Georg Ebers
Homo sum
Georg Ebers

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel.

Zwei Pfade führten von der Oase aus über den Berg zur See.

Beide folgten tiefen, steinigen Schluchten, von denen man die eine das Schnellwegbette nannte, weil der ihr folgende Wanderer in ihr rascher sein Ziel erreichte, als auf der besseren, auch für Lastthiere gangbaren Straße in dem andern Hohlwege.

Auf der halben Höhe des Berges mündet das Schnellwegbette in eine ebene Fläche, deren westliche Seite von einer hohen Felsmasse mit steil abfallenden Wänden begrenzt wird.

Auf dieser stand ein aus rohen Quadern erbauter Thurm, in den die Anachoreten sich zurückzuziehen pflegten, wenn ihnen ein Ueberfall drohte.

Der Platz für dieses Kastell, wie die Büßer den Thurm mit Stolz nannten, war gut gewählt, denn von seiner Spitze aus konnte man nicht nur das Schnellwegbette bis zur Oase hin, sondern auch den den Fuß des westlichen Abhanges der heiligen Höhe von dem Meeresufer trennenden schmalen, mit Muscheln übersäten Wüstenstreifen, die blaugrünen Wogen der See und die ferne Hügelkette der afrikanischen Küste übersehen.

Was auch immer, sei es aus der Nähe, sei es aus der Ferne, sich dem Thurme näherte, war von ihm aus zu erblicken, und der dem Wege zugewandte Abhang der Felsenmasse, auf welcher er stand, erhob sich in solcher Glätte und Schroffheit, daß er selbst den Wüstenbewohnern, die mit ihren nackten Füßen und sehnigen Armen Höhen erklommen, welche der Steinbock und Schakal umgingen, unersteigbar erschien.

Leichter zugänglich war er von der andern Seite her, und um auch diese zu sichern, war hier eine sehr starke Mauer errichtet worden, welche die Fläche, auf der das Kastell stand, in Gestalt eines Hufeisens umgab, dessen Stollen bei dem Abhang des Schnellwegbettes endeten.

So roh und schmucklos war dieses Bauwerk zusammengehäuft, daß es aussah wie ein Gebild der Natur und nicht wie eine Arbeit von Menschenhand.

Der Eindruck des Unfertigen und Rohen, den es hervorrief, wurde dadurch gesteigert, daß auf der Hohe dieses mauerartigen Steingehäuses eine Menge von großen und kleinen Granitblöcken und Stücken lag, welche von den Anachoreten zusammengetragen worden waren, um sie bei einem Ueberfall auf die eindringenden Räuber nieder zu wälzen und zu schleudern.

Auch eine Cisterne, für deren Füllung mit Wasser stets Sorge getragen wurde, hatte man in den Felsenboden der von der Mauer umgebenen Fläche vertieft.

Solche Vorsichtsmaßregeln waren nothwendig, denn von zwei Seiten her drohte den Anachoreten Gefahr.

Erstlich von ismaelitischen Sarazenenschaaren, die, von Osten her auf schnellen Raubzügen angreifend, plündernd und fliehend den Berg und die Oase überfielen, und zweitens von den Blemmyern, den wilden Bewohnern der das ägyptische und nubische Fruchtland begrenzenden Wüstenlandschaft und besonders der das rothe Meer vom Nilthale trennenden nackten Gebirge. Auf leichten Nachen pflegten sie über die See zu fahren, um sich dann wie ein Heuschreckenschwarm über den Berg zu ergießen.

Die kleinen Vorräthe und Nothpfennige, welche die schutzlosen Einsiedler in ihren Höhlen aufbewahrten, hatten die Blemmyer wieder und immer wieder herbeigelockt, trotz der römischen Besatzung in Pharan, welche gewöhnlich erst auf dem Schauplatz ihrer Räubereien erschien, nachdem sie längst mit ihrer kargen Beute entkommen waren.

Vor wenigen Monaten hatte derjenige Ueberfall stattgefunden, bei dem der alte Stephanus durch einen Pfeilschuß verwundet worden war, und es lag aller Grund vor zu hoffen, daß die wilden Räuber nicht gar zu bald wiederkehren würden, denn Phöbicius, der Befehlshaber der römischen Manipel in der Oase, war im Dienste thatkräftig und schneidig, und wenn es ihm auch nicht gelingen konnte, die Anachoreten gänzlich vor Schaden zu bewahren, so hatte er die bei seiner Annäherung fliehenden Blemmyer doch verfolgt und ihnen den Weg zu den Booten abgeschnitten, welche ihrer harrten.

Unweit der Küste, auf dem die See von dem Berge trennenden Wüstenstreifen, war es zu einem Kampfe zwischen den Wilden und den Römern gekommen, der mit der völligen Vernichtung der Ersteren geendet hatte, und man durfte erwarten, daß solche Erfahrungen den Wüstensöhnen zur Warnung dienen würden. Aber wenn sie bisher der leicht zu dämpfende Trieb der Habsucht über das Meer geführt hatte, so zwang sie jetzt die heiligste aller Pflichten, das Gesetz, für so viel vergossenes Blut ihrer Brüder und Väter Rache zu nehmen, einen neuen Ueberfall mit dem Aufgebot all' ihrer Kräfte zu wagen.

Dabei waren sie bestrebt, die größte Vorsicht zu üben, und sammelten ihre junge Mannschaft in versteckten Thälern hinter der langen Reihe der Uferberge.

In der ersten finstern Nacht sollte die Ueberschreitung des schmalen Meeresarmes, der sie von der peträischen Halbinsel trennte, stattfinden, und als nun beim Untergang der Sonne des letzten Tages schwere Gewitterwolken aufzogen und sich mit Ungestüm entluden und das Licht des abnehmenden Mondes verfinsterten, zogen sie ihre Boote und Flöße in die See und würden auch unbemerkt von den Wächtern auf der Spitze des Berges, die sich vor dem Unwetter unter ihr Schutzdach zurückgezogen hatten, das jenseitige Ufer, den Berg und vielleicht die Oase erreicht haben, wenn nicht Einer die Anachoreten gewarnt hätte, und dieser Eine war Hermas.

Gehorsam dem Geheiße des Paulus hatte der Jüngling drei von den Goldstücken seines Freundes zu sich gesteckt, sich mit Pfeil und Bogen und einigem Brod versehen und sich dann, nachdem er vor der Höhle seines Vaters dem Schlummernden einen leisen Gruß zugerufen, nach Raïthu begeben.

Froh im Gefühle seiner Kraft und Mannheit, stolz auf die schwierige, des künftigen Kriegers würdige Aufgabe, die ihm gestellt worden war, und freudig gewillt, sie, wenn auch mit dem Opfer des Lebens, zu lösen, eilte er im hellen Mondenschein vorwärts.

Wo sich der Weg, um den wahrlich nicht weichlichen Wüstenwanderern das Steigen zu ermöglichen, in Zickzacklinien wand, verließ er ihn und kletterte von Fels zu Felsen in gerader Richtung aufwärts und abwärts. Auf ebenen Stellen jagte er dahin, als seien ihm Häscher auf den Fersen. Nach Sonnenaufgang stärkte er sich durch einen kleinen Imbiß, dann eilte er weiter und achtete nicht der Hitze des Mittags und des leichten Sandes, in den, während er der Küste des Meeres folgte, sein Fuß versank.

Er dachte bei diesem leidenschaftlichen Vorwärtsstreben weder an Sirona, noch an sein vergangenes Leben, sondern nur an die Berge jenseits des Meeres und die Blemmyer, und wie er sie am besten beschleichen und, wenn er ihre Pläne erkundet, wiederum an die See und zu den Seinen zu gelangen vermöge.

Endlich als er müder und müder, und die Hitze des Mittags drückender wurde, und das Blut sich voller zu seinem Herzen zu drängen und schneller in seinen Schläfen zu pochen begann, hörte er gänzlich zu denken auf, und das, was ihn forttrieb, war nichts mehr als der Wunsch, sein erstes Ziel so schnell wie möglich zu erreichen.

In der dritten Nachmittagsstunde sah er von fern die Palmen von Raïthu, und mit neubelebter Kraft eilte er ihnen entgegen.

Bevor die Sonne unterging, hatte er den ihm von Paulus bezeichneten Anachoreten mitgetheilt, daß der Alexandriner ihre Einladung ablehne und gesonnen sei, auf dem heiligen Berge zu bleiben.

Dann begab sich Hermas in den kleinen Hafen, um mit den Fischern des Orts wegen des Bootes, das er bedurfte, zu unterhandeln.

Während er sich mit einem alten amalekitischen Bootsmanne besprach, der mit seinem schwarzäugigen Knaben die Netze ordnete, näherten sich zwei Reiter in raschem Trabe mehr und mehr der Bucht, in der, von kleinen Barken umgeben, ein größeres Frachtschiff vor Anker lag.

Der Fischer zeigte auf das letztere und sagte: »Es wartet auf die Karawane von Petra. Der da auf dem Maulthier ist der große Kriegsherr des Kaisers, der die Römer in Pharan befehligt.«

Hermas sah Phöbicius hier zum ersten Mal, und als dieser nun auf ihn und den Fischer zuritt, erschrak er.

Würde er seiner ersten Regung gefolgt sein, so hätte er sich gewandt und die Flucht ergriffen; aber schon war sein helles Auge dem matten und dabei spürenden Blicke des Centurio begegnet, und erröthend über sich selbst blieb er stehen, kreuzte die Arme und erwartete stolz und trotzig den Gallier, der mit seinem Begleiter gerade auf ihn zuritt.

Talib hatte den Jüngling früher an seines Vaters Seite gesehen, ihn erkannt und fragte ihn nun, ob er schon länger hier sei, oder geraden Wegs von dem Berge komme.

Hermas antwortete der Wahrheit gemäß und wußte nun, daß er es nicht sei, den der Centurio suche.

Völlig beruhigt und nicht ohne Neugier schaute er denselben an, und ein Lächeln umspielte seinen Mund, als er sah, wie sich der hagere, von dem langen und schnellen Ritt ermattete alternde Soldat kaum mehr auf seinem Reitthiere zu halten vermochte und es ihm dabei in's Bewußtsein trat, daß dieser jämmerliche Schwächling der Gatte der blühenden, lebensfrischen Sirona sei.

Weit entfernt, diesem Manne gegenüber Reue über den Einbruch in sein Haus zu empfinden, überließ er sich willig der übermüthigen Laune, die ihn bei seinem Anblick erfaßte, und gab, als Phöbicius selbst ihn nun fragte, ob er auf seinem Wege nicht einem blondhaarigen Weibe mit einem hinkenden Windspiel begegnet sei, mit mühsam zurückgehaltenem Lachen zur Antwort:

»Ja wohl! Solches Weib hab' ich gesehen und auch ihr Windspiel, aber lahm ist es, denk' ich, doch nicht gewesen.«

»Wo trafst Du sie?« fragte Phöbicius hastig.

Hermas erröthete, denn nun war er gezwungen, die Unwahrheit zu sagen, und es konnte ja sein, daß er mit einer falschen Auskunft Sirona schaden würde. Darum ertheilte er zunächst keine bestimmte Antwort, sondern fragte: »Hat die Frau ein Verbrechen begangen, daß Ihr sie verfolgte«

»Ein schweres,« gab Talib zurück, »sie ist dieses Herrn Gattin und hat . . .«

»Was sie verschuldet hat, das geht mich allein an,« unterbrach Phöbicius herbe seinen Begleiter. »Ich hoffe, daß der dort besser gesehen hat als Du, da Du die heulende Wittwe aus Aila mit dem Kind auf dem Arm, die der Karawane nachlief, für Sirona hieltest. Wie heißt Du, Bursche?«

»Hermas,« gab der Gefragte zurück, »und wer bist denn Du?«

Die Lippen des Galliers öffneten sich zu einer heftigen Antwort, aber er drängte sie zurück und sagte: »Ich bin der Befehlshaber der kaiserlichen Truppen und frage Dich, wie das Weib aussah, das Du gesehen, und wo Du sie antrafst?«

Der ingrimmige Blick des Soldaten und seines Führers Worte lehrten Hermas, daß die entflohene Sirona nichts Gutes zu erwarten habe, wenn man sie ergreife, und da er keineswegs geneigt war, ihren Verfolgern behülflich zu sein, so entgegnete er schnell, indem er seinem Muthwillen die Zügel schießen ließ: »Ich bin doch wohl nicht der, die Ihr suchet, begegnet, denn die, die ich sah, ist gewiß nicht die Gattin dieses Mannes, denn sie könnte ja gut seine Enkelin sein! Sie hatte goldiges Haar und ein rosiges Antlitz, und das Windspiel, das ihr folgte, nannte sie Jambe.«

»Wo trafst Du sie?« schrie der Centurio.

»Im Fischerflecken, am Fuße des Berges,« gab Hermas zurück. »Sie stieg in einen Nachen, und fort ging die Fahrt!«

»Nach Norden zu?« fragte der Gallier.

»Ich glaube,« entgegnete Hermas, »aber ich weiß nicht, denn ich war in Eile und konnt' ihr nicht nachsehen.«

»So suchen wir sie in Klysma zu fangen,« rief Phöbicius dem Amalekiter zu. »Gäb' es nur noch ein Pferd in dieser verwünschten Wüste.«

»Vier Tagereisen,« entgegnete Talib bedenklich, »und hinter Elim finden wir bis zu dem Mosesbrunnen kein Wasser. Ich will meinen eigenen Gaul mit einem Dromedar vertauschen.«

»Und wenn ihr auch gute Traber fändet,« unterbrach ihn Hermas, »so solltest Du, mein Centurio, Dich doch nicht so weit von der Oase entfernen, denn drüben heißt es, sammeln sich Blemmyer, und ich fahre selbst, sobald es dunkelt, als Späher hinüber.«

Phöbicius schaute düster sinnend zu Boden.

Auch zu ihm war die Kunde gedrungen, daß sich die Wüstensöhne zu einem neuen Ueberfall rüsteten, und mürrisch, aber bestimmt rief er, indem er Hermas den Rücken kehrte, dem Amalekiter zu:

»Du reitest allein nach Klysma und suchst sie zu fangen; ich mag und darf um des elenden Weibes willen den Dienst nicht versäumen.«

Hermas schaute den sich Entfernenden nach und lachte fröhlich auf, als er sie in einem Herbergshause verschwinden sah.

Vor seiner Fahrt über das Meer legte er sich in einem Fischerboote, das er von dem Alten für ein Goldstück des Alexandriners gemiethet, auf die Netze nieder und stärkte sich durch einen mehrstündigen tiefen Schlaf.

Beim Aufgang des Mondes wurde er gemäß seiner Anordnung geweckt und half dem Knaben, der ihn begleitete und Segel und Steuer zu führen verstand, den auf dem Sande liegenden Nachen in das Meer zu ziehen.

Bald schoß er von einem leisen Winde getrieben auf der glattschimmernden See dahin, und dabei war ihm so frisch und lebensfreudig zu Sinne, wie dem jungen Adler, der das enge Nest verläßt und zum ersten Male die kräftigen Schwingen entfaltet.

Er hätte aufjauchzen mögen in dem ihm so neuen Wonnegefühle der Freiheit, und der Knabe am Steuer schüttelte verwundert den Kopf, als er Hermas ungeschickt zwar, aber mit gewaltigen Schlägen die Ruder regieren sah, die er ihm anvertraut hatte.

»Der Wind ist gut,« rief er dem Anachoreten zu, indem er mit dem Seil in der Hand das Segel herumwarf, »wir kommen auch ohne Deine Arbeit vorwärts. Spar' Deine Kräfte!«

»Sie sind reichlich da, und ich brauch' nicht damit zu geizen,« gab Hermas zurück und bog sich zu einem neuen gewaltigen Ruderschlage tief zurück.

Auf halbem Wege ruhte er aus und freute sich an dem Bilde des Mondes in dem blanken Wasserspiegel, und mußte an den Hof des Petrus denken, den dasselbe silberne Licht beleuchtet hatte, als er zu Sirona in's Fenster gestiegen war. Des schönen, weißarmigen Weibes Bild trat ihm vor die Seele, und ein wehmütig sehnsüchtiges Gefühl begann ihn zu beschleichen.

Leise seufzte er auf, einmal und noch einmal; aber wie die Brust sich ihm zum dritten Male schmerzlich hob, erinnerte er sich des Zieles der Fahrt und seiner gebrochenen Ketten, und voller Uebermut schlug er mit dem Ruder flach auf das Wasser, daß es hoch aufspritzte und ein Regen von feuchten, flimmernden Demantsteinen das Fahrzeug und ihn selbst benetzte.

Von Neuem begann er die Riemen zu regen und dachte dabei, daß er jetzt etwas Besseres zu thun habe als an ein Weib zu denken.

Es gelang ihm auch leicht, Sirona ganz zu vergessen, denn keine Erregung des Kriegerlebens blieb ihm in den nächsten Tagen vorenthalten.

Kaum zwei Stunden nach seiner Abfahrt von Raïthu betrat er den Boden des andern Erdtheils und schlich sich, nachdem er ein Versteck für das Boot gefunden, sogleich in die Berge, um die Blemmyer zu belauern.

Schon am ersten Tage stieß er auf das Thal, in dem sie sich sammelten, am dritten gelang es ihm, nachdem er mehrmals gesehen und verfolgt worden war, einen auf Kundschaft ausgesandten Krieger zu ergreifen und mit sich fortzuschleppen.

Er band ihn fest und bedrohte ihn schwer, und erfuhr von ihm Vieles.

Die Zahl der Feinde, welche sich zum Ueberfall sammelten, war groß, aber Hermas durfte ihnen zuvorzukommen hoffen, denn sein Gefangener verrieth ihm die Stelle, an der sie die an's Land gezogenen Boote unter Sand und Steinen verborgen hielten.

Sobald es dunkelte, näherte sich der Jüngling auf dem Nachen dem Ueberfahrtsplatze, und als in der finsteren Gewitternacht die Blemmyer das erste Boot in's Wasser zogen, segelte Hermas den Feinden voran, landete unter großer Gefahr am westlichen Abhang des Berges und eilte den Sinai hinan, um die pharanitischen Wächter auf dem Luginsland zu warnen.

Vor Sonnenaufgang erreichte er die schwer zu erklimmende Spitze, weckte die säumigen, von ihrem Posten gewichenen Späher und jagte, bevor sie die Warte ersteigen, die Fahnen aufhissen und das Erz schlagen konnten, thalabwärts zu der Höhle des Vaters.

Seit seinem Verschwinden hatte Mirjam unablässig die Wohnung des Stephanus umkreist und dem Alten jeden Morgen, Mittag und Abend Wasser geholt; auch nachdem ein neuer, schwerfälliger und mürrischer Pfleger an Paulus' Stelle getreten war.

Sie lebte von Wurzeln und dem Brod, das ihr der Kranke gab, und zog sich, wenn es Nacht geworden, in eine ihr längst bekannte tiefe und trockene Felsenspalte zurück, um zu schlafen.

Vor Sonnenaufgang verließ sie das harte Lager, um den Krug des Leidenden zu füllen und mit Stephanus von Hermas zu reden.

Sie war dem Alten gern dienstlich, weil sie von seinen Lippen, so oft sie zu ihm kam, seines Sohnes Namen nennen hörte, und er freute sich ihres Kommens, weil sie ihm stets Gelegenheit gab, von Hermas zu reden.

Seit vielen Wochen war der Kranke so sehr gewohnt, sich pflegen zu lassen, daß er das hülfreiche Thun der Hirtin als etwas Selbstverständliches hinnahm; sie aber versuchte es niemals, sich Rechenschaft zu geben, aus welchem Grunde sie den Alten bediene.

Stephanus hätte ihr Ausbleiben schmerzlich entbehrt, und ihr war der Gang zu der Quelle und ihr Gespräch mit dem Alten zum Bedürfniß, ja zur Nothwendigkeit geworden, denn sie wußte noch immer nicht, ob Hermas lebe, oder ob ihn Phöbicius in Folge ihres Verraths erschlagen habe.

Vielleicht war Alles, was Stephanus ihr von der Kundschafterfahrt seines Sohnes erzählte, von Paulus erfunden worden, um den Kranken zu schonen und ihn allmählich an den Verlust seines Kindes zu gewöhnen; und doch glaubte sie nur zu gern, daß Hermas lebe, und wenn sie sich spät aus der Nähe der Höhle entfernte und, bevor die Sonne sich zeigte, den Krug des Kranken wiederum füllte, so geschah es, weil sie sich sagte, daß der Verschwundene bei seiner Rückkehr Niemand eher als seinen Vater aufsuchen werde.

Kein völlig ruhiger Augenblick ward ihr zu Theil, denn wenn ein fallender Stein, ein nahender Schritt oder die Stimme eines Thieres die Stille der Einöde unterbrach, so verbarg sie sich und lauschte mit klopfenden. Herzen; weit weniger aus Furcht vor Petrus, ihrem Herrn, dem sie entlaufen, als in der Erwartung, den Schritt des Mannes zu hören, den sie seinem Feinde in die Hand gegeben und nach dem sie sich dennoch Tag und Nacht mit Schmerzen sehnte.

So oft sie bei der Quelle weilte, feuchtete sie das widerspenstige Haar an, um es zu glätten, und wusch das Gesicht mit solchem Eifer, als könn' es ihr dadurch gelingen, die dunkle Farbe von ihrer Haut zu reiben.

Und das Alles that sie für ihn, und um ihm bei seiner Wiederkehr so wohl zu gefallen, wie das weiße Weib in der Oase, das sie so glühend haßte, wie sie ihn mit Leidenschaft liebte.

Während des Gewitterregens in der letzten Nacht hatte sich ein Gießbach von der Höhe des Berges in ihren Schlupfwinkel ergossen und sie aus ihm vertrieben.

Durchnäßt, obdachlos, von Reue, Angst und Verlangen umher getrieben, war sie von Stein zu Stein gestiegen und hatte bald unter diesem, bald unter jenem Felsen Schutz und Ruhe gesucht.

Dabei war sie auch von dem Lichtschimmer, der aus des frommen Paulus neuer Wohnung drang, angelockt worden und hatte den Alexandriner gesehen und erkannt; sie aber war unbemerkt von ihm geblieben, denn tief in sich selbst versunken hatte er neben dem Herde am Boden gekauert.

Sie wußte nun, wo der Ausgestoßene hause, nach dem Stephanus sie oft gefragt, und von dem sie durch Klagen und dunkle Andeutungen des Kranken erfahren hatte, daß auch er durch ihre Feindin bestrickt und in's Verderben geführt worden sei.

Als der Morgenstern zu erblassen begann, hatte sich Mirjam mit dem Herzen voll Thränen und doch nicht fähig, ihre Noth und ihr Leid in lindernden Zähren auszuweinen, der Höhle des Stephanus genähert, und der heiße Wunsch, hier niederzusinken und zu sterben und durch den Tod von den Qualen, welche sie ruhelos umhertrieben, erlöst zu werden, war allmächtig in ihr geworden.

Noch war es zu früh, um den Alten zu stören. Und doch! Es hatte sie so heiß verlangt, ein Wort, und wenn auch ein hartes, aus dem Munde eines Menschen zu hören, denn das Gefühl der Verwilderung, welches ihren Geist verwirrte, und der Jammer der Vereinsamung, welcher ihr Herz beengte, peinigten sie allzu schmerzlich.

Schon war sie dem Eingange der Höhle nahe gekommen, als sie hoch über sich fallende Steine und den Ruf einer Stimme vernommen hatte.

Sie war zusammengefahren und hatte mit weit vorgestrecktem Halse und angespannten Sehnen regungslos in die Höhe geschaut. Dann war sie plötzlich in ein lautes, weithin schallendes Jubelgeschrei ausgebrochen und hatte sich mit hoch aufgeschwungenen Armen den Berg hinauf und dem schnell niederwärts steigenden Wanderer entgegen gestürzt.

»Hermas, Hermas!« hatte sie ihm zugejauchzt, und ihres Herzens sonnenhelle Wonne hatte sich so licht und rein in diesem Rufe gespiegelt, daß mitklingende Saiten in des Jünglings Seele ertönt waren, und er ihr ein fröhliches Willkommen zugerufen hatte.

So war sie noch nie von ihm begrüßt worden, und wie ein frischer Trunk, den eine milde Hand den Lippen eines Verschmachtenden nähert, hatte der Ton seiner Stimme ihr armes, gemartertes Herz erquickt.

Reiches Entzücken und eine Fülle von Dankbarkeit, wie sie sie niemals empfunden, war in ihre Seele gezogen, und weil er so gut gegen sie war, so hatte es sie gedrängt, ihm zu zeigen, daß sie auch etwas einzusetzen habe gegen die Gabe der Freundlichkeit, die er ihr reichte.

Darum war das Erste gewesen, das sie ihm berichtet: »Ich bin immer in der Nähe Deines Vaters geblieben und habe ihm Wasser gebracht früh und spät, so viel er bedurfte.«

Sie war erröthet, während sie sich so zum ersten Male selbst vor ihm lobte; Hermas aber hatte gerufen:

»Das war brav von Dir, und ich will Dir's gedenken. Du bist ein wildes, närrisches Ding; aber ich glaube, wem Du einmal gut bist, der kann auf Dich zählen.«

»Versuch' es!« hatte Mirjam gerufen und ihm die Hand hingehalten.

Da war er ihr näher getreten, hatte eingeschlagen und, indem er sie mit sich fortgezogen, gesagt: »Hörst Du das Erz? Ich habe die Wächter oben gewarnt; die Blemmyer kommen. Ist Paulus beim Vater?«

»Nein; aber ich weiß, wo er haust.«

»So mußt Du ihn rufen,« hatte der Jüngling sie unterbrochen. »Ihn zuerst und dann Gelasius und Psoës und Dulas, und wen Du sonst von den Büßern findest. Sie sollen Alle in das Kastell am Schnellwegbette. Ich bringe jetzt den Vater dahin; Du aber eile und zeige, daß man Dir vertrauen darf.«

Bei den letzten Worten war er auf sie zugetreten, um sie zu umfassen, sie aber hatte sich ihm schnell entwunden und war mit dem Rufe: »Ich bringe Allen die Botschaft!« von dannen gejagt.

Nachdem sie Sirona gesehen und Paulus gefunden hatte, war sie von Höhle zu Höhle gelaufen, um in Hermas' Dienst und in seinem Namen die Klausner zum Widerstand aufzurufen.


 << zurück weiter >>