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V.

Gerade zu dieser Zeit hatte die alte verwitwete Gräfin von Kehlmark auf ihren anspruchsvollen Haushalt und ihre zahlreiche Dienerschar verzichtet, um sich in eine zierliche Villa einer der vornehmen Vorstädte der Hauptstadt zurückzuziehen; sie suchte nun nach einer Vertrauensperson, die die Mitte hielte zwischen Gesellschaftsdame und Kammermädchen. Eine ihrer alten Freundinnen, die den Sommer über in dem Heimatsdorfe Blandinens zu wohnen pflegte, schlug ihr auf die Empfehlung des Pfarrers hin dieses tapfere kleine Mädchen vor, ohne das Abenteuer zu verschweigen, dessen Opfer sie gewesen war. Jedoch diese Besonderheit des Berichts, anstatt die alte Dame abzuschrecken, gewann der armen Blandine vielmehr die Sympathie der Großmutter Heinrichs, die sie sofort, als sie sich ihr vorstellte, in Dienst nahm.

Aber welch niedliches und allerliebstes Dorfmädchen war sie nicht auch! Sie verkörperte die Gesundheit und Rechtschaffenheit. Ein reizender Kopf wie der einer griechischen Statue, aber belebt durch rosig angehauchte Wangen; klare, vertrauenerweckende Augen von leuchtendsten Saphirblau; ein anmutig geschwungener Mund von etwas melancholischem Ausdruck; hellblonde, ein wenig wellige Haare, die sich über einer Stirn wie von reinstem Elfenbein in zwei Scheitel teilten. Sie war zwar nur mittelgroß, aber tadellos gewachsen; in ihrem ländlichen Kostüm sah sie aus wie ein junges Mädchen aus bester Familie, das sich als Bäuerin verkleidet hat.

Ihrerseits fühlte sich Blandine hingezogen zu dieser siebzigjährigen vornehmen Dame, die so ganz ohne Dünkel und geziertes Gethue war und doch durch ihren reichen Geist eine Zierde des Zeitalters Diderots und der Enzyklopädisten gewesen wäre. Wenn sie trotz ihrer sonstigen Vorurteilslosigkeit eine gewisse Voreingenommenheit für den Geburtsadel beibehielt, so kam das daher, daß sie, wenn sie sich mit den zahlreichen Emporkömmlingen ihrer Umgebung verglich, eine gewisse Überlegenheit der Empfindung des feinen Tones und der Erziehung bei einer Kaste sich nicht verhehlen konnte, die mehr und mehr zusammenschmolz und beinahe auf dem Aussterbeetat stand, nicht sowohl durch die Guillotine und die Septembermorde, als durch Mißheiraten mit der Finanzwelt. Aber andererseits betrachtete sie als spezielles Erbteil der Aristokratie diese hohen Eigenschaften des Herzens und des Geistes, die man in jeder Gesellschaftsklasse antrifft; doch wer sie besaß, galt für sie ebensoviel wie der Inhaber des ältesten Stammbaumes. Malwina von Kehlmark, geborene von Taxandrie, war ehemals, etwa um das Jahr 1830, eine Schönheit, welche die Musenalmanachs der damaligen Zeit für »ossianisch« erklärten; sie hatte lebhafte, graublaue Augen mit dem Regenbogenschiller der echten Perle, eine feingebogene Nase, einen geistvoll geschnittenen Mund; das Haar trug sie in Seitenpuffen nach englischer Mode. Sie war groß, sehnig und trocken, mit der Haltung einer Königin; diese imponierende Erscheinung hob sie noch durch schwarze Sammet- oder Seidenschleppkleider mit weiten Spitzenärmeln und durch Häubchen à la Maria Stuart; zu der reichen und vornehmen Toilette paßten die Edelsteine ihrer Ringe und ihrer Brosche; letztere war ein aus Onyx geschnittener Sphinxkopf mit einer ägyptischen Doppelkrone von Brillanten und Rubinen.

Diese vornehme alte Dame besaß nichts steifes, kleinliches; Prüderie war ihr ebenso fremd wie ordinäres, unfeines Wesen; gütig ohne Leichtsinn, aber mit einer gewissen Schroffheit und Schalkhaftigkeit, liebenswürdig, freimütig, dabei von einer unendlichen Feinfühligkeit; jede Heuchelei war ihr verhaßt, ebenso wie sie Hinterlist, Doppelzüngigkeit und Niedrigkeit der Seele verabscheute.

Diese Atheistin von reinster Herzensgüte mußte mit der stark dissidentisch angehauchten Christin vorzüglich auskommen. Die alte Gräfin mokierte sich ohne Bosheit über das, was sie Blandinens alten Trödelkram nannte, aber sie legte der Ausübung ihrer ohnehin sehr eingeschränkten religiösen Pflichten nichts in den Weg. Durch ihren heiteren Humor, der stets alles von der besten Seite nahm, durch ihren freimütigen Widerspruchsgeist kontrastierte die Gräfin von Kehlmark lebhaft mit dem überlegten stillen Wesen und dem frühzeitig gestählten Charakter des jungen Mädchens, das sie ihre kleine Minerva, ihre Pallas Athene nannte.

Es machte der alten Dame Spaß, Blandine zu unterrichten; sie lehrte sie lesen und schreiben, so daß sie ihr bald als Vorleserin und Sekretär dienen konnte.

Aber besonders flößte sie ihr eine große Verehrung für ihren Enkel ein, ihren Heinrich, der damals noch auf Schloß Bodemberg seinen Studien oblag; Frau von Kehlmark bezeichnete ihn naiver Weise Blandinen gegenüber als ihre einzige Schwärmerei, ihren Kultus, ihr Idol. Unaufhörlich erzählte sie ihrem Gesellschaftsfräulein von diesem kleinen Wunder, diesem so früh entwickelten, kompliziert gearteten Wesen. Seine Briefe aus der Erziehungsanstalt las sie und ließ sie sich immer wieder vorlesen, und Blandine mußte diese Briefe Heinrichs nach dem Diktat seiner Großmutter beantworten; aber sehr oft fand sie zuerst das zärtliche Wort oder die ganze Redewendung, nach der die alte Dame suchte. Und schließlich schrieb sie selbst den ganzen Brief, zu dem ihre Herrin ihr im großen ganzen die Anhaltspunkte gegeben; und jene fand, daß der Stil Blandinens noch mütterlicher klang, als der ihrige.

Die verwitwete Gräfin zeigte ihr auch Bilder ihres Enkels; und die beiden Frauen wurden nicht müde, stundenlang die Photographien ihres Lieblings anzusehen: von einem Daguerreotyp, das ihn als kleines Kind mit einem bloßgestrampelten Beinchen auf dem Schoße seiner Mutter vorstellte, bis zu der letzten Aufnahme, die einen schmächtigen jungen Konfirmanden mit großen, fast starren Augen zeigte.

Im Anfang hatte Blandine nur so gethan, als ob sie sich für alles, was den jungen Kehlmark betraf, interessierte, und sie brachte selbst das Gespräch auf ihn, um der guten alten Dame eine Freude zu machen und sie in ihrer rührenden Einsamkeit zu trösten; aber unmerklich gelangte sie dazu, diese Verehrung für den Abwesenden zu teilen. Sie liebte ihn von ganzem Herzen, ohne ihn jemals gesehen zu haben.

Lag nicht vielleicht in dieser Zuneigung mehr ein Einfluß der Vorsehung als eine einfache Erscheinung von Autosuggestion? Die Zukunft wird es darthun.

»Wie groß er jetzt sein muß! Und wie stark! Und wie schön!« überlegten die beiden Frauen. Sie stellten ihn sich vor und beschrieben ihn sich gegenseitig, indem die eine das Bild, das die andere von ihm entwarf, noch mit schmeichelhaften Verbesserungen versah. Wie es Blandine drängte, ihn persönlich kennen zu lernen! Sie sehnte sich ordentlich nach ihm! Da kam eine betrübende Nachricht aus der Schweiz, gerade als er zu den Ferien seine Großmutter besuchen sollte:

Heinrich war krank geworden. Niemals hatte Blandine solche Angst kennen gelernt. Sie wäre am liebsten an das Krankenlager des jungen Mannes geeilt, wenn sie nicht an das Bett seiner Großmutter gefesselt gewesen wäre, die selbst zwischen Tod und Leben schwebte, bis ihr Großsohn außer Gefahr war. Dann aber welcher Jubel, als Blandine die Genesung des jungen Grafen erfuhr!

Die Aussicht auf die Heimkehr dieses verhätschelten Kindes versetzte Blandine beinahe noch mehr in Aufregung als seine Großmutter. Sie zählte die Stunden bis zu seiner Ankunft und strich wie die kleinen Kinder die Tage im Kalender aus, bis der heißersehnte junge Student eintreffen sollte.

Als Heinrich am Gitter der Villa schellte, öffnete ihm Blandine. Sie glaubte einen Gott vor sich zu sehen. Alles Blut strömte ihr zum Herzen zurück. Sie betete ihn an, voll Ehrfurcht, ohne eigensüchtige Hoffnungen und Wünsche, ganz um seiner selbst willen, und sie wurde sich klar, daß wenn sie nur immer mit dem jungen Kehlmark hätte zusammen leben dürfen, all ihr Verlangen, ihre heißesten Wünsche erfüllt sein würden. Später gab sie sich genau Rechenschaft von dem, was in ihr vorging, seit dieser ersten, aber entscheidenden Begegnung. Auch konnte dieser etwas verwickelte Eindruck, den sie zuerst empfing, sich erst später in einzelne bestimmte Empfindungen zerlegen. Kurz, Heinrich wirkte mit seltsamer, geheimnisvoller Macht auf Blandinens Gemüt. Zu diesem ersten blitzartigen Eindruck, der durch eine lange und anhaltende Ansammlung von Sympathie vorbereitet war, gesellte sich mit der Zeit ein wenig Furcht, Sorge und Bewunderung, vielleicht sogar etwas von dem geheimen Mitleid, das wir seltenen, abweichenden und nicht in das gewöhnliche Leben passenden Dingen entgegenbringen. »Ah, ohne Zweifel Fräulein Blandine! Die kleine Fee, von der mir Großmama schon so viel Schönes und Rühmliches mitgeteilt hat!« sagte der junge Mann, indem er dem Kammerfräulein die Hand hinstreckte. »Ich bin Ihnen sehr, sehr dankbar für Ihre Sorgfalt um sie!« setzte er ein wenig schüchtern hinzu.

Die beiden jungen Leute stellten sich bald auf den Fuß vertraulicher Kameradschaft mit einander. Blandine verbarg unter ihrem munteren Benehmen die tiefe und innerliche Liebe, die sie beseelte. Verzichtete sie darum auf alle die Kunstgriffe, durch die sonst die Frauen einen Liebhaber anlocken, weil sie sich schon für Zeit ihres Lebens gebunden fühlte? Dieses Fehlen jeglicher Koketterie paßte diesem scheuen und launenhaften Jüngling, der zu aller Art von Galanterie ungeeignet war. Es gab Tage, wo er sich sehr bemüht um sie zeigte; an anderen aber sah er sie mit sonderbaren Blicken an und schien sie zu meiden, ja fast sie zu fliehen.

*

Drei Jahre sind verflossen. Jetzt ist es Mai und die Nacht bricht herein. Die alte Gräfin von Kehlmark speist allein bei ihrer langjährigen Freundin, Frau von Gasterle, wie sie es seit Monaten gewohnt war. Blandine soll sie dort Punkt zehn Uhr abholen. Heinrich hat sich in sein Zimmer zurückgezogen, wo er arbeitet – oder vielmehr so thut, als ob er arbeite, denn Zeit und Stunde regen zu entnervenden Gedankengängen der Phantasie an.

Durch das offene Fenster hört der junge Graf die Musik der Drehorgeln im Arbeiterviertel, von dem die Villa seiner Großmutter durch einige Hektare von Lustgärten und blühenden Hecken geschieden wird. Seit einigen Abenden trägt der Wind klagende Trompetentöne, die zum Schlafengehen rufen, aus einer Artilleriekaserne am Ende der Vorstadt herüber, zugleich mit den Duftgrüßen der Fliederdolden, die unter seinem Fenster hin und her schwanken.

Man baut auch in der Nachbarschaft; das Haus ist schon soweit fertig, daß morgen das Richtfest stattfinden soll, und jeden Tag hat der junge Patrizier den hellen Klang der Maurerkellen gehört, die an die Ziegelsteine schlagen. Mehrmals hat er sich aus dem Fenster gelehnt und den Handwerkern zugesehen; es waren schmucke Jungen vom Lande, welche, den Mörtelkübel oder das Wasserschaff auf der Schulter, sicher und schwindelfrei auf den schmalen Laufstegen dahinschritten. Mitunter verbarg das Laubwerk sie ihm; dann tauchten sie wieder plötzlich aus dem Grünen auf und ihre kräftige Hautfarbe hob sich wirksam ab von dem zarten Blau des Himmels ...

Warum schwillt sein Herz in unsäglicher Pein, wenn er sie nach Sonnenuntergang in ihrem blauen Arbeitskittel und den kalkbespritzten Sachen vorbeigehen sieht? – Das wird noch schlimmer werden, wenn sie übermorgen fertig sind; ihre ineinandergreifende harmonische Thätigkeit war ihm zur Gewohnheit geworden, die seinen Augen wohlthat, und er sieht voraus, daß sie ihm fehlen werden, diese Schlingel; einer besonders, ein fixer blonder Kerl, weniger vierschrötig als die übrigen, sondern schlanker und ebenmäßiger gebaut, hätte durch seine vollendet geformten Lenden, Kniee und Schultern jeden Bildhauer entzücken können. »Später wird die Kaserne auch ihn seinem ›dekorativen‹ Beruf entreißen!« dachte Kehlmark, indem er den Appell des Signalhornes durch das Rauschen der Blätter und eine Woge von Duft zu sich herüberdringen hörte. Arbeiter, Bauern, die ihren Dörfern entzogen sind, kasernierte Soldaten, weite, leere Dörfer, Kirchtürme, die mit ihrem Geläute bei einem öffentlichen Unglück einem das Herz zerreißen: diese Verbindung flüchtiger Ideen verwandelte sich bei Kehlmark zu einer berauschenden Vorstellung des flachen Landes, von dem sich plötzlich wie dessen Symbol Blandine abhob, nicht die jetzige Blandine, sondern das kleine Bauernmädchen von ehemals, wie sie ihm vor dem retrospektiven inneren Blicke stand, ihm, dem begeisterten Verehrer der Kraft und der unverfälschten Natur.

»Sie ist oben bei der Toilette!« sagte er sich, denn die Zeit war nahe, wo sie seine Großmama abholen sollte.

Noch ganz von seiner Vision umfangen, die Augen noch trunken von ländlichen Bildern und berauschenden Liebesscenen, stürzt er zur Kammer der Kleinen hinauf.

Obwohl sie im Hemde war, überkam Blandine doch nur ein leichter Schauer, als er bei ihr eindrang. Es war, als ob sie ihn erwartet hätte. Sie war im Begriff, ihr reiches schönes Haar zu lösen, das wie ein goldiger Strom über ihre Schultern floß, und duftend nach Lavendel und den aromatischen Kräutern ihres Landes wandte sie sich nach ihm um und lächelte ihm vertrauensvoll entgegen. Er ergriff sie bei den Händen, aber beinahe ohne sie anzusehen, während seine Augen in weiten Fernen zu suchen schienen, ja, er schloß selbst die Augen, um die flüchtigen Bilder festzuhalten, und so stieß er die Widerstandslose ohne ein Wort nach dem frisch gemachten Bett. Sie vor Entzücken erschauernd fuhr fort zu lächeln und ergab sich ihm wie einem neuen Vagabunden.

Warum dachte er bei seinem Rausche an die Drehorgeltöne, die in der Dämmerung durch den blühenden Flieder zu ihm drangen, und die jungen Dörfler, die den blauen Kittel über ihr Arbeitshabit gezogen? Etwa, weil diese jungen Bauernburschen aus dem Lande der Geliebten hätten sein können? Nein, er vereinigte sich mit dem ganzen Menschentum des flachen Landes, wenn er sie umarmte; es war die Kraft und der Duft des Landes, die derbe sinnliche Geberde, das Fleisch der Scholle, der Extrakt des Lebens in der freien Natur, was er in Blandine an diesem hochzeitlichen Abend liebte. Dies Mal und die übrigen, die folgten, besaß er sie, indem er sich in Gedanken das Verlangen der robusten Landarbeiter vorstellte, das sie in ihnen angestachelt haben würde; er stellte sich vor, wie sie mit ihr verkehrten auf einem fahlgrünen, duftigen Heuhaufen unter dem Sinnenkitzel der Kirmeßzeit ...

Einen Augenblick hatte Blandine den Blick dieser weit aufgerissenen Augen aufgefangen. Welch ein Abgrund öffnete sich ihr da? Der Abgrund zieht an und die Liebe ist eine Art Taumel. Ohne die ganze Fülle der Wonne zu empfinden, die sie erhofft hatte, ohne vor Lust zu vergehen, wie auf der Haide in den Armen des Worflerkönigs, fühlte sie vom Gehirn bis in ihr innerstes Mark eine seltsame tragische Zärtlichkeit für den jungen Grafen; sie sah in Heinrichs Augen eine unendliche Herzensangst, seine Umarmung schien ihr wie die krampfhafte Umklammerung eines Ertrinkenden, sein Kuß wie der Hülfeschrei eines, der ermordet wird.

Sie hatte sich ihm hingegeben wegen der Überlegenheit seines Geistes; sie mischte immer Hochachtung und Ehrfurcht in ihre Beziehungen zu ihm. Ariaan, der gesund sinnliche Mensch – davon war Blandine jetzt überzeugt – war niemals von solchen erotischen Schreckensbildern verfolgt worden, wie sie die Sinnlichkeit und Einbildungskraft dieses jungen Patriziers durchloderten, der zu sehr von den Vorstellungen seines Gehirns beherrscht wurde.

Obwohl sie ihn geradezu anbetete, so konnte sie doch jedesmal bei seiner Annäherung einen leichten Schauer nicht überwinden, wie er den Schwimmer bei der ersten Berührung des Wassers überläuft. Sie fand ihn sonderbar, phantastisch, beinahe furchterregend. In einzelnen Augenblicken zeigte er das traurige Aussehen eines verwunschenen Landes; er sah trübe und fahl aus, wie ein von Schutt und Schlick verunreinigter Kanal. Die Dämmerung, die in Unterbrechungen seinen Sinn befiel, ging vorüber wie eine wolkige Trübung seiner schönen blauen Augen. Auf heftige Ausbrüche von Güte und Zärtlichkeit folgten Rückschläge, ein frostiges, plötzliches Sichzurückziehen. Fortwährende Reaktionen zerrissen sein Gemüt. Seit sie Kehlmark zum ersten Mal gesehen, hatte sie gleich das Gefühl gehabt, einem geheimnisvollen Wesen gegenüber zu stehen, das mit einer Stimme zu ihr sprach, die sie nicht verstand, die ihr ewig fremd bleiben und ihr immer Herzbeklemmung verursachen würde; sie hatte sich ihm angelobt, ohne Hoffnung auf Heil, wie einem Gotte, der sie doch auf ewig seinem Paradiese fernhalten würde. Wenn sie ihn betrachtete, so fand sie in seinen Augen den Ausdruck jener Märtyrer, die vergebens mit fieberheißem Blick die Wolken zu durchdringen suchen, ob sie nicht endlich die leuchtenden Fittiche der Engel erspähen, die noch immer zögern, zu ihrer Erlösung herbeizueilen. Und dabei kannte sie eigentlich noch gar nichts von den Riten und den harten Proben jener seltsamen Religion der Liebe, der sie sich geweiht hatte.


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