig, daß mich der Mann nicht vergessen hat. Dafür muß ich ihm an Land eine kleine Freude machen. – was hättest du gern, Tonga?«

»Oh, keine Geschenke, Herr! Tonga ist so froh, so froh. Tonga geht mit Ihnen, wohin Sie gehen, Mister Emery.«

Es tat mir weh, dem braven Menschen eine Enttäuschung bereiten zu müssen. Ich konnte ihn unmöglich mit nach Neuseeland und nach Australien nehmen. Das hätten die englischen Behörden auch gar nicht erlaubt. Das sagte ich ihm denn auch. Gleichzeitig versprach ich ihm, mit ihm an Land zu fahren und ihm in einem der Kaufhäuser ein Andenken an seinen früheren Herrn zu erwerben.

Tonga sah mich an, wie etwa ein treuer Hund seinen grausamen Gebieter anschauen würde. Er schüttelte traurig den Kopf:

»Tonga hat Andenken genug,« sagte er. »Tonga will nur dableiben und mitgehen, wohin Mister Emery geht.«

Nun legte sich der Kapitän ins Mittel.

»Sei vernünftig, Tonga. Die Engländer erlauben es nicht, daß du aus den Inseln fortgehst. Du kannst auch nicht am Lande mit Mister Emery frei verkehren, denn du weißt, daß das die weißen Engländer nicht gern sehen. Wenn du aber hier an Bord bleiben kannst, das heißt, wenn dich dein Steuermann beurlaubt, dann komme jede Zeit zu uns. Meine Leute lassen dich an Deck kommen.«

»Oh, mein Steuermann ist so böse. Hat Tonga verboten von Bord zu gehen. Aber Tonga mußte zu Mister Emery. Tonga einfach fortgelaufen.«

»Donnerwetter, das kann böse für dich ausgehen, Tonga. Das war sehr unklug von dir. Du weißt, daß schwere Strafe auf Desertion steht.«

»Ja, aber wie sollte ich anders zu meinem Herrn kommen?«

»Nun ja. Es ist nun einmal geschehen und wir müssen sehen, wie wir die Geschichte wieder in Ordnung bringen können. Ich werde zu meinem englischen Kollegen hinüberfahren und ihm die Rührszene vortragen. Hoffentlich hat er noch keine Anzeige erstattet.«

Kapitän Kröger ließ sofort sein Boot klarmachen, vor der Abfahrt sagte er noch:

»Bearbeiten sie den armen Kerl nur, daß er vernünftig wird, versprechen sie ihm einen Besuch auf seiner Insel. Aber auf sein Schiff muß er zurück. Da hilft kein Bitten und Betteln.«

Wichhorst vereinigte seine Überredungskünste mit den meinen, um dem armen Kerl Vernunft beizubringen. Es ging aber auch ihm zu Herzen, daß unter der braunen Haut ein so empfindsames Gemüt wohnte. Selbst die Matrosen, denen die Geschichte natürlich bekannt geworden war, blickten freundlich auf Tonga, sie hätten nichts dagegen gehabt, wenn er an Bord geblieben wäre, so sehr sie sich sonst gegen Farbige wehren.

»Der hat ein Herz wie ein Hamburger Leichtmatrose,« sagte später der Zimmermann. »Der ist nur aus purem Versehen in die braune Haut geraten.« Der Tonga setzte anfangs allen Versuchen, ihn wieder auf sein Schiff zu senden, hartnäckigsten Widerstand entgegen. Erst als Wichhorst erwähnte, daß der ›Pelikan‹ auf seiner Heimreise von Australien auch Suwa anlaufen würde, begann er »handlicher« zu werden. Selbstverständlich verschwieg der Steuermann, daß ich dann nicht mehr an Bord war. Die verzeihliche Täuschung mußten wir im Interesse des Burschen selbst vornehmen. – Ob dann später der ›Pelikan‹ den Mann in Suwa gesehen, erfuhr ich nie, denn ich bekam keine Gelegenheit wieder, die Freunde nochmal zu sprechen.

Kapitän Kröger kehrte bald zurück.

»Der Kollege von der ›Swallow‹ ist freundlicher als ich das von ihm voraussetzte. Er wird uns heut' abend hier an Bord besuchen, um von Ihnen die Menschenfressergeschichte zu hören. Tonga kann solange hierbleiben, muß aber mit seinem Kapitän an Bord zurück.«

Diese deutsch gesprochenen Worte übersetzte ich dem braunen Freunde, der nun weniger widerspenstig war. Er ließ sich aber von Kapitän Kröger bestätigen, daß er mit seiner Bark ganz bestimmt nach Suwa kommen würde.

Ich benutzte die Gelegenheit, um mich über die Bewohner der Kannibalen-Insel näher zu unterrichten.

»Die sind ganz fromm geworden,« sagte er mit wegwerfender Handbewegung. »Bald nachher find Missionare nach Mbenga gegangen, um den Wilden den wahren Gott zu bringen. Drei davon haben sie aufgefressen. Da aber einer der Umgekommenen ein Verwandter des Residenten war, wurden Soldaten auf die Insel geschickt. Die hausten noch schlimmer wie die Wilden. Nun ist alles ruhig. Sie können Schmetterlinge fangen, ohne zu fürchten, daß man Sie nebenbei auffrißt.«

Der Kapitän des Schoners, ein trinkfester Herr, der unglaubliche Mengen Whisky vertragen konnte, ließ sich von mir die damalige Episodevgl. Band I, S. 190 ff. mit allen Einzelheiten erzählen. Ich setzte die Verdienste meines Tonga in das gebührende helle Licht. Ich erwies damit meinem braunen Freunde einen wertvollen Dienst, denn der Kapitän zeigte volles Verständnis für den kühnen Mut und die Treue des Mannes. Er versprach mir fest, den Tonga nunmehr im Auge zu behalten, weil auch er den zunehmenden Mangel an verläßlichen Leuten unter den Eingeborenen beklagte. Hoffentlich hat er Wort gehalten. – Der Abschied von mir, als der fremde Kapitän den Tonga mit sich nahm, gestaltete sich rührend. Das Versprechen, mich am nächsten Tage besuchen zu dürfen, veranlaßte ihn, den Befehlen seines Vorgesetzten zu gehorchen. Ich sah ihn aber erst drei Tage später und dann nur auf kurze Zeit wieder. In der Nacht kam nämlich ein Unwetter auf, das uns zwang, die hohe See aufzusuchen, da wir in das Binnenwasser nicht mehr einlaufen konnten. Wir mußten, der vielen Klippen wegen, etwa zwei Grade nördlicher gehen und als das Wetter vorübergezogen war, zwang uns Gegenwind, zu kreuzen. Wir kamen erst nach Aitutaki zurück, als die »Swallow« bereits den »blauen Peter« im Vortopp hatte. Jene Flagge, die vor der Abfahrt eines Schiffes gesetzt zu werden pflegt.

Sechs Wochen später verließ ich den ›Pelikan‹ im Hafen von Sidney. Da Australien, meinem Reiseplane nach, erst nach dem Besuche von Neuseeland bereist werden sollte, so nahm ich den ersten nach Auckland abgehenden Dampfer. Dort mußten zahlreiche Briefe für mich auf dem deutschen, wie auf dem amerikanischen Konsulate lagern. – Ich fand auch eine ganze Anzahl, unter denen einer mich besonders dringend aufforderte, meine Aufgaben auf Neuseeland mit möglichster Beschleunigung zu beenden, da man meine Anwesenheit in einem entgegengesetzten Teile der Welt, in Nordsibirien wünschte...

Noch etwas anderes fand ich in Auckland. Die Dame vom Vergnügungsdampfer »Washington«, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, sich meiner Expedition ins Innere der Nordinsel (Neuseeland besteht bekanntlich aus drei Hauptinseln) anzuschließen. Ich hatte mein damals etwas voreilig gegebenes Versprechen längst vergessen und war daher nichts weniger als angenehm überrascht, als ich die Dame, die übrigens Verwandte in Auckland hatte, dort plötzlich vor mir auftauchen sah. – Die Witterungsverhältnisse ließen es übrigens wünschenswert erscheinen, zuerst die Südinsel zu besuchen. Der Winter stand vor der Türe und in der Jahreszeit ist das Reisen in jenen Gegenden äußerst schwierig und für den Zoologen ziemlich zwecklos. – Ich betrieb die Vorbereitungen zu der Reise besonders eilig, weil ich hoffte, dadurch meine unbequeme Begleitung auf anständige Art loszuwerden. Der amerikanische Konsul unterstützte mich dabei aus leicht begreiflichen Gründen. Er schlug Ausflüge in die Umgebung vor. Am Waitewata-See besaß er ein Landhaus. Dort sollte Miß Price sich mit der aristokratischen Jugend von Auckland die Zeit vertreiben, bis der Deutsche wieder abgereist war. – Während der ersten Tage meines Aufenthaltes auf dem Isthmus widmete ich meine Aufmerksamkeit den zahlreichen erloschenen Vulkanen, die sich im Umkreise von fünfzehn Kilometern um die Stadt Auckland aufbauen. Es sind zwar nur Kegel von zwei- bis dreihundert Meter Höhe, aber so regelmäßig gebildet, daß man den Eindruck hat, als seien sie künstliche Gebilde von Menschenhand.

Diese Kraterberge haben ein historisches Interesse. Hier lebten einst die Urbewohner des Isthmus von Auckland. Ein hochbegabtes, friedfertiges Volk, das allerdings dem Kannibalismus verfallen war. In der Ueberlieferung heißt der Stamm Ngatiwatua, der über vierzigtausend Krieger seinen Feinden gegenüberstellen konnte. Auf den Höhen der Kraterberge stieß ich noch auf die Ueberreste einstiger Befestigungen und ein Maorijunge, der sich dort oben herumtrieb, führte mich an eine Grube, die unter Gras und wucherndem Unkraut noch Haufen von Muschelschalen barg, mit deren Tieren sich einst die Krieger genährt haben sollten. – Von dem vor zwei Menschenaltern noch so mächtigen Stamme ist heute fast nichts mehr übrig geblieben. Ein kleines Dorf an der Haurakibucht beherbergt noch wenige Familien, die von jenen Ngatiwatuas abstammen sollen. Bei meinem Besuche wurde ich aber so unfreundlich empfangen, daß ich es vorzog, mein Boot an die gastlichere Küste zurückzurudern. Ich bedauere das um so mehr, als es wohl nur noch eine Frage weniger Jahrzehnte ist, daß auch diese letzten Vertreter eines so hochbegabten Volkes vom Erdboden verschwinden. Ihnen folgen die Maori, die von der angelsächsischen Rasse ebenso vertilgt werden, wie ihre Leidensgenossen. Das weiß übrigens auch der Maori, der selbst sagt, daß sein Volk von den Engländern ebenso vernichtet werden wird, wie der Klee das heimische Farnkraut verdrängt hat.

Eines Morgens stand ich vor den Lavahöhlen von Three Kings, in denen zahllose Gerippe Erschlagener modern, als mir der Wind den Ton einer Dampfersirene herübertrug. Hinter den drei Felsenfingern vor dem Hafen Manukan stieg eine Rauchfahne in den Aether. Der langersehnte Dampfer, der mich nach Christchurch auf der Südinsel bringen sollte, war endlich eingetroffen. Zwei Stunden später stand ich bereits auf seinem Oberdeck und ließ meine Blicke über die wunderschöne Gartenstadt schweifen, die sich zwischen dem Manukan und dem Waitewata über Tal und Hügel hinzieht. Hier in dem modernen England merkt man kaum, daß man sich in Neuseeland befindet, selbst der sich im Norden des genannten Sees aus dem Wasser erhebende Kanzitoto sieht so aus, als ob er ebenfalls aus England hierher verpflanzt worden sei.

Ich empfand keinerlei Bedauern, als die »Solingen« langsam aus der Bucht dampfte und ihren Kurs südwärts durch die Plenty-Bai nahm. Derart europäisierte Landstriche sind mir von jeher wie eine Entweihung des Eigentums fremder Völkerrassen vorgekommen, und wenn ich auch einsehe, daß unser altes Europa für seinen Ueberschuß an Menschen neuer Gebiete bedarf, so sehne ich mich doch immer wieder in jene Länder zurück, in denen der Weiße noch eine seltene Erscheinung ist. Allerdings werden derartige Landstriche von Jahr zu Jahr seltener und es dürften keine fünfzig Jahre mehr vergehen, bis unsere Rasse auch in die entferntesten Winkel unseres Erdballes vorgedrungen ist.

Unter den wenigen Fahrgästen unseres Frachtdampfers befand sich ein Mann, dessen ganze Ausrüstung darauf hindeutete, daß er ebenfalls das Innere des Landes anzusehen beabsichtigte. Er war äußerst wortkarg und ging jedem aus dem Wege, der es versuchte, ihn in ein Gespräch zu ziehen. Dahingegen bekundete er ein großes Interesse an den Reisezielen der Mitpassagiere. Einer der Aufwärter mußte jeden einzelnen ausforschen und ihm das Ergebnis mitteilen.

Da wir uns auf einem Hamburger Dampfer befanden, war es sehr natürlich, daß ich mit Kapitän und Offizieren bald in dem heimatlichen Plattdeutsch Erinnerungen austauschte. Dabei wird man rasch einander nähergebracht und als die beiden Teilen naheliegenden Gesprächsstoffe erschöpft waren, begann sich die Unterhaltung um Land und Leute zu drehen.

»Sie haben wohl davon gehört, daß man auf der Nordinsel reiche Goldlager gefunden hat?« fragte mich der Kapitän, als wir in Sicht der kleinen Vulkaninsel Wakari (White Island) über die Inselberge sprachen.

»Wer hat Ihnen denn das aufgebunden?« erwiderte ich lachend. »In Auckland weiß man noch nichts davon. Und dort sollte man doch am ehesten darüber orientiert sein.«

»In Brisbane schrieben die Tagesblätter lange Artikel darüber und in Sydney hätte ich sogar einige fünfzig Goldgräber als Passagiere bekommen können. Ich winkte aber ab. Ich mag mit dem Gesindel nichts zu tun haben. Einer scheint mir aber doch hängen geblieben zu sein ...«

»Sie meinen jenen wunderlichen Heiligen dort?«

»Er gab sich als Schulmeister aus, als er in Sydney an Bord kam. Nachher behauptete er, er sei Photograph, wenn sie aber sein Gepäck betrachten, dann wissen sie sofort, daß er auf den Goldschwindel hereingefallen ist. – Es ist übrigens ein Deutscher.«

»Dann sollte man den armen Kerl doch warnen!«

»Hm – wenn sie es versuchen wollen. Ich habe keine Veranlassung dazu, da er, wie gesagt, angab, er wolle als Photograph das Innere bereisen.«

Der Abendspaziergang auf Deck bot Gelegenheit, mit dem Wortkargen ein Gespräch anzuknüpfen. Aus dem niederen Krater der Wakari-Insel, der höchstens zweihundert Meter aus dem Meere aufragt, schossen unvermittelt hohe Flammensäulen in den dunkelnden Himmel, während am Tage dichte weiße Dampfwolken über dem Regel lagen, stieg jetzt schwarzer Qualm aus dem Vulkan. Die Wahrnehmung veranlaßte den Kapitän, seinen Kurs zu ändern, um vor Ueberraschungen sicher zu sein. Seebeben im Gefolge solcher Ausbrüche sollen nicht gerade zu den Seltenheiten gehören. Der zweite Offizier, der bereits im Innern der Nordinsel gewesen war, gab uns nähere Aufschlüsse über das Phänomen.

»Der Wakari steht in direkter Verbindung mit dem Tongariru-Vulkan im Innern der Insel,« sagte er in belehrendem Tone, »wenn der Kleine hier anfängt Feuer zu spucken, dann wird sein großer Bruder am Tauposee auch nicht ruhig sein. Dann ist es nicht ratsam, die Gegend aufzusuchen. Das ganze Land zwischen der Küste und dem Tongariru ist dann in Aufruhr. Man erkennt deutlich den Weg, den das unterirdische Feuer zwischen den beiden Vulkanen nimmt. An vielen hundert Stellen strömt der Boden Dämpfe und giftige Gase aus. Der berühmte Rotomahanasee, der gleichfalls in dem Trakt liegt, schießt seine kochenden Wasser viele, viele Meter hoch in den Aether...«

Während der lebhaften Schilderung des Offiziers hatte sich auch der schweigsame Passagier unserer Gruppe genähert. Mit großem Interesse folgte er den Erklärungen. Als nun der Rotomahanasee erwähnt wurde, warf er, wie absichtslos, die Frage auf:

»Ist das der See, der sich am Fuße des Vulkans Ruapahu hinzieht?«

»Nicht doch, der Ruapahu liegt südlich von dem tätigen Vulkan Tongariru. Er ist längst erloschen. Sie meinen wohl den großen Tauposee?«

»Der Tauposee wurde mir in Sydney als ein großer ruhiger Landsee geschildert. Ich beabsichtige, mich an seinen Ufern niederzulassen,« erwiderte der Fremde. »Da Sie die Gegend zu kennen scheinen, wäre mir eine Auskunft sehr erwünscht.«

Lachend antwortete der Offizier:

»Wer Ihnen das sagte, hat sich einen Scherz mit Ihnen erlaubt, wenn irgendein Punkt in der Welt ungeeignet als Wohnsitz ist, so ist das die Gegend um den Tauposee. Sie irren sich in der Ortsbezeichnung.«

»Darf ich fragen, ob Ihnen ein Gesellschafter angenehm ist?« wandte ich mich jetzt an den fremden Landsmann. »Ich habe die Absicht, das Seengebiet zu durchforschen. Allerdings wollte ich zuerst der Südinsel einen Besuch machen, wenn ich aber in Gesellschaft eines Landsmannes ...«

Er ließ mich nicht ausreden.

»Ach nein. Ich danke Ihnen. Ich habe vorher noch Geschäfte in Wellington. Ich möchte Sie nicht aufhalten ...«

Die Ablehnung war zu deutlich, um mißverstanden zu werden. Ich ließ die Idee fallen und wandte mich wieder der allgemeinen Unterhaltung zu. – Ich sollte den sonderbaren Menschen später noch wiederfinden!

In Napier verließ uns der Herr, um mit der Bahn nach Wellington zu fahren. Als er den Dampfer verlassen hatte, teilte mir der Aufwärter mit, daß er durch Indiskretion – er hatte das Tagebuch durchgeblättert – erfahren habe, daß der Mann am Ruapahu Gold graben wolle. Er habe dort ein Stück Land zu dem Zwecke angekauft. – Die Mitteilung löste ein lebhaftes Bedauern mit dem Manne aus, der zweifellos in die Hände von Schwindlern gefallen war.

In Christchurch verließ ich die ›Solingen‹. Das freundliche Städtchen, seine niedrigen Häuser mit Glas- oder Wellblechdächern, machten einen anheimelnden Eindruck. Auch die gastfreie deutsche Familie, an die ich von Auckland aus empfohlen war, überbot sich in Freundlichkeit, aber – zu einer Reise in's Hochland kam ich zu spät. Der Winter hatte seinen Einzug gehalten und die Berge waren bis tief hinunter beschneit. Unter diesen Umständen mußte ich schweren Herzens darauf verzichten, auch nur bis an den Fluß der wildzerrissenen Gebirgskette vorzudringen. Kein Führer hätte mich dorthin begleitet. Ich benutzte daher schon drei Tage später die Gelegenheit eines Küstendampfers, um mich wieder auf die Nordinsel zu begeben. Mein Versprechen, mit Eintritt des Sommers zurückzukehren, konnte ich nicht einlösen.

In Wellington, einer lärmenden Handelsstadt an der Cookstraße, kannte man ebenfalls das Gerücht von den Goldfunden im Innern. Hier sprach man indessen von dem Berge Taranaki als dem Fundorte. In eben der Gegend baute eine englische Gesellschaft eine Eisenbahn und ich glaube, daß nur diese das Gerücht aussprengte, um billige Arbeitskräfte zu bekommen, denn in den Straßen der Stadt besagten Plakate, daß jeder, der acht Tage an der Bahn baue, freie Fahrgelegenheit bis zum Fuße des Taranaki oder Mount Egmont, wie ihn die Engländer nennen, bekommen. Natürlich war der Andrang ein großer und die Unternehmer machten rasche Fortschritte.

Das Goldfieber war meinen Zwecken insofern ungünstig, als sich die Löhne für jede Handreichung ins Fabelhafte verstiegen. Als ich zuerst verlauten ließ, daß ich einige handfeste Burschen als Träger ins Innere benötigte, umschwärmten mich sofort alle Müßiggänger des Hafenviertels. Jeder witterte in mir eine »Milchkuh«, die zur richtigen Zeit auch abgeschlachtet werden konnte. Andere wieder glaubten in dem Naturforscher jenen Mann zu erkennen, der die reiche Ader entdeckt und nun die Absicht habe, sie auszubeuten. Zu allen Tagesstunden, ja selbst in der Nacht, drängten sich Menschen an mich heran, die Anteilscheine kaufen wollten. Meine Versicherungen, daß ich nichts von Goldadern wisse, begegneten ungläubigem Kopfschütteln. Mit feindseligen Blicken verfolgte man jeden meiner Schritte und nach einigen Tagen kam es soweit, daß ich auf Schritt und Tritt Leuten begegnete, die sich vorher mit zuvorkommendsten Worten als Freunde bezeichneten, jetzt aber unwillkürlich unter die Weste nach der verborgenen Waffe griffen.

Da ich unter solchen Umständen nicht darauf rechnen durfte, am Platze passende Leute zu finden, entschloß ich mich, weiter nach Norden zu fahren und in Napier mein Heil zu versuchen. Mittags im Gasthause äußerte ich den drei Deutschen gegenüber, mit denen ich speiste, meine Absicht und flocht dabei das Bedauern ein, daß es mir nicht vergönnt sei, das Innere der Insel zu bereisen.

»Warum machen sie die Reise denn nicht zu Wasser?« fragte einer der Herren, der ein Schiffsartikelgeschäft betrieb.

Die Frage machte mich nachdenklich.

»Ja, warum eigentlich nicht?« fiel nun auch der Schweizer ein.

»Weil ich daran nicht gedacht habe,« konnte ich nur erwidern. »Gibt es denn Orte an der Westküste, von denen aus man einen Marsch ins Innere antreten kann?«

»Wenn ich es zu machen hätte, würde ich den Wanganuifluß hinauffahren,« sagte der Kaufmann.

»Ist denn der schiffbar?«

»Im allgemeinen wird er wohl nicht befahren, weil die Dörfer, die an seinen Ufern liegen, jetzt von der Bahn versorgt werden. Sie können aber mit einem Boot bis an die Stromschnellen gelangen. Damit ist dann auch wohl Ihr Zweck erreicht.«

»Sie können mir doch sicher ein für die Reise passendes Boot verkaufen?« fragte ich lauernd.

Der Schweizer lachte belustigt, als der Kaufmann offenherzig antwortete:

»In der Tat möchte ich Ihnen den alten Trog aufhängen, den ich hier liegen habe. Es ist für Ihre Reise wie gemacht. Ein breites Flachboot, nicht teuer und es hält auch einen Puff aus. An Ort und Stelle angekommen, lassen sie es treiben. Irgendeiner wird es sich dann als gute Beute aneignen ...«

»Und Ihnen wieder verkaufen!« ergänzte der Schweizer.

»Wenn es solange zusammenhält, warum nicht!«

»Nach alledem handelt es sich also um einen Kahn, der mir auch schon am ersten Tage Ueberraschungen bereiten kann?« fragte ich, den Punkt ernsthafter prüfend.

»Wenn sie nicht vorsichtig damit umgehen, ist das nicht ausgeschlossen. Das Boot trieb vor etwa zehn Jahren hier an und da es niemand als Eigentum beanspruchte, zog ich es in meinen Schuppen, ließ es kalfatern und teeren ...«

»... und seit der Zeit harrt es auf einen neuen Herrn!« ergänzte der allzeit fröhliche Schweizer.

»Wie bringe ich das Boot bis an die Wanganuimündung?«

»Hm, das ist wohl der schwierigste Punkt,« antwortete der Kaufmann.

»Ist es seetüchtig?«

»Ich würde mich damit keine hundert Meter aus dem Hafen wagen, obwohl ich einst Seemann war!«

»Das genügt. In dem Falle kann aus unserm Handel also nichts werden,« erwiderte ich. »Mir bleibt demnach nur die Eisenbahn und die benutze ich nur sehr ungern.«

»Sie befördert auch noch keine lebenden Menschen.«

»Warum sagen Sie ›lebende‹ Menschen?«

»Weil unter dem Gesindel, das an der Bahnlinie arbeitet, Mord und Totschlag an der Tagesordnung sind. Die Leichen werden mit den Arbeitszügen hierhergebracht. Aus dem Grunde würde ich Ihnen auch davon abraten, Ihren Kahn mit dem Zuge bis an den Fluß befördern zu lassen.«

» Meinen Kahn?«

»Na, sie kaufen ihn ja doch,« rief der Händler treuherzig. »So eine alte Seeratte wie Sie fährt doch lieber auf einem Brette auf dem Wasser, als erster Klasse auf der Eisenbahn.«

»Das haben Sie erraten. Aber wenn ich das Boot nicht an die Flußmündung geliefert bekomme, kann ich es nicht brauchen.«

»Nun, dann lassen Sie uns ernsthaft über das Geschäft reden,« begann der Kaufmann in verändertem Tone. »Der Kahn ist nicht ganz so schlimm, wie ich ihn schilderte. Ich sagte Ihnen allerdings über dessen Erwerb und Alter die Wahrheit, damit Sie wissen, woran sie sind. Wenn Sie mit den hiesigen Fischern ein Abkommen treffen, bringen diese das Boot im Schlepp an Ort und Stelle, während Sie selbst mit den Barken fahren. Ich ordne das schon.«

»Und woher bekomme ich die Ruderer und die Träger, die mich später begleiten sollen? In der Stadt habe ich alles versucht, ohne zu einem Resultate zu gelangen.«

»Haben Sie schon mit den Maori gesprochen, die vom Lande hereinkommen?«

»Das allerdings übersah ich. Uebrigens verstehe ich deren Sprache auch nicht und sie werden nicht englisch sprechen.«

»Lassen Sie mir freie Hand, die nötigen Vorbereitungen zu treffen? Wohin sollen Sie die Leute begleiten?«

»Wenn irgend möglich bis zur Plentybai. Jedenfalls bis in den Seendistrikt.«

»Gut. Ich ordne das. Wollen sie Ihren Kahn sehen?«

Das Boot hatte verzweifelte Aehnlichkeit mit einem riesigen Backtrog. Wenn es jemals an Bord eines Seeschiffes war, dann mußte es schon ein respektables Alter haben, denn die ältesten Seeleute konnten sich nicht erinnern, je ein solches Ungetüm in der Schiffahrt bemerkt zu haben. Es war übrigens sehr solide gebaut. Das verwendete Holz war eisenhart und wenn das Boot einen Kiel gehabt hätte, wäre ich selbst damit in See gegangen.

»Lassen Sie ihm einen falschen Kiel machen,« schlug der Händler vor. »Draußen auf der Werft ist das in acht Tagen geschehen.«

»Nein, aber Ausleger lasse ich anbringen, so wie es die Südsee-Insulaner mit ihren Einbäumen machen. Die verhindern das Kentern und ...«

»... erschweren das Segeln ungemein,« fiel der Kaufmann ein.

»Schadet nichts. Zeit genug habe ich ja.«

Drei Tage später erlebten die Hafenbewohner ein ungewohntes Schauspiel. Aus ihrem Hafen lief ein ungeschlachtes Fahrzeug vor zwei großen Segeln in die unruhige See. Zu beiden Seiten des Bootes schwammen, an je zwei Stangen befestigt, scharf geschnittene Baumstämme, die das Wenden des Kahnes bedeutend erschwerten, und der frischen Brise einen kräftigen Widerstand entgegensetzten. Uns selbst bot das eigenartige Fahrzeug Stoff zu manchem faulen Witze und wir nahmen es den Matrosen der im Hafen ankernden Schiffe nicht übel, daß sie ihrem Spott freien Lauf ließen. Ich war aber zu dieser Sicherung des Bootes gezwungen, weil sich niemand fand, der mir den Kahn bis an die Mündung des Flusses geschleppt hätte. Jeder schwor hoch und heilig, daß das flache Fahrzeug keine zehn Meter draußen segeln könne ohne zu kentern. Dieser Ansicht war auch ich und da ich den schadenfrohen Bummlern am Hafen nicht den Triumph gönnte, einen Deutschen vor einem Wagnis zurückweichen zu sehen, griff ich zu jenem Ausweg. Uebrigens begleiteten uns eine Anzahl Neugieriger teils auf dem Wasser in seefesten Kielbooten, teils am Lande. Jeder wartete auf den Augenblick, wo der verdammte Deutsche um Hilfe rufen werde. – Den Gefallen tat ich ihnen aber nicht. Wir kamen auch gar nicht in die Lage, denn das Boot hielt sich vorzüglich – solange es im Schutze der Küste war. Als wir, übermütig geworden, uns etwas weiter in See wagten, begann ein Tanz, daß uns Hören und Sehen verging und unser Rudersmann, ein farbiger Fischer, schleunigst wieder die Nähe der Küste aufsuchte.

Wir waren unserer fünf. Der deutsche Kaufmann ließ es sich nicht nehmen, an der abenteuerlichen Fahrt teilzunehmen. (Sein Name ist mir entfallen.) Er hatte einen farbigen Fischerknecht, der wie eine Ente schwimmen konnte, als Steuerer gewonnen, und zwei englischsprechende Maori aus dem Norden als Diener für die Dauer der Reise engagiert. Diese beiden wurden schon in den ersten zehn Minuten seekrank. Dem Umstande habe ich es auch zu danken, daß sie die Reise überhaupt mitmachten und nicht bei dem ersten Tanze über Bord gingen. Die uns begleitenden Menschen sahen unsern Manövern teils belustigt, teils mit offenem Hohne zu. Es gab aber auch Menschenfreunde, die in wirklicher Sorge um uns waren. Diese kamen in unsere Nähe und boten uns ihre eigenen Fahrzeuge an. – Von außen mag es auch sehr gefährlich ausgesehen haben, wie wir den Kampf mit der Dünung ausfochten. Uns Bootsinsassen jedoch kam der Gedanke an eine Gefahr überhaupt nicht. Wir hatten fast gar kein Wasser übergenommen und durften hoffen, unser Reiseziel glücklich zu erreichen, wenn wir uns von den Klippen freihielten, die oft bis dicht an den Wasserspiegel reichten.

Als unsere Begleiter sahen, daß wir keine Miene machten, den Kahn zu verlassen, verloren sie das Interesse an der Fahrt. Nach und nach wendeten sie den Bug wieder heimwärts. Endlich gegen Mittag war nur noch ein Segelboot in unserer Nähe, dessen Steuerer uns hartnäckig das Geleit gab. Diese Beharrlichkeit bot uns manchen Gesprächsstoff, denn jeder von uns wollte in dem unermüdlichen Nachbarn etwas anderes sehen. Meine Annahme, daß der Mann am Ruder nur wissen wollte, wo ich zu landen beabsichtige, um dort sofort alles erreichbare Land anzukaufen, schien mir das richtige.

Nachmittags begann der Wind, der bisher vom Lande nach der See geweht hatte, aus umgekehrter Richtung zu blasen. Dadurch wurde unsere Lage bedeutend unangenehmer, denn nun waren wir gezwungen zu kreuzen und das ging mit den hemmenden Auslegern nur sehr schwer. Manch' kecke Welle verirrte sich in unser Fahrzeug und nach kaum einer Stunde waren wir bis auf die Haut durchnäßt und hatten zwei Hände breit Wasser im Kahn.

»Steuere an die Küste,« befahl ich dem Farbigen. »Suche dir eine Stelle aus, an der wir geschützt liegen und ein Feuer anzünden können. Wenn wir die Kleider getrocknet haben und die beiden Mauren gesund sind, rudern wir weiter. Bei dem Winde taugt das Boot nicht zum Segeln.«

Mein deutscher Freund war mit dem Vorschlage um so eher einverstanden, als er seine Begleitung nicht weiter ausdehnen wollte. Er war etwa dreißig Kilometer von seinem Landhause entfernt und hoffte in den Farmen der Umgebung ein Pferd zu finden, das ihn noch am gleichen Tage nach Hause trüge. – Ich ließ diese plötzliche Entschuldigung gelten, obwohl ich den wahren Grund anderswo suchte. Dennoch lud ich ihn zu einem frugalen Imbiß ein, der mit einem reichlichen Trunke, ohne den ein Deutscher ja keinen Abschied feiern kann, benetzt wurde.

Die abendlichen Schatten legten sich schon auf den steinigen Strand, als wir uns wieder an Bord begaben. Wir mußten nun zu den Rudern greifen und ich bekam an diesem Abend einen Vorgeschmack von den Annehmlichkeiten der bevorstehenden Flußfahrt. Seit längerer Zeit des andauernden Ruderns ungewohnt, bedeckten sich bald meine Handflächen mit Blasen und meine Arme drohten den Dienst zu versagen. Die drei Farbigen ließen ihrer Schadenfreude freien Lauf, als sie ihren neuen Herrn in dem Zustande sahen. Ich aber holte meine ganze Willenskraft heran, biß die Zähne zusammen und trieb die Ruderer zu immer neuen Anstrengungen an, wenn sie davon sprachen, die Küste anzulaufen, um dort die Nacht zu verbringen. – In den langen Jahren tropischer Wanderungen gewitzigt, wollte ich den Leuten keine Gelegenheit geben, mich mit meinem Troge irgendwo auf dem Strande sitzen zu lassen. Solange man noch ein paar Meter weit sehen konnte, ließ ich unentwegt rudern, wobei ich jede Klippe auf ihre Verwendbarkeit als Nachtlager mit den Blicken prüfte. Endlich, als die volle Mondscheibe schon auf dem Ozean stand, tauchte rechts von uns ein flacher Felsen auf, dessen moosbewachsene Oberfläche mir als ideales Ruheplätzchen erschien. Das leicht phosphoreszierende Meer zeigte um den Fuß des Felsens eine lebhafte Unruhe. Ich schloß daraus, daß Haie dort einen Futterplatz gefunden hatten und durfte nun auch darüber beruhigt sein, daß meine Ruderer auch auf Schwimmübungen verzichteten. Die mürrischen Gesichter, die sie mir zeigten, als ich meinen Kahn in Lee der zerklüfteten Klippe festmachte, sprachen Bände.

Recht schwierig gestaltete sich der Transport meines Gepäcks aus dem Boot auf den Felsen. Der Steuerer rührte keine Hand zur Hilfe, da er dazu nicht gedungen sei. Die Maori zeigten ebenfalls keine rechte Lust zu der Arbeit und ich hatte sie stark im Verdacht, daß sie mir eine der beiden Blechkisten ins Meer fallen lassen würden, wenn ich sie auch nur auf Augenblicke allein ließ.

Lange überlegte ich, wie ich es anstellen konnte, die Kisten sicher aufs Trockene zu bringen. Für mich allein waren sie zu schwer. Ich konnte aber auch nicht zugleich im Boot und auf der Klippe sein. Die Taue, deren wir uns zum Hochziehen bedienen mußten, wollte der Steuerer zwar oben beaufsichtigen, allein damit war mir nur gedient, wenn er auch ziehen half und das verweigerte er. So verging eine Stunde in zwecklosem Hin- und Herreden. Die drei Braunen saßen oben auf der Klippe. Ich stand im Boot, fest entschlossen, es nicht zu verlassen, wenn nicht alles, Gepäck, Ruder, Steuer und Segel, auf den Felsen geschafft würde. Dann wurde mir die Sache zu dumm. Ich verabreichte den Leuten ihre Abendration an gedörrtem Fleisch und Brot, wünschte ihnen eine geruhsame Nacht und streckte mich im Boot zum Schlafen aus. Vorsichtig löste ich dabei das Tau, das den Kahn hielt, und trieb von den kurzen, leichten Wellen getragen, langsam der Küste zu. Als ich fühlte, daß der Boden den Sand scheuerte, streckte ich den Reservemast fest in den Ufersand und schlang um diese Stütze das Haltetau. So schlief ich, bis mich die aufgehende Sonne weckte.

Meine Leute waren bereits munter, als ich mich anschickte, sie aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen. Sie verlangten ungestüm nach warmen Getränken, da sie ohne Feuer in der Nacht recht empfindlich unter der Kühle gelitten hatten. – Wenn sie aber geglaubt hatten, zu dem Zwecke an die Küste rudern zu dürfen, so hatten sie sich arg getäuscht. Ich schickte sie auf den Felsen zurück, nahm Blechflasche und Spirituskocher und röstete für jeden eine Handvoll Gerste, die mit Rum hinuntergespült wurde. Dieses eigenartige Frühstück erfreute sich rasch der Gunst der Braunen und wenn ich nicht gezwungen gewesen wäre, mich wegen der bewiesenen Unbotmäßigkeit zurückhaltend zu zeigen, so hätte ich mir schon jetzt Freunde geschaffen, die für mich durchs Feuer gegangen wären – wenigstens solange sie mich noch im Besitze des Rums wußten.

Eine frische Landbrise trieb uns vor dem Winde flott durch die Wellen. Wir näherten uns einem größerem Dorfe, dessen männliche Einwohnerschaft dem Fischfang oblag. Das Meer wimmelte von kleinen Fahrzeugen, dessen Insassen unseren Trog mit offenem Munde anstaunten, und offenbar nicht wußten, was sie aus dem seltsamen Schiffe machen sollten. Aber nicht nur die Maori zerbrachen sich den Kopf darüber, sondern auch andere Leute. – Vom Lande stieß ein weißgemaltes, scharfgebautes Boot ab, daß in schneller Fahrt auf uns zuflog und uns sehr bald eingeholt hatte.

»Wohin und woher? Wer sind sie? Was bedeutet das seltsame Fahrzeug?« fragte der neuseeländische weiße Beamte.

»Viele Fragen auf einmal, Herr Leutnant,« erwiderte ich. »Aber ich will versuchen, Ihnen so kurz zu antworten, wie sie die Fragen stellten. Ich bin Naturforscher, komme von Wellington und will den Wanganui soweit hinauffahren, als es möglich ist. Mein Ziel ist der Tauposee. Das Boot kaufte ich von Herrn N., weil ich zu der Flußfahrt ein Flachboot brauche.«

»So, so! Das kann ich glauben oder nicht ...«

»Wie es Ihnen beliebt, Herr Leutnant,« erwiderte ich pikiert.

»Ja, ja. Sie haben wohl Papiere, die Aufschluß über Sie geben?«

»Ein dickes Paket, Leutnant. Hier in der Blechkiste ist es.«

»Die möchte ich sehen. Bitte, folgen Sie mir an Land. Ich kann mich hier nicht mit der Prüfung befassen.«

»Und doch werden Sie es tun müssen, wenn Sie darauf bestehen, Ihre Neugier zu befriedigen. Mein Kahn läßt sich, wie Sie sehen, nicht so leicht regieren, wie der Ihrige, und dann,« ich beugte mich an sein Ohr, »brennen mir meine Leute durch.«

»Die werden nicht weit kommen, wenn sie einen richtigen Dienstvertrag abgeschlossen haben,« gab der Beamte lachend zurück. »Kommen Sie nur zu mir herüber. Einer meiner Soldaten bleibt als Wache auf Ihrem ...«

»Sagen Sie ruhig Backtrog!«

»Ich hatte einen andern Ausdruck auf der Zunge. Also bitte! Und die Papiere nicht vergessen!«

Beim Oeffnen der Blechkiste fiel der Blick des Beamten auf die zerlegte Büchse und einen Revolver. – Wie von einer Viper gestochen, fuhr er empor:

»Sie haben auch Waffen! rief er entrüstet. »Herr, wissen sie auch, daß Sie das auf lange Jahre ins Zuchthaus bringt?«

»Andere ja, mich nicht!« antwortete ich ruhig.

»Die Waffen muß ich beschlagnahmen. Sie sind mein Arrestant.«

»Für die nächste Viertelstunde, ja. Dann werden Sie mich aber gern wieder laufen lassen und froh sein, wenn ich mich mit einer Entschuldigung zufrieden gebe. – Aber bitte, beendigen wir die Unterhaltung. Ich habe Eile, an den Wanganui zu kommen. Gehen wir an Land.«

Mein fester Ton und die kaltblütige Ruhe, die ich zur Schau trug, machten Eindruck auf den Zollbeamten. Er beorderte noch einen zweiten Soldaten in meinen Kahn, raunte ihm ein paar Worte ins Ohr und gab dem Bootsführer Befehl, an Land zu fahren.

Natürlich hatte sich während dieser Unterredung die gesamte Fischerflottille um unsere Fahrzeuge versammelt. Jeder wollte sehen und hören. Man ahnte in dem Weißen einen schweren Verbrecher, den ihre Küstenwache unschädlich gemacht hatte. Diese Kunde pflanzte sich von Mund zu Mund und lange, bevor unser Boot in den kleinen Hafen einlief, war das Gerücht schon im Dorfe verbreitet. Als ich die kurze Strecke vom Boote zum Wachhause zurücklegte, begleitete mich ein Gemurmel in allen Tonarten. Zum Glück für den Beamten verstand ich kein Wort davon.

Auf der Wache hätte es beinahe eine heikle Szene gegeben. Ein allzu eifriger Beamter, der mich ungefesselt in den Raum eintreten sah, sprang auf mich zu und stand im Begriff, Hand an mich zu legen, als ihn noch ein rasches »Halt!« seines Vorgesetzten davon abhielt. Durch höfliches Anbieten eines Stuhles suchte der Leutnant den Mißgriff seines Beamten wieder gut zu machen.

Ein höherer Beamter wurde gerufen. Wahrscheinlich hatte man ihn beim Frühschoppen gestört. Er machte ein Gesicht, als habe er eben Essig getrunken. Den Leutnant fuhr er ungnädig an. Mich würdigte er keines Blickes.

»Was hat also der Mann verbrochen?« fragte er verdrießlich.

Der Leutnant berichtete. Zum Schluß sagte er:

»Da ich im Besitz des Mannes Waffen fand, ersuchte ich ihn, mir hierher zu folgen, um seine Papiere zu prüfen und ...« »Unsinn!« rief der Höhere, aufspringend. »Sperren Sie den Kerl ein und senden Sie ihn nach Wellington. Ich habe keine Zeit, mich damit zu befassen!«

Er eilte der Tür zu, doch mein Ruf bannte seinen Schritt.

»Wollen Sie meine Berechtigung, Waffen zu führen, sofort prüfen oder nicht!« rief ich mit lauter, drohender Stimme. »Es könnte sonst sehr bald ein anderer an Ihrer Stelle diese Station kommandieren!«

Der Ton, in Verbindung mit meinem energischen Auftreten veranlaßte den Mann, an seinen Tisch zurückzukehren. Er war feuerrot im Gesicht geworden und die Zornesader lag wie ein Strick auf seiner Stirn. Das falsche graugrüne Auge schoß giftige Blitze. Ich ließ ihm nicht die Zeit, das Wort zu ergreifen, sondern begann sofort:

»Ich verbitte mir vor allen Dingen einen derartigen Ton. Sie haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, jeden Ihnen zweifelhaften Fall aufzuklären. Von dem Rechte haben sie Gebrauch gemacht. Nun tun Sie Ihre Pflicht. Prüfen Sie diese Papiere. Zunächst diesen Freibrief Ihrer neuseeländischen Regierung, die alle ihr unterstellten Behörden – verstehen Sie wohl, alle – anweist, mir in jeder von mir gewünschten Weise dienlich zu sein. – Dann prüfen sie diesen Waffenpaß. Er ist von der gleichen höchsten Stelle ausgestellt ...«

»Oh, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Mister ... Mister ...,« er suchte nach dem Namen. Mein Leutnant hat da eine furchtbare Dummheit gemacht. Ich werde ihn schwer bestrafen ...«

»Halt!« rief ich. »Der Leutnant tat in höflichster Weise seine Pflicht. Ueber ihn werde ich mich nicht beklagen und Sie werden ihn nicht bestrafen ... Lassen Sie mich nun endlich weiter reisen und betrachten Sie den Zwischenfall als erledigt. Nur tun Sie mir den Gefallen und sorgen Sie dafür, daß mir auf meiner Fahrt zur Flußmündung nicht noch mehr derartige Belästigungen zustoßen.«

Kaum hatten die im Vorzimmer herumlungernden Zollsoldaten den Umschwung in der Stimmung ihres höchsten Herrn wahrgenommen, als sie wie ein Unwetter zwischen die vor dem Wachhause versammelte Menge losfuhren und im Handumdrehen den Platz säuberten. Mit Staunen sahen die Bewohner, wie der Gewaltige in eigener Person den vermeintlichen Schwerverbrecher bis an den Strand begleitete, wo die Bootsmannschaft in strammer Haltung Ehrenbezeigungen machen mußte. Der Herr Oberst blieb auch am Hafensteg stehen, bis das Zollboot neben meinem Trog angekommen war.

Auch auf meine drei Mann übte der Zwischenfall eine gute Wirkung aus. Sie blickten mit einer Art Scheu auf mich und suchten von nun an jeden meiner Wünsche zuvorzukommen. Vielleicht spielte auch der Rum eine Rolle dabei.

An diesem Abend mußte ich am Strande lagern. Ich wählte dazu einen bis an das Meer hinabreichenden Wald, durch dessen Baumbestand der Schein unseres Feuers nach drei Seiten hin verdeckt wurde. Nach See zu konnte ich die Flammen indessen nicht abblenden, allein ich glaubte keinen Grund zu der Befürchtung zu haben, daß etwa vorübersegelnde Schiffe dadurch irregeführt wurden. – Und doch war es so.

Wir hatten uns eben den letzten Grog gebraut und der Steuermann war damit beschäftigt, das Wasserfäßchen an einem Bächlein frisch zu füllen, als wir ein Segel wahrnahmen, das gerade auf unsern Lagerplatz zusteuerte. Mein erster Gedanke war an eine Barkasse der Küstenwache, und ich machte mich schon bereit, den Kasten aufzuschließen. Dann sah ich aber, daß der Rumpf dunkel gehalten war und nun holte ich meine Revolver hervor.

»Das ist das Boot, das mit uns aus Wellington auslief,« sagte der Steuermann, als er das Fahrzeug länger betrachtet hatte. »Was mag der hier zu suchen haben?«

»Rufe ihn an. Er könnte sonst meinen Kahn beschädigen.«

Auf den Warnungsruf des Farbigen hin, änderte man an Bord des Seglers den Kurs und nach einer Weile fielen die Segel klappernd auf das Deck. Fünfzig Meter von uns entfernt lief das Boot in den weichen Sand. Ich hatte mich erhoben und die Maori ermahnt, auf das Gepäck achtzugeben. Man hatte bisher zwar nichts von Räubern in Fahrzeugen gehört, aber dieser neue Betriebszweig konnte eben jetzt in Aufnahme kommen. Jedenfalls wollte ich mir die Gesellschaft vom Leibe halten.

Von dem Segler loste sich ein Mann, der das Boot mit langer Leine an einem Baum festmachte. Hierauf kehrte er bis zum Schiff zurück, verweilte dort kurze Zeit und machte dann Miene, an unser Feuer zu kommen. Mein Steuermann rief ihn an:

»Halloh, Mann, bleibt wo Ihr steht. Wir wünschen keinen Besuch, der die Sonne scheut.«

»Bin ich bei dem Deutschen aus Wellington?« fragte der Mann zurück.

»Ihr sollt auf alles Antwort haben, wenn die Sonne aufgegangen sein wird. Jetzt wollen wir schlafen und wir raten Euch dasselbe zu tun. Wir sind übrigens gut bewaffnet, damit Ihr wißt, woran Ihr seid.«

»Halloh, ich bin kein Strandräuber,« lachte der andere. »Ihr könnt mir schon einen Platz an Euerm Feuer gönnen.«

»Tut, was ich Euch rate, Mann. Ihr wollt doch keinen Selbstmord begehen, taxiere ich?«

»Wer spricht denn da? Ist das der Weiße?« hallte es zurück.

»Ein Mann, der seine Ruhe haben möchte, spricht mit Euch. Ich denke, Ihr habt mich jetzt verstanden. Gute Nacht!«

Ein langer Fluch war die Antwort. Meinem Steuermann aber goß ich einen Extraschnaps für seine Rede ein. Er hatte mir einen großen Dienst erwiesen, denn ich trug kein Verlangen nach ungebetenen Gästen, und die Tatsache, daß der Mann von meiner Reise wußte, sagte mir, daß er mich jedenfalls über meine Pläne auszuhorchen beabsichtigte.

Die Nacht verging ohne Störung. Der Nachbar hatte sich die Warnung gemerkt und keinen Versuch gemacht, unsere Ruhe zu stören. Die Sonne war schon längst aufgegangen, und wir standen bereits im Begriff, unser Fahrzeug flottzumachen, als er auf uns zuschritt.

»Donnerwetter, Mann, Sie sind ja schwer zugänglich,« rief er lachend. »Ich hätte mich gern an Ihrem Feuer gewärmt!«

»Das hätten Sie bequemer haben können, wenn Sie sich selbst ein Feuer angezündet haben würden,« erwiderte ich trocken.

»Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Darum bin ich Ihnen gefolgt.«

»Das hätten Sie ebenfalls bequemer haben können, wenn Sie mir den in Wellington gemacht haben würden. Hier ist es zu spät.«

»Warum zu spät?« fragte er. »Für Geschäfte ist jede Zeit recht.«

»Ich mache keine Geschäfte. Sie irren sich in der Person.«

»Verdammt, Herr, seien Sie nicht so verschlossen. Allein können Sie es ja doch nicht machen und mein Geld ist so gut wie jedes andere. Also lassen Sie uns in Ruhe darüber reden.«

»Ueber was? Ich verstehe Sie nicht.«

»Nun, über Ihren Goldclaim, zum Henker! Es ist doch stadtbekannt, daß sie Goldadern gefunden haben und sie jetzt verkaufen wollen ...«

Nun mußte ich so herzhaft und so andauernd lachen, daß mich der andere wütend anfuhr:

»Herr, wenn Sie mich auslachen ...«

»Ich kann nicht anders. Es ist zu komisch. Ich und Goldadern! Nein lieber Herr, mein Geschäft wirft kein Gold ab. Ich besitze weder Claims noch Adern, noch bin ich sonst mit den Goldgräbern verwandt. Da hat man Ihnen einen schönen Bären aufgebunden.«

»Ich glaube Ihnen einfach nicht,« beharrte der Fremde. »Sie haben sich schon anderweitig verpflichtet und wollen nicht darüber reden. – Aber ich komme doch noch dahinter, wenn Sie auch noch so geheimnisvoll tun. Auf Wiedersehen, Herr, in Ihrem Claim.«

»Also dann auf Wiedersehen an der Wanganuimündung,« erwiderte ich lachend und sprang in mein Boot. Der Andere aber kehrte nochmal um und rief:

»Dachte ich es doch! an der Wanganuimündung! Dort also muß ich suchen. Deshalb haben Sie auch das flache Boot! – Nun, ich bin jedenfalls vor Ihnen dort und werde wissen, was ich zu tun habe.«

Mit einer Hast, als hing sein Seelenheil davon ab, sprang er in sein Boot, trieb den einzigen Knecht zur Eile an und rauschte schon nach kurzer Zeit an uns vorüber. Einen höhnischen Zuruf verschluckte der Wind.

Wir lachten noch lange über den schlauen Betrüger und malten uns das enttäuschte Gesicht aus, wenn er uns in den Fluß einfahren und aufwärts rudern sah.

Soweit waren wir aber noch nicht. Der heutige Tag brachte uns bei spiegelglatter See große Hitze und schwere Arbeit. Wir mußten rudern und noch dazu gegen eine Strömung, die uns viel zu schaffen machte und oft manchen errungenen Fortgang wieder zuschanden werden ließ. Eine Klippe lud uns förmlich zu einer Rast ein und ohne vorherige Verständigung ließ der Steuermann das Boot in eine Rinne einlaufen, die uns Schatten gewährte. Das Meer war an dieser Stelle so klar, daß wir weit hinunter in die Tiefe blicken und uns an dem Formenreichtum der Seegewächse erfreuen konnten. Einer der Maori zeigte große Gewandtheit im Speeren großer Fische. In einer halben Stunde hatte er vier große, äußerst feinschmeckende Stachelflosser erlegt, während sein Kamerad nach einer Languste tauchte und sie glücklich ins Boot brachte.

Diese angenehme Abwechslung unserer Speisekarte hob auch den Mut meiner Leute, und als gegen Mittag wieder eine Landbrise aufkam, ging es sogar mit Gesang unter Segel. Heute wollten wir die Nacht wieder am Lande schlafen und meine Braunen sehnten sich nach der Gesellschaft lustiger Kameraden, die auf der Hobson-Insel, deren Umrisse deutlich vor uns lagen, zu finden sein sollten. Es wurde aber Nacht, bevor wir die ersten Klippen des Eilandes vor unserm Bug auftauchen sahen, und nun mußten wir vorsichtig wiederum zum Ruder greifen, damit wir uns vor einem folgenschweren Zusammentreffen mit den Felsblöcken bewahrten. Trotzdem aber entgingen wir einer Kollision nur mit knapper Not.

Die genannte Insel dient vielen Schmugglern zum Schlupfwinkel. Sie erfreut sich daher der besonderen Aufmerksamkeit der staatlichen Schutzorgane, die unablässig bemüht sind, die kühnen Schwärzer »zur Strecke« zu bringen. Mit Vorliebe wählen naturgemäß beide Teile die Nacht zu ihren Fahrten. Je dunkler, je besser. Und da beide auch kein besonderes Interesse daran haben, ihre Anwesenheit dem andern Teile bekannt zu geben, so fahren deren Fahrzeuge ohne die vorgeschriebenen Lichter.

Mir war nichts von diesen Dingen bekannt, als ich das Boot in den Schatten der Insel steuerte und vorsichtig an den oft steil abfallenden Hängen entlang rudern ließ. Wir unterhielten uns absichtlich ziemlich laut, um etwa entgegenkommenden Fahrzeugen unsere Anwesenheit bemerkbar zu machen. Von Zeit zu Zeit brannte ich auch ein Wachszündholz an. So suchten wir uns an dem Felsenufer vorwärts zu tasten, bis wir die Stelle erreichten, an der allein eine Landung möglich sein sollte und wo das Dorf lag. Eben zog sich der helle Streifen über den Horizont, der das Erscheinen des Mondes ankündigt, als unvermittelt das Schlagen einer Schraube hörbar wurde. Gleichzeitig krachte es an meiner rechten Seite und unser Kahn neigte sich so tief, daß ich fürchtete, er würde kentern. Eine rauhe Stimme rief von dem gespenstisch aus der Dunkelheit auftauchenden kleinen Dampfer:

»Haben wir euch endlich. Ergebt euch, oder wir rennen euch in den Grund wie den andern dort.« Das Aufblitzen heller Laternen begleitete die Worte.

Aber auch ich war durch die rücksichtslose Art des Dampfers aufgebracht und schrie zurück:

»Wißt ihr nicht, daß man Signale gibt, wenn man nachts um Felsvorsprünge steuert! Jetzt habt ihr eine nette Schadensrechnung zu erwarten. Wie heißt euer Kahn und wo seid ihr zu Hause?«

Die Rede mußte auf der Barkasse maßloses Erstaunen hervorgerufen haben, denn man ließ sich Zeit mit der Antwort. Dann aber prasselte eine Flut von Schimpfwörtern über uns hernieder, die als Einleitung einer Anzahl Kommandos diente. Nun erst begriff ich, daß wir zum zweiten Male Zollbeamten ins Netz gegangen waren, deren Uniform auch schon neben uns auftauchte. Mit einem Satze waren zwei Soldaten in meinem Trog, hielten uns die Revolver vor die Brust und kommandierten:

»Hände hoch!«

Während wir dem Befehl natürlich nachkamen, sagte ich:

»Nehmt das Schießeisen herunter, Leute. Ihr seid im Irrtum. Wir sind keine Schmuggler, wie ihr zu glauben scheint!«

»Das kann jeder sagen,« erwiderte von Bord aus eine Stimme, »Wer und was seid ihr dann?«

»Das sage ich Euch, wenn ich Euer Gesicht sehen kann. Laßt eine Laterne herbringen und gebt Befehl, daß uns die Revolver vor der Nase weggenommen werden. Mir schlafen die Hände ein!«

»Ein Unglück wäre das gerade nicht,« höhnte die Stimme.

»Könnte aber unangenehm für Euch werden. Ich bin Deutscher und habe einen besonderen Schutzbrief von Eurer Regierung. Also besinnt Euch rasch.«

Das wirkte. Die Soldaten warteten den Befehl erst gar nicht ab. Sie entschuldigten sich und suchten sich rasch in ihr Boot zurückzuziehen, während der Sprecher von Bord plötzlich verstummt war. Er besprach sich anscheinend mit einem Kollegen. Gleichzeitig wurden ein paar hellbrennende Lampen auf die Reling gebracht und wir konnten nun auch die Zerstörung betrachten, die der Dampfer an unserem Ausleger angerichtet hatte.

Während wir uns hierüber noch mit den beiden Soldaten unterhielten, hörten wir plötzlich dumpfe Ruderschläge, die sich eiligst entfernten. Sie wurden auch auf der Barkasse vernommen, denn die Stimme rief wieder:

»Verdammt, dort gehen sie hin. Volldampf voraus!«

Die kleine Schraube peitschte das Wasser zu Schaum. Nach dem dritten Schlage aber klirrte es. Ein Surren zeigte, daß die Schraube unserem Auslegerbaum zu nahe gekommen und gebrochen war. Nun entstand an Bord des Dampfers ein Lärm, der jedes gesprochene Wort tötete. Zehn Stimmen fluchten und schimpften zugleich. Man lästerte Gott und die Heiligen, ging dann zu Verwünschungen der Schmuggler über und als das alles die verlorenen Schraubenflügel nicht wieder ersetzte, beschäftigte man sich mit uns und unserem Boote. Noch kannte, außer mir, kein Mensch die Ursache des Unfalles. Den Auslegerbaum hatte man noch nicht gesehen. Vielmehr glaubten die Zöllner, daß sie ein Boot überrannt hätten. Daß sie keinerlei Versuch zur Rettung etwa darin befindlicher Menschen machten, charakterisiert die Denkungsart der Engländer.

Ich kam dem Kapitän mit meinen Vorwürfen zuvor: Er stand gerade im Begriff, sich an uns zu reiben und hob bereits die Stimme zu dem einleitenden lästerlichen Fluche, als ich ihm zurief:

»Halloh, Kapitän, wollt Ihr Euch gefälligst den Schaden ansehen, den Ihr mir zugefügt habt? Sobald ich an die Küste komme, werde ich meine Ansprüche gegen Euer Schiff geltend machen. Ihr allein tragt die Schuld an dem Zusammenstoß.«

»Hoho, Mann, wißt Ihr, mit wem Ihr redet? Ich bin Beamter der neuseeländischen Regierung und ...«

»... seid als solcher in erster Linie zur Beachtung der Gesetze verpflichtet,« unterbrach ich ihn. »Ihr seid ohne Licht gefahren und habt damit gegen die Seeregeln verstoßen ...«

»Was zum Henker, habt Ihr auch hier zu suchen?«

»Das ist Nebenfache. Ich habe das Recht, jede offene Seestraße zu befahren und jedes Schiff ist verpflichtet, zur Nachtzeit die vorgeschriebenen Lichter zu führen. Wer das nicht tut, macht sich strafbar ...«

»Aber ich bin im Dienst!«

»... und hat für jeden Schaden aufzukommen. Sie werden mir also jetzt auf der Stelle oder im Dorfe drüben eine Summe Geldes geben, die dem Schaden entspricht.«

»Den Teufel werde ich tun! Was für Schäden habt Ihr überhaupt erlitten? Und was habt Ihr hier überhaupt bei Nacht und Nebel zu suchen? Das möchte ich zuerst wissen.«

»Im Dorfe werdet Ihr alles erfahren. Bemüht Euch dorthin. Eigentlich solltet Ihr mein Boot schleppen ...«

»Ihr seid verrückt, Mann. Ihr seht doch, daß meine Barkasse manövrierunfähig ist und wir selbst Hilfe brauchen. Ihr könntet uns in den Hafen schleppen.«

»Gegen den gesetzlichen Bergelohn werden meine Leute es versuchen,« erwiderte ich.

Ein lautes Gelächter empfing meine Worte. Dann rief eine Stimme:

»Das wäre ein Geschäft für Euch. Für eine halbe Stunde rudern ein paar hundert Pfund Sterling Bergelohn. Geht zum Teufel!«

»Ich würde Euch dort nur Euern Platz wegnehmen,« gab ich zurück. »Wenn Ihr nicht wollt, fahre ich ohne Euch. Euere Barkasse weiß ich wiederzufinden.«

Damit griffen wir die Ruder auf und trieben unsern Kahn vorwärts, indem wir uns eines Lichtscheines als Leitstern bedienten. Den nur noch lose mit unseren Bord verbundenen Ausleger warf ein Beilhieb in die See. Schon nach wenigen Metern hatte uns die Dunkelheit den Augen des Dampferkapitäns entzogen und nur seine Flüche und Schmähungen deuteten auf Anwesenheit von Engländern.

Nun begann auch mein Steuermann redselig zu werden. Er rieb sich vergnügt die Hände, als er den Dampfer zur Untätigkeit verurteilt sah und sagte:

»Die Schmuggler werden uns dankbar sein, daß wir ihnen den Feind vom Halse hielten. Wenn sie erst erfahren, daß die Zollsoldaten gerade vor ihrem Schlupfloche festliegen, dann mag es jenen nicht gut gehen.«

»Warum? Glaubst du, daß man den Beamten ein Leid zufügt?«

»O nein. Grausam sind die Insulaner nicht. Sie werden jeden Einzelnen erdolchen und den Haifischen übergeben.«

»Wie? Glaubst du wirklich, daß man sie ermordet?«

»Ermorden kann man nicht sagen. Die beiden Parteien führen Krieg miteinander und jeder sucht den anderen dadurch unschädlich zu machen, daß er ihn beseitigt. Ist das Mord?« »Aber das ist ja furchtbar. Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich in der Nähe geblieben. Vier Mann mehr sind eine achtbare Verstärkung in einem solchen Kampfe.«

»Wir drei rühren keinen Finger um die Beamten zu retten ... Sie allein wären ebenso rasch überwältigt wie die andern.«

»Dann müssen Männer aus dem Dorfe helfen!« rief ich aufgeregt. »Wie weit sind wir noch davon entfernt?«

»Wir sind schon da. Jene dunklen Punkte sind die Häuser. Gleich werden wir auf den Strand laufen.«

»Wie kommt denn das, daß die Einwohner hier kein Licht brennen. Sie können doch noch nicht schlafen?«

»Dort kommen schon einige Männer,« erwiderte der Steuerer. Dann legte er die hohle Hand an den Mund und stieß einen lauten Ruf aus, der ganz in der Nähe beantwortet wurde. Aus dem dunklen Haufen schälte sich ein Mann heraus, der auf uns zukam.

»Sieh da, Tiahu, was führt dich zu uns,« rief er dem Steuermann zu, indem er das Boot auf den Strand zog. Ist das dein Kahn?«

»Nein, nein,« wehrte dieser hastig ab. »Das Fahrzeug gehört dem weißen Mann hier. Er ist ein Fremder.«

»Will er Waren abholen?« fragte er, halb zu mir gewendet.

Ich verneinte, fügte aber hinzu, daß dort hinter den Felsen ein Boot Hilfe benötigte.

»Was für ein Boot?« fragte er rasch, und andere drängten sich neugierig herbei, um die Antwort zu hören. – Statt meiner erwiderte mein Steuermann:

»Der Zolldampfer treibt vor dem ›Katzenriff‹. Er hat die Schraube gebrochen. Der Herr meint, es solle ihm jemand von hier zu Hilfe kommen.«

»Ja, Leute, rudert hinaus und schleppt ihn hierher. Ihr tut ein gutes Werk, denn die Mannschaft ist, wie Tiahu sagt, in Gefahr!«

Eisiges Schweigen folgte meinen Worten. Keine Hand rührte sich. Ich begriff sofort, daß sich tatsächlich Staat und Insel feindselig gegenüberstanden. Wo ich Beistand für die Schiffbrüchigen suchte, fand ich nur Menschen, die eher zum Verderben der Beamten beitragen würden, als ihnen helfen. – Ich brach daher das Gespräch ab und fragte nach einem Nachtlager. – Das wurde uns bereitwillig zur Verfügung gestellt. Von allen Seiten rief man uns zu. Die Gastfreundschaft dem Fremden gegenüber wurde in weitestem Maße gewährt.

Meine Maori trugen meine beiden Kisten in das dem Hafen nächstgelegene Haus, das eigentlich nur aus zwei Räumen bestand, die sich auf einen Innenhof öffneten. In einem der Zimmer wurde uns eine Ecke angewiesen, in der wir unsere Decken ausbreiten konnten. Ein aus Steinen aufgeführter niedriger Herd diente zur Beleuchtung, Erwärmung und als Kochgelegenheit. Da wir ausgehungert waren, begab sich ein Diener auf die Suche nach Brennmaterial. Aber schon in der Tür stieß er mit einem Maorimädchen zusammen, die noch heiße, gebratene Fische auf einer geflochtenen Platte hereinbrachte und sie auf den Herd stellte. Dann entfernte sie sich wieder und brachte Brot. Das alles vollzog sich geräuschlos und mit einer Selbstverständlichkeit, die mich in Erstaunen setzte. Wir fielen natürlich über die schmackhafte Speise her und saßen im Handumdrehen vor der leeren Platte. – Nun wollte ich, da der Hunger keineswegs schon gestillt war, aus meinen Vorräten ein Paar Dosen opfern. In dem Augenblicke aber, da ich mich erhob, stand das Mädchen wieder in der Türöffnung und brachte große Stücke dampfenden Ziegenfleisches. – Da mir eine derartig rasche Bedienung unangemeldet, zu ungewöhnlicher Stunde hereingeschneiter Gäste selbst in unseren allerersten europäischen Gasthöfen noch nicht vorgekommen war, interessierte ich mich natürlich für den Kochprozeß und erfuhr, daß die Strandbewohner dieser Insel stets auf den Besuch von »Fremden«, soll wohl heißen Schmugglern, vorbereitet sind. Sie haben stets Fische und zubereitetes Fleisch in einem der Häuser vorrätig und wenn dann der Besuch erscheint, so erfordert es nur kurze Arbeit, um dem Gaste ein frischgekochtes Mahl vorzusetzen. – Man kocht die Speisen auf maorische Art in einem Erdloche und verfährt dabei ganz nach der von den Urvätern übernommenen einfachen Methode. Der Boden des meterlangen Loches wird mit trockenem Holze und dürren Zweigen ausgefüttert. Auf diese Unterlage legt man gleichmäßig große Kieselsteine, die auf dem angezündeten Holzfeuer rasch in Gluthitze gebracht werden. Nun räumt man die Aschenteile weg und bedeckt die glühenden Steine mit einer feuchten Matte, auf die eine Lage großer Blätter gebreitet wird. Auf dieses Blätterlager kommt nun der Fisch oder das Fleisch, oder was sonst man zu kochen wünscht. Die Speise wird nun wieder mit einer Schicht grüner Blätter und mit Matten bedeckt und auf das Ganze häuft man eine Lage Erde. Der heiße Dampf besorgt in kurzer Zeit den Kochprozeß. Da in fast allen Strandhütten stets Feuer unterhalten wird, so sind auch immer glühende Steine zu Hand. Dadurch erklärt es sich, daß wir so rasch bedient werden konnten.


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