Alexander Dumas d. Ä.
Akte
Alexander Dumas d. Ä.

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X.

Acht Tage waren verflossen seit der Scene, die wir im vorhergehenden Kapitel geschildert haben. Es war zehn Uhr abends; der Mond, der eben am Horizont erschien und langsam hinter dem Vesuv emporstieg, beleuchtete mit seinen Strahlen das ganze Ufer von Neapel. In seinem reinen, hellen Licht erglänzte der Golf von Puzzeoli, den wie eine dunkle Linie die unsinnige Brücke überspannte, die, um eine Prophezeiung des Astrologen Thrasyllus zu erfüllen, der dritte Cäsar Kajus Kaligula von einem Ufer zum andern schlagen ließ. An ihren Grenzen und in der ganzen Ausdehnung des ungeheuren, halbmondförmigen Bogens, den sie von der Landspitze des Posilippo bis zum Kap Misenum bildete, sah man nacheinander wie Sterne am Himmel die Lichter der Städte, Dörfer und Villen verlöschen, die an diesem Ufer zerstreut lagen und sich in den schönen, blauen Wellen spiegelten. Einige Zeit noch glitten durch die Stille verspätete Barken hin, die Fackeln an ihrer Spitze trugen und mit Hilfe eines dreieckigen Segels oder doppelter Ruder in den Hafen von Oenarie, von Procida oder Bajä einliefen. Nachdem die letzte dieser Barken verschwunden war, schien der Golf ganz verlassen und schweigend dazuliegen; allein gegenüber den Gärten des Hortensius, zwischen dem Haus des Julius Cäsar und dem Palast von Bauli, schaukelte ein am Ufer angekettetes Fahrzeug auf den Wogen.

Kein Wölkchen trübte den Himmel, der klar wie das Meer sich ausspannte. Keine Welle kräuselte das Meer, das den Himmel wiederspiegelte. Der Mond, der seine leuchtende Bahn durch den flüssigen Azur hinzog, schien über dem Golf zu verweilen und sich wie im Spiegel zu beschauen. Die letzten Lichter von Puzzeoli waren erloschen, nur der Leuchtturm auf dem Kap Misenum flammte noch auf der Spitze des Vorgebirges, wie eine Fackel in der Hand eines Riesen. Es war eine jener üppigen Nächte, wo Neapel, die schöne Tochter Griechenlands, ihren Orangenblütenduft in die Lüfte haucht und die Wellen um ihren Marmorbusen spielen läßt. Von Zeit zu Zeit klang jenes geheimnisvolle Seufzen durch die Nacht, das die schlummernde Erde zum Himmel sendet, und am östlichen Horizont stieg die weiße Dampfsäule des Vesuv durch die unbewegte Atmosphäre wie eine riesige Alabastersäule, wie ein Trümmerstück, das von einem versunkenen Babel übrig blieb.

Inmitten der Stille und Dunkelheit der Nacht sahen die Matrosen, die in den Barken am Ufer schliefen, plötzlich brennende Fackeln aufleuchten zwischen den Bäumen hindurch, welche den Palast von Bauli halb verdeckten. Sie hörten jubelnde Stimmen dem Ufer nahen, und bald sahen sie aus einem Orangen- und Oleandergebüsch, das an das Ufer grenzte, von hellem Fackellicht umflossen einen lärmenden Zug hervortreten. Sogleich ließ der, welcher der Befehlshaber des größten Schiffes, einer prächtig vergoldeten, blumengeschmückten Trireme, zu sein schien, über die Brücke, die sein Schiff mit dem Ufer verband, einen Purpurteppich ausbreiten und wartete in banger, ehrfurchtsvoller Haltung, denn an der Spitze des Zuges nahte dem Schiffe Cäsar Nero selbst. Er kam, begleitet von Agrippina; die Mutter stützte sich auf den Arm des Sohnes, was seit dem Tode des Britannikus selten geschah; sie lächelten beide und tauschten vertrauliche Reden, so daß sie in bestem Einvernehmen miteinander zu stehen schienen. Bei der Trireme hielt der Zug an; angesichts des ganzen Hofstaates schloß Nero mit nassen Augen seine Mutter in die Arme, bedeckte ihr Gesicht und ihren Hals mit Küssen, wie wenn es ihm schwer fiele, sich von ihr zu trennen. Als sie sich endlich aus seiner Umarmung löste, wandte er sich an den Befehlshaber des Schiffes:

Anicetus, sagte er, du haftest mir mit deinem Kopfe für meine Mutter.

Agrippina überschritt die Brücke und bestieg die Trireme, die sich langsam vom Ufer entfernte und das Vorgebirge umsegelte, das zwischen Bajä und Puzzeoli lag. Nero verließ den Platz nicht; er blieb noch eine Zeit lang an der Stelle, wo er sich verabschiedet hatte, und winkte seiner Mutter Grüße zu, die diese vom Schiff aus erwiderte. Endlich, als sich das Schiff außerhalb der Tragweite seiner Stimme befand, kehrte er nach Bauli zurück, und Agrippina stieg in den Raum des Schiffes hinab, der festlich für sie zugerüstet war.

Kaum hatte sie sich auf dem purpurnen Ruhebett niedergelegt, so wurde der Vorhang zur Seite geschoben, und ein junges Mädchen stürzte bleich und zitternd ihr zu Füßen und rief:

O meine Mutter, meine Mutter, rette mich!

Agrippina erzitterte zuerst vor Überraschung und Furcht, dann erkannte sie die schöne Griechin.

Akte, sagte sie erstaunt, indem sie ihr die Hand reichte, du bist hier auf meinem Schiff und bittest mich um Schutz? Wovon soll ich dich erretten, dich, die du so mächtig bist und mir die Liebe meines Sohnes wiedergegeben hast?

Oh! von ihm, von mir, von meiner Liebe . . . von diesem Hof, der mich erschreckt, von dieser ganzen sonderbaren Welt, die so neu für mich ist.

In der Tat, antwortete Agrippina, du bist während des Festmahles verschwunden, Nero hat nach dir gefragt, hat dich suchen lassen; warum hast du das getan?

Warum? Du fragst noch? Vergib mir! Aber kann es denn eine Frau inmitten einer solchen Orgie aushalten, über die selbst unsere Venuspriesterinnen erröten würden? O, meine Mutter, hast du jene Gesänge nicht gehört? Hast du die schamlosen Kurtisanen nicht gesehen? Diese Gaukler, deren Bewegungen noch mehr als ihnen selbst denen zur Schande gereichen, die ihnen zusehen? Oh! Ich habe ein solches Schauspiel nicht ertragen können. Ich habe mich in die Gärten geflüchtet, aber auch da gab es Dinge, die mich erschreckten. Diese Gärten schienen bevölkert wie ehemals die Wälder. Jeder Brunnen schien von einer unkeuschen Nymphe, jedes Gebüsch von einem schwelgerischen Satyr bewohnt. Kannst du es glauben, meine Mutter? Unter diesen Männern und Frauen habe ich vornehme Matronen und Ritter erkannt. Da entfloh ich aus den Gärten wie aus dem Festsaal. Eine Türe stand offen, die zum Meere hinabführte; ich lief an das Ufer, ich sah die Trireme und erkannte sie als dein Schiff. Ich rief den Matrosen zu, daß ich zu deinem Gefolge gehöre und dich erwarte, da nahmen sie mich auf. Inmitten dieser groben Matrosen und Soldaten befand ich mich wohler als an Neros vom römischen Adel besetzter Tafel.

Armes Kind! Und was erwartest du von mir?

Einen Zufluchtsort in deinem Hause am Lukriner See, eine Stelle unter deinen Sklaven, einen Schleier, der dicht genug ist, die Schamröte auf meiner Stirn zu bedecken.

Willst du denn den Kaiser nicht wiedersehen?

O meine Mutter!

Willst du ihn dem Zufall preisgeben und wie ein verlorenes Schiff auf diesem Meere von Ausschweifungen umhertreiben lassen?

O, meine Mutter, wenn ich ihn weniger liebte, könnte ich vielleicht bei ihm bleiben, aber wie soll ich es mit ansehen, daß er andere Frauen ebenso liebt wie mich oder mehr noch, als ich geliebt zu werden glaubte? Das ist unmöglich! Ich kann nicht so viel hingeben, um so wenig dafür zu erhalten. Inmitten dieser verlorenen Welt würde ich zu Grunde gehen. Ich würde ebenso werden wie diese Frauen, ich würde einen Dolch im Gürtel tragen und Gift in einem Ring, und eines Tages . . .

Was gibt es, Acerronia? unterbrach sie Agrippina, zu einer jungen Sklavin gewendet, die eben eintrat.

Darf ich reden, Herrin? antwortete diese mit erregter Stimme.

Rede.

Wohin wolltest du fahren?

Zu meiner Villa am Lukriner See.

Ja, anfangs segelten wir in dieser Richtung, aber seit einigen Augenblicken hat das Schiff den Kurs geändert, und wir fahren dem offenen Meere zu.

Dem offenen Meere zu! rief Agrippina.

Sieh her, sagte die Sklavin, indem sie den Vorhang vom Fenster zurückzog; sieh her, der Leuchtturm sollte längst hinter uns sein, und er ist hier rechts von uns; statt daß wir uns Puzzeoli nähern, entfernen wir uns davon mit vollen Segeln.

In der Tat! rief Agrippina; was bedeutet das? Gallus, Gallus! . . . Ein junger römischer Ritter erschien an der Türe. Gallus! wiederholte Agrippina, sage dem Anicetus, daß ich ihn sprechen will. Gallus ging hinaus und nach ihm Acerronia. Gerechte Götter! jetzt erlischt der Leuchtturm wie durch einen Zauberschlag, fuhr sie fort . . . Akte, Akte, irgend etwas Schreckliches geht hier vor, ohne Zweifel. Man hat mich gewarnt, nach Bauli zu kommen, aber ich habe nicht hören wollen. Nun! Gallus?

Anicetus kann deinem Befehl nicht folgen; er läßt die Boote ins Meer setzen.

So werde ich selbst zu ihm gehen . . . Ah! . . . was ist das für ein Geräusch über uns? Beim Jupiter! wir sind verloren, das Schiff geht auseinander!!! In der Tat hatte Agrippina diese Worte kaum ausgesprochen und sich Akte in die Arme geworfen, so krachte die Decke über ihren Häuptern mit furchtbarem Geräusch zusammen. Die beiden Frauen glaubten sich verloren; aber durch einen seltsamen Zufall war der Baldachin, der sich über dem Bett befand, so tief und so fest in die Schiffsplanken eingefügt, daß er das Gewicht der Decke aufhielt, die bei ihrem Zusammensturz den jungen Römer am Eingang des Zimmers erdrückte. In demselben Augenblick ertönte auf dem ganzen Schiff großes Geschrei. Ein dumpfes Geräusch drang auch vom Grunde des Schiffes herauf. Die Frauen fühlten unter ihren Füßen den Boden wanken und ächzen. Mehrere Planken des Kiels hatten sich geöffnet, und durch die klaffende Lücke flutete das Meer in das Mittelschiff und schlug schon an die Zimmertüre. Agrippina erriet sofort alles. Der Tod sollte sie über ihrem Haupt und zu ihren Füßen erwarten. Sie blickte umher und sah die stürzende Decke bereit sie zu zermalmen und das Meer bereit sie zu verschlingen. Das Fenster, durch das sie geblickt hatte, als der Leuchtturm von Misenum erlosch, stand offen: das war der einzige Rettungsweg. Sie zog Akte mit sich fort zu dem Fenster, hieß sie schweigen durch eine gebietende Bewegung, die anzeigte, daß es sich um das Leben handle, und beide stürzten sich ohne Zögern ins Meer. In demselben Augenblick fühlten sie sich wie von einer höllischen Macht auf den tiefsten Meeresgrund hinabgezogen. Das Schiff versank in einem Wirbel, und sie wurden von dem Strudel in die Tiefe gerissen. Sie sanken einige Sekunden lang, die ihnen wie Jahrhunderte vorkamen. Endlich hörte die kreisende Bewegung auf; sie spürten, daß sie nicht weiter hinabsanken, und bald wurden sie von den Wellen emporgetragen und erschienen halb ohnmächtig an der Oberfläche des Wassers. In diesem Augenblick sahen sie wie durch einen Schleier in der Nähe der Boote einen dritten Kopf auftauchen und hörten wie im Traum eine Stimme, die rief: Ich bin Agrippina, die Mutter des Cäsar, rettet mich! Auch Akte wollte um Hilfe rufen, aber sie fühlte sich von neuem von Agrippina fortgerissen. Als sie zum zweitenmal auftauchten, waren sie beinahe aus der Sehweite der Boote. Agrippina zeigte, während sie mit einer Hand schwamm, mit der andern auf ein Ruder, das sich erhob und Acerronia den Kopf zerschmetterte, weil sie so töricht gewesen war, sich für die Mutter des Cäsar auszugeben.

Die beiden Flüchtlinge teilten schweigend die Fluten und schwammen auf das Ufer zu, während Anicetus seinen Mordauftrag erfüllt zu haben glaubte und nach Bauli zurücksegelte, wo ihn der Kaiser erwartete. Der Himmel war klar und das Meer wieder ruhig geworden; allein der Ort, wo Agrippina und Akte sich ins Meer geworfen hatten, war so weit vom Ufer entfernt, daß sie noch eine halbe Meile zurücklegen mußten, nachdem sie schon eine halbe Stunde geschwommen waren. Dazu hatte sich Agrippina beim Sturz ins Meer an der Schulter verletzt. Sie fühlte, daß ihr rechter Arm schwer wurde, so daß sie der ersten Gefahr nur entronnen schien, um einer anderen schrecklicheren zu erliegen. Akte bemerkte bald, daß sie nur mit Anstrengung schwamm; wenn auch keine Klage über Agrippinas Lippen kam, erriet sie deren hilflose Lage doch aus der schweratmenden Brust. Sie schwamm daher auf die andere Seite, ergriff den verletzten Arm und bot ihren Nacken als Stütze dar; so drang sie vorwärts, die Erschöpfte unterstützend, die sie vergebens anflehte, sich allein zu retten und sie sterben zu lassen.

Während dieser Zeit war Nero in den Palast von Bauli zurückgekehrt. Er nahm den Platz an der Tafel wieder ein, den er kurz zuvor verlassen hatte, ließ neue Kurtisanen und Gaukler kommen und befahl, daß das Fest seinen Fortgang nehme; er ließ sich seine Leier bringen und besang die Belagerung von Troja. Doch von Zeit zu Zeit erbebte er, ein Schauer rieselte durch seine Adern, und kalter Schweiß trat auf seine Stirn, denn manchmal glaubte er den letzten Schrei seiner Mutter zu hören, dann schien es ihm, als ob der Genius des Todes die heiße, duftende Atmosphäre durchschreite und seine Stirne mit den Schwingen berühre. Endlich, nach zwei langen, fieberhaft durchlebten Stunden, trat ein Sklave ein, näherte sich Nero und sagte ihm einige für die andern unhörbaren Worte ins Ohr, bei denen der Kaiser erbleichte. Sogleich ließ er seine Leier fallen, riß den Kranz von seinem Haupte, stürzte aus dem Festsaal, ohne jemanden ein Wort über die Ursache seines plötzlichen Schreckens zu sagen, und überließ es den Gästen, ob sie sich zurückziehen oder die Orgie fortsetzen wollten. Allein die Verwirrung des Kaisers war zu sichtbar und sein Aufbruch zu plötzlich gewesen als daß die Höflinge sich nicht gesagt hätten, es müsse irgend etwas Entsetzliches geschehen sein. Alle beeilten sich, dem Beispiel ihres Herrn zu folgen, und einige Minuten nach seinem Abgang war der Saal, der eben noch so geräuschvoll und belebt gewesen war, leer und schweigsam wie ein Grab.

Nero zog sich in sein Zimmer zurück und ließ Anicetus rufen. Dieser hatte nach seiner Rückkehr dem Kaiser von der Ausführung seiner Mission Bericht erstattet, und der Kaiser, überzeugt von seiner Treue, hatte nicht im geringsten an der Wahrheit dessen, was er hörte, gezweifelt. Wie groß war daher Anicetus' Erstaunen, als Nero bei seinem Eintritt auf ihn losstürzte und ihm zurief:

Was sagtest du mir denn, daß sie tot sei? Es ist ein Bote unten, den sie mir gesandt hat.

Dann muß er von der Hölle kommen, antwortete Anicetus; denn ich habe den Plafond einstürzen und das Schiff in den Wellen verschwinden sehen; ich habe eine Stimme rufen hören: Ich bin Agrippina, die Mutter des Kaisers, und habe gesehen, wie ein Ruder den Kopf der Hilferufenden zerschmetterte.

Nun wohl! Du hast dich getäuscht. Acerronia ist tot, und meine Mutter ist gerettet.

Wer sagt das?

Der Freigelassene Agerinus.

Hast du ihn gesehen?

Nein, noch nicht.

Was beschließt der göttliche Kaiser zu tun?

Kann ich auf dich rechnen?

Mein Leben gehört dem Kaiser.

Nun wohl! geh in dieses Kabinett, und wenn ich um Hilfe rufe, tritt rasch ein, halte Agerinus fest und sage, du habest ihn den Dolch gegen mich erheben sehen.

Dein Wunsch ist mir Befehl, antwortete Anicetus mit einer Verbeugung und trat in das Kabinett. Nero blieb allein, er nahm einen Spiegel, und da er sah, daß sein Gesicht entstellt war, legte er Rot auf, um seine Blässe zu verdecken; dann ordnete er seine Locken und die Falten seiner Toga, wie wenn er eine Bühne besteigen sollte, und legte sich in einer studierten Lage nieder, um den Boten Agrippinas zu empfangen.

Er war gekommen, um Nero mitzuteilen, daß seine Mutter gerettet sei; er erzählte ihm den doppelten Unglücksfall der Trireme, wobei Nero zuhörte, als ob er von nichts wüßte; dann fügte er hinzu: die erlauchte Agrippina sei von einer Fischerbarke aufgenommen worden, in dem Augenblick, wo ihre Kräfte sie zu verlassen drohten, und sie keine andere Hoffnung mehr hatte als den Beistand der Götter. Diese Barke hatte sie durch den Kanal des Kaisers Claudius in den Lukriner See geführt. Vom Ufer des Sees hatte sie sich in einer Sänfte in ihre Villa tragen lassen, von wo aus sie sogleich ihrem Sohn sagen ließ, die Götter hätten sie unter ihren Schutz genommen, und ihn beschwor, so sehr er auch wünschen möge sie wiederzusehen, seinen Besuch aufzuschieben, da sie für den Augenblick der Ruhe bedürfe. Nero hörte ihm bis zu Ende zu, indem er hintereinander Schrecken, Überraschung und Freude heuchelte. Als er erfahren hatte, was er wissen wollte, nämlich den Ort, wo sich seine Mutter befand, ging er sogleich an die Ausführung des Planes, den er in der Geschwindigkeit gefaßt hatte; er warf dem Boten ein blankes Schwert zwischen die Füße und rief um Hilfe. Sogleich stürzte Anicetus aus dem Kabinett, ergriff den Mann und hob das Schwert auf, das zu seinen Füßen lag. Ehe der Bote Zeit gehabt hatte, das angebliche Attentat zu leugnen, war er dem Hauptmann der Prätorianer überliefert, der mit seiner Wache herbeieilte, sobald er die Stimme des Kaisers hörte, und in die Gänge des Palastes hinausstürzte mit dem Ruf, es sei auf den Kaiser auf Anstiften seiner Mutter ein Mordversuch gemacht worden.

Während sich diese Vorgänge in Bauli abspielten, war Agrippina, wie erzählt, von einer Fischerbarke gerettet worden, die spät in den Hafen zurückkehrte. Aber in dem Augenblick, als Agrippina die Barke einholte, hatte sie Akte gefragt, ob sie sich noch stark genug fühle, das bereits sichtbare Ufer schwimmend zu erreichen, weil sie nicht wußte, ob Neros Zorn sie bis in ihre Villa am Lukriner See verfolgen werde, und sie das junge Mädchen, dem sie das Leben verdankte, nicht in ihren Untergang hineinziehen wollte. Akte erriet den Grund, der die Mutter des Kaisers zu dieser Handlungsweise bestimmte, und bat inständig, ihr folgen zu dürfen; aber diese befahl ihr, sich jetzt von ihr zu trennen, und versprach, sie rufen zu lassen, sobald die Gefahr vorüber sei. Akte gehorchte, und Agrippina, die bisher unbemerkt geblieben war, rief mit einem Notschrei die träge hintreibende Barke herbei, während Akte sich ungesehen entfernte und weiß und leicht an der Oberfläche des Golfes hinglitt, wie ein Schwan, der seinen Kopf unter dem Wasser verbirgt.

Je näher Agrippina der Küste kam, desto mehr schien sich diese zu beleben. Sie sah Lichter sinnlos am Ufer hin und her irren, und der Wind trug ihr ein Zetergeschrei zu, dessen Grund ihre besorgten Sinne zu erraten suchten. Anicetus hatte nämlich, als er in den Hafen von Bauli zurückkehrte, die Nachricht von dem Schiffbruch und dem Tode der Mutter des Kaisers verbreitet. Daraufhin hatten sich sofort alle ihre Sklaven, Klienten und Freunde an das Ufer begeben, in der Hoffnung, daß sie die Küste noch lebend erreichen oder wenigstens das Meer ihren Leichnam ans Land spülen werde. Sobald man in der Dunkelheit das weiße Segel bemerkte, lief alles an dem Landungsplatz zusammen, und als man erfuhr, daß sich Agrippina wirklich in der Barke befinde, verwandelte sich das Wehegeschrei in jauchzende Freude. So kehrte sie, wie im Triumph, getragen von den Armen ihrer Diener und von einer durch die Ereignisse erregten und aus dem Schlaf geschreckten Volksmenge geleitet, in ihre kaiserliche Villa zurück, deren Türen sich augenblicklich hinter ihr schlossen. Aber die gesamte Bewohnerschaft des Ufers von Puzzeoli bis Bajä blieb dem ungeachtet außen stehen und erging sich in lauten Bezeigungen der Freude und Liebe und in lebhaften Rufen des Verlangens, die Frau zu sehen, welcher der Senat auf Befehl des Kaisers den Titel der Erlauchten zuerkannt hatte.

Agrippina hatte sich jedoch tief in ihre Gemächer zurückgezogen; weit entfernt, sich dieses Entzückens der Bevölkerung zu freuen, empfand sie darüber die größte Bestürzung, denn jede Popularität galt am Hofe Neros für ein Verbrechen, um so mehr, wenn diese Popularität einem geächteten Haupte galt. Kaum hatte sie ihr Zimmer erreicht, so beschied sie den Freigelassenen Agerinus zu sich, den einzigen Menschen, auf den sie sich verlassen zu können glaubte, und übertrug ihm die Botschaft, die wir ihn haben bei Nero ausrichten sehen. Erst als diese Pflicht erfüllt war, dachte sie an ihre Wunden, und nachdem sie den ersten Verband hatte anlegen lassen, entließ sie alle ihre Frauen und legte sich zu Bett. Den Kopf in die Decken gehüllt, gab sie sich ganz den schrecklichen Gedanken hin, die sie bewegten, während draußen die Rufe der Menge immer mächtiger anwuchsen. Plötzlich schwiegen diese Tausende von Stimmen, die Rufe verstummten wie durch Zauber; die Lichter der Fackeln, die durch die Fenster geflackert hatten, wie der Wiederschein eines Brandes, erloschen. Die Nacht wurde wieder dunkel, und es trat eine geheimnisvolle, unheilschwangere Stille ein. Agrippina fühlte Todesschauer ihren Körper durchbeben, und kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn. Sie erriet, daß die Menge nicht ohne Grund geschwiegen und ihre Lichter gelöscht hatte. In der Tat hörte sie gleich darauf einen Trupp Bewaffneter in den äußeren Hof eindringen, dann kamen Schritte die Gänge entlang von Zimmer zu Zimmer. Agrippina lauschte diesen unerklärlichen, drohenden Geräuschen, auf den Ellenbogen gestützt, nach Atem ringend, aber unbeweglich. Da ihr keine Möglichkeit zur Flucht mehr blieb, dachte sie auch nicht daran; endlich öffnete sich die Türe ihres Zimmers. Da raffte sie allen Mut zusammen und wandte sich um, bleich, aber entschlossen. Auf der Schwelle erschien der Freigelassene Anicetus und hinter ihm der Tetrarch Herkuleus und Olaritus, der Hauptmann des Seewesens. Als sie Anicetus erblickte, den sie als den Vertrauten und Vollstrecker von Neros Urteilen kannte, begriff sie, daß es um sie geschehen sei, und verzichtete auf jede Klage und auf jedes Flehen.

Wenn du als Bote kommst, melde meinem Sohn, das ich wieder hergestellt sei; wenn du als Henker kommst, so tu was deines Amtes ist!

Statt jeder Antwort, zog Anicetus sein Schwert und näherte sich dem Bette. Agrippina schlug die Decke zurück und sprach, zu dem Mörder gewandt, die Worte:

Verflucht sei mein Leib!

Der Mörder gehorchte, und sie starb, mit dieser Verwünschung ihres Schoßes, der einen solchen Sohn getragen hatte, auf den Lippen. Akte war, nachdem sie Agrippina verlassen hatte, dem Ufer zugeschwommen, aber als sie demselben näher kam, sah sie die Fackeln aufleuchten und hörte das Geschrei, und da sie nicht wußte, was dieser Tumult zu bedeuten hatte, und noch Kraft fühlte, beschloß sie erst jenseits von Puzzeoli ans Land zu gehen. Um den Blicken verborgen zu bleiben, folgte sie dem Schatten, den die Kaligula-Brücke auf das Meer warf, und hielt sich von Zeit zu Zeit an den Pfeilern fest, auf denen die Brücke ruhte, um wieder Kräfte zu sammeln. Als sie noch dreihundert Schritte von der Brücke entfernt war, sah sie den Helm einer Schildwache aufleuchten und suchte von neuem das Weite, obwohl ihre schweratmende Brust und ihre ermattenden Arme ihr die Notwendigkeit zum Bewußtsein brachten, daß sie so schnell als möglich das Ufer erreichen müsse. Endlich traf sie die Küste, wie sie gewünscht hatte, flach, dunkel und einsam, während die Lichter der Fackeln und der Freudenjubel von Bajä wie aus weiter Ferne zu ihr herüberdrangen. Übrigens schien das alles zu verschwimmen, und selbst das Ufer, das sie wenige Augenblicke zuvor noch gesehen hatte, verschwand jetzt in einer Wolke, die sich um ihre Augen legte, und die von blutigen Blitzen durchschossen war; ein Geräusch tönte an ihre Ohren, das unaufhörlich wuchs, wie wenn Seeungeheuer sie mit ihren Flügelschlägen durchs Meer begleiteten; sie wollte rufen, aber ihr Mund füllte sich mit Wasser, und eine Woge ging über ihren Kopf hinweg. Akte merkte, daß sie verloren sei, wenn sie nicht alle Kraft zusammennahm. Durch eine krampfhafte Bewegung tauchte sie mit dem Oberkörper über das Element empor, das sie zu ersticken drohte, und gewann Zeit, die Brust mit belebender Luft zu füllen. Sie war dem Ufer bedeutend näher gekommen, aber bald stellten sich alle Symptome der Erschöpfung von neuem ein, verwirrte und nie dagewesene Gedanken kreuzten sich in ihrem Gehirn. In einem Augenblick ging alles, was ihr teuer war, ihr ganzes Leben, an ihren Blicken vorüber. Sie glaubte einen Greis zu erkennen, der ihr vom Ufer die Arme entgegenbreitete und ihr zurief, während eine unbekannte Macht ihre Glieder lähmte und sie in die Tiefe zu ziehen drohte. Dann sah sie das Festmahl in seinem Glanz, die Gesänge tönten an ihre Ohren; Nero saß da mit der Leier in der Hand, seine Lieblinge klatschten seinen unzüchtigen Gesängen Beifall, die Kurtisanen traten ein und führten ihre schamlosen Tänze aus. Da wollte sie fliehen, wie sie es zuvor getan hatte, aber ihre Füße waren mit Blumenguirlanden gefesselt, doch erkannte sie am Ende des Ganges, der zu dem Festsaal führte, den Greis wieder, der sie zu sich heranwinkte. Dieser Greis hatte einen glänzenden Reif um seine Stirn, und sein Angesicht leuchtete durch die Dunkelheit. Er rief sie zu sich, und sie verstand, daß sie gerettet wäre, wenn sie zu ihm gelangen könnte. Dann erloschen alle Lichter, jedes Geräusch verstummte, sie fühlte sich versinken und stieß einen Schrei aus. Ein anderer Schrei schien zu antworten, aber das Wasser ging über ihrem Kopf hinweg und bedeckte sie wie mit einem Leichentuch, alles wurde unbestimmt bis auf das Lebensgefühl. Es schien ihr, als würde sie schlummernd fortgetragen und den Abhang eines Berges hinuntergerollt, an dessen Fuß sie gegen einen Stein stieß. Es war ein dumpfer Schmerz, wie man ihn während einer Ohnmacht empfindet, dann spürte sie nichts mehr als ein eisiges Gefühl, das allmählich zum Herzen emporstieg, und als es dieses erreicht hatte, verschwand das Bewußtsein des Lebens völlig.

Als sie wieder zu sich kam, war es noch nicht Tag geworden. Sie lag am Ufer, in einen weiten Mantel eingehüllt, und ein Mann kniete neben ihr und stützte ihren Kopf, aus dessen Haarschmuck das Wasser herabrieselte. Sie schlug die Augen auf zu dem, der ihr Hilfe brachte, und glaubte seltsamerweise den Greis wiederzuerkennen, den sie gesehen hatte, als die Schatten des Todes sie umringten. Es war dasselbe sanfte, ehrwürdige Gesicht, in das sie schaute, so daß die Wirklichkeit ihren Traum fortzusetzen schien.

O mein Vater! murmelte sie, du hast mich zu dir gerufen, und ich bin gekommen, hier bin ich – du hast mir das Leben gerettet. – Sage mir deinen Namen, damit ich ihn segnen kann.

Ich heiße Paulus.

Und wer bist du? fuhr das Mädchen fort.

Ein Apostel Jesu Christi, antwortete er.

Das verstehe ich nicht, entgegnete Akte sanft, aber das tut nichts, ich habe Vertrauen zu dir, wie zu einem Vater. Führe mich, wohin du willst, ich bin bereit, dir zu folgen.

Der Greis erhob sich und ging vor ihr her.

 


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