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Der Festtumult nahm immer größere Dimensionen an, die Ausgelassenheit stieg immer höher.
Der Abend sank herab, ein warmer Septemberabend. Aus den am Strande zerstreuten Baracken stieg ein Duft von gekochten Seemuscheln auf, welcher sich mit dem Geruch des Tanges und Fischlaichs vermischte, der auf den Wellenbrechern faulte. Die Lichter entzündeten sich auf den Gestellen und in den Verkaufsbuden. Es herrschte ein wirres Getöse von Trommeln und Becken; die ›Rommelpots‹ luden ein in die grell bemalten Gauklerbuden. Aus den Kneipen ertönte das stoßweise Schluchzen der Akkordeons, gleichsam verhöhnt von dem schrillen Gelächter der Pfeifen und Pickelflöten. Die Abendvorstellungen in den Schaubuden der Tierbändiger begannen, und das Gebrüll der Tiere bildete ein Echo zu dem dumpfen Rauschen und Grollen der Meereswogen; über dem ganzen lag ein zitterndes Gewirr von heulenden Menschenstimmen, aus dem die fleischliche Aufregung, die brünstige wilde Sinnenlust herausklang.
Niemals hatte das Meer so phosphorisch geleuchtet. Auf den Masten der Yachten und den reich bewimpelten Barken huschten unter einem tintenschwarzen Himmel St. Elmsfeuer hin und her. Beim letzten Strahl des Tages leuchtete Escal-Vigor noch einmal grell auf wie ein Feenschloß aus Smaragd, dann schien es sich wie ein Schleier von Blut auf seine Seeseite zu legen ...
Ströme von Männern von der einen Seite, von Weibern von der anderen trafen sich seitwärts der Dörfer. Diese bezeugten ihre Lüsternheit durch wildes Geheul, jene ihre Brunst durch unzüchtige Geberden.
Guido hatte sich endlich von seinen Kameraden, besonders denen aus dem elenden Flecken Klaarwatsch verabschiedet. Er wollte sich beeilen, der tobenden Menge zu entgehen, die ihn schon zu umringen begann, und Escal-Vigor wieder zu gewinnen. Der Gedanke an seinen Freund erfüllte ihn mit mildem Vorwurf und trieb ihn an, möglichst rasch in seine Arme zurückzueilen.
Die Blicke der Vorübergehenden beunruhigten den Abtrünnigen. Man machte sich mit Augenblinzeln, mit Gezischel und Geflüster auf ihn aufmerksam.
Er hielt eben ein wenig an, um Atem zu schöpfen, fern von dem Getümmel der großen Menge, als aus einer Seitenallee eine Schar hervorbrach, um sich in das Dickicht eines uralten Ulmenwäldchens zu stürzen, das in den Park von Escal-Vigor führte. Im Nu war er umringt und wurde mit Fragen und Ausrufen überschüttet.
»Seht doch den großen Schlingel, den man da allein auf den Wegen antrifft!«
»Ach, der allerliebste Ausreißer!«
»Pfui doch! Am Kirmeßtage!«
»Beim heiligen Olfgar! Der hat schon Flaum auf den Lippen und noch nie ein Mädchen berührt. Fragt nur seine eigene Schwester!«
Sie umdrängten ihn, sie schrien auf ihn ein, sie hielten ihm wahre Brandreden mit ungeheurer Zungenfertigkeit. Sie drohten ihn zu visitieren; sie rieben sich an ihm, sie drängten eine die andere weg, indem ihr Leib sich ihm darbot und ihr Mund sich ihm erschloß, wie bei einer Blütendolde immer neue aufbrechende Knospen einander verdrängen.
»Sie haben recht, Brüderchen!« mischte sich Klaudia ein, die mit grausam funkelnden Augen und freundlich schlauer Fuchsmiene sich näherte. »Du bist jetzt schon lange Mann. Erfülle deine Ritterpflicht. Triff deine Wahl. Warum zögerst du, dich zu entscheiden? Sieh hier zehn meiner üppigsten Gefährtinnen, die nur auf dich gewartet haben. Es sind die schönsten Mädchen des Landes. Es fehlt ihnen keineswegs an Liebhabern. Hast du nicht gehört, wie sie mit brünstigem Geschrei den ganzen Tag das Land durchzogen? Auf meinen Wunsch, auf meine Empfehlung haben sie eingewilligt, dir den Vorzug zu lassen. Keine wird einen anderen wählen, bevor du dich entschieden hast ... Und dabei finden sie, ich wiederhole es, auf allen Wegen eine Unzahl tüchtiger, feuriger Hähne, die nach diesen leckeren Hühnchen schmachten, und die sich an denen gütlich thun werden, die du verschmähst! ... Vorwärts, entscheide dich! Zu welcher treibt dich deine junge Mannheit? Wem willst du die Erstlingsopfer deiner Kraft darbringen?«
Der junge Mann ahnte einen grimmigen Hohn hinter diesen katzenfreundlichen Worten, den ersten, die seine Schwester seit langer Zeit an ihn richtete; anstatt ihr zu antworten, schmeichelte er sich, die zehn anderen Weiber herumzukriegen, stramme Dirnen in der Art Klaudias, mit kräftigem Hals und biegsamem Kreuz.
»Es thut mir leid, ihr reizenden Schönen; ich habe Eile; ich komme sofort zurück; man erwartet mich auf dem Schlosse!«
»Auf dem Schlosse!« schrien sie. »Auf dem Schlosse! Heute braucht man dich da nicht.«
»Der Deichgraf kann sich auch einmal ohne deine Dienste behelfen.«
»Heute ist Kirmeß und jeder hat frei!«
»Heute feiert Herr und Knecht.«
»Das Vergnügen geht dem Frohndienste vor!«
»Die Liebe hat den Vorrang vor der Pflicht!«
»Er hat ja seine Blandine, mit der er sich beschäftigen kann, dein Deichgraf!« sagte Klaudia in einem Tone, der Guido die schlimmsten Aussichten eröffnete.
»Aber wenn ich euch versichere, meine leckeren Hühnchen, daß meine Gegenwart dort oben unumgänglich notwendig ist! Ich habe mich schon zu lange aufgehalten.«
Und er wollte eilends weiter.
»Ach dummes Zeug! Du kommst jetzt mit uns ins Dorf; du wirst uns zum Tanz führen; und dann, wenn du uns zurückbegleitest, wirst du dir eine aussuchen, mit der du es halten wirst, wie es bei allen braven Leuten von Smaragdis Gesetz und Sitte ist! ... Zeige, daß du ein würdiger Govaertz bist!«
Er fuhr fort, sie abzuweisen, aber sie drangen auf ihn ein, während Klaudia sie aufhetzte:
»Ja, ja, er muß 'ran! Er muß seinen Tribut bezahlen, wie jeder andere! Jedem seine Pflicht, jeder ihre Schuldigkeit. Los auf den Widerspenstigen. Dein Herr wird warten können. Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es nicht an! ...«
Er wurde ungeduldig und ärgerlich und widersetzte sich energisch: aber sie waren kräftig und handfest und wurden immer hitziger.
»Vorwärts, Mädchen! Drauf und dran! Sollte es keiner gelingen, diesen Stoffel zum Tanzen zu bringen?«
Bei dieser Balgerei witterten sie die jugendlich strotzende Kraft des jungen Mannes und sein heftig gehender Atem machte ihn für sie nur noch anziehender und lusterregender. Sie liebkosten ihn wie zum Spaß; sie befaßten und befühlten ihn, wo es gerade hintraf, die einen am Arm, die anderen am Bein; die eine schlang ihren Arm um seinen Hals, die andere um seinen Leib; aber er verteidigte sich standhaft und wehrte sich tüchtig und schließlich wäre er ihnen trotz ihrer Hartnäckigkeit doch beinahe entschlüpft.
Das aber hätte Klaudia noch weniger in den Kram gepaßt als den tollen Weibsbildern. Der Widerstand des Jünglings bestätigte ihr vollständig alles, was Landrillon ihr hinsichtlich seiner Kälte und Unempfindlichkeit gegen das weibliche Geschlecht erzählt hatte: er hatte nichts erfunden. Die schreckliche Eifersucht, die sie durchtobte, gab sich äußerlich als tugendsame Verachtung kund.
»Er wird sich geben! Er muß sich geben!« heulte sie. »Wenn er nicht einer von euch gehören will, soll er allen gehören.«
»Zu Hülfe, Landrillon!« rief sie; denn in der Voraussicht, daß der Kampf trotz der Übermacht der Weiber doch für sie ungünstig auslaufen könnte, hatte sie ihren Helfershelfer im Gebüsch unweit des Chausseegrabens postiert.
»Einen Faustschlag, Landrillon!«
Es war die höchste Zeit: Guido hatte sich von seinen Verfolgerinnen losgerissen, indem er seine Jacke und selbst einen Teil seiner Bluse und seiner Hosen in ihren Händen ließ.
»Halt da, Joseph!« höhnte Landrillon, indem er ihm ein Bein stellte und ihn so hinterrücks zu Fall brachte.
Der Diener hielt ihn auf der Erde fest und packte ihn an der Kehle, während Guido sich verteidigte, so gut er konnte, und mit Händen und Füßen um sich schlug, ja sogar zu beißen versuchte.
»Einen Strick!« rief Landrillon. »Der kleine Schuft schlägt wie der Teufel um sich. Wir wollen ihm Hände und Füße festbinden!«
»Ja, ja!«
Da kein Strick zur Hand war, zerrissen die Frauenzimmer ihre Halstücher. Mit offener Brust, mit bloßem Halse, mit fliegenden Haaren, schmutzig und blutbefleckt, in der trüben und fahlen Beleuchtung am Rande des Waldes sahen sie wie Mänaden aus.
»Laßt los! Hülfe! Zu Hülfe!« schrie der Gepeinigte.
Zweimal sprengte er seine Fesseln. Von seinen Handgelenken und Knöcheln rann Blut.
Klaudia, wilder als die anderen, aber doch schlauer und vorsichtiger, stieß einen Schrei des Triumphes aus.
»Halt! Den Lederriemen, der seine Hosen hält!«
»In der That! Sie können jetzt fallen!« hohnlachte der Bediente.
Und sie selbst knüpfte die Fessel auf, womit Landrillon die Beine des Opfers zusammengeschnürt hatte.
Guido lag auf dem Rücken, wehrlos und beinahe nackt, denn die Furien hatten ihm nicht nur die Beinkleider vom Leibe gezerrt, sie hatten auch seine übrige Kleidung in tausend Fetzen gerissen.
Dann gruben sich auf Klaudias Antrieb die Nägel dieser Harpyien der Reihe nach in das erschauernde, zuckende Fleisch des Unglücklichen.
Guido war schließlich still geworden; er weinte und versuchte noch immer, Widerstand zu leisten; sein Drehen und Winden war zu krampfhaften Zuckungen geworden, er schlug nur noch halb bewußtlos um sich; sein Schluchzen war in Todesröcheln übergegangen und statt seines Lebenssaftes kam nur noch Blut. Doch das kümmerte die Megären wenig. Sie begannen von neuem. Sie schwuren, seine Kraft vollends zu erschöpfen, aber ermattet von ihrem Treiben ließen sie endlich von ihren Scheußlichkeiten ab.
Unterdessen waren auf das Geschrei des Opfers und seiner Verfolgerinnen andere Weiber und Dorfbewohner aus den Schänken und Garküchen herbeigeeilt. Aufgeregt und trunken, wie sie waren, klatschten sie Beifall, als man ihnen den Sachverhalt mitteilte, schrien und jubelten laut und fanden den Spaß köstlich.
Man drängte sich heran, man stellte sich im Kreise herum; man stieß sich beiseite und reckte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Die Paare, die sich zurückgezogen hatten, unterbrachen ihren zärtlichen Zeitvertreib, um auch ihrerseits an dieser erotischen Persiflage teilzunehmen. Die jugendliche Straßenjungenschar aus Klaarwatsch, die Fackelträger bei den Serenaden, beleuchteten mit offenem Munde gaffend das grauenhafte Mysterium. Einige ahmten mit schamlosen Geberden das entsetzliche Schauspiel nach, während andere mit blutgierigen Augen wie losgelassene Hunde sich gegenseitig aufforderten, sich das Jägerrecht nicht nehmen zu lassen. In das Getöse der Blechmusik, das noch immer von den Jahrmarktsbuden herüberdröhnte, mischte sich das wahrhaft teuflische Geheul und Gelächter dieser entmenschten Bestien. Die jungen Männer, die sich um Klaudia bemüht hatten, glaubten sich dieser durch allerhand täppische und unzüchtige Bewegungen angenehm zu machen, während diese selbst durch Wort und Gesten immer noch ihre Korybantenschar aufzustacheln suchte. Wollten sie ihn etwa unzerstückelt mit dem Leben davonkommen lassen! Sollte er nicht zerfleischt unter ihren Nägeln verrecken?
Entlegene Jahrhunderte hatten wahrscheinlich gesehen, wie die Ahnen dieser mordgierigen Hyänen sich auf die armen Schiffbrüchigen stürzten und die Haufen von Strandgut in wilden Sprüngen umtanzten; und in grauer Vorzeit hatten in ähnlicher Weise bluttriefende Kannibalenmäuler dem Todeskampfe des heiligen Olfgar höhnisch zugenickt.
Landrillon, der sich unheilbar kompromittiert hatte und nun keine Rücksicht mehr kannte, flog von einem zum andern, erzählte auf seine Weise die Mysterien von Escal-Vigor, enthüllte jedem, der es hören wollte, den intimen Verkehr des Deichgrafen und seines Lieblings, und mischte so die Religion und die guten Sitten in das Spiel: so wurde aus der scheußlichen Verruchtheit ein Volksgericht, aus dem Verbrechen ein Akt heilsamer Sühne der öffentlichen Sittlichkeit.
Es reichte hin, daß der Elende ein einziges Wort einer solchen Anklage aussprach, und die ganze Insel ward wie trunken und kannte sich selbst nicht mehr.
Da war keiner, der nicht den Lenden des Schuldigen einen Fußtritt versetzt hätte. Einige hielten sich die Seiten, sie konnten nicht mehr. Andere fanden, daß er eigentlich noch nicht genug hätte.
»Wenn ihr mit ihm fertig seid«, sagte Landrillon zu den Weibern, »wollen wir ihn ins Meer werfen!«
»Ja, ins Meer, ins Meer mit dem Scheusal!«
Und sie hoben ihn auf, um ihn quer durch den Meßplatz nach dem Strande zu schleppen, als sie plötzlich durch eine unerwartete Erscheinung gestört wurden.