Alexander Dumas d. Ä.
Akte
Alexander Dumas d. Ä.

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XIX.

Diesesmal nahm der Kaiser die Wissenschaft seiner alten Freundin für sich selbst in Anspruch. Eine ganze Nacht brachten sie miteinander zu, und die Zauberin bereitete in seiner Gegenwart ein ausgezeichnetes Gift, das sie versuchsweise schon drei Tage früher gemischt und am Abend vorher erprobt hatte. Nero barg es in einer goldenen Kapsel, die er in einem Schränkchen verschloß, das Sporus ihm einmal geschenkt hatte und dessen geheimen Verschluß nur er und der Eunuch kannten.

Indessen verbreitete sich das Gerücht von der Empörung Galbas mit erschreckender Geschwindigkeit. Jetzt handelte es sich nicht mehr um eine leere Drohung oder ein verzweifeltes Unternehmen wie das des Vindex, sondern um den kraftvollen Angriff eines Patriziers, dessen edles, altes Geschlecht in Rom zu allen Zeiten beim Volke beliebt gewesen war und der sich mit Stolz nannte: Enkel des Quintus Catulus Capitolinus, d. h. jenes Senators, der durch seine Tapferkeit und Tugend für den ersten Bürger seiner Zeit galt.

Zu diesen für Galba günstigen Umständen gesellte sich neue Unzufriedenheit mit Nero. Mit seinen Spielen, Rennen und Gesängen beschäftigt, hatte er versäumt, die notwendigsten ihm als Kaiser und Herrn der Stadt obliegenden Befehle zur Versorgung Roms mit Lebensmitteln zu geben, so daß die Flotte, die das Getreide aus Sizilien und Alexandria herbeischaffen mußte, erst abging, als sie schon zurück sein sollte. Infolgedessen stieg das Getreide in wenigen Tagen ungeheuer im Preise, und eine Hungersnot brach aus. Ganz Rom war in Gefahr zu verhungern, die Bewohner hielten fortwährend die Augen nach Süden gewendet und liefen jedem Schiffe entgegen, das von Ostia heraufkam. Am Morgen nach der Nacht, die Nero mit Locuste zugebracht hatte, also am Tage, nach dem die Nachrichten von der Empörung Galbas eingelaufen waren, war das unzufriedene, ausgehungerte Volk auf dem Forum versammelt, als ein Fahrzeug in Sicht gemeldet wurde. Alles lief nach dem Hafen Ostia hinab, man hoffte, daß es der Vorläufer der Getreideflotte sein werde, und stürzte mit Freudengeschrei an Bord. Aber das Schiff brachte Sand aus Alexandria für die kaiserlichen Fechter. Da brach die enttäuschte Menge in laute Verwünschungen aus.

Unter den Unzufriedenen tat sich ein Mann hervor, namens Icelus; er war ein Freigelassener Galbas. Am Abend vorher war er festgenommen worden, aber während der Nacht stürmten etwa hundert bewaffnete Männer das Gefängnis und machten ihn frei. Jetzt erschien er mitten unter dem Volk und rief die Versammelten zur offenen Empörung auf. Aber diese zögerten noch, gegen den bisher für allgewaltig gehaltenen Cäsar sich aufzulehnen. Da ging ein junger Mann vorüber, der sein Angesicht mit dem Mantel verhüllte, und reichte Icelus eine Schreibtafel. Icelus ergriff das mit Wachs überzogene Elfenbeintäfelchen und sah mit Freuden, daß ihm der Zufall zu Hilfe kam, indem er ihm einen Beweis gegen Nero in die Hände spielte. Auf dem Täfelchen stand der Plan des Kaisers verzeichnet, den er in jener Nacht gefaßt hatte, die Sporus mit ihm zubringen mußte; es ging daraus seine Absicht hervor, das undankbare Rom, das müde geworden war, seine Gesänge zu bejubeln, zum zweitenmal anzuzünden und zugleich die wilden Tiere loszulassen, damit die Römer den Brand nicht löschen könnten. Icelus las die auf die Tafel geschriebenen Zeilen mit lauter Stimme vor, doch wollte man ihm nicht glauben, so unsinnig erschien diese Rache. Einige riefen sogar, der Befehl sei ohne Zweifel gefälscht. Da nahm Nymphidius Sabinus das Täfelchen aus der Hand des Freigelassenen und versicherte, daß er nicht nur die Handschrift des Kaisers genau erkenne, sondern auch seine Art auszulöschen und einzuschalten. Darauf ließ sich nichts mehr einwenden, denn Nymphidius Sabinus hatte als Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache oft genug Gelegenheit gehabt, Briefe von Neros Hand zu empfangen.

In diesem Augenblick liefen einige Senatoren in größter Eile ohne Mantel vorüber; sie begaben sich zum Kapitol, wohin sie zusammenberufen waren. Der Vorsitzende des Senats hatte am Morgen ein ähnliches Täfelchen gefunden, wie das, welches der Unbekannte dem Icelus übergeben hatte, und auf diesem stand der ausführliche Befehl, daß die Senatoren zu einem Festmahl eingeladen und allesamt vergiftet werden sollten. Das aufgeregte Volk drängte sich um das Kapitol wie eine Sturmflut, die den Hafen überschwemmt, und während es unten wartete, was der Senat oben beschließen werde, vergriff es sich an Neros Statuen, da es noch nicht Hand an ihn selbst zu legen wagte. Von der Terrasse des Palatin sah Nero, wie man mit seinen Bildsäulen verfuhr. Da kleidete er sich schwarz und wollte zu dem Volk hinuntersteigen, um es zu beschwichtigen und um Gnade zu flehen; aber in dem Augenblick, wo er sein Haus verlassen wollte, nahm die Menge eine so drohende Haltung an, daß er schleunigst zurückwich und sich eine Hintertüre öffnen ließ, durch die er sich in die Gärten des Servilius rettete. Niemand außer seinen treuesten Anhängern wußte, daß er an diesem Zufluchtsort Schutz gesucht hatte; von hier aus schickte er Phaon zum Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache.

Aber der Unterhändler Galbas war dem Gesandten Neros im Lager zuvorgekommen. Nymphidius Sabinus hatte soeben im Namen des neuen Kaisers jedem Prätorianer siebentausendfünfhundert Drachmen versprochen und jedem Soldaten in der Provinz zwölfhundertfünfzig Drachmen. Der Befehlshaber der Leibwache ließ daher dem Nero sagen, alles, was er für ihn tun könne, sei, daß er ihm für dieselbe Summe den Vorzug gebe. Aber die verlangte Summe belief sich auf zweihundertachtundzwanzig Millionen, hundertneunundzwanzigtausendachthundertvierzig Mark, und der Schatz war durch die unerhörte Verschwendung erschöpft, so daß der Kaiser nicht den zwanzigsten Teil dieser Summe besaß. Doch hoffte Nero, mit Hilfe seiner alten Freunde, die er in der abendlichen Dunkelheit unbemerkt um ihren Beistand anflehen wollte, die Summe zusammenzubringen. Die Nacht senkte sich auf die von Lärm und Licht erfüllte Stadt herab. Überall, wo ein freier Platz war oder eine Straßenkreuzung, sammelten sich Volksmassen bei Fackelschein. In dieser von den verschiedensten Gefühlen bewegten Menge waren die seltsamsten und widersprechendsten Gerüchte in Umlauf, und alle fanden Glauben, so unsinnig und unzusammenhängend sie auch sein mochten.

Trotz der Aufregung, die in der Stadt herrschte, wagte Nero doch, als Mann aus dem Volke verkleidet, die Gärten des Servilius zu verlassen, wohin er sich während des Tages zurückgezogen hatte. Zu diesem gefährlichen Schritt bewog ihn die bereits erwähnte Hoffnung, wenn nicht durch die Arme, so doch durch die Kasse seiner früheren Zechgenossen Unterstützung zu finden. Aber so sehr er sich bemühte, indem er sich von Haus zu Haus schleppte und fußfällig wie ein Bettler um das Almosen flehte, das allein sein Leben erkaufen konnte, alle Herzen blieben ungerührt bei seinem Seufzen und alle Türen verschlossen.

Als die Menge endlich über die lange Beratung des Senates ungeduldig wurde und zu toben anfing, begriff Nero, daß er keinen Augenblick mehr zu verlieren habe. Anstatt in die Gärten des Servilius zurückzukehren, wandte er sich nach dem Palatin, um in seinem Palast an Gold und Kostbarkeiten zusammenzuraffen, was er in der Eile fand. An dem Jupiterbrunnen vorüber schlich er sich hinter den Tempel der Vesta, und in dem Schatten, den der Palast des Tiberius und des Kaligula warf, erreichte er das Tor, das sich ihm bei seiner Rückkehr von Korinth geöffnet hatte, und durchschritt die prächtigen Gärten, die er verlassen mußte, um geächtet in das Elend der Verbannung zu ziehen. So gelangte er in das goldene Haus und stieg durch dunkle, geheime Gänge und Treppen zu seinem Zimmer empor; er stieß einen Schrei der Überraschung aus, als er dort eintrat.

In seiner Abwesenheit hatten die Wachen des Palatin die Flucht ergriffen und alles mitgenommen, was sie erreichen konnten an kostbaren Stoffen, silbernen Vasen und wertvollen Möbeln. Nero ging zu dem kleinen Schrank, worein er das Gift der Locuste verschlossen hatte, und öffnete das Geheimfach, aber die goldene Kapsel war verschwunden und mit ihr die letzte Hilfe gegen einen öffentlichen, schmachvollen Tod. Jetzt fühlte er sich schwach gegen die Gefahr; verlassen und verraten von jedermann, warf sich der, der gestern noch der Beherrscher der Welt gewesen, auf den Fußboden, wälzte sich und schrie wie ein Wahnsinniger um Hilfe. Drei Personen eilten darauf sofort herbei; es waren Sporus, Epaphroditus, sein Geheimschreiber, und Phaon, sein Freigelassener. Bei ihrem Eintritt erhob sich Nero auf ein Knie und blickte sie angstvoll an. Als er an ihren traurigen, niedergeschlagenen Mienen erkannte, daß sie keine Hoffnung mehr hegten, befahl er dem Epaphroditus, den Gladiator Spiculus zu holen oder jeden anderen, der ihn töten wolle. Die beiden anderen hieß er die Klagelieder anstimmen, welche die gemieteten Klageweiber bei den Begräbnissen sangen. Sie waren damit noch nicht zu Ende, als Epaphroditus allein zurückkehrte; weder Spiculus noch ein anderer wollte kommen. Nero hatte alle Kraft zusammengenommen, aber wie er auch diese letzte Hoffnung auf einen schnellen Tod schwinden sah, ließ er die Arme sinken und rief: Ach! ach! jetzt habe ich keinen Freund und keinen Feind mehr! Er wollte den Palatin verlassen, zur Tiber hinunter eilen und sich hineinstürzen. Aber Phaon hielt ihn zurück und bot ihm sein Landhaus an, das etwa vier Meilen von Rom entfernt zwischen der Salarischen und Nomentanischen Straße lag. Nero klammerte sich an diese letzte Hoffnung und nahm das Anerbieten an. Fünf Pferde wurden gesattelt, Nero bestieg eines derselben und verschleierte sein Gesicht; Sporus folgte ihm wie sein Schatten, während Phaon auf dem Palatin zurückblieb, um Botschaft zu senden. Sie mußten durch die ganze Stadt reiten, um durch das Nomentanische Tor die Straße zu erreichen, wo wir die Reiter in dem Augenblick antrafen, als der Gruß eines alten Soldaten Nero in den größten Schrecken versetzte.

Das Landhaus des Phaon befand sich auf dem Hügel, wo das heutige Serpentara liegt. Hinter dem heiligen Berge versteckt, mochte die Villa dem Kaiser wenigstens für den Augenblick eine Zufluchtstätte gewähren, die einsam genug lag, daß er sich dort zum Sterben bereiten konnte, wenn jede andere Hoffnung fehlschlug. Epaphroditus, der den Weg genau kannte, übernahm die Führung der kleinen Reitertruppe, Nero folgte ihm, während die beiden Freigelassenen mit Sporus die Nachhut bildeten. Auf der Hälfte des Weges angekommen, vernahmen sie das Geräusch nahender Schritte, ohne daß sie in der dichten Finsternis die Personen erblicken konnten, die es verursachten. Nero und Epaphroditus wandten sich links und ritten quer durch das Feld, während Sporus mit den beiden Freigelassenen auf der Straße am heiligen Berge weiter zog. Das Geräusch rührte von streifenden Soldaten her, die unter dem Befehl eines Hauptmanns ausgesandt waren, um den Kaiser zu suchen. Sie hielten die drei Reisenden an, da sie aber Nero nicht unter ihnen erkannten, ließ der Hauptmann sie ihren Weg fortsetzen, nachdem er mit Sporus einige Worte gewechselt hatte.

Der Kaiser und Epaphroditus waren jedoch genötigt, von den Pferden zu steigen, weil die Ebene infolge des oben erwähnten Erdstoßes mit Felsstücken und abgerutschtem Erdreich ganz bedeckt war. Mühsam drangen sie vorwärts durch Gestrüpp und Dornen, welche die bloßen Füße Neros blutig rissen und seinen Mantel zerfetzten. Endlich sahen sie im Schatten eine dunkle Masse vor sich liegen; ein Hofhund bellte und lief an der inneren Seite der Mauer entlang, deren Außenseite sie folgten. So gelangten sie an den Eingang einer Höhle. Die Öffnung war eng und niedrig, aber Nero fürchtete sich so sehr, daß er auf allen vieren hineinkroch, während Epaphroditus ihm vom Eingang her zurief, daß er die Runde um die Mauern machen und in die Villa eindringen wolle, um zu erforschen, ob Nero ihm ohne Gefahr folgen könne. Aber kaum hatte ihn Epaphroditus verlassen, so erfaßte den Kaiser eine namenlose Angst. Er kam sich in dieser Höhle vor wie in einem Grabe, dessen Türen man hinter ihm geschlossen hätte; er kroch eiligst hinaus, um den Himmel über sich zu sehen und frische Luft zu atmen. Wenige Schritte entfernt, bemerkte er einen Teich. Obwohl es stehendes Wasser war, fühlte er doch so heftigen Durst, daß er nicht widerstehen konnte, davon zu trinken. Um sich etwas vor den Kieselsteinen und Baumwurzeln zu schützen, breitete er seinen Mantel unter seine Füße und schleppte sich bis zu dem Wasser, schöpfte einige Tropfen daraus mit der hohlen Hand und sagte mit vorwurfsvollem Ton, zum Himmel gewandt:

Das ist also Neros letzte Erfrischung!

Einige Augenblicke saß er finster und nachdenklich am Rande des Teiches und zog die Dornen und Wurzeln aus, die in seinem Mantel hängen geblieben waren, da hörte er seinen Namen rufen. Diese Stimme, welche die Stille der Nacht durchdrang, verursachte ihm ein tiefes Grauen, trotz des wohlwollenden Ausdrucks, der darin lag. Er wandte sich um und bemerkte Epaphroditus, der mit einer Fackel in der Hand an den Eingang der Höhle zurückgekehrt war. Sein Geheimschreiber hatte ihm Wort gehalten; er war durch das Haupttor in die Villa eingetreten und hatte dem Freigelassenen den Ort bezeichnet, an dem der Kaiser ihn erwartete. Darauf durchbrachen sie mit gemeinsamer Anstrengung eine alte Mauer, damit der Kaiser durch die bereitete Öffnung direkt von der Höhle aus die Villa betreten könnte. Nero folgte seinem Führer mit solcher Hast, daß er darüber seinen Mantel am Ufer des Teiches vergaß. Er kroch in die Höhle zurück und kam von da in das ärmliche und ungesunde Gelaß eines Sklaven, das als ganze Einrichtung eine Matratze und eine alte Decke enthielt und von einer schlechten, irdenen Lampe erhellt war, die in dem grabartigen Winkel mehr Rauch als Helle verbreitete.

Nero setzte sich auf der Matratze nieder und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand; er empfand Hunger und Durst und verlangte nach Speise und Trank. Man brachte ihm ein Stückchen schwarzes Brot und ein Glas Wasser, aber sowie er das Brot gekostet hatte, schleuderte er es weit von sich und gab das Wasser zurück, um es wärmen zu lassen. Als er allein war, ließ er den Kopf auf die Kniee herabsinken und verharrte einige Augenblicke stumm und regungslos wie eine Statue des Schmerzes. Bald darauf öffnete sich die Türe; Nero glaubte, daß man ihm das Wasser bringe, und erhob sein Haupt, da sah er Sporus vor sich, der einen Brief in der Hand hielt.

Auf dem blassen Gesicht des Eunuchen, das immer niedergeschlagen und traurig aussah, spiegelte sich ein merkwürdiger Ausdruck grausamer Freude, so daß Nero erstaunt aufblickte und in dem jungen Mann, der auf ihn zukam, nicht mehr den gefügigen Sklaven erkannte, der allen seinen Launen gefällig gewesen war. Als er noch zwei Schritte weit von dem Lager entfernt war, streckte er die Hand aus und reichte ihm das Pergament. Wenn auch Nero das Lächeln des Sporus nicht verstand, ahnte er doch, daß ihm eine verhängnisvolle Nachricht zukomme.

Von wem ist dieser Brief? sagte er, ohne die Hand danach aufzuheben.

Von Phaon, antwortete der junge Mann.

Und was meldet er? fuhr Nero erblassend fort.

Daß der Senat dich für einen Feind des Staates erklärt hat und dich suchen läßt, um dich auf den Richtplatz zu führen.

Auf den Richtplatz! rief Nero, indem er sich auf ein Knie aufrichtete; auf den Richtplatz! mich! mich! Claudius Cäsar! . . .

Du bist nicht mehr Claudius Cäsar, antwortete der Eunuch kalt; du bist Domitius Oenobarbus, weiter nichts, der zum Vaterlandsverräter erklärt und zum Tode verurteilt ist.

Und welches Gericht ergeht über die Vaterlandsverräter?

Man zieht ihnen die Kleider aus, zwängt ihren Hals zwischen die Zinken einer Gabel, man führt sie auf dem Forum, auf den Märkten, auf dem Marsfelde umher, und dann züchtigt man sie mit Ruten, bis sie tot sind.

Oh! rief Nero, indem er aufsprang, mir bleibt noch Zeit zur Flucht; ich kann noch fliehen nach dem Wald von Larissa und nach den Sümpfen von Minturnä; ein Schiff nimmt mich auf und bringt mich nach Sizilien oder Ägypten, wo ich mich verberge.

Fliehen! sagte Sporus, immer bleich und kalt wie ein marmornes Götzenbild, fliehen! und wo hinaus denn?

Hier hinaus, rief Nero, indem er die Zimmertüre aufstieß und hinausstürzte; hier bin ich hereingekommen, so kann ich auch hier wieder hinausgehen.

Ja, sagte Sporus, aber seit du hier eingetreten bist, ist die Öffnung verschlossen, und ich zweifle, ob es dir allein gelingen wird, den Felsblock vom Eingang zu entfernen, so trefflich du dich sonst als Athlet bewährt haben magst.

Beim Jupiter! es ist wahr! rief Nero und erschöpfte seine Kraft vergebens, indem er sich bemühte, den Felsblock wegzuheben. Wer hat diese Höhle verschlossen? Wer hat den Stein davorgewälzt?

Ich und die Freigelassenen, antwortete Sporus.

Und warum habt ihr das getan? Warum habt ihr mich eingeschlossen wie Cacus in sein Loch?

Damit du dort sterben sollst wie er, sagte Sporus mit einem Ausdruck des Hasses, wie ihn niemand seiner sanften Stimme zugetraut hätte.

Sterben, sterben! schrie Nero, indem er mit dem Kopf gegen die Wand rannte wie ein wildes Tier, das einen Ausgang sucht. Sterben! So will denn alle Welt, daß ich sterben soll, und jedermann verläßt mich?

Ja, alle Welt verlangt, daß du sterben sollst, aber nicht jedermann verläßt dich, da du mich bei dir siehst und ich mit dir sterben werde.

Ja, ja, murmelte Nero und ließ sich auf die Matratze niedersinken; ja, das heißt Treue halten.

Du irrst dich, Cäsar, sagte Sporus, während er mit verschränkten Armen Nero gegenübertrat, der in die Kissen seines Lagers biß; es ist nicht Treue, es ist noch viel mehr, es ist Rache!

Rache! rief Nero, sich rasch umwendend, Rache! Und was habe ich dir denn getan, Sporus?

Jupiter! er fragt noch! sagte der Eunuch mit zum Himmel erhobenen Armen. Was du mir getan hast? . . .

Ja, ja . . . murmelte Nero, erschreckt an die Wand zurückweichend.

Was du mir getan hast? antwortete Sporus, indem er einen Schritt näher trat und kraftlos die Arme herabsinken ließ. Aus einem Kinde, das dazu geboren war, einst ein Mann zu werden und seinen Anteil zu erhalten an den Gefühlen der Erde und den Freuden des Himmels, hast du ein armes Geschöpf gemacht, das nirgends mehr hingehörte, das auf nichts mehr ein Anrecht und keine Hoffnung mehr übrig hatte. Alle Herrlichkeit und alles Glück der Welt sah ich, gefesselt durch das Bewußtsein meiner Ohnmacht und Nichtigkeit, an mir vorüberziehen, wie Tantalus das Wasser und die Früchte sieht, die er doch nie erreichen kann. Und das ist noch nicht alles; wenn ich in Trauerkleidern in der Stille und Zurückgezogenheit hätte weinen dürfen, würde ich dir vielleicht verzeihen, aber in Purpur mußte ich mich kleiden, wie die Mächtigen, lächeln wie die Glücklichen, mitten in der Welt mußte ich leben wie ein wirklicher Mensch und war doch nur ein armes Gespenst, ein trauriger Schatten.

Aber was wolltest du denn mehr, sagte Nero zitternd; ich habe mein Gold mit dir geteilt und mein Vergnügen und meine Macht. Du bist bei allen meinen Festen dabei gewesen, du hast Höflinge und Schmeichler um dich gehabt, und als ich nicht mehr wußte, was ich dir schenken sollte, gab ich dir meinen Namen.

Das ist es eben, warum ich dich hasse, Cäsar. Wenn du mich hättest vergiften lassen wie Britannikus, oder ermorden wie Agrippina, oder wenn du mir hättest die Adern öffnen lassen wie dem Seneka, würde ich dir im Augenblick meines Todes haben vergeben können. Aber du hast mich weder wie einen Mann noch wie eine Frau behandelt, sondern wie eine Marmorstatue, die blind und stumm ist und kein Herz hat, wie ein leichtfertiges Spielzeug, aus dem du alles machen konntest, was deiner Laune wohlgefiel. Die Gunstbezeigungen, von denen du sprichst, waren vergoldete Demütigungen, weiter nichts. Obwohl du mich mit Schande bedecktest und über alle Häupter erhobst, konnte doch jedermann meine Schmach ermessen. Und das ist noch nicht alles. Vorgestern, als ich dir den Ring gab, konntest du mir einen Dolchstich dafür versetzen, dann hätten die anwesenden Männer und Frauen wenigstens geglaubt, daß ich es wert sei, den Tod zu empfangen; aber du hast mich mit der Faust geschlagen wie einen Schmarotzer, wie einen Sklaven, wie einen Hund!

Ja, ja, sagte Nero, ja, ich habe unrecht getan. Vergib mir, mein guter Sporus!

Und dennoch, fuhr Sporus fort, wie wenn er die Unterbrechung Neros überhört hätte, dennoch konnte dieses Geschöpf ohne Namen, ohne Geschlecht, ohne Freunde, ohne Herz, wenn auch nichts Gutes ausrichten, so doch dir Übles zufügen; es konnte des Nachts in dein Zimmer dringen, deine Schreibtafeln stehlen, auf denen du den Senat und das Volk zum Tode verurteilt hast, und sie auf dem Forum und auf dem Kapitol ausstreuen, wie wenn der Sturmwind sie verweht hätte, so daß du keine Gnade mehr zu erwarten hast weder von dem Volk, noch von dem Senat. Es konnte dir die Kapsel entwenden, die das Gift der Locuste enthielt, und dich allein, ohne Verteidigung, ohne Waffen denen überlassen, die dich suchen, um dich zu einem schmachvollen Tode zu schleppen.

Du irrst dich! rief Nero und zog einen Dolch unter dem Kopfkissen seines Bettes hervor; du irrst dich, es bleibt mir noch dieses Eisen.

Ja, sagte Sporus, aber du wirst nicht wagen, davon Gebrauch zu machen, weder gegen die anderen noch gegen dich. Dem Eunuchen ist es zu danken, wenn der Welt das Schauspiel gegeben wird, wie ein Kaiser unter Ruten- und Peitschenschlägen seinen Geist aufgibt, nachdem er nackt mit der Gabel am Halse auf dem Forum und auf den Märkten umhergeführt wurde.

Aber ich bin hier gut versteckt, sie werden mich nicht finden, sagte Nero.

Ja, ja, es wäre möglich, daß du ihnen entgangen wärest, wenn ich nicht einem Hauptmann begegnet wäre, dem ich anvertraute, wo du dich befindest. Um diese Stunde noch pocht er an die Türe der Villa; Cäsar, er kommt, er kommt . . .

Oh! ich werde ihn nicht erwarten, sagte Nero, indem er die Spitze seines Dolches auf sein Herz richtete. Ich werde mich erstechen, ich werde mich töten.

Du wagst es nicht, sagte Sporus.

Doch, murmelte Nero auf Griechisch und suchte mit der Spitze seines Messers eine Stelle, wo er sich treffen könnte, zögerte aber noch immer, mit dem Eisen zuzustoßen. Es würde Nero nicht anstehen, wenn er nicht zu sterben wüßte. Ja, ja, ich habe ein schändliches Leben geführt, und ich sterbe in der Schmach. O Welt, Welt, was für einen großen Künstler verlierst du an mir! . . . Plötzlich hielt er inne, stieß nicht zu und horchte mit gesträubtem Haar und schweißbedeckter Stirn auf ein Geräusch, das er vernahm; er stotterte die Verse von Homer:

Das ist der Hufschlag der eilenden Rosse . . .

In diesem Augenblick stürzte Epaphroditus in das Zimmer. Nero hatte sich nicht getäuscht, es waren die Reiter, die ihn verfolgten und, von den Weisungen des Sporus geleitet, gerade auf die Villa zukamen. Der Kaiser hatte keinen Augenblick mehr zu verlieren, wenn er nicht in die Hände seiner Henker fallen wollte. Er faßte daher einen entscheidenden Entschluß; er nahm Epaphroditus beiseite und ließ ihn beim Styx schwören, daß er niemanden seinen Kopf überlasse und lieber seinen ganzen Körper verbrenne. Dann zog er den Dolch aus seinem Gürtel, wohin er ihn wieder gesteckt hatte, und legte die Spitze an seinen Hals. Jetzt kam der Lärm schon viel näher, und drohende Stimmen erschallten. Epaphroditus sah, daß die letzte Stunde gekommen sei. Er ergriff Neros Hand, legte den Dolch an die Kehle und stieß ihn tief hinein bis an den Griff; dann stürzte er mit Sporus hinaus in die Höhle und schloß die Zimmertüre hinter sich zu.

Nero stieß einen fürchterlichen Schrei aus, riß die tödliche Waffe heraus und schleuderte sie weit von sich, er schwankte, fiel mit starren Augen und schweratmender Brust auf ein Knie nieder, dann auf das andere; er versuchte sich noch mit einem Arm zu stützen, während das Blut aus seinem Halse hervorsprang zwischen den Fingern hindurch, mit denen er die Wunde zu schließen suchte. Endlich warf er noch einen letzten, verzweifelten Blick voller Todesangst um sich, und da er sich allein sah, sank er mit einem tiefen Seufzer zu Boden. In diesem Augenblick öffnete sich die Türe, und der Hauptmann erschien auf der Schwelle. Wie er den Kaiser regungslos am Boden sah, stürzte er zu ihm hin und wollte das Blut mit seinem Mantel stillen; aber Nero stieß ihn mit einem letzten Kraftaufwand zurück.

Ist das die Treue, die ihr mir geschworen habt! sprach er mit vorwurfsvollem Tone; dann hauchte er seinen letzten Seufzer aus, aber seine Augen blieben merkwürdigerweise starr und weit offen stehen.

Die Soldaten, die den Hauptmann begleitet hatten, traten herein, um sich zu überzeugen, daß der Kaiser zu leben aufgehört habe, und da sie darüber nicht mehr im Zweifel sein konnten, kehrten sie nach Rom zurück, um dort seinen Tod zu verkündigen, so daß der, welcher am Abend vorher noch der Herr der Welt gewesen, einsam in seinem Blute liegen blieb und kein Sklave an ihm die letzten Pflichten erfüllte.

Ein ganzer Tag ging darüber hin. Am Abend trat eine bleiche Frau ernst und langsam in das Sterbezimmer.

Icelus, der Freigelassene Galbas, der das Volk aufgereizt hatte, war inzwischen in Rom allmächtig geworden, wo man der Ankunft seines Herrn entgegensah. Von ihm hatte sie die Erlaubnis erhalten, dem Kaiser den letzten Liebesdienst erweisen zu dürfen. Sie entkleidete ihn, wusch das Blut von seinem Leibe und hüllte ihn in einen weißen goldgestickten Mantel, den er getragen und ihr geschenkt hatte, als sie ihn zum letzten Mal sah. Dann ließ sie ihn auf einem bedeckten Wagen, den sie mitgebracht hatte, in aller Stille nach Rom führen. Dort ordnete sie ein einfaches Begräbnis an wie für einen bescheidenen Bürger und bestattete den Leichnam in dem Grabmal des Domitius, das man vom Marsfeld aus auf dem Hügel der Gärten erblickt. Hier hatte Nero sich bei seinen Lebzeiten ein Grab aus Porphyr bestellt, das ein Altar von Marmor aus Luna überragte und ein Säulengeländer aus Marmor von Thasos umschloß.

Nachdem sie diese Pflichten erfüllt hatte, verweilte sie einen ganzen Tag stumm und regungslos, wie die Statue des Schmerzes, knieend und betend, am Kopfende des Grabes.

Als es abend wurde, stieg sie langsam von dem Hügel der Gärten herab, folgte, ohne rückwärts zu blicken, dem Weg in das Tal der Egeria und kehrte zum letztenmal in die Katakomben zurück.

Epaphroditus und Sporus fand man tot nebeneinander in der Höhle liegen und zwischen ihnen die goldene Kapsel. Sie hatten den Inhalt brüderlich geteilt, und das Gift, das für Nero bereitet war, hatte für sie beide gereicht.


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