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Vom Briefschreiben

Der Empfänger eines Briefes kann von uns erwarten, daß wir ihm auch äußerlich unsere Achtung bezeigen, indem wir zu unserer Mitteilung nur unbeschädigtes, fleckenloses Papier gebrauchen. Der Brief selbst zeige eine deutliche und sorgfältige Schrift. Es ist leicht möglich, daß Nachlässigkeit und Oberflächlichkeit sowohl in den Schriftzeichen, als auch in der Satzbildung vom Empfänger als eine Nichtachtung seiner selbst empfunden und verurteilt wird.

Es ist namentlich im Verkehr mit Höherstehenden nicht gestattet, überflüssige Wörter durchzustreichen oder zu korrigieren. Fehlendes zwischen die Linien zu setzen, das Geschriebene oder etwaige Flecken zu verwischen oder zu radieren, Abkürzungen anzuwenden und endlich eine Bemerkung an den Rand zu setzen. Unsern Freunden gegenüber sind wir natürlich nicht so gebunden; doch soll namentlich die heranwachsende Jugend sich nicht zuviel Freiheiten gestatten, denn zuweilen sind selbst die nächsten Bekannten im schriftlichen Verkehr sehr eigen und genau.

Es muß auch noch bemerkt werden, daß wir unsere Eltern und Vorgesetzten, wie Geistliche und Lehrer, ebenso ältere Verwandte und Bekannte nicht als Gleichgestellte ansehen dürfen, sondern als Respektspersonen, denen wir bei schriftlichen Mitteilungen alle bereits genannten Rücksichten schulden. Ungeübte Briefschreiber werden also gut tun, ihren Brief erst im Konzept aufzusetzen, damit sie nicht Gefahr laufen, andere zu verletzen oder zu beleidigen.

Jeder Brief muß nach Stil, Grammatik, Interpunktion und Orthographie fehlerfrei sein. Kleine Verstöße verzeihen wir älteren Personen viel eher als der heranwachsenden Jugend. Denn früher mag es mit der Schulbildung noch an einigen Orten gehapert haben; aber der Unterricht der Jetztzeit befähigt auch den mittelmäßig begabten Schüler, seine Gedanken mündlich und schriftlich in gutem Deutsch wiederzugeben.

Der Inhalt eines Briefes soll klar, durchdacht und ohne schwulstiges Phrasenwerk abgefaßt sein. Auf den Anfang braucht man nicht zuviel Zeit und Nachdenken zu verwenden. Will derselbe sich nicht leicht und gefällig von selbst ergeben, so fange man kurz entschlossen gleich mit der Sache an. Gedrechselte Anfänge, wie »Mit Vergnügen ergreife ich die Feder«, oder »Hoffentlich trifft Dich dieser Brief in guter Gesundheit«, verraten stets mehr oder weniger den ungeübten Briefschreiber. Solche Sätze sind den Verlegenheitsphrasen über das Wetter ähnlich, mit denen wenig gewandte Menschen ihre Unterhaltung zu beginnen pflegen.

Ein Brief an einen Höhergestellten soll niemals vertraulich Bemerkungen enthalten, es sei denn, daß die persönliche Beziehung es mit Sicherheit gestattet. Wir dürfen uns also niemals nach seinem oder seiner Familie Wohlbefinden erkundigen oder über unsere eigenen intimeren Verhältnisse eine Mitteilung machen. Grüße werden weder an den Empfänger des Briefes, noch an eine ihm nahestehende Person gesandt.

Einen höchst nachlässigen Eindruck macht es, wenn die Linien schief laufen oder der Rand nach unten hin enger oder weiter wird. Die Höflichkeit verlangt auch, daß wir einen Brief niemals hoch oben am Rande beginnen und dicht bis zum unteren Ende beschreiben; wir sollen vielmehr oben und unten einen kleinen Raum freilassen. – Der seitliche Rand ist vielfach der Mode unterworfen; auch wechselt er nach der Stellung und dem Range des Empfängers. Bei den farbigen, winzig kleinen, gold- und silbergeränderten Briefbogen, welche die jungen Damen jetzt vielfach gebrauchen, ist der Rand nur zu markieren. Solche Briefbogen dürfen aber niemals an eigentliche Respektspersonen gesandt werden. Im ganzen gilt die Regel: Je höher die Person, desto größer der Bogen, desto breiter der Rand und die einzelnen Abstände.

Auch hinsichtlich der Farbe des Papiers müssen wir eine Auswahl treffen. Weiße Bogen benutzt man im Verkehr mit Behörden und höherstehenden Personen. Gedämpfte Farben, beispielsweise leicht grün, grau oder blau, sind für den Privatverkehr unter Gleichgestellten zulässig, während phantasievoll geformte und geschmückte Briefchen in lebhaften, häufig rosaroten Tönen nur als Spielerei der jüngeren Damenwelt betrachtet werden können.

Zu einer Eingabe an Behörden bedient man sich des Foliobogens, der in der Mitte durchgeknickt wird. Auf der rechten Seite steht zuerst in entsprechender Entfernung vom oberen Rande das deutlich und genau geschriebene Datum; dann folgt in abgemessenem Abstände ohne Überschrift der eigentliche Bericht. – Auf die linke Hälfte, dem Datum gegenüber, schreibt man Namen und Wohnort des Absenders und in kurzgefaßten Worten den Gegenstand der Eingabe.

Links unten ist der Platz für die Adresse. Das Prädikat »Hochwohllöblich« oder »Wohllöblich« bleibt bei Eingaben an Behörden jetzt fort, wie man überhaupt bestrebt ist, unsern schwulstigen deutschen Bureaustil zu vereinfachen. Man setzt statt aller Beiwörter beispielsweise nur: »An die Preußische Regierung zu –«, »An das Amtsgericht zu –« usw.

In den Eingaben werden Behörden in der dritten Person angeredet, z. B.: »Unterzeichneter ersucht gehorsamst, die Preußische Regierung wolle verfügen.« – Die Unterschrift wird durch einen langen, senkrechten Strich von der Schlußformel getrennt und bei allen höheren Behörden und Personen mit »Gehorsamst« oder »Untertänigst« eingeleitet.

Für den gewöhnlichen Verkehr mit allen höherstehenden Personen wendet man am besten den Quartbogen an. Der Abstand zwischen Datum, Überschrift und Briefanfang muß entsprechend breit sein, ebenso der Rand. – Früher galt es als ein besonderes Zeichen des Respekts, das Datum unter den Brief zu setzen; dieser Gebrauch ist aber jetzt veraltet und nur noch bei einigen Arten von Geschäftsaufsätzen zulässig.

Die Anrede lautet bei Kaisern und Königen »Ew. Kaiserliche« oder »Königliche Majestät«, bei den Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses, sowie bei regierenden Großherzögen und Herzögen »Ew. Kaiserliche« oder »Königliche Hoheit«, bei Fürsten »Ew. Fürstliche Durchlaucht« oder »Fürstliche Gnaden«, bei einem früher reichsunmittelbaren Grafen »Ew. Erlaucht«, bei Grafen und Standesherren »Ew. Hochgeboren« und beim gesamten niedern Adel »Ew. Hochwohlgeboren«. Das letztere Prädikat wird nach dem neuesten Gebrauch auch allen bürgerlichen Personen vom Fähnrich an aufwärts und den höheren Zollbeamten beigelegt, ebenso angesehenen Kaufleuten, Gutsbesitzern, Gelehrten, Künstlern und Privatpersonen. Der Gebrauch von »Wohlgeboren« ist heutzutage vollständig veraltet.

Die Eigenschafts- und Fürwörter bei Titeln müssen ebenso wie alle Anredefürwörter groß geschrieben werden.

Adlige Damen, die sich mit einem Bürgerlichen verheiratet haben, verlieren zwar den Namen, nicht aber den Rang. Es kommt ihnen also auch das Prädikat »Hochwohlgeboren« oder »Hochgeboren« zu. – Im übrigen erhalten Frauen den Titel ihres Mannes, auch das Prädikat »Exzellenz«, das in Preußen den Generalen, Ministern, Gesandten, Hofwürdenträgern, Oberpräsidenten, den wirklichen geheimen Räten 1. Klasse und den Inhabern des Schwarzen Adlerordens verliehen wird. – Dem Rektor einer Universität gebührt der besondere Titel »Ew. Magnificenz.«

Den Frauen der protestantischen Geistlichkeit kommt das Prädikat »Hochwürden« oder »Ehrwürden« nicht zu. Auch hohe Fürstenhäuser verleihen unebenbürtigen Gemahlinnen den vollständigen Titel meistens nicht.

Als Anrede dient nur ein Titel und zwar gewöhnlich der höchste, während in der Überschrift und auf der Adresse mehrere angegeben werden können. Ein Arzt, der zugleich Sanitätsrat ist, wird also mit letzterem Titel angeredet.

Der höhere Geburtstitel hat vor dem niederen Amtstitel den Vorzug und umgekehrt. Bei geistlichen Standespersonen geht der geistliche Titel stets dem Geburtstitel voran; ein gräflicher Domkapitular ist also in der Anrede nur »Herr Domkapitular«, nicht »Herr Graf«, und in der Briefüberschrift »Hochwürdiger, hochgeborener Herr Domkapitular«. – Der Papst führt den Titel »Ew. Heiligkeit«, die Kardinäle »Ew. Eminenz«, Erzbischöfe und Bischöfe »Ew. Erzbischöfliche« und »Bischöfliche Gnaden«.

Im Privatverkehr unter Gleichgestellten ohne Titel heißt es gewöhnlich »Gnädige Frau«, oder »Sehr geehrter Herr«, oder »Verehrtes Fräulein«, und familiär »Liebe Eltern«, »Teure Freundin« usw. Über das Satzzeichen hinter der Briefüberschrift laufen die Ansichten auseinander; wir können ein Ausrufungszeichen, ein Komma und einen Punkt setzen. Wenn die Überschrift das erste Anredefürwort vertreten soll, so steht kein Satzzeichen, z. B. »Ew. Hochwohlgeboren – gestatte ich mir, beifolgend das gewünschte Buch zu übersenden.«

Machen wir in einem Brief verschiedene Mitteilungen, so verlangt jeder neue Gegenstand auch einen neuen Abschnitt. Die Schlußbemerkung wird ebenfalls abgesetzt. Sie soll entweder einen kurzen Hinweis auf das bereits Gesagte oder ein paar allgemeine Höflichkeitswendungen und noch einmal die Anrede enthalten. Herren unterschreiben sich gebildeten Damen gegenüber wohl »Ihr Diener« oder »Ihr gehorsamer Diener«, welche Bezeichnung Frauen nur im Verkehr mit hochgestellten Personen auf sich anwenden. Bei Gleichgestellten und Untergebenen heißt es »Ergebenst«. Die familiär gewordenen Wendungen der Schlußbemerkung dürfen als bekannt vorausgesetzt werden; es sei nur noch bemerkt, daß heranwachsende junge Leute sich Eltern, Vorgesetzten und Gönnern gegenüber die Bezeichnung »dankbar« zulegen.

Ein Postskriptum ist im Verkehr mit Höhergestellten nur ausnahmsweise gestattet.

Im Privatverkehr sind alle Arten von Briefpapier zulässig; wir sollen nur darauf achten, daß wir auch bei den kleinsten Mitteilungen einen ganzen Bogen benutzen, und daß das Couvert ihm in Format und Farbe entspricht. Der Briefbogen wird sorgfältig ineinander gefaltet; die erste Seite, welche die Anrede enthält, schlagen wir gewöhnlich nach innen.

Die Adresse wird deutlich auf die vordere Seite des Couverts geschrieben, und zwar der Name samt Titel ziemlich in der Mitte, der Ort und die Straße rechts unten. Sie muß so deutlich und genau sein, daß die Bestellung ohne besondere Mühe vor sich geht. Die Freimarke wird rechts in die obere Ecke geklebt.

Es ist unpassend, einen Brief unfrankiert oder ungenügend frankiert auf die Post zu geben. Intimere Mitteilungen sollen wir nicht auf einer Postkarte machen, da es möglich ist, daß der Empfänger dieselben diskret behandelt haben möchte.

Ehrenhafte Menschen werden niemals einen Brief öffnen, der nicht an sie gerichtet ist; denn das Briefgeheimnis ist heilig und soll von allen mit Achtung behandelt werden. Eltern und Vorgesetzten ist es freilich gestattet, den schriftlichen Verkehr ihrer Kinder und Pflegebefohlenen zu überwachen, solange diese noch nicht vollständig erwachsen sind. Ein guter Sohn und eine gute Tochter wird den Erziehern hierin auch entgegenkommen und niemals wünschen, ein Geheimnis vor ihnen zu haben.

Wenn in unserer Gegenwart ein Brief geschrieben wird, so sollen wir dem Schreiber nicht über die Schulter sehen oder anhaltend zu ihm hinüberschauen, damit wir nicht in den Verdacht der Indiskretion kommen. Auch offene Briefe, die frei in den Wohnräumen umherliegen oder irgendwo von uns gefunden werden, müssen vor unserer Neugierde sicher sein.

Legen wir in einen Brief an Respektspersonen einige Zeilen, die für einen andern bestimmt sind, so müssen wir dieselben im offenen Couvert beifügen und den eigentlichen Adressaten um gefällige Übermittelung bitten. Es ist selbstverständlich, daß diese Handlungsweise nur bei nahen persönlichen Beziehungen gestattet ist.

In Gesellschaft sollen Briefe für gewöhnlich nicht gelesen werden. Können wir uns von der Unterhaltung zurückziehen, ohne jemand zu verletzen, so dürfen wir uns die Erlaubnis zum Lesen des Briefes ausbitten. Wir bleiben dann nicht mitten in der Gesellschaft, sondern treten ein wenig zur Seite.

Einige Leute erbieten sich freundlich, einen ihrer Briefe, der ein allgemeines Interesse hat, laut vorzulesen. Aber auf einmal stocken sie mitten im Satze, werden verlegen und suchen krampfhaft nach einer mehr unverfänglichen Fortsetzung. Das ist für die Zuhörer peinlich, weil sie es als Mißtrauensvotum empfinden. Wer einen Brief vorliest, soll sich ganz klar darüber sein, welche Sätze er leicht und unmerklich überschlagen will. – Umgekehrt darf der Zuhörer über Inhalt und Absender des Briefes niemals eine Frage stellen, die als Aufdringlichkeit ausgelegt werden könnte.

Eine besondere Art der Briefe sind die Glückwunschschreiben, welche zu Neujahr und zu besonderen Festlichkeiten gesandt werden. Man muß sie zeitig zur Post besorgen, damit sie am Morgen des Festtages ankommen.

Der Briefbogen ist für den Glückwunsch am feinsten. Er soll, wenn er an Höhergestellte gerichtet ist, keine weiteren Bemerkungen enthalten. – Der gute Ton gestattet der heranwachsenden Jugend die hübsch verzierten Glückwunsch- und Visitenkarten nur für den Verkehr mit Personen des gleichen Alters und Standes. – Die Postkarte ist für einen Glückwunsch am wenigsten geeignet, hübsche Ansichtskarten aber werden meistens willkommen sein.

Junge Leute sollen niemals ein Neujahrsfest, einen Namenstag oder Geburtstag, ein Jubiläum oder ein sonstiges freudiges Ereignis in der Familie vorbeigehen lassen, ohne in herzlicher und dankbarer Weise ihre Gratulation darzubringen. Es ist selbstverständlich, daß die Eltern das erste und begründetste Anrecht auf diese Aufmerksamkeit haben. Auch die nächsten Vorgesetzten dürfen erwarten, daß sie bei festlichen Gelegenheiten nicht übergangen werden.

Es ist anzuraten, alle Geburts-, Verlobungs- und Vermählungsanzeigen, ebenso jede Todesnachricht in den nächsten acht Tagen zu beantworten. Der Zeitraum von zwei Wochen ist die weiteste Frist, die uns zum Gratulieren und Kondolieren geboten ist. Überschreiten wir sie, so machen wir uns einer direkten Unhöflichkeit schuldig.

Der Kondolenzbrief enthält in herzlichen Worten unser Beileid und ein warmes Lob des Verstorbenen; Übertreibungen sind hier wie überall wenig angebracht. Strenge zu vermeiden ist alles, was nicht auf den Todesfall Bezug hat.

Die Einladungskarten werden jetzt meistens gedruckt. Sie müssen auf jeden Fall beantwortet werden, ob wir annehmen oder nicht. Überhaupt sollen wir auf einen Brief nicht so leicht die Antwort schuldig bleiben.

In Telegrammen wird der Titel nur insoweit angegeben, als er zur näheren und genaueren Bezeichnung des Adressaten dient. Im Inhalt sind alle höflichen Umschreibungen und Wendungen überflüssig. Die Unterschrift enthält ausschließlich den Namen des Absenders und eventuell Titel und Ort.

Wenn wir diese Regeln beobachten, so werden wir auch den schriftlichen Verkehr zu einem anregenden und angenehmen gestalten und andern nicht so schnell Gelegenheit geben, sich verletzt zu fühlen.

So regelt der gute Ton all unser Denken und Reden, Tun und Handeln, ohne den jugendlichen Frohsinn zu untergraben. Edle Sitten verleihen uns Zufriedenheit mit uns selbst und machen bei allen Menschen beliebt; und gerade die heranwachsende Jugend wird ihr Lebensglück doppelt so leicht erringen, wenn sie die schwere Kunst der Höflichkeit, der taktvollen Zurückhaltung und steten Rücksichtnahme auf das Wohl anderer schon früh erlernt und ausgeübt hat.


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