Alexander Dumas d. Ä.
Akte
Alexander Dumas d. Ä.

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VIII.

Akte nahm einen Schleier und Mantel um und folgte Sporus. Nachdem sie einige Gänge des Palastes, welche die Bewohnerin noch nicht kannte, durchschritten hatten, öffnete ihr Führer eine Türe mit einem goldenen Schlüssel, den er der jungen Griechin übergab, damit sie allein zurückkehren könne. Sie waren in die Gärten des goldenen Hauses gelangt. Akte glaubte sich außerhalb der Stadt zu befinden, so weit und prächtig dehnte sich der Horizont vor ihr aus. Zwischen den Bäumen hindurch bemerkte sie ein Wasserbassin, so groß wie ein See; jenseits desselben erschien über dichtem Gebüsch in blauer Ferne vom Mondlicht versilbert die Säulenhalle eines Palastes. Die Luft war klar, kein Wölkchen trübte das flüssige Azurblau des Himmels. Der See glich einem weiten Spiegel, und das ferne Geräusch von Rom begann schon im Raum zu ersterben. Sporus und das junge Mädchen, beide weiß gekleidet, schritten stillschweigend durch die prachtvolle Landschaft wie zwei irrende Schatten durch die elyseischen Felder. An den Ufern des Sees und auf den weiten Rasenstrecken, welche sie umgaben, weideten ganze Herden wilder Gazellen wie in den Einöden Afrikas, während auf künstlichen Ruinen, die an die alte Heimat erinnerten, große, weiße Vögel ernst umherstanden wie Schildwachen und in regelmäßigen Zwischenräumen einen rauhen, eintönigen Schrei hören ließen. Als sie den See erreicht hatten, sprang Sporus in einen Nachen und lud Akte durch ein Zeichen ein, ihm zu folgen. Dann entfaltete er ein kleines Purpursegel, und wie durch Zauber glitt das Boot über das Wasser hin, an dessen Oberfläche die Schuppen der seltensten Goldfische aus dem Indischen Ozean glänzten. Diese nächtliche Wasserfahrt erinnerte Akte an ihre Reise auf dem Jonischen Meer. Ihre Augen blieben auf dem Sklaven haften, und sie staunte von neuem über die wunderbare Ähnlichkeit zwischen Bruder und Schwester, die sie schon bei Sabina überrascht hatte. Der junge Mann saß ihr mit gesenkten Augen schüchtern gegenüber; er schien den Blick seiner früheren Wirtin zu meiden und lenkte als stummer Steuermann den Nachen. Akte brach zuerst das Schweigen.

Sabina hat mir gesagt, du seist in Korinth geblieben, Sporus, sagte sie; Sabina hat mich also getäuscht?

Sabina hat dir die Wahrheit gesagt, Herrin, antwortete der Sklave; aber ich habe es nicht lange fern von Lucius aushalten können. Ein Schiff segelte nach Kalabrien, da habe ich mich eingeschifft, und anstatt durch die Meerenge von Messina zu fahren landete es in Brindisi. Ich folgte der appischen Straße, und obwohl ich zwei Tage nach dem Kaiser abreiste, kam ich doch zu gleicher Zeit mit ihm in Rom an.

Sabina hat sich gewiß sehr gefreut, dich wiederzusehen?

Ja, gewiß, sagte Sporus, denn wir sind nicht nur Geschwister, sondern auch Zwillinge.

Nun wohl! sage Sabina, daß ich sie sprechen will und daß sie mich morgen früh besuchen soll.

Sabina ist nicht mehr in Rom, antwortete Sporus.

Und warum hat sie es verlassen?

Es war der Wille des göttlichen Kaisers.

Wo ist sie hingegangen?

Ich weiß es nicht.

So ehrfurchtsvoll die Stimme des Sklaven klang, machte sich darin doch ein gewisses Zögern, etwas Gezwungenes bemerkbar, das Akte verhinderte, weitere Fragen an ihn zu richten. Auch waren sie eben an dem Ufer des Sees angekommen, und nachdem Sporus den Nachen ans Land gezogen hatte und Akte ausgestiegen war, ging er weiter. Die junge Griechin folgte ihm von neuem schweigend und beschleunigte ihren Schritt, denn sie traten jetzt in ein Pinien- und Sykomorenwäldchen ein, dessen dichtes Gezweig die Nacht so verdüsterte, daß sie, von Furchtgefühl ergriffen, sich unwillkürlich ihrem Begleiter näherte, obwohl sie wußte, daß sie von ihm keine Hilfe zu erwarten habe. Wirklich ließen sich nach kurzen Zwischenpausen seltsame Klagetöne hören, die aus dem Innern der Erde heraufzukommen schienen; endlich war ganz deutlich der Schrei einer menschlichen Stimme zu unterscheiden. Das Mädchen erzitterte und legte ihre Hand auf die Schulter des Sporus.

Was ist das? fragte sie.

Nichts, antwortete der Sklave.

Aber ich habe doch etwas zu hören geglaubt, fuhr Akte fort.

Ein Stöhnen, ja, wir gehen an den Gefängnissen vorüber.

Was sind dort für Gefangene?

Es sind Christen, die für den Zirkus aufbewahrt werden.

Akte ging mit raschen Schritten weiter, denn als sie an einem Kellerfenster vorüberkamen, hörte sie wirklich die klagendsten und schmerzvollsten Laute der menschlichen Stimme daraus hervordringen, und obwohl die Christen immer, wenn sie von ihnen sprechen hörte, als eine ruchlose, schuldbeladene Sekte geschildert wurden, deren Mitglieder sich allen möglichen Ausschweifungen und Verbrechen hingaben, empfand sie doch jenes schmerzliche Mitgefühl, das man auch Schuldigen entgegenbringt, die eines schrecklichen Todes sterben müssen. Sie beeilte sich, aus dem verhängnisvollen Wald herauszukommen. Als sie seinen Saum erreicht hatte, sah sie den erleuchteten Palast vor sich liegen, aus dem ihr der Klang von Instrumenten entgegentönte. Aber da das Licht und die Melodie auf Finsternis und Klagetöne folgten, trat sie zwar mit sichereren Schritten, aber mit weniger Lebhaftigkeit, als ihr gewöhnlich eigen war, in die Vorhalle ein.

Hier blieb Akte einen Augenblick geblendet stehen. Niemals hätte auch der Feenglaube eines Kindes solche zauberhafte Pracht erträumen können. Diese Vorhalle, die ganz von Bronze, von Gold und Elfenbein schimmerte, war so weit, daß sie eine dreifache Säulenreihe umgab, die einen Portikus von tausend Schritt Länge bildete, und so hoch, daß sich in ihrer Mitte eine hundertundzwanzig Fuß hohe Statue von Zenodorus erhob, die den Kaiser stehend, in der Haltung eines Gottes, darstellte. Akte ging mit Schaudern daran vorüber. Was für eine furchtbare Macht besaß dieser Mann, der von sich eine Bildsäule anfertigen ließ, die dreimal größer war als die des olympischen Jupiter, der zu seinen Spaziergängen Gärten und Teiche hatte, die Wäldern und Seen glichen, und zu seiner Erholung und Zerstreuung Gefangene, die er den Löwen und Tigern vorwarf! In diesem Palast waren alle Gesetze des menschlichen Lebens umgekehrt. Eine Bewegung, ein Zeichen, ein Blick dieses Mannes genügte, um eine Person, eine Familie, ein Volk von der Erde verschwinden zu lassen, ohne daß ein Hauch sich der Ausführung seines Willens widersetzte, ohne daß man eine andre Klage hörte, als den Schrei der Sterbenden, ohne daß etwas im Lauf der Natur erschüttert worden wäre, daß die Sonne sich verfinstert oder der Blitz verkündet hätte, daß über den Menschen ein Himmel sich spannt und Götter walten über den Kaisern!

Von tiefem Angstgefühl beklommen, stieg Akte die Treppe empor, die zu Lucius' Gemächern führte. Solche Macht hatte der Eindruck des Schreckens über sie gewonnen, daß sie, als sie oben angekommen waren und Sporus den Schlüssel umdrehen wollte, ihn zurückhielt, indem sie sich mit einer Hand auf seine Schulter stützte, während sie mit der andern nach ihrem Herzen griff, das zu zerspringen drohte. Endlich, nachdem sie sich etwas erholt hatte, bedeutete sie Sporus, daß er die Türe öffnen möge. Der Sklave gehorchte, und sie sah Lucius mit einer einfachen, weißen Tunika bekleidet und einem Olivenzweig geschmückt im Hintergrund des Saales halb ausgestreckt auf einem Ruhebett liegen. Da verschwand jede traurige Erinnerung aus ihrem Gedächtnis. Sie hatte geglaubt, daß eine Veränderung mit dem Manne vorgegangen sein müßte, seit sie wußte, daß er der Beherrscher der Welt war. Aber mit dem ersten Blick erkannte sie Lucius, den schönen, jungen Mann mit dem goldenen Bart, den sie in das Haus ihres Vaters geführt hatte. Der Cäsar war verschwunden, den olympischen Sieger hatte sie wiedergefunden. Sie wollte ihm entgegeneilen, aber inmitten des Weges versagte ihr die Kraft, sie sank auf ein Knie und streckte die Hände nach ihrem Geliebten aus, indem sie kaum die Worte hervorbrachte:

Lucius, immer Lucius, nicht wahr? . . .

Ja, ja, meine schöne Korintherin, beruhige dich! antwortete der Cäsar mit sanfter Stimme, indem er sie durch ein Zeichen aufforderte, zu ihm zu kommen; immer Lucius! Nicht wahr, unter diesem Namen hast du mich geliebt, geliebt um meinetwillen und nicht um meiner Herrschaft und meiner Krone willen, wie alle die, welche mich umgeben? Komm zu mir, Akte, erhebe dich! Die Welt soll zu meinen Füßen liegen, aber du in meinen Armen!

Oh! ich wußte es wohl! rief Akte aus, indem sie sich ihrem Geliebten um den Hals warf; ich wußte es wohl, daß es nicht wahr ist, daß mein Lucius böse sei!

Böse! entgegnete Lucius, wer hat dir das gesagt?

Nein, nein, unterbrach ihn Akte, vergib mir! Man glaubt zuweilen, daß der Löwe, der edel und mutig ist wie du und König ist unter den Tieren, wie du der Kaiser bist unter den Menschen, man glaubt zuweilen, daß der Löwe grausam sei, weil er seine Kraft nicht kennt und mit einer Liebkosung tötet. O, mein Löwe, nimm deine Gazelle in acht! . . .

Fürchte nichts, Akte, antwortete der Cäsar lächelnd; der Löwe erinnert sich seiner Krallen und Zähne nur denen gegenüber, die mit ihm kämpfen wollen. Komm, du siehst, er schmiegt sich dir zu Füßen wie ein Lamm.

Ich fürchte auch Lucius nicht! Oh! Lucius ist für mich mein Gast, mein Geliebter, derjenige, der mich meiner Heimat, meinem Vater entführt hat, und der mir durch Liebe ersetzen soll, was er mir an Reinheit geraubt hat; aber ich fürchte . . . – Sie zögerte. Lucius ermutigte sie durch ein Zeichen. – Ich fürchte den Cäsar, welcher Oktavia verbannt hat . . . und Nero, den künftigen Gemahl der Poppäa! . . .

Du hast meine Mutter gesehen! rief Lucius, indem er mit einem Sprung auf den Füßen stand und Akte in die Augen sah; du hast meine Mutter gesehen!

Ja, erwiderte das Mädchen zitternd.

Ja, fuhr Nero bitter fort; und sie hat dir gesagt, daß ich grausam sei, nicht wahr? daß ich von Jupiter nichts habe, als den verzehrenden Blitz? Sie hat dir von dieser Oktavia gesprochen, welche sie beschützt, und die ich hasse; die sie mir gegen meinen Willen aufgedrungen hat, und von der ich mich nur mit Mühe befreien konnte! . . . deren unfruchtbare Liebe nichts für mich übrig hatte als geduldige und erzwungene Liebkosungen! . . . Oh! man täuscht sich, und man hat unrecht, wenn man glaubt, bei mir etwas zu erreichen, indem man mir mit Bitten oder Drohungen zusetzt. Ich habe diese Frau vergessen wollen, die letzte einer verfluchten Rasse! Man soll mich nicht mehr an sie erinnern! . . .

Kaum hatte Lucius diese Worte ausgesprochen, so war er erschrocken über den Eindruck, den sie auf Akte hervorbrachten. Sie war mit erblaßten Lippen und tränenvollen Augen auf die Kissen des Ruhebettes gesunken und zitterte vor dem Zorn, dessen ersten Ausbruch sie eben erlebt hatte. In der Tat hatte die Stimme, die erst so sanft klang und die geheimsten Saiten ihres Herzens rührte, mit einem Male einen schrecklichen, unheilverkündenden Ausdruck angenommen, und die Augen, in denen sie bisher nur Liebe gelesen, schleuderten fürchterliche Blitze, vor welchen Rom sein Angesicht verhüllte.

O mein Vater, mein Vater! jammerte Akte unter Tränen; o mein Vater, vergib mir! . . .

Ja, Agrippina wird dir gesagt haben, daß du für deine Liebe genug bestraft seist durch meine Liebe, sie wird dir entdeckt haben, was für ein reißendes Tier du liebst; sie wird dir den Tod des Britannikus erzählt haben! den des Julius Montanus! Was weiß ich sonst noch? Aber sie wird sich wohl gehütet haben, dir zu sagen, daß der eine mir den Thron nehmen wollte, und der andre mich mit dem Stock ins Gesicht schlug. Ich begreife es, das Leben meiner Mutter ist ja so rein!

Lucius, Lucius! rief Akte, schweige; im Namen der Götter flehe ich, schweige doch!

Oh! fuhr Nero fort, sie hat dich nur zur Hälfte in unsere Familiengeheimnisse eingeweiht. Wohlan denn! so höre auch das übrige. Diese Frau, die mir den Tod eines Kindes und eines Elenden zum Vorwurf macht, wurde von Kaligula wegen ihres liederlichen Lebenswandels verbannt, obwohl ihr Bruder keineswegs streng auf gute Sitten hielt. Als Klaudius den Thron bestieg, wurde sie zurückgerufen und mit Crispus Passienus, einem Patrizier aus vornehmem Geschlecht, vermählt, der die Unvorsichtigkeit hatte, ihr ungeheure Reichtümer zu verschreiben, und den sie ermorden ließ, weil er ihr zu lange lebte. Dann begann der Kampf zwischen ihr und Messalina. Diese unterlag. Klaudius war der Siegespreis. Agrippina wurde die Geliebte ihres Oheims; jetzt faßte sie den Plan, die Regierung in meinem Namen zu führen. Oktavia, die Tochter des Kaisers, war mit Silanus verlobt. Sie ließ Silanus am Fuße des Altars ergreifen und stellte falsche Zeugen auf, die ihn der Blutschande anklagten. Silanus tötete sich selbst, und Oktavia ward Witwe. Noch weinend stieß man sie in meine Arme, und ich mußte sie zur Gattin nehmen, obwohl ihr Herz von einer anderen Liebe erfüllt war. Da versuchte eine Frau, Agrippina den Besitz ihres schwachsinnigen Geliebten streitig zu machen. Dieselben Zeugen, die Silanus der Blutschande angeklagt hatten, beschuldigten Lollia Paulina der Zauberei. Lollia Paulina galt für die schönste Frau ihrer Zeit. Kaligula hatte sie geheiratet und sie den Römern gezeigt nur mit einem Geschmeide von Smaragden und Perlen bedeckt, das vierzig Millionen Sesterzien kostete; sie starb langsam unter Qualen. Jetzt war der Weg zum Throne frei. Die Nichte heiratete ihren Oheim. Ich wurde von Klaudius an Kindesstatt angenommen, und der Senat gab Agrippina den Titel der Erlauchten. Warte, das ist noch nicht alles, fuhr Nero fort, indem er Aktes Hände von deren Ohren entfernte, die sie zuhielt, um nicht anhören zu müssen, wie der Sohn die Mutter anklagte. Eines Tages geschah es, daß Klaudius eine Ehebrecherin zum Tode verurteilte. Dieses Urteil ließ Agrippina und Pallas erzittern. Am folgenden Tag aß der Kaiser auf dem Kapitol mit Priestern, da bot ihm Halotus eine Platte mit Champignons, die Lokuste gewürzt hatte, und da die Dosis nicht stark genug gewesen war, und der Kaiser ausgestreckt auf dem festlichen Ruhebett mit dem Tode rang, steckte ihm sein Arzt Xenophon eine vergiftete Feder in den Hals unter dem Vorwand, daß er das unbekömmliche Gericht erbrechen müsse.

So wurde Agrippina zum dritten Male Witwe. Nicht wahr, diesen Teil ihrer Geschichte hat sie mit Stillschweigen übergangen? Sie hat erst damit angefangen, wo sie mich auf den Thron setzte und meinte, in meinem Namen herrschen zu können. Sie sollte der Körper sein und ich der Schatten, sie die Wirklichkeit und ich ein Gespenst, und so war es wirklich einige Zeit. Sie hatte eine prätorianische Leibwache, sie führte den Vorsitz im Senat, sie fällte die Urteile. Den freigelassenen Narciß ließ sie zum Tode verurteilen und den Prokonsul Julius Silanus vergiften. Als ich so viele Hinrichtungen sah, beklagte ich mich eines Tages, daß sie mir nichts zu tun übrig lasse. Sie antwortete mir, daß ich noch zu viel tue für einen Fremden, für einen Adoptivsohn, und daß glücklicherweise durch ihre und der Götter Fürsorge das Leben des Britannikus erhalten geblieben sei . . . Ich schwöre dir, wie sie mir das sagte, dachte ich ebensowenig an den Knaben, als ich heute an Oktavia dachte; aber diese Drohung war der eigentliche Todesstoß für ihn und nicht das Gift, das ich ihm gab. Auch lag mein Verbrechen nicht darin, daß ich Mörder geworden bin, sondern darin, daß ich Kaiser sein wollte! . . . Habe Geduld, ich bin gleich zu Ende. Dann – hörst du wohl, Mädchen, dessen Liebe ganz rein und keusch ist – dann versuchte sie, als Geliebte über mich jene Herrschaft wiederzugewinnen, die sie als Mutter verloren hatte.

Oh! schweige doch! rief Akte entsetzt.

Ah! du sprachst mir von Oktavia und Poppäa und ahntest nicht, daß du eine dritte Rivalin hast.

Schweige, schweige! . . .

Nicht in der Stille der Nacht, in dem geheimnisvollen Dunkel eines abgelegenen Zimmers kam sie zu mir in dieser Absicht; nein, es geschah bei einem Festmahl, im Angesicht meines ganzen Hofstaates. Seneka war dabei und Burrus, Paris und Phaon, alle waren sie dabei. Sie trat herein, mit Blumen geschmückt und halb entkleidet, umflutet von Licht und umrauscht von lockender Musik. Damals war es, wo ihre Feinde, erschrocken über ihre Pläne und ihre Schönheit, – denn sie ist schön! – Poppäa zwischen sie und mich schoben. Was sagst du nun zu meiner Mutter, Akte?

Schändlich, schändlich, murmelte das Mädchen, indem sie ihr vor Scham errötetes Gesicht mit den Händen bedeckte.

Ja, nicht wahr, wir sind eine besondere Rasse? Weil uns die Menschen nicht mehr menschenwürdig finden, machen sie uns zu Göttern. Mein Oheim erstickte seinen Vormund mit einem Kopfkissen und seinen Schwiegervater im Bade. Mein Vater stach einem Ritter mitten auf dem Forum mit einem Stock ein Auge aus; auf der appischen Straße überfuhr er mit seinem Wagen einen jungen Römer, der nicht schnell genug zur Seite ging; und eines Tages erdolchte er bei Tisch neben dem jungen Cäsar, den er in den Orient begleitete, seinen Freigelassenen mit dem Messer, das ihm zum Schneiden diente, weil er nicht trinken wollte. Von meiner Mutter habe ich dir schon gesprochen. Sie hat den Passienus getötet, den Silanus, die Lollia Paulina, den Klaudius, und endlich wollte sie mich töten, mich zuletzt, mich, mit dem der Name erlischt; wenn ich mehr der gerechte Kaiser wäre als der fromme Sohn, so würde ich sie töten! . . .

Akte stieß einen erschütternden Schrei aus und fiel auf ihre Knie, indem sie die Arme gegen den Cäsar ausbreitete.

Nun! was machst du? fuhr Nero lächelnd fort mit einem sonderbaren Ausdruck, du nimmst für Ernst, was nur ein Scherz ist. Einige Verse sind mir im Gedächtnis geblieben, seit ich zum letzten Male die Rolle des Muttermörders Orestes gesungen habe, sie haben sich in meine Prosa gemischt. Beruhige dich nur, du mein törichtes Kind. Oder bist du hierher gekommen, um zu zittern und zu fürchten? Habe ich dich rufen lassen, daß du dir die Knie wund machen und die Arme verrenken sollst? Komm, erhebe dich: Bin ich denn Cäsar? Bin ich denn Nero? Ist Agrippina meine Mutter? Du hast das alles nur geträumt, meine schöne Korintherin. Ich bin Lucius, der Athlet, der Wagenlenker, der Sänger, der mit süßer Stimme zur goldenen Leier singt, das ist alles.

Oh! antwortete Akte, indem sie ihren Kopf auf seine Schulter legte. Oh! Es ist so, zuweilen möchte ich glauben, daß ich unter der Herrschaft eines Traumes stehe, und daß ich im Hause meines Vaters erwachen werde, wenn ich nicht im Grunde meines Herzens die tiefe Wirklichkeit meiner Liebe spürte. O Lucius, Lucius, spiele nicht so mit mir. Siehst du denn nicht, daß ich an einem Faden über dem Abgrund der Hölle schwebe? Habe Mitleid mit meiner Schwachheit; mache mich nicht toll.

Und woher kommt die Angst und dieser Schrecken? Hat sich meine schöne Helena über ihren Paris zu beklagen? Ist der Palast, den sie bewohnt, nicht prächtig genug? Dann will ich ihr einen anderen bauen lassen mit silbernen Säulen und goldenen Kapitälen. Haben es die Sklaven, die sie bedienen, an Ehrerbietung fehlen lassen? Es steht ihr das Recht zu über Leben und Tod. Was will sie? Was wünscht sie? Alles, was ein Mann, ein Kaiser, ein Gott gewähren kann, mag sie verlangen, und sie wird es erhalten!

Ja, ich weiß, daß du allmächtig bist, ich glaube, daß du mich liebst, und ich hoffe, daß du mir alles gewähren wirst, was ich von dir erbitte, alles, ausgenommen die Seelenruhe, die innige Überzeugung, daß Lucius mir gehört und ich ihm. Eine ganze Seite deiner Persönlichkeit, ein Teil deines Lebens entzieht sich mir, hüllt sich in Dunkel und verliert sich in Nacht. Rom, das Kaiserreich, die Welt verlangt nach dir. Mir gehörst du nur für den Augenblick, wo ich dich berühre. Du hast Geheimnisse; deinen Haß kann ich nicht teilen, und deine Liebe soll ich nicht kennen. Mitten hinein in unsere zärtlichsten Liebesergüsse, in unsere süßesten Zwiesprachen, in unsere vertraulichsten Stunden, wird sich eine Tür öffnen wie eben jetzt, und ein Freigelassener mit unbeweglichem Gesicht wird dir ein geheimnisvolles Zeichen machen, von dem ich nichts verstehen kann und darf. Siehst du, jetzt fängt meine Lehrzeit an.

Was willst du, Anicetus? sagte Nero.

Diejenige, welche der göttliche Cäsar hat rufen lassen, ist da und erwartet ihn.

Sage ihr, daß ich kommen werde, erwiderte der Kaiser. Der Freigelassene ging hinaus.

Siehst du wohl? antwortete Akte, indem sie ihn traurig ansah.

Erkläre dich deutlicher, sagte Nero.

Eine Frau ist draußen?

Gewiß.

Und ich habe dich zittern sehen, wie man sie angemeldet hat.

Zittert man nur aus Liebe?

Diese Frau, Lucius! . . .

Sprich, ich warte.

Diese Frau . . .

Nun wohl, diese Frau?

Diese Frau heißt Poppäa?

Du irrst dich, antwortete Nero, diese Frau heißt Lokuste.Lokuste war die berüchtigtste Giftmischerin der ersten römischen Kaiserzeit, deren Name für die Ausübung ihres schändlichen Gewerbes sprichwörtlich geworden ist.

 


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