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Napoleon oder der Mann des weltlichen Erfolges

Unter den hervorragenden Persönlichkeiten des neunzehnten Jahrhunderts ist Bonaparte bei weitem die gewaltigste und die bestbekannte. Diese Bedeutung verdankt er der Treue, mit welcher er die Gedanken, den Glauben und das Streben der großen Menge thätiger und gebildeter Menschen zum Ausdruck bringt und in sich verkörpert. Nach der Lehre Swedenborgs besteht jedes Organ aus homogenen Teilchen, oder, wie es manchmal ausgedrückt wird: Jedes Ganze ist aus gleichartigen Einzelwesen zusammengesetzt; das heißt, die Lunge besteht aus lauter unendlich kleinen Lungen, die Leber aus unendlich kleinen Lebern, die Niere aus lauter kleinen Nieren. So können wir auch, dieser Analogie folgend, sagen: Wenn jemals ein Mann die Kraft und die Neigung gewaltiger Massen mit sich reißt, wenn Napoleon Frankreich, wenn Napoleon ganz Europa ist, so ist der Grund dieser Erscheinung in nichts anderem zu suchen, als daß die Leute, die er bewegt und beherrscht, lauter kleine Napoleons sind.

Unsere Gesellschaft bewegt ein ständiger Kampf zwischen den konservativen und den demokratischen Klassen; zwischen jenen, die ihren Weg gemacht, und den Jungen und Armen, welche ihn noch zu machen haben; zwischen den Interessen toter Arbeit, – das heißt, den Interessen einer Arbeit, die von Händen geleistet worden, welche längst im Grabe ruhen, einer Arbeit, die heute selbst in Renten, Landgütern und Gebäuden begraben liegt, deren Besitzer müßige Kapitalisten sind – und den Interessen der lebendigen Arbeit, die sich gern selbst in den Besitz von Landgütern, Gebäuden und Renten setzen möchte. Die erstgenannte Klasse ist furchtsam, selbstsüchtig, illiberal, haßt Neuerungen und büßt durch den Tod unaufhörlich an Zahl ein. Die zweite Klasse ist ebenso selbstsüchtig, begeht unaufhörliche Übergriffe, ist kühn und selbstvertrauend, an Zahl der anderen allezeit überlegen und vermehrt ihre Zahl allstündlich durch neue Geburten. Sie begehrt, daß jede Straße dem Wettbewerb aller freigehalten werde, und daß die Anzahl der Straßen möglichst vermehrt werde, – es ist die Klasse der geschäftigen Leute in Amerika, in England, in Frankreich, in ganz Europa, die Klasse des Talents und der Industrie; Napoleon ist der Vertreter dieser Klasse. Der Instinkt aller thätigen, tapferen und fähigen Leute der Mittelklassen in jedem Lande hat Napoleon sofort als den fleischgewordenen Demokraten erkannt. Er hatte ihre Tugenden und ihre Laster, vor allem aber ihren Geist und ihre Ziele. Dieses Streben ist ein materielles, es geht auf sinnlichen Erfolg und wendet zu diesem Ende die reichsten und mannigfaltigsten Mittel auf; es benutzt alle vorhandenen mechanischen Kräfte und ist dabei dennoch im höchsten Maße intellektuell, mit umfassenden und sehr genauen Kenntnissen und Fertigkeiten ausgerüstet, ordnet aber all diese geistigen Mittel dem materiellen Erfolge unter. Der reiche Mann zu werden, ist ihr Ziel. »Gott hat jedem Volke einen Propheten in seiner eigenen Zunge beschert,« sagt der Koran. Paris, London und New-York, der Geist des Handels, des Goldes, der materiellen Kraft, sollten gleichfalls ihren Propheten erhalten, und Napoleon wurde als der geeignete Mann befunden und ausgesandt.

Jeder der Millionen Leser, die sich mit Anekdoten, Memoiren, Biographien Napoleons beschäftigen, hat seine Freude an dem Buche, weil er darin seine eigene Geschichte studiert. Napoleon ist durchaus modern, auf dem Gipfel seines Glückes erfüllt ihn derselbe Geist, der unsere Zeitungen erfüllt. Er ist kein Heiliger, »kein Kapuziner,« um seine eigenen Worte zu gebrauchen, und er ist, im hohen Sinne des Wortes, auch kein Held. Der Mann von der Gasse entdeckt in ihm dieselben Qualitäten und Fähigkeiten, die er in anderen Leuten von der Gasse findet. Er entdeckt in ihm einen Mann, der, wie er selbst von bürgerlicher Geburt, durch sehr klarliegende Verdienste zu einer so gebietenden Stellung emporkam, daß er all den Gelüsten nachgeben konnte, welche der gemeine Mann besitzt und verbergen und verleugnen muß: Gute Gesellschaft, gute Bücher, schnelles Reisen, persönliches Gewicht, die Ausführung all seiner Ideen, die Stellung eines Wohlthäters gegenüber allen Leuten, die ihn umgeben, die verfeinerten Genüsse, Statuen, Musik, Paläste und konventionelle Ehren – genau das, was dem Herzen jedes Mannes im neunzehnten Jahrhundert erwünscht ist, all das besaß dieser mächtige Mann.

Es ist natürlich, daß ein Mann, der sich mit solcher Treue dem Geiste der Massen anzupassen wußte wie Napoleon nicht nur ein Repräsentant, sondern geradezu ein Usurpator der anderen Geister wird und sie gleichsam kraft eines Monopols beherrscht. So war Mirabeau der Plagiator jedes guten Gedankens, jedes geistreichen Wortes, das in Frankreich gesprochen ward. Dumont erzählt, daß er eines Tages auf der Galerie der Nationalversammlung saß und eine Rede Mirabeaus anhörte. Ein Einfall ließ Dumont zu dieser Rede einen passenden Schluß verfassen, den er sogleich mit Bleistift niederschrieb und Lord Elgin zeigte, der neben ihm saß. Lord Elgin lobte den Schluß, und am Abend zeigte Dumont sein Konzept Mirabeau selbst. Mirabeau las es, erklärte es für vortrefflich und bemerkte, daß er dasselbe seiner morgigen Rede in der Versammlung einverleiben werde. »Es ist unmöglich,« sagte Dumont, »da ich es unglücklicherweise bereits Lord Elgin gezeigt habe.« »Und wenn Sie es Lord Elgin und noch fünfzig Personen außerdem gezeigt haben, werde ich es morgen dennoch sprechen.« Und er that dies auch in der Sitzung des nächsten Tages, und mit dem größten Erfolge. Denn Mirabeau, mit seiner überwältigenden Persönlichkeit, fühlte, daß diese Dinge, die seine Gegenwart inspirierte, ebensosehr sein eigen waren, als wenn er sie selbst gesagt hätte, und daß erst seine Adoption ihnen ihr Gewicht gab. Noch absoluter, noch centralisierender wirkte der Mann, der der Nachfolger von Mirabeaus Popularität war, der eine ganz andere Vorherrschaft über Frankreich gewann als er. In der That, ein Mann vom Gepräge Napoleons hört beinahe auf, eine private Meinung und Rede zu haben. Er besitzt eine so gewaltige Receptivität und eine solche Stellung, daß er gleichsam zu einem Comptoir für allen Verstand, Geist und Kraft seiner Zeit und seines Landes wird. Er gewinnt die Schlacht; er macht den Code; er schafft ein neues System für Maß und Gewicht; er nivelliert die Alpen; er baut die Straßen. Alle hervorragenden Ingenieure, Gelehrten und Staatsmänner erstatten ihm Bericht; dasselbe thun alle fähigen Köpfe jedes Berufszweiges; er wählt die besten Maßregeln aus und giebt ihnen sein Gepräge, und nicht nur ihnen, sondern überhaupt jedem glücklichen und denkwürdigen Ausdruck. Jede Sentenz, die Napoleon ausspricht, und jede Zeile, die er schreibt, verdient gelesen zu werden, denn sie stellt die Meinung Frankreichs dar.

Napoleon war der Abgott der gemeinen Leute, weil er in einem außerordentlichen Grade die Eigenschaften und Fähigkeiten der gemeinen Leute besaß. Es gewährt eine gewisse Befriedigung in der Politik, auf den letzten Grund zu kommen und einmal alle Heuchelei und Scheinheiligkeit los zu werden. Gleich der großen Klasse von Menschen, als deren typischer Vertreter er erscheint, rang auch Bonaparte um Macht und Reichtum – aber Bonaparte speciell mit der vollkommensten Skrupellosigkeit in der Wahl seiner Mittel. Alle Gefühle, welche das Streben der Menschen nach diesen Zielen behindern, setzte er beiseite. Gefühle waren für Weiber und Kinder da. Fontanes sprach i. J. 1804 nur Napoleons eigenste Ansicht aus, als er ihn im Namen des Senats mit den Worten anredete: »Sire, das Streben nach Vervollkommnung ist die schlimmste Krankheit, die je den menschlichen Geist betroffen hat.« Die Advokaten der Freiheit und des Fortschritts sind »Ideologen« – ein Ausdruck der Verachtung, den er oft im Munde führt: »Necker ist ein Ideologe,« »Lafayette ist ein Ideologe.«

Ein nur zu wohlbekanntes italienisches Sprichwort lautet: »Wer Erfolg haben will, darf nicht zu gut sein.« Innerhalb gewisser Grenzen ist es vorteilhaft, sich von den Gefühlen des Mitleids, der Dankbarkeit und Hochherzigkeit unabhängig gemacht zu haben; das, was vorher für uns eine unübersteigliche Schranke war und es für andere noch ist, wird nun eine brauchbare Waffe für unsere Zwecke, gerade wie der Winter den Strom, der eine so gewaltige Sperre war, in die glatteste aller Straßen verwandelt.

Napoleon machte sich ein für allemal von Gefühlen und Neigungen unabhängig und arbeitete mit Kopf und Händen für sich und nur für sich. In seiner Laufbahn ist nichts Wunder und nichts Zauberei. Er ist ein Arbeiter, der in Erz und Eisen, in Holz und Erde, in Straßen und Gebäuden, in Geld und Truppen arbeitet und sich in allem als der folgerichtigste und vernünftigste aller Meister bewährt. Er kennt keine Schwäche, nichts an ihm ist aus Büchern geschöpft, er arbeitet mit der Sicherheit und der Präcision einer Naturkraft. Er hat sein eingeborenes Gefühl für das Wesen der Dinge, seine Sympathie mit ihnen nicht verloren. Vor solch einem Manne geben die Menschen Raum wie vor einem Elementarereignis. Es giebt ja Leute genug, die vom Leben der Dinge ergriffen sind, wie Bauern, Schmiede, Seeleute und Handwerker im allgemeinen; und wir wissen, wie real und körperlich solche Leute neben Gelehrten und Grammatikern erscheinen: aber es fehlt ihnen die Fähigkeit zu organisieren, sie sind wie Hände ohne Kopf. Aber Bonaparte besaß außer dieser erdentsprungenen animalischen Kraft die höchste Scharfsicht und die Gabe der Generalisation, sodaß die Menschen in ihm die Kräfte der Natur und des Geistes verbunden sahen, als ob Land und Meer Fleisch geworden wären und mit menschlichen Ziffern zu rechnen begonnen hätten. Darum scheinen Land und Meer ihn zu erwarten und vorauszusetzen. Er erschien auf seinem eigenen Boden, und der nahm ihn auf. Dieser rechnende Arbeiter wußte, womit er arbeitete, und das Resultat war ihm nichts Unerwartetes. Er kannte die Eigenschaften von Gold und Eisen, von Rädern und Schiffen, von Heeren und Diplomaten, und verlangte von jedem, daß es nach seiner Art wirke und arbeite.

Die Strategik war das Spiel, in dem er seine Arithmetik verwertete. Sie bestand, nach seiner eigenen Angabe, darin, auf dem Punkt, wo der Feind angegriffen wird oder angreift, stets mehr Mannschaft als der Feind zu haben; und sein ganzes Talent verwendet er mit der äußersten Anspannung auf endlose Manöver und Evolutionen, um stets im Winkel auf den Feind zu marschieren und die Truppen desselben einzeln zu vernichten. Es leuchtet ein, daß ein ganz kleines Corps, das so rasch und geschickt manövriert, daß es auf dem Punkt des Gefechts stets zwei Mann gegen einen stellt, auch einer weit größeren Truppenmacht überlegen sein muß.

Die Zeiten, seine Konstitution, die früheren Ereignisse seines Lebens, alles vereinigte sich, um diesen Muster-Demokraten zu entwickeln. Er besaß die Vorzüge seiner Gattung und die Bedingungen für ihre Wirksamkeit. Der scharfe Verstand, der, sobald er ein Ziel ins Auge gefaßt hat, auch schon die Mittel, es zu erreichen, erkennt; die Freude am Gebrauch dieser Mittel, an der Wahl, an der Vereinfachung und Kombination derselben; das scharfe zielbewußte Vorgehen und die Gründlichkeit, mit der es geschah; die Klugheit, mit welcher alles gesehen, und die Energie, mit der alles gethan wurde, machen ihn zum natürlichen Organ und Haupt der Partei, die ich nach der Ausdehnung, die sie gewonnen hat, beinahe die moderne Partei nennen möchte.

Die Natur hat an jedem Erfolg bei weitem den größten Anteil, und so auch an dem seinen. Solch ein Mann wurde gebraucht und solch ein Mann wurde geboren; ein Mann aus Stein und Eisen, der sechzehn oder siebzehn Stunden im Sattel sitzen konnte, der viele Tage hintereinander ohne andere Ruhe und Nahrung, als in gelegentlichen raschen Pausen aufgeschnappt werden kann, verbringen konnte, der in der Aktion mit der furchtbaren Schnelligkeit und dem Satze des Tigers vorging; ein Mann, den keinerlei Skrupel hemmten; kompakt, drängend, selbstsüchtig, klug und von einem Scharfblick, den keine Behauptung, kein Vorwand anderer, kein Aberglaube, keine Hast oder Hitze in ihm selbst täuschen oder irre leiten konnten. »Meine eiserne Hand,« sagte er, »befand sich nicht am Ende meines Armes, sie war unmittelbar mit dem Kopf verbunden.« Er ehrte die Macht der Natur und des Schicksals und schrieb ihr seine Superiorität zu, anstatt sich wie geringere Menschen seiner Hartnäckigkeit, seines wagenden Kampfes gegen die Natur zu brüsten. Seine Rhetorik bewegte sich mit Vorliebe in Anspielungen auf seinen Stern; und er gefiel sich und dem Volk, wenn er sich als das »Kind des Geschicks« bezeichnete. »Man wirft mir,« sagte er, »große Verbrechen vor. Männer von meinem Schlage begehen keine Verbrechen. Nichts war einfacher als meine Erhebung: man sucht sie vergeblich Intriguen und Verbrechen zuzuschreiben; sie lag in dem eigentümlichen Charakter der Zeit und in meinem Rufe, gegen die Feinde meines Vaterlandes tapfer gekämpft zu haben. Ich bin stets mit der Meinung der großen Massen und mit den Ereignissen gegangen. Was also hätten Verbrechen mir nützen sollen?« Und wiederum sagte er, von seinem Sohne sprechend. »Mein Sohn kann mich nicht ersetzen; ich selbst könnte mich nicht ersetzen. Ich bin das Geschöpf der Zeitverhältnisse.«

Er besaß eine Energie, eine Direktheit der Aktion, wie sie niemals vorher mit so sicherem Verständnis verbunden war. Er ist ein Realist, der allen Schwätzern furchtbar ist, und jeden, der die Wahrheit bemänteln will, in Verwirrung bringt. Er erkennt auf den ersten Blick den Punkt, um den die Sache sich dreht, wirft sich auf die Stelle, die Widerstand leistet, ohne auf irgend etwas anderes Rücksicht zu nehmen. Seine Stärke ruht auf der sichersten Grundlage, auf der Einsicht. Er ist nie in einen Sieg hineingetappt, er hat jede seiner Schlachten im Kopf gewonnen, bevor er sie auf dem Schlachtfelde gewann. Seine hauptsächlichsten Mittel liegen in ihm selbst. Er fragt niemand um Rat. Im Jahre 1797 schrieb er an das Direktorium: »Ich habe den Feldzug geführt, ohne irgend jemand zu Rate zu ziehen. Ich hätte nichts leisten können, wenn ich gezwungen gewesen wäre, mich nach den Ideen jemandes anderen zu richten. Ich habe einige Vorteile gegen überlegene Truppenmächte erfochten, und zwar zu einer Zeit, in der es uns an allem Nötigen vollständig gebrach, weil durch die Überzeugung, euer Vertrauen zu besitzen, mein Thun dem Denken an Schnelligkeit nicht nachgab.«

Die Weltgeschichte ist voll von den Thorheiten, welche Könige und Regierungen begehen. Sie sind wirklich eine Klasse von Menschen, mit der man viel Mitleid haben muß, weil sie nie wissen, was sie zu thun haben. Die Weber streiken um Brot, und der König und seine Minister, die nicht wissen, was sie thun sollen, begegnen ihnen mit Bajonetten. Aber Napoleon verstand sein Geschäft. Er war ein Mann, der in jedem Augenblick, in jeder Lage genau wußte, was er im nächsten Augenblick zu thun hatte. Das ist eine große Beruhigung und Erfrischung für die Seele, und zwar nicht nur für Könige, auch für Bürgersleute. Die wenigsten Leute haben überhaupt ein »Nachher,« die meisten leben von der Hand in den Mund, ohne Plan, stehen immer am Ende ihrer Bahn und warten nach jeder Handlung auf einen neuen Impuls von außen. Napoleon wäre der erste Mann der Welt gewesen, wenn seine Ziele rein und gemeinnützlich gewesen wären. Aber auch so wie er ist flößt er durch die außerordentliche Einheit all seines Thuns Kraft und Vertrauen ein. Er ist immer fest, immer sicher, stets bereit, sich selbst zu verleugnen, seine eigene Person dranzusetzen, opfert alles seiner Absicht – Geld, Truppen, Generale und seine eigene Sicherheit; läßt sich nie wie gewöhnliche Abenteurer von dem Glanz seiner Mittel in die Irre führen. »Die Ereignisse dürfen nie die Politik bestimmen,« sagte er, »sondern die Politik muß die Ereignisse bestimmen.« »Sich von jedem Vorfall hinreißen lassen, heißt überhaupt kein politisches System haben.« Seine Siege waren nur ebensoviel Thüren, und nie verlor er, von dem Glanz und Aufruhr des Moments betäubt oder geblendet, seinen Weg vorwärts auch nur einen Augenblick aus dem Gesicht. Er wußte, was er zu thun hatte, und er hielt gerade aufs Ziel. Er hätte eine gerade Linie abkürzen mögen, um sein Objekt schneller zu erreichen. Man kann furchtbare Anekdoten aus seiner Geschichte sammeln über den Preis, mit dem er seine Erfolge erkaufte; aber man darf ihn deswegen nicht als grausam bezeichnen, nur als einen, der für seinen Willen kein Hindernis kannte; nicht blutdürstig, nicht grausam – aber wehe der Sache oder der Person, die in seinem Wege stand! Nicht blutdürstig, aber auch nie sparsam mit Blut – und völlig mitleidlos. Er sah nur sein Ziel, das Hindernis mußte aus dem Wege geschafft werden. »Sire, General Clarke kann sich infolge des furchtbaren Feuers der österreichischen Batterien nicht mit General Junot vereinigen!« – »Er soll die Batterien nehmen« – »Sire, jedes Regiment, das sich der schweren Artillerie nähert, ist geopfert; Sire, was für ein Kommando?« – »Vorwärts, vorwärts!« – Seruzier, ein Artillerie-Oberst, schildert in seinen »Militärischen Memoiren« folgende Scene aus der Schlacht von Austerlitz: »In dem Augenblick, in welchem die russische Armee mühsam, aber in guter Ordnung ihren Rückzug über den festgefrorenen See bewerkstelligte, kam der Kaiser Napoleon in Carriere auf die Artillerie zu geritten: ›Sie verlieren ja die Zeit‹ schrie er, ›feuern Sie doch auf diese Massen; sie müssen versinken, feuern Sie auf das Eis!‹ Der Befehl blieb zehn Minuten lang unausgeführt. Vergebens wurden mehrere Offiziere und auch ich auf den Abhang eines Hügels postiert, um die gewünschte Wirkung zu erzielen: ihre Kugeln und meine rollten auf das Eis, ohne es aufzubrechen. Da versuchte ich eine einfache Methode: leichte Haubitzen in die Höhe zu richten. Der fast senkrechte Fall der schweren Geschosse erzielte die gewünschte Wirkung. Meine Methode wurde von den benachbarten Batterien sogleich nachgeahmt, und in wenigen Augenblicken hatten wir einige Da ich aus zweiter Hand citiere und mir Seruziers Buch nicht verschaffen kann, wage ich es nicht, die hohe Ziffer, die ich vorfinde, anzunehmen. Anm. Emersons. tausend Russen und Österreicher in den Fluten des Sees begraben.«

Bei der Fülle seiner Hilfsmittel schien jedes Hindernis zu verschwinden. »Es soll keine Alpen geben,« sagte er, und er baute seine großartigen Straßen, erklomm auf Stufen-Galerien ihre steilsten Abgründe, bis Italien so offen vor Paris lag wie irgend eine Stadt Frankreichs. Er wagte seine eigenen Knochen und kämpfte um seine Krone. Wenn er entschieden hatte, was gethan werden sollte, dann that er es mit aller Macht. Er setzte all seine Kraft daran. Er wagte alles und schonte nichts, weder Munition, noch Geld, noch Mannschaft, noch Generale, noch sich selbst.

Wir lieben es, ein jedes Wesen nach seiner Art wirken zu sehen, mag es nun eine Milchkuh oder eine Klapperschlange sein; und wenn der Kampf die beste Art ist, nationale Zwistigkeiten zu erledigen (und die große Majorität der Menschen scheint das anzunehmen), dann hatte Napoleon sicherlich recht, wenn er es gründlich that. »Das große Princip des Krieges ist,« sagte er, »daß eine Armee immer, bei Tag und Nacht und zu jeder Stunde bereit sein muß, allen Widerstand zu leisten, dessen sie überhaupt fähig ist.« Er sparte nie mit seiner Munition, sondern überschüttete eine feindliche Position mit einem Regen von Eisen – Kugeln, Bomben, Kartätschen, bis alle Verteidigung vernichtet war. Wo ihm Widerstand geleistet wurde, da vereinigte er Schwadron auf Schwadron in überwältigender Zahl, bis der Gegner aufgehört hatte zu existieren. Zu einem Regiment berittener Chasseurs sagte Napoleon bei Lobenstein, zwei Tage vor der Schlacht bei Jena: »Meine Jungen, ihr dürft den Tod nicht fürchten; wenn Soldaten dem Tod trotzen, dann treiben sie ihn in die feindlichen Reihen.« In der Wut des Angriffs schonte er auch sich selbst nicht. Er that das Äußerste, was ihm möglich war. Es ist ganz klar, daß er in Italien that, was er konnte, und alles, was er konnte. Er stand mehrmals am Rande des Verderbens; er war oft geradezu verloren. Er wurde bei Arcole in den Sumpf geschleudert; die Österreicher standen im Handgemenge zwischen ihm und seinen Leuten, und er wurde nur durch die verzweifeltsten Anstrengungen gerettet. Bei Lonato und anderen Orten war er ganz nahe daran, gefangen zu werden. Er focht in sechzig Schlachten. Er hatte nie genug. Jeder Sieg war nur eine neue Waffe. »Meine Macht würde stürzen, wenn ich sie nicht durch neue Erfolge stützen würde. Die Eroberung hat mich zu dem gemacht, was ich bin, und die Eroberung muß mich halten.« Er fühlte wie jeder weise Mann, daß ebensoviel Leben zur Erhaltung wie zur Schöpfung nötig ist. Wir sind immer in Gefahr, immer in einer schlimmen Lage, immer am Rand der Vernichtung und nur durch erfinderischen Scharfsinn und Mut zu retten.

Diese überquellende Kraft war durch die kälteste Vorsicht und Pünktlichkeit bewacht und gezügelt. Ein Donnerkeil beim Angriff, war er unverwundbar in seinen Verschanzungen. Sein Angriff selbst war nie eine Inspiration des Mutes, sondern das Resultat der Berechnung. Die beste Verteidigung in seinen Augen war, stets der angreifende Teil zu sein. »Mein Ehrgeiz,« sagt er, »war groß, aber kühler Natur.« In einem seiner Gespräche mit Las Casas bemerkte er: »Was den moralischen Mut anbelangt, so habe ich nur selten die Zwei-Uhr-morgens-Art gefunden: ich meine den unvorbereiteten Mut, der bei unerwarteten Vorfällen nötig ist, und der, wenn die unvorhergesehensten Ereignisse eintreten, dem Urteil und der Entschlossenheit volle Freiheit wahrt,« und er erklärte unbedenklich, daß er selbst im höchsten Grade diesen »Zwei-Uhr-Morgens-Mut« besaß und daß er wenigen Personen begegnet sei, die ihm in dieser Hinsicht gleichgekommen wären.

Alles hing von der Genauigkeit seiner Kombinationen ab, und die Sterne waren nicht pünktlicher als seine Arithmetik. Seine persönliche Aufmerksamkeit erstreckte sich bis auf die kleinsten Einzelheiten. »Bei Montebello befahl ich Kellermann, mit achthundert Reitern anzugreifen, und mit diesen schnitt er die sechstausend ungarischen Grenadiere vor den Augen der österreichischen Kavallerie ab. Diese Kavallerie war eine halbe Meile entfernt und brauchte eine Viertelstunde, um das Aktionsgebiet zu erreichen; und ich habe die Beobachtung gemacht, daß es immer diese Viertelstunden sind, welche das Schicksal einer Schlacht entscheiden.« Bevor er eine Schlacht lieferte, dachte Bonaparte wenig darüber nach, was er nach einem Erfolg thun würde, aber sehr viel darüber, was zu thun sein werde, wenn der Ausgang ein unglücklicher sein sollte. Dieselbe Vorsicht, dieselbe Verständigkeit kennzeichnen alles, was er that. Die Instruktionen, die er seinem Sekretär in den Tuilerien gab, sind der Erinnerung wert: »Während der Nacht betreten Sie mein Zimmer so selten als möglich, wecken Sie mich nie, wenn Sie mir eine gute Nachricht mitzuteilen haben; das hat keine Eile. Aber wenn Sie schlechte Nachrichten bringen, dann wecken Sie mich sofort; denn dann ist kein Augenblick zu verlieren.« Eine wunderliche Ökonomie derselben Art bestimmte das Verfahren, das er als General in Italien mit seiner lästigen Korrespondenz einschlug. Er befahl Bourrienne, alle Briefe drei Wochen lang uneröffnet liegen zu lassen, und bemerkte dann mit Befriedigung, ein wie großer Teil der Korrespondenz bereits in den Thatsachen seine Erledigung gefunden hatte und einer Antwort nicht mehr bedurfte. Seine Arbeitskraft war eine ungeheuere und vergrößert das bisher bekannte Maß der menschlichen Leistungsfähigkeit. Es hat viel arbeitsame Könige gegeben – von Ulysses bis zu Wilhelm von Oranien, aber keinen, der ein Zehntel von dem hätte leisten können, was dieser Mann täglich erledigte.

Zu diesen natürlichen Gaben fügte Napoleon den Vorteil, in privatem und niedrigem Stande geboren zu sein. In seinen späteren Tagen hatte er die Schwäche, zu seinen Kronen und Wappen den verjährten Rechtsgrund der Aristokratie hinzufügen zu wollen; aber er wußte, was er seiner rauhen Erziehung verdankte, und machte aus seiner Verachtung für die geborenen Könige und für »die hereditären Esel,« wie er die Bourbonen grob bezeichnete, kein Hehl. Er sagte, daß sie »in ihrem Exil nichts gelernt und nichts vergessen hätten.« Bonaparte hatte alle Grade des militärischen Dienstes selbst durchgemacht; aber er war auch ein Bürger gewesen, bevor er Kaiser ward, und besaß dadurch den Schlüssel zur Bürgerschaft. Seine Bemerkungen und Urteile zeigen, wie gut er über die mittleren Klassen informiert war, und wie richtig er sie beurteilte. Wer mit ihm zu thun hatte, fand, daß er sich nicht betrügen ließ, sondern so gut rechnen konnte wie irgend einer. Dies erhellt aus allen Teilen der Memoiren, die er auf St. Helena diktierte. Als durch die Ausgaben der Kaiserin, die Kosten seines Haushalts und seiner Paläste sich eine große Schuldenlast aufgehäuft hatte, prüfte Napoleon die Rechnungen seiner Gläubiger selbst, entdeckte Überteuerungen und Fehler und reduzierte ihre Ansprüche um beträchtliche Summen.

Seine großartige Waffe, nämlich die Millionen, die er führte, verdankte er dem repräsentativen Charakter, der ihn umkleidete. Wir nehmen an ihm, als dem Vertreter Frankreichs und Europas, das höchste Interesse; und er existiert als Feldherr und Fürst nur insoweit, als die Revolution oder die Interessen der thätigen Massen ein Organ und einen Führer in ihm fanden. In dem Kampfe der socialen Interessen erkannte er Bedeutung und Wert der Arbeit und schlug sich instinktiv auf ihre Seite. Mir gefällt ein Vorfall ganz besonders, den einer seiner Biographen von St. Helena erzählt: »Da er einmal mit Mrs. Balcombe ausging, gingen ein paar Diener, die schwere Koffer trugen, über den Weg, und Frau Balcombe verlangte von ihnen in ziemlich heftigem Ton, daß sie sich hinter ihnen halten sollten. Aber Napoleon legte sich ins Mittel und sagte: ›Haben Sie doch Achtung vor der Last, gnädige Frau!‹ In der Zeit seines Kaisertums gab er acht auf die Verbesserung und Verschönerung der hauptstädtischen Märkte. »Der Marktplatz,« sagte er, »ist der Louvre des gemeinen Volkes.« Die hauptsächlichsten Werke, die ihn überlebt haben, sind seine prächtigen Straßen. Er erfüllte die Truppen mit seinem Geist, und es bildete sich zwischen ihm und ihnen eine Art von Freiheit und Kameradschaftlichkeit aus, wie sie die Etikette seines Hofes zwischen seinen Offizieren und ihm niemals aufkommen ließ. Sie vollbrachten unter seinen Augen Thaten, die keine anderen Truppen hätten vollbringen können. Das beste Zeugnis für das Verhältnis, in welchem er zu seinen Soldaten stand, ist der Tagesbefehl, den er am Morgen der Schlacht von Austerlitz erließ, und in welchem er den Soldaten verspricht, daß er seine Person außerhalb der Schußweite halten werde. Die Erklärung, die das gerade Gegenteil von dem ist, was Generale und Souveräne am Vorabend einer Schlacht zu erklären pflegen, beweist zur Genüge, welche tiefe Verehrung diese Armee für ihren Feldherrn empfand.

Aber obgleich Napoleon sich so in Einzelheiten mit der Volksmasse identifizierte, lag seine wirkliche Kraft doch in ihrer Überzeugung, daß er ihren Geist und ihre Ziele nicht nur dann vertrat und in sich verkörperte, wenn er ihnen schmeichelte, sondern auch, wenn sie seinen Zwang zu fühlen bekamen, ja, wenn er sie durch seine Aushebungen decimierte. Er wußte so gut wie irgend ein Jakobiner in Frankreich über Freiheit und Gleichheit zu philosophieren; und als man auf das kostbare Blut von Jahrhunderten anspielte, das durch die Hinrichtung des Herzogs von Enghien vergossen wurde, meinte er: »Mein Blut ist auch kein Grabenwasser.« Das Volk fühlte, daß der Thron nun nicht mehr occupiert und das Land nicht mehr ausgesogen wurde von einer kleinen Klasse »Legitimer,« die sich von aller Gemeinschaft mit den Kindern des Bodens abschlossen und in den Ideen und dem Aberglauben eines längst vergessenen Gesellschaftszustandes befangen waren. Anstatt jenes Vampyrs regierte nun in den Tuilerien ein Mann aus ihrer Mitte, der dieselben Kenntnisse, die gleichen Ideen besaß wie sie, und der naturgemäß ihnen und ihren Kindern alle Stellen der Macht und des Vertrauens erschloß. Der Tag einer schläfrigen, selbstsüchtigen Politik, welche die Mittel und Gelegenheiten zum Vorwärtskommen der jungen Leute unaufhörlich einengte, war vorüber, und der Tag der Expansion und der Nachfrage angebrochen. Ein Markt für alle Kräfte und Produkte der Menschen war eröffnet, und glänzende Preise flimmerten vor den Augen des Talents und der Jugend. Das alte eisengefesselte, feudale Frankreich war in ein junges Ohio oder New-York verwandelt; und selbst diejenigen, die von der unmittelbaren Strenge des neuen Monarchen zu leiden hatten, verziehen dieselbe als die notwendigen Härten des militärischen Systems, das die Unterdrücker verjagt hatte. Und selbst, als die Majorität des Volkes zu fragen begann, ob denn die erschöpfenden Kontributionen von Menschen und Geld unter dem neuen Herrn irgend einen wirklichen Vorteil gebracht hätten – nahm alles Talent im Lande, jeden Ranges und jeder Gattung, seine Partei und verteidigte ihn als natürlichen Beschützer. Im Jahre 1814, als ihm geraten wurde, sich auf die höheren Klassen zu stützen, sagte Napoleon: »Meine Herren, in meiner gegenwärtigen Lage ist der Pöbel der Faubourgs der einzige Adel, auf den ich mich stützen kann.«

Napoleon kam diesen natürlichen Erwartungen entgegen. Die Gastfreundlichkeit für jedes Talent, die Berufung desselben zu Vertrauensposten war in seiner Lage eine Existenzbedingung, und sein Gefühl ging mit dieser Politik. Wie jeder hervorragende Mensch empfand er zweifellos das Bedürfnis, mit Männern von seinesgleichen zu thun zu haben, den Wunsch, seine Kraft mit der anderer Meister zu messen, und einen ungeduldigen Widerwillen gegen Narren und Schwächlinge. In Italien suchte er Menschen und fand keine. »Guter Gott,« sagte er, »wie selten Männer sind! Achtzehn Millionen leben in Italien, und ich habe mit der größten Schwierigkeit deren zwei gefunden: Dandolo und Melzi!« In späteren Jahren, bei reicherer Erfahrung, nahm seine Achtung für die Menschen nicht zu. In einem Augenblick der Bitterkeit sagte er zu einem seiner ältesten Freunde: »Die Menschen verdienen die Verachtung, welche sie mir einflößen. Ich brauche nur ein wenig Goldverschnürung auf den Rock meiner tugendhaften Republikaner zu heften, und sie werden sogleich so, wie ich sie mir wünsche.« Dieser Ärger über die Unbeständigkeit war gleichwohl eine indirekte Anerkennung für jene begabteren Menschen, die sich seine Achtung erzwangen, nicht nur, wenn er in ihnen Freunde und Gehilfen fand, sondern auch dann, wenn sie sich seinem Willen widersetzten. Er konnte Leute wie Fox und Pitt, Carnot, Lafayette und Bernadotte, nicht mit den Bummlern seines Hofes verwechseln; und trotz der Herabsetzung, die sein systematischer Egoismus selbst gegenüber den großen Generalen nicht unterließ, die mit ihm und für ihn siegten, hat er doch Männern wie Lannes und Duroc, Kleber, Dessaix, Massena, Murat, Rey und Angereau seine bewundernde Anerkennung nicht versagt. Wenn er sich einerseits als ihr Patron fühlte, als der Schöpfer ihres Glückes, wenn er z. B. sagte: »Ich habe meine Generale aus dem Kote gemacht,« so konnte er doch auch nicht verbergen, mit welcher Befriedigung es ihn erfüllte, eine Unterstützung und Beihilfe von ihnen zu erhalten, die der Großartigkeit seiner Unternehmungen entsprach. Im russischen Feldzuge machte der Mut und die unerschöpfliche Begabung des Marschalls Ney solchen Eindruck auf ihn, daß er sagte: »Ich habe zweihundert Millionen in meinen Kassen, und ich würde sie alle für Ney geben!« Die Charakteristiken, die er von einigen seiner Marschälle entworfen hat, sind scharf umrissen und, obgleich sie der unersättlichen Eitelkeit französischer Offiziere nicht Genüge thaten, im wesentlichen zweifellos und gerecht. Und in der That, es gab keine Art von Verdienst, welche unter seiner Regierung nicht gesucht und befördert worden wäre. »Ich kenne,« sagte er, »die Tiefe und den Wasserzug eines jeden meiner Generale.« Jede persönliche Kraft und Fähigkeit war eines günstigen Empfangs an seinem Hofe gewiß. Siebzehn Personen wurden während seiner Zeit vom gemeinen Soldaten zum Range eines Königs, Marschalls, Herzogs oder Generals erhoben, und die Kreuze seiner Ehrenlegion wurden nach der persönlichen Tapferkeit und nicht nach Familienverbindungen verteilt. »Wenn Soldaten einmal die Feuertaufe auf dem Schlachtfelde erhalten haben, haben sie auch alle nur einen Rang in meinen Augen.«

Wenn ein natürlicher König zum Titularkönig wird, hat jeder sein Wohlgefallen daran, fühlt jeder sich befriedigt. Die Revolution berechtigte den kräftigen Pöbel des Faubourg St. Antoine und ebenso jeden Pferdejungen und Livreebedienten, Napoleon als Fleisch von ihrem Fleische und als das Geschöpf ihrer Partei zu betrachten; aber im Erfolge eines großartigen Talentes liegt immer etwas, was allgemeine Sympathie erwirbt. Denn an dem Siege des Geistes und Verstandes über Stupidität und Unechtheit sind alle vernünftigen Menschen interessiert; und als intellektuelle Wesen fühlen wir die Luft wie von elektrischen Schlägen gereinigt, wenn materielle Gewalt von geistiger Kraft zu Boden geworfen wird. So wie wir uns über den Bereich lokaler und zufälliger Parteilichkeit erhoben haben, muß jeder Mensch fühlen, daß Napoleon für ihn ficht; seine Siege sind ehrliche Siege; diese tüchtige Dampfmaschine arbeitet für uns. Alles was die Phantasie erregt, indem es die gewöhnlichen Schranken menschlicher Fähigkeit überschreitet, ermutigt und befreit uns in wunderbarer Weise. Dieser gewaltige Kopf, der ganze Ketten von Geschäften bedachte und in souveräner Weise erledigte, der eine solche Fülle von Kräften belebte; dieses Auge, das durch Europa schaute; diese rasche, erfindungsreiche Genialität; diese Unerschöpflichkeit der Mittel – was für Ereignisse! Was für romantische Bilder! Was für seltsame Situationen, wenn er beim Sonnenuntergang am sicilischen Meer nach den Alpen blickte, wenn er seine Armee im Angesicht der Pyramiden in Schlachtordnung stellte und zu den Truppen sprach: »Von den Spitzen jener Pyramiden schauen vierzig Jahrhunderte auf euch herab!« wenn er durch das Rote Meer zog und im Wasser des Kanals von Suez watete! – Am Strande von Ptolemais bewegten ihn gigantische Entwürfe. »Wäre Acre gefallen, ich hätte das Angesicht der Welt verändert.« Am Abend der Schlacht von Austerlitz, am Jahrestage seiner Kaiserkrönung, überreichte ihm sein Heer einen Strauß von vierzig in der Schlacht erbeuteter Standarten. Vielleicht war das Vergnügen ein wenig kindisch, das er daran empfand, diese Kontraste in recht grelles Licht zu setzen; sowie es ihm Vergnügen machte, zu Tilsit, zu Paris und zu Erfurt Könige in seinem Vorzimmer warten zu lassen.

Wir können uns bei der allgemeinen Schwäche, Unentschiedenheit und Indolenz nicht genug zu diesem starken und rüstigen Mann der That Glück wünschen, der die Gelegenheit stets beim Schopf ergriff, der uns klar zeigte, wie viel durch die bloße Gewalt solcher Vorzüge erreicht und geleistet werden kann, die alle Menschen, wenn auch in geringeren Graden, besitzen können: nämlich Pünktlichkeit, persönliche Aufmerksamkeit, Mut und Gründlichkeit. »Die Oesterreicher,« sagte er, »kennen den Wert der Zeit nicht!« Ich könnte Vorfälle aus seinen Jugendjahren citieren, welche ihn als Muster von Klugheit erscheinen lassen. Seine Macht liegt nicht in einer wilden, unbegreiflichen Kraft, nicht in einem Enthusiasmus, wie der Mahomets war, auch in keiner außerordentlichen Überredungsgabe, sondern nur darin, daß er sich in jeder Lage und bei jedem Ereignis nach dem gesunden Verstand, anstatt nach Regeln und Herkommen richtete. Die Lehre, die er uns giebt, ist dieselbe, welche die Energie immer erteilt: daß immer Platz für sie vorhanden ist. Auf welche Massen feigherziger Zweifel giebt das Leben dieses Mannes nicht die Antwort! Als er auftrat, waren alle Militärs davon überzeugt, daß auf dem Gebiet des Kriegswesens nichts Neues kommen konnte, so wie es die Überzeugung der heutigen Menschen ist, daß in der Politik, in der Religion, in der Wissenschaft, im Handel und Landbau, in unserem socialen Leben und Sitten nichts völlig Neues unternommen werden kann, so wie es zu jeder Zeit die allgemeine Überzeugung der Gesellschaft ist, daß die Welt fertig und ausgenützt sei. Aber Bonaparte wußte es besser als die Gesellschaft und wußte obendrein, daß er es besser wußte. Ich glaube, alle Leute wissen mehr, als sie thun, wissen, daß die Institutionen, die wir so redselig preisen, nichts als Rollwagen und Tand sind; aber sie wagen es nicht, sich auf ihr heimliches Gefühl zu verlassen. Bonaparte verließ sich auf seine eigene Einsicht und gab keine Bohne für das, was andere Leute dachten. Die Welt behandelte seine Neuerungen wie sie alle Neuerungen behandelt, – sie machte unzählige Einwendungen, zählte alle Hindernisse auf, aber er scherte sich um ihre Einwendungen nicht. »Was den Beruf des Höchstkommandierenden so schwer macht,« bemerkte er, »ist die Notwendigkeit, so viel Menschen und Tiere zu ernähren. Wenn er sich bei dieser Aufgabe den Kommissären in die Hände giebt, so kommt er nie vom Fleck, und all seine Expeditionen werden fehlschlagen.« Ein Beispiel für seinen gesunden Verstand bietet das, was er vom Alpenübergang im Winter sagte, den alle Schriftsteller, einer immer den anderen nachsprechend, für undurchführbar erklärt hatten »Der Winter,« sagt Napoleon, »ist keineswegs die ungünstigste Jahreszeit für den Übergang über hohe Berge. Der Schnee ist fest, das Wetter stetig, und Lawinen, die einzige wirkliche Gefahr in den Alpen, nicht zu fürchten. Auf diesen hohen Bergen giebt es im Dezember oft sehr schöne Tage, die sich durch eine trockene Kälte und die äußerste Ruhe der Luft auszeichnen.« Lesenswert ist auch seine Ansicht über die Art, wie man Schlachten gewinnt: »In jeder Schlacht kommt ein Augenblick, in welchem die tapfersten Truppen nach den größten Anstrengungen eine plötzliche Neigung zum Davonlaufen verspüren. Dieser Schrecken kommt von einem Mangel an Vertrauen in ihren eigenen Mut; und es bedarf nur einer geringfügigen Wendung, eines Vorwandes, um ihr Vertrauen wiederherzustellen. Diese Wendung herbeizuführen, den Vorwand zu erfinden, das ist die Kunst. Bei Arcole gewann ich die Schlacht mit fünfundzwanzig Reitern. Ich griff jenen Augenblick der Ermattung auf, gab jedem Mann eine Trompete und gewann den Tag durch diese Handvoll Leute. Denn zwei Armeen, seht ihr, sind zwei Körper, die zusammenstoßen und einander in Schrecken zu setzen suchen: ein Augenblick der Panik tritt ein, und dieser Augenblick ist es, der ausgenützt werden muß. Wenn ein Mann einmal viele Aktionen mitgemacht hat, dann erkennt er diesen Augenblick ohne Schwierigkeit; es ist nicht schwieriger, als eine Addition auszuführen.«

Dieser Vertreter des neunzehnten Jahrhunderts besaß bei so vielen Gaben auch die Fähigkeit, spekulativ und über allgemeine Fragen zu denken. Er hatte seine Freude daran, der Reihe nach praktische, litterarische, abstrakte Themata durchzusprechen. Seine Ansicht ist immer originell, trifft immer den Nagel auf den Kopf. Während seiner Reise nach Ägypten liebte er es, nach Tische drei oder vier Personen zu bestimmen, die irgend eine Behauptung verfechten mußten, und ebenso viele zum Opponieren auszuwählen. Das Thema gab er, und bald bildeten religiöse Fragen den Gegenstand der Diskussion, bald die verschiedenen Regierungsformen, bald die Kriegskunst. Eines Tages fragte er, ob die Planeten bewohnt wären, ein anderes mal, wie alt wohl die Welt sei. Dann schlug er vor, die Möglichkeiten der Zerstörung unseres Erdballs durch Feuer oder Wasser in Erwägung zu ziehen; ein anderes Mal wieder, die Wahrhaftigkeit oder Trüglichkeit von Vorahnungen und die Auslegung der Träume. Besonders liebte er es, über Religion zu sprechen. Im Jahre 1806 unterhielt er sich mit Fournier, dem Bischof von Montpellier, über theologische Themata. Über zwei Punkte konnten sie sich nicht einigen, über die Hölle und über die Erlösung außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft. Der Kaiser erzählte Josephine, daß er über diese zwei Punkte wie ein Teufel gestritten habe, und daß der Bischof bezüglich derselben unerbittlich geblieben sei. Den Philosophen räumte er bereitwillig alles ein, was sie gegen die Religionen als Produkte der Menschen und der Zeit vorbrachten, aber vom Materialismus wollte er nichts hören. In einer schönen Nacht, auf dem Verdeck, während von allen Seiten materialistisches Geschwätz ertönte, wies Bonaparte nach den Sternen und sagte: »Sie mögen sprechen, so lange Sie wollen, meine Herren, aber wer hat das alles gemacht?« Die Unterhaltung mit Männern der Wissenschaft war ihm ein Genuß, besonders mit Monge und Berthollet; aber Litteraten schätzte er gering: sie waren »Phrasenmacher.« Auch über Medizin sprach er gern, und zwar mit den praktischen Ärzten, die er am höchsten achtete, in Paris mit Corvisart und mit Antonomarchi auf St. Helena. »Glauben Sie mir,« sagte er zu dem letzteren, »wir thäten besser, all diese Heilmittel aufzugeben; das Leben ist eine Festung, von der weder Sie noch ich etwas wissen. Wozu ihrer Verteidigung Hindernisse in den Weg legen? Seine eigenen Mittel sind dem ganzen Apparat eurer Laboratorien überlegen. Corvisart gestand mir freimütig zu, daß all eure schmierigen Mixturen keinen Heller wert sind. Die Medizin ist eine Sammlung ungewisser Vorschriften, deren Gesamtresultat im ganzen gerechnet der Menschheit mehr schädlich als nützlich wird. Wasser, Luft und Reinlichkeit, das sind die Hauptartikel meiner Pharmakopöe.«

Seine Memoiren, die er auf St. Helena dem Grafen Montholon und dem General Gourgaud diktierte, haben großen Wert, auch nach all den Abzügen, die man, wie es scheint, auf Grund seiner bekannten Unwahrhaftigkeit machen muß. Er besitzt die Gutmütigkeit, die der Stärke und bewußter Superiorität eigen ist. Ich bewundere die einfache, klare Erzählung seiner Schlachten, die der Cäsars nicht nachsteht, die gutmütigen und in hinreichendem Grade achtungsvollen Mitteilungen über Marschall Wurmser und seine anderen Gegner; er ist seinem wechselvollen Gegenstande als Schriftsteller durchaus gewachsen. Der angenehmste Teil ist der ägyptische Feldzug.

Er hatte Stunden des Nachdenkens und der Weisheit. In Zwischenzeiten der Muße, sei es im Lager oder im Palast, erscheint Napoleon als ein genialer Mensch, der dieselbe angeborene Begierde nach Wahrheit, denselben ungeduldigen Widerwillen gegen leere Worte, die er im Kriege zu zeigen gewohnt war, auf abstrakte Fragen richtete. Er konnte jedes Spiel der Erfindung, einen Roman, ein Bonmot, ebenso genießen wie ein geschicktes Manöver im Feldzug. Er ergötzte sich daran, Josephine und ihre Damen in einem trüb erleuchteten Zimmer mit all den Schrecken einer erfundenen Geschichte zu fesseln, der seine Stimme, sein dramatischer Vortrag die höchste Wirkung verlieh.

Ich nenne Napoleon den Agenten oder Anwalt der mittleren Klassen der modernen Gesellschaft, des ganzen Gedränges, das die Märkte, Läden, Comptoirs, Fabriken und Schiffe der modernen Welt erfüllt, und das danach strebt, reich zu werden. Er war der Agitator, der Zerstörer alles Verjährten, der gründliche Reformator, der Liberale und Radikale, der Erfinder neuer Werkzeuge, der Eröffner neuer Thüren und Märkte, der Umstürzer der Mißbräuche und Monopole. Natürlich liebten ihn die Reichen und Aristokratischen nicht; England, das Centrum des Kapitals, Rom und Oesterreich, die Centren der Tradition und der Genealogie, traten ihm entgegen. Die Konsternation der dumpfen und konservativen Klassen, der Schrecken der thörichten alten Männer und alten Weiber im römischen Konklave – die in ihrer Verzweiflung nach allem, selbst nach rotglühendem Eisen griffen – die vergeblichen Versuche der Staatsmänner, ihn zu amüsieren und zu täuschen, die des Kaisers von Oesterreich, ihn zu bestechen, und der Instinkt aller jugendlichen, feurigen und thätigen Menschen, der ihn überall als den Riesen des dritten Standes erkannte, machen seine Geschichte zu einer glänzenden und imponierenden. Er besaß die Vorzüge der Massen, die ihn erwählt hatten, er besaß auch ihre Laster. Es thut mir leid, daß das glänzende Bild seine Kehrseite hat. Aber das ist die verhängnisvolle Eigenschaft, welche wir an unserer Jagd nach Reichtum bemerken – sie ist verräterisch und wird mit dem Brechen oder der Schwächung der Gefühle erkauft, und so ist es unvermeidlich, daß wir dergleichen Thatsachen auch in der Geschichte dieses Kämpen begegnen, der sich einfach eine glänzende Carriere zur Aufgabe machte, ohne sich bezüglich der Mittel irgend welchen Vorbehalt oder Skrupel zu machen.

Bonaparte war in ganz ungewöhnlichem Grade jeder hochherzigen Empfindung bar. Das höchststehende Individuum im civilisiertesten Zeitalter, in der kultiviertesten Bevölkerung der Welt – besitzt er nicht einmal das Verdienst gewöhnlicher Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. Er ist ungerecht gegen seine Generale, egoistisch monopolisiert er ihre Verdienste; stiehlt in niedriger Weise von Kellermann und Bernadotte den Ruhm ihrer Thaten, intriguiert persönlich, um seinen treuen Junot in hoffnungslosen Bankerott zu verwickeln, nur um ihn von Paris fortzubringen, wo die Vertraulichkeit seiner Manieren den neuen Stolz seines Thrones beleidigt. Er ist ein unglaublicher Lügner. Die offiziellen Zeitungen, seine Moniteurs und all seine Bulletins enthalten nichts als Redensarten, die das zu sagen haben, was er geglaubt haben will, und schlimmer noch – er saß, frühzeitig gealtert, auf seiner einsamen Insel und fälschte kaltblütig Thatsachen, Daten und Charaktere, um seiner Geschichte einen theatralischen Eklat zu geben. Wie alle Franzosen hatte er eine Leidenschaft für Bühneneffekte. Jede That, die Edelmut atmet, wird durch diese Berechnung vergiftet. Sein Stern, seine Ruhmsucht, seine Lehre von der Unsterblichkeit der Seele sind alle ganz französisch. »Ich muß blenden und in Erstaunen setzen. Wenn ich Preßfreiheit gäbe, würde meine Macht keine drei Tage währen.« Einen großen Lärm zu machen, ist seine Lieblingsmethode. »Ein großer Ruf ist ein großer Lärm; je mehr man davon macht, desto weiter wird er gehört. Gesetze, Institutionen, Monumente, Nationen, alle stürzen; aber der Lärm dauert fort und tönt durch die nachfolgenden Zeitalter.« Seine Unsterblichkeitslehre ist einfach Ruhm. Seine Theorie vom Einfluß ist keine schmeichelhafte. »Es giebt nur zwei Hebel, um die Menschen zu bewegen: Furcht und Interesse. Liebe ist eine dumme Verblendung, verlassen Sie sich darauf. Freundschaft ist ein leeres Wort. Ich liebe niemand. Ich liebe nicht einmal meine Brüder, vielleicht Joseph ein wenig aus Gewohnheit und weil er älter ist als ich; und Duroc liebe ich auch, aber warum? – weil sein Charakter mir gefällt: er ist ernst und entschlossen, und ich glaube, der Kerl hat noch nie eine Thräne vergossen. Ich für meinen Teil weiß sehr gut, daß ich keine wahren Freunde habe. So lange ich fortfahre, das zu sein, was ich bin, kann ich so viel vorgebliche Freunde haben, als ich will. Laßt die Empfindelei den Weibern, aber Männer müssen fest in Herz und Willen sein, oder sie dürfen mit Krieg und Regierung nichts zu thun haben.« Er war ganz und völlig gewissenlos. Er konnte stehlen, verleumden, morden, ertränken und vergiften, wenn sein Interesse es verlangte. Er kannte keine Generosität, sondern nur gemeinen Haß; er war von der äußersten Selbstsucht; er war perfid; er betrog beim Kartenspiel; er war ein ganz ungewöhnliches Klatschmaul; er öffnete fremde Briefe; seine infame Polizei machte ihm die größte Freude; er rieb sich die Hände vor Behagen, wenn er über die Männer und Frauen seiner Umgebung aus aufgefangenen Briefen irgend etwas erfahren hatte, und rühmte sich dann, »daß er alles wisse;« er kümmerte sich um den Zuschnitt der Frauenkleider; er lauschte incognito auf die Komplimente und Hurras der Straße. Seine Manieren waren unfein. Frauen begegnete er mit pöbelhafter Vertraulichkeit. Er hatte die Gewohnheit, sie bei den Ohren zu ziehen und sie in die Wangen zu kneifen, wenn er gerade gut gelaunt war. desgleichen zog er die Männer bei den Ohren oder beim Schnurrbart, schlug sie und trieb rohe Scherze mit ihnen bis zu seinen letzten Tagen. Ob er an Schlüssellöchern horchte, ist nicht erwiesen, wenigstens wurde er nicht dabei ertappt. Kurz, wenn wir durch alle Kreise der Macht und des Glanzes gedrungen sind, haben wir es zuletzt nicht mit einem Gentleman zu thun, sondern mit einem Schuft und Betrüger, der das Epitheton des »Jupiter Scapin« oder »Spitzbuben-Jupiter« vollauf verdient.

 

Als ich die zwei Parteien schilderte, in welche die moderne Gesellschaft sich teilt – die demokratische und die konservative – sagte ich, Napoleon sei der typische Demokrat, der Vertreter der Partei der geschäftigen, emporstrebenden Leute, gegen die stationäre oder konservative Partei. Ich hätte noch einen wesentlichen Umstand hinzufügen müssen, nämlich daß diese beiden Parteien sich nicht anders unterscheiden als jung und alt. Der Demokrat ist ein junger Konservativer, der Konservative ein alter Demokrat. Der Aristokrat ist der Demokrat, der reif geworden und in Saat aufgegangen ist, – denn beide Parteien stehen auf einem Boden, haben dasselbe geistige Fundament, nämlich die Anschauung, daß der Besitz das höchste Gut sei, der Besitz, den der eine zu erwerben und der andere zu erhalten sucht. Man kann sagen, Bonaparte vertritt die ganze Geschichte dieser Partei, ihre Jugend und ihr Alter, ja ihr ganzes Schicksal mit poetischer Gerechtigkeit in seinem eigenen. Die Gegenrevolution, die Gegenpartei erwartet noch, ihr Organ und ihren Vertreter in einem liebenden Menschen und in einem Manne von wahrhaft allgemeinen und gemeinnützigen Zielen zu finden.

Seine ganze Existenz war ein unter den denkbar günstigsten Umständen angestelltes Experiment, was der Intellekt ohne Gewissen alles vermöge. Niemals gab es solch einen Führer, so begabt und so gewaffnet, nie fand ein Führer solche Helfer und Anhänger. Und was war das Resultat dieses gewaltigen Talents, dieser Kraft, dieser ungeheuren Armeen, der verbrannten Städte, der verschwendeten Schätze, der Millionen hingeopferter Menschen, dieses demoralisierten Europas? Es kam zu keinem Resultat. Es ging alles vorüber wie der Rauch seiner Kanonen und ließ keine Spuren. Er hinterließ Frankreich kleiner, ärmer, schwächer, als er es vorgefunden hatte; und der ganze Kampf um die Freiheit mußte wieder von vorn angefangen werden. Der ganze Versuch war seinem innersten Wesen nach ein selbstmörderischer. Frankreich diente ihm mit Land und Leib und Leben, so lange es sein Interesse mit ihm identifizieren konnte; aber als die Leute sahen, daß auf jeden Sieg ein neuer Krieg folgte, auf die Vernichtung von Armeen neue Aushebungen und sie, die mit so verzweifelter Anstrengung gerungen hatten, um keinen Schritt dem Lohne näher waren, – denn sie konnten das nicht ausgeben, was sie erworben hatten, sich in ihren Federbetten nicht niederlegen, in ihren Châteaux sich nicht spreizen – da verließen sie ihn. Die Menschen fanden, daß dieser aufzehrende Egoismus für alle anderen Menschen tödlich wirkt. Er glich dem Zitteraal, der dem, der ihn anfaßt, Schlag auf Schlag erteilt; sie erzeugen Krämpfe, die die Handmuskeln zusammenziehen, sodaß der Mann die Finger nicht öffnen kann; das Tier aber fährt fort, neue und heftige Schläge zu erteilen, bis das Opfer gelähmt und zuletzt getötet wird. So geschah es, daß dieser schrankenlose Egoist die Macht und die Existenz all derer, die ihm dienten, einengte, arm machte und aufsog: und der allgemeine Ruf in Frankreich, in ganz Europa, im Jahre 1814 war: »Wir haben genug von ihm.« » Assez de Bonaparte.«

Es war nicht Bonapartes Schuld. Er that alles, was in ihm lag, zu leben und Erfolg zu haben, ohne moralisches Princip. Es war die Natur der Dinge, das ewige Gesetz des Menschen und der Welt, das ihn enttäuschte und vernichtete, und eine Million gleicher Experimente würde stets das gleiche Resultat ergeben. Jedes Experiment, mag es von einem einzelnen Individuum oder von den Massen angestellt werden, das ein selbstisches und sinnliches Ziel hat, muß und wird fehlschlagen. Der friedliche Fourier wird da so wenig ausrichten wie der furchtbare Napoleon. So lange unsere Kultur dem Wesen nach eine Kultur des Eigentums, der Umzäunungen und der Exklusivität ist, so lange wird eine Enttäuschung nach der anderen ihrer spotten. Unser Reichtum wird uns den Ekel nicht nehmen, in unserem Gelächter wird Bitterkeit sein, und unsere Weine werden uns im Munde brennen. Nur das Gute bringt wirklichen Nutzen, das wir bei offenen Thüren genießen können, und das allen Menschen dient.


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