Alexander Dumas d. Ä.
Akte
Alexander Dumas d. Ä.

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XIII.

Es war eine ganze Stadt, die sich unter dem Boden einer anderen Stadt befand.

Bekanntlich waren die Katakomben weite, verlassene Steinbrüche. Das ganze Rom mit seinen Häusern, Palästen, Theatern, Bädern, Zirkussen und Aquädukten war Stein für Stein daraus hervorgegangen. Sie waren sozusagen die Lenden, welche die Stadt des Romulus und des Scipio erzeugten; aber seit Augustus und der Zeit, wo der Marmor den Werkstein verdrängte, hatten die weiten Gänge aufgehört, vom Schritte der Arbeiter zu wiederhallen. Der Travertin war zu gemein geworden, die Kaiser ließen sich Porphyr aus Babylon, Granit von Theben und Erz von Korinth kommen. Die ungeheuren Höhlen, die sich unter Rom ausbreiteten, blieben verlassen, einsam und vergessen, bis das entstehende Christentum sie langsam und insgeheim wieder bevölkerte. Zuerst waren sie ein Tempel, dann ein Zufluchtsort, zuletzt eine Stadt.

Zu der Zeit, wo Akte und der Greis dort hinabstiegen, waren sie noch ein Zufluchtsort. Alle Sklaven, alle Unglücklichen, alle Geächteten waren sicher, dort eine Freistatt, einen Trost und ein Grab zu finden. Auch ganze Familien hatten in ihrem Dunkel Schutz gesucht, und die Anhänger des neuen Glaubens zählten schon nach Tausenden; aber bei der ungeheuren Menschenmenge, die sich auf dem Boden Roms ausbreitete, fiel es niemand ein, dieses Durchsickern unter die Erde zu beachten, da es die Höhen der Gesellschaft nicht berührte und die Zunahme der Bevölkerung nicht aufhörte.

Man darf jedoch nicht glauben, daß das Leben der ersten Christen nur damit ausgefüllt gewesen sei, sich den beginnenden Verfolgungen zu entziehen. Sie nahmen, durch Liebe, Frömmigkeit und Mut verbunden, Anteil an allen Ereignissen, welche die Brüder bedrohten, die durch irgendwelche Notwendigkeit in den Mauern der heidnischen Stadt zurückgehalten wurden. Trat eine Gefahr ein, so spürte der Neubekehrte der oberen Stadt oft plötzlich unerwartete Hilfe; eine unsichtbare Falltüre öffnete sich unter seinen Füßen und schloß sich über seinem Haupt; die Türe seines Gefängnisses drehte sich geheimnisvoll in ihren Angeln, und der Gefangene entfloh mit seinem Hüter; oder wenn der Zorn ihn so plötzlich ereilte, wie der Blitzstrahl, der zur selben Zeit aufleuchtet und einschlägt, wenn der Neubekehrte zum Märtyrer wurde, sei es, daß er im Gefängnis des Tullius erhängt, oder auf einem öffentlichen Platze enthauptet, daß er vom Tarpejischen Felsen herabgestürzt oder auf dem Esquilin ans Kreuz geschlagen wurde, so näherten sich in der Finsternis der Nacht vorsichtige Greise und unternehmende junge Männer, zuweilen auch schüchterne Frauen und erkletterten auf verborgenen Fußpfaden den verfluchten Berg, wo die Leichname den wilden Tieren oder den Vögeln zur Beute fielen, und trugen die verstümmelten Körper andächtig und pietätvoll in die Katakomben, wo diejenigen, die von ihren Verfolgern gehaßt und gelästert worden waren, mit Ehrfurcht und Anbetung von ihren Brüdern bestattet wurden, die sich untereinander ermahnten, auf Erden zu leben und zu sterben wie der Auserwählte, der ihnen in den Himmel vorangegangen war.

Oft kam es auch vor, daß der Tod selbst seine Opfer in den Katakomben suchte, dann waren es weniger die Erwachsenen, die er mit seiner kalten Hand berührte, sondern eher ein Kind, das er dem Familienkreise entriß. Man wickelte es in ein Leichentuch; wenn es ein Mädchen war, wurde es mit Rosen gekränzt, den Knaben gab man Palmen in die Hand, der Priester sprach die Totengebete, dann senkte man die kleine Leiche sanft in das steinerne Grab hinab, das zuvor ausgehauen war, und wo sie der ewigen Auferstehung entgegenschlummerte. Das waren die Särge, die Akte gesehen hatte, als sie die unbekannten Gewölbe zum ersten Male betrat. Damals hatten sie ihr einen tiefen Schrecken eingeflößt, der sich aber bald in sanfte Melancholie verwandelte. Das junge Mädchen, dessen Herz noch heidnisch, aber dessen Seele bereits christlich war, verweilte stundenlang vor den Gräbern, wo eine trauernde Gattin, Mutter oder Tochter mit der Spitze eines Messers den Namen der geliebten Person eingegraben hatte, dazu einige religiöse Symbole und einen heiligen Spruch, der Schmerz und Hoffnung ausdrückte. Beinahe auf allen befand sich ein Kreuz, das Zeichen der Ergebung für die Menschen, denen es die Leiden eines Gottes predigte, dann der siebenarmige Leuchter, der im Tempel zu Jerusalem brannte, oder die Taube aus der Arche Noahs, die sanfte Botin der göttlichen Barmherzigkeit, die den Olivenzweig auf die Erde niederbrachte, den sie in den himmlischen Gärten gepflückt hatte.

Zuweilen kehrten die freudigen Erinnerungen lebhafter und mächtiger in Aktes Seele zurück; dann spähte sie hinauf nach dem Sonnenlicht und horchte auf das Geräusch der Erde, zuweilen setzte sie sich einsam und regungslos am Fuße eines Pfeilers nieder, den Oberkörper so tief gebeugt, daß ihre Stirne die Kniee berührte. In dem langen Schleier, der ihre Gestalt umfloß, wäre sie den Vorübergehenden wie eine sitzende Statue auf einem Grabmal erschienen, wenn sich nicht zuweilen ein Seufzer von ihren Lippen gelöst und ein Schauer ihren Körper durchzittert hätte. Der Apostel Paulus allein wußte, was in solchen Schmerzensstunden in dieser Seele vorging, und er, der gesehen hatte, wie Christus einst der Magdalena vergab, hoffte von der Zeit und von Gott Heilung für ihre Wunden. Wenn er sie so stumm und unbeweglich in ihren Kummer versunken sah, sagte er zu den reinsten Jungfrauen: Betet für dieses Mädchen, damit der Herr ihr verzeihe und sie einst in eure Reihen aufgenommen werden und mit euch beten könne. Die jungen Mädchen gehorchten, und sei es, daß ihre Gebete zum Himmel stiegen, sei es, daß die Tränen die Bitterkeit des Schmerzes linderten, bald sah man die junge Griechin mit einem Lächeln auf den Lippen und Tränen in den Augen sich zu ihren Gefährtinnen gesellen.

Doch während die Christen in den Katakomben versteckt dieses Leben der Barmherzigkeit, der Bekehrung und der Erwartung führten, drängten sich die Ereignisse über ihren Häuptern. Die ganze heidnische Welt schwankte wie ein Betrunkener, und Nero, ihr Reigenführer, sättigte sich an Vergnügen, Wein und Blut. Seit Agrippinas Tod war der letzte Zügel zerrissen, der ihn noch zurückgehalten hatte; seit die Flamme von ihrem Scheiterhaufen aufgestiegen, war jede Spur von Scham und Gewissen in ihm erloschen. Er wollte vorerst in Bauli bleiben, denn, nachdem die edlen Gefühle verschwunden waren, hatten sie der Furcht Platz gemacht, und obwohl Nero die Menschen und die Götter verachtete, konnte er doch nicht denken, daß ein solches Verbrechen nicht den Haß der einen und den Zorn der anderen heraufbeschwören werde. Er blieb fern von Neapel und Rom und erwartete die Nachrichten, die ihm seine Boten zutrugen, aber er hatte mit Unrecht an der Niedrigkeit des Senats gezweifelt, denn bald kam eine Deputation von Rittern und Patriziern, um ihn zu beglückwünschen, daß er einer so unvorhergesehenen Gefahr entronnen sei, und ihm zu versichern, daß nicht allein Rom, sondern alle Städte des Reichs ihre Abgesandten in die Tempel schickten, wo sie durch Opfer ihre Freude über seine Rettung bezeugten. Die Götter dagegen nahmen die Sache weniger leicht, wenn wir dem Tacitus glauben wollen; statt der Gewissensbisse sandten sie dem Muttermörder Schlaflosigkeit. Und während dieser Schlaflosigkeit hörte er auf den Gipfeln der benachbarten Berge Trompeten erklingen; Jammergeschrei und Klagetöne drangen zu ihm, wie wenn sie vom Grabe seiner Mutter kämen. In Folge davon reiste er nun doch nach Neapel.

Dort fand er Poppäa wieder und mit ihr den Haß gegen Oktavia, die unglückliche Schwester des Britannikus, das arme Kind, das, dem mit jungfräulicher Reinheit geliebten Silanus entrissen, von Agrippina in Neros Arme geschleudert wurde. Zwanzig Jahre lang lebte sie bereits, aus Rom verbannt, auf einer fernen Insel. Dort war sie durch das Vorgefühl des Todes schon wie aus dem Leben geschieden. Als einzigen Hofstaat hatte sie Hauptleute und Söldner um sich, deren Blicke unaufhörlich nach Rom gerichtet waren, von wo aus ein Befehl, ein Wink, ein Zeichen genügt hätte, um aus jedem dieser Schmeichler einen Henker zu machen. Aber so einsam und unglücklich dieses Leben auch war, quälte es doch Poppäa mitten in dem ehebrecherischen Glanze und der schrankenlosen Macht, die sie umgab. Denn ihre Schönheit, ihre Jugend und ihr Unglück hatten Oktavia beliebt gemacht.

Auch Nero schien nicht gänzlich frei von dieser allgemeinen Teilnahme; trotz der inständigen Bitten der Poppäa zögerte er, einen Streich gegen Oktavia zu führen. Es gibt Verbrechen, die so unnütz sind, daß selbst der grausamste Mensch sie zu begehen scheut, denn was der gekrönte Schuldige fürchtet, sind nicht die Gewissensbisse, sondern der Mangel einer Entschuldigung. Die Kurtisane verstand, was den Kaiser zurückhielt. Eines Tages brach ein Aufstand los, der Name Oktavias wurde laut ausgerufen und ihre Rückkehr stürmisch verlangt. Die Statuen der Poppäa wurden umgestürzt und in den Schmutz gezogen; dann kam ein Trupp Männer, die mit Peitschenhieben die Rebellen auseinandertrieben und die Bildnisse der Poppäa wieder auf ihre Piedestale stellten. Diese Kundgebung hatte eine Stunde gedauert und eine Million gekostet; damit war der Kopf einer Rivalin nicht zu teuer bezahlt. Denn dieser kleine Aufstand war alles, was Poppäa brauchte. Sie war währenddessen in Rom und eilte nach Neapel, um vor den von Oktavia gedungenen Mördern zu fliehen, wie sie sagte. Sie sah reizend aus in ihrer Angst und warf sich Nero zu Füßen. Darauf erhielt Oktavia von Nero den Befehl, sich den Tod zu geben.

Vergebens bot die arme Verbannte an, daß sie sich mit dem Titel einer Witwe und Schwester begnügen wolle, vergebens flehte sie im Namen des Germanikus, ihres gemeinschaftlichen Großvaters, und im Namen der Agrippina, die zu ihren Lebzeiten über ihr gewacht hatte; alles war umsonst, und da sie zögerte und sich nicht selbst zu töten wagte, band man ihr die Arme zusammen und öffnete ihr die vier Hauptadern und hierauf alle andern Blutgefässe, denn das Blut, das vor Schrecken erstarrt war, wollte nicht ausströmen, und da es immer noch nicht floß, erstickte man sie mit den Dämpfen eines kochend heißen Bades. Damit kein Zweifel übrig bleibe, daß der Mord vollbracht sei, und man in Rom nicht denken könnte, ein gewöhnliches Weib sei für die kaiserliche Dulderin untergeschoben worden, wurde der Kopf vom Leibe getrennt und zu Poppäa gebracht, die ihn auf ihre Kniee setzte, die Augenlider öffnete und, da sie in dem starren, eisigen Blick vielleicht eine Drohung zu erkennen glaubte, ihre goldenen Haarnadeln in die Augen bohrte.

Endlich kehrte Nero nach Rom zurück, sein Wahnsinn und seine Ausschweifung erreichten ihren Höhepunkt. Er veranstaltete Spiele, bei denen die Senatoren statt der Gladiatoren kämpften, Wettgesänge, wobei man die mit dem Tode bestrafte, die nicht applaudierten; einen Brand, der das halbe Rom zerstörte, und dem er händeklatschend und zu seiner Leier singend, zusah. Endlich begriff Poppäa, daß es Zeit sei, den Zügellosen, den sie aufgestachelt hatte, zurückzuhalten, und daß so unerhörte und gräßliche Vergnügungen ihrem Einflusse schadeten. Unter dem Vorwand ihrer Schwangerschaft lehnte sie eines Tages ab, das Theater zu besuchen, wo Nero sang. Diese Weigerung verletzte den Künstler; er sprach als Kaiser zu ihr, Poppäa widerstand als verwöhnter Liebling, da wurde Nero ungeduldig und tötete sie mit einem Fußtritt.

Darauf hielt ihr Nero eine Lobrede von der Tribüne herab, und da er ihre Tugenden nicht preisen konnte, verherrlichte er ihre Schönheit. Dann ordnete er ihre Leichenfeier an; er wollte nicht, daß der Körper verbrannt, sondern in der Weise wie die Leichen der orientalischen Könige einbalsamiert werde. Der Naturforscher Plinius versichert, daß Arabien in einem Jahr nicht so viel Weihrauch und Myrrhen hervorbringt, als der Kaiser für das göttliche Begräbnis derjenigen aufwandte, die ihre Maultiere mit Gold beschlagen ließ und jeden Tag die Milch von fünfhundert Eselinnen für ihre Bäder verbrauchte.

Die Tränen der schlechten Könige fallen auf die Völker als Blutregen. Nero klagte die Christen seiner eigenen Verbrechen an, und eine neue Verfolgung brach aus, die viel schrecklicher war als alle vorhergehenden.

Der Glaubenseifer der Christen wuchs mit der Gefahr; jeden Tag galt es, neue Witwen und Waisen zu trösten; jede Nacht mußten neue Leiber der Bekenner vor den wilden Tieren und Vögeln geborgen werden. Endlich merkte Nero, daß man ihm seine Leichen raubte, er legte eine Wache um den Esquilin, und als in einer Nacht einige Christen, geführt von Paulus, herankamen, um nach ihrer Gewohnheit ihr heiliges Amt zu erfüllen, stürzte ein Trupp Soldaten, der in einer Schlucht des Berges verborgen war, unversehens hervor und nahm sie gefangen; nur ein einziger entkam, das war Silas.

Er lief in die Katakomben und kam gerade an, wie die Gläubigen sich zum Gebet versammelten. Er verkündete ihnen die verhängnisvolle Botschaft, da fielen alle auf die Kniee nieder, um den Herrn anzuflehen. Akte allein blieb stehen, denn der Gott der Christen war noch nicht der ihrige.

Einige beschuldigten sie der Gottlosigkeit und Undankbarkeit; aber Akte breitete ihre Arme aus gegen die Menge und verlangte Stillschweigen; als es stille geworden war, sagte sie:

Morgen will ich nach Rom gehen und versuchen, ihn zu retten. –

Und ich, sagte Silas, kehre heute abend dahin zurück, um wenigstens mit ihm zu sterben, wenn es dir nicht gelingt.

 


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