Alexander Dumas d. Ä.
Akte
Alexander Dumas d. Ä.

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IX.

Nero erhob sich und folgte dem Freigelassenen; nach einigen Wendungen in den geheimen Gängen, die nur dem Kaiser und seinen treusten Sklaven bekannt waren, traten sie in ein kleines Zimmer ohne Fenster, das Licht und Luft von oben erhielt. Auch war die Öffnung weniger dazu eingerichtet, das Gemach zu erhellen, als den Dampf abziehen zu lassen, der zu gewissen Zeiten von den bronzenen Feuerbecken aufstieg, die jetzt kalt waren, auf denen jedoch die Kohlen bereit lagen und nur den belebenden Funken und den Luftzug erwarteten. In dem Zimmer standen ringsum Instrumente umher von Steingut und Gläser in seltsam länglichen Formen, wie wenn ein launischer Künstler sie nach dunklen Erinnerungen an wunderliche Vogel- und unbekannte Fischformen modelliert hätte. Gefäße von verschiedenen Größen und sorgsam mit Deckeln verschlossen, auf denen man rätselhafte Schriftzeichen bemerkte, waren auf runden Tischchen aufgestellt und umzogen das Laboratorium wie die geheimnisvollen Binden die Körper der Mumien, und darüber hingen an goldenen Nägeln getrocknete und frische Pflanzen.

Diese wunderlichen Gefäße enthielten alles, was geheime Wissenschaft und Aberglaube des Altertums von tödlichen Giften wie von Verjüngungs- und andern Zaubermitteln kannte.

Eine schwarzgekleidete Frau, deren Gewand bis zur Höhe des Knies mit einem Karfunkelstein aufgerafft war, und die in der Hand als Wünschelrute eine Haselgerte hielt, erwartete Nero in diesem Zimmer. Sie saß in so tiefe Träumereien versunken, daß sie den Eintritt des Kaisers nicht bemerkte. Nero ging auf sie zu, und je näher er ihr kam, desto mehr drückten seine Mienen Furcht, Abscheu, Verachtung aus. Als er vor ihr stand, machte er Anicetus ein Zeichen, und dieser berührte die Schulter der Frau, die den Kopf erhob und die Haare aus dem Gesicht entfernte, die, weder von einem Kamm noch von einem Band zurückgehalten, jedesmal frei herabfielen und ihr Gesicht wie mit einem Schleier verhüllten, wenn sie das Haupt neigte. Jetzt konnte man das Gesicht der Zauberin sehen. Es waren die Züge einer Frau von fünfunddreißig bis siebenunddreißig Jahren, die schön gewesen sein mußte, aber die vor der Zeit verblüht war durch schlaflose Nächte, Ausschweifungen und vielleicht Gewissensbisse.

Sie richtete zuerst das Wort an Nero, ohne sich zu erheben und ohne etwas anderes zu bewegen als die Lippen.

Was willst du noch von mir? fragte sie ihn.

Vor allem, sagte Nero; erinnerst du dich des Vergangenen?

Frage Theseus, ob er sich der Unterwelt erinnert.

Du weißt noch, wovon ich dich erlöst habe. Aus einem ungesunden Gefängnis habe ich dich genommen, wo du langsam hinstarbst, wo du im Schmutz verkamst und dir die Reptilien über die Hände und das Gesicht krochen.

Es war so kalt, daß ich sie nicht fühlte.

Ein schönes Haus habe ich dir bauen lassen, das ich schmückte wie für eine Geliebte; man nannte dein Gewerbe ein Verbrechen, ich habe es eine Kunst genannt. Man verfolgte deine Mitschuldigen, ich gab dir Schüler.

Und ich gab dir dafür die Hälfte der Macht Jupiters. Ich habe den Tod, den tauben und blinden Sohn des Schlafes und der Nacht, dir untertan gemacht.

Es ist gut, ich sehe, daß du daran denkst; ich habe dich rufen lassen.

Wer soll denn sterben?

Das mußt du erraten, denn sagen kann ich es nicht. Es ist ein zu mächtiger und zu gefährlicher Feind, als daß ich seinen Namen selbst der Statue der Verschwiegenheit anvertrauen könnte. Habe nur acht, daß das Gift nicht langsam wirkt, wie bei Klaudius, oder versagt, wie bei dem ersten Versuch mit Britannikus. Es muß plötzlich töten und dem, der es genossen hat, keine Zeit mehr lassen, auch nur ein Wort auszusprechen oder eine Bewegung zu machen. Es muß ein Gift sein, wie wir es hier bereitet und an dem Eber erprobt haben.

Oh! sagte Lokuste, es ist nichts leichter als dieses Gift zu bereiten und ein viel schrecklicheres noch, wenn du willst. Aber damals, als ich dir jenes gab, von dem du sprichst, wußte ich, für wen ich es bereitete. Es war für ein argloses Kind, und da konnte ich für den Erfolg einstehen, aber es gibt Menschen, auf die das Gift keine Wirkung mehr hat, weil sie ihren Magen nach und nach daran gewöhnt haben, die giftigsten Pflanzensäfte und die tödlichsten Pulver zu ertragen. Wenn meine Kunst es unglücklicherweise mit einer so geschützten Person zu tun bekäme, bliebe der Erfolg aus, und du würdest sagen, ich habe dich getäuscht.

Und, fuhr Nero fort, ich würde dich wieder in jenes Gefängnis werfen und dir deinen früheren Gefängniswärter Pollio Julius zum Hüter setzen. Ja, das würde ich tun; sieh dich also vor!

Nenne mir den Namen des Opfers, und ich werde dir für den Erfolg einstehen.

Ich habe dir schon gesagt, daß ich ihn weder sagen kann noch will. Hast du keine dienstbaren Geister, um das Unbekannte zu entdecken, kennst du keinen Zauber, sie zu beschwören und zu befragen? Suche und forsche! Ich werde dir nichts sagen, aber ich hindere dich nicht am Erraten.

Hier kann ich nichts erreichen.

Du bist keine Gefangene.

In zwei Stunden werde ich wiederkommen.

Ich ziehe vor, dich zu begleiten.

Selbst auf den Esquilin?

Überall hin.

Und kommst du allein mit?

Allein, wenn es sein muß.

So komm.

Nero machte dem Anicetus ein Zeichen, daß er sich zurückziehen könne, und verließ mit Lokuste das goldene Haus, scheinbar nur mit seinem Schwert bewaffnet. Es wird jedoch auch überliefert, daß er Tag und Nacht einen Schuppenpanzer auf der Haut getragen habe, der ihm die Brust beschützte und der so geschickt gearbeitet war, daß er jeder Bewegung des Körpers nachgab und den schärfsten Waffen wie dem stärksten Arme standhielt.

Sie schritten durch die dunklen Straßen Roms, ohne daß ein Sklave voranleuchtete, bis zum Velabrum, wo das Haus der Lokuste lag. Die Magierin klopfte mit drei Schlägen an, eine alte Frau, die ihr zuweilen bei ihren Zauberbereitungen behilflich war, öffnete die Türe und trat lächelnd zur Seite, als sie den schönen, jungen Mann vorübergehen sah, der gewiß einen Liebestrank bestellen wollte.

Lokuste öffnete die Türe zu ihrer Werkstätte, trat zuerst hinein und lud den Kaiser durch ein Zeichen ein, ihr zu folgen.

Ein seltsames Gemisch von häßlichen und wunderlichen Dingen bot sich hier den Blicken des Kaisers. Ägyptische Mumien und etruskische Skelette waren an den Wänden aufgerichtet; Krokodile und Fische von sonderbarer Gestalt schwebten an unsichtbaren Eisendrähten von der Decke herab; auf Piedestalen standen Wachsfiguren von verschiedener Größe und verschiedenem Aussehen umher, in deren Herzen Nadeln und Dolche steckten. Mitten unter diesen merkwürdigen Apparaten flatterte geräuschlos eine aufgescheuchte Eule herum, deren Augen jedesmal, wenn sie sich niedersetzte, wie zwei glühende Kohlen leuchteten, und deren Schnabel vor Angst zusammenschlug. In einer Ecke des Zimmers blökte traurig ein schwarzes Schaf, als erriete es das Schicksal, das seiner wartete. In diesem mannigfachen Geräusch unterschied Nero bald Klagetöne; er blickte aufmerksam umher und bemerkte auf dem Fußboden einen Gegenstand, dessen Umriß er zuerst nicht deutlich erkennen konnte. Es war ein menschlicher Kopf ohne Körper, dessen Augen jedoch zu leben schienen; um seinen Hals ringelte sich eine Schlange, deren schwarze, bewegliche Zunge bald unruhig nach dem Kaiser hinzüngelte, bald in eine Schale mit Milch tauchte. Um diesen Kopf hatte man wie zum Hohn allerhand Gerichte und Früchte aufgestellt; übrigens blieb der Kaiser nicht lange im Zweifel; es war eben dieser Kopf, von dem die klagenden Töne herkamen.

Jetzt begann Lokuste, ihren Zauber zu bereiten. Nachdem sie das ganze Haus mit Wasser aus dem Avernischen See, dem Ursitz etruskischer Zauberkunst, besprengt hatte, zündete sie ein Feuer an mit Sykomoren- und Cypressenzweigen, die auf Gräbern gepflückt waren, warf Eulenfedern hinein, die sie in Krötenblut getaucht hatte, und Kräuter aus Jolkos und Iberien. Dann kauerte sie vor dem Feuer nieder und murmelte unverständliche Worte; als es zu verlöschen begann, blickte sie um sich, als suche sie etwas, das ihre Augen nicht gleich finden konnten. Dann ließ sie ein eigenes Pfeifen hören, worauf die Schlange ihren Kopf emporrichtete; gleich darauf pfiff sie zum zweiten Mal, da streckte sich das Tier langsam aus; endlich ließ sie das Pfeifen zum dritten Mal hören; als folge es diesem Ruf nur gezwungen, kroch das gehorsame Tier scheu und furchtsam zu ihr hin. Sie ergriff es am Halse und näherte seinen Mund der Flamme; sogleich ringelte die Schlange ihren ganzen Körper um den Arm der Magierin und stieß nun ihrerseits pfeifende Schmerzenslaute aus. Aber Lokuste hielt den Kopf immer noch näher an das Feuer, bis sich der Rachen mit weißem Schaum bedeckte. Drei oder vier Tropfen von diesem Geifer fielen auf die Asche, das war es, was Lokuste gewollt hatte, denn jetzt ließ sie das Reptil los, das schnell entfloh, an dem Bein eines Skelettes emporhuschte und sich in der Brusthöhle verkroch, wo man es noch einige Zeit zwischen den Knochen hindurch, die es wie ein Käfig umgaben, vor Schmerzen zucken sah.

Jetzt sammelte Lokuste die Asche und die glühenden Kohlen in ein Tuch von Asbest, ergriff das schwarze Schaf an einem Strick, der ihm um den Hals hing, und da sie offenbar das vollendet hatte, was sie nur zu Hause vollbringen konnte, wandte sie sich zu Nero, der ihrem Tun mit der Unbeweglichkeit einer Statue zugeschaut hatte, und fragte, ob er immer noch die Absicht habe, sie auf den Esquilin zu begleiten. Nero machte ihr ein Zeichen mit dem Kopfe. Lokuste ging hinaus, der Kaiser folgte ihr. Im Augenblick, wo er die Türe schließen wollte, hörte er eine Stimme, die in so schmerzensvollen Lauten um Mitleid flehte, daß er gerührt wurde und Lokuste zurückhalten wollte. Aber diese antwortete, daß die geringste Verzögerung die Beschwörung unwirksam mache, und daß sie genötigt sei, allein zu gehen, oder das Unternehmen auf den folgenden Tag zu verschieben, wenn der Kaiser sie nicht augenblicklich begleite. Nero schlug die Türe zu und beeilte sich, ihr zu folgen; übrigens waren ihm diese Geheimnisse der Wahrsagerin nicht fremd; er wußte schon, was der grausige Kopf bedeutete. Er gehörte einem Kinde, das bis zum Halse eingegraben war, und das Lokuste angesichts der Gerichte, die es nicht erreichen konnte, Hungers sterben ließ, damit sie nach seinem Tode aus dem Mark seiner Knochen und aus dem von Gier und Wut erfüllten Herzen jene Liebestränke bereiten konnte, welche die reichen Wüstlinge Roms oder die Geliebten der Kaiser zuweilen mit einem Preis bezahlten, für den man eine Provinz hätte kaufen können.

Nero und Lokuste schlichen wie zwei Schatten eine Zeit lang durch die gekrümmten Straßen des Velabrums, dann verschwanden sie rasch und schweigend hinter der Mauer des großen Zirkus und erreichten den Fuß des Esquilin. In diesem Augenblick stieg der Mond in seinem ersten Viertel hinter dem Hügel empor, und von dem versilberten Azurblau des Himmels hoben sich die zahlreichen Kreuze ab, an welche die Körper der Diebe, der Mörder und der Christen genagelt waren, die hier auf einer Richtstätte vereinigt wurden. Der Kaiser glaubte zuerst, die Zauberin werde mit einigen dieser Leichen zu schaffen haben, aber sie ging zwischen ihnen durch, ohne sich aufzuhalten, dann machte sie Nero ein Zeichen, daß er sie erwarten möge. Indessen kniete sie an einem kleinen Grabhügel nieder und fing an, wie eine Hyäne mit ihren Nägeln eine Grube in die Erde zu graben. In diese Höhlung goß sie die glühende Asche, die sie mitgebracht hatte, und in der ein vorüberstreichender Windhauch einige Funken entfachte. Dann ergriff sie das schwarze Schaf, das sie zu diesem Zweck hergeführt hatte, öffnete ihm die Schlagader am Hals mit den Zähnen und löschte die Funken mit dem ausströmenden Blut. In diesem Augenblick verschleierte sich der Mond, wie um eine solche Greueltat nicht ansehen zu müssen; aber trotz der Dunkelheit, die sich um den Hügel verbreitete, glaubte Nero vor der Zauberin einen Schatten aufsteigen zu sehen, mit dem sie einige Worte wechselte. Da erinnerte er sich, daß hier der Ort sein mußte, wo die wegen ihrer Mordtaten erhenkte Zauberin Canidie, von der Horaz und Ovid berichten, begraben lag, und er zweifelte nicht mehr, daß es ihr verruchter Geist sei, den Lokuste eben befragte. Gleich darauf schien der Schatten wieder in die Erde zurückzukehren, der Mond trat hinter dem Gewölk hervor, das ihn verdunkelt hatte, und Lokuste kam bleich und zitternd zu Nero heran.

Nun? fragte der Kaiser.

Alle meine Kunst würde vergeblich sein, murmelte Lokuste.

Hast du keine tödlichen Gifte mehr?

Doch, aber sie hat die beherrschenden Gegengifte.

So kennst du die, welche ich verurteilt habe? erwiderte Nero.

Es ist deine Mutter, antwortete Lokuste.

Es ist gut, sagte der Kaiser kalt; dann werde ich ein anderes Mittel finden.

Beide stiegen zusammen von dem verfluchten Hügel herab und verloren sich in den dunklen, verlassenen Straßen, die zum Velabrum und zum Palatin führten.

Am andern Tag erhielt Akte einen Brief von ihrem Geliebten, der sie einlud, nach Bajä abzureisen und den Kaiser zu erwarten, der dort mit Agrippina das Fest der Minerva feiern werde.

 


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