Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 1
Alexander Dumas

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XXIII.

Der Opernball

Der Ball hatte seinen höchsten Glanzpunkt erreicht, als der Cardinal Louis von Rohan und Frau von La Mothe verstohlen, der Prälat wenigstens, unter die Tausende von Masken und Dominos aller Art schlüpften.

Sie waren bald von der Menge umhüllt, unter der sie verschwanden, wie in den großen Wirbeln die einen Augenblick von den Spaziergängern am Ufer bemerkten, dann aber von der Strömung fortgerissenen Wirbelchen verschwinden.

Seite an Seite, so viel man sich in einem solchen Gedränge neben einander halten konnte, versuchten es zwei Dominos, ihre Kräfte vereinigend, der Gewalt zu widerstehen; da sie aber sahen, daß es ihnen nicht gelang, so entschlossen sie sich, eine Zuflucht unter der Loge der Königin zu nehmen, wo die Menge weniger zusammengedrängt war und wo ihnen überdieß die Wand einen Anlehnungspunkt bot.

Schwarzer Domino und weißer Domino, der eine groß, der andere von mittlerer Gestalt; der eine Mann, der andere Weib; der eine die Arme bewegend, der andere den Kopf hin und her drehend.

Diese zwei Dominos überließen sich offenbar einem sehr belebten Gespräch.

Horchen wir.

»Ich sage Dir, Oliva, daß Du Jemand erwartest,« wiederholte der Größere, »Dein Hals ist kein Hals mehr, er ist die Stütze einer Wetterfahne, die sich nicht nur nach jedem Winde, sondern nach Jedem, der da kommt, dreht.«

»Nun! und dann?«

»Wie! und dann?«

»Ja, was ist da zu staunen, daß mein Kopf sich dreht? Bin ich nicht deßhalb hier?«

»Ja, wenn Du ihn aber den Andern verdrehst!«

»Ei! warum geht man denn in's Opernhaus?«

»Aus tausend Gründen.«

»Oh ja, die Männer, doch die Frauen kommen nur aus einem einzigen.«

»Aus welchem?«

»Ich habe es Dir schon gesagt, um so viel als möglich Köpfe zu verdrehen. Du hast mich auf den Opernball geführt. Ich bin jetzt da, füge Dich.«

»Mademoiselle Oliva!«

»Oh! stimme nicht Deinen hochmüthigen Ton an. Es ist Dir längst bekannt, daß mir das nicht bange macht, und enthalte Dich besonders, mich bei meinem Namen zu nennen. Du weißt, daß es nichts Geschmackloseres gibt, als die Leute auf einem Opernball bei ihrem Namen zu nennen.«

Der schwarze Domino machte eine Geberde des Zorns, die plötzlich durch die Ankunft eines blauen, ziemlich dicken, ziemlich großen Dominos von schöner Tournure unterbrochen wurde.

»Sachte, sachte, mein Herr,« sagte der Ankömmling, »lassen Sie doch Madame sich nach ihrem Belieben belustigen. Was Teufel! es ist nicht alle Tage Mittfasten und man kommt nicht bei allen Mittfasten auf den Opernball.«

»Mischen Sie sich in das, was Sie angeht,« entgegnete brutal der schwarze Domino.

»Ei! mein Herr!« versetzte der blaue Domino, »erinnern Sie sich doch ein- für allemal, daß ein wenig Höflichkeit nie etwas verdirbt.«

»Ich kenne Sie nicht,« antwortete der schwarze Domino, »warum des Teufels sollte ich mich mit Ihnen geniren?«

»Sie kennen mich nicht, es mag sein; aber...«

»Aber, was?«

»Aber ich kenne Sie, Herr von Beausire.«

Als er seinen Namen aussprechen hörte, er, der so leicht die Namen Anderer aussprach, bebte der schwarze Domino, eine Empfindung, die an den wiederholten Zuckungen seiner seidenen Capuze sichtbar war.

»Oh! haben Sie keine Angst, Herr von Beausire,« sprach die Maske, »ich bin nicht das, was Sie denken.«

»Ei! bei Gott, was denke ich denn? Werden Sie, der Sie die Namen errathen, sich nicht hiemit begnügen, oder sollten Sie die Anmaßung haben, auch die Gedanken errathen zu wollen?«

»Warum nicht?«

»Dann errathen Sie doch ein wenig, was ich denke. Ich habe noch nie einen Zauberer gesehen, und es würde mir wahrhaftig Vergnügen machen, einen zu treffen.«

»Oh! was Sie von mir verlangen, ist nicht so schwierig, daß ich damit einen Titel verdienen sollte, den Sie so leicht zu bewilligen scheinen.«

»Sagen Sie es immerhin.«

»Nein, finden Sie etwas Anderes.«

»Das genügt mir. Errathen Sie.«

»Sie wollen es?«

»Ja.«

»Wohl, Sie haben mich für einen Agenten des Herrn von Crosne gehalten.«

»Des Herrn von Crosne?«

»Ja, Sie kennen, bei Gott! nichts Anderes, des Herrn von Crosne, des Polizeilieutenant.«

»Mein Herr...«

»Gemach, mein lieber Herr Beausire; man sollte in bei That glauben, Sie suchten einen Degen an Ihrer Seite.«

»Gewiß suche ich ihn.«

»Alle Teufel! welch eine kriegerische Natur! Doch fassen Sie sich, mein lieber Herr Beausire, Sie haben Ihren Degen zu Hause gelassen, und daran haben Sie wohl gethan. Sprechen wir von etwas Anderem. Wollen Sie mir gefälligst den Arm von Madame überlassen?«

»Den Arm von Madame?«

»Ja, von Madame. Das geschieht, wie mir scheint, auf dem Opernball. Oder sollte ich etwa aus Ostindien kommen?«

»Allerdings geschieht das, mein Herr, wenn es dem Cavalier gefällig ist.«

»Es genügt zuweilen, daß es der Dame beliebt, mein lieber Herr von Beaufire.«

»Verlangen Sie den Arm auf längere Zeit?«

»Ah! mein lieber Herr Beausire, Sie sind sehr neugierig: vielleicht auf zehn Minuten, vielleicht auf eine Stunde, vielleicht für die ganze Nacht.«

»Gehen Sie doch, mein Herr, Sie spotten meiner.«

»Lieber Herr, antworten Sie ja oder nein. Ja ober nein, wollen Sie mir den Arm von Madame geben?«

»Nein.«

»Ah! ah! spielen Sie nicht den Trotzkopf.«

»Warum?«

»Weil es, da Sie eine Maske haben, unnöthig ist, zwei zu nehmen.«

»Mein Gott, mein Herr!...«

»Sehen Sie, wie Sie sich erzürnen, während Sie doch vorhin so sanft waren.«

»Wo dieß?«

»In der Rue Dauphine.«

»Rue Dauphine?« rief Beausire erstaunt.

Oliva brach in ein Gelächter aus.

»Schweigen Sie, Madame,« fletschte der schwarze Domino sie an.

Dann sich gegen den blauen Domino wendend:

»Ich begreife nicht, was Sie mir da sagen. Quälen Sie mich auf eine ehrliche Weise, wenn es Ihnen möglich ist.«

»Mein lieber Herr, mir scheint, nichts ist ehrlicher, als die Wahrheit, nicht so, Mademoiselle Oliva?«

»Ei! ei!« versetzte diese, »Sie kennen mich also auch?«

»Hat dieser Herr Sie nicht so eben ganz laut bei Ihrem Namen genannt?«

»Und die Wahrheit,« sagte Beausire, wieder auf das vorhergehende Gespräch zurückkommend, »und die Wahrheit ist...«

»Daß Sie in dem Augenblick, wo Sie diese arme Dame umzubringen im Begriff waren, denn Sie wollten sie vor einer Stunde umbringen, beim Klange von etlichen und zwanzig Louisd'or inne gehalten haben.«

»Genug, mein Herr.«

»Es sei; geben Sie mir aber den Arm von Madame, da Sie genug haben.«

»Oh! ich sehe wohl« murmelte Beausire, »ich sehe, daß Madame und Sie...«

»Nun, Madame und ich?«

»Sie verstehen sich.«

»Ich schwöre Ihnen, daß das nicht der Fall ist.«

»Oh! wie kann man so sprechen?« rief Oliva.

»Und überdieß...« fügte der blaue Domino bei.

»Wie, überdieß?«

»Wenn wir uns verstehen würden, so wäre es nur zu Ihrem Besten.«

»Zu meinem Besten?«

»Gewiß.«

»Wenn man etwas behauptet, beweist man es auch,« sprach Beausire mit einem Cavalierston.

»Gern.«

»Ah! ich wäre begierig.«

»Gut,« fuhr der blaue Domino fort, »ich werde also beweisen, daß Ihre Gegenwart hier Ihnen ebenso schädlich ist, als Ihre Abwesenheit für Sie nützlich wäre.«

»Für mich?«

»Ja, für Sie.«

»Ich bitte, in welcher Hinsicht?«

»Nicht wahr, Sie sind Mitglied einer gewissen Academie?«

»Ich?«

»Oh! ärgern Sie sich nicht, ich spreche nicht von der französischen Academie.«

»Academie... Academie...« brummte der Ritter Oliva's.

»Rue du Pot-de-Fer, einen Stock über dem Erdgeschoß; ist es so, mein lieber Herr von Beausire?«

»St!«

»Bah!«

»Ja, stille! Oh! wie unangenehm machen Sie sich doch!«

»Man sagt das nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil das nicht Ihr Ernst ist. Kommen wir also auf die Academie zurück.«

»Nun?«

Der blaue Domino zog seine Uhr, eine schöne, mit Brillanten verzierte Uhr, auf die sich Beausire's Augensterne wie zwei entflammte Linsen hefteten.

»Nun?« wiederholte der Letztere.

»Wohl, in einer Viertelstunde, mein lieber Herr von Beausire, wird man in Ihrer Academie der Rue du Pot-de-Fer ein kleines Project verhandeln, das darauf abzielt, einen Vortheil von zwei Millionen den wahren Verbündeten zu geben, von denen Sie Einer sind, Herr von Beausire.«

»Und von denen Sie auch Einer sind, sind Sie nicht gar etwa...«

»Vollenden Sie.«

»Sind Sie nicht gar ein Polizeispion?«

»Ich hielt Sie in der That für einen Mann von Geist, Herr von Beausire, zu meinem Schmerz sehe ich aber, daß Sie nur ein Dummkopf sind; wäre ich von der Polizei, so hätte ich Sie schon zehnmal wegen gewisser Angelegenheiten verhaftet, die minder ehrenhaft sind, als die Speculation mit den zwei Millionen, die man in der Academie in einigen Minuten verhandeln wird.«

Beausire dachte einen Augenblick nach und sagte dann:

»Zum Teufel, wenn Sie nicht Recht haben!«

Doch sich anders besinnend, fügte er bald bei:

»Ah! mein Herr, Sie schicken mich in die Rue du Pot-de-Fer.«

»Ich schicke Sie in die Rue du Pot-de-Fer,«

»Ich weiß wohl warum.«

»Sprechen Sie.«

»Um mich dort packen zu lassen. Doch ich bin kein solcher Narr.«

»Abermals eine Dummheit.«

»Mein Herr...«

»Natürlich, denn wenn ich die Macht habe zu thun. was Sie sagen, wie ich die noch größere Macht habe zu errathen, was in Ihrer Academie angesponnen wird, warum bitte ich Sie dann um die Erlaubniß, mich mit Madame zu unterhalten? Nein. In diesem Fall ließe ich Sie auf der Stelle verhaften, und wir wären Ihrer entledigt, Madame und ich; dagegen will ich Alles bloß durch Sanftmuth und Ueberredung erringen, das ist mein Wahlspruch.«

»Ah!« rief plötzlich Beausire, indem er Oliva's Arm losließ, »Sie waren vor zwei Stunden auf dem Sopha von Madame! Rasch! antworten Sie.«

»Welchen Sopha meinen Sie?« fragte der blaue Domino, den Oliva leicht in die Spitze des kleinen Fingers kneipte, »ich kenne, was Sophas betrifft, nur den von Herrn Crebillon Sohn.«

»Im Ganzen ist mir das gleich,« sagte Beausire, »Ihre Gründe sind gut, mehr brauche ich nicht. Ich sage gut, vortrefflich hätte ich sagen sollen. Nehmen Sie also den Arm von Madame, und wenn Sie einem wackeren Mann schlimm mitgespielt haben, so schämen Sie sich.«

Der blaue Domino lachte über den Titel wackerer Mann, womit sich Beausire so freigebig beehrte; dann schlug er ihm auf die Schulter und sprach:

»Schlafen Sie ruhig; indem ich Sie dorthin schicke, mache ich Ihnen ein Geschenk von einem Antheil von wenigstens hunderttausend Livres; denn wenn Sie heute Abend nicht in die Akademie gingen, so würden Sie nach der Gewohnheit Ihrer Verbündeten von der Theilung ausgeschlossen, während, wenn Sie dahin gehen...«

»Gut! es sei, alles Glück!« murmelte Beausire.

Und er grüßte mit einer Pirouette und verschwand.

Der blaue Domino nahm Besitz von dem durch Beausire's Verschwinden erledigten Arm Oliva's.

»Jetzt haben wir Beide es mit einander zu thun,« sagte diese. »Ich ließ Sie ganz nach Belieben den armen Beausire quälen, aber ich bemerke Ihnen zum Voraus, daß ich schwer außer Fassung zu bringen sein werde, da ich Sie kenne. Da es sich nun um eine Fortsetzung handelt, so finden Sie mir hübsche Dinge, oder...«

»Ich kenne keine hübscheren Dinge, als Ihre Geschichte, meine liebe Mademoiselle Nicole,« erwiderte der blaue Domino, indem er auf eine angenehme Weise den runden Arm der jungen Frau preßte, die bei dem Namen, den ihr die Maske in's Ohr geflüstert, einen unterdrückten Schrei von sich gab.

Doch als eine Person, die sich nicht leicht durch Ueberrumpelung fangen ließ, erholte sie sich bald wieder und fragte:

»O mein Gott! was für ein Name ist das? Nicole! ... Soll ich damit gemeint sein? Wollen Sie mich zufällig mit diesem Namen bezeichnen? In diesem Fall scheitern Sie gleich beim Auslaufen aus dem Hafen, Sie scheitern beim ersten Felsen. Ich heiße nicht Nicole.«

»Nun weiß ich es, nun heißen Sie Nicole. Nicole roch zu sehr nach der Provinz. Es ist mir bekannt, es sind zwei Weiber in Ihnen, Oliva und Nicole. Wir werden sogleich von Oliva sprechen, zuerst aber sprechen wir von Nicole. Haben Sie die Zeit vergessen, wo Sie auf diesen Namen antworteten? Ich glaube es nicht. Ah! mein liebes Kind, wenn man einen Namen als Mädchen geführt hat, so ist es immer dieser, welchen man wo nicht äußerlich, doch wenigstens im Grunde seines Herzens hehält, was auch der andere Name sein mag, den man anzunehmen genöthigt gewesen, um den ersten vergessen zu machen. Arme Oliva! Glückliche Nicole!«

Eine Woge von Masken stieß in diesem Augenblick wie vom Sturme gepeitscht an die mit den Armen verschlungenen Spaziergänger, und Nicole oder Oliva war gleichsam wider Willen genöthigt, sich noch enger als zuvor an ihren Gefährten anzuschmiegen.

»Sehen Sie,« sagte dieser, »sehen Sie die ganze buntscheckige Menge; sehen Sie alle diese Gruppen, die sich unter den Capuzen pressen, um die Worte der Galanterie oder der Liebe, die sie austauschen, zu verschlingen; sehen Sie diese Gruppen, die sich theils mit Gelächter, theils mit Vorwürfen zusammenballen oder auflösen. Alle diese Leute haben vielleicht ebenso viel Namen als Sie, und es sind Viele unter ihnen, die ich in Erstaunen setzen würde, wenn ich ihnen die Namen sagte, deren sie sich erinnern, während sie glauben, man habe sie vergessen.«

»Sie haben gesagt: arme Oliva...«

»Ja.«

»Sie halten mich also nicht für glücklich!«

»Es wäre schwer für Sie, mit einem Menschen wie Beausire glücklich zu sein.«

Oliva stieß einen Seufzer aus.

»Ich bin es auch nicht,« sagte sie.

»Sie lieben ihn jedoch?«

»Oh! mit Vernunft.«

»Wenn Sie ihn nicht lieben, verlassen Sie ihn.«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich ihn nicht so bald verlassen hätte, als ich es bedauern würde.«

»Sie würden es bedauern?«

»Ich fürchte.«

»Und was würden Sie denn an einem Trunkenbold, einem Spieler, einem Menschen, der Sie schlägt, einem Gauner, der eines Tages auf der Grève gerädert werden wird, bedauern?«

»Sie werden vielleicht nicht begreifen, was ich Ihnen sage.«

»Sagen Sie es immerhin.«

»Ich würde den Lärmen bedauern, den er um mich her macht.«

»Das hätte ich errathen sollen. So ist es, wenn man seine Jugend mit schweigsamen Leuten zugebracht hat.«

»Sie kennen meine Jugend?«

»Vollkommen.«

»Ah! mein lieber Herr,« sagte Oliva lächelnd und mit einem herausfordernden Kopfschütteln.

»Sie zweifeln?«

»Oh! ich zweifle nicht, ich bin meiner Sache gewiß.«

»Wir wollen also von Ihrer Jugend plaudern, Mademoiselle Nicole.«

»Plaudern wir, doch ich bemerke Ihnen sogleich, daß ich nichts entgegnen werde.«

»Oh! ich bedarf dessen nicht.«

»Sprechen Sie.«

»Ich beginne nicht mit Ihrer Kindheit, einer Zeit, die im Leben nicht zählt, ich fasse Sie bei der Mannbarkeit in dem Augenblick auf, wo Sie wahrnahmen, daß Gott ein Herz, um zu lieben, in Sie gelegt habe.«

»Um wen zu lieben?«

»Um Gilbert zu lieben.«

Bei diesem Wort, bei diesem Namen durchlief ein Schauer alle Adern der jungen Frau, und der blaue Domino fühlte sie an seinem Arm beben.

»Oh! mein Gott, woher wissen Sie denn?...« sagte sie.

Und sie hielt plötzlich inne und schoh durch ihre Maske und mit einer unbeschreiblichen Bewegung ihre Augen auf den blauen Domino.

Der blaue Domino blieb stumm.

Oliva oder vielmehr Nicole stieß einen Seufzer aus.

»Ah! mein Herr,« sprach sie, ohne daß sie länger zu kämpfen suchte, »Sie haben da einen an Erinnerungen für mich sehr fruchtbaren Namen ausgesprochen. Sie kennen also diesen Gilbert?«

»Ja, da ich mit Ihnen von ihm spreche.«

»Ah!«

»Ein reizender Junge, bei meiner Treue! Sie liebten ihn?«

»Er war schön? ... nein ... das ist er nicht ... aber ich fand ihn schön. Er war voll Geist. Er war meines Gleichen durch die Geburt. Doch nein, dießmal besonders täusche ich mich. Gleich! nein, nie. So lange es Gilbert will, wird keine Frau seines Gleichen sein.«

»Selbst...«

»Selbst wer?«

»Selbst nicht Fräulein von Ta...!«

»Ohl ich weiß, was Sie damit sagen wollen,« unterbrach ihn Nicole, »oh! Sie sind sehr gut unterrichtet, mein Herr: ja, er liebte höher, als die arme Nicole.«

»Sie sehen, ich halte inne.«

»Ja, ja, Sie wissen furchtbare Geheimnisse, mein Herr,« versetzte Oliva bebend; »was ist nun...«

Sie schaute den Unbekannten an, als könnte sie durch seine Maske lesen.

»Was ist nun aus ihm geworden?«

»Ich glaube, Sie könnten das besser sagen, als irgend Jemand.«

»Großer Gott! warum?«

»Weil, wenn er Ihnen von Taverney nach Paris gefolgt ist, Sie ihm von Paris nach Trianon gefolgt sind.«

»Ja, das ist wahr, doch das ist schon vor zehn Jahren geschehen. Ich spreche auch nicht von jener Zeit, sondern von den zehn Jahren, welche abgelaufen sind, seitdem ich entflohen bin und er verschwunden ist. Mein Gott! in zehn Jahren ereignen sich so viele Dinge.«

Der blaue Domino schwieg.

»Ich bitte Sie inständig,« sprach Nicole beinahe flehend, »sagen Sie mir, was aus Gilbert geworden ist? Sie schweigen, Sie wenden den Kopf ab. Vielleicht verwundet, betrübt Sie diese Erinnerung?«

Der blaue Domino hatte wirklich den Kopf, nicht abgewendet, aber geneigt, als wäre das Gewicht seiner Erinnerungen zu schwer gewesen.

»Als Gilbert Fräulein von Taverney liebte...« sagte Oliva.

»Leiser die Namen,« flüsterte der blaue Domino, »haben Sie nicht bemerkt, daß ich selbst sie nicht ausspreche?«

»Als er so verliebt war,« fuhr Oliva mit einem Seufzer fort, »daß jeder Baum von Trianon seine Liebe kannte.«

»Sie lieben ihn nicht mehr?«

»Im Gegentheil, mehr als je, und diese Liebe war es, die mich zu Grunde richtete. Ich bin schön, ich bin stolz, und wenn ich will, bin ich trotzig. Ich würde eher meinen Kopf auf den Block legen, daß man mir ihn abschlüge, als daß ich von mir sagen ließe, ich habe den Kopf gebeugt.«

»Sie haben Herz, Nicole.«

»Ja, ich hatte ... in jener Zeit,« sagte das Mädchen seufzend.

»Unser Gespräch macht Sie traurig?«

»Nein, im Gegentheil, es thut mir wohl, wieder zu meiner Jugend zurückzugehen. Es ist mit dem Leben, wie mit den Bächen: der trübste Bach hat eine reine Quelle. Fahren Sie fort und merken Sie nicht auf einen armen verlorenen Seufzer, der aus meiner Brust hervordringt.«

»Ah!« erwiderte der blaue Domino mit einem sanften Wiegen, das ein unter der Maske erschlossenes Lächeln verrieth: »von Ihnen, von Gilbert und von einer andern Person, mein armes Kind, weiß ich Alles, was Sie selbst wissen können.«

»Dann sagen Sie mir, warum Gilbert aus Trianon entflohen ist,« rief Oliva; »und wenn Sie mir's sagen...«

»Werden Sie überzeugt sein? Nun denn, ich sage es Ihnen nicht, und Sie werden noch besser überzeugt sein.«

»Wie so?«

»Wenn Sie mich fragen, warum Gilbert Trianon verlassen habe, so ist es nicht eine Wahrheit, die Sie durch meine Antwort bestätigen wollen, es ist eine Sache, die Sie nicht wissen und die Sie zu erfahren wünschen.«

»Ganz richtig.«

Plötzlich bebte sie noch heftiger als zuvor, faßte krampfhaft seine Hände und stammelte:

»Mein Gott! mein Gott!«

»Was haben Sie?«

Nicole schien sich zu erholen und den Gedanken zu entfernen, der sie zu dieser Kundgebung veranlaßt hatte.

»Nichts.«

»Doch, Sie wollten mich etwas fragen.«

»Ja, sagen Sie mir ganz offenherzig, was aus Gilbert geworden ist.«

»Haben Sie nicht sagen hören, er sei gestorben?«

»Ja, doch...«

»Wohl! er ist todt!«

»Todt?« wiederholte Nicole mit einer Miene des Zweifels.

Dann sagte sie mit einem plötzlichen Zucken:

»Mein Herr, ich bitte Sie, thun Sie mir einen Gefallen.«

»Zwei, zehn, so viel Sie wollen, meine liebe Nicole.«

»Nicht wahr, ich habe Sie vor zwei Stunden in meinem Hause gesehen, denn Sie waren es?«

»Allerdings!«

»Vor zwei Stunden suchten Sie sich nicht vor mir zu verbergen?«

»Keines Wegs, ich suchte mich im Gegentheil sehr sichtbar zu machen.«

»Oh! ich Thörin, die ich bin, ich, die ich Sie oft angeschaut habe! Thöricht, toll, albern, Weib, nichts als Weib, wie Gilbert sagte.«

»Lassen Sie doch Ihre schönen Haare. Schonen Sie sich!«

»Nein, ich will mich dafür bestrafen, daß ich Sie angeschaut, ohne Sie gesehen zu haben.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Wissen Sie, was ich mir von Ihnen erbitte?«

»Bitten Sie.«

»Nehmen Sie Ihre Maske ab.«

»Hier? unmöglich.«

»Oh! es ist nicht die Furcht, von anderen Blicken als den meinigen gesehen zu werden, was Sie abhält; denn dort, hinter jener Säule, im Schatten der Gallerie, würde Sie Niemand sehen, als ich.«

»Was hält mich denn ab?«

»Sie befürchten, ich erkenne Sie!«

»Ich?«

»Und rufe aus: ›Sie sind es, es ist Gilbert!‹«

»Ahl Sie haben wohl gesagt: Thörin! Thörin!«

»Nehmen Sie Ihre Maske ab.«

»Gut! es sei; doch unter einer Bedingung.«

»Sie ist zum Voraus bewilligt.«

»Unter der, daß Sie, wenn ich will, Ihre Maske ebenfalls abnehmen...«

»Ich werde sie abnehmen. Thue ich es nicht, so reißen Sie mir sie ab.«

Der blaue Domino ließ sich nicht lange bitten; er ging nach dem dunklen Ort, den ihm die junge Frau bezeichnet hatte; hier löste er seine Maske und stellte sich vor Oliva, die ihn eine Minute mit dem Blick verschlang.

»Ach! nein,« sagte sie, während sie mit dem Fuß auf den Boden stampfte und mit den Nägeln in das Innere ihrer Hände einschnitt. »Ach! nein, es ist nicht Gilbert.«

»Und wer bin ich?«

»Was liegt mir daran, sobald Sie nicht er sind?«

»Und wenn es Gilbert gewesen wäre?« fragte der Unbekannte, indem er seine Maske wieder festband.

»Wenn es Gilbert gewesen wäre!« rief das Mädchen voll Leidenschaft.

»Ja!«

»Wenn er zu mir gesagt hätte: ›Nicole! Nicole, erinnere Dich an Taverney-Maison-Rouge.‹ Oh! dann!...«

»Dann?«

»Sehen Sie, dann hätte es keinen Beausire in der Welt mehr gegeben.«

»Mein liebes Kind, ich habe Ihnen gesagt, Gilbert sei todt.«

»Nun, das ist vielleicht besser,« seufzte Oliva.

»Ja, Gilbert hätte Sie nicht geliebt, so schön Sie auch sind.«

»Wollen Sie damit sagen, Gilbert habe mich verachtet?«

»Nein, er fürchtete Sie vielmehr.«

»Das ist möglich. Ich hatte etwas von seiner eigenen Natur in mir, und er kannte sich so gut, daß ich ihm bange machte.«

»Es ist also, wie Sie gesagt, besser, daß er todt ist.«

»Warum meine Worte wiederholen ... in Ihrem Munde verletzen Sie mich. Sagen Sie, warum ist es besser, daß er todt ist?«

»Weil Sie heute, meine liebe Oliva – Sie sehen, ich gebe Nicole auf – weil Sie heute, meine liebe Oliva, eine ganz glückliche, reiche, glänzende Zukunft in Aussicht haben.«

»Glauben Sie?«

»Ja, wenn Sie entschlossen sind, Alles zu thun, um zu dem Ziel zu gelangen, das ich Ihnen verspreche.«

»Oh! seien Sie unbesorgt.«

»Nur müssen Sie nicht seufzen, wie Sie vorhin geseufzt haben.«

»Gut! ich würde um Gilbert seufzen, und da es keine zwei Gilbert in der Welt gab, da Gilbert todt ist, so werde ich nicht mehr seufzen.«

»Gilbert war jung? ei hatte die Fehler und die guten Eigenschaften der Jugend. Heute...«

»Gilbert ist heute nicht älter, als vor zehn Jahren.«

»Gewiß nicht, da Gilbert todt ist.«

»Sie sehen wohl, er ist todt; die Gilbert altern nicht, sie sterben.«

»Oh!« rief der Unbekannte, »o Jugend! o Muth! o Schönheit! ewige Keime der Liebe, der Tapferkeit, der Ergebenheit, wer dich verliert, verliert wahrhaft das Leben. Die Jugend ist das Paradies, sie ist der Himmel, sie ist Alles. Was uns Gott hernach gibt, ist nur der traurige Ersatz für die Jugend. Je mehr er den Menschen gibt, nachdem die Jugend einmal verloren ist, desto mehr hat er sie entschädigen zu müssen geglaubt. Aber, großer Gott! nichts ersetzt die Schätze, die diese Jugend an den Menschen verschwendete!«

»Gilbert hätte gedacht, was Sie so gut sagen; doch genug über diesen Gegenstand.«

»Ja, sprechen wir von Ihnen.«

»Sprechen wir, von was Sie wollen.«

»Warum sind Sie mit Beausire entflohen?«

»Weil ich Trianon verlassen wollte, und weil ich mit irgend Einem entfliehen mußte. Es war mir unmöglich, länger für Gilbert ein Nothnagel, ein verachteter Ueberrest zu bleiben.«

»Zehn Jahre der Treue aus Hochmuth,« sagte der blaue Domino, »oh, wie theuer haben Sie diese Eitelkeit bezahlt!«

Oliva lachte.

»Oh! ich weiß wohl, worüber Sie lachen,« sagte der Unbekannte mit ernstem Tone: »Sie lachen darüber, daß ein Mensch, der Alles zu wissen behauptet, Sie einer zehnjährigen Treue beschuldigt, während Sie sich nicht bewußt sind, daß Sie sich einer solchen Lächerlichkeit schuldig gemacht. Oh! mein Gott! wenn von der materiellen Treue die Rede ist, armes junges Weib, so weiß ich, woran ich mich in diesem Punkte zu halten habe. Ja, ich weiß, daß Sie mit Beausire in Portugal gewesen sind; von da haben Sie sich nach Indien ohne Beausire mit einem Fregatte-Capitän begeben, der Sie in seiner Cajüte verbarg und in Chandernagor auf dem Festlande sitzen ließ, als er nach Europa zurückkehrte. Ich weiß, daß Sie zwei Millionen Rupien in dem Hause eines Nabobs auszugeben hatten, der Sie hinter drei Gittern einschloß. Ich weiß, daß Sie entflohen, indem Sie über diese Gitter auf die Schultern eines Sclaven sprangen. Ich weiß, daß Sie reich, denn Sie nahmen zwei Armspangen von seinen Perlen, zwei Diamanten und drei große Rubine mit, nach Frankreich zurückkamen und in Brest landeten, wo Ihr böser Genius Sie beim Ausschiffen Beausire wiederfinden ließ, der beinahe in Ohnmacht gefallen wäre, als er Sie wieder erkannte, so bronzirt und abgemagert Sie auch im Vaterlande erschienen, arme Verbannte!«

»Oh, mein Gott! wer sind Sie denn, daß Sie alle diese Dinge wissen?« rief Nicole.

»Ich weiß endlich, daß Beausire Sie mit sich nahm, Ihnen bewies, daß er Sie liebe, Ihre Edelsteine verkaufte und Sie wieder in Armuth versetzte. Ich weiß, daß Sie ihn lieben, daß Sie es wenigstens sagen, und da die Liebe die Quelle alles Wohlergehens ist, so müssen Sie die glücklichste Frau von der Welt sein.«

Oliva neigte das Haupt, stützte ihre Stirne auf ihre Hand, und durch die Finger dieser Hand sah man zwei Thränen rollen, flüssige Perlen, kostbarer vielleicht, als die ihrer Armspangen, die aber dennoch Niemand Beausire hätte abkaufen wollen.

»Und diese so stolze, diese so glückliche Frau haben Sie heute Abend mit fünfzig Louisd'or gewonnen,« sagte Oliva.

»Oh! das ist zu wenig, Madame, ich weiß es wohl!« erwiderte der Unbekannte mit jener ausgezeichneten Anmuth und mit der feinen Höflichkeit, die den Mann von vollkommenem Anstand nie verläßt, spräche er selbst mit der geringsten der Courtisanen.

»Oh! das ist im Gegentheil viel zu theuer, und ich schwöre Ihnen, es hat mich seltsam in Erstaunen gesetzt, daß eine Frau wie ich noch fünfzig Louisd'or werth sein sollte.«

»Sie sind wohl mehr werth, als dieses, und ich werde es Ihnen beweisen. Oh! antworten Sie mir nicht, denn Sie verstehen mich nicht, und dann;...« fügte der Unbekannte bei, indem er sich auf die Seite neigte.

»Und dann?«

»Ich bedarf in diesem Augenblick meiner ganzen Aufmerksamkeit.«

»Also soll ich schweigen?«

»Nein, im Gegentheil, sprechen Sie mit mir.«

»Worüber?«

»Oh! worüber Sie wollen. Mein Gott, sagen Sie mir die müßigsten Dinge der Welt, mir gleichviel, wenn wir nur beschäftigt aussehen.«

»Gut ... doch Sie sind ein sonderbarer Mensch.«

»Geben Sie mir den Arm und lassen Sie uns gehen.«

Und sie gingen unter die Gruppen, wobei Oliva ihrer zarten Taille eine weiche Rundung, ihrem selbst unter der Capuze hübschen Kopf und ihrem selbst unter dem Domino biegsamen Hals Bewegungen gab, die jeder Kenner mit Begierde betrachtete, denn auf dem Opernball folgte in jener Zeit galanter Heldenthaten jeder Vorübergehende mit dem Auge dem Gang einer Frau eben so neugierig, als heut zu Tage ein paar Liebhaber dem Schritte eines schönen Pferdes folgen.

Nach einigen Minuten wagte Oliva eine Frage.

»Stille!« sagte der Unbekannte; »oder vielmehr sprechen Sie, wenn Sie wollen, so viel Sie wollen, nöthigen Sie mich aber nicht, zu antworten. Nur verstellen Sie Ihre Stimme, wenn Sie sprechen, halten Sie den Kopf aufrecht und kratzen Sie sich mit Ihrem Fächer am Hals.«

Sie gehorchte.

In diesem Augenblick kamen unsere zwei Spaziergänger zu einer ganz parfümirten Gruppe, in deren Mitte ein Mann von zierlichem Wuchs und freier, geschmeidiger Tournure zu drei Gefährten sprach, die ihm ehrerbietig zuzuhören schienen.

»Wer ist dieser junge Mann?« fragte Oliva, »oh! der reizende perlgraue Domino!«

»Es ist der Herr Graf von Artois,« antwortete der Unbekannte; »doch, ich bitte, sprechen Sie nicht mehr.«

In der Minute, wo Oliva, ganz erstaunt über den großen Namen, den ihr blauer Domino ausgesprochen, auf die Seite trat, um besser zu sehen, wobei sie sich, nach der mehrere Male wiederholten Empfehlung, ganz aufrecht hielt, flüchteten sich zwei andere Dominos, die sich von einer geschwätzigen, geräuschvollen Gruppe trennten, an den Umfang des Saales, zu einer Stelle, wo die Bänke fehlten.

Es war hier eine Art von verödeter Insel, zu der in Zwischenräumen die Spaziergänger kamen, die vom Centrum nach dem Umkreis zurückgedrängt wurden.

»Lehnen Sie sich an diesen Pfeiler an, Gräfin,« sagte ganz leise eine Stimme, die auf den blauen Domino Eindruck machte.

Und beinahe in demselben Augenblick durchschritt ein orangefarbiger Domino, der durch die Keckheit seines Ganges und seiner Haltung mehr den nützlichen Mann, als den angenehmen Höfling verrieth, die Menge und sagte zu dem blauen Domino:

»Er ist es.«

»Gut,« erwiderte dieser. Und er entließ mit einer Geberde den gelben Domino.

»Hören Sie mich,« flüsterte er dann Oliva in's Ohr, »meine gute kleine Freundin, fangen wir an, uns ein wenig zu belustigen.«

»Das ist mir lieb, denn Sie haben mich zweimal traurig gestimmt, einmal, indem Sie mir Beausire raubten, der mich immer lachen machte, und das zweite Mal, da Sie von Gilbert sprachen, der mich so oft weinen gemacht hat.«

»Ich werde für Sie sowohl Gilbert als Beausire sein,« sprach der blaue Domino mit ernstem Tone.

»Oh!« seufzte Nicole.

»Verstehen Sie mich wohl, ich verlange von Ihnen nicht, daß Sie mich lieben; ich verlange nur, daß Sie das Leben so hinnehmen, wie ich es Ihnen machen werde, daß heißt, die Erfüllung aller Ihrer Phantasien vorausgesetzt, daß Sie von Zeit zu Zeit die meinigen unterzeichnen. Ich will Ihnen nun eine sagen.«

»Welche?«

»Der schwarze Domino, den Sie dort sehen, ist einer von meinen Freunden, ein Deutscher.«

»Ah!«

»Ein Falscher, der es unter dem Vorwand einer Migräne ausgeschlagen hat, auf den Ball zu kommen.«

»Und dem Sie auch gesagt haben, Sie werden nicht dahin gehen?«

»Ganz richtig.«

»Er hat eine Frau bei sich?«

»Ja.«

»Wer ist sie?«

»Ich kenne sie nicht. Sie nähern sich uns, nicht wahr? Wir geben uns den Anschein, als wären Sie eine Deutsche; Sie öffnen den Mund nicht, weil man an Ihrem Accent erkennen könnte, daß Sie eine reine Pariserin sind.«

»Sehr gut. Und Sie werden ihn plagen?«

»Oh! dafür stehe ich Ihnen ... Fangen Sie an, mir ihn mit dem Ende Ihres Fächers zu bezeichnen!«

»So?«

»Ja, sehr gut, und flüstern Sie mir in's Ohr.«

Oliva gehorchte mit einer Gelehrigkeit und einem Verstand, daß ihr Gefährte ganz darüber entzückt war.

Der schwarze Domino, der Gegenstand dieser Kundgebung, wandte dem Saal den Rücken zu; er plauderte mit der Dame, die ihn begleitete. Diese, deren Augen unter der Maske funkelten, erblickte die Geberde Oliva's.

»Sehen Sie, Monseigneur,« sagte sie leise, »es sind dort zwei Masken, die sich mit uns beschäftigen.«

»Oh! seien Sie ohne Furcht, Gräfin; es ist nicht möglich, daß man uns erkennt. Lassen Sie mich, da wir nun auf dem Wege der Verderbniß sind, lassen Sie mich Ihnen wiederholen, daß nie eine Gestalt bezaubernder war, als die Ihrige, nie ein Blick so brennend; erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen...«

»Alles, was man unter der Maske sagt.«

»Nein, Gräfin, Alles, was man unter...«

»Vollenden Sie nicht. Sie würden sich die Verdammniß zuziehen ... und dann, was eine noch größere Gefahr ist, unsere zwei Spione würden es hören.«

»Zwei Spione!« rief der Cardinal, den dieses Wort ergriff.

»Ja, nun fassen sie ihren Entschluß, sie nähern sich.«

»Verstellen Sie Ihre Stimme gut, Gräfin, wenn man Sie zum Sprechen veranlaßt.«

»Und Sie die Ihrige, Monseigneur.«

Oliva und ihr blauer Domino näherten sich in der That.

Dieser wandte sich an den Cardinal und sagte:

»Maske.«

Und er neigte sich an das Ohr Oliva's, die ihm ein bestätigendes Zeichen machte.

»Was willst Du?« fragte der Cardinal mit verstellter Stimme.

»Die Dame, die mich begleitet, beauftragt mich, mehrere Fragen an Dich zu richten,« antwortete der blaue Domino.

»Beeile Dich,« sagte Herr von Rohan.

»Und sie mögen sehr indiscret sein,« fügte Frau von La Mothe mit einer Flötenstimme bei.

»So indiscret, daß Du sie nicht hören sollst, Naseweis,« erwiderte der blaue Domino.

Und er neigte sich abermals an das Ohr Oliva's, die dasselbe Spiel spielte.

Hierauf richtete der Unbekannte in einem tadellosen Deutsch die Frage an den Cardinal:

»Monseigneur, sind Sie in die Frau verliebt, die Sie begleitet?«

Der Cardinal bebte.

»Haben Sie nicht Monseigneur gesagt?« erwiderte er.

»Ja, Monseigneur.«

»So täuschen Sie sich, und ich bin nicht der, für welchen Sie mich halten.«

»Oh! Herr Cardinal, leugnen Sie es nicht, es ist vergebens; wenn ich Sie auch nicht selbst kennen würde, so beauftragt mich doch die Dame, der ich als Kavalier diene, Ihnen zu sagen, daß sie Sie vollkommen wiedererkennt.«

Er neigte sich an Oliva's Ohr und flüsterte ihr zu:

»Machen Sie ein Zeichen der Bejahung. Machen Sie dieses Zeichen, so oft ich Ihnen den Arm drücke.«

Sie machte das Zeichen.

»Sie setzen mich in Erstaunen,« sagte der Cardinal ganz verwirrt; »wer ist die Dame, die Sie begleitet?«

»Oh! Monseigneur, ich glaubte, Sie hätten sie schon erkannt. Meine Begleiterin hat Sie wohl errathen. Freilich die Eifersucht...«

»Madame ist eifersüchtig über mich!« rief der Cardinal.

»Wir sagen das nicht,« erwiderte der Unbekannte mit einem gewissen Hochmuth.

»Was sagt man Ihnen da?« fragte lebhaft Frau von La Mothe, der dieses deutsche, das heißt für sie unverständliche Gespräch im höchsten Grade zuwider war.

»Nichts, nichts.«

Frau von La Mothe stampfte vor Ungeduld mit dem Fuß.

»Madame,« sagte dann der Cardinal zu Oliva, »ich bitte, ein Wort von Ihnen, und ich verspreche, Sie mit diesem einzigen Wort zu errathen.«

Herr von Rohan hatte deutsch gesprochen. Oliva verstand kein Wort und neigte sich zu dem blauen Domino.

»Ich beschwöre Sie, Madame, sprechen Sie nicht!« rief dieser.

Das Geheimniß reizte die Neugierde des Cardinals. Er fügte bei:

»Wie! ein einziges deutsches Wort! das würde Madame sehr wenig gefährden.«

Der blaue Domino, der sich stellte, als hätte er Befehle von Oliva erhalten, erwiderte sogleich:

»Herr Cardinal, vernehmen Sie die eigenen Worte dieser Dame: »»Derjenige, dessen Geist nicht beständig wacht, derjenige, dessen Einbildungskraft nicht fortwährend die Gegenwart des geliebten Gegenstandes ersetzt, derjenige liebt nicht; er hätte Unrecht es zu sagen.««

Der Cardinal schien betroffen von dem Sinn dieser Worte. Seine ganze Haltung drückte im höchsten Grad das Erstaunen, die Ehrfurcht, die Exaltation der Zuneigung aus; dann fielen seine Arme wieder nieder, und er murmelte französisch:

»Es ist unmöglich.«

»Was denn unmöglich?« rief Frau von La Mothe, welche gierig diese paar im ganzen Gespräche entschlüpften Worte auffing.

»Nichts, Madame, nichts.«

»Monseigneur, in der That, ich glaube, Sie lassen mich eine traurige Rolle spielen,« sagte sie voll Aerger.

Und sie verließ den Arm des Cardinals. Dieser nahm ihn nicht nur nicht wieder, sondern er schien es nicht einmal bemerkt zu haben, so groß war sein Eifer bei der deutschen Dame.

»Madame,« sagte er zu der Letzteren, die sich immer noch steif und unbeweglich hinter ihrem Atlaswall hielt, »die Worte, die mir Ihr Begleiter in Ihrem Namen gesagt hat, sind deutsche Verse die ich in einem Hause gelesen habe, das Ihnen vielleicht bekannt ist?«

Der Unbekannte drückte Oliva den Arm.

»Ja,« machte sie mit dem Kopf.

Der Cardinal bebte.

»Dieses Haus,« fragte er zögernd, »heißt es nicht Schönbrunn?«

»Ja,« erwiderte Oliva.

»Sie waren von einer erhabenen Hand auf einen Tisch von Kirschbaumholz mit einem goldenen Stichel geschrieben.«

»Ja,« machte Oliua.

Der Cardinal hielt inne. Es ging eine Art von Revolution in ihm vor. Er wankte und streckte die Hand aus, um einen Stützpunkt zu suchen.

Frau von La Mothe lauerte in einer Entfernung von zwei Schritten auf den Ausgang dieser seltsamen Scene.

Der Cardinal legte seinen Arm auf den des blauen Domino und sprach:

»Und die Fortsetzung lautet:

»»Aber derjenige, welcher überall den geliebten Gegenstand sieht, der ihn aus einer Blume, aus einem Wohlgeruch, unter undurchdringlichen Schleiern erräth, der kann schweigen, seine Stimme ist in seinem Herzen, es genügt zu seinem Glück, daß ein anderes Herz ihn versteht.««

»Ah! man spricht Deutsch hier!« sagte plötzlich eine junge, frische Stimme, die aus einer Gruppe hervorkam, welche sich zum Cardinal gesellt hatte. »Sehen wir das ein wenig an ... Sie verstehen Deutsch, Marschall?«

»Nein, Monseigneur.«

»Aber Sie, Charny?«

»Oh! ja, Eure Hoheit.«

»Der Herr Graf von Artois,« sagte Oliva, indem sie sich fester an den blauen Domino anschmiegte, denn die vier Masken hatten sie auf eine etwas ungezwungene Weise umschlossen.

In diesem Augenblick brach das Orchester in rauschende Fanfaren aus, und der Staub des Bodens stieg vermischt mit dem Puder der Frisuren in regenbogenfarbigen Wolken bis über die entflammten Kronleuchter hinauf, die diesen Ambra-Nebel vergoldeten.

Bei der Bewegung, welche die Masken machten, fühlte sich der blaue Domino gestoßen.

»Nehmen Sie sich in Acht, meine Herren!« sagte er mit einem Tone gebietender Würde.

»Mein Herr,« erwiderte der Prinz, noch immer verlarvt, »Sie sehen, daß man uns bedrängt. Entschuldigen Sie uns, meine Damen.«

»Gehen wir, gehen wir, Herr Cardinal,« sagte leise Frau von La Mothe.

Plötzlich wurde die Capuze Oliva's zerknittert, von einer unsichtbaren Hand rückwärts gezogen, ihre gelöste Maske fiel herab; ihre Züge erschienen eine Secunde im Halbschatten des Simswerks, das die erste Gallerie über dem Parterre bildete.

Der blaue Domino stieß einen Schrei geheuchelter Angst aus, Oliva einen Schrei des Schreckens.

Drei bis vier Schreie des Erstaunens antworteten auf diesen doppelten Ausruf.

Der Cardinal wurde beinahe ohnmächtig. Wäre er in diesem Augenblicke gefallen, so würde er auf die Kniee gefallen sein. Frau von La Mothe hielt ihn aufrecht.

Eine von der Strömung fortgezogene Woge von Masken hatte den Grafen von Artois vom Cardinal und von Frau von La Mothe getrennt.

Der blaue Domino, der rasch wie der Blitz die Capuze Oliva's niedergeschlagen und die Maske wieder befestigt hatte, näherte sich dem Cardinal, drückte ihm die Hand und sprach:

»Mein Herr, das ist ein unersetzbares Unglück; Sie sehen, daß die Ehre dieser Dame Ihrer Gnade anheimgegeben ist...«

»Oh! mein Herr,« murmelte der Prinz Louis, sich verbeugend. Und er fuhr über seine von Schweiß triefende Stirne mit einem Sacktuch, das in seiner Hand zitterte.

»Gehen wir geschwind,« sagte der blaue Domino zu Oliva.

Und sie verschwanden.

»Ich sehe nun, was der Herr Cardinal für unmöglich hielt,« sprach Frau von La Mothe zu sich selbst; »er glaubte, diese Frau sei die Königin, und das ist die Wirkung, welche diese Aehnlichkeit auf ihn hervorbringt. Gut, abermals eine Beobachtung, die wir zu bewahren haben.«

»Wollen Sie, daß wir den Ball verlassen, Gräfin?« fragte Herr von Rohan mit schwacher Stimme.

»Wie es Ihnen beliebt, Monseigneur,« antwortete Jeanne ruhig.

»Ich sehe hier kein großes Interesse, nicht wahr?«

»Oh! nein, ich sehe auch keines.«

Und sie bahnten sich mühsam einen Weg durch die Plaudernden. Der Cardinal, der hoch gewachsen war, schaute überall umher, ob er die verschwundene Vision nicht fände.

Aber blaue, rothe, gelbe, grüne und graue Dominos wirbelten nun vor seinen Augen in dem leuchtenden Dunst und vermischten ihre Nuancen wie die Farben des Prisma. Alles war aus der Ferne blau für den armen Herrn: nichts war es in der Nähe.

In diesem Zustand erreichte er den Wagen, der ihn und die Gräfin erwartete.

Dieser Wagen rollte seit fünf Minuten, und noch hatte der Prälat kein Wort an Jeanne gerichtet.


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