Georg Ebers
Die Schwestern
Georg Ebers

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255 Siebenzehntes Kapitel.

Von dem griechischen Tempel des Serapis führte eine gepflasterte Straße, die mit Sphinxen zu beiden Seiten umsäumt war, zu den in den Felsen gehauenen Apisgrüften und den neben und über ihnen errichteten Tempelbauten und Kapellen, in denen der osirische oder verstorbene Apisstier verehrt ward, der, so lange er lebte, zu Memphis im Tempel des Gottes Ptah, dem er angehörte, gepflegt und angebetet wurde. Nach seinem Tode empfing dieses an besonderen Abzeichen kenntliche heilige Thier eine außerordentlich köstliche Bestattung und man nannte es nun den auferstandenen Ptah und betrachtete es als Abbild der Seele des Osiris, durch dessen zeugende Kraft alles Verstorbene und Vergehende: der dahingeschiedene Mensch, die verdorrte Pflanze und auch die untergegangenen Himmelskörper zu neuen Geburten und neuem Leben gelangten.

256 Den Wandlungen, welchen das scheinbar Vergehende bis zu seiner Umgestaltung zu einem andern Sein in neuen Formen unterworfen war, stand der neben dem Osiris-Apis verehrte Osiris-Sokari vor, und ägyptische Priester walteten in ihren in rein ägyptischem Styl über den Grüften der heiligen Stiere schon in alter Zeit errichteten Tempeln.

Aber auch die zu Memphis angesessenen griechischen Diener des Serapis, einer Gottheit, die von den Ptolemäern aus Asien in das Nilthal eingeführt worden war, um ihren hellenischen und ägyptischen Unterthanen ein Verehrungswesen zu schenken, an dessen Altären sie sich zu gemeinsamem Gebet vereinigen konnten, opferten, ihren Fürsten folgend, gern dem Osiris-Apis, der nicht nur dem Namen, sondern auch seiner innern Bedeutung nach nahe mit dem Serapis verwandt war.

Vor Kapellen in griechischem Styl außerhalb des ägyptischen Heiligthums, in denen steinerne Stierbilder standen, gaben sie sich dem Dienst des zu Osiris gewordenen Apis hin und ließen sich gern in die höhere Bedeutung seines Wesens einweihen; bezogen sich doch auch sämmtliche religiöse Mysterien in ihrer griechischen Heimat auf die Unsterblichkeit und die Schicksale der Seele im Jenseits.

Wie zwei einander gegenüberliegende Städte durch eine Brücke, so war der griechische Tempel des Serapis, zu dem die Krugträgerinnen gehörten, mit dem ägyptischen des Osiris-Apis durch die schön gepflasterte Prozessionsstraße verbunden, auf welcher Klea nun dahinschritt.

257 Es gab einen nähern Weg nach Memphis, aber sie wählte diesen, weil die Sandhügel zu beiden Seiten der mit Sphinxen besetzten Straße, welche täglich von Wüstenstaube befreit werden mußte, sie den Blicken ihrer Tempelgenossen entzogen; auch führte von einem mit Philosophenbüsten geschmückten Halbrund in der Nähe des Haupteinganges der neueren Apisgräber aus der beste und sicherste Weg in die Stadt.

Sie schaute weder nach den Löwenleibern mit Menschenköpfen an der Seite ihres Weges, noch nach den Thiergestalten an der ihn umsäumenden Mauer hin, noch hatte sie Acht auf die dunkelfarbigen Tempelsklaven des Osiris-Apis, die das Pflaster mit großen Besen vom Sand befreiten, denn sie dachte nur an Irene und ihre schwierige Aufgabe, und schritt rasch mit zu Boden gesenkten Blicken vorwärts.

Aber schon nachdem sie wenige Schritte zurückgelegt hatte, ward sie aus nächster Nähe beim Namen gerufen, und als sie erschreckt die Augen aufschlug, stand ihr der kleine Schmied Krates gegenüber, trat dicht auf sie zu, faßte ihren Schleier, schob ihn, ehe sie's hindern konnte, ein wenig zurück und fragte:

»Wohin denn, Mädchen?«

»Halte mich nicht auf,« bat Klea. »Du weißt, daß Irene, der Du ja gut bist, geraubt ward; vielleicht kann ich sie retten, aber wenn Du mich verräthst und sie mir folgen . . .«

»Ich hindere Dich nicht,« unterbrach sie der Alte, »ja wenn ich die geschwollenen Füße nicht hätte, so käm' ich wohl mit Dir, denn das arme liebe Ding 258 kommt mir nicht aus dem Sinn; aber so will ich froh sein, wenn ich wieder in meiner Werkstätte still sitzen kann; 's ist gerade, als hauste in jeder meiner großen Zehen so ein Werkmeister wie ich und hantirte in ihnen herum mit Feilen und Hämmern und Meißeln und Nadeln. Vielleicht glückt es Dir doch, Deine Schwester zu finden, denn einem listigen Weibe ist schon Manches gelungen, was weisen Männern zu schwer war. Geh' nur, und wenn sie auch nach Dir suchen, der alte Krates verräth Dich nicht.«

Freundlich nickte er Klea zu und hatte ihr schon halb den Rücken gewandt, als er sich noch einmal umkehrte und ihr zurief:

»Warte noch einen Augenblick, Mädchen, Du kannst mir einen kleinen Dienst erweisen! Ich habe vorhin das neue Schloß in das Thor der Apisgrüfte dort drüben eingesetzt. Es gelang mir vortrefflich, aber mit dem einen Schlüssel, den ich machte, ist's nicht genug; wir brauchen deren vier, und die sollst du in meinem Namen bei dem Schlosser Heri, der vor dem Thor des Sokari wohnt – links neben der Brücke, die über den Kanal führt – Du kannst ihn nicht fehlen – auf übermorgen bestellen. So gern ich Neues erfinde und herstelle, so widerwärtig ist mir das Nachmachen; und nach einem Vorbilde arbeiten kann Heri ebensogut wie ich. Wären nicht meine Beine, so gäb' ich dem Manne selbst meinen Auftrag, denn wer immer durch den Mund eines Andern spricht, der wird oft falsch und manchmal gar nicht verstanden.«

259 »Ich nehme Dir gern den Gang ab,« entgegnete Klea, während der Schmied sich auf das Fußgestell eines Sphinx zur Seite des Weges setzte, die lederne Tasche, welche an seiner Seite hing, abnahm und ihren Inhalt ausschüttete.

Einige Feilen, Meißel und Nägel, dann der Schlüssel und endlich auch ein scharfes und spitzes Messer, mit dem Krates die Höhlung für das Schloß in das Holz der Thür geschnitten hatte, fielen in den Schooß des Schmiedes, der noch mit einigen Feilenstrichen an dem Vorbild für den Handwerker in Memphis herumbesserte und dann bedenklich brummend und den Kopf unschlüssig von einer Seite zur andern wendend ausrief:

»Du mußt mich doch noch einmal zu der Thür begleiten, denn ich verlange von Anderen genaue Arbeit und muß darum auch streng gegen mich selbst sein.«

»Aber ich möchte, bevor es dunkelt, nach Memphis kommen,« bat Klea.

»Einen Augenblick dauert das Ganze, und wenn Du mir den Arm reichst, so geht es doppelt schnell. Da sind die Feilen, da ist das Messer.«

»Gib es mir,« bat Klea. »Diese Klinge ist spitz und blank, und als ich sie ansah, war mir's, als sagte sie mir, ich sollte sie nehmen. Vielleicht komm' ich in der Nacht allein durch die Wüste.«

»Und,« unterbrach sie der Schmied, »auch der Schwache wird stärker, wenn er eine Waffe besitzt. Steck' das Messer nur zu Dir, mein Kind, aber nimm 260 Dich in Acht, daß Du Dir nicht selbst daran wehe thust. Jetzt laß mich Deinen Arm nehmen und nun immer vorwärts, aber doch nicht so schnell!«

Klea führte den Schmied vor die von ihm bezeichnete Thür, sah voll Bewunderung, wie sicher, wenn man den einen Thorflügel an den andern warf, der Riegel hervorsprang und wie leicht ihn der Schlüssel wieder zurückschob, führte Krates bis zu dem Sphinx zurück, bei dem sie ihn getroffen, und setzte dann im raschesten Schritte ihren Weg fort, denn die Sonne stand schon recht tief und es schien kaum mehr möglich, vor ihrem Untergange nach Memphis zu kommen.

In der Nähe einer Schenke, in der Soldaten und schlechtes Gesindel einzukehren pflegten, begegnete ihr ein betrunkener Sklave.

Ohne Bangen schritt sie ihm entgegen und an ihm vorüber, denn das Messer in ihrem Gürtel, auf dessen Griff sie ihre Hand legte, stärkte ihren Muth, und es wollte ihr scheinen, als hätte sie damit eine dritte Hand gewonnen, die kräftiger und furchtloser sei als ihre eigenen.

Vor dem Wirthshause lagerte eine Abtheilung Soldaten und ließ sich den Wein von Kakem, der hier am Ostabhang der Hügel des libyschen Gebirges wuchs, trefflich schmecken.

Die Leute waren sehr munter, denn nachdem sie monatelang als Wächter der Apisgräber und der Tempel in der Nekropole gelegen hatten, war heute Mittag plötzlich ein Anführer der Diadochen aus Memphis gekommen, der ihnen befahl, sogleich 261 aufzubrechen und vor dem Einbruch der Nacht in die Residenz einzuziehen.

Erst am folgenden Morgen sollten sie von anderen Söldnern abgelöst werden.

Das Alles erfuhr Klea von einem Boten des ägyptischen Tempels in der Todtenstadt, der sie erkannte und nach Memphis ging, um im Auftrage der Priester des Osiris-Apis und -Sokari ein Schreiben an den König zu bringen, in dem um baldigen Ersatz für die abberufenen Truppen gebeten wurde.

Eine Zeitlang ging sie neben dem Boten her, aber bald vermochte sie nicht mehr gleichen Schritt mit dem eilenden Manne zu halten und mußte hinter ihm zurückbleiben.

Vor einer zweiten Schenke saßen die Befehlshaber der Soldaten, deren Geschrei ihr aus der ersten entgegengetönt war, beim Weine und sahen dem Tanz zweier ägyptischen Dirnen zu, die bei ihren tollen Sprüngen wie gackernde Hühner aufkrähten und die Aufmerksamkeit ihrer Zuschauer, welche, in die Hände klatschend, den Takt für sie schlugen, so sehr zu fesseln wußten, daß die schnell dahinschreitende Klea unbemerkt an den wilden Gesellen vorbeikam.

Ihr Treiben und Alles, was ihr auf der Landstraße begegnete, erschreckte die an die Stille und das ernste Leben im Tempel des Serapis gewöhnte Jungfrau; darum schlug sie nun einen Nebenweg ein, der sie auch zur Stadt führen mußte, die sie bereits, mit ihren Pylonen, ihrer Burg und ihren Häusern von dem Duft des Abends umschleiert, vor sich liegen sah.

262 In einer Viertelstunde konnte sie wohl die Wüste hinter sich und das Fruchtland erreicht haben, dessen blaugrüne Decke sich immer dunkler und dunkler zu färben begann.

In ihrem Rücken ging bereits die Sonne hinter den libyschen Bergen zur Ruhe und bald, denn die Dämmerung ist kurz in Aegypten, umfing sie das Dunkel der Nacht.

Der Westwind, der sich schon am Mittag erhoben hatte, begann jetzt schneller zu wehen, verfolgte sie mit seinem heißen Hauche und dem Sande, den er aus der Wüste entführte.

Jetzt mußte sie dem Wasser nahe sein, denn sie hörte Rohrdommeln pfeifen und meinte feuchtere Luft zu athmen.

Noch wenige Schritte und ihr Fuß versank im Schlamm und sie bemerkte nun, daß sie an einem breiten Graben stand, in dem Papyrusstauden hoch aufwuchsen.

Der Nebenweg, den sie eingeschlagen, mündete bei dieser Pflanzung, und es blieb ihr nichts übrig, als umzukehren und nun gegen den Wind und den ihr in's Antlitz wehenden Staub ihre Wanderung fortzusetzen.

Das Licht der Schenke zeigte ihr die Richtung, die sie einzuschlagen hatte, denn der Mond stand zwar am Himmel, aber schwarzes Gewölk jagte oft über ihm hin und verdeckte ihn und die kleineren Himmelskörper auf lange Minuten.

Noch fühlte sie keine Ermüdung, aber das Geschrei der Männer und das heisere Jauchzen der Weiber, 263 das ihr aus der Schenke entgegenklang, erfüllte sie wiederum mit Angst und Ekel.

Durch Sanddünen watend und ihr Gewand an Disteln und Dornen zerreißend, die muthig in der Wüste Wurzel geschlagen und in ihr groß geworden waren wie häßliche Kinder im Hause eines Bettlers, umging sie in weitem Bogen das Wirthshaus.

Während sie dann auf der großen Straße vorwärts eilte, schlug immerfort das widrige Lachen und das Freudengekräh' der Tänzerinnen an ihr inneres Ohr.

Ihr Blut rollte schneller durch ihre Adern, ihr Haupt glühte, sie sah Irene vor sich, greifbar deutlich, mit fliegendem Haar, flatternden Gewändern, wie eine Mänade bei den dionysischen Festen im rasenden Wirbeltanze sich drehen, von einem Arm in den andern fliegen und zügelloser kreischen und jubeln, als die unglücklichen Mädchen, denen sie aus dem Wege gegangen.

Eine Angst um ihre Schwester, so grenzenlos, wie sie sie noch nie zuvor empfunden, erfaßte sie, und da der Wind ihr nun wieder folgte, ließ sie sich von ihm vorwärts treiben, hob die Füße zu schnellem Lauf und eilte, ohne sich umzusehen und an den Auftrag des Schmiedes Krates zu denken, wie von Erinnyen getrieben in die Stadt und den mit Bäumen bepflanzten Weg entlang, der, wie sie wußte, beim Thore der Königsburg mündete.

 

 


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