Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 1
Alexander Dumas

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XVIII.

Mademoiselle Oliva.

Der Mann, der die angebliche Königin den Blicken der Anwesenden bezeichnet hatte, schlug während dieser Zeit einem von den Zuschauern, einem Menschen mit gierigem Auge und abgetragenem Kleid, auf die Schulter und sagte zu ihm:

»Für Sie, der Sie ein Journalist sind, ist dieß ein schöner Stoff zu einem Artikel.«

»Wie so?« erwiderte der Zeitungsschreiber.

»Wollen Sie den Hauptinhalt davon?«

»Gern.«

»Hören Sie: »»Ueber die Gefahr als Unterthan eines Landes geboren zu sein, dessen König von der Königin beherrscht wird, welche Königin die Crisen liebt.««

Der Zeitungsschreiber lachte.

»Und die Bastille?« entgegnete er.

»Bah! bah! hat man nicht die Anagramme, mit deren Hilfe man alle königliche Censoren vermeidet? Ich frage Sie, ob Ihnen je ein Censor verbieten wird, die Geschichte des Prinzen Silou und der Prinzessin Etteniotna, Beherrscherin von Narfec, zu erzählen. Nun, was sagen Sie?«

»Oh! ja,« rief der Zeitungsschreiber entflammt, »die Idee ist bewundernswürdig.«

»Und ich bitte Sie, zu glauben, daß einem Capitel, betitelt: »Die Crisen der Prinzessin Etteniotna bei dem Fakir Remsem,« eine sehr günstige Aufnahme in den Salons zu Theil würde.«

»Ich glaube es, wie Sie.«

»Gehen Sie und schreiben Sie uns das mit Ihrer besten Tinte.«

Der Journalist drückte dem Unbekannten die Hand.

»Soll ich Ihnen einige Nummern schicken?« fragte er; »ich thue es mit großem Vergnügen, wenn Sie mir gefälligst Ihren Namen sagen wollen.«

»Gewiß, ja! Dieser Gedanke entzückt mich, und von Ihnen ausgeführt, wird er hundert Procent gewinnen. Wie viel Exemplare lassen Sie gewöhnlich von Ihren Pamphleten abziehen?«

»Zweitausend.«

»Erweisen Sie mir einen Gefallen.«

»Gern.«

»Nehmen Sie diese fünfzig Louisd'or und lassen Sie sechstausend drucken.«

»Wie, mein Herr! oh! Sie sind allzu gütig. Darf ich wenigstens den Namen eines so großmüthigen Beschützers der Wissenschaften kennen?«

»Sie sollen ihn erfahren, wenn ich bei Ihnen tausend Exemplare zu zwei Livres das Stück holen lasse – in acht Tagen, nicht wahr?«

»Ich werde Tag und Nacht daran arbeiten, mein Herr.«

»Und es sei belustigend.«

»Daß ganz Paris bis zu Thränen darüber lacht ... eine Person ausgenommen.«

»Nicht wahr, die Blut weinen wird?«

»Oh! mein Herr, wie viel Geist haben Sie?«

»Sie sind sehr gut. Ah! datiren Sie den Artikel von London.«

»Wie immer.«

»Mein Herr, ich bin Ihr Diener.«

Hiemit entließ der dicke Unbekannte den Zeitungsschreiber, der mit seinen fünfzig Louisd'or in der Tasche leicht wie ein Vogel von schlimmer Vorbedeutung entfloh.

Der Unbekannte, der allein, oder vielmehr ohne Gefährten geblieben war, schaute noch einmal im Saale der Elisen nach der jungen Frau; an die Stelle der Ekstae war bei dieser eine gänzliche Entkräftung getreten, und eine Kammerfrau, bestimmt für die Damen in der Arbeit der Crise, schlug züchtiger Weise die etwas indiscreten Röcke nieder.

Er bemerkte in dieser zarten Schönheit jene feinen, wollüstigen Züge, die edle Grazie jenes sich hingebenden Schlummers, kehrte dann um und sagte zu sich selbst:

»Die Aehnlichkeit ist offenbar zum Erschrecken; Gott, der sie geschaffen, hatte seine Absichten; er hat zum Voraus jene dort, der diese hier gleicht, verurtheilt.«

In dem Augenblick, wo er diesen drohenden Gedanken vollendete, erhob sich die junge Frau von ihren Kissen und war, indem sie sich der Hilfe des Armes von einem schon aus der Extase erwachten Nachbar bediente, bemüht, ein wenig Ordnung in ihre die Gesetze des Wohlanstandes stark verletzende Toilette zu bringen.

Sie erröthete ein wenig, als sie sah, welche Aufmerksamkeit ihr die Anwesenden schenkten, und antwortete mit coketter Höflichkeit auf die ernsten und zugleich artigen Fragen Mesmers; dann streckte sie ihre runden Arme und ihre hübschen Beine aus, wie eine Katze, die aus dem Schlaf erwacht, durchschritt die drei Salons und erntete dabei, ohne einen einzigen zu verlieren, die theils spöttischen, theils begehrlichen, theils scheuen Blicke ein, die ihr die Anwesenden zusandten.

Was sie aber dergestalt in Erstaunen setzte, daß sie darüber lächeln mußte, war der Umstand, daß ihr, als sie an einer in einer Ecke des Salons flüsternden Gruppe vorüberging, statt meuterischer Blicke oder galanter Redensarten eine Ladung ehrfurchtsvoller Verbeugungen zu Theil wurde, die kein französischer Hofmann steifer und ernster hätte finden können, um die Königin zu begrüßen.

Diese erstaunte, ehrerbietige Gruppe war in der That von dem unermüdlichen Unbekannten zusammengebracht worden, der, hinter der Gruppe verborgen, zu ihr sagte:

»Gleichviel, gleichviel, meine Herren, es ist nichtsdestoweniger die Königin von Frankreich; verbeugen wir uns, verbeugen wir uns tief.«

Die kleine Person, der Gegenstand von so viel Respect, ging mit einer gewissen Bangigkeit durch die letzte Hausflur und kam in den Hof.

Hier suchten ihre matten Augen einen Fiaker oder eine Sänfte; sie fand keines von beiden; doch ungefähr nach einer Minute der Unentschlossenheit, als sie schon ihren niedlichen Fuß auf das Pflaster setzte, näherte sich ihr ein großer Lakai und sagte:

»Der Wagen von Madame.«

»Ich habe keinen Wagen,« entgegnete die junge Frau.

»Madame ist in einem Fiaker gekommen?«

»Ja.«

»Von bei Rue Dauphine?«

»Ja.«

»Ich werde Madame nach Hause führen.«

»Gut, führen Sie mich,« sprach die kleine Person mit einer sehr ungezwungenen, entschlossenen Miene, ohne daß sie nur eine Minute die Unruhe behalten hatte, welche ein so unvorhergesehener Antrag bei jeder andern Frau verursacht hätte.

Der Lakai machte ein Zeichen, auf das sogleich eine hübsche Carrosse antwortete, von der die Dame aufgenommen wurde.

Der Lakai hob den Fußtritt auf und rief dem Kutscher zu:

»Rue Dauphine.«

Die Pferde entfernten sich rasch: als sie den Pont-Neuf erreicht hatte, bedauerte die kleine Dame, die viel Geschmack an dieser Art der Fortbewegung fand, ungemein, daß sie nicht am Jardin des Plantes wohnte.

Der Wagen hielt an. Der Fußtritt sank nieder; schon streckte der wohlunterichtete Lakai die Hand aus, um von der Dame den Hauptschlüssel zu empfangen, mittelst dessen die Bewohner von dreißigtausend Häusern in Paris, die keine Hotels waren und weder Hausmeister noch Schweizer hatten, heimkehrten.

Der Lakai öffnete also die Thüre, um die Finger der kleinen Dame zu schonen; dann in dem Augenblick, wo diese in den finstern Gang eindrang, grüßte er sie und schloß die Thüre wieder.

Die Carrosse rollte weiter und verschwand.

»Das ist wahrhaftig ein angenehmes Abenteuer,« rief die junge Frau. »Es ist sehr galant von Herrn Mesmer. O! wie müde bin ich! Er wird sich vorhergesehen haben. Er ist ein sehr großer Arzt.«

So sprechend, gelangte sie zum zweiten Stockwerk des Hauses, auf einen Ruheplatz, der von zwei Thüren beherrscht war.

Sobald sie geklopft hatte, öffnete ihr eine Alte.

»Oh! guten Abend. Mutter; ist das Nachtessen bereit?«

»Ja, es wird sogar kalt.«

»Ist er da?«

»Nein, noch nicht; doch der Herr ist da.«

»Welcher Herr?«

»Der, welchen Sie heute Abend nothwendig sprechen müssen.«

»Ich?«

»Ja. Sie.«

Diese Unterredung fand in einem kleinen, mit Glasscheiben versehenen Vorzimmer statt, das den Ruheplatz von einer großen, nach der Straße gehenden Stube trennte.

Durch das Fensterwerk sah man deutlich die Lampe, die diese Stube erhellte, deren Anblick, wenn nicht befriedigend, doch wenigstens erträglich war.

Alte Vorhänge von einer gelben Seide, welche die Zeit stellenweise geädert und abgebleicht hatte, einige Stühle von grünlichem Utrechter Sammet, ein großer Schrank mit zwölf Schubladen und mit eingelegter Arbeit, ein alter gelber Sopha, das waren die Herrlichkeiten des Gemaches.

Sie erkannte diesen Mann nicht, aber unsere Leser werden ihn wohl erkennen: es war derjenige, welcher die Neugierigen in Beziehung auf die angebliche Königin aufgewiegelt und die fünfzig Louisd'or für das Pamphlet gegeben hatte.

Die junge Frau öffnete ungestüm die Glasthüre, und kam bis zum Sopha, auf dem sie ruhig einen mehr fetten als mageren Mann von gutem Aussehen sitzen sah, dessen sehr schöne weiße Hand mit einem äußerst reichen Spitzenjabot spielte.

Die junge Frau hatte nicht Zeit, das Gespräch zu beginnen.

Dieser seltsame Mensch machte eine Art von Gruß, halb Bewegung, halb Verbeugung, heftete einen glänzenden Blick voll Wohlwollen auf seine Wirthin und sprach:

»Ich weiß, um was Sie mich ersuchen wollen, doch ich werde Ihnen besser antworten, wenn ich Sie selbst befrage. Sie sind Mademoiselle Oliva?«

»Ja, mein Herr.«

»Eine reizende, äußerst nervöse und für das System Messmers eingenommene Frau?«

»Ich komme gerade von ihm.«

»Sehr gut! das erklärt Ihnen nicht, wie mir Ihre schönen Augen sagen, warum Sie mich auf Ihrem Sopha finden, und das ist es doch, was Sie besonders zu wissen wünschen.«

»Sie haben richtig errathen, mein Herr.«

»Wollen Sie mir den Gefallen erweisen, sich zu setzen; wenn Sie stehen blieben, wäre ich genöthigt, mich auch zu erheben; dann würden wir nicht bequem plaudern.«

»Sie können sich schmeicheln, sehr außerordentliche Manieren zu haben,« erwiderte die junge Frau, die wir fortan Mademoiselle Oliva nennen werden, da sie auf diesen Namen zu antworten sich herbeiließ.

»Mademoiselle, ich habe Sie vorhin bei Mesmer gesehen und so gefunden, wie ich Sie wünschte.«

»Mein Herr!«

»Oh! erschrecken Sie nicht; ich sage Ihnen nicht, ich habe Sie reizend gefunden; nein, das würde auf Sie die Wirkung einer Liebeserklärung machen, und das ist nicht meine Absicht. Ich bitte, weichen Sie nicht zurück, Sie nöthigen mich, zu schreien, wie ein Tauber.«

»Was wollen Sie denn?« versetzte Oliva naiv.

»Ich weiß, daß Sie gewohnt sind, sich schön nennen zu hören,« fuhr der Unbekannte fort; »ich, der ich dieß übrigens auch denke, habe Ihnen etwas Anderes vorzuschlagen.«

»Mein Herr, Sie sprechen wahrhaftig in einem Ton mit mir...«

»Brausen Sie nicht auf, ehe Sie mich gehört haben... Ist Jemand hier verborgen?«

»Niemand ist hier verborgen, aber...«

»Wenn Niemand hier verborgen ist, so sprechen wir ohne Scheu. Was würden Sie zu einem kleinen Bündniß zwischen uns sagen?«

»Ein Bündniß ... Sie sehen wohl...«

»Sie verwechseln abermals. Ich sage Ihnen nicht, Bund, sondern Bündniß. Ich spreche nicht von Liebe, sondern von Geschäften.«

»Was für Geschäfte meinen Sie?« fragte Oliva, deren Neugierde sich durch ein sichtbares Erstaunen verrieth.

»Was thun Sie den ganzen Tag?«

»Aber...«

»Seien Sie ohne Furcht; es fällt mir nicht ein, Sie zu tadeln; sagen Sie mir, was Ihnen beliebt.«

»Ich thue Nichts, oder mindestens so wenig, als möglich.«

»Sie sind träge.«

»Oh!«

»Sehr gut.«

»Oh! Sie sagen, sehr gut.«

»Allerdings. Was macht es mir, daß Sie träge sind? Gehen Sie gern spazieren?«

»Sehr gern.«

»Lieben Sie die Schauspiele, die Bälle?«

»Stets.«

»Das Wohlleben?«

»Ganz besonders.«

»Wenn ich Ihnen fünfundzwanzig Louisd'or monatlich geben wollte, würden Sie es ausschlagen?«

»Mein Herr!«

»Meine liebe Demoiselle Oliva, Sie fangen wieder an zu zweifeln. Es war doch unter uns verabredet, daß Sie sich nicht erzürnen sollten. Ich sagte fünfundzwanzig Louisd'or, wie ich fünfzig gesagt hätte.«

»Fünfzig wären mir lieber, als fünfundzwanzig, doch was ich fünfzig vorziehe, das ist das Recht, mir meinen Geliebten zu wählen.«

»Zum Henker! ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich nicht Ihr Liebhaber sein will: hören Sie mich also ruhig an.«

»Nun denn auch zum Henker, was soll ich thun, um Ihre fünfzig Louisd'or zu verdienen?«

»Haben wir gesagt: fünfzig?«

»Ja.«

»Gut, fünfzig. Sie empfangen mich bei sich, Sie machen mir das möglichst freundliche Gesicht, Sie geben mir den Arm, wenn ich es wünsche, Sie erwarten mich, wo ich Sie mich erwarten heiße.«

»Aber ich habt einen Liebhaber, mein Herr,« – »Nun, was dann?« – »Wie, was dann?« – »Ja, jagen Sie ihn zum Teufel!« – »Oh! man jagt Beausire nicht fort, wie man will.« – »Soll ich Ihnen dabei helfen?« – »Nein, ich liebe ihn.« – »Oh!« – »Ein wenig.« – »Das ist gerade zu viel.« – »Es ist so.« – »So will ich mir den Beausire gefallen lassen.« – »Sie sind bequem, mein Herr.« – »Unter dem Vorbehalte der Wiedervergeltung; sind Ihnen die Bedingungen genehm?« – »Sie sind es mir, wenn Sie mir dieselben vollständig gesagt haben.« – »Hören Sie, meine Liebe, ich habe Alles gesagt, was ich für den Augenblick zu sagen hatte.« – »Bei Ihrem Ehrenwort?« – »Bei meinem Ehrenwort. Doch Sie begreifen Eines?« – »Was?« – »Daß, wenn ich zufällig nöthig hätte, daß Sie wirklich meine Geliebte wären ...« – »Ah! sehen Sie! man hat das nie nöthig, mein Herr.« – »Doch es zu scheinen.« – »Das will ich mir auch gefallen lassen.« – »Gut, abgemacht also.« – »Topp!« – »Hier ist der erste Monat zum Voraus.«

Er reichte ihr eine Rolle von fünfzig Louisd'or, ohne nur das Ende ihrer Finger zu berühren. Und da sie zögerte, ließ er die Rolle in die Tasche ihres Rockes gleiten, ohne diese so runden und so beweglichen Hüften, welche die Feinschmecker Spaniens nicht verachtet hätten, wie er, auch nur zu streifen.

Kaum war das Gold auf den Grund der Tasche gelangt, als ein zweimaliges Klopfen an die Hausthüre Oliva nach dem Fenster springen machte.

»Guter Gott!« rief sie, »entfliehen Sie geschwind, er ist es.«

»Er. Wer?«

»Beausire ... mein Liebhaber; rühren Sie sich doch.«

»Oh! meiner Treue, mir gleichviel.«

»Wie, gleichviel? er wird Sie in Stücke hauen.«

»Bah!«

»Hören Sie, wie er klopft; er wird die Thüre sprengen.«

»Lassen Sie ihm öffnen; warum des Teufels geben Sie ihm denn keinen Hauptschlüssel?«

Hiermit streckte sich der Unbekannte auf dem Sopha aus und sagte leise:

»Ich muß diesen Burschen sehen und ihn beurtheilen.«

Das Klopfen wurde fortgesetzt, darunter mischten sich Flüche, welche noch viel höher hinaufstiegen, als bis zum zweiten Stockwerk.

»Gehen Sie, Mutter, öffnen Sie,« sagte Oliva ganz wüthend. »Und was Sie betrifft, mein Herr, mir gleichviel, wenn Ihnen ein Unglück widerfährt.«

»Wie Sie sagen, gleichviel,« erwiderte der unempfindliche Unbekannte, ohne sich vom Sopha zu rühren.

Oliva horchte bebend auf dem Ruheplatz.

 


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