Georg Ebers
Homo sum
Georg Ebers

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Paulus saß vor der Höhle, die Sirona und Polykarp beherbergt hatte, und schaute den Fackeln nach, deren Licht kleiner und kleiner zu werden schien, während ihre Träger thalabwärts zogen. Sie beleuchteten den Weg für den verwundeten Bildhauer, der, in der Sänfte seiner Mutter ruhend, von dem Vater und seiner Schwester Marthana begleitet, in die Oase getragen wurde.

»Noch eine Stunde,« dachte der Anachoret, »und die Mutter hat ihren Sohn wieder, noch eine Woche, und Polykarp steht vom Lager auf, noch ein Jahr, und ihn erinnert nur noch eine Narbe und vielleicht ein Kuß, den er auf die rothen Lippen der Gallierin drückt, an den gestrigen Tag.

»Ich werde ihn schwerer vergessen. Die Leiter, an der ich jahrelang zimmerte, auf der ich den Himmel zu ersteigen gedachte, und die mir so hoch und sicher erschien, da liegt sie in Stücke zerbrochen, und die Hand, die sie zusammenschlug, war die meiner eigenen Schwäche. Es will mir fast scheinen, als habe diese meine Schwachheit größere Gewalt, als das, was wir innere Kraft nennen, denn was diese in Jahren erbaut, zerstört jene in einer Minute. Nur an Schwachheit bin ich ein Riese.«

Paulus schauerte bei den letzten Worten zusammen, denn ihn fror. In der Frühe jenes Morgens, an dem er die Schuld des Hermas auf sich genommen, hatte er sein Schaffell abzulegen gelobt und sein an die wärmende Hülle gewöhnter Leib, in dem das Blut seit den grausamen Anstrengungen, Nachtwachen und Erregungen der letzten Tage fieberhaft schnell und heiß wogte, litt heftig. Fröstelnd zog er sein Röcklein an sich und murmelte vor sich hin: »Mir ist zu Muthe wie einem Schaf, dem man mitten im Winter die Wolle vom Leibe geschoren. Nun glüht mir wieder der Kopf, als wär' ich ein Bäcker und hätte das Brod aus dem Backofen zu holen. Ein Kind könnte mich umwerfen, und die Augen fallen mir zu. Es fehlt mir selbst die Thatkraft, mich zu einem Gebete, das mir doch so noth thäte, zu sammeln. Mein Ziel ist gewißlich das rechte, aber sobald ich mich ihm zu nähern meine, so entrückt es mir meine Schwäche, wie der Wind den Zweig mit den Früchten forttreibt, nach dem der durstende Tantalus greift. Aus der Welt bin ich aus diesen Berg geflohen, und die Welt ist mir nachgezogen und hat mir ihre Schlingen um die Füße geworfen. Ich muß eine einsamere Wüste aufsuchen, in der ich allein bin, ganz allein mit meinem Gott und mir. Da find' ich vielleicht den Weg, den ich suche, wenn nicht der Umstand, daß mich Der, den ich ›Ich‹ nenne, und in dem sich die ganze Welt im Kleinen mit all' ihren Regungen breit macht, begleitet, auch dießmal wieder die Arbeit verdirbt. Wer sich selbst mitnimmt in die Wüste, ist doch nicht allein.«

Paulus seufzte schwer auf und dachte weiter: »Wie stolz war ich doch, nachdem ich für Hermas des Galliers Fuchtel gekostet! Dann ging es mir wie einem Trunkenen, der die Treppe hinabfällt von Stufe zu Stufe. Auch der arme Stephanus stürzte und war doch schon so nahe am Ziel. Ihm gebrach die Kraft zu vergeben, und der Senator, der mich eben verließ, und dem ich doch seinen unschuldigen Sohn übel zerschlagen, gab mir beim Scheiden versöhnlich die Hand. Ich sah es ihm an: Er hat mir aus gutem Herzen vergeben. Und dieser Petrus steht mitten im Leben und macht sich von früh bis spät mit lauter weltlichen Dingen zu schaffen.«

Eine Zeitlang schaute er nachdenklich vor sich hin, dann fuhr er im Selbstgespräch fort: »Wie war die Geschichte, die der alte Serapion erzählte? In der Thebaïs hauste ein Büßer, der ganz gottselig zu leben meinte und all' seine Genossen an strenger Tugend weit übertraf. Da träumte ihm einmal, in Alexandria befinde sich Einer, der sei noch vollkommener als er: Phabis heiße er, sei ein Schuster und wohne in der weißen Gasse am Hafen Kibotos. Sogleich wanderte der Anachoret in die Hauptstadt und fand den Schuster, und als er ihn eifrig fragte: ›Wie dienst Du dem Herrn? Wie führst Du Dein Leben?‹ gab Jener erstaunt zur Antwort: ›Ich? Nun – mein Heiland – ich arbeite von früh bis spät und sorge für die Meinen und bete Morgens und Abends mit wenigen Worten für die ganze Stadt!‹ Petrus, glaub' ich nun, ist solch' ein Phabis; aber es führen ja viele Wege zu Gott, und wir und ich . . .«

Wieder unterbrach ihm ein kalter Schauer das Denken, und es ward, da der Morgen nahte, so empfindlich kalt, daß er ein Feuer anzuzünden versuchte.

Während er mühsam die Kohlen anblies, trat Hermas zu ihm.

Er hatte von den Begleitern Polykarp's erfahren, wo er Paulus finden werde, und als er nun dem Freunde gegenüber stand, faßte er seine Hand, streichelte ihm das rauhe Haar und dankte ihm zärtlich und tief gerührt für das schwere Opfer, welches er ihm gebracht hatte, als er die entehrende Strafe für sein Vergehen auf sich genommen.

Paulus wies Bedauern und Dank kurz zurück und sprach dann mit Hermas von seinem Vater und seiner Zukunft, bis es hell war und der Jüngling sich anschickte, in die Oase zu gehen, um den Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

Auf seine Bitte, ihn zu begleiten, antwortete Paulus: »Nein, nein, jetzt nicht, jetzt nicht; denn wenn ich mich jetzt an Menschen stieße, flög' ich wohl auseinander wie ein morscher Schlauch voll gährenden Weines. In meinem Kopfe schwärmt ein Bienenvolk und aus meiner Brust ist ein Ameisenhaufen geworden. Geh nun und laß mich allein.«

Nach dem Begräbnisse nahm Hermas von Agapitus, Petrus und Dorothea freundlichen Abschied und kehrte dann zu dem Alexandriner zurück, mit dem er sich zu der Höhle begab, wo der Verstorbene so lange mit ihm gewohnt hatte.

Hier übergab Paulus ihm den Brief seines Vaters an seinen Oheim und sprach liebreicher zu ihm als je zuvor.

In der Nacht legten sich Beide auf das Lager nieder, aber weder der Eine noch der Andere fand Ruhe und Schlaf.

Von Zeit zu Zeit murmelte Paulus leise, aber tief schmerzlich: »Vergebens, Alles vergebens,« und zuletzt: »Ich suche, ich suche, doch wer weist mir den Weg?«

Vor Tagesanbruch erhoben sich Beide.

Hermas ging noch einmal an die Quelle, kniete neben ihr nieder und dachte, während er Abschied nahm, an seinen Vater und die wilde Mirjam.

Erinnerungen mancherlei Art tauchten in seiner Seele auf, und so groß ist die verklärende Macht der Liebe, daß ihm der armseligen braunen Hirtin Bildniß tausendmal schöner erschien, als das des herrlichen Weibes, welches die Seele eines großen Künstlers mit Entzücken erfüllte.

Kurz nach dem Aufgang der Sonne führte ihn Paulus in den Fischerflecken und zu dem israelitischen Geschäftsfreunde seines väterlichen Hauses, ließ ihn reichlich mit Gold versehen und begleitete ihn zu dem Kohlenschiff, das ihn nach Klysma befördern sollte.

Der Abschied fiel ihm sehr schwer, und als Hermas seine Augen voll Thränen sah und fühlte, daß die Hände ihm zitterten, sagte er: »Bekümmere Dich nicht um mich, Paulus; wir sehen uns wieder, und ich werde Deiner und des Vaters gedenken.«

»Und Deiner Mutter,« fügte der Andere hinzu. »Du wirst mir wohl fehlen, aber Kummer ist eben das, was ich suche. Wem es gelänge, das Leid der ganzen Welt sich zu eigen zu machen, und wem bei jedem Athemzuge ein Schmerz die Seele berührte, wie müßte sich der nach dem Wink des Erlösers sehnen!«

Hermas fiel ihm weinend um den Hals, und als die glühenden Lippen des Anachoreten seine Stirn berührten, erschrak er.

Endlich zogen die Matrosen die Taue ein. Da wandte sich Paulus noch einmal dem Jüngling zu und sagte: »Du gehst nun Deine eigenen Wege. Vergiß diesen heiligen Berg nicht und höre noch dieß: Von allen Sünden sind drei die schwersten: Falschen Göttern dienen, des Nächsten Weib begehren und zum Todtschlag die Hände erheben. Hüte Dich vor ihnen! Und von allen Tugenden sind zwei die unscheinbarsten und doch die größten zugleich: Wahrhaftigkeit und Demuth; die sollst Du üben. Von allen Tröstern die besten sind dieses Paar: Das Bewußtsein, das Rechte zu wollen, soviel man auch immer aus menschlicher Schwäche irre und strauchle, und das Gebet.«

Noch einmal umarmte er den Scheidenden, dann ging er über den Sand des Ufers dem Berge zu, ohne sich umzuwenden.

Hermas schaute ihm lange nach, tief besorgt, denn sein starker Freund schwankte wie ein Trunkener und drückte oft die Hand auf die Stirn, welche nicht minder heiß sein mochte, als seine Lippen.

Der junge Krieger hat den Berg und Paulus niemals wiedergesehen, wohl aber, nachdem er selbst im Heere Ruhm und Ansehen erworben, des Petrus Sohn Polykarp, den der Kaiser mit hohen Ehren nach Konstantinopel gerufen hatte, und in dessen Hause als treue und liebreiche Gattin und Mutter die Gallierin Sirona waltete.

Paulus war seit seinem Abschied von Hermas verschwunden. Lange suchten ihn vergebens die anderen Anachoreten und der Bischof Agapitus, welcher von Petrus erfahren hatte, daß der Alexandriner unschuldig bestraft und ausgestoßen worden sei, und der ihm mit eigenem Munde Vergebung und Trost bringen wollte. Endlich, nach zehn Tagen fand ihn der Saït Orion in einer weit entlegenen Höhle.

Der Todesengel hatte ihn vor wenigen Stunden mitten im Gebete abgerufen, denn er war kaum erkaltet. Knieend lehnte er noch mit der Stirn an der Felsenwand, und seine abgemagerten Hände schlossen sich gefaltet um den Ring Magdalena's.

Als ihn seine Genossen auf die Bahre gelegt hatten, lächelte sein edles, freundliches Antlitz rein und verklärt.

Wunderbar schnell flog das Gerücht von seinem Tode in die Oase und den Fischerflecken, in alle Anachoretenhöhlen weit und breit und selbst in die Hütten der amalekitischen Hirten.

Unabsehbar war der Zug Derer, die ihm zur letzten Ruhestätte folgten, und Allen voran schritt der Bischof Agapitus mit den Aeltesten und Diakonen, und hinter diesen Petrus mit seiner Gattin und den Seinen, zu denen auch Sirona gehörte.

Der genesende Polykarp legte wie eine Gabe der Versöhnung einen Palmenzweig auf sein Grab, das von den Vielen, deren Noth er im Geheimen gelindert, und bald auch von allen Büßern weit und breit wie eine Wallfahrtsstätte besucht ward.

Petrus errichtete an seinem Grabe einen Denkstein, auf den Polykarp die Worte einmeißelte, welche des Paulus zitternde Finger vor seinem Tode mit einer Kohle an die Wand seiner Höhle geschrieben hatten:

»Betet für mich Armen; ich war ein Mensch

 
E n d e.
 


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