Ferdinand Emmerich
Streifzüge durch Celebes
Ferdinand Emmerich

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Achtes Kapitel.

Vier Tage lang hielt uns ein wilder Urwald gefangen. Dem Bette des Baches folgend, waren wir in der dunklen Morgenfrühe in das schützende Dickicht eingedrungen und mit der Zufriedenheit, die aus dem Gefühle persönlicher Sicherheit entspringt, frohgemut waldeinwärts gewandert. Anfangs verhinderte die Dunkelheit einen Einblick in das sich mehr und mehr mauerartig um uns schließende üppige Pflanzenleben. Als wir dann an dem etwas lichteren Scheine unter den Bäumen bemerkten, daß der Tag angebrochen sein müßte, hatten wir bereits einen weiten Weg zurückgelegt.

Unsere Uhren zeigten die zehnte Vormittagsstunde, als wir einen gestürzten Waldriesen als Sitzgelegenheit für unsere erste Rast auswählten. Über uns wölbte sich in fünfzig Meter Höhe ein undurchdringliches Laubdach, das ein, jeden Sonnenstrahl aufsaugendes Schattensegel ersetzte. Aus dem fußtiefen Moderbett des Waldbodens kletterten kräftige Lianen in verschlungenen und verknoteten bizarren Windungen an den gewaltigen Stämmen empor, um droben in luftiger Höhe ihre Blüten und Früchte der Allmutter Sonne darzubringen. Die zahllosen Wasserläufe belebten ihre Ufer mit einer üppigen Fülle von breitblätterigen Pflanzen. Stachelige Ranken krochen aus den dornbewehrten niederen Büschen und schoben lange Ausläufer über den feuchtwarmen Boden. Ebensoviele schmerzhafte Fußangeln für den arglosen Wanderer.

Während ein lustiges Feuer für eine regelrechte Mahlzeit sorgte, besann ich mich auf meine Führerpflicht. Mit Gyßlers Unterstützung erkletterte ich einen einsam in dieser herrlichen Umgebung trauernden, etwa zehn Meter hohen Felsblock, dessen Gipfel ein Baum krönte. Von dessen obersten Zweigen aus sah ich, in die Glut des Sonnenlichtes gebadet, eine weißgetünchte, baumlose Felsenwand über den Horizont gebreitet. Sonst verhüllten die meinen luftigen Sitz weit überragenden Waldriesen jeden Fernblick.

Unten beriet ich mit den Gefährten über den einzuschlagenden Weg. Da uns die Karte einen Höhenzug als Rückgrat des Nordarmes der skelettartigen Insel zeigte, entschlossen wir uns, die eingeschlagene Richtung beizubehalten und darauf Bedacht zu nehmen, daß der Höhenzug unser steter Begleiter blieb. Wenige Stunden nach diesem Beschluß zwang uns der Bach, dessen Lauf bisher als Führer angesehen worden war, einen mit fast undurchdringlichen Pflanzen-, Dornen- und Rankengewirr überzogenen Geröllhaufen zu durchklettern. Ohne daß es in unserer Absicht gelegen, gelangten wir dadurch in eine tiefe Mulde jenseits des Geröllbergs. Ich hatte vor, letzteren als Brücke zum Fuße des Berges zu benutzen. Meine Kameraden hieben bereits Breschen in die feste grüne Wand, als sich plötzlich die Masse auf der sie standen, seitlich in Bewegung setzte und mit lautem Gepolter in das Gewirr untertauchte. Dort, wo sie verschwunden waren, gähnte eine weite Öffnung.

Ich war mit der »Wildkatze« etwas zurückgeblieben, um einige seltene Kriechtiere zu sammeln und Holzproben in die Säcke zu packen. Mit begreiflichem Schrecken stürzte ich bei dem Getöse zu der Unglücksstelle und lauschte angestrengt in die Tiefe. Bange Minuten vergingen, ohne daß sich irgend etwas rührte. Da war es die Javanin, die ihre Entschlossenheit zuerst wiederfand. Ohne einen Laut zu sagen, trat sie an die Bruchstelle und eilte vorsichtig, einen Fuß vor den andern setzend, den steilen Berg hinunter. – Nun folgte auch ich. Die schwere Traglast machte mir in dem unsicheren Geröll viel zu schaffen. Rutschend und stürzend, mit den Händen in dem verworrenen Dornengeflecht Halt suchend, arbeitete ich mich abwärts. Mein Herz klopfte hörbar in dem Angstgefühl bald vor den verunglückten Gefährten zu stehen.

Auf halbem Wege erreichten die so sehnlichst erwarteten Stimmen mein Ohr:

»Hallo, Kamerad!« hörte ich Düwell rufen.

»Hallo, wie geht es euch, seid ihr gesund?« gab ich zurück.

»Kommt schnell, wir brauchen Hilfe!«

Nun hielt mich auch die Rücksicht auf meine Sammlungen und meine Kleider nicht mehr. Mit einem Ruck stieß ich mich, auf einem breiten Steine stehend, ab und bald sauste auch ich durch das Dornendickicht, daß mir Hören und Sehen verging.

Ich landete in einer Mulde, halb besinnungslos. Düwell sprang mir bei und half mir aufstehen. Etwas entfernt bemerkte ich Gyßler und das Mädchen bei harter Arbeit.

»Liebert ist halb verschüttet!« sagte Düwell. »Der Kopf ist frei, aber der ganze Unterkörper steckt im Geröll. Er muß große Schmerzen leiden, denn er antwortet nicht.«

Vergessen waren die eigenen Schmerzen. Ich stürzte zu der Unglücksstätte und rief den Freund an. Mit bebenden Händen suchte ich die Feldflasche:

»Liebert, Freund, hören Sie mich? Hier trinken Sie einen Whisky, schnell!«

Ich hielt ihm die Blechflasche an den Mund und bemerkte mit großer Freude, daß er das belebende Getränk schluckte. Um ihm Mut einzuflößen, rief ich:

»Das ist recht! Freunde, er kann trinken. Dann hat es keine Gefahr. Nun fest an die Arbeit.«

Die Javanin arbeitete mit einem Eifer, den man in dem zerbrechlichen Körper nicht gesucht hätte. Sie lag lang ausgestreckt auf dem Geröll und warf in rasender Eile Stein auf Stein in die Mulde. Sie verringerte in ganz kurzer Zeit die Last, die auf der Brust des Kameraden lag und arbeitete dadurch Gyßler in die Hände, der auf der andern Seite an der Freilegung des Unterkörpers arbeitete. Der Verunglückte lag auf der Seite in halbaufrechter Stellung. Mit Düwell ging ich daran, das Nachrutschen der Massen zu unterbinden und den Kopf des Gefährten zu sichern. Liebert selbst, durch den Trunk belebt, begann, in richtiger Erkenntnis seiner gefährlichen Lage, vorsichtig das Rettungswerk zu unterstützen. Er schälte seinen rechten Arm aus der Umklammerung und half mit schwachem Griff die drückenden Steine aus dem Wege zu räumen.

»Fühlen Sie Schmerzen, Liebert?« fragte ich, als ich seinen vollen Blick auf mich gerichtet sah.

»Nein, nur der Druck auf die Hüftknochen wird unerträglich. Er droht mich zu ersticken. Bitte, arbeiten sie dort zuerst weiter.«

Wir kamen seinem Wunsche nach. Aber es dauerte noch lange bange Minuten, ehe der Verunglückte uns sagte, daß er nun leichter atmete.

Drei Stunden lag der Mann eingeschnürt in eine Masse von Geröll und unentwirrbar ineinander verwachsenen Schlingpflanzen, letztere retteten ihn vor dem Ersticken, denn sie hatten sich derart über seinen Körper gebettet, daß er wenigstens atmen konnte.

Dieser Sturz hatte uns gezwungen, den Weg durch den dicht verwachsenen, nie von eines Menschen Fuß betretenen Urwald fortzusetzen. Jeder Meter mußte mit dem Beile ausgehauen werden. Waren in sechs- bis achtstündiger Arbeit wenige hundert Meter freigelegt, dann holten wir den kranken Kameraden auf der Bahre nach. In der javanischen Frau fand er eine besorgte Pflegerin. Jetzt, wo sie der eigenen Ortsbestimmung nicht mehr zu folgen vermochte, war die Frau umgewandelt. Der Übermut war einer ruhigen, besonnenen, fast abweisenden Ruhe gewichen. Sie besorgte die Überwachung des Kranken und, als endlich die Büchsen wieder ihre laute Stimme erschallen lassen durften, briet sie die erlegten Wildbretarten und erledigte alle die mit der leiblichen Nahrung zusammenhängenden Arbeiten.

Am vierten Tage nach Beginn dieser an Entbehrungen und Strapazen reichen Wanderung durch den jungfräulichen Urwald, erblickten wir vor uns einen langgestreckten, dunkelblau glänzenden See, der rings von Bergen eingeschlossen war. Nur an seinem fernen, entgegengesetzten Ende deutete ein schwarzer Strich den Wald an.

Mit einem Jubelrufe begrüßten wir den so lange entbehrten Sonnenschein. Mit vollen Zungen tranken wir die frische klare Luft und erwarteten mit Ungeduld den Augenblick, wo uns das klare Wasser ein so notwendiges Bad erlaubte.

Daß wir uns nach den fürchterlichen Quälereien im Walde hier ein paar Ruhetage gönnen würden, war jedem von uns auch ohne Verabredung klar.

Liebert, der schwere Quetschungen davongetragen hatte, machte hier in dem belebenden Sonnenlichte seine ersten Gehversuche, die aber noch nicht zufriedenstellend ausfielen. Wir beschlossen demnach, so lange an Ort und Stelle zu verweilen, bis der Kamerad wieder »auf eigenen Füßen« weitermarschieren konnte.

Wir bauten unter einem Viereck von breitästigen Bäumen einen Rancho, wie ich dies in Südamerika zu tun pflegte. Da uns Schilf in genügender Menge zu Gebote stand, flochten wir in die Mitte eine den Raum in zwei Zimmer teilende Wand und bildeten aus Lehm eine regelrechte Kochstelle vor dem so hergestellten Landhause. Lagerstätten bereitete die Javanin aus Palmenwedeln, Schilf und einer dicken Schicht weichen Grases.

Mit der Errichtung unserer Wohnstätte war der Nachmittag dahingegangen. Da uns noch genügend Nahrungsmittel zu Gebote standen, beschlossen wir die Untersuchung der Gegend auf den nächsten Tag zu verschieben. Vor jedem menschlichen Besuche wußten wir uns hier sicher und etwa herumstreifende Krokodile mußte eben der Wachthabende verscheuchen.

In der Morgenwache beehrte uns doch ein Besuch. Düwell weckte mich eben zur Ablösung, als ein Geräusch, das wie das Hüsteln eines Menschen klang, uns zu den Waffen greifen ließ. Wir warteten eine kleine Weile und gingen, als alles still blieb, hinter die Hütte, um nachzusehen, was das Geräusch hervorgebracht haben könnte. – Von einem der Durianbäume löste sich bei unserm Erscheinen eine dunkle Gestalt und drückte sich mit langsamen, ruhigen Bewegungen hinter die Stämme.

Wir blickten uns an.

»Schießen?« fragten wir wie aus einem Munde.

»Nein – so lange kein Angriff erfolgt.«

Dann aber durchschoß mich der Gedanke an die vergifteten Pfeile und mit rascher Bewegung zog ich den Gefährten in die Deckung. Wenige Minuten später hob sich die Gestalt mit einem wiegenden Schwung in die Äste. Einer der rätselhaften Affen hatte seine Neugierde befriedigt.

Der nächste Tag galt der Erkundung der nächsten Umgebung. Liebert hatte es übernommen, im Verein mit seiner Pflegerin etwas Ordnung in unsere Kleidung zu bringen. Der Marsch durch die Dornen und das Gestrüpp hatte unsern Anzügen den Rest gegeben; was bis zu der Geröllkatastrophe noch an unserm Körper gehaftet, hing jetzt in Fetzen von den Gliedern. Zum Glück befanden wir uns in einer Umgebung, die keine Anforderungen an die Bekleidung stellte, ja, diese sogar lächerlich fand. Gyßlers Schuhe verdienten den Namen schon gar nicht mehr. An dem einen hing die Sohle herab und der andere hatte überhaupt keine mehr. Die Jagd mußte uns über alle diese Mängel hinweghelfen.

Das Ufer des Sees erwies sich als äußerst belebt. Zahlreiche Wasservögel nisteten an den sandigen Rändern und in dem dichten Schilf. Auf einer mit saftigem Gras bestandenen Waldeinbuchtung weideten Büffel und Bergschafe. Schildkröten belebten die Sandbänke und große Fische sprangen spielend über die Oberfläche. Von den Spuren menschlicher Anwesenheit war nichts zu entdecken. Auch zeigte das Benehmen der Tiere, daß ihnen das größte und grausamste aller Raubtiere – der Mensch – bisher noch unbekannt war.

Am nächsten Tage, während die Felle der erlegten Tiere in der Sonne trockneten, um ihrer Bestimmung als menschliche Körperbedeckung entgegenzureifen, untersuchten wir die Berge, die den See einschlossen. Der linke Teil fiel glatt und steil aus großer Höhe hinab. Dort blieb nicht einmal ein fußbreiter Raum, um das Ufer zu begehen. Das Gebirge zur rechten Hand, weniger steil, aber immer noch wild genug, um an die Kletterkunst des vermessenen, der sich in seine Wände wagte, die höchsten Anforderungen zu stellen, deutete auf vulkanischen Ursprung. Da die Karte in einer Entfernung von fünfzig Kilometer von der Küste einen Vulkan angab, erfüllte uns schon frohe Hoffnung auf baldige Erlösung aus unserer kritischen Lage.

»Wir sitzen wieder einmal in einer Mausefalle,« sagte Gyßler, als er seine Augen prüfend über die Berge schweifen ließ. »Rechts und links unübersteigbare Berge, hinter uns ein Urwald mit gefährlichem Hinterlande und vor uns ein viele Kilometer langer See. Dazu kein Fahrzeug!«

»Nun, die Landschaft ist ja paradiesisch schön, verhungern können wir nicht, da uns alles in den Schoß fällt, was wir brauchen – mehr verlangt ja der Mensch nicht vom Leben. Was hindert uns hier zu bleiben?«

»Nein, lieber Düwell, damit bin ich nicht ohne weiteres einverstanden,« erwiderte ich. »Auf mich warten noch andere Weltteile. Zum Leben eines Einsiedlers kann ich übergehen, wenn ich mal alt bin, aber jetzt...«

»Müssen Sie den Menschen in Europa noch zeigen, was für Gewürm in Celebes herumkriecht!« ergänzte Gyßler lachend. »Ich möchte nur wissen, wie wir hier wegkommen sollen. Durch den Wald gehe ich nicht wieder, das ist sicher – lieber bleibe ich hier.«

»Wie wir fortkommen sollen?« fragte ich. »Doch zu Wasser, selbstredend, wir bauen uns ein Floß!«

»Donnerwetter – ja. Daß mir das auch nicht einfiel!« rief Gyßler. »Aber wie lange werden wir arbeiten müssen, um solch einen Riesen zu fällen?«

Und er maß mit den Blicken einen gewaltigen Brotfruchtbaum.

»Ja, lieber Freund, die Riesen können wir auch nicht brauchen. Wir müssen uns ein Holz aussuchen, das auch gut schwimmt. Sonst könnten wir am Ende mitten im See von den Nixen Gastfreundschaft erbitten müssen.«

»Und für Liebert bauen wir ein Haus auf dem Floß. Der arme Kerl,« sagte Düwell, »muß so leiden. Glauben Sie, daß er es übersteht?«

»Wenn er bald an die Küste und in gute Pflege kommt – ja!« sagte ich. »Was hier geschehen konnte, ist und wird geschehen.«

Wir fanden den Kranken bei seinen ersten Gehversuchen und teilten ihm das Resultat unserer Erkundungen mit. Die Überfahrt mit dem Floße fand seinen Beifall.

Nun erschallte der Wald von den Beilschlägen. Bäume gleicher Stärke wurden ausgesucht und gefällt. Zwar war unser Werkzeug für derartige Arbeiten nicht eingerichtet, aber schließlich gelang es doch, die weniger harten Bäume zu Fall zu bringen. Das Idealste wäre ein Bambusfloß gewesen, wie man sie in Borneo hin und wieder findet. Die Stangen waren aber so hart, daß schon bei den ersten Hieben Scharten in die Beile sprangen. Der Versuch mußte wieder aufgegeben werden. Hindernisse aller Art machten die Arbeit zu einer harten Plage, um so mehr, als keiner von uns darin geübt war. Einmal hatten wir das Pech, einen Baum anzuhauen, in dessen ausgehöhlten Astgabeln zahlreiche Bienenschwärme wohnten. Wir bemerkten das erst, als der Baum stürzte, und das erzürnte Volk wütend über uns herfiel. Nur schleunigste Flucht konnte uns retten. Immerhin trugen wir genug Stichwunden davon, um unsere Körper tagelang gegen die leiseste Berührung empfindlich zu machen.

Acht Tage lang arbeiteten wir in der Gluthitze vom frühen Morgen bis zum Untergang der Sonne. Dann hielten wir die Anzahl der gefällten Stämme für genügend. Weitere drei Tage nahm das Zurechthauen der Bäume in Anspruch und als wir an jenem Abend zu unserer Hütte zurückkehrten, waren unsere Kräfte dermaßen erschöpft, daß wir uns zwei Tage lang nicht einmal zur Jagd aufraffen konnten. Die Javanin mußte uns Fische und Schildkröten fangen und die Nester der Entenvögel ihrer Eier berauben, um uns Nahrung geben zu können.

Eine schwere Arbeit stand uns dann noch in dem Transport der Stämme an den See bevor. Lianen vertraten die Stelle der Taue. Sie dienten auch dazu, den Zusammenhalt der Stämme untereinander herzustellen. Als aber dann das sieben Meter lange und fünf Meter breite Fahrzeug auf den blauen Fluten des Seebeckens schwamm, fühlten wir uns stolz und glücklich. Ruder und Steuer wurden eingefügt und endlich begann der Bau des »Kajütenhauses«. In der Herstellung solcher leichten Bauwerke, deren einziger Zweck die Ruhegelegenheit und Schutz vor der mörderischen Sonnenglut war, hatten wir alle Erfahrung.

Der Tag der Abreise aus dem idyllischen Paradiese, das uns fast drei Wochen lang ein ruhiges, unbekümmertes Leben geboten hatte, erfüllte uns mit einem aufrichtigen Bedauern. In uns allen regte sich der Wunsch, unsern Aufenthalt zu verlängern. Aber einerseits flößte mir Lieberts Zustand Sorge ein und dann war die Javanin seit einigen Tagen wieder im Banne einer seltsamen Unruhe. Sie sprang oft, bei Tage wie bei Nacht, ohne erkennbaren Grund auf, lief in den Wald und setzte sich dann wieder in ihren Winkel, ohne ein Wort zu reden. Auf Fragen gab sie keine Antwort. Wäre Vollmond gewesen, ich hätte sie für mondsüchtig gehalten.

Als das Deckhaus mit Proviant und einem weichen Lager versehen war, holten wir Liebert ab. Er freute sich kindlich, daß er ohne fremde Hilfe den Weg von der Hütte zum Floß zurückzulegen imstande war und wollte nun auch gleich mit an die Arbeit gehen. Das litten wir natürlich nicht.

Mit dem ersten Sonnenstrahle stießen wir vom Lande ab. Sanft und ruhig wiegte sich unser Fahrzeug über den glatten Seespiegel. Die heilige Stille, die uns umgab, löste eine weihevolle Stimmung in uns aus, und in jenem Augenblick eilten manche Dankesworte zu dem Lenker unserer Geschicke, daß er unsere furchtbaren Strapazen durch das Geschenk einer Landschaft belohnt hatte, die der biblischen Beschreibung des Paradieses als Vorlage gedient haben konnte. Zu beiden Seiten warf die blaue Wasserfläche das Spiegelbild der Berge mit einer überraschenden Klarheit zurück. Jede kleinste Falte trat deutlich hervor und oft bildeten sich kontrastreiche Gegensätze, wenn einige der großen Fische unbeweglich in einem Winkel des Faltenwurfes standen. Unwillkürlich eilte dann der Blick in die Höhe, um dort nach dem Unmöglichen zu suchen.

Der nahe Abend veranlaßte uns nach dem rechten Ufer zu rudern, um dort die Nacht zu verbringen. Auch hier fanden wir die Wände unersteigbar, wenn auch weniger glatt, als auf dem andern Ufer.

Mitten in der Nacht störte uns ein dumpfer Donner, dem eine Erschütterung des Wasserspiegels folgte. Sie war so stark, daß der See kleine Wellen schlug und unser Floß etwas Wasser übernahm. Ein Erdbeben! Vielleicht war auch in dem für uns unsichtbaren, aber sicher nicht fernen Vulkan ein Ausbruch erfolgt.

Gegen Abend des nächsten Tages sichteten wir das andere Ufer des Sees. Es war mit hohem Schilf bestanden, an das sich ein Wald anschloß. Das gleiche Bild, wie es das verlassene Ufer aufwies. Nur schnitt, soweit man das im Fernglase feststellen konnte, der See einige Buchten tief in das Land. Menschliche Ansiedlungen waren weit und breit nicht zu sehen.

»Sollen wir versuchen, das Ufer noch heute zu erreichen, oder schlafen wir noch eine Nacht auf dem Floß? Sie haben zu bestimmen,« fragte ich, zu Liebert gewendet.

»Ich weiß es selbst nicht,« antwortete er. »Ich fühle mich hier ganz geborgen, was uns an Land erwartet, wissen wir nicht. Wir können unmöglich mehr weit von der Küste sein und die ist rings um das Kap Coffin bis tief in das Land hinein bewohnt. Leider von Eingeborenen, die gar keine Ursache haben, den Weißen freundlich entgegenzukommen.«

»Liebert mag recht haben,« meinte Düwell. »Wenn hier aber Wilde in der Nähe wohnen, dann haben sie auch Kanoes, um den See zu befahren. Sie können uns dann ebensogut mit den Booten umzingeln und ich weiß nicht, wo uns die Verteidigung leichter ist, hier oder am Lande.«

»Hören wir die Javanin,« sagte Gyßler. »Wenn sie damals die Wahrheit gesprochen hat, dann muß sie etwas von den Bewohnern dieser Gegend wissen.«

Die Nachricht, daß wir so nahe bei ihrer »Farm« sein sollten, jagte der Frau einen ungeheueren Schrecken in die Glieder. In, ihren Schilderungen spielte ja ein See eine Rolle. Um sich zu vergewissern, ob dieser See mit dem ihrer Erzählung identisch sein könnte, rannte sie von einem Bord des Floßes zum andern. Sie studierte eifrig die Berge und die vor uns liegenden Uferpartien, konnte jedoch zu keinem Resultate kommen.

»An dem See, an den ich euch geführt haben würde, wohnen böse Eingeborene vom Stamme der Orang-Budji. Dort hätte ich einen Weg zeigen können, auf dem uns niemand begegnet. Ob dieser hier der See ist, weiß ich nicht. Es ist auch zu dunkel, um noch etwas zu erkennen.«

»Dann bleiben wir diese Nacht noch auf dem Floße,« entschied ich. »Morgen früh fahren wir in die Bucht auf der rechten Seite und gehen von dort aus auf Erkundung aus.«

In dieser Nacht beteiligte sich die Javanin an der Wache. Sie lag flach auf den Stämmen und horchte gespannt auf jedes Geräusch. Wenn ein Fisch aus dem Wasser schnellte, griff sie zum Messer. Wir gewannen den Eindruck, daß das Weib uns im Ernstfalle eine wertvolle Hilfe sein konnte.

Als die kühle Morgenbrise einsetzte und das südliche Kreuz den nicht mehr fernen Tag ankündete, setzten wir die Fahrt fort. Vor Sonnenaufgang liefen wir noch in die Bucht ein, die ein breiter Saum hohen Schilfes von dem Walde trennte. Das Rohr war so hoch, daß es unser Floß vollkommen verbarg.

Von nun an suchten wir jedes vordringliche Geräusch zu vermeiden. Da die Bucht auch an Tiefe abnahm, konnten wir uns mit den Rudern vorwärts stoßen.

»Gott sei Dank, hier gibt es Krokodile,« sagte ich, auf ein paar der Reptile deutend, die sich den ersten Strahl der aufgehenden Sonne in den aufgesperrten Rachen scheinen ließen. »Das ist wenigstens ein Schutz vor den Schwimmern.«

Während wir unsere Ansicht darüber austauschten, sprang die Frau plötzlich auf Gyßler zu und deutete mit der Hand voraus:

»Dies ist der See, von dem ich sprach. Wir sind aber auf der falschen Seite. Hier wohnen die bösen Wilden. Wir müssen umkehren – rasch!«

Kaum hatten wir dem Fahrzeug eine rückläufige Bewegung gegeben, als es am Ufer lebendig wurde. Wir hörten Stimmen von Männern und Weibern, ab und zu schrien auch Kinder.

»Ob die wohl hier herübersehen können?« fragte Düwell.

»Kein Gedanke, wir sind ja durch das Schilf vollkommen gedeckt. Wenn wir ruhig hier in der Bucht liegen bleiben, kann uns niemand sehen. Allerdings weiß ich nicht, ob die Leute Kanoes besitzen. Ich sehe noch keine, vielleicht weiß es die ›Wildkatze‹.«

Aber die Javanin konnte keine Auskunft geben. Sie war jetzt wieder die herrische Person, als die wir sie damals kennen lernten. Sie verlangte, daß wir ihren Anordnungen Folge leisten sollten. Sie sei hier bekannt und könne uns vor den Wilden retten.

»Ich weiß nicht, ob man ihr trauen kann,« sagte ich, als mir Düwell die Rede des Weibes übersetzte. »Damals spielte sie bestimmt ein Doppelspiel.«

»Wenn man nur daraus klug werden könnte,« seufzte Düwell. »Einmal sollte man meinen, sie sei die Rachegöttin in Person, dann aber betreut sie den kranken Liebert mit einer Hingebung, die eine Schwester nicht übertreffen könnte.«

Gyßler, der eine Weile auf die Reden der Bewohner am Lande gehorcht hatte, sagte jetzt, indem er den Finger an den Mund legte:

»Es sind Orang-Budji. Sie scheinen nicht hier zu wohnen, sondern zu irgendeinem Zweck hier versammelt zu sein. Man spricht von Verbrennen und von Toten.«

»Vielleicht verbrennen sie einen Leichnam?«

»Das glaube ich nicht. So viel ich mich erinnere, werfen sie ihre Toten den Geiern vor.«

Am Ufer erhob sich nun ein furchtbarer Lärm. Dumpfe Trommeln, Blechdeckel, Blasinstrumente und wer weiß, was noch für Dinge vereinigten sich um einen wahren Höllenlärm hervorzubringen. Wir blickten uns alle erstaunt an und fragten uns, was für eine Zeremonie wohl unter Aufbietung derartiger ohrenbetäubender Instrumente gefeiert werden könnte. – Bald drang das Knistern brennenden Schilfes durch den Lärm...

»Die werden doch den Rohrbruch nicht anzünden?« fragte ich besorgt und griff unwillkürlich zum Ruder, um uns aus dieser unangenehmen Nachbarschaft hinweg zu treiben.

Die Javanin fiel mir jedoch in den Arm und legte den Finger auf den Mund. Sie schien zu wissen, was da vor sich ging.

Die Musik verstummte mit einem Schlage. Man hörte einen Mann mit zorniger Stimme reden. Dann setzte der Lärm von neuem ein, und wurde noch durch ein vielstimmiges Geheul und Gejohle verstärkt, aus dem dann und wann ein entsetzlicher Schrei grell heraus schallte.

Nach kurzer Zeit legte sich ein fürchterlicher Geruch verbrennenden Fleisches über die Bucht. Gleichzeitig nahm das Geheul an Stärke ab und nur die Blechdeckel begleiteten die dumpfen Töne der Trommel noch eine Weile.

»Das ist entsetzlich,« sagte Gyßler, und eine Träne stahl sich in seine Augen.

»Wissen Sie denn was da los ist?« fragten wir.

Er nickte stumm und erwiderte:

»Man hat eben einen Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, wenn mich nicht alles täuscht, war es ein Kolonialsoldat – ein Kamerad!«

»Wie? Ist das wahr?« fuhr Düwell auf. »Dann kommen Sie alle mit. Wir werden ihn rächen – Aug' um Auge, Zahn um Zahn.«

»Ruhig, Kamerad!« wehrte Gyßler ab. »weder du, noch wir alle können den armen Menschen wieder zum Leben erwecken, wir können aber dafür sorgen, daß uns nicht ein gleiches Los trifft, indem wir uns den Tag über versteckt halten und in der Nacht die andere Bucht zu erreichen suchen.«

Liebert winkte uns durch Zeichen zu sich.

»Soviel ich aus den wenigen javanischen Worten, die ich inzwischen gelernt habe, entnehme, habt ihr das Weib hier beleidigt. Ihr setzt Zweifel in ihre Ehrlichkeit. Ich glaube aber, ihr tut ihr Unrecht damit. Sie ist uns treu ergeben und sie wird uns gewiß nicht wissentlich in Gefahr bringen. Düwell, rede du mal mit ihr.«

Aus den Reden der Javanin ging hervor, daß sie sich tatsächlich durch unser Mißtrauen schwer gekränkt fühlte. Bei ihrem rachsüchtigen Charakter war ihr wohl zuzutrauen, daß sie uns den Wilden ausliefern würde, umsomehr, da sie selbst wenig für ihre Person zu fürchten hatte. Wir mußten daher entweder zu dem schon einmal angewendeten Mittel greifen, um uns vor Verrat von ihrer Seite zu sichern, oder aber ihr Vertrauen schenken.

Wir wählten nach reiflicher Überlegung das Letztere.

Vom Lande her ließ sich kein Laut mehr vernehmen. Seit zwei Stunden lagen wir mitten im Schilfbruch und litten fürchterlich unter der glühenden Sonne und dem üblen Geruch des stehenden Wassers. Die großen, grünroten Stechfliegen brachten uns fast zur Raserei und mehr als einmal war ich im Begriff das Versteck zu verlassen, um tiefer in die Bucht zu rudern und dort den Waldesschatten aufzusuchen.

Die Javanin brachte diesen Entschluß immer wieder ins Wanken. Sie war nun, wo sie das Vertrauen zu ihr wiederhergestellt sah, freundlicher und versuchte uns die Gründe für ihr Verhalten klar zu machen. Anstatt weiter ins offene Wasser, schob sie das Floß vielmehr noch tiefer ins Schilf und bat uns, absolutes Stillschweigen zu beobachten. Wir lagen nun so dicht am Lande, daß wir jeden Gegenstand am Ufer unterscheiden konnten.

Es mochte gegen vier Uhr nachmittag sein. Die Sonne stand hinter den hohen Felskegeln und deckte kühlende Schatten über den Schilfbruch. Da trat Liebert plötzlich zu uns und flüsterte:

»Hier herum bewegt sich etwas – irgend ein Lebewesen macht sich im Schilf zu schaffen.«

Die Javanin, der die Worte übersetzt wurden, nickte.

»Ich höre es schon länger. Es ist ein Mensch...«

Sie unterbrach sich und deutete auf das Ufer. Dort schritt eben ein völlig nackter, mit einer Lanze bewaffneter Mann über den kleinen offenen Fleck weg. Er blieb von Zeit zu Zeit spähend stehen, als ob er irgend etwas suche. Plötzlich fesselte ihn ein Ruck an den Boden. Sein Auge glitt über das Schilf und blieb an den Umrissen unseres Deckhauses haften. Er machte einen Schritt zum Wasser. Ein Ruf des Erstaunens entfuhr seinen Lippen.

In demselben Augenblicke flog die Javanin mit einem weiten Satze durch das Schilf. Ehe der zur Flucht gewendete Wilde den nächsten Baum erreichen konnte, war sie bei ihm. Ihr erhobener Arm sauste nieder und mit einem dumpfen Röcheln brach der Mann zusammen. Dann ergriff sie ihn bei den Haaren, zerrte den Toten an das Schilf und drückte ihn neben dem Floß ins Wasser.

Der ganze Vorgang hatte sich so schnell abgespielt, daß wir erst die Tragweite der Handlung inne wurden, als das Weib bereits wieder neben uns stand. Mit glühendem Blick starrte sie mich an und wischte mit einer eisernen Ruhe die blutige Klinge an einem Blatte ab. Vor diesem Blicke erstarb mir das Wort auf der Zunge. Ich hielt das Weib in dem Augenblick für geistesgestört und zweifelte keinen Moment daran, daß ich ihr nächstes Opfer sein würde.

Als die Frau sah, daß jede abfällige Kritik ihrer Handlungsweise unterblieb, trat sie zu Liebert und sagte:

»Um dich zu retten, weißer Mann, mußte er sterben.«

Sie kniete sich darauf neben den Kranken und wischte ihm die perlenden Schweißtropfen von der bleichen Stirn.

Wir waren von der Tat der Javanin derart überrascht, daß wir keine Miene machten, den neben unserm Fahrzeuge liegenden Leichnam zu beseitigen. Dagegen hielt ich es für geratener ins offene Wasser zurückzurudern. So gut der eine Wilde uns entdeckt hatte, konnten mehrere kommen. Düwell sollte das dem Weib sagen, dessen Einfluß auf unsern Willen sich wieder fühlbar machte.

»Die Wilden meiden die Richtstätte, wenn die langen Schatten darauf liegen. Wenn der kleine Mond aufgeht, fahren wir.«

Da wir uns der Richtigkeit dieser Ansicht nicht verschließen konnten, gaben wir nach. Allerdings konnten wir ein Gefühl der Auflehnung nicht unterdrücken.

In dem Augenblicke, als das Floß aus dem Versteck ins offene Wasser geschoben wurde, erlebten wir noch ein gräßliches Schauspiel. Zwei Krokodile stritten sich um den Leichnam des Wilden. Mit einer Gier schossen sie heran und schlugen fast gleichzeitig das gewaltige Gebiß in das tote Fleisch. Sie zerrten den Körper hin und her, als noch ein drittes Reptil auftauchte und mit einem Zuklappen des fürchterlichen Rachens den Kopf des Unglücklichen zermalmte.

Mit Schaudern wandten wir uns von dem entsetzlichen Anblick und legten uns mit aller Kraft in die Ruder, um der Stätte des Grauens so schnell als möglich zu entfliehen.

Um den Mund des Weibes spielte ein spöttisches Lächeln:

»Fürchten die weißen Männer sich vor dem Toten oder vor den Reptilen?«

Der Mond war mit der ersten Sichel aufgegangen und verbreitete so viel Licht, daß wir ohne besonderes Geräusch in den See gelangten. Wir hielten uns dicht am Fuße des Berges, dessen Schatten uns bereits in der vorigen Nacht neugierigen Blicken entzog. Bald waren wir so weit vorgedrungen, daß wir den Uferrand, an dem wir entlang fahren mußten, um den See zu überqueren, übersehen konnten.

Wir stoppten den Lauf des Floßes und lauschten. Ein gedämpftes Klopfen rollte in regelmäßigen Zwischenräumen über das Wasser, von Zeit zu Zeit schlief es ein, dann wurden die Schläge schneller.

»Boote!« rief ich mit gedämpfter Stimme. »Dort rudert jemand!«

Zustimmend nickten die Gefährten, und begannen das Floß dichter an den Strand zu rudern. Es lag jetzt völlig im Dunkeln und konnte nur aus nächster Nähe gesehen werden, wenn man uns wirklich suchen sollte.

Wir lagen flach auf dem Boden und spähten über die Wasserfläche. Das Geräusch näherte sich und bald hörten wir auch Stimmen, die uns der See klar herübertrug.

»Orang Budji!« flüsterte Gyßler. »Sie suchen jemand. Ein Glück, daß wir nicht mehr am alten Platze liegen!«

Nach und nach entfernten sich die Kanoes wieder. Man hörte noch einige laute Rufe, dann trat wieder die Grabesstille ein.

Bange Stunden vergingen im aufregenden Warten. Immer und immer wieder irrte der Blick zu dem langsam seine Bahn ziehenden Erdtrabanten. Unbekümmert um das Schicksal der dort unten harrenden Menschen, spiegelte dieser sein sichelförmiges Angesicht in dem wie eine polierte Silberscheibe unbeweglich ruhenden See. Unsere Augen verfolgten Zoll um Zoll die Bewegungen des Gestirns. Wir atmeten freier, als das Gebirgsmassiv den Mond hinter seine Zacken zog. Noch eine Weile und die tote Wasserfläche lag in tiefes Dunkel gehüllt.

»Nun los!« rief ich, verstummte jedoch sofort wieder, denn klar und deutlich gab irgendein benachbartes Echo den Ruf zurück, wir zogen aus dieser Warnung Nutzen, indem wir kein unnötiges Wort mehr sprachen und die Ruder mit der allergrößten Vorsicht ins Wasser legten.

Die Javanin, die den fiebernden Kameraden liebevoll pflegte, spähte mit ihren scharfen Augen über den See und gab uns Ruderern die Richtung an. wir selbst konnten weder die Ufer noch sonst etwas bemerken, höchstens daß sich die Kuppen des eben verlassenen Strandes gegen den Himmel abzeichneten.

Mitternacht war längst vorüber und seit Gott weiß wie langer Zeit hoben und senkten wir die schweren Ruderpinnen in gleichmäßigem Takt, wir wußten, daß unsere Sicherheit von unserer Ausdauer abhing und darum ließen wir das Gefühl der Erschlaffung nicht Herr über uns werden. – Da gab die Frau ein kaum hörbares Zeichen. Düwell huschte an ihre Seite und drückte das Steuer nach rechts. Das laute Knarren ließ uns zusammenfahren und schon erwarteten wir irgendeinen Anruf. Es blieb jedoch alles ruhig.

Das Floß beschrieb einen sanften Bogen und näherte sich dem Ufer. Schon sahen wir einige vorgeschobene Schilfstengel. Bald tauchten dunkle Büsche auf, deren Zweige unsere Köpfe mit nächtlichem Tau berieselten. Fragend hingen unsere Blicke an den Zügen des Weibes, das jetzt in voller Figur auf dem Vorderteil des Floßes stand und durch leise Rufe den Kurs angab.

Die Ufer waren auf dieser Seite weniger steil. Man konnte durch den Schilfbestand deutlich hellere Sandbänke unterscheiden. Einzelne Bäume tauchten auf. Dann bemerkten wir plötzlich, wie ein Landstreifen aus dem Dunkel aufstieg und neben unserm Fahrzeuge herlief.

Die Bucht! Hier sollten wir nach Angabe unserer Führerin ungesehen die Flucht zu Lande fortsetzen können? Das schien uns mehr als fraglich. Die Bucht war so eng, daß unser Floß sie fast in ihrer ganzen Breite sperrte. Auch das Wasser wurde seichter. Einige Male berührten die Ruder den Grund.

Gyßler fragte die Javanin.

»Bist du deiner Sache auch ganz sicher, Weib? Irrst du dich nicht? War es nicht doch die andere Bucht, die uns besser gedeckt hätte?«

»Der weiße Mann fragt viel. Ich weiß genau, wo ich bin. Wir fahren noch eine kurze Strecke und dann rasten wir, bis die Nacht wiederum hereinbricht. Am neuen Tage erst werden wir das Dorf hinter uns haben. Dann mögen die weißen Männer ihren Weg allein fortsetzen.«

»Wie? Du willst uns verlassen? Warum ziehst du nicht mit uns zu deiner früheren Farm?«

»Wenn der kranke weiße Mann stirbt, verlasse ich euch. Er wird den dritten Mond nicht mehr aufgehen sehen.«

Bestürzt teilte mir Gyßler die Unkenrufe des Weibes mit, als wir das Floß durch eine breite Barriere von Schilf in einen klaren Teich gedrückt hatten, dessen Ufer mit hohen Bäumen umstanden waren. Wir lagen wirklich vor jeder Überraschung geschützt.

Ich beugte mich zu Liebert nieder, dessen Körper in Feuerhitze glühte. Er war bei vollem Bewußtsein und sagte:

»Nun trete ich bald die große Reise an, von der es keine Rückkehr gibt. Die Javanin schätzt meine Tage nach dem Monde, wenn das erste Viertel voll ist, werde ich abberufen.«

»Die Javanin versteht soviel davon, wie der Alligator dort, lieber Freund, lassen Sie ihr die Freude an ihrem Geschwätz und vertrauen Sie auf uns. Hier! – nehmen Sie diese Dosis Chinin. Die wird das Fieber brechen. Oder verspüren Sie irgendwo Schmerzen? – Nein? Auch gestern nicht – gut. Der Aufenthalt in dem dunstigen heißen Sumpfe hat Ihnen das Fieber gebracht. Damit wissen wir umzugehen. Heute sollen wir hier vor Anker liegen bis wir mit einbrechender Dunkelheit die Bucht aufwärts gehen können! Merkwürdiges Weib, das. Woher die Frau wohl das Fahrwasser so gut kennt?«

Liebert zog mich zu sich heran und flüsterte:

»Ich vermute, sie hat hier herum irgendwo gewohnt. Sie fragte mich in der vergangenen Nacht, ob sie mich in ihr Haus bringen dürfte. Sie ließe uns dann ans Ufer rudern und ich könne in der nächsten Nacht bereits in einem Bette schlafen.«

»Ein merkwürdiges Wesen ist sie immerhin. Ein interessantes Studienobjekt. – Doch da kommt sie. Können Sie sich verständigen?«

»So ziemlich habe ich die malaiische Sprache nun gelernt. Jetzt soll ich den javanischen Dialekt noch studieren...«

Die Javanin warf mir wieder einen glühenden, haßerfüllten Blick zu. Sie konnte die Knebelung von damals immer noch nicht vergessen und ich glaube, sie würde mich mit grausamer Wonne am Marterpfahle der Wilden hinmorden sehen, ohne einen Finger zu rühren. Da ich ihre Sprache nicht verstand, ließ sie mir durch den Kameraden sagen, daß wir hier in der Nähe eines kleinen Dorfes seien. Wir müßten uns unbedingt ruhig verhalten, was auch geschehen möge. Hier lägen wir sicher, weil der Platz von dem Medizinmann des Dorfes in Verruf erklärt worden wäre. Sie selbst würde fortgehen, am Abend jedoch zurückkehren.

»Wohin sie ginge?«

Sie beschrieb einen Kreis mit dem Arm und erwiderte kurz:

»Dorthin!«

Liebert versuchte sich ausrichten. Die Javanin drückte ihn aber sanft auf das Blätterlager zurück und sagte, ihm mit dem Finger drohend:

»Weißer Freund liegen bleiben, krank...«

»Wenn ich krank bin, warum verlässest du mich dann? Ich kann ja sterben und dann bist du nicht bei mir.«

Lächelnd streichelte sie nun die Wangen des Kranken und sagte:

»Du stirbst noch nicht. Heute noch nicht. Die weißen Männer sorgen für dich. Wenn sie tot sind, wirst du mich wieder bei dir finden.«

Mit einem bezeichnenden Blick auf mich, sprang sie in den stillen Teich, tauchte einige Male unter und verschwand mit raschen Sätzen im Walde.

Gyßler und Düwell, welche die Worte vernommen hatten, traten heran.

»Was sagt die Wildkatze? Wenn wir tot sind, dann kommt sie wieder?« Na, die Freude wollen wir dir versalzen, du heimtückische Kreatur! Vorwärts, Kameraden, folgen wir ihrer Fährte. Noch ist sie leicht zu finden, da das Weib sich ja nicht mal das Wasser aus dem Sarong schüttelt. – Ja, so!« unterbrach er sich »Liebert kann ja nicht laufen! Daran habe ich nicht gedacht.«

»Da sie mich ja leben lassen will, habe ich nichts zu fürchten. Meinetwegen machet euch keine Sorge!«

»Was? Du kannst auch nur eine Sekunde lang glauben, wir ließen dich allein hier? Pfui, Liebert, wie kommst du dazu?« erwiderte Düwell gekränkt.

»Nun – euer Leben ist in Gefahr, das meinige nicht. Ich denke, das wäre Grund genug...«

»Würdest du so handeln, Liebert? – Nein! Also ist der Fall schon erledigt. Wir bleiben hier!«

Die Worte der Javanin beunruhigten uns mehr, als wir uns selbst eingestehen mochten. Wir hatten uns zum Schlafen niedergelegt, um einem Angriff der Wilden neugestärkt abschlagen zu können, aber trotz unserer Müdigkeit floh uns der Schlaf. Allerlei trübe Gedanken stellten sich ein. Wir zermarterten uns das Hirn, wie wir uns von heute ab zu der Führerin stellen sollten. War sie wirklich fähig, uns zu verraten? Ich ließ noch einmal die ganze Szene des ersten Zusammentreffens vor meinem innern Auge aufbauen. Ich sah sie während des Marsches... liebevoll gegen Liebert; aufopferungsfähig bis zum Morde in unserm Interesse, und jetzt? Jetzt sollte sie zur Verräterin an uns werden?

Ich kam zu keinem Resultat. Über meinem Grübeln muß ich dann doch eingeschlafen sein, dann plötzlich drang ein durchdringender Schrei an mein Ohr, der mich erschreckt auffahren ließ. Ich hörte ein lautes Stimmengewirr, dann ein Plätschern in der Bucht, dann wieder einen Schrei. Meine Kameraden waren gleich mir aus den Decken geschlüpft und lauschten, die Büchsen schußbereit, auf das, was nun kommen sollte.

Liebert winkte mir:

»Die Javanin schrie um Hilfe!« flüsterte er. »Können wir nichts für sie tun?«

Achselzuckend fragte ich:

»Wissen sie denn, wo sie steckt?«

»Nein, vermutlich sprang sie ins Wasser. Als sie dann noch einmal schrie, durchrieselte es mich kalt. Es gibt hier Krokodile.«

Der Lärm jenseits der Schilfwand dauerte an. Den Lauten nach waren dort Männer im Handgemenge. Ab und zu rollte ein erstickter Schrei durch die Büsche. Schmerzenslaute drangen herüber. Einmal durchschnitt ein Pfeil die Schilfwand und fiel kraftlos in den Teich.

Da wurde es in den Büschen am andern Ufer lebendig. Wie ein Blitz huscht ein Schatten durch das Strauchwerk. Der eine Augenblick genügte, in der Gestalt einen großen, hellfarbigen Mann erkennen zu lassen, der ein breites Messer, einen javanischen Kris, in der Hand hielt und augenscheinlich jemanden verfolgte. Wir hörten noch einen Augenblick lang die Sträucher hinter ihm zusammenschlagen, dann regte sich dort nichts mehr.

Der Kampfeslärm zog sich vom Ufer weg, dem Gebirge zu. Das Echo gab einige Laute besonders klar zurück und deutete uns damit die Richtung an, in der die Streitenden abgezogen waren.

Wir waren den Vorgängen mit begreiflicher Unruhe gefolgt. Wenn wir die Frau nicht seit Wochen bei uns gehabt hätten, so wäre sicher auf sie der Verdacht gefallen, daß sie die Urheberin der Lärmszenen gewesen sei. So verblüffend genau war ihre Vorhersage eingetroffen. Wir hätten uns auch gar nicht gewundert, wenn sie an der Spitze eines Trupps Eingeborener unvermutet aus dem Walde hervorgebrochen wäre.

Es war jetzt an uns, irgend etwas zu unserer Befreiung aus diesem Versteck zu unternehmen. Auf die Rückkehr der Javanin brauchten wir nicht zu warten. Keiner von uns glaubte oder hoffte, sie wieder auf unserer Seite zu sehen. Nur Liebert konnte sich unserer Ansicht nicht anschließen. Bei der Beratung über die zunächst zu ergreifenden Maßnahmen, schlug er folgendes vor:

»Sobald es dunkel wird, also in einer Stunde, rudert ihr das Floß in den See hinaus. Dort bleiben wir liegen, bis ich gesund oder – sonstwie erledigt bin. An Nahrung fehlt es uns nicht. An den Ufern gibt es Enten, Eier und Schildkröten, Fische werden uns im Überfluß zu Gebote stehen. Wir sind vor jeder Verfolgung sicher, und wenn die Wilden wirklich den Mut aufbringen sollten, uns mit Kanoes anzugreifen, dann bezahlen sie die Zeche.«

»Das ist alles recht idyllisch, bester Liebert, aber wie lange wollen wir denn dort liegen bleiben?« unterbrach Düwell die begeisterten Schilderungen des Kranken.

»Laßt mich nur ausreden! Wenn sich die erste Aufregung unter den Wilden gelegt haben wird, muß einer von uns – das Los entscheidet – sich bis zum nächsten holländischen Posten durchschlagen und Entsatz bringen.«

»Und wie weit, wo und in welcher Richtung befindet sich dieser rettende Engel?« spöttelte Gyßler. »Wir Soldaten wissen doch am besten, wie man die Hilferufe einiger Europäer bei unsern Kommandos aufnimmt. Und nun gar diejenigen einiger Kolonialsoldaten. Um deren Rettung rührt kein Offizier eine Hand. Nein, Kameraden, hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, sagt das Sprichwort. Ich nehme den Vorschlag einer Rast mitten auf dem See an, weil ich davon Lieberts Genesung erwarte, sonst aber bin ich für »durch«!

»Ich schließe mich Gyßler in jeder Beziehung an,« erwiderte ich. »Da wir aber möglicherweise bei der Durchfahrt nach dem See etwas Arbeit bekommen, schlage ich vor, die Bordwände unseres Floßes mit einem Schilfschutzwall zu füttern. Durch die Brustwehr dringt so leicht kein Pfeil. Außerdem vertreibt uns die Arbeit die Zeit und die zwecklosen Gedanken.«

»Recht so!« stimmten die andern bei und begannen auch sofort die Schilfhalme mit der Wurzel aus dem Grunde zu ziehen. Axthiebe würden Geräusch verursacht haben.

Als uns die Dunkelheit zur Einstellung der Arbeit zwang, zierte unser Floß ein schöner Kranz von fingerdicken Rohrschößlingen, die in mehreren Lagen aufeinandergepackt, die Mitte des Floßes vor Pfeilen sichern sollte.

Der letzte Ton der um ihre Lagerstätte kämpfenden Affen war verstummt. Die Mondsichel warf ihre ersten zitternden Strahlen durch das Astgewirr und beleuchtete mit ihrem schwachen Scheine die dichtbewachsene Wasserfläche. Da senkten wir die kräftigen Bambusstangen in den schlammigen Grund, und langsam löste sich unser gutes Fahrzeug von seinem Liegeplätze. Ein leises Zittern lief durch die Masse der zusammengefügten Stämme, und mit klingendem Ton zerbarsten die ersten Rohrbestände unter der Wucht des Floßes.

Da plötzlich tönte dicht vor uns aus der Höhe, aus den weitherniederhängenden Ästen eines Waldriesen ein pfeifendes Zischen. Ein leises Knacken der Zweige ließ uns zu den Büchsen greifen. Doch bevor wir noch in Deckung des Schutzwalles springen konnten, flog ein dunkler Schatten auf das Floß und stand in zwei Sätzen neben uns.

Die Javanin!

Wir hatten alles andere eher erwartet, als dieses Weib. In einer Sekunde hatte sie uns zur Seite gestoßen und war zum Lager des Kranken gestürzt. Ein kurzer Händedruck überzeugte sie, daß das Fieber dem Chinin gewichen war, und nun raste sie förmlich, als sie die rückläufige Bewegung des Fahrzeuges wahrnahm.

»Dorthin!« zischte sie. »Dort hinaus liegt die Rettung! Aber so eilt euch doch, schnell! Die Verfolger sind schon dicht bei uns.«

Mich besonders bedachte sie mit unsanften Püffen, weil sie nicht mit Unrecht vermutete, daß ich mich nicht ohne vorherige Darlegung der Gründe in die veränderte Disposition fügen würde.

Düwell mußte meine Fragen nach den Ursachen der so überhasteten Flucht übersetzen. Ein kurzer Ruf brachte die Antwort:

»Der Sadjo ist da!«

Nun erklärte ich mir die Hast der Javanin. Auch für das Kampfgeschrei ließ sich eine Erklärung finden. Ob für uns aber gerade eine so große Gefahr in dem Erscheinen des Sadio lag, darüber hegte ich widerstreitende Ansichten. Ich beschloß, mit Liebert über den Fall zu reden. Unwillkürlich aber sah ich mich inzwischen mit den andern beim Abstoßen unseres Floßes aus der Lagune in offenes Wasser beschäftigt. Ich war dem energischen Auftreten dieser Frau doch wieder gefolgt.

Bald lagen wir im hellen Mondlichte auf einer weiten Wasserfläche. Der schmale Arm stellte die Verbindung zweier Seen dar, von denen der eben verlassene von Bergen umschlossen, dieser aber von einem Kranz dichten Urwaldes an seinen Ufern eingefaßt war. In der Mitte dieses Beckens durften wir uns ebenso sicher vor Überfällen halten, als in dem ursprünglich in Aussicht genommenen Teile.

Das söhnte mich mit dem veränderten Plane wieder aus. Die Umgebung nahm nun wieder einen beruhigenden Charakter an, und die Javanin selbst schlug vor, abwechselnd zu schlafen, um bei Tage für alle Fälle gerüstet sein.

In diesem Arme des Sees wehten auch wieder die frischen, von dem nicht sehr fernen Meere herüberziehenden Winde. Dadurch erhöhten sich die Aussichten für eine baldige Genesung des Kranken. Liebert mußte gesund werden, und wenn wir wochenlang hier treiben sollten! Diesen Entschluß hatten wir vier Männer gefaßt, als wir den ersten Blick über die weite Fläche warfen.

Von zwei Rudern fortbewegt, unterstützt von dem Druck einer frischen Brise, glitt unser Floß langsam in der Mitte des Sees dahin. Die kurzen Wellen versetzten es in eine leise sanft schaukelnde Bewegung und wiegten dadurch unsere dienstfreien Gefährten in einen sanften Schlummer.

Um drei Uhr morgens hinterließ mir mein Vorgänger an der Ruderpinne die Meldung:

»Hinter uns höre ich dann und wann ein Klappern wie von Rudern. Seit der Mond untergegangen ist, unterscheide ich aber nichts mehr, weil seit der Zeit auch der Wind stärker geworden ist. Also Obacht!«

Gyßler stand an der linken Seite vorn, während ich rechts hinten am Ruder hing und gleichzeitig steuerte. Aufmerksam gemacht, glaubte auch ich jetzt in Geräuschen, auf die ich sonst weniger geachtet haben würde, die Schläge von Ruderern zu unterscheiden. Nur wunderte es mich, daß das Kanoe nie näher kam, obwohl ein Einbaum viel schneller durch das Wasser zog als das schwere Floß.

An dem rechten Ufer wurde der dichte Wald von Lichtungen unterbrochen. Ob dies künstliche oder natürliche Anlagen waren, ließ sich nicht unterscheiden. Einmal bemerkte ich jedoch deutlich einen dunkelglühenden Punkt, der nur ein niedergebranntes Feuer bezeichnen konnte. Das linke Ufer zeigte dagegen eine feste schwarzgraue Mauer, den dichten Wald. In dessen Schutz wollte ich den kommenden Tag abwarten. Ich steuerte daher das Floß allmählich auf die linke Seite hinüber, und als die Sonne die Nacht um sechs Uhr ablöste, würde man vom rechten Ufer aus das Floß kaum noch von dem düstern Hintergründe haben unterscheiden können.

Mein erster Blick bei der eintretenden Tageshelle galt dem rätselhaften nächtlichen Verfolger. Ich täuschte mich nicht. Es war ein Einbaum, der dort einsam auf der weißen Wasserfläche trieb. Der Ruderer mußte schlafen, denn es war nichts von einem Lebewesen in dem Fahrzeug zu entdecken. Da ein Verfolger für uns sehr gefährlich werden konnte und ich auch über den Zweck der Verfolgung Näheres zu erfahren wünschte, gab ich dem eben erwachenden Düwell mein Ruder und kniete mich mit der Büchse hinter die Brustwehr. Ich zielte bedächtig. Die Kugel sollte nicht töten, sondern nur den Bug des Kanoes treffen und dessen Richtung verändern. Es mußte sich dann herausstellen, ob ein Feind darin saß.

Der Schuß klang wie ein schwacher Peitschenschlag. Er riß die Javanin aus ihrem festen Schlummer und hatte auch drüben den gewünschten Erfolg. Eine dunkle Gestalt erhob sich blitzschnell und verschwand mit einem Satze im See.

Lachend rief Düwell:

»Der Morgengruß ist dem Nachbarn elend in die Knochen gefahren, Seht nur, wie er ausreißt. Und nach der Mitte zu! Der wird doch wohl nicht den Versuch machen wollen, an das andere Ufer zu schwimmen?«

»Dabei dürfte ihm der Atem ausgehen,« erwiderte Gyßler. »Wie wäre es, wenn wir ihn hinunter zu den Fischen schickten?«

»Nein, keinen Mord!« sagte ich. »Wenn er uns angreift, habe ich nichts dagegen, aber ... was hat denn das Braunfell wieder?«

Die Javanin war bei dem Knall aus ihrem Lager gesprungen und an den Rand des Floßes getreten. Als sie die Gestalt bemerkte, stieß sie einen leisen erstaunten Ruf aus und warf sich zu Boden. So dicht über dem Wasserspiegel konnte sie die schwimmenden Umrisse besser erkennen. Wie es schien, kam ihr der Verfolger bekannt vor, oder sie erwartete doch, bekannte Züge zu erkennen.

Plötzlich erhob sie sich brüsk und sprang an das linke Ruder. Ohne uns ein Wort über ihre Absichten mitzuteilen, lenkte sie den Kopf des Floßes wieder der Mitte des Sees zu und winkte energisch zu dem das rechte Ruder bedienenden Düwell herüber.

»Stopp!« rief ich. »Das gibt es nicht! Ich habe keine Lust, wegen der mehr oder weniger launenhaften Einfälle des Weibes mich in einen Kampf einzulassen. Was hat das zu bedeuten, Gyßler?«

»Sie will dem Schwimmer nach,« antwortete dieser, nach kurzer Verständigung mit der Javanin. »Sie glaubt in dem Manne einen Feind zu erkennen und möchte ihn unschädlich machen.«

»Das kann sie bequemer haben! Der Mann wird das andere Ufer nicht lebend erreichen, dafür sorgen die Krokodile, die sich in dem seichten Wasser aufhalten. Der kommt bald in seinen Einbaum zurück. Dann können wir mit ihm abrechnen.«

Ausnahmsweise widersprach das Weib nicht. Sie schien das Richtige der Gründe selbst einzusehen. Sie fragte aber:

»Warum schwimmt der Mann aber der Mitte und nicht dem linken Ufer zu?«

»Weil er die Krokodile fürchtet. Dann rechnet er mit dem Umstand, daß er bald unsichtbar für uns werden wird,« antwortete ich.

»Warum sollte er unsichtbar werden?« Ungläubig streifte das dunkle Auge mein Antlitz.

»Sobald die Sonne ihre Strahlen flach über das Wasser sendet, verwandelt sie den See in einen goldglänzenden, blendenden Spiegel, der uns jede Fernsicht über die Gegenstände, die dort treiben, raubt. Darauf rechnet der Mann. Er kommt dann zu seinem Kanoe zurück und flieht. Allerdings kann er nicht wissen, daß wir für solche Fälle Brillen besitzen.«

Meine Ansicht bewahrheitete sich. Eine Viertelstunde später bemerkten wir den Kahn hinter uns, wie er eilends dem waldigen Strande zustrebte.

»Halt!« schrie die Javanin mit wutverzerrtem Ausdruck in ihrem Gesicht, »halt, er darf nicht an das Land, oder wir sind verloren.«

»Dem können wir ja abhelfen,« sagte Gyßler. Er nahm die Büchse, zielte, und nach dem Schusse sahen wir einige Splitter auf das Wasser fallen.

»Ein Meisterschuß! Bravo, Gyßler, das Ruder ist ganz zersplittert. Seht nur, wie der Wilde sich abmüht, mit dem Stecken weiterzuarbeiten. Haha – das wird ihm nicht gelingen. Jetzt können wir ihn einfangen, denn hier geht er nicht wieder über Bord!«

Die Javanin, die erwartet hatte, daß wir den Mann töten würden, lief wie toll von einem zum andern und forderte uns auf, sie von dem Verfolger zu befreien. Als wir nur ein Kopfschütteln für ihren Wunsch hatten, lief sie in das Deckshaus, warf sich vor Liebert nieder und flehte diesen an, er möge doch den Wilden erschießen.

Der Mann in dem steuerlosen Schifflein mochte wohl eine Ahnung von dem haben, was ihm bevorstand, wenn er sich noch länger in dem langsam auf uns zutreibenden Baumstamm aufhalten würde. Er stand aufrecht in seinem schwankenden Kahn und prüfte mit den Blicken die Entfernung zum rettenden Walde. Vielleicht erhoffte er von den Krokodilen mehr Gnade als von dem braunen Weibe, das hier für seine Vernichtung kniefällig bettelte.

Die Entfernung von unserm Floße betrug höchstens fünfzig Meter. Da er die Wirkung unserer Waffen auf die bedeutend größere Strecke bereits kennengelernt hatte, mußte er wissen, daß ihm von uns Männern keine unmittelbare Gefahr drohte. Er blieb daher ruhig stehen und bot uns dadurch Gelegenheit, ihn genau zu betrachten.

Wir waren übereinstimmend der Meinung, einen Javanen oder wenigstens einen Malaien vor uns zu haben. Ein Abkömmling der Stämme, die uns bisher auf Celebes zu Gesicht gekommen waren, konnte er keinesfalls sein.

Düwell rief ihn darauf in malaiischer Sprache an. Als keine Antwort erfolgte, versuchte es Gyßler in der Budjisprache. Die mußte er verstehen. Er nickte ein paarmal, gab aber keinen Ton von sich.

Da kam die Javanin wieder aus der Deckshütte! Und nun folgte eine Szene, in der die ganze Wildheit dieser unzivilisierten Inselbewohner grell zutage trat. Mit einem Schrei, wie ihn ein gereiztes Raubtier ausstößt, begrüßten sich die beiden. Rasende Wut, tödlicher Haß schoß aus den Augen der Gegner, die nur noch zwanzig Meter Wasser trennte. Das Weib riß ein Messer aus ihrem Gürtel und schleuderte es mit großer Gewandtheit dem andern entgegen. Es streifte den Arm des Mannes und fiel klatschend ins Wasser. Ein schwacher blutiger Streifen bewies den Treffer.

Aber auch der Gegner sann auf Rache. Prüfend wog er eine kurze Lanze in der Hand und schien sie auf das Weib, das frei am Steuer stand, abwerfen zu wollen. Er besann sich aber anders. Blitzschnell warf er sich in die Flut und verschwand im Nu unter Wasser. Eine Minute später tauchte der Kopf neben dem Floß auf, und ehe wir noch recht begriffen, was der Wilde beabsichtigte, schoß ein brauner Arm aus dem See und packte wie mit Eisenklammern den Fuß des Weibes. Ein schneller Ruck warf sie zu Boden...

Auf den wahrhaft markerschütternden Schrei der Javanin eilten wir zu der Stelle, an der sich jetzt ein aufregender Kampf blitzschnell abspielte. Auch Liebert verließ seine Hütte, um seiner Pflegerin beizustehen. Mit Aufbietung seiner ganzen schwachen Kraft erfaßte er einen Arm des Weibes und vereinigte seine Rufe um Beistand mit dem erschütternden Hilfegeschrei der Frau. Aus den Augen des Mannes schossen Blitze grausamer Freude, als er seinen Vorteil bemerkte. Mit Riesenkraft riß er die Beute an sich, und er hätte sie auch in der nächsten Sekunde in die Fluten hinabgerissen, wenn nicht eine höhere Macht eingegriffen hätte.

Gerade in dem Augenblick, als Gyßler den Kolben hob, um den frechen Mordbuben den Schädel zu spalten, stieß dieser einen gurgelnden Schrei aus. Sein Griff lockerte sich, der Kopf schlug nach hinten auf das Wasser, und in der nächsten Sekunde verschwand er unter dem Boden des Floßes.

Der ganze Vorgang hatte keine Minute gedauert. Ehe wir auf dem Vorderteil des Fahrzeuges noch recht erfassen konnten, was dort am Steuer vorging, näherte sich das Drama schon seinem Ende.

Liebert zog die bewußtlose Frau vollends auf das Deck, um sie vor dem gleichen Schicksal zu bewahren, und fiel dann selbst in Ohnmacht. Düwell übernahm es, die beiden Kranken zu versorgen, während ich mit Gyßler das Floß wieder in einen richtigen Kurs zu bringen versuchte. Als ich das Ruder eintauchte, klatschte ein starker Schlag neben mir auf das Wasser, und ich sah ein paar gewaltige Krokodile in die Tiefe sinken. Ein leichtes Rot deutete die Stelle an, wo soeben ein Menschenleben im Rachen der Reptile sein Dasein beendet hatte.

Inzwischen tauchten am gegenüberliegenden Strande dunkle Punkte auf. Durch das Fernglas erkannte ich Männer, Frauen und Kinder, die sich anscheinend mit Fischen beschäftigten. In der Ferne, dort, wo wir die letzte Nacht verbrachten, tummelten sich Kanoes auf der Flut. Um uns vor unbequemen Besuchern zu schützen, ruderten wir daher das Floß in eine kleine Einbuchtung und verankerten es dort unter dem Schatten hoher Bäume im Sande.

»Ich möchte bloß wissen, Gyßler, wie der Wilde zu unserer Gefährtin stand,« sagte ich, als wir uns im sicheren Hafen sahen. »Wenn ich an die haßerfüllten Blicke denke, die sich die beiden zuwarfen, dann läuft mir jetzt noch ein Gruseln über den Körper. Wie alt und wie tief muß eine Leidenschaft sein, die sich in derartigen Rachegelüsten einen Ausweg sucht. Was wäre dem Weibe geschehen, wenn die Krokodile nicht so rechtzeitig eingegriffen hätten?«

»Ich bin selbst aus der ganzen Geschichte nicht klug geworden,« erwiderte Gyßler. »Wahrscheinlich ist die hartnäckige Verfolgung des Mannes die Triebfeder zu der Flucht der Javanin gewesen. – Doch dort kommt Düwell, der weiß es vielleicht!«

»Was soll ich wissen?« fragte der Gefährte, der die letzten Worte gehört hatte.

»Wer der gelbhäutige Wilde war, der eben gefressen wurde.«

»Das war der so oft erwähnte grausame Sadjo-Häuptling, der unsere Gefährtin vor vielen Monaten aus einer Farm geraubt hat und sie seit der Zeit auf alle erdenkliche Art quälte. Sein Rachedurst hat ihn keine Mühe scheuen lassen, die Entflohene wieder einzufangen. Dann hätte allerdings ein gräßlicher Foltertod ihrer geharrt.«

»Also ist die ganze Entführungsgeschichte wirklich wahr?« fragte ich.

»Ich glaube es. Wenn man die Frau, wie ich es tat, in der letzten Zeit der allgemeinen persönlichen Sicherheit beobachtete, so kam man unwillkürlich zu dem Urteil, daß das Weib eine durchaus ehrliche und brave Haut ist. Sie haben das nicht so gemerkt, weil sie gegen Sie einen vielleicht auf Mißverständnissen beruhenden Groll hat und sich deshalb schroff zeigte.«

»Das kann ich mir denken. Ich ließ sie ja fesseln, als ich glaubte, ihrer nicht sicher zu sein. – Übrigens, wo ist sie jetzt?«

»Sie liegt in ihrem Verschlage und weint.«

»Und Liebert? Wie geht es dem?«

Düwell schüttelte bedenklich den Kopf.

»Ich glaube, daß er es nicht mehr lange macht. Die Strapazen greifen ihn furchtbar an. Wenn er nicht bald in geregelte Pflege kommt...«

»Na, ich denke, daß wir nicht mehr weit von der Küste sein können. Gelingt es uns, unbehelligt aus dieser unfreundlichen Nachbarschaft fortzukommen, dann ist unsere Rettung nur noch eine Frage von Tagen.«

»Wie aber sollen wir den Kranken transportieren? Legen wir ihn auf eine Bahre, dann sind wir nicht Herr unserer Bewegungen – und gehen kann er nicht.«

»Dann bleiben wir hier so lange liegen, bis Liebert genesen ist. Wenn es nicht anders geht, reise ich allein voraus und schicke von der nächsten Plantage Hilfe – und wenn es nur Pferde sind, die ihm den Weg erleichtern, so ist das schon eine große Unterstützung.«

Die Javanin trat aus ihrer Hütte und schritt langsam auf uns zu. In ihren Mienen war eine große Veränderung vorgegangen. Der heroische, stolze Zug war einem schmerzlichen Ausdruck gewichen. Aus dem sanften Auge strahlte freundliches Lächeln.

»Habt Dank, ihr weißen Männer. Ihr habt mich dem Leben wiedergegeben. Der dort sein Ende fand, war ein grausamer Mörder, der mich mit allen Mitteln in seine Gewalt zwingen wollte. Der Stamm der Sadjo wird froh sein, daß der Schuft niemals zurückkehren kann. – Nun werde ich bald die Meinen wiedersehen. – Oh, wie ich mich freue!«

»Wie weit ist es noch bis zu deinem Dorfe?« fragte Gyßler.

»Der See, ein Berg, ein Wald. Dreimal geht die Sonne unter, dann sehen wir die Palmen auf unserer Höhe,« erwiderte sie, mit einem frohen Hoffen im Auge.

»Wirst du uns den Weg zeigen? Du weißt, daß auch wir zu den Häusern der weißen Männer gehen wollen.«

Die Javanin nickte hastig und rief dann:

»Gewiß zeige ich euch den Weg. Heute, wenn die Sonne hinter den Bergen untertaucht, werden wir aufbrechen...«

»Das geht nicht,« unterbrach Düwell. »Du vergissest, daß wir einen kranken Freund haben. Er kann nicht gehen, und wir werden bei ihm bleiben, bis er gesund ist.«

Die Einrede warf einen Schatten auf ihre Züge. Nachdenklich starrte sie auf den Wasserspiegel und schien etwas zu überlegen.

»Du hast recht, weißer Mann. Mein armer Freund wird ohne mich sterben. Ich bleibe bei ihm!« –

»Glaubst du, daß uns die Anwohner des andern Ufers freundlich gesinnt sein werden, wenn sie uns hier finden?«

»Die Orang Budji? Warum nicht? Ich war gestern bei ihnen und sah dort ein paar Freunde. Die Orang Budji sind nur den Soldaten der Wolanda feindlich gesinnt. Die töten sie, wo sie ihnen begegnen. Und ihr seid doch keine Soldaten der Wolanda?«

»Nein, ganz gewiß nicht!« rief ich schnell. »Ich habe noch nie die Kleider eines Soldaten der Wolanda getragen. Wir alle sind Djarmans, keine Wolanda!«

»Nun, dann habt ihr auch nichts zu fürchten!« sagte sie.

»Aber es wäre uns doch lieb, wenn uns die Orang-Budji nicht besuchten. Wir möchten nach der langen Reise einige Zeit ganz ruhig leben. Wenn du es nicht dringend mußt, dann gehe nicht zu den Menschen in das Dorf.«

Die Frau schüttelte erstaunt den Kopf:

»Das begreife ich aber nicht. Die Männer werden euch bewirten und sich freuen, wenn die Djarman in ihr Dorf kommen.«

»Aber Liebert wünscht das nicht. Er ist krank und liebt es, mit dir und uns allein zu sein.«

»Ist das wahr?« fragte sie ungläubig.

»Laß uns zu ihm gehen und ihn fragen,« schlug ich vor.

Liebert war eben erwacht, als wir zu ihm traten. Schnell kam nun die Javanin mit der Frage zuvor:

»Ist es wahr, daß mein kranker Freund lieber mit mir allein hier bleibt, als die Männer der Orang Budji zu empfangen?«

Lächelnd bestätigte Liebert die Frage, deren Bejahung ihm durch die heimlichen Zeichen der Gefährten nahegelegt wurde.

»Oh, dann ist es gut!« jubelte sie, indem sie in die Hände klatschte. »Dann wird mein weißer Freund schnell gesund. Ich sende einen Boten in unsere Heimat, und dann werden sie uns holen...«

»Tue das nicht, liebes Kind,« sagte der Kranke, indem er ihre Hände ergriff. »Es ist mir viel lieber, hier von dir gepflegt zu werden, als in der Heimat von weißen Männern. Bitte bleibe hier und pflege mich gesund. Dann werden wir gemeinsam heimgehen.«

Wir verließen die Hütte, um uns zu besprechen.

»Wenn hier Leute wohnen, die mit der Küste verkehren, dann bin ich nicht sicher vor einer Entdeckung. Ich war lange dort oben und viele Orang Budji gingen bei uns aus und ein. Ich würde sofort als Soldat erkannt werden, und dann wäre es aus mit unserer Ruhe,« sagte Gyßler.

»Vielleicht herrscht augenblicklich wieder ein Kriegszustand zwischen Regierung und Eingeborenen. Sonst kann ich mir den plötzlichen Haß nicht erklären,« warf Düwell ein. »Jedenfalls müssen wir die Wildkatze hindern, an Land zu gehen, sonst bringt sie am Ende doch ein paar Freunde mit.«

»Liebert muß sie durch gute Worte zurückhalten,« erwiderte ich. »Ich werde mit ihm reden. Mir nimmt die Javanin es nicht übel, wenn ich deutsch mit ihm spreche, weil ich ja das Malaiische nicht verstehe.«

Es gelang Liebert in der Tat, die Frau während der nächsten acht Tage auf dem Floße festzuhalten. Unter allerlei Vorwänden brachten wir es fertig, das Fahrzeug allnächtlich ein gut Stück vorwärts zu rudern. Endlich gebot aber die Javanin energisch Halt. Jenseits der vor uns liegenden Bergkette sollte das so heiß ersehnte Ziel liegen.

Als Liebert die frohe Kunde vernahm, überflog ein freudiger Hoffnungsstrahl seine bleichen Züge. Er richtete sich auf und bat, ihn an den Rand des Floßes zu führen. Dort blickte er lange in die Ferne und flüsterte die leisen Worte:

»Nein, Becker, ich komme doch noch nicht!«

Sein Arm suchte die Pflegerin. Als diese sorgend herbeisprang, sagte er:

»Laß uns in deine Heimat gehen, liebes Kind. Ich werde stark sein, komm!«

Leuchtende Blicke umfingen den Kranken:

»Darf ich jetzt Eingeborene um Hilfe rufen?« fragte sie freudig überrascht.

»Nein, nein! Die weißen Freunde werden mich tragen, wenn ich meine Kraft schwinden fühle. Wir sind lieber allein – ohne Wilde.«

Schon vor Tagesanbruch nahmen wir am nächsten Morgen Abschied von unserer liebgewordenen Behausung. Aus langen Bambusstangen war in der Nacht noch eine kunstvolle Tragbahre entstanden, die sogar eines Sonnendaches nicht entbehrte. Auf diese betteten wir unsern kranken Kameraden und trugen ihn nun abwechselnd bis an den Fuß des Gebirges. Hier erwartete uns noch eine Überraschung.

Als bereits alles um das Lagerfeuer zur Ruhe gebettet lag, hörte ich leises Flüstern in den nahen Büschen. Ich weckte die Javanin und teilte ihr meine Befürchtung, die Wilden könnten uns überfallen, mit. Die mutige Frau erhob sich sofort. Sie rief ein paar Worte in die Dunkelheit, worauf sich zwei bewaffnete Männer aus dem Gestein schälten und mich und meine Kleidung genau betrachteten. Unterdessen ging die Unterhaltung zwischen der Javanin und den Wilden äußerst lebhaft hin und her. Endlich entfernten sich die Besucher, und ich hörte ihre Gespräche noch lange über unsern Köpfen.

»Es waren Krieger der Orang-Budji,« sagte uns die junge Frau. »Sie suchen Soldaten der Wolanda, die hier im Gebirge versteckt sein sollen. Ich habe ihnen aber die Wahrheit gesagt!«

Um weiteren derartigen Untersuchungen aus dem Wege zu gehen, veranlaßte Liebert seine Pflegerin, einen weniger gefährlichen Pfad zum Übergang über das Gebirge zu wählen. Wir hatten dafür mit anderen mordgierigen Gesellen zu tun. In einem sumpfigen Gelände fielen die Moskitos in ganzen Wolken über uns her. Wir waren gezwungen, jeder einen qualmenden Feuerbrand in die Hand zu nehmen, um uns einigermaßen vor den wütenden Bissen der Mücken zu schützen.

Das war das letzte Ungemach auf unserm Marsche. Am nächsten Mittag kündete uns ein lauter Jubelschrei der Javanin die Nähe der väterlichen Farm an.

Rasch sammelten sich auf den Ruf die Bewohner vor dem Anwesen und blickten staunend auf den seltsamen Zug, der dort langsam das Tal hinaufstieg. Ein alter Mann trat auf die mit hohen Palmen bewachsene Anhöhe, um die winkende Frauengestalt genauer ins Auge zu fassen... Plötzlich wankte er und sank zu Boden. Nun hielt sich die Javanin nicht länger. Die Liebe zum Vater siegte über die Sorge um den geliebten weißen Mann. Mit einem lauten Aufschrei flog sie den Berg hinauf und zu der Greisengestalt...

Wir zogen still in den geräumigen Hof und setzten unsere teuere Last im Schatten mächtiger Fruchtbäume zu Boden. Dann wandten wir den sehnsuchtsvollen Blick nach Westen, dorthin, wo unsere Wiege stand. Ob ein gütiges Geschick auch uns dereinst ein so frohes Wiedersehen mit unseren Lieben bescheren würde? Eine leise Wehmutszähre drängte sich in unser Auge ...

Liebert blieb auf der Farm und fand später in seiner Pflegerin eine treue Lebensgefährtin. Wenige Tage später setzten wir drei den Wanderstab weiter – der Zivilisation entgegen. In Menado erregte unser Erscheinen großes Aufsehen, und mit großer Spannung vernahmen die Behörden die Erzählung unserer Erlebnisse auf unseren Streifzügen durch Celebes.


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