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Einleitendes.

In unserem Deutschland haben Philosophie, Malerei, Tonkunst und Poesie auch ihre vorübergehenden Moden. Man will sich auszeichnen, glänzen, gefallen. Man philosophirt und malt, singt und dichtet, weniger aus Trieb und Drang des eigenen Gemüthes als aus Lust, Goldspenden oder Bewunderung zu erndten. Vielleicht sind schon darum die in den folgenden Blättern mitgetheilten Lieder und Dichtungen eines jungen, liebenswürdigen, früh in die ewige Heimath übergegangenen Mädchens einiger Aufmerksamkeit werth, weil sie durchaus nicht für die lesende Welt, höchstens für einzelne Freunde und Freundinnen, sondern, man möchte beinahe sagen, unwillkührlich, als Klänge des innersten Gefühles hervorgetreten sind. Luise Egloff war keine Kunstdichterin, sondern reine Naturdichterin; und Gedanken und Empfindungen, welche sich vor ihr unabsichtlich in Bildern gestalteten, waren treue Abspieglungen der reinsten weiblichen Seele.

Dem Grundwesen der Dichtungen unserer Luise entsprechen auch die Formen, in welche diese eingekleidet sind. Gleich fern von Steifheit und modischem Aufputze bleiben sie in allen Verhältnissen einfach, natürlich, und wenn auch mancher an ihnen hie und da die Feile der Schule vermissen kann, so wird doch der Kundige die Harmonie, in welche sich schon in der Tiefe eines wahrhaft dichterischen Gemüthes der Gedanke gestaltet, überrascht und vielleicht reiner vernehmen als es bei der äußern Glätte so vieler Gedichte einer reflektirenden Kunst der Fall ist. Wenn für diese innere Harmonie Luisens Dichtungen nicht so auffallende Belege bilden, wie solche in Bettinens Schriften in ungebundener Rede sich vorfinden, so verdienen sie doch einige Beachtung und hier ist die Bemerkung am Platze, daß Luise gegenüber den gefallenen Winken, daß diese oder jene gewählte Form nicht unter die Normen der Schule passe, für sie das Recht zum Sein in Anspruch nahm und vertheidigte. Wie hätte dieses geschehen können, wenn sie in Betreff der Harmonie nicht gleichsam ihr Ohr mehr nach Innen als nach Außen belauschend gewendet hätte?

Können und wollen Luisens Dichtungen nicht als goldene Aepfel aus dem Hesperidengarten der Kunstdichtung erscheinen, können und wollen sie kein Aufsehen in der Geschichte derselben erregen, so sind sie nichts desto minder labende Früchte und namentlich in unsern Tagen von Bedeutung für das Leben. Es scheint die Vorsehung zu lieben, aus der Zerrissenheit einer sich selbst überhebenden, die Grundlage des Gemüths dem selbstigen Verstand mehr oder minder aufopfernden Stil die Pennaten des inneren Friedens des Menschen, das ewige Feuer des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung in den Tempel hehrer reiner Weiblichkeit rettend und bewahrend zu flüchten und dort der sorgenden Treue edler Vestalinnen anzuvertrauen. In Luisens ermuthigenden Erscheinung begrüßte ich stets eine solche Vestalin und sah in die Gegenwart und Zukunft getrost und vertrauend, und dieß um so mehr, da alles Schöne und Edle in Luisens Sein ihr als Angebinde von der Mutternatur gleichsam aus erster Hand in die Wiege gelegt wurde und dieser Wahrnehmung die Ueberzeugung zur Seite ging, daß die Mutternatur nicht einseitig und nicht stiefmütterlich verfahre. Mögen die Mütter und Töchter in dem engern und weitern Vaterland auf Luisens Stimme hören, die aus der beseligenden Erfahrung ihres ganzen Lebens zu ihnen spricht!

Ob es für Luise fördernd und wünschbar gewesen wäre, daß ihr das Schicksal die Weihe höherer Bildungsanstalten gegönnt hätte? Diese Frage will ich hier nicht untersuchen und nicht entscheiden. Es muß dankbar anerkannt werden, daß in Verbindung mit der Erziehungsanstalt für Blinde in dem nachbarlichen Zürich durch die häusliche Erziehung der Mutter die Einfachheit und Reinheit von Luisens Naturbegabung wie ihre helle Glaubensfreudigkeit an die einfachen Wahrheiten des unvergänglichen Wortes des Welterlösers ungestört und ungetrübt bewahrt wurden. Wohl hätte die Weihe höherer Bildungsanstalten ihrem Geiste größere Manigfaltigkeit und ihren Dichtungen mehr Zierde und Künstlichkeit, nie aber ihrem Wesen eine reinere höhere Natürlichkeit verleihen können. Wer bürgt dafür, daß, wenn man Luisens schöne Natur in das Treibhaus der Schulwissenschaft des Tages versetzt hätte, ihr nicht das Loos des Alpenröschens zugefallen wäre, das nur auf seinen Felsenhöhen zufrieden blüht und glüht, in dem Blumenbeet des Kunstgärtners aber seine Blätter senkt, welkt und gleichsam in einem Heimweh vergeht?

Um das Verdienst der Bewahrung und Entfaltung von Luisens Naturbegabung gebührend zu vertheilen, darf nicht übersehen werden, einerseits daß Luise nach ihrem achten Lebensjahre nur ungefähr 18 Monate in der so zu sagen noch neuen Blindenerziehungsanstalt in Zürich weilte, anderseits daß ihre Mutter bei dem über ihrem verständigen, rastlosen Eingreifen in das Gewerbsleben waltenden Gottessegen so vielfältig durch stilles Wohlthun ein edles, gottergebenes, aber auch oft verkanntes Gemüth beurkundete. »Meine Kinder, seid arbeitsam und vergeßt die Armen nicht!« war der ganze Inhalt ihres Testaments und ungeachtet der Gunst des Glücks hinterließ sie, in allem einfach, keinen Schmuck von Gold und Edelsteinen, aber einzelne bei diesem oder jenem Ereigniß auf einzelne Papierstreifchen hingeworfene Gedanken und Betrachtungen, die, in Thaten umgesetzt, die schönste werthvollste Zierde des Herzens bilden. Für den Zweck dieser Blätter mag die Anführung folgender Sprüche genügen: »Nicht Gold und Silber, sondern nur die Liebe und das Vertrauen zu Gott geben dem Menschen die Zufriedenheit.«+– »Eine schwere Prüfung für eine Mutter, ihr Kind so leiden sehen, ohne ihm helfen zu können. Du, lieber Gott, kannst einzig helfen in der Noth. Ach, ja, hilf meiner Luise und verlasse sie nicht in ihrem Leiden! Doch dein Wille geschehe!«+– 1834.+–

Durch diese Andeutungen über das Leben und Wirken der Mutter unserer Luise will ich nicht eine Blume des Lobes auf die Gruft der Seligen streuen, sondern einzig und allein, im Hinblick auf unsere Naturdichterin, den Boden, aus dem ihr Wesen erwachsen, bezeichnen und den Bildungskünstlern den Wink und ein sprechendes Beleg geben, wie schön und herrlich es sich lohnt, tüchtige Mütter dem Vaterlande zu bilden und zu wahren.

Wie die Welt und ihre Erscheinungen in Gemüth und Geist der Sehenden sich wiederspiegelt, das zu schauen bietet jeder Augenblick des Tages genügsamen Anlaß; aber höchst sparsam kommt die Möglichkeit zu solcher Wahrnehmung in Bezug auf Blinde vor. Wollte man hier, um das Erscheinen dieser Blätter als eine Art von Ueberflüßigkeit darzustellen, mich auf die Werke des Dichters Pfeffel verweisen, so habe ich nur zu entgegnen, daß Pfeffel erst in seinen zwanziger Jahren, nach dem Genuße der verschiedenen Bildungsanstalten das Licht der Augen verlor. Luise vermochte von den ersten Tagen nach ihrer Geburt bis zur Stunde ihres Dahinscheidens kaum einen hellen Schimmer ohne alle Umrisse nur mit einem ihrer Augen zu bemerken, so daß sie als blindgeboren betrachtet werden kann. Mehrfache Untersuchungen erprobter Augenärzte wiesen die Unabwendbarkeit dieses ihres Uebels aus. Dem Seelenforscher werden daher Luisens Dichtungen willkommen sein und man wird ihr, die für ihre Gemälde den Pinsel vorzugsweis in die Farben der Lichtwelt taucht, die Aufmerksamkeit nicht versagen können, aber auch das öftere Wiederholen einzelner Bilder in den psychologischen Verhältnissen der Blinden gegründet finden.

Luisens erste poetische Versuche fallen in ihre frühe Jugendzeit. Ohne irgend eine Anleitung und ohne eine äußere bewußte Anregung beschäftigte sie sich mit denselben längere Zeit im Stillen, bis einst in einem fröhlichen Augenblick in einem kleinen vertrauten Kreise kleine Stegreifverse hin und her gewechselt wurden, auch sie ihre kleine, aber beßte Beisteuer lieferte und so ihr Talent verrieth. Einzelne ihrer ersten Versuche werden noch unter den Papieren ihrer Familie aufbewahrt. Der von dem zarten vierzehnjährigen Mädchen gewählte Stoff des ersten ausgeschriebenen Versuchs hat mir schon oft ein Lächeln abgewonnen: es besteht derselbe nämlich in »Lob und Preis des alten Herrn Vetters«, eines Mannes aus alter guter Zeit, der als Hauptmann in französischen Kriegsdiensten gestanden war. Von Heldenthaten war da nichts zu melden und Luisens kleine Leier wäre wohl auch für solche zu zart und zu weich gewesen. Den Kern des Versuchs bildet die Anerkennung der Dankbarkeit des Gefeierten, welche er gegen seine verarmten Eltern durch vielfältige Unterstützung derselben aus seinen Soldersparnissen an den Tag gelegt hatte. Durch diesen Kern wird der Stoff, so sehr er anfänglich befremdet, Luisens Gemüth wieder nahe gelegt und dieses kann an dem Kriegsmann, wie eine edle Rede an dem Stabe, empor ranken. Nachdem in dem Versuche die militärische Laufbahn des Herrn Vetters umständlich geschildert ist, wird rühmend erwähnt, daß er in dem vielfach lockenden Frankreich das Gebot des Herrn: du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß es dir wohl ergehe auf Erden, nicht aus den Augen gelassen, und als Gotteslohn für die Beachtung seiner Kindespflicht sein heiteres zufriednes Alter erklärte, Luise schließt dann ihr Loblied mit folgenden Worten:

Dies ist nun die Geschichte
Des Menschen, den ich ehre.
Und dessen Beispiel auch
Von Tag zu Tag verehre.
O Gott, gieb mir nur Gnade,
Zufriedenheit wie ihm,
Und laß mich auf dem Pfade
Die Eltern lieben, sie auch ehren
Und folgen ihren edlen Lehren!

Luise gehörte in ihrer äußern Erscheinung zu den liebenswürdigsten anziehendsten Menschen. Sie wollte in keinem Falle anders oder mehr scheinen als sie war. Ob ihr auch die Augen, diese Spiegel der Seele fehlten, so war doch ihre innere Ruhe, Schönheit und Würde über ihrem anmuthigen Antlitz ausgegossen. Einfachheit und Reinlichkeit waren so zu sagen der einzige Schmuck ihrer Bekleidung. Sie liebte die häuslichen Arbeiten, nähte, strickte, spann und waltete in dem väterlichen Badgasthof, dem Stadhof, während der Sommerzeit mit auffallender Sicherheit als Aufseherin über die kleinen Wirthschaftsvorräthe, die den Bediensteten stets zur Hand sein mußten; rührend bedauerte sie oft, ihre vielbeschäftigten Eltern, in ihrem Gewerbe nicht durch umfaßendere eingreifendre Thätigkeit unterstützen zu können. Ihr Herz war ohne Falsch und darum offen, vertrauend, hingebend; ihr ächt weibliches, immer kindlich reines Gemüth fühlte sich von der unschuldigen Welt der Kinder innig angezogen; da die Natur mit der Blendung der Augen ihr, wenn nicht versagte, doch erschwerte, selbst Mutter zu werden, so war es ihr in den letzten Lebensjahren ein lieber schmeichelnder Gedanke, zu einer Art von Pflegemutter der zarten früh dahingewelkten Ida, des erstgebornen Mädchens ihrer Schwester zu werden. Belehrung war ihr willkommen; so viel in ihrer Möglichkeit, suchte sie sich dieselbe selbst zu verschaffen und es war unter anderm artig anzuschauen, wie sie, eine Freundin der Blumen, besonders der kleinen Rosen und der Veilchen, die vom Samenkorn an wachsenden und dann wieder welkenden Pflanzen mit ihren zarten Fingern von Tag zu Tag untersuchte, um so ein Bild von dem Leben derselben sich zu erfühlen. Sie faßte leicht und schnell auf und ihre Urtheile waren sicher, treffend. In dieser letzteren Beziehung fiel am meisten auf, daß sie, die Blinde, im Rathe der Frauen über die Farben, die diese oder jene für ihren entsprechenden Anzug zu wählen hatte, so vollgültige Winke zu geben wußte. Sie liebte im Stillen und in der Zurückgezogenheit zu walten und war allem Aufsehenerregenden abhold. So rührend sie ihre Dichtungen vorzutragen wußte, so sicher sie war, einen guten Eindruck nicht zu verfehlen, so hätte sie denoch stets vorgezogen, deßhalb unangesprochen zu bleiben. Von des Tages Lust und Hast, dieses oder jenes geistige Erzeugniß noch tintennaß der Oeffentlichkeit zu übergeben, war sie gänzlich frei, sie sah ihre Dichtungen nicht einmal gern auf verschlossenes Papier gebracht. Nur dringendes von ihr kaum abzuwehrendes Ersuchen machte es möglich, daß bis zum Jahr 1823 drei oder vier ihrer Dichtungen öffentlich erschienen und den in oben bezeichneter Zeit vorgenommenen Druck eines Theils derselben ließ sie, immer noch mit innerem Wiederstreben, geschehen, als man sie überzeugt hatte, wie sehr von mehreren Seiten wiederholte Nachfragen ihrer Bekannten und Freunde das Verlangen der Herausgabe ihrer Jugendarbeiten ausgesprochen hätten. So giengen diese zarten Blüthen, beinahe wider den Willen ihrer Pflegerin dem stillen heimischen Garten entrissen, in fremde Hände über und ihre öffentliche Erscheinung war vor allem auch ein frommes Opfer kindlichen Gehorsams, das Luise dem Wunsch ihrer Eltern dargebracht, eine heilige Gottesgabe, die sie in den Schooß der leidenden Menschheit niedergelegt hat. Luise wollte anfänglich diese Sammlung als ein Scherflein auf den noch blutenden Altar hellenischer Freiheit darbringen, doch diesen Gedanken überwogen die Stimme der Armuth und des Leidens in eigener Nähe und der Umstand, daß im gleichen Augenblick eine Musenpriesterin im Nordwesten der Schweiz, ihre früh dahingeschiedene Freundin Sophie Richard-Schilling in Liestal, zu diesem edlen Zwecke ihre Gedichte unter dem Namen: Opferblumen in Basel bei Schweighauser drucken ließ. Luise bestimmte den Ertrag des Drucks der Unterstützung der zu den Heilquellen ihrer Vaterstadt Baden pilgernden, Genesung suchenden armen Kranken ohne Rücksicht auf Heimath und Confession derselben. Hier muß die schöne Bescheidenheit erwähnt werden, mit welcher sie es stets abzulehnen suchte, daß ihr Name und ihre Schenkung dem den Wohlthätern der Badarmen geweihten Denkstein eingegraben werde. Heiter in Geist und Gemüth, theilnehmend in Freud und Leid, in allen Verhältnißen edlen Gleichmuth bewahrend, bescheiden, sanft, gefällig, die Mitsprechenden aus das halbe Wort hin verstehend, und selbst ihr fremde Meinungen von der beßten Seite auffassend, war sie eine durchaus freundliche und anmuthige Gesellschafterin; ihre Geselligkeit war jedoch gerne auf einen kleinen Kreis erwünschter Personen beschränkt, der sowohl einige altbewährte Freunde als auch jüngere Bekanntschaften, zu denen der väterliche Gasthof auch hie und da lästigen Anlaß gab, umfaßte. Luisens seliger Geist dürfte zürnen+– er verzeihe mir den Ausdruck!+– wenn ich hier vergessen wurde der ihr stets willkommenen, erheiternden und in manigfacher Beziehung fördernden Unterhaltung besonders zu erwähnen, deren sie sich im Laufe mehrerer Jahre so zu sagen täglich zu erfreuen hatte von Seite des feingebildeten ausgezeichneten in Baden jetzt noch mit tiefem Dank genannten Lehrers Herrn Federers aus dem Kt. St.+Gallen, des Herausgebers von Luisens Gedichten im Jahr 1823, wie auch von Seite des Herrn Dr.+Haschers aus Basel, welcher einen herrlichen Schatz der Lebensweisheit in seinen Erinnerungen aus Halle und Berlin aus den vertrauten, befreundeten Kreisen eines Schleiermachers, eines Steffens, eines Varnhagens von Ense und eines Chamissos bewahrt und welcher in seiner belebten manches schätzbare umschließenden Vaterstadt in selbstgewählter Einsamkeit die Klarheit seines Geistes und die Innigkeit seines Gefühls für das Gute und Schöne des ihn umgebenden, aber nicht zum thatkräftigen Eingreifen anziehenden Lebens stets fort zu pflegen weiß. Wenn Haschers Name in der Halle der Freundschaft, der Liebe und der Achtung, welche Luise in ihren Dichtungen errichtet hat, fehlt, so kann dieß als eine zarte Strafe angesehen werden, die dieser sich von ihr, die ihm innigst zugethan war, selbst zugezogen hat: er sprach in der Unterhaltung mit ihr hie und da seine den Frauendichtungen im allgemeinen nicht zugethane Ansicht aus. Hatte er dadurch sie auch veranlaßt, ihm von ihrem fortgesetzten dichterischen Walten seit 1823 stets ein Geheimniß zu machen?+– Alles Aechte, Gute und Schöne war Luisen ein Entzücken, gleichviel, ob sie es bei einzelnen Menschen oder ganzen Völkern, in der Hütte des Armen oder auf fürstlichen Thronen fand: sie begrüßte es mit den besten Tönen Ihrer Seelenharfe. Das höchste Ziel des Lebens schien ihr im Menschenglück durch gemüthliche Veredlung und in gemüthlicher Veredlung durch kindlich frommen Glauben, der klar und warm Geist und Gemüth zugleich befriedigte, zu liegen.

Die Grundlage von Luisens ganzem Leben war die Gemüthlichkeit und wo diese im Leben der Einzelnen und der Völker waltet, herrschen Friede und Ruhe in ununterbrochener Gleichförmigkeit im allgemeinen fort und fort. Es ist demnach nicht befremdend, wenn ich nur zwei Ereignisse besonders herauszuheben vermag, in denen Luisens Leben besondere sie beglückende Wendungen erhielt. Diese Wendungen gingen von zwei gleichsam nur durch die Gunst des Zufalls in ihre Nähe geleitete deutsche Männer, von Mathison und Elster aus. In dankbarer Erinnerung an den Einfluß dieser Männer auf die Entwicklung und Fortbildung ihrer Anlagen zur Dicht- und Tonkunst blieben diese Namen stets von ihr gleich hochverehrt und es ist Pflicht bei ihnen einige Augenblicke zu verweilen. Ich erfülle diese Pflicht um so freudiger, weil die Schilderung der Verhältniße dieser Männer zu Luisen, von diesen selbst ausgegangen und in ihren Schriften enthalten, die schönsten Belege für die Richtigkeit meiner Ansichten über unsere Luise bildet.

Luise betrachtete stets die Poesie als eine treue Lebensgefährtin, die ihr die dunklen Tage ihres Daseins mit reinem Glanz zu erheitern bestimmt sei, sie nahm sie als ein heiliges Geschenk von Gottes Vaterliebe dankbar an und verwaltete dasselbe mit reinem Herzen und reinen Händen, als eine treue Priesterin. Mehrere Jahre verliefen über ihrem stillen Dienste; sie zog aus demselben als schönen Gewinn die Freude reiner Selbstbefriedigung, allein lange hatte sie ein Zuversicht gebendes oder berichtigendes Urtheil von einem anerkannten Kunstverständigen zu missen. Sie hatte bereits das siebenzehnte Lebensjahr zurückgelegt als das günstige Geschick den in der Schweiz und in Deutschland hochverehrten Dichter Mathison im Gefolge des Herzogs Wilhelm von Würtenberg und seiner Familie auf ihrer Reise über Zürich nach Baden und von da über Genf nach Florenz im Jahr 1819 in den Gasthof ihres Vaters führte. Während seines mehrere Wochen dauernden Aufenthalts hörte er die Deklamationen der Verfasserin an, beurtheilte ihre Arbeiten und wurde durch seine freundschaftlichen Bemerkungen zu einem Sicherheit gebenden Führer in dem kleinen Heiligthum ihrer Dichtungsweise. Es kam mir immer wunderbar vor, daß gerade Mathison als solcher Führer erscheinen mußte; seine Dichtungen enthalten Grundelemente, die in Luisens Liedern sich wiederfinden, ja diese können gleichsam als eine Ergänzung und Erweiterung von jenen betrachtet werden: Mathison malt Landschaften, über die er so anziehend den Duft der Wehmuth auszugießen versteht, Luise dagegen gibt Seelengemälde, über denen der wohlthuende Lichtstrahl der Zufriedenheit waltet oder der Hauch des Geistesheimwehs nach dem beßern Vaterlande so labend und heitermuthigend weht. So konnte das Urtheil von Mathison, dem Geistesverwandten, auf Luisens Dichtungsweise und auf ihre daraus erblühende Lebensfreude nicht nur nicht störend einwirken, sondern es mußte dieselben in jeder Beziehung fördern.

In Mathisons »Erinnerungen« [ s. Bd. 7 seiner Schriften. Zürich 1829. ] findet sich eine Beschreibung dieser oben angedeuteten Reise, in welcher auf Seite 161–163 der für Luise so glücklich nachwirkenden Begegnung auf folgende Weise Ermahnung gethan wird:

»Frau Egloff, unsere Wirthin, hat eine siebenzehnjährige Tochter, die seit ihrem dritten Lebenstage des Gesichts beraubt und folglich so gut als blind geboren zu betrachten ist. Alle Blinde, die mir noch im Leben begegneten, waren frohen und heitern Sinnes, vor allen Huber der Naturforscher, und Pessel der Dichter. Nicht so die Harthörigen. Nur mit Ausnahme des weisen Bonnets, fand ich diese fast immer mißmuthig, finster und nicht selten im Kampfe mit Lebensüberdruß. Die blinde Luise Egloff ist fröhlich wie ein Kind, das auf bunter Wiese alle Blumen gerne mit einem Griffe pflücken möchte. Schon frühzeitig legte sie ein entschiedenes Talent zur Dichtkunst an den Tag. Auch zog sie die poetische Lektüre jeder andern vor. Nur thaten ihrem feinen Gehörsinn die Vorleser selten Genüge. Den meisten ihrer Dichtungen gab sie lyrische Form. Mehrere Lieder, die sie harmonisch und anmuthig vortrug, zeichnen sich durch tiefes Gefühl, religiösen Sinn und besonders durch wohltönende und richtige Versifikation vortheilhaft aus. Vor der völligen Ausbildung sagt sie nie ein Gedicht in die Feder. Meine kleinen Kritiken wurden dankbar und freundlich von ihr aufgenommen. Von aller Poesie abgesehen, gehört Luise, vorzüglich durch reinen Tugendsinn, zarte Weiblichkeit und wissenschaftliche Kenntniße, die eine treffliche Erziehung voraussetzen, in der sittlichen Welt zu den sehr erfreulichen Erscheinungen. Als Andenken an die intressante Blinde, deren kindliches Wohlwollen mir so lieb und erwünscht war, möge eines ihrer Lieder, das sie den Tag vor dem Abschiede mir diktierte, hier eine Stelle finden:

Der Abend.
Siehe Seite 48 dieser Sammlung.

»Auch der Herzogin war es immer eine rührende Freude, Luisen ihre Gedichte selbst hersagen zu hören. Besonders ergreifend fand sie die Ermunterung an die Zöglinge der Blindenanstalt in Zürich und vorzüglich gelungen eine Umschreibung des Vaterunsers.«

Ich halte es für überflüßig, noch besonders hier von den wißenschaftlichen Kentnißen, welche Mathison unsrer Luise beilegt, zu sprechen, indem die Berechtigung dieses Ausdrucks aus unseren früheren Betrachtungen zur Genüge hervorgeht.

Die Schilderung der Entfaltung von Luisens Anlagen zur Tonkunst ist in den in Schleusingen 1837 erschienenen, von dem Dichter Bechstein herausgegebenen »Fahrten eines Musikanten« enthalten. Die in diesem Werke vorkommende »Blinde Dichterin« ist unsere Luise, und von ihr heißt es in demselben:

»In meinem musikalischen Wirkungskreise machte mir vor allem ein Unterricht hohe Freude, auf den ich stolz sein werde, so lange ich lebe. In meinem Wohnort Baden lebte ein Mädchen, welches die Natur mit den schönsten geistigen Fähigkeiten ausgestattet, aber ihr das Augenlicht versagt hatte. Der Zufall wollte, daß ich in ihrem väterlichen Hause und mit ihr bekannt ward, und bald entdeckte ich in ihrer Unterhaltung so viel Poesie, so viel richtiges Urtheil über Musik, und eine sanfte wahrhafte Engelsseele, wie sie nur immer in einem reinen weiblichen Herzen die Gefühle, Empfindungen und die Eindrücke der Außenwelt zur Poesie erklären kann. Besonders liebte Luise den Gesang, allein sie sang nicht, in der Meinung keine Stimme zu haben. Dennoch schien es mir, daß sich ihre Stimme zur vollkommenen Altstimme werde ausbilden lassen, und so machte ich den Versuch, mit ihr zu singen. Erst zitterten ihre Töne nur ganz schüchtern aus der Brust, die der Liedergott mit tönendem Finger beseelt hatte, Luise hatte nicht nur Stimme, sondern auch Anlage zum Gesang. Welche Freude für mich, welche Freude für das unglückliche lichtlose Mädchen, das nun die Hoffnung hegen durfte, den eignen Liedern Töne zu geben und im Gesang Ruhe, Frieden, ja den Himmel zu finden, den ihr alle Erdengüter, mit denen sie von Glück reichlich bedacht war, nicht zu geben vermochten. Ich war es, der erkoren war, Luisen diese selige Befriedigung zu geben und ich gab sie ihr. Wohl mußte ich mir eine eigene Methode des Unterrichts bilden, lange dachte ich darüber nach, wie ich ihr den Musikunterricht ohne sichtbare Notenzeichen so leicht als möglich machen könne, doch ihre Anlagen kamen mir zu Hülfe. Mit unglaublicher Fassungsgabe begriff sie alles und entwickelte in der Zeit eines Jahres so viel Geschick im Klavierspielen, daß sie Bewunderung erregte. Es war hinreißend, Luisen singen zu hören. Man vernahm in ihrem Gesang nicht Töne aus dieser, sondern aus einer andern Welt. Ihre eigenen Liederdichtungen begabte sie mit Tönen und schwebte auf den Engelflügeln des Gesangs in seligen Gefühlen nach jenseits hinüber und dabei umfloß himmlische Verklärung ihr liebes, holdes Angesicht. Wie oft drängte sich dieses Mädchen im Gefühle ihres Glückes an meine Seite, drückte mir mit Entzücken die Hand, um ihren unendlichen Dank mir auszudrücken, und fühlte sich im Besitz der Lieder, die sie sang, glücklich und zufrieden, gern vergessend, daß grausam die Natur ihr das Augenlicht versagt hatte.

Das reizend stille Familienleben in der Sphäre dieses irrdischen Engels gewährte mir die zufriedensten, seligsten Stunden; ich fühlte mich wohl und heimisch und flüchtete gerne zu diesem Asyle, wenn mich zuweilen kleinliche Verhältniße, Philisterei und Brodneid rauh und unsanft in meinem freudigen musikalischen Wirken störten, Luisens Gesang und Spiel war die Davidsharfe, die Zorn und Unmuth beseitigen und besänftigen konnte. Doch diese Dämonen bedrängten mich selten; war auch manches anders, als es hätte sein können, so gestehe ich doch gern, daß kein Land und keine Verhältnisse mir jemals beßer gefallen, mich individuell mehr angesprochen haben als die Schweiz und die schweizerischen, abgesehen von den Naturreizen, mit denen jene Gegenden vor der Allmacht bevorzugt wurden. Hier fand ich eine zweite schönre Heimath und sehnte mich nicht, sie zu verlassen. Ueberall war reges Leben, Antheil an allem, was Land und Volk und Verfassung betraf, freie Rede, freie Rüge, freie Vertheidigung.

So hatte ich denn die Ruhe und den Frieden gefunden, nach so mancher Irrfahrt, nach manchem Schmerz, nach mancher trüben Erfahrung. Ich stand am Ziele. Hatte ich doch einen stets ersehnten willkommenen Wirkungskreis, eine nützliche Thätigkeit, ein mit Erfolg und Beifall gekröntes Streben; nicht minder lebten mir in meiner neuen Heimath achtbare und treue Freunde, es fehlte mir nichts mehr, als der eigene Heerd. Manchmal, wenn ich mit innigem Wohlgefallen Luisens seelenvollen Liedern lauschte, kam mir der Gedanke, ob ich nicht dieses engelreine Herz mir noch inniger gewinnen solle? Meine Verhältniße, meine Schicksale hatte ich in still traulichen Stunden ihr längst enthüllt, sie hatte mit mir geweint, sich für mich geängstet, für mich gelebt und wohl aus innerster Seele für mich gebetet. Sie faßte alles poetisch auf, jede Erscheinung verkörperte sie in ein Gedicht und ihre Lyrik war meist sangbar. Vieles komponirte ich, sang und spielte es Luisen auf dem Clavier vor, und durch dieß wiederholte, für beide Theile trostvolle, das Gefühl befriedigende Beisammensein schlang sich das Band der innigsten Zuneigung um unsere Seelen und Herzen fest. Alle Verhältniße der liebenswürdigen Dichterin waren so gestellt, daß in Bezug auf Äußerliches der Mangel des Gesichts mich nicht hätte abhalten dürfen, um ihre Hand zu werben. Meinem in die Ferne so oft und gern schweifenden Sinn fehlte gerade eine Fessel, die mich mit freundlicher Gewalt an die Gegenwart und am einmal ergriffenen hielt. Lange sann ich hin und her, lange prüfend, lange überlegend, lange wählend. Es blühten an meinem damaligen Lebenswege viele Alpenrosen. Man hegt Vorurtheile gegen Dichterinnen; wären alle, wie jene Luise, so müßte man sie gleich Heiligen verehren. Aber freilich, die Blinde in ihrer Abgeschiedenheit, und von blutsverwandter Liebe auf den Händen getragen, kannte nicht die Eitelkeit, nicht die Ruhmsucht, auch nicht die Schattenseiten des literarischen Wirkens. Sie blühte wie eine einsame Blume des Gebirgs und sang wie eine geblendete Nachtigall wonne- und wundersam. Daß sie nichts erfuhr von kritischer Erbärmlichkeit und nichts erlitt vom ästhetischen Pöbel, das machte sie sehr glücklich. Die schamlose Natürlichkeit, die selbstsüchtige Koketterie, das Wohlgefallen am Tagestreiben und an der Tageslüge, das posierliche Haschen nach litterarischem Eklat, das Verleugnen jeder zarten Weiblichkeit, welches alles von einigen modernen Dichterinnen und Schriftstellerinnen aufgeboten worden ist, um einen zweideutigen und ephemeren Beifall der Gleichgesinnten und Verbündeten zu erhaschen, war ihr völlig fremd. Sie war rein, ächt weiblich, sinnig gemüthlich, gottergeben. Unser Verhältniß nahm ganz den Charakter eines geschwisterlichen an, dennoch übte ihr anziehendes seelenvolles Wesen auf mich den größten Zauber aus, ich fühlte mich selbst reiner und besser in ihrer beseligenden Nähe, hätte oft zu ihren Füßen, oft an ihre Brust sinken mögen. Immer aber hielt mich der Genius ihrer würdevollen Jungfräulichkeit von jeder Unzartheit zurück. Oft auch hatte ich ein Wort auf der Lippe, das entscheidend für meine ganze Zukunft geworden wäre, wenn ich es ausgesprochen hatte.

Mit ganz besonderer Vorliebe sang Luise ein von mir komponiertes Lied, dessen Anfang hier stehe:

Irgend und irgend im Wald
Blühet ein Röselein,
Lieblich von Farb und Gestalt,
Heimlich allein.

Wenn ich das Röslein seh,
Singet mein Herz! Juchhe!
Heisa! Halloh!
Heisa! Juchhe!«

So weit unser Elster, der fahrende Kunstjünger. Wenn dieser mir theure Mann in seiner Kunst den ganzen Himmel, nicht nur eine beseligende Himmelsgabe für Luise erblicken will, so ist mit ihm gewiß nicht zu rechten: eine solche Ueberhebung ist den für ihr Fach hochbegeisterten gewöhnlich eigen. Ohne mein Zuthun wird der ruhige Beobachter von Luisens innerem Wesen die Wahrheit schauen, daß der Himmel so rein und klar, wie die Sonne in einem See, nur in dem ganzen tiefen Wesen von Luisens Natur sich ihr wiederspiegeln konnte und daß die lieblichen Geschwister: Dicht- und Tonkunst diesen ihren Spiegel nur feiner zu schleifen vermochten. Liegt doch der sprechendste Beweis für meine Ansicht darin, daß gerade in dieser Zeit die schönsten Klänge der Sehnsucht nach dem Jenseits aus Luisens Herzen hervorklangen, wie Elster schön und wahr selbst berichtet.

Elster wurde nach einem Aufenthalt von wenigen Jahren aus Baden weg in seine Heimath von der süßen Pflicht alter Liebe zurückgerufen. Er hatte den Glauben ganz aufgegeben, daß ein Röschen für ihn blühe und doch war Luisens Gesang vom Röschen im Walde für ihn der Gesang einer Seherin. Kaum war einmal dieser Gesang aus Luisens Munde verschollen, empfing der in sich vertieft, gedankenvoll sich entfernende die frohe Botschaft, daß seine erste Jugendliebe, die in äußerem Drang für ihn verloren schien, für ihn wiedergefunden sei. Röschen war der Name seiner herrlichen Geliebten.

Bei der Schilderung des Abschieds von Baden erwähnt Elster unserer Luise noch einmal: seine Worte lauten:

»Von manchem Freund that mir der Abschied schmerzlich weh, am wehsten von Luisen. Doch der Segen dieses Engels begleitete mich; ich weiß auch, daß ich in ihrem Andenken fortlebte. Sie ist früh abgerufen worden. In einer Nacht hörte ich dreimal ganz deutlich meinen Namen rufen, acht Tage nachher kam die Nachricht ihres Todes in derselben Nacht, die ich aufgezeichnet hatte. Mein Name war ihr letzter Seufzer.«

Ich bedaure, daß Elster seiner früheren Schilderung seines Verhältnißes zu Luisen in den zwei Schlußsätzen der Abschiedserwähnung keine ächte, würdige Krone aufgesetzt hat. Ich bedaure dieses nicht bloß darum, weil durch diesen Zug ins Abendtheuerliche, Sinnlichmystische die Naivität, Reinheit und Wahrheit seiner Künstleridille vernichtet, sondern weil durch ihn so dem tiefen innren Wesen Luisens einigermaßen Wehe gethan wird. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, meine Ansichten über das »Künden« der Geister zu entwickeln, mir genügt an dem Boden des Reingeschichtlichen festzuhalten, um Elsters Versehen in seiner Darstellung zu berichtigen. Luise schied nicht in der Nacht aus dieser Welt, sondern in den heitern Mittagsstunden. Ich befand mich mit andern an ihrem Sterbebette, aber keiner der Anwesenden hörte irgend einen Namen über Luisens Lippen gehen. Ueberhaupt war diese von den größten Schmerzen einer jahrelang andauernden auszehrenden Krankheit umgeben in ihrer letzten Lebenzeit so zu sagen ganz schweigsam, alle persönlichen Bezüge aus der Vergangenheit schienen ihr, der lebensmüden, ganz fern abzuliegen, selbst Musik und Dichtkunst waren mit ihren Reizen für sie in den drei letzten Lebensjahren in den Hintergrund getreten und sie stellte sich dem Auge des Beobachters wenn auch noch lebend gleichsam als eine von der Erde im Geist losgetrennte dar, ein Zustand, den hie und da selbst die feingebildetsten, aber in dem sie umwogenden Erdenleben befangenen Hochbefreundeten nicht zu verstehen und zu begreifen schienen. Ich bin überzeugt daß unser Elster dem Wesen unserer Luise nicht Wehe thun wollte und ich kann für das gerügte keine andere Quelle finden als diejenige, welche in meiner Ansicht liegt, daß entweder die hie und da allzu lebhafte, in den Fahrten eines Musikanten besonders den Schönen gegenüber etwas zu freikombinirende Phantasie des Verfassers infolge unrichtiger Berichte und Auffassungen in eine irrige Kombination gerieth oder aber, daß der Dichterherausgeber Bechstein sich eine ihm romantisch erscheinende Erweiterung erlaubte, weil ihm die Künstleridille zu schön erschien, um sie mit dem Abschied von Elster oder sogar mit Luisens Tod abzuschließen, und er dafür hielt, daß sie werth sei, mit dichterischem Geiste noch hinüber in das ewige Reich der Geister fortgesponnen zu werden.

Beßer als meine Worte es vermöchten, stellen Luisens Briefe an Elster von ihr, nach deßen Abreise von Baden, in vertraute Feder diktirt, ihr Wesen auf den einfachen, naiven, ja kindlich reinen Boden zurück. Ich theile diese Briefe, auch abgesehen von dem angedeuteten Grunde, darum mit, weil ich glaube, den Lesern willkommenes zu bieten, indem sie daraus ersehen können, wie Luisens Wesen in gebundener und ungebundener Rede sich immer gleich ausspricht. Die Briefe lauten:

 

Theurer, verehrter Freund!

Nur Sie können sich die unaussprechliche Freude denken, mit der ich ihren lieben Brief empfing, denn nur sie kennen den warmen Antheil, den mein Herz immer an allen Ihren Schicksalen nahm; darum sehnte ich mich auch recht lebhaft, Nachrichten von Ihnen zu erhalten. Ich erkundigte mich fleißig bei Herrn Huber nach Ihnen, der mir dann sagte, was er durch Herrn Keller erfuhr. Es war mir aber immer nicht genug und erst vor einigen Tagen äußerte ich mich gegen ihn: Herr Elster hat wohl die Schweiz und ihre Bewohner ganz vergessen. Wie gern nehme ich jetzt diesen voreiligen Ausspruch zurück. O wie wohl thut es mir, wenn gute Menschen auch aus weiter Ferne mit Theilnahme und Liebe sich meiner erinnern! Das fühlte ich, als man mir ihre freundlichen Zeilen vorlas. Ihr Andenken wird immer in meiner Seele fortleben und die lieblichen Gesänge, die Sie für mich komponirten, werden die frohen Stunden recht oft in mein Gedächtniß zurückrufen, die ich an ihrer Seite in Erlernung derselben zubrachte und die ich Ihnen wohl manchmal durch meine Unachtsamkeit verbitterte, obschon die Art Ihres Unterrichts so geeignet war, meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehn. Die Lehren, die Sie mir aus eigener Ueberzeugung gaben, machten einen bleibendern Eindruck auf mich, als nur ein gewöhnliches mechanisches Treiben. Herr Huber unterrichtet mich mit unermüdeter Geduld. Ich nehme jetzt wöchentlich zwei Stunden, außer diesen aber komme ich nie auch nur zum Einüben. Das geräuschvolle Leben des Sommers ist mir hierin nicht günstig; ich verspreche mir jedoch mehr vom kommenden Winter, während dem ich dann Gelegenheit finde, mir selbst etwas fortzuhelfen, was ich auch gewiß thun werde, wenn es auch nur wegen Ihnen geschehen sollte, damit Sie so viele Zeit und Mühe nicht vergebens an mich gewendet haben mögen. Die Musik kann und wird mir manchen erheiternden Genuß gewähren.

 

Erlauben es Ihnen Ihre Geschäfte, zuweilen ein Lied für mich in Musik zu setzen und können Sie mir dann daßelbe überschicken, so werden Sie mir dadurch eine große Wonne bereiten. Sie kennen jetzt meine Stimme und wißen, was ich zu leisten vermag. Auch sprechen mich Ihre Kompositionen am meisten an. Verzeihen Sie, mein Freund, daß ich es wage, von ihrer Güte Gebrauch zu machen. Die Auswahl der Stücke überlasse ich Ihnen ganz. Sie wußten es mir ja immer zu treffen.

Erst kürzlich erlebte ich wieder einen neuen Schmerz. Herr Pfarrer Benker bewarb sich um die Pfarrei in Schöstland, die er auch erhielt. Dadurch wurde nun meine Henriette wieder weiter von mir entfernt und an einen Ort versetzt, an dem ich sie wohl selten oder nie besuchen kann. Ach welch trauriges Loos! Zuletzt werden noch alle meine Freunde mir entrissen!

Wenn es Ihnen möglich ist, im künftigen Jahre nach Baden zu kommen, so thun Sie es doch. Aber dann ja nicht, ohne Ihre Gattin mit sich zu bringen, die ich schon aus Ihren Erzählungen kennen und lieben lernte. Es wird mich erquicken, wieder ein Wesen um mich zu sehen, das fähig ist, mich zu verstehen. Ich will mich jedoch nicht auf die Erfüllung dieses Wunsches erfreuen, denn das Schicksal zerstörte mir schon manche süße Hoffnung, daß ich mir vorgenommen habe, keiner mehr in meiner Brust Raum zu geben.

Von meinen Vögeln, nach denen Sie sich nicht einmal erkundigen, wenn es gleich Ihre Pfleglinge sind, befindet sich der eine wohl, ich konnte aber keine Jungen von ihnen erhalten. Das Weibchen legte einigemal Eier, die immer leer waren, bis es zuletzt starb. Nun suchte ich mir wieder ein anderes zu verschaffen, das ebenfalls vergebens Eier legte. Jetzt ist die Brutzeit vorüber. Sie sehen also, daß ich auch hierin keine Freude haben soll.

Nun leben sie wohl! Verzeihen Sie, wenn ich Sie durch mein Geschwätz ermüde, nehmen Sie meine herzlichsten Grüße an Sie und Ihre liebe Frau. Ich bin mit Achtung

Ihre ferne Freundin L.
Baden im Aargau im August 1829.

Auch viele Grüße von meinen lieben Eltern,
Prof. Federer und Huber.

 

Theurer Freund!

Ihr langes Stillschweigen beunruhigte mich wirklich sehr. Schon war ich geneigt zu glauben, mein Andenken sei in dem Strudel der vielen Geschäfte, von denen Sie umgeben sind, untergegangen. Wie wohl that es mir nun, zu hören, daß nichts von diesem Allen im Stande ist, den warmen Antheil zu schwächen, den Sie an meinem Schicksale nehmen. Mit desto größerer Freude empfing ich Ihren lieben Brief, und das demselben beigelegte für mich in Musik gesetzte Lied, deßen freundliche Klänge mein Herz so wohlthuend ansprechen und durch die mir gleichsam die unermüdete Gedult, mit der Sie mich in dieser schönen Kunst unterrichteten, in einem höheren Lichte strahlt. Doch nicht nur beim Absingen deßelben, sondern bei allem, was von der Harmonie der Töne mir beigebracht wird, erinnere ich mich an Sie. Sie waren es ja, der mich in das Reich der Töne einführte und so ruft Alles, was auf diesem Gebiete gedeiht, Ihr Bild vor meine Seele. Freilich hat das, was Sie jetzt für mich in weiter Ferne komponiren und was Sie mir schon früher übergaben, einen doppelten Werth für mich, darum lege ich hier mit Freuden drei meiner Gedichte: Wiegenlied an Louis Richard, Morgengebet und Einer trauernden Mutter bei. Sie mögen selbst wählen, welches von ihnen sich am beßten zum Gesange eignet. Allein ich wünschte auch etwas von Ihrer eigenen Auswahl aus andern Dichtern zu besitzen, denn die liebliche Quelle der Poesie scheint für mich ganz versiegen zu wollen. Aber lassen sie sich mit dem allen nur Zeit, denn ich weiß wohl, daß man zu solchen geistigen Arbeiten weder den Tag noch die Stunde bestimmen kann, in der man sie vornehmen will, sondern den Augenblick geduldig abwarten muß, der uns in eine dazu gehörige Stimmung versetzt. Es wird mir immer ein reines Vergnügen gewähren, wenn Sie mir zuweilen Nachricht von Ihnen und den werthen Ihrigen geben können. Doch glaube ich an Ihrer Freundschaft niemehr zu zweifeln, wenn ich auch jahrelang keinen schriftlichen Beweis von der Fortdauer derselben erhalten sollte. Den schönen Plan, die Schweiz zu bereisen, werden Sie wohl aufgeben müßen. Ihnen schien es leicht, die Heimath noch einmal zu verlassen; allein ich fühlte es voraus, daß ein häuslicher Kreis Sie immer festhalten werde. Ihre Gattin, die ich herzlich grüße, hätte ich ebenfalls gerne kennen gelernt. Gewiß wäre sie mir theuer geworden, da sie Ihre Liebe in so hohem Grade besitzt. Nun werde ich sie in diesem Leben wohl nie mehr mündlich sprechen können und diese Entbehrung gehört auch zu den schmerzlichen Leiden, die mir die Hand des Schicksals auflegte. Muß ich nicht auf alles verzichten, was mir noch einigen Genuß zu schaffen vermag! Doch ich will es mit ruhiger Ergebung thun und darin mein Glück suchen. Mit meinem Klavierspiel geht es langsam vorwärts und die allzugroße Schüchternheit, wenn ich mich vor jemanden hören lassen soll, will sich noch immer nicht verlieren, so sehr ich mir auch vorgenommen habe, sie zu überwinden. Ich würde mir dadurch wohl oft Ihren Tadel zuziehn, wenn Sie noch mein Lehrer wären. Ich wage es, Ihnen hier ein kleines von mir gedichtetes und nun auch komponirtes Wiegenlied zu überschicken, welches Herr Huber, der Sie auch freundlich grüßt, die Gefälligkeit hatte, niederzuschreiben, wobei ich bitte, mir die Fehler deßelben gewißenhaft anzuzeigen, damit mir ihr Urtheil zur Richtschnur dienen kann, wenn es mir später einfallen sollte, solche Versuche zu erneuen.

Leben Sie wohl! Empfangen Sie meine und der Meinigen beßte Grüße und behalten Sie im Andenken

Ihre
ferne Freundin L.

Baden den 31 Juni 1831.

 

Mancher Leser dürfte wünschen, hier im Intreße der Humanität die Grundzüge der musikalischen Unterrichtsmethode, die unserer Luise gegenüber angewendet wurde, näher entwikelt zu finden. Auch mir war ein solcher Wunsch einige Zeit lang nicht fremd, doch eine dießfällige Rücksprache mit Herrn Elster wieß die Erfüllung dieses Wunsches als beinahe unmöglich, in jedem Fall als folgenlos aus. Die Talente bei den Blinden sind so verschiedener Art, aber noch verschiedener ihre Anfassungen, daß der Lehrer niemals voraussagen kann, so will und so werde ich es machen, den Weg will ich einschlagen, um dieses oder jenes dem Blinden beizubringen. Oft zeigen die Blinden, vom inneren Geiste getrieben, den Gehenden den richtigen Weg, den diese niemals geahnet. Des Lehrers Verstand muß denn diesen Wink zu erkennen wißen und nicht eigensinnig Systemen huldigen, die ihm von der Gewohnheit zur Gewohnheit geworden sind. Elster hat bei Luisens Ausbildung des Verstandes und der Seele auch ihren Verstand und ihre Seele in Anspruch genommen und diese Methode war es, die sie zu einer bei Blinden seltenen musikalischen Ausbildung brachte. Von einer Art, von einem System kann nicht gesprochen werden, der Moment, die momentane Seelenstimmung hat Elsters Unterricht bei ihr geleitet und er konnte fast stets mit Zufriedenheit den Unterricht schließen.

Luise mochte das 23 Lebensjahr erreicht haben, als ihr Unterricht in der Musik begann. Nach Elsters Abgang von Baden setzte, wie wir bereits gesehen haben, denselben mit ihr der Musiklehrer Huber noch einige Zeit fort. Luise sang, spielte die Guitarre und das Klavier. Nicht ohne Intresse dürfte eine Untersuchung sein, wie sich ihre eigenen musikalischen Kompositionen zu der oben besprochenen inneren Harmonie verhalten. Ich, ein Fremdling im Gebiet der Tonkunst, finde mich außer Stand, dieses zu unternehmen, und muß mich begnügen, darauf aufmerksam zu machen, daß Kunstverständige die Luisischen Kompositionen anzuerkennen wußten und daß einer derselben über das Wiegenlied, gedichtet und komponirt von Luise, sich folgendermaßen aussprach: »Gedicht und Komposition athmen ein reines frommes Gemüth, die Melodie ist anspruchslos, kindlich und leicht faßlich; sie zeigt, daß die Dichterin auch in der Komposition das richtige Gefühl besaß, mit welchem solche Lieder behandelt sein wollen.«

Von Luisens eigenen musikalischen Kompositionen wurde bei ihrer Selbstgenügsamkeit und bei dem Mangel schnell auffassender Kunstverständigen in ihrer Umgebung nur weniges gerettet. Die Mittheilung dieses geretteten, wie einiger die Künstleridille von Luise und Elster vervollständigenden Kompositionen des letztem wird keine unwillkommene Beigabe der vorliegenden Blätter bilden. Es ist für mich eine angenehme Pflicht, unserem Elster hier öffentlich den innigsten Dank auszusprechen für die Bereitwilligkeit, mit welcher er in den letzteren Beziehungen mich mit dem Rath und der That der Freundschaft unterstützte und so sein immer noch waltendes Intresse an dem herrlichen weiblichen Gemüthe unserer Luise beurkundete.

Am Schluße der Betrachtung von Luisens Wirksamkeit auf dem Gebiet der Tonkunst darf nach meinem Dafürhalten die Bemerkung nicht fehlen, daß in folge der Entwicklung der Anlagen zur Tonkunst Luisens Dichtungen in der Form leichter, schwebender, reiner wurden. Mann lese in dieser Beziehung ihre Wiegenlieder, ihre Sehnsucht nach Licht und nach dem Jenseits, ihr Pfingstgedicht, ihr am Allerseelenfest u.+s.+w.

Luise hat, da sie am 14 Hornung des Jahres 1802 geboren war, kein hohes Alter erreicht, sie starb den 3 Jenner des Jahres 1834 so zu sagen in der Blüthezeit des Lebens. Ihre Asche wurde auf dem katholischen Friedhof ihrer Vaterstadt beigesetzt und dem Wandrer verkündet ein einfacher dunkler Marmorstein mit der von ihr selbst verfaßten Inschrift die von ihrer einzigen Schwester in liebender Erinnerung mit Blumen besetzte Stätte ihrer Ruhe. Die einige Zeit vor dem Tode, aber in Ahnung deßelben, gedichtete Grabschrift hatte Luise, zart sie den Augen der Eltern entrückend, in die bewahrenden Hände der Freundschaft niedergelegt. Ich erhielt sie von Henriette Benker, der Gattin des Herrn Pfarrers Vögtlein in Essingen im Aargau. Diese Henriette war ihres Herzens geliebteste Freundin, treu und wahr in allen Zeiten und Verhältnissen. Wenn die Wahrheit des Spruchs im Munde des Volks: »Gleiches gesellt sich zu Gleichen« sich überall im Leben hervorstellt, so läßt Luisens innige Anschmiegung und Verschmelzung an und in das geistige und gemüthliche Sein dieser ihrer Freundin auf den innern Werth derselben den sichern Schluß ziehen.

Ich bedaure den Leser nicht mehr ins Einzelne gehende Beobachtungen aus Luisens Leben verlegen zu können; an Erkundigungen und Nachforschungen von meiner Seite fehlte es nicht. Wenn auch der Erfolg derselben im Einzelnen, mir selbst als nicht ganz befriedigend erscheint, so wird doch im allgemeinen durch das bisher ausgesprochene genügend der Standpunkt zur richtigen Würdigung des Wesens und der Leistungen unserer Luise bezeichnet und überdieß noch die Rechtfertigung der gegenwärtigen neuen mit Luisens Nachlaß vermehrten Ausgabe ihrer Dichtungen gegeben, wenn in letzterer Beziehung die von verschiedenen Seiten ausgesprochenen Wünsche auch nicht hätten der Beachtung werth erscheinen müßen.

Zu allen Zeiten pflegte man eine gewiße Bewunderung und Freude an allem Ursprünglichen, Reinen und Intakten zu haben und diesem Zuge der menschlichen Natur dürfte vor allem auf dem Gebiet der Litteratur die Vorliebe zu den Volksliedern zuzuschreiben sein. Ob in Deutschland vorübergehend französische Artigkeit in lüsterner anakreontischer Form, altgermanische Derbheit und Biederkeit im Bardengesang oder gar politisches Parteigezänk nach dem Vorgange von Beranger von den Jüngern der Kunstmode ausgesprochen wurden und noch werden, immer und immer erhielt und erhält sich jene Vorliebe zu jenen einfachen, erfrischenden Naturklängen. Man fand und findet in ihnen jene gemüthliche Beseligung, die man auch empfindet, wenn man ermüdet aus dem eitlen Prunk, dem Gedränge und der gespannten Stellung in großstädtischen Sälen in die Ruhe und Stille des ländlichen Lebens flüchtet und da die Seele wie im Maienthau badet, der erfrischt, sättigt, aber nicht ermattet. Diese Wahrnehmung bürgt mir dafür, daß die Liebe und Theilnahme, die unserer Naturdichterin zur Zeit ihres Lebens stets zugewendet wurden, auch nach ihrem Dahinscheiden, sich beurkunden werden, wenn auch der Zweck, der mit der Herausgabe dieser Blätter verbunden ist, die Gründung einer kleinen Luisen-Stiftung zur Unterstützung der armen das Bad zu Baden bedürfenden Kranken ohne Rücksicht auf den Ort ihrer Geburt oder auf ihren kirchlichen Glauben nicht schon ein heiliger, zur thatkräftigen Mitwirkung auffordernder wäre.

Es ist mir ein lieber süßer Gedanke, mit der Herausgabe dieser Blätter zum Beßten armer Kranker gleichsam einen Aufruf an jene von keinen Tagesereignißen und von keinen Umständen des Augenblicks abhängende, wohl durch diese vorübergehend einzuschüchternde Gemüthlichkeit zu erlassen, durch welche so viel Schönes und Edles für die Menschheit in meinem theuren Vaterlande entstund und erhalten wurde. Ihr allgemeines uneingeschüchtertes frisches und neues Walten wird der Schweiz für Fremde und Eingeborne jenen mächtigen Reiz des Heimeligen und Zufriedenen wieder geben, der durch Irren und Wirren einseitiger Verstandesspekulationen leider vielfach getrübt erscheint. Möchte diese Gemüthlichkeit, dieses hehre Element im schweizerischen Volksleben, nie zu diesem oder jenem einseitigen vorübergehenden Zweck der Tagespolitik mißbrauchweis ausgebeutet werden, denn es ist der beßte vielleicht einzige Grundstein einer schöneren Zukunft. Ueber den Ertrag der Herausgabe dieser Blätter, werde ich seiner Zeit öffentlich Rechenschaft ablegen.

Ich habe nur noch ein Wort über die Auswahl, Anordnung und Redaktion dieser Ausgabe der Luisischen Dichtungen zu sagen.

In Betreff der ersten wurde alles in der ersten Auflage erschienene, in Betreff der Verfertigung den Jahren 1817 bis 1823 angehörige und alles seit dieser Zeit neuverfaßte aufgenommen. Nur die ersten dichterischen Versuche bleiben bei der gegenwärtigen Sammlung wie bei der früheren ausgeschlossen. Wenn man rügend bemerken wollte, daß von mir hie und da überflüßiges geschehen sei und ich beßer gethan hätte, dieses oder jenes jetzt unwiederholt und unveröffentlicht zu lassen, so kann ich zu meiner Entschuldigung nur entgegnen, da ich Luisens Wesen möglichst ganz, wie es war, in allen Beziehungen und Verhältnissen darstellen und so ihren Freunden ein liebes umfassendes und unverkümmertes Andenken darbringen wolle. Wie ungern vermißt man selbst nur einige Haare aus einer ganzen Locke, in welche die theure Erinnerung an eine lebende, geschweige dahingeschiedene Geliebte verwoben ist! Wie leicht kann bei der größten Gewissenhaftigkeit ein Einzelner ein Versehen verschulden! Wie schnell ist durch Weglassung irgend eines unbedeutend erscheinenden Theiles dem ganzen Eintrag geschehen und so eine Rüge in anderer Richtung hervorgerufen!

Die bei der Auswahl waltende Tendenz blieb auch für die Anordnung und Redaction leitendes Prinzip. In Betreff der ersteren verließ ich den in der ersten Ausgabe befolgten Grundsatz der Zeitfolge der Verfertigung und hielt ihn nur in dem Inhaltsverzeichniß unter Angabe der Jahreszahl fest, mich der Ansicht hingebend, dass bei Luisens gleichbleibendem Grundwesen von einem auf dem Gebiet der Wissenschaft gewöhnlichen Fortschreiten kaum die Rede sein könne und durch eine Zusamenstellung des auf gleichende Bezüge und Verhältnisse gehenden das Bild unsrer Dahingeschiedenen am klarsten in der Erinnerung zu fesseln sei. In Betreff der Redaction erschien mir wieder das nächste und einfachste das beßte und deßhalb finden sich in dieser Sammlung alle Arbeiten unserer Luise unverändert vor.

Mit der Herausgabe dieser Blätter thue ich den längst vernommenen Forderungen meines eigenen Herzens ein Genüge. Mehrere Jahre verlebte ich in unmittelbarem Umgang mit Luise in dem Hause ihres noch lebenden Vaters, dessen Herz durch das frühe Dahinscheiden seiner geliebten Tochter schmerzlichen unersetzlichen Verlust erlitten hat. Luise verpflichtete mich durch ihr ununterbrochen erwiesenes freundschaftliches Wohlwollen zu Dank auf immer, und es wäre tadelnswerthe Schuld, wenn ich mir es nicht angelegen sein ließe, in den ersten Augenblicken einer längst gewünschten, von Gott mir gewährten, Muße aus Luisens selbstgepflanzten Blumen einen Erinnerungskranz als irdisches Sinnbild der unvergänglichen Blumenkrone, welche, von Engeln geflochten, ihr für ihre Reinheit im Wollen und Thun vor Gott entgegenblühte, zu winden und auf ihren Grabeshügel zu legen. Liebende Erinnerung ist das einzige, was den Dahingeschiedenen die Zurückbleibenden gewähren können.

Baden in der Schweiz im Mai 1843.
Edward Dorer.


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