Georg Ebers
Homo sum
Georg Ebers

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Vierzehntes Kapitel.

Um die Mittagszeit des folgenden Tages trat der Senator in das Frauengemach und fragte schon auf der Schwelle seine am Webstuhl thätige Gattin:

»Wo ist Polykarp? Ich traf ihn nicht bei Antonius, der an der Aufstellung des Altars arbeitet, und dachte ihn bei Dir zu finden.«

»Nach der Kirche,« gab Dorothea zurück, »ist er auf den Berg gestiegen. Geh' doch in die Werkstätte, Marthana, und sieh' nach, ob Dein Bruder zurück ist.«

Ihre Tochter folgte schnell und gern diesem Geheiß, denn ihr Bruder war ihr der liebste und schien ihr der schönste und beste von allen Männern.

Sobald die Ehegenossen allein waren, sagte Petrus, indem er der Gattin freimütig und herzlich die Hand entgegenstreckte:

»Nun, Mutter, schlag' ein!«

Dorothea zauderte einen Augenblick und sah ihn an, als wolle sie fragen: »Erlaubt Dir nun endlich Dein Stolz, mir nicht länger Unrecht zu thun?«

Das war ein Vorwurf, aber wahrlich kein strenger, sonst hätt' es nicht so freundlich um ihre Lippen gezuckt, als wollten sie sagen: »Du kannst mir ja gar nicht lange zürnen, und es ist doch gut, daß nun Alles wieder wird, wie es sein soll.«

Es hatte sich freilich anders verhalten, denn seit dem Zusammentreffen der beiden Gatten in der Werkstätte ihres Sohnes waren sie nebeneinander hergegangen wie zwei Fremde.

Im Schlafgemach, auf dem Wege zur Kirche und beim Frühmahl hatten sie mit einander nicht mehr geredet, als was das Leben forderte und nothwendig erschien, um ihren Zwiespalt vor den Dienern und Kindern zu verbergen.

Zwischen ihm und ihr hatte bis jetzt als etwas Selbstverständliches das niemals in Worte gekleidete und doch kaum in einem einzigen Falle verletzte Abkommen bestanden, daß der Eine nichts an ihren Kindern lobte, was der Andere tadelnswerth nannte, oder umgekehrt.

Und in dieser Nacht!

Auf ihr strenges Verdammungsurtheil war ihres Gatten innige Umarmung des Uebelthäters gefolgt.

So hart war sie noch bei keiner Gelegenheit, so weich und zärtlich dagegen ihr Mann, soweit sie zurückdenken konnte, noch niemals einem ihrer Söhne begegnet, und doch hatte sie es über sich vermocht, im Angesicht Polykarp's seinem Vater nicht zu widersprechen und schweigend mit dem Letzteren die Werkstätte zu verlassen.

»Sind wir nur erst im Schlafzimmer allein,« hatte sie gedacht, »werd' ich ihm sein Unrecht vorstellen, wie sich's gehört, und er wird sich zu verantworten haben.«

Aber sie führte dieß Vorhaben nicht aus, denn sie fühlte, daß in ihrem Gatten etwas vorgehen müsse, das sie nicht verstehe; wie hätten sonst nach dem Geschehenen, als er mit der Lampe in der Hand die schmale Stiege hinabstieg, seine sonst so ernsten Augen so mild und freundlich strahlen, seine strengen Lippen so glückselig lächeln können!

Oftmals hatte er ihr gesagt, daß sie in seiner Seele wie in einem offenen Buche zu lesen verstehe, aber sie verhehlte sich nicht, daß es doch gewisse Seiten in diesem Werke gab, deren Sinn sie nicht zu erfassen vermochte.

Und seltsam!

Immer und immer traf sie auf diese ihr unverständlichen Regungen seiner Seele, wenn es sich um die Götzenbilder und unheiligen Tempel der Heiden und die Entwürfe und Werke ihrer Söhne handelte.

Petrus war doch auch der fromme Sohn eines frommen Christen; sein Großvater aber war em griechischer Heide gewesen, und von diesem wirkte vielleicht ein gewisses Etwas in seinem Blute fort, das sie ängstigte, weil sie es nicht mit den Lehren des Agapitus zu vereinigen wußte, und dem sie doch nicht entgegenzutreten wagte, weil ihr wortkarger Mann sich niemals so heiter und selbstvergessen aussprach, als wenn er mit seinen Söhnen und deren Freunden, die sie manchmal in die Oase begleitet hatten, über diese Dinge reden durfte.

Das konnte ja nichts Sündliches sein, was ihres Gatten Antlitz jetzt wieder, und gerade in diesem Augenblicke, verjüngte und verklärte.

»Sie sind eben Männer,« sagte sie sich, »und haben doch wohl dieß und das vor uns Frauen voraus. Schaut nicht der Alte drein wie am Hochzeitstage! Polykarp ist sein Ebenbild, das sagt ja ein Jeder. Aber wenn ich jetzt den Alten ansehe und rufe nur in die Erinnerung zurück, wie der Junge vorhin aussah, als er mir erklärte, warum er sich nicht enthalten konnte, Sirona's Bildniß zu machen, so muß ich doch sagen, daß mir solche Aehnlichkeit nicht begegnet ist, so lang ich lebe.«

Er hatte ihr freundlich eine »Gute Nacht« geboten und die Lampe verlöscht.

Sie hätte ihm gern ein herzliches Wort gesagt, denn sein heiteres Aussehen hatte sie gerührt und erfreut; aber das wäre denn doch zu viel gewesen nach dem, was er ihr vor ihres Sohnes Augen in der Werkstätte zugefügt hatte.

In früheren Jahren war es nicht selten geschehen, daß sie, wenn Eines des Andern Unzufriedenheit erweckt, und es Streit unter ihnen gegeben hatte, unversöhnt zur Ruhe gegangen waren; aber je älter sie wurden, je seltener kam solches vor, und seit langer Zeit hatte kein Schatten die volle Einigkeit ihrer Ehe getrübt.

Als sie vor drei Jahren, nach der Hochzeit ihres ältesten Sohnes, zusammen am Fenster gestanden und zu dem gestirnten Himmel aufgeschaut hatten, war Petrus ihr ganz nahe getreten und hatte gesagt:

»Wie die Wanderer da oben so still und friedlich ihre Bahnen beschreiben, ohne einander je zu berühren oder zu stoßen! Wenn ich einsam in stiller Nacht bei ihrem freundlichen Licht aus den Brüchen nach Hause ging, so hab' ich mir Manches gedacht. Vielleicht gab es einmal eine Zeit, in der die Sterne wild durcheinander sausten. Einer kreuzte dem andern den Weg, und bei dem Anprall sind wohl manche in Stücke geflogen. Da schuf der Herr die Menschen, und die Liebe kam in die Welt und erfüllte Himmel und Erde; den Sternen aber gebot der Höchste, für uns die Nacht zu erhellen. Nun begann jeder die Bahn des andern zu achten, und immer seltener stieß ein Stern an den andern, bis endlich auch der kleinste und schnellste seinen Weg innehielt und seine Stunde, und das schimmernde Heer da oben so einträchtig war wie unzählbar. Die Liebe und ein gemeinsamer Zweck bewirkte dieß Wunder, denn wer den Andern liebt, der will ihn nicht schädigen, und wem es obliegt, mit der Hülfe eines Andern ein Werk zu vollenden, der hindert ihn nicht, und hält ihn nicht auf. Wir Beide haben schon lange die rechten Bahnen gefunden, und will einmal Einer den Weg des Andern kreuzen, so hemmt ihm doch wohl die Liebe den Fuß und gewiß die gemeinsame Pflicht, den Kindern mit reinem Lichte den Pfad zu erleuchten.«

Diese Worte hatte Dorothea nicht vergessen.

Sie waren ihr in den Sinn gekommen, als Petrus ihr heute so herzlich die Hand entgegengestreckt hatte, und während sie nun ihre Rechte in die ihres Gatten legte, sagte sie:

»Um des lieben Friedens willen mag es denn gut sein; aber Eines kann ich doch nicht verschweigen: weichmüthige Schwäche ist ja sonst nicht Deine Sache; doch den Polykarp wirst Du noch völlig verderben.«

»Laß ihn, lassen wir ihn, wie er ist!« rief Petrus und küßte die Stirn seines Weibes. »Ist es nicht seltsam, wie wir die Rollen vertauschen? Gestern mahntest Du mich zur Milde gegen den Jungen, und heute . . .«

»Heute bin ich strenger als Du,« unterbrach ihn Dorothea. »Wer kann auch ahnen, daß ein alter Graubart, wie Esau für ein Linsengericht sein Erbtheil, für ein lächelndes Frauengesicht von Thon die Pflichten seines väterlichen Richteramtes preisgeben mag?«

»Und wem mag es beifallen,« entgegnete Petrus, in den Ton seiner Gattin einstimmend, »daß eine so zärtliche Mutter wie Du ihren leiblichen Sohn verdammt, weil er bemüht ist, sich durch eine That, eine That, um die ihn sein Meister beneiden könnte, den Frieden seiner Seele zurückzugewinnen?«

»Ich habe es wohl bemerkt,« unterbrach ihn Dorothea. »Sirona's Bildniß hat es Dir angethan, und Du meinst, dem Jungen sei da etwas Wunder wie Großes gelungen! Ich verstehe nicht viel von dem Kneten und Bildhauerwerke und will Dir nicht widersprechen; aber wäre des Blondkopfs Gesichtchen weniger hübsch, und hätte Polykarp nichts Besonderes zu Stande gebracht, würde das auch nur das Geringste an dem, was er Tadelnswerthes gethan und empfunden hat, ändern? Gewiß nicht! Doch so sind eben die Männer; sie fragen nur nach dem Erfolge.«

»Und das mit vollem Recht,« antwortete Petrus, »wenn der Erfolg nicht im Spiel, sondern durch schweres Ringen erzielt ward. Wer hat, dem wird gegeben, sagt die Schrift, und wem Gott die Seele reicher schmückt als Anderen, und wem gute Geister helfen, das Größte zu leisten, dem wird Vieles vergeben, das auch ein milderer Richter dem ärmlich Begabten, der sich plagt und abmüht und doch nichts Rechtes vollendet, ungern verzeiht. Sei Du nun wieder freundlich gegen den Jungen. Weißt Du auch, was Dir durch ihn bevorsteht? Du hast in Deinem Leben viel Gutes gethan und Kluges gerathen, und ich und die Kinder und Niemand in diesem Orte wird Dir's vergessen; aber dafür, daß Du den Polykarp geboren, kann ich Dir den Dank der Besten verheißen, die heute sind und in Jahrhunderten sein werden!«

»Und nun sagt man,« rief Dorothea, »gerade die Mütter hätten vier Augen für die Vorzüge der Kinder. Ist das wahr, so haben die Väter gewiß deren zehn, und Du so viel wie jener Argus, von dem die heidnische Märe erzählt . . . Aber da kommt Polykarp.«

Petrus schritt dem Sohn entgegen und gab ihm die Hand und zwar in anderer Weise als früher. Wenigstens schien es Dorothea, als empfange ihr Gatte den Jüngling nicht wie sonst als Vater und Herr, sondern wie ein Freund, der den gleichberechtigten Freund und Rathsgenossen begrüßt.

Als Polykarp auch ihr das Willkommen bot, erröthete sie über und über, denn durch die Seele zog ihr die Befürchtung, ihr Sohn müsse sie doch, wenn er an den gestrigen Abend denke, für ungerecht oder thöricht halten.

Aber bald gewann sie die ihr eigene ruhige Sicherheit wieder, denn Polykarp war völlig der Alte, und sie las aus seinen Augen, daß er für sie dasselbe empfinde wie gestern und immer.

»Die Liebe,« dachte sie, »erlischt nicht durch Unrecht, wie das Feuer durch Wasser. Heller und weniger hell flammt sie wohl auf, je nach dem Stande des Windes; aber gänzlich ersticken kann sie gewiß nichts, und am letzten der Tod.«

Polykarp war auf dem Berge gewesen, und Dorothea gänzlich beruhigt, als er erzählte, was ihn dorthin geführt.

Längst schon hatte er geplant, einen Moses zu bilden, und seit ihn gestern der Vater verlassen, war ihm das Bild des hohen, würdigen Mannes nicht aus dem Sinn gekommen.

Er meinte das rechte Vorbild für sein Werk gefunden zu haben.

Er wollte und mußte vergessen, und fühlte, daß er das nur könne, wenn er eine Aufgabe finde, die seiner verarmten Seele einen neuen Inhalt verleihe.

Noch sah er die Gestalt des gewaltigen Gottesmannes, den er zu bilden dachte, nur in verschwommenen Zügen vor dem innern Auge, und es hatte ihn hinauf an die Stelle getrieben, die man die des Zwiegesprächs nannte, und zu der viele Pilger wallten, weil es hieß, daß auf ihr der Herr mit Mose geredet.

Dort war Polykarp lange geblieben, denn wenn irgendwo, so mußte er doch da, wo der Gesetzgeber selbst gestanden, das Rechte finden.

»Und bist Du zum Ziele gekommen?« fragte Petrus.

Polykarp schüttelte verneinend das Haupt.

»Geh' Du nur öfter zu der heiligen Stätte, so wird es schon werden,« sagte Frau Dorothea. »Der Anfang ist immer das Schwerste. Versuche nur gleich, das Haupt des Vaters zu formen!«

»Ich habe vorhin schon begonnen,« entgegnete Polykarp, »aber ich bin doch noch müde von der gestrigen Nacht.«

»Du siehst auch bleich aus und hast Schatten unter den Augen,« rief Dorothea besorgt. »Geh' hinauf und lege Dich zur Ruhe. Ich komme Dir nach und bringe Dir einen Becher alten Wein.«

»Der wird ihm nicht schaden,« sagte Petrus und dachte bei sich: »Ein Trunk aus dem Lethestrom würde ihm noch besser bekommen.«

Als der Senator eine Stunde später den Sohn in seiner Werkstätte aufsuchte, fand er ihn schlafend, und auf dem Tische stand der unberührte Wein.

Petrus legte leicht die Hand auf die Stirn seines Sohnes und fand sie kühl und fieberfrei.

Dann ging er leise auf Sirona's Bildniß zu, hob das Tuch ab, mit dem es bedeckt war, und blieb lange, in seinen Anblick versunken, davor stehen.

Endlich trat er zurück, verhüllte es wieder und musterte die Modelle, die auf einem an der Wand befestigten Brette standen.

Eine kleine weibliche Figur fesselte seine Aufmerksamkeit ganz besonders, und als er bewundernd in die Hände schlug, erwachte Polykarp.

»Das ist das Bild der Schicksalsgöttin, das ist eine Tyche,« sagte Petrus.

»Zürne nicht, Vater,« bat Polykarp, »Du weißt ja, daß in der Hand der Statue des Kaisers, die für das neue Konstantinopel bestimmt ist, die Figur einer Tyche stehen soll, und da habe ich es denn auch versucht, die Göttin zu bilden. Die Gewandung und die Haltung der Arme, dächt' ich, wäre mir gelungen, aber an dem Kopfe bin ich gescheitert.«

Petrus, der ihm aufmerksam zugehört hatte, schaute unwillkürlich zu dem Haupte Sirona's hinüber, und Polykarp folgte überrascht und fast erschrocken seinem Blicke.

Vater und Sohn verstanden einander, und der Letztere sagte: »Daran hatte ich auch schon gedacht.«

Dann seufzte er schmerzlich und sagte sich: »Ja wahrlich, sie ist meines Schicksals Göttin.« Aber auszusprechen wagte er es doch nicht.

Petrus hatte den Seufzer des Jünglings nicht überhört und rief: »Lassen wir das. Dieß Haupt lächelt mit frohsinnigem Liebreiz, und streng und ernst ist das Antlitz der Göttin, die selbst der Himmlischen Thaten regiert.«

Da hielt sich Polykarp nicht länger und rief: »Ja, Vater, fürchterlich ist das Schicksal, und dennoch bild' ich die Göttin mit lächelndem Munde, denn das ist ja das Entsetzliche an ihr, daß sie nicht nach ernsten Gesetzen waltet, sondern lächelnd ihr Spiel mit uns treibt.«


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