Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 1
Alexander Dumas

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XXIV.

Sappho.

Frau von La Mothe, die sich nicht vergaß, entzog den Prälaten seiner Träumerei.

»Wohin fühlt mich dieser Wagen?« fragte sie.

»Gräfin, seien Sie unbesorgt,« rief der Cardinal; »Sie sind von Ihrem Hause ausgegangen. Wohl denn! der Wagen führt Sie dahin zurück.«

»Mein Haus ... im Faubourg?«

»Ja, Gräfin ... Ein sehr kleines Haus, um so viele Reize zu enthalten.«

Indem er diese Worte sprach, ergriff der Prinz eine von Jeanne's Händen und erwärmte sie mit einem galanten Kuß.

Die Carrosse hielt vor dem kleinen Hause, wo so viele Reize zu weilen versuchen sollten.

Jeanne sprang leicht aus dem Wagen; der Prälat schickte sich an, sie nachzuahmen.

»Es lohnt sich nicht der Mühe, Monseigneur,« flüsterte ihm dieser weibliche Dämon zu.

»Wie, Gräfin, es lohnt sich nicht der Mühe, einige Stunden bei Ihnen zuzubringen?«

»Und schlafen, Monseigneur?« sagte Jeanne.

»Ich glaube wohl, daß Sie mehrere Schlafzimmer in Ihrem Hause finden werden, Gräfin.«

»Für mich, ja, aber für Sie?«

»Für mich nicht?«

»Noch nicht,« erwiderte sie mit einer so anmuthigen und herausfordernden Miene, daß die Weigerung einem Versprechen gleichkam.

»Gott befohlen also!« sagte der Cardinal, der, auf das Lebhafteste gereizt, einen Augenblick die ganze Scene vom Ball vergaß.

»Auf Wiedersehen, Monseigneur.«

»Es ist mir im Ganzen lieber so,« sagte er, während er sich entfernte.

Jeanne trat allein in ihr neues Haus.

Sechs Lakaien, deren Schlaf durch das Klopfen des Läufers unterbrochen worden war, stellten sich in Reihe und Glied in der Hausflur auf.

Jeanne schaute sie alle mit jener Miene ruhiger Ueberlegenheit an, die das Glück nicht jedem Reichen verleiht.

»Und die Kammerfrauen?« fragte sie.

Einer von den Bedienten trat ehrerbietig vor und antwortete:

»Zwei Frauen warten im Zimmer, Madame.«

»Rufet sie.«

Der Bediente gehorchte. Zwei Frauen traten nach einigen Minuten ein.

»Wo schlafen Sie gewöhnlich?« fragte Jeanne.

»Wir sind noch nicht mit der Einrichtung bekannt,« antwortete die Aeltere; »wir werden schlafen, wo es der gnädigen Frau beliebt.«

»Die Schlüssel zu den Zimmern?«

»Hier sind sie, gnädige Frau.«

»Gut, für diese Nacht werden Sie außer dem Hause schlafen.«

Die Frauen schauten ihre Gebieterin mit Erstaunen an.

»Sie haben ein Lager auswärts?«

»Allerdings, Madame, doch es ist ein wenig spät; will indessen die gnädige Frau allein sein...«

»Diese Herren werden Sie begleiten,« fügte die Gräfin bei, indem sie die Bedienten entließ, welche noch zufriedener waren, als die Kammerfrauen.

»Und wann sollen wir zurückkommen?« fragte schüchtern Einer von ihnen.

»Morgen um die Mittagsstunde.«

Die sechs Bedienten und die zwei Frauen schauten sich einen Moment an; doch durch das gebieterische Auge Jeanne's im Schach gehalten, wandten sie sich insgesammt nach der Thüre.

Jeanne führte sie zurück, ließ sie hinaus und fragte, ehe sie die Thüre wieder schloß:

»Ist noch Jemand im Hause?«

»Mein Gott! nein, gnädige Frau, es wird Niemand mehr hier sein. Doch die gnädige Frau kann unmöglich so verlassen bleiben. Es muß doch wenigstens eine Kammerjungfer in der Gesindewohnung oder sonst wo im Hause wachen,«

»Ich brauche Niemand.«

»Es kann Feuer auskommen, die gnädige Frau kam sich unwohl befinden.«

»Gute Nacht, geht Alle,« sprach die Gräfin.

Und sie zog ihre Börse.

»Hier etwas zum Eintritt in meinen Dienst.«

Ein freudiges Gemurmel, ein Dank von Bedienten aus guter Gesellschaft war die einzige Erwiderung, das letzte Wort der Diener. Alle verschwanden, indem sie sich bis zur Erde verbeugten.

Jeanne hörte sie von jenseits der Thüre; sie wiederholten einander, das Schicksal habe ihnen eine phantastische Gebieterin gegeben.

Als sich das Geräusch der Stimmen und die Tritte in der Ferne gedämpft hatten, schob Jeanne die Riegel vor und rief mit einer triumphirenden Miene:

»Allein! ich bin allein in meinem Hause!«

Sie ergriff einen dreiarmigen Leuchter, zündete die Lichter an den Kerzen an, die in der Hausflur brannten, und schloß gleichmäßig die Riegel der massiven Thüre dieses Vorzimmers.

Dann begann eine stumme und seltsame Scene, die einen der nächtlichen Zuschauer, welche die Fiktionen des Dichters über den Städten und Palästen haben schweben lassen, auf's Lebhafteste interessirt haben würde.

Jeanne untersuchte ihre Staaten; sie bewunderte Stück für Stück dieses ganze Haus, dessen kleinste Einzelheit in ihren Augen einen ungeheuren Werth erlangte, seitdem die Selbstsucht an die Stelle der Neugierde des Vorübergehenden getreten war.

Ganz getäfelt und verkleidet, enthielt das Erdgeschoß den Badesaal, die Küchenstuben, die Speisezimmer, drei Salons und zwei Empfangscabinette.

Das Mobiliar dieser großen Zimmer war nicht reich wie das der Guimard, oder cokett wie das der Freunde des Herrn von Soubise, aber es hatte das Ansehen des Luxus eines vornehmen Mannes; es war nicht neu. Das Haus hätte Jeanne weniger gefallen, wäre es am Tage vorher ausdrücklich für sie möblirt worden.

Alle diese alterthümlichen, von den Modedamen verachteten Reichthümer, diese wunderbaren Möbel von geschnitztem Ebenholz, diese Kronleuchter mit cristallenen Girandolen, deren vergoldete Aeste aus dem Schooße rosenfarbiger Kerzen glänzende Lilien warfen, diese gothischen Uhren, Meisterwerke in Ciselur und Email; diese ungeheuren japanesischen Töpfe, voll von den seltensten Blumen; diese Thürgemälde, Grau in Grau oder in Farben von Watteau oder Boucher, versetzten die neue Eigenthümerin in unsägliche Extasen.

Hier trugen auf einem Kamin zwei vergoldete Tritone Garben von Korallen, in deren Zweigen als Früchte alle Phantasien und Juwelierkünste jener Zeit hingen. Dort, auf einer Console von vergoldetem Holz, worauf eine weiße Marmorplatte, diente ein ungeheurer Elephant von Celadon, mit Saphir-Berlocken in den Ohren, einem mit Parfümerien und Flacons gefüllten Thurm als Stütze.

Frauenbücher glänzten vergoldet und ausgemalt auf Etageren von Rosenholz, die Ecken mit goldenen Arabesken.

Ein ganzes Möbel von feinen Gobelinstapeten, ein Meisterwerk der Geduld, das die Manufactur selbst hunderttausend Livres gekostet hatte, füllte einen kleinen grau und goldenen Salon, in dem jedes Feld eine von Vernet oder Greuze gemalte Füllung war. Das Arbeitscabinet war voll der besten Porträts von Chardin, der feinsten Erzeugnisse von gebrannter Erde von Clodion.

Alles zeugte, nicht von dem Eifer, den ein reicher Emporkömmling anwendet, um seine Laune oder die seiner Geliebten zu befriedigen, sondern von der langen geduldigen Arbeit jener seit Jahrhunderten Reichen, welche auf die Schätze ihrer Väter Schätze für ihre Kinder häufen.

Jeanne untersuchte zuerst die Gesammtheit, sie zählte die Stücke ab, dann gab sie sich Rechenschaft von den Einzelheiten.

Und da ihr Domino sie beengte, ihr Fischbeinleib sie preßte, so trat sie in ihr Schlafzimmer, kleidete sich rasch aus und zog ein Gewand von wattirter Seide an, ein reizendes Kleidungsstück, das unsere Mütter, die nicht sehr scrupulös waren, wenn es sich darum handelte, die nützlichen Dinge zu benennen, mit einem Namen bezeichneten, denn wir nicht mehr schreiben können.

Schauernd, halbnackt in dem Atlas, der ihrem Busen und ihrer Taille schmeichelte, ihr feines, nerviges Bein gerundet in den Falten ihres kurzen Rockes, stieg sie mit ihrem Licht in der Hand muthig die Stufen hinauf.

Vertraut mit der Einsamkeit, sicher, daß sie nicht einmal mehr den Blick eines Bedienten zu fürchten hatte, sprang sie von Zimmer zu Zimmer und ließ nach dem Belieben des Windes, der unter den Thüren blies, ihren feinen battistenen Nachtmantel flattern, welcher zehnmal in zehn Minuten bis zu ihrem reizenden Knie emporgehoben wurde.

Und wenn sie, um einen Schrank zu öffnen, den Arm in die Höhe hob, wenn sich das Kleid verschob und die weiße Rundung der Schulter bis zum Ursprung des Armes sehen ließ, den einer von jenen röthlichen Lichtstrahlen vergoldete, mit welchen der Pinsel von Rubens so vertraut war, dann mußten sich die unsichtbaren, unter den Tapeten und hinter den Füllungen verborgenen Geister freuen, daß sie den reizenden Gast, der sie zu besitzen glaubte, in ihrem Besitz hatten.

Nach all diesen hastigen Gängen, nachdem ihre Kerze zu drei Vierteln abgebrannt war, kehrte sie erschöpft, keuchend in ihr Schlafzimmer zurück, das mit blauem Atlas, worauf große chimärische Figuren gestickt, ausgeschlagen war.

Sie hatte Alles gesehen, Alles gezählt, Alles mit dem Blick und durch die Berührung geliebkost, es blieb ihr nichts mehr zu bewundern, als sie selbst.

Sie stellte ihren Leuchter auf ein Tischchen von Sèvres mit goldener Gallerie, und plötzlich heftete sich ihr Blick auf einen marmornen Endymion, eine zarte, wollüstige Figur von Bouchardon, welche liebestrunken auf einen Untersatz von rothbraunem Phorphyr zurücksank.

Jeanne schloß die Thüre und die Portièren ihres Zimmers, zog die dichten Vorhänge zu, stellte sich dann wieder vor die Statue und verschlang mit den Blicken diesen schönen Geliebten Phöbe's, die ihm den letzten Kuß gab, als sie wieder zum Himmel aufstieg. In Gluth verwandelt, erwärmte das rothe Feuer dieses Zimmer, wo Alles lebte, das Vergnügen ausgenommen.

Jeanne fühlte ihre Füße sacht in die hohe, so weiche Wolle des Teppichs einsinken; ihre Beine wankten, bogen sich unter ihr; eine Mattigkeit, die nicht Ermüdung oder Schlaf war, bedrängte ihren Busen und ihre Augenlider mit der Zartheit der Berührung eines Liebenden, während ein Feuer, das nicht die Wärme des Herdes war, von ihren Füßen zu ihrem Leib aufstieg und beim Aufsteigen in ihren Adern die ganze lebendige Electricität zusammenwand, die man beim Thier das Vergnügen, beim Menschen die Liebe nennt.

In diesem Moment seltsamer Empfindungen erblickte Jeanne sich selbst in einem Pfeilerspiegel, der hinter dem Endymon angebracht war. Ihr Kleid war von ihren Schultern auf den Teppich herabgeglitten. Der so feine Batist war, vom schweren Atlas gezogen, bis zur Hälfte der weißen, gerundeten Arme niedergesunken.

Zwei schwarze Augen, sanft durch die Weichheit ihres Wesens, glänzend vor Verlangen, die zwei Augen Jeanne's trafen Jeanne in der tiefsten Tiefe des Herzens; sie fand sich schön, sie fühlte sich jung und glühend; sie gestand sich, von Allem, was sie umgab, sei nichts, nicht einmal Phöbe, so würdig geliebt zu werden. Sie näherte sich dem Marmor, um zu sehen, ob der Endymion sich belebte, und ob er um der Sterblichen willen die Göttliche hintansetzen würde.

Diese Entzückung berauschte sie; sie neigte den Kopf auf ihre Schulter mit unbekannten Schauern, drückte ihre Lippen auf ihr lebendes Fleisch, und da sie nicht aufgehört hatte, ihren Blick in die Augen zu tauchen, die sie im Spiegel riefen, so verschwammen plötzlich ihre Augen, ihr Kopf rollte mit einem Seufzer auf ihre Brust, und Jeanne sank eingeschlafen, leblos auf das Bett, dessen Vorhänge sich über ihr niederließen.

Die Kerze schleuderte eine letzte Flammenzuckung aus einer Lache flüssigen Wachses empor und strömte dann ihren letzten Wohlgeruch mit ihrer letzten Helle aus.

 

Ende des ersten Bandes.

 


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