Arthur Conan Doyle
Das Zeichen der Vier
Arthur Conan Doyle

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Die seltsame Geschichte von Jonathan Small

Der Inspektor war geduldig im Wagen geblieben, obwohl er lange auf meine Rückkehr warten mußte. Seine Miene verdüsterte sich, als ich ihm die leere Kiste zeigte.

»Weg ist die Belohnung!« sagte er düster. »Wo kein Geld ist, ist auch keine Bezahlung. Diese Nachtschicht hätten mir und Sam Brown jeweils zehn Pfund bringen können, wenn der Schatz dagewesen wäre.«

»Mr. Thaddeus Sholto ist reich,« sagte ich. »Er wird dafür sorgen, daß Sie belohnt werden; und das auch ohne Schatz.«

Der Inspektor schüttelte seinen Kopf mutlos. »Schlechte Arbeit,« wiederholte er, »und das gleiche wird Mr. Athelney Jones denken.«

Seine Vorhersage war richtig. Der Detektiv war mehr als verblüfft, als ich ihm die leere Kiste zeigte. Er, Holmes und der Gefangene waren gerade eben angekommen. Sie hatten ihren Plan geändert und unterwegs ihren Bericht auf der Wache abgegeben. Mein Begleiter lümmelte sich mit seinem typischen teilnahmslosen Blick in einen Lehnstuhl. Small saß ihm aufrecht gegenüber und hatte das hölzerne Bein über das gesunde gelegt. Als ich die leere Kiste zeigte, lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und lachte laut auf.

»Das war Ihr Werk, Small,« sagte Athelney Jones ärgerlich.

»Ja, ich habe es an einen Ort gebracht, wo Sie es nie finden werden,« rief er frohlockend. »Es ist mein Schatz, und wenn ich diese Beute nicht haben kann, werde ich dafür sorgen, daß niemand sie bekommt. Kein Lebender hat das Recht daran, außer mir und drei anderen Männern aus den Strafbaracken der Andamanen. Nun weiß ich, daß weder sie noch ich allein jemals davon Gebrauch machen können. Ich habe sowohl für sie wie auch für mich gearbeitet. Aber das Zeichen der Vier war immer dabei. Sie hätten es ebenso wie ich getan, und den Schatz lieber in der Themse versenkt als ihn den Freunden oder Erben von Sholto oder Morstan zu geben. Was wir für Achmet taten, sollte keinen reich machen. Der Schatz ist dort, wo der Schlüssel ist – und wo der kleine Tonga ist. Als ich sah, daß uns die Barkasse erwischt, habe ich die Beute an eine sichere Stelle gebracht. Und Sie sehen keine Rupie davon.«

»Sie belügen uns, Small,« sagte Athelney Jones streng. »Falls Sie den Schatz in die Themse werfen wollten, wäre es einfacher gewesen, die gesamte Kiste zu versenken.«

»Ich hätte sie einfach geworfen und Sie hätten Sie einfacher gefunden,« antwortete er mit einem schlauen Seitenblick. »Wer klug genug ist, mich zu jagen, ist auch klug genug, eine Eisenkiste auf dem Grund eines Flusses zu heben. Nun, wo alles über fünf Meilen verstreut liegt, wird es eine schwierigere Arbeit werden. Es fiel mir schwer, das zu tun. Ich war wie von Sinnen, als Sie immer näher kamen. Aber man braucht darüber nicht zu trauern. Mein Leben hatte Höhen und Tiefen, aber über verschüttete Milch sollte man nicht trauern.«

»Das spricht schwer gegen Sie, Small,« sagte der Detektiv. »Wenn Sie der Justiz geholfen hätten, anstatt uns so zu behindern, wäre das Urteil vor Gericht günstiger für Sie ausgefallen.«

»Gerechtigkeit,« stieß der Ex-Sträfling hervor. »Eine schöne Gerechtigkeit! Wem anders gehört der Kies als uns? Ist es gerecht, wenn ich es denen gebe, die es nicht verdient haben? Denken Sie daran, wie ich es verdient habe! Zwanzig Jahre im fieberverseuchten Sumpf, tägliche Arbeit zwischen den Mangroven, jede Nacht angekettet in den dreckigen Hütten der Zwangsarbeiter, gestochen von Moskitos, von Schüttelfrost gequält und von jedem verfluchten schwarzen Wächter tyrannisiert, der sich gegen einen Weißen aufspielen wollte. So habe ich mir den Agra-Schatz verdient. Und Sie reden mir über Gerechtigkeit, nur weil ich es nicht ertragen kann, daß sich jemand anderes an dem Preis ergötzt, den ich bezahlt habe! Ich würde lieber am Galgen baumeln oder einen von Tongas Pfeilen in der Haut haben, als in einer Gefängniszelle zu leben und zu wissen, daß jemand anders mit dem Geld, das eigentlich mir gehört, es sich in einem Palast wohl gehen läßt.« Small hatte seine gleichmütige Maske abgeworfen und alles kam in einem wilden Wirbel von Worten heraus. Seine Augen loderten und die Handschellen schlugen bei den leidenschaftlichen Bewegungen seiner Hände zusammen. Als ich die Wut und Leidenschaft dieses Mannes sah, konnte ich verstehen, daß Mr. Sholto nicht ohne Grund mit Horror reagierte, als er bemerkte, daß der Verbrecher ihm auf der Spur war.

»Sie vergessen, daß wir nichts darüber wissen,« sagte Holmes ruhig. »Wir kennen Ihre Geschichte nicht; und wir wissen auch nicht, inwieweit die Gerechtigkeit auf Ihrer Seite steht.«

»Nun Sir, bisher waren Sie sehr höflich zu mir, obwohl ich weiß, daß ich diese Armbänder um meinen Handgelenken Ihnen verdanke. Aber ich habe noch immer keinen Groll gegen Sie. Bisher war es gerecht und ehrlich. Wenn Sie meine Geschichte hören wollen, werde ich sie nicht verschweigen. Jedes Wort, das ich Ihnen sage, ist wahr. Danke, Sie können das Glas hier abstellen, ich nehme einen Schluck, wenn mir die Kehle trocken wird.

»Ich stamme aus Worcestershire und bin in der Nähe von Pershore geboren. Wenn Sie dort nachsehen, werden Sie eine Haufen Smalls finden. Ich wollte oft einmal einen Blick dorthin werfen, aber um ehrlich zu sein, ich hatte keinen guten Ruf in der Familie. Ich glaube nicht, daß man mich gern sehen würde. Es waren alles zuverlässige Kirchgänger, kleine Bauern, im Umkreis wohlbekannt und respektiert. Ich hingegen war ein Vagabund. Als ich ungefähr achtzehn war, hörte ich auf Ihnen Ärger zu machen. Ich hatte ein Verhältnis mit einem Mädchen und konnte mich nur dadurch entwinden, indem ich das Handgeld nahm und den Third Buffs beitrat, die gerade nach Indien verlegt wurden.

»Vom Soldatenleben bekam ich nicht viel mit. Ich beherrschte gerade den Paradeschritt und konnte meine Muskete bedienen, als ich so dumm war, im Ganges zu schwimmen. Glücklicherweise war mein Kompanie-Feldwebel John Holder zusammen mit mir im Wasser; und er war einer der besten Schwimmer des Regiments. Als ich den Fluß halb durchquert hatte, erwischte mich ein Krokodil und biß mir das rechte Bein genau über dem Knie ab. Ein Chirurg hätte es nicht sauberer durchführen können. Durch den Schock und den Blutverlust verlor ich die Besinnung und wäre ertrunken, wenn Holder mich nicht gepackt hätte und mit mir ans Ufer geschwommen wäre. Ich war fünf Monate im Hospital. Als ich endlich dazu fähig war, es mit meinem hölzernen Fuß am Beinstumpf zu verlassen, fand ich mich als Invalide aus der Armee entlassen und war ungeeignet für irgendeinen aktiven Beruf.

»Wie Sie sich vorstellen können, war ich damals ziemlich vom Glück verlassen. Ich war noch keine zwanzig Jahre alt und doch schon ein Krüppel ohne Chancen. Jedoch stellte sich mein Unglück im nachhinein als Segen heraus. Ein Mann mit dem Namen Abelwhite, er war als Indigo-Pflanzer dorthin gekommen, suchte einen Aufseher für seine Kulis, auch um sie zur Arbeit anzutreiben. Er war zufällig ein Freund des Colonels, der sich seit meinem Unfall um mich kümmerte. Um es kurz zu machen, empfahl mich der Colonel wärmstens. Da ich hauptsächlich zu Pferd arbeiten mußte, war mein Bein kein großes Hindernis, da ich mich mit den Knien gut im Sattel festhalten konnte. Ich mußte auf der Plantage umherreiten, die Männer bei der Arbeit beobachten und die säumigen Arbeiter melden. Ich erhielt einen angemessenen Lohn, war gut untergebracht und war im Großen und Ganzen damit zufrieden, den Rest meines Lebens auf der Indigo-Plantage zu verbringen. Mr. Abelwhite war ein netter Mann; er kam oft in meine kleine Hütte und rauchte ein Pfeifchen Tabak mit mir. Weiße fühlen sich im Ausland einander viel näher als sie es sich zu Hause wären.

»Das Glück dauert bei mir nie lange. Ohne ein vorheriges Warnzeichen brach bei uns eine Meuterei los. Lag Indien im ersten Monat noch still und friedlich wie Surrey oder Kent da, waren im nächsten Monat zweihunderttausend schwarze Teufel losgelassen und das Land war eine richtige Hölle. Sicher wissen Sie alles darüber, Gentlemen – vielleicht mehr als ich, da das Lesen nicht meine große Stärke ist. Ich weiß nur, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Unsere Plantage befand sich an Rand der nordwestlichen Provinzen bei einem Ort namens Muttra. Nacht für Nacht war der ganze Himmel vom Licht brennender Bungalows erhellt, und Tag für Tag kamen kleine Gruppen von Europäern mit ihren Frauen und Kindern durch unsere Plantage, alle auf dem Weg nach Agra, wo sich die nächsten Truppen befanden. Mr. Abelwhite war ein hartnäckiger Mann. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß die ganze Angelegenheit übertrieben wurde und sich schneller legen würde als sie aufgekommen war. So saß er auf der Veranda, trank sein Gläschen Whiskey und rauchte seinen Stumpen, während das Land um ihn herum in Aufruhr war. Natürlich hielten wir zu ihm, ich und Dawson, der gemeinsam mit seiner Frau die Buchhaltung und Plantagenverwaltung machte. Und eines schönen Tages kam es zum Knall. Ich war auf einer abgelegeneren Plantage und ritt am Abend langsam heim, als mein Auge auf etwas fiel, das als Haufen am Boden einer tiefen Senke lag. Ich ritt hin, um es zu sehen, was es war und mir fuhr es kalt durchs Herz, als ich Dawson's Frau fand, vollständig in Streifen zerschnitten und schon zur Hälfte von Schakalen und Hunden aufgefressen. Ein Stück weiter die Straße hinauf lag Dawson bäuchlings und offensichtlich tot. Er hatte einen leergeschossenen Revolver in der Hand, vier Sepoys lagen übereinander direkt vor ihm. Ich hielt mein Pferd im Zaum und dachte über den einzuschlagenden Weg nach. Im gleichen Moment quoll dicker Rauch aus Abelwhite's Bungalow, die Flammen schossen durch das Dach. Da wußte ich, daß ich meinem Arbeitgeber nicht mehr helfen konnte, sondern durch eine Einmischung nur das eigene Leben riskieren würde. Von meinem Standpunkt aus konnte ich Hunderte von schwarzen Teufeln sehen, die mit ihren roten Umhängen das brennende Haus mit Geheul umtanzten. Man zeigte auf mich und ein paar Kugeln pfiffen mir um den Kopf. Ich machte mich über die Reisfelder davon und war spät nachts innerhalb der sicheren Mauern von Agra.

»Doch die erwartete Sicherheit war trügerisch. Das ganze Land war in Aufruhr wie ein Bienenschwarm. Wo sich Engländer in kleinen Gruppen sammeln konnten, vermochten sie nur soviel Boden zu behaupten, soweit ihre Pistolen reichten. Überall sonst waren sie hilflose Flüchtlinge. Es war ein Kampf von Millionen gegen Hunderte. Am schlimmsten daran war, daß die Männer, gegen die wir kämpften, unsere eigenen, von uns ausgebildeten Truppen waren. Fußvolk, Berittene und Schützen, wir hatten sie alle ausgebildet, und nun kämpften sie gegen uns mit unseren eigenen Waffen und sie verwendeten unsere Signalhörner. In Agra waren die Dritten Bengalischen Füsiliere stationiert, einige Sikhs, zwei berittene Schwadrone und eine Batterie Artillerie. Ein Freiwilligenkorps aus Angestellten und Kaufleuten wurde aufgestellt, dem ich mit meinem Holzbein beitrat. Wir zogen los, um die Rebellen Anfang Juli bei Shahgunge zu stellen und konnten sie einige Zeit zurückschlagen. Dann ging uns das Pulver aus und wir mußten uns in die Stadt zurückziehen. Aus allen Richtungen kamen nur die schlimmsten Nachrichten – kein Wunder, wenn Sie sich die Karte ansehen, werden Sie feststellen, daß wir im Zentrum der Rebellion lagen. Lucknow liegt mehr als einhundert Meilen östlich und Cawnpore gleich weit entfernt im Süden. Aus jeder Kompaßrichtung kamen nur Nachrichten über Folter, Mord und Frevel.

»Agra ist ein großartiger Ort, alle Sorten von Fanatikern und Teufelsanbetern schwirren dort herum. Unsere Handvoll Männer war in den schmalen, gewundenen Straßen verloren. Daher ging unser Anführer mit uns auf die andere Seite des Flusses und bezog im alten Fort von Agra Stellung. Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen etwas über dieses alte Fort gehört oder gelesen hat. Es ist ein sehr eigenartiger Ort – der seltsamste, an dem ich mich jemals befunden habe, und ich bin schon an einigen gewesen. Erst einmal hatte das Fort eine gewaltige Ausdehnung. Es muß einige Morgen umfasst haben. Den neueren Teil bewohnte unsere Garnison mit Ehefrauen, Kindern und auch Geschäften auf viel freiem Platz. Der neuere Teil ist nichts gegen das alte Viertel, das den Skorpionen und Tausendfüßlern überlassen wurde. Es ist voller großer verlassener Hallen und gewundener Gänge, in denen man sich leicht verlaufen kann. Deshalb ging selten jemand hinein, ab und zu vielleicht einmal eine mit Fackeln bewaffnete Gruppe.

»Der Fluß fließt direkt vor der Stirnseite des Forts und schützt es so. Aber an den Seiten und im hinteren Teil gab es viele Türen. Diese mußten sowohl im alten Viertel wie auch im von unseren Truppen bewohnten Teil bewacht werden. Wir waren nicht genügend Leute, um alle Winkel des Gebäudes zu besetzen und auch noch zu kämpfen. Es war deshalb unmöglich, eine starke Wache an jedem der unzähligen Tore zu postieren. Wir konnten nur ein zentrales Wachhaus in der Mitte des Forts einrichten; jedes Tor wurde in die Obhut eines Weißen und zwei oder drei Eingeborenen gegeben. Ich wurde zur nächtlichen Bewachung eines kleinen, abgelegenen Tores an der südwestlichen Seite des Gebäudes abkommandiert. Zwei Sikh-Soldaten wurden unter meinen Befehl gestellt und ich erhielt die Anweisung, einen Musketenschuß abzugeben, wenn etwas schiefging. Ich sollte mich dann auf die Hilfe vom zentralen Wachhaus verlassen können. Da die Wache mehr als zweihundert Schritt entfernt lag und der Raum dazwischen von einem Labyrinth von Gängen und Korridoren durchschnitten war, hatte ich große Zweifel, ob man uns im Falle eines Angriffs rechtzeitig zur Hilfe kommen könnte.

»Ich war sehr stolz auf diesen kleinen Befehl, denn ich war ein junger Rekrut und dazu noch lahm. Zwei Nächte lang hielt ich mit meinen Punjabis Wache. Es waren große, wild aussehende Kerle, sie hießen Mahomet Singh und Abdulla Khan, beide alte Kämpfer, die gegen uns in Chilian-wallah gekämpft hatten. Sie sprachen recht gutes Englisch, aber ich konnte nicht viel aus ihnen herausbekommen. Sie standen lieber die ganze Nacht zusammen und quatschten in ihrer seltsamen Sikh-Muttersprache. Ich stand gewöhnlich außerhalb des Torweges und beobachtete den breiten, sich schlängelnden Fluß und die blinkenden Lichter der Stadt. Das Dröhnen der Trommeln und das Geschrei und Geheul der von Opium und Ganja berauschten Rebellen führte uns immer wieder die Gefährlichkeit unsere Widersacher auf der anderen Flußseite vor Augen. Der wachhabende Offizier kam alle zwei Stunden bei den Posten vorbei, um zu sehen, ob alles in Ordnung war.

»Die dritte Nacht unserer Wache war dunkel und leichter Nieselregel machte sie noch trüber. Stundenlang in solchem Wetter im Torweg zu stehen war eine langweilige Sache. Ich versuchte immer wieder vergeblich, meine Sikhs zum Reden zu bewegen. Um zwei Uhr Nachts unterbrach der Kontrollgang die Eintönigkeit für einen Moment. Da ich wußte, daß meine Begleiter nicht zur Konversation zu bewegen waren, nahm ich meine Pfeife heraus und stellte die Muskete ab, um ein Streichholz zu entzünden. Im gleichen Moment fielen die zwei Sikhs über mich her. Einer hob meine Flinte auf und zielte damit auf meinen Kopf, der andere hielt mir ein großes Messer an die Kehle und schwor ingrimmig, daß er es benutzen würde, wenn ich auch nur die geringste Bewegung machte.

»Mein erster Gedanke war, daß die beiden Kerle mit den Rebellen verbündet waren und dies der Beginn eines Überfalls war. Sollte unser Tor fallen, würde mit den Frauen und Kindern ebenso wie in Cawnpore verfahren werden. Die Gentlemen glauben vielleicht, daß ich mich damit brüsten will, aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich trotz des Messers an der Kehle im Begriff war, mit einem Hilferuf die Hauptwache zu alarmieren, selbst wenn das mein letzter Ausruf gewesen sein sollte. Der Mann, der mich festhielt, schien meine Gedanken zu erraten und flüsterte: ›Machen Sie keinen Lärm, das Fort ist nicht in Gefahr. Auf dieser Seite des Flusses ist keiner der rebellierenden Hunde.‹ Es war ein Klang von Ehrlichkeit in seiner Stimme und ich wußte, ein Schrei hätte meinen Tod bedeutet. Das jedenfalls las ich aus den Augen des braunhäutigen Gesellen. So wartete ich schweigend zu hören, was sie von mir wollten.

»›Hören Sie, Sahib,‹ sagte der größer und wilder erscheinende, der auf den Namen Abdullah Khan hörte. ›Entweder halten Sie zu uns oder wir werden Sie für immer zum Schweigen bringen. Die Sache ist uns zu wichtig, als daß wir zögern würden. Entweder sind sie voll und ganz auf unserer Seite, und schwören dies auf das Kreuz der Christen, oder Ihr Leichnam wird noch diese Nacht in den Graben geworfen und wir laufen zu unseren Brüdern in der Rebellenarmee über. Es gibt keine Kompromisse. Was wählen Sie, Tod oder Leben? Wir geben Ihnen nur drei Minuten zum Überlegen, denn die Zeit rennt und alles muß erledigt sein, ehe der nächste Rundgang gemacht wird.‹

»›Wie soll ich mich entscheiden‹, sagte ich, ›Wenn ihr mir noch nicht einmal erzählt habt, was ihr von mir verlangt. Ich sage euch aber, wenn es gegen die Sicherheit des Forts gerichtet ist, will ich nichts damit zu tun haben. Dann benutzt das Messer besser sofort.‹

»›Es ist nicht gegen das Fort gerichtet,‹ sagte er. ›Wir bitten Sie nur, das gleiche zu tun, weswegen Ihre Landsleute hierher gekommen sind. Wir machen Sie reich. Wenn Sie heute Nacht zu uns stehen, schwören wir hier beim blanken Messer und beim dreifachen Schwur, den kein Sikh je brechen wird, daß Sie Ihren gerechten Anteil an der Beute erhalten werden. Ein Viertel des Schatzes soll Ihnen gehören. Mehr können wir Ihnen nicht anbieten.‹

»›Und woraus besteht der Schatz?‹ fragte ich. ›Ich bin ebenso wie ihr an Reichtum interessiert. Aber sagt mir erst, wie es geschehen soll.‹

»›Dann schwören Sie bei den Gebeinen Ihres Vaters, bei der Ehre Ihrer Mutter und beim Zeichen Ihres Glaubens, daß Sie weder heute noch später Hand gegen uns erheben oder ein Wort gegen uns sagen werden.‹

»›Das schwöre ich,‹ antwortete ich, ›falls das Fort nicht gefährdet wird.‹

»›Dann schwören mein Freund und ich, daß Sie ein Viertel des Schatzes erhalten werden. Er soll zu gleichen Teilen unter uns aufgeteilt werden.‹

»›Aber wir sind nur drei,‹ sagte ich.

»›Nein, auch Dost Akhbar erhält seinen Teil. Wir erzählen Ihnen die Geschichte, während wir auf ihn warten. Mahomet Singh, stelle dich an die Pforte und sag uns, wenn sie kommen. Die Sache ist folgendermaßen, Sahib. Ich erzähle sie Ihnen nur, weil ein Eid für einen Weißen verbindlich ist und wir Ihnen daher nun trauen können. Wären Sie ein lügnerischer Hindu gewesen, der bei allen Göttern seines falschen Tempels geschworen hätte, Ihr Blut wäre bereits am Messer und Ihr Leichnam im Wasser. Aber die Sikhs kennen die Engländer gut und umgekehrt. Hören Sie also, was ich Ihnen sage.‹

»›In den nördlichen Provinzen gibt es einen Rajah, dessen Land klein ist, aber sein Reichtum groß. Viel hatte er bereits durch seinen Vater, aber noch mehr hat er selbst hinzugewonnen, denn er hütet sein Gold lieber, statt es auszugeben. Als die Unruhen ausbrachen, wollte er sowohl mit dem Löwen wie auch mit dem Tiger gut Freund sein – den Sepoys und dem Raj der Company. Aber schon bald bemerkte er, daß die Tage des weißen Mannes gezählt waren. Denn überall im Land hörte er nur von ihrem Tod und den Niederlagen. Er war ein vorsichtiger Mann und plante so, daß ihm mindestens die Hälfte des Schatzes verbliebe, komme was wolle. Alles Gold und Silber beließ er in seiner Schatzkammer, aber die kostbarsten Edelsteine und wertvollsten Perlen tat er in eine eiserne Kiste und sandte sie durch einen als Händler verkleideten Diener ins Fort von Agra. Dort sollten sie bleiben, bis wieder Frieden war. Sollten die Rebellen gewinnen, hätte er sein Geld, beim Sieg der Ostindischen Kompanie wären ihm die Juwelen sicher. So teilte er seinen Schatz und schlug sich auf die Seite der Sepoys, die schon an seinen Landesgrenzen standen. Und so, Sahib, kam sein Besitz in die Obhut intimster Vertrauter.‹

»›Der angebliche Händler, der unter dem Namen Achmet reiste, ist jetzt in der Stadt und möchte ins Fort gelangen. Sein Begleiter ist mein Stiefbruder Dost Akbar, der das Geheimnis kennt. Dost Akbar versprach ihm, ihn durch ein Seitentor ins Fort zu bringen und hat dieses Tor dafür ausgewählt. Er wird bald hier sein und Mahomet Singh und mich hier treffen. Dieser Ort ist einsam, und niemand weiß, daß er kommt. Von Achmet wird man nie wieder etwas hören, aber der Schatz des Radschahs wird unter uns aufgeteilt. Was halten Sie davon, Sahib?‹

»In Worcestershire ist uns das Leben eines Menschen heilig. Aber die Dinge liegen anders, wenn Feuer und Blut um einen herum sind und man dem Tod an jeder Ecke begegnet. Leben oder Tod des Händlers Achmet hatten kein Gewicht für mich. Aber die Geschichte vom Schatz hatte von meinen Gedanken Besitz ergriffen und ich dachte daran, wie ich in der alten Heimat angestarrt werden würde, wenn der Nichtsnutz mit den Taschen voller Louisdor plötzlich auftauchen würde. Ich hatte mich schon längst entschlossen. Abdullah Khan glaubte mich noch zögernd und bedrängte mich weiter.

»›Sehen Sie, Sahib,‹ sagte er, ›Wenn der Kommandant ihn erwischt, wird er gehängt oder erschossen. Die Juwelen werden von der Regierung beschlagnahmt, und niemand wird eine Rupie davon je wiedersehen. Wenn wir sie ihm aber abnehmen, kommt es auf dasselbe raus. Die Juwelen sind bei uns ebenso gut aufgehoben wie in der Schatzkammer der Company. Jeder von uns wäre reich und ein gemachter Mann. Keiner weiß etwas darüber, denn wir sind hier allein. Wie könnte es besser sein? Sagen Sie nun, Sahib, ob Sie mitmachen oder wir Sie als unseren Feind betrachten müssen.‹

»›Ich bin mit Herz und Seele dabei,‹ sagte ich.

»›Das ist gut,‹ sagte er und gab mir meine Waffe zurück. ›Wir trauen Ihnen, und Ihr Wort und auch das unsrige soll nicht gebrochen werden. Nun müssen wir nur noch auf meinen Bruder und den Händler warten.‹

»›Kennt dein Bruder unsere Absichten,‹ fragte ich.

»›Es ist sein Plan, er hat ihn sich ausgedacht. Wir gehen jetzt zum Tor und wachen zusammen mit Mahomet Singh.‹

»Es regnete noch immer, denn die Regenzeit hatte gerade begonnen. Schwere, dunkle Wolken trieben über den Himmel und man sah keinen Steinwurf weit. Ein tiefer Wassergraben war vor unserem Tor, aber er war stellenweise noch ausgetrocknet und konnte leicht durchquert werden. Es war mir unheimlich, dort mit zwei wilden Punjabees zu stehen und auf den Mann zu warten, der zu seinem eigenen Tod hier erschien.

»Plötzlich fiel mein Auge auf den Schimmer einer abgeschatteten Laterne, die auf der anderen Seite des Wassergrabens erschien. Sie verschwand zwischen den Schlammhügeln und kam dann langsam in unsere Richtung.

»›Da sind sie,‹ rief ich.

»›Überprüfen Sie sie wie üblich, Sahib,‹ flüsterte Abdullah. ›Sie sollen keinen Verdacht schöpfen. Befehlen Sie uns zur Begleitung und wir besorgen alles, während Sie hier weiter Wache stehen. Halten Sie die Laterne bereit, damit wir erkennen, ob es der richtige Mann ist.‹

»Das Licht war flackernd nähergekommen, hielt an und kam wieder näher, bis ich zwei dunkle Gestalten auf der anderen Seite des Grabens erkennen konnte. Ich ließ sie die schräge Grabenwand herunterklettern, sie spritzen durch den Morast und kletterten halb zum Tor hinauf, bevor ich sie anrief.

»›Wer ist da?‹ sagte ich mit ruhiger Stimme.

»›Freunde,‹ kam die Antwort. Ich deckte meine Laterne auf und richtete den vollen Lichtschein auf sie. Der erste war ein gewaltiger Sikh mit einem schwarzen Bart, der fast bis zu seiner Schärpe herabreichte. Einen derart großen Menschen hatte ich bisher nur im Zirkus gesehen. Der andere war ein kleiner, dicker, runder Geselle mit einem großen gelben Turban, er trug ein Bündel in der Hand und war nur mit einem Stofftuch bekleidet. Er schien vor Furcht zu zittern, seine Hände zuckten, als hätte er Schüttelfrost, sein Kopf pendelte andauernd von links nach rechts und er hatte zwei kleine blitzende Augen wie eine Maus, die aus ihrem Loch hervorlugt. Mir wurde kalt um Herz bei dem Gedanken, ihn zu töten. Aber der Gedanke an den Schatz überwog und mein Herz wurde hart wie Stein. Als er mein hellhäutiges Gesicht sah, stieß er einen kleinen Freudenschrei aus und kam auf mich zugerannt.

»›Helfen Sie, Sahib,‹ keuchte er, ›helfen Sie dem unglücklichen Händler Achmet. Ich bin quer durch Rajputan gereist, um Schutz im Fort von Agra zu suchen. Ich bin bestohlen, geschlagen und beschimpft worden, nur weil ich ein Freund der Company war. Gesegnet sei diese Nacht, in der ich endlich in Sicherheit komme – ich und meine geringer Besitz.‹

»›Was haben Sie in diesem Bündel,‹ fragte ich.

»›Eine eiserne Kiste,‹ antwortete er, ›sie enthält die eine oder andere Sache aus unserem Familienbesitz, wertlos für jemand anderen, aber ich möchte sie nicht verlieren. Doch ich bin kein Bettler und kann Sie wohl belohnen, junger Sahib, auch Ihren Gouverneur, wenn er mir den erbetenen Schutz gewährt.‹

»Ich konnte es nicht aushalten, weiter mit dem Mann zu sprechen. Je länger ich sein fettes, verängstigtes Gesicht sah, desto schwerer wurde mir beim Gedanken, daß wir ihn gleich kaltblütig erschlagen würden. Es war am besten, es gleich hinter uns zu bringen.

»›Bringt ihn zur Hauptwache,‹ sagte ich. Die zwei Sikhs nahmen ihn zwischen sich und der Riese ging hinterher, als sie in den dunklen Torweg hineinmarschierten. Selten war ein Mensch so vollständig von Tod umgeben. Ich blieb mit der Laterne im Tor stehen.

»Ich hörte den Klang ihrer gemessenen Schritte durch die einsamen Gänge. Plötzlich verstummte er, ich hörte Stimmen, eine laute Rauferei und das Geräusch von Schlägen. Zu meinem Entsetzten kam dann das Geräusch hastiger Schritte, begleitet vom stoßartigen Atmen eines Rennenden auf mich zu. Ich richtete meine Laterne auf den langgestreckten Durchgang, und dort kam der dicke Mann in Windeseile angerannt, einen großen Blutstreifen quer über dem Gesicht. Direkt auf seinen Fersen und mit gewaltigen, tigerhaften Sprüngen folgte ihm der riesige schwarzbärtige Sikh, das blitzende Messer in der Hand. Nie zuvor hatte ich einen Menschen so schnell wie den kleinen Händler rennen gesehen. Sein Vorsprung zum Sikh vergrößerte sich, und wenn er mich erst passiert und das Freie gewonnen hätte, wäre er in Sicherheit gewesen. Ich hatte Mitleid mit ihm, aber wieder war es der Gedanke an den Schatz, der mich hart und unerbittlich machte. Als er an mir vorbeirannte, warf ich meine Flinte zwischen seine Beine und er überschlug sich zweifach wie ein angeschossenes Kaninchen. Bevor er wieder auf die Füße kam, war der Sikh über ihm und stieß ihm das Messer zweimal in die Seite. Der Mann gab nicht einmal ein Stöhnen von sich und bewegte keinen Muskel mehr. Er blieb genau an der Stelle liegen, wo er hingefallen war. Ich glaube, er hatte sich beim Fallen das Genick gebrochen. Gentlemen, Sie sehen, daß ich mein Versprechen halte. Ich erzähle Ihnen jede Einzelheit der Sache exakt wie sie geschehen ist, egal ob sie für oder gegen mich spricht.«

Hier hielt er inne und streckte seine Hand nach einem Whisky-Soda aus, den Holmes für ihn gemixt hatte. Ich hatte zugegebenermaßen bereits eine äußerste Abscheu gegen diesen Mann entwickelt, nicht nur wegen der Kaltblütigkeit seiner Tat, sondern vielmehr aufgrund der schnoddrigen und teilnahmslosen Erzählweise. Welche Strafe ihm auch bevorstand, von mir konnte er keine Sympathie mehr erwarten. Sherlock Holmes und Jones saßen mit den Händen im Schoß da und folgten interessiert seiner Erzählung, aber auch in ihren Gesichtern waren Anzeichen von Abscheu zu sehen. Vielleicht hatte er dies bemerkt, denn er fuhr mit einem trotzigen Ton in der Stimme fort.

»Das war alles sehr übel,« sagte er. »Ich möchte wissen, wieviel andere Gesellen den Anteil an der Beute ausgeschlagen hätten, wenn Skrupel auf der einen, und ein Schnitt durch die eigene Kehle auf der anderen Seite stehen. So stand mein Leben gegen sein Leben, sobald er das Fort betreten hatte. Wäre er entkommen, wäre die ganze Sache aufgedeckt worden und ich wäre vor das Standgericht gekommen und erschossen worden, denn die Leute waren damals nicht sehr nachsichtig.«

»Erzählen Sie Ihre Geschichte weiter,« sagte Holmes kurz angebunden.

»Nun, Abdullah, Akbar und ich trugen ihn hinein. Obwohl er so klein war, war er dennoch ganz schön schwer. Mahomet Singh wurde als Wache an der Tür belassen. Wir brachten ihn an eine Stelle, die von den Sikhs schon vorbereitet worden war. Sie lag ein Stück entfernt, dort wo ein gewundener Durchgang in eine große leere Halle führte, deren Backsteinwände schon abbröckelten. Der Fußboden hatte sich an einer Stelle gesenkt und eine Art natürliches Grab erzeugt. Dort ließen wir Achmet den Händler liegen, nachdem wir ihn mit losem Steinschutt bedeckt hatten. Als dies vollbracht war, gingen wir zum Schatz zurück.

»Er lag genau dort, wo er ihn beim ersten Angriff fallengelassen hatte. Es war die gleiche Kiste, die Sie hier geöffnet auf dem Tisch liegen sehen. Am geschnitzten Griff des Deckels war ein seidenes Band befestigt, an dem ein Schlüssel hing. Wir öffneten die Kiste und im Licht der Laterne glitzerte eine Kollektion von Edelsteinen, so wie ich als kleiner Junge in Pershore immer darüber gelesen und davon geträumt hatte. Man war geblendet, wenn man sie ansah. Als wir uns satt gesehen hatten, nahmen wir sie alle heraus und machten eine Aufstellung darüber. Es waren einhundertunddreiundvierzig Diamanten erster Güte. Darunter auch einer, der ›Großer Mogul‹ genannt wird und der zweitgrößte existierende Diamant sein soll. Dann waren da neunundsiebzig sehr schöne Smaragde, einhundertundsiebzig Rubine – einige kleinere darunter. Weiter waren da vierzig Granatsteine, zweihundertzehn Saphire, einundsechzig Achate und eine große Zahl von Beryll, Onyx, Tigeraugen, Türkisen und anderen Steinen, deren Namen ich damals noch nicht kannte, über die ich mich heute aber auskenne. Und es waren noch dreihundert sehr wertvolle Perlen dabei, von denen zwölf in Gold gefaßt waren. Als ich die Kiste wiederfand, waren letztere jedoch herausgenommen worden.

»Als wir unsere Schätze gezählt hatten, legten wir sie in die Kiste zurück und trugen sie zum Torweg, um sie Mahomet Singh zu zeigen. Dann erneuerten wir feierlich unseren Schwur, einander zu helfen und das Geheimnis zu wahren. Wir beschlossen gemeinsam, unsere Beute an einem sicheren Platz zu verstecken, um sie erst dann unter uns aufzuteilen, wenn das Land wieder zur Ruhe gekommen war. Sie sofort zu verteilen wäre unklug gewesen, da es im Fort keinen sicheren Platz gab und der Besitz solch kostbarer Juwelen sofort Verdächtigungen zur Folge gehabt hätte. Wir trugen die Kiste deshalb in die Halle, in der wir auch den Toten begraben hatten und machten ein Loch unterhalb der Steine in einer gut erhaltenen Wand. Wir merkten uns die Stelle genau und ich fertigte am nächsten Tag vier Pläne an, einen für jeden von uns und setzte das Zeichen der Vier darunter, denn wir hatten geschworen, nur gemeinsam vorzugehen, so daß niemand übervorteilt werden konnte. Für diesen Schwur lege ich auch heute meine Hand ins Feuer, denn ich habe ihn niemals gebrochen.

»Was nach dem indischen Aufstand passierte, muß ich keinem der Gentlemen erzählen. Nachdem Wilson Delhi eingenommen hatte und Sir Coli Lucknow befreite, war der Widerstand gebrochen. Neue Truppen kamen ins Land und Nana Sahib entschwand über die Grenze. Eine fliegende Kolonne unter Colonel Greathead kam in Agra vorbei und vertrieb die Pandies. Der Friede schien wieder im Land einzukehren und wir vier hofften, daß bald die Zeit gekommen war, mit unserem Teil des Schatzes durchbrennen zu können. Innerhalb eines Momentes jedoch wurden unsere Hoffnungen zerstört, als wir als die Mörder von Achmet verhaftet wurden.

»Es war folgendes geschehen: der Rajah gab seine Juwelen in Achmets Obhut, weil er ihn als seinen Vertrauten sehr gut kannte. Die Asiaten sind jedoch sehr mißtrauisch. Also setzte er einen zweiten, noch vertrauteren Diener als Spion auf den ersten an. Dem zweiten wurde befohlen, Achmet niemals aus den Augen zu lassen und er folgte ihm wie ein Schatten. Auch in jener Nacht war er ihm gefolgt und sah ihn durch den Torweg hindurchgehen. Natürlich glaubte er, Achmet hätte Zuflucht im Fort gefunden, bat am nächsten Tag um Eintritt ins Fort und konnte keine Spur von Achmet finden. Da es ihm merkwürdig vorkam, sprach er darüber mit einem Sergeant der Wache, und dieser brachte es vor den Kommandanten. Schnell wurde eine gründliche Suche durchgeführt und der Tote entdeckt. Und gerade als wir uns sicher fühlten, wurde wir alle vier festgenommen und des Mordes angeklagt – drei von uns, da wir in jener Nacht das Tor bewacht hatten, der vierte, weil er als Begleiter des Ermordeten gesehen worden war. Im Prozeß wurden die Juwelen mit keinem Wort erwähnt, denn der Rajah war entthront und aus Indien vertrieben worden; und niemand sonst konnte sie vermissen. Der Mord war aber eindeutig und wir alle mußten daran beteiligt gewesen sein. Die drei Sikhs erhielten eine lebenslange Zuchthausstrafe, ich wurde zum Tode verurteilt; allerdings wurde mein Strafmaß später in das gleiche wie bei den anderen umgewandelt.

»Wir befanden uns in einer eigenartigen Situation. Alle vier mit Ketten an den Füßen und ohne die geringste Chance des Entkommens. Und doch bewahrte jeder von uns ein Geheimnis, das uns sofort in einen Palast versetzen könnte, wenn wir es preisgeben würden. Es war zum Verücktwerden. Man mußte sich von jedem noch so niedrigen Wärter treten lassen, mußte Reis essen und Wasser trinken, wo doch das gewaltige Vermögen draußen nur darauf wartete, daß wir es uns nahmen. Es hätte mich verrückt machen können, aber ich war schon immer stur, so hielt ich mich wacker und saß meine Zeit ab.

»Und dann schien sie gekommen zu sein. Ich wurde von Agra nach Madras verlegt und von dort nach Blair Island auf den Andamanen. Es gab nur wenige weiße Verbrecher in dieser Kolonie. Da ich mich von Anfang an ordentlich benahm, war ich bald eine privilegierte Person. Ich erhielt eine Hütte in Hope Town, einem kleinen Ort an den Hängen des Mount Harriet. Man ließ mich dort allein leben. Es war ein düsterer, fieberverseuchter Ort und außerhalb unserer Rodung hausten wilde eingeborene Kannibalen, die uns nur allzu gern mit ihren vergifteten Pfeilen beschossen, wenn sie nur eine Gelegenheit dazu fanden. Den ganzen Tag waren wir mit Graben, Roden und dem Pflanzen von Yams beschäftigt; doch am Abend hatten wir ein wenig Zeit für uns selbst. So lernte ich unter anderem, Medikamente für unseren Arzt auszuteilen und habe dabei von seinem Wissen einiges erlernt. Ich war immer auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Doch das Festland war hunderte von Meilen entfernt und es gab kaum oder nur sehr wenig Wind auf dem Meer. Die Flucht war fürchterlich schwer.

»Der Arzt, Dr. Somerton, war ein sportbegeisterter junger Mann. Abends kamen andere jüngere Offiziere in sein Zimmer und spielten Karten mit ihm. Das Behandlungszimmer, in dem ich die Medikamente zusammenstellte, hatte ein Fenster zu seinem Wohnzimmer. Oft, wenn ich mich langweilte, machte ich die Lampe im Zimmer aus und konnte ihre Gespräche hören und das Kartenspiel beobachten. Ich bin selbst ein begeisterter Kartenspieler und das Zusehen war fast so gut wie das Mitspielen. Anwesend waren Major Sholto, Captain Morstan und Lieutenant Bromley Brown, sie alle befehligten die eingeborenen Truppen. Dann war der Arzt dabei, sowie zwei oder drei Angestellte des Gefängnisses, listige alte Jungens, die ein nettes, schlaues und sicheres Spiel liebten. Sie gaben eine gemütliche kleine Gesellschaft ab.

»Bald schon bemerkte ich verwundert, daß die Soldaten immer verloren und die Zivilisten immer gewannen. Ich sage nicht, daß dabei etwas unfair war, aber es war so. Seit sie auf den Andamanen waren, hatten die Leute vom Gefängnis nichts anderes getan, als Karten zu spielen; und sie kannten die Spielweise ihrer Kameraden recht gut. Die anderen spielten nur zum Zeitvertreib und warfen die Karten schnell hin. Jede Nacht wurden die Soldaten ärmer, und je ärmer sie wurden, desto schärfer waren sie auf ein neues Spiel. Major Sholto war der Schlimmste. Zuerst bezahlte er mit Geldscheinen und mit Gold, aber dann kam es zu Schuldscheinen über große Summen. Manchmal gewann er einige Runden, als sollte er bei Laune gehalten werden. Doch dann verließ ihn das Glück noch mehr als je zuvor. Tagsüber wanderte er wutschnaubend herum und trank mehr als ihm gut tat.

»Eines Abends verlor er noch mehr als gewöhnlich. Ich saß in meiner Hütte, als er und Captain Morstan auf dem Weg zu ihrer Wohnung an mir vorbeistolperten. Die beiden waren Busenfreunde und man sah sie nie weit voneinander entfernt. Der Major ereiferte sich über seine Verluste.

»Als sie meine Hütte passierten, sagte er: ›Es ist aus, Morstan. Ich muß um Entlassung bitten. Ich bin ruiniert.‹

»›Unsinn, alter Junge!‹ sagte der andere und schlug ihm auf die Schulter. ›Ich habe auch eine Pechsträhne gehabt, aber –‹. Das war alles, was ich hören konnte. Aber es hatte mich auf einen Gedanken gebracht.

»Einige Tage später schlenderte Major Sholto am Strand entlang und ich nahm die Gelegenheit wahr, ihn anzusprechen.

»›Ich möchte einen Rat von Ihnen haben, Major,‹ sagte ich.

»›Nun Small, was gibt es?‹ fragte er und nahm seinen Zigarrenstumpen aus dem Mund.

»›Sir, ich möchte Sie folgendes fragen,‹ sagte ich. ›Wer wäre der Richtige, um einen versteckten Schatz zu melden. Ich weiß, wo eine halbe Million liegt. Und da ich sie selber nicht verwenden kann, wäre es das beste, wenn ich sie der richtigen Behörde übergebe. Vielleicht wird dann meine Strafe verkürzt.‹

»›Eine halbe Million, Small?‹ Er schnappte nach Luft und sah mich an, ob ich es ernst meinte.

»›So ist es, Sir – in Juwelen und in Perlen. Es liegt für jedermann bereit. Und das Verrückte ist, daß der wahre Besitzer geächtet ist und es nicht beanspruchen kann. So gehört es dem Ersten, der es nimmt.‹

»›Der Regierung, Small,‹ stammelte er, ›– der Regierung‹. Aber er sagte es mit Zögern und ich wußte nun, daß ich ihn gepackt hatte.

»›Sie meinen also, Sir, ich soll die Information dem Generalgouverneur geben?‹ fragte ich ruhig.

»›Nun, Sie müssen nichts Unbesonnenes tun, etwas, das Sie bereuen könnten. Erzählen Sie mir alles, Small. Geben Sie mir die Fakten.‹

»Ich erzählte ihm die ganze Geschichte, machte aber kleine Änderungen, damit er die Orte nicht identifizieren konnte. Als ich fertig war, stand er stocksteif und in Gedanken da. Am Zucken seiner Lippen konnte ich sehen, daß in seinem Innern ein Kampf stattfand.

»›Das ist eine sehr wichtige Sache, Small,‹ sagte er zuletzt. ›Sie sollten keinem ein Wort davon erzählen. Wir werden uns bald wieder sehen.‹

»Zwei Tage später kamen er und sein Freund Captain Morstan in stockfinsterer Nacht mit einer Laterne an meine Hütte.

»›Ich möchte, daß auch Captain Morstan die Geschichte aus Ihrem Munde hört, Small,‹ sagte er.

»Und so erzählte ich sie genau wie zuvor.

»›Ist sie wahr?‹ sagte er. ›Ist sie gut genug, um darauf zu reagieren?‹

»Captain Morstan nickte.

»›Sehen Sie, Small,‹ sagte der Major. ›Wir haben darüber gesprochen, mein Freund und ich. Und wir sind zum Entschluß gekommen, daß ihr Geheimnis keine Sache der Regierung ist, es ist eher Ihre private Sache. Sie sollten es also so regeln, wie Sie es für richtig halten. Nun aber die Frage, was wäre es Ihnen wert? Wir könnten den Fall aufnehmen und uns darum kümmern, wenn wir uns über die Bedingungen einigen könnten.‹ Er versuchte, in einer ruhigen und nachlässigen Art zu sprechen, aber seine Augen schimmerten vor Aufregung und Gier.

»›Wenn es so ist, Gentlemen,‹ antwortete ich und versuchte ebenfalls, ruhig zu sein, obwohl ich genauso aufgeregt war, wie er. ›Ein Mann in meiner Position kann nur einen einzigen Handel abschließen. Ich möchte, daß Sie mir und meinen drei Gefährten zur Freiheit verhelfen. Dann nehmen wir Sie in unsere Gemeinschaft auf und geben Ihnen ein Fünftel, das Sie unter sich aufteilen.‹

»›Hmm!‹ sagte er. ›Ein Fünftel! Das ist nicht so lohnend.‹

»›Es wären fünfzigtausend für jeden,‹ sagte ich.

»›Aber wie sollen wir Sie freibekommen? Sie wissen, daß Sie um etwas Unmögliches bitten.‹

»›Nicht im geringsten,‹ antwortete ich. ›Ich habe es bis ins letzte Detail durchdacht. Das einzige Hindernis zu unserer Flucht ist die Tatsache, daß wir kein für die Reise ausgerüstetes Boot finden können. Und nicht ausreichend Proviant für eine so lange Reise. In Kalkutta oder Madras gibt es genügend kleine Yachten oder Yawls, die für unser Vorhaben geeignet sind. Bringen Sie eine hierher. Wir werden in der Nacht an Bord gehen und wenn Sie uns an irgendeiner Stelle an der indischen Küste rauswerfen, haben Sie ihren Teil der Abmachung erfüllt.‹

»›Wenn es nur einer wäre,‹ sagte er.

»›Alle oder keiner,‹ antwortete ich. ›Wir haben es geschworen. Wir vier müssen immer gemeinsam handeln.‹

»›Sehen Sie, Morstan,‹ sagte er, ›Small steht zu seinem Wort. Er steht zu seinen Freunden. Ich glaube, wir können ihm wohl trauen.‹

»›Es ist ein schmutziges Geschäft,‹ sagte der andere. ›Aber wie Sie schon sagten, das Geld würde unsere Verpflichtungen mehr als genug decken.‹

»›Ich denke, Small,‹ sagte der Major, ›wir müssen es versuchen und Ihnen entgegenkommen. Natürlich müssen wir erst den Wahrheitsgehalt Ihrer Geschichte überprüfen. Sagen Sie mir, wo die Kiste liegt, und ich nehme Urlaub und fahre mit dem monatlich kommenden Versorgungsboot nach Indien und untersuche die Sache.‹

»›Nicht so schnell,‹ sagte ich und wurde ebenso kalt wie er heiß geworden war. ›Ich brauche die Zustimmung meiner drei Kameraden. Ich sagte bereits, alle oder keiner.‹

»›Unsinn!‹ unterbrach er mich. ›Was haben die drei schwarzen Kerle mit unserer Abmachung zu tun?‹

»›Schwarz oder blau,‹ sagte ich, ›sie sind dabei und wir gehen zusammen.‹

»Nun, das ganze endete mit einer zweiten Versammlung, an der Mahomet Singh, Abdullah Khan und Dost Akbar teilnahmen. Wir besprachen die Sache noch einmal und kamen zum Schluß zu einer Übereinkunft. Wir würden beiden Offizieren eine Karte von Agra geben und den Ort markieren, an dem der Schatz versteckt war. Major Sholto sollte nach Indien fahren und die Geschichte überprüfen. Falls er die Box fände sollte er sie dort belassen und eine kleine Yacht für die Reise ausrüsten. Sie sollte vor Rutland Island ankern. Er kehrt zum Dienst zurück und wir schlagen uns zum Boot durch. Dann sollte Captain Morstan seinen Urlaub nehmen und uns in Agra treffen. Dort würde der Schatz endgültig geteilt und er nähme seinen und des Majors Anteil. Dies alles wurde unter den ernstesten Schwüren, die sich der Verstand ausdenken und die Lippen aussprechen konnten, besiegelt. Ich war die ganze Nacht mit Papier und Tinte beschäftigt und am Morgen hatte ich die beiden Karten fertig, unterschrieben mit dem Zeichen der Vier – von Abdullah, Akbar, Mahomet und von mir.

»Nun, Gentlemen, ich ermüde Sie sicher mit meiner langen Geschichte und weiß, daß mein Freund Mr. Jones ungeduldig darauf wartet, mich ins Kittchen zu bringen. Ich werde mich kurz fassen. Der Schurke Sholto reiste nach Indien und kam nie mehr zurück. Captain Morstan zeigte mir kurz darauf seinen Namen auf der Passagierliste eines Postschiffes. Sein Onkel war gestorben und hatte ihm ein Vermögen vererbt, und so verließ er die Armee. Wie konnte er nur derart gemein sein, und uns fünf so behandeln. Kurz darauf fuhr Morstan hinüber nach Agra und fand das Versteck leer, genau wie wir es erwartet hatten. Der Schuft hatte alles gestohlen ohne auch nur eine Bedingung zu erfüllen, unter der wir ihm das Geheimnis verraten hatten. Seit jener Zeit sann ich nur noch auf Rache. Tagsüber dachte ich daran und nachts träumte ich davon. Es wurde zu einer mich beherrschenden Leidenschaft. Das Gesetz interessierte mich nicht – auch nicht der Galgen. Zu entkommen, Sholto zu verfolgen und meine Hand an seinem Hals zu spüren – dies waren meine einzigen Gedanken. Selbst der Agra-Schatz war in meinen Gedanken weniger wert als das Töten von Sholto.

»Nun, ich hatte mir in meinem bisherigen Leben viel vorgenommen und alles auch ausgeführt. Aber es waren beschwerliche Jahre, bevor endlich meine Zeit gekommen war. Ich erzählte bereits, daß ich einiges über Medizin gelernt hatte. Als eines Tages Dr. Somerton mit Malaria zu Bett lag, wurde ein kleiner Andamanen-Bursche von einer Gruppe Strafgefangener im Wald gefangengenommen. Er war todkrank und hatte sich eine einsame Stelle zum Sterben gesucht. Ich nahm ihn in Pflege, obwohl er so giftig wie eine junge Schlange war, und nach einigen Monaten war er gesund und konnte wieder laufen. Er hatte Zuneigung zu mir gewonnen, wollte absolut nicht in den Dschungel zurück und trieb sich in der Nähe meiner Hütte herum. Ich hatte ein wenig von seiner Sprache gelernt, dies machte ihn noch anhänglicher.

»Tonga – so war sein Name – war ein guter Bootsmann. Ihm gehörte ein großes, geräumiges Kanu. Als ich seine Ergebenheit erkannte, sah ich meine Gelegenheit zur Flucht gekommen, denn er würde alles für mich tun. Ich sprach mit ihm darüber. Er sollte das Boot in der Nacht an einen unbewachten Landungssteg bringen und mich dort aufnehmen. Ich gab ihm Anweisungen, mehrere Kürbisflaschen mit Wasser, sowie genügend Yamswurzeln, Kokusnüsse und Süßkartoffeln mitzubringen.

»Der kleine Tonga war treu und zuverlässig. Man kann sich keinen treueren Gehilfen vorstellen. Zur angegebenen Nacht war sein Boot am Steg. Zufälligerweise war in jener Nacht ein Gefangenenaufseher dort – ein schrecklicher Pathane, der nie eine Gelegenheit ausgelassen hatte, mich zu beleidigen und zu verletzen. Ich hatte immer Rache geschworen, und nun war die Gelegenheit gekommen. Es war, als ob das Schicksal ihn mir zugeführt hatte, damit ich meine Schuld begleichen konnte, bevor ich die Insel verließ. Er stand mit dem Rücken zu mir am Ufer, den Karabiner über der Schulter. Ich suchte nach einem Stein, um ihm den Kopf einzuschlagen, konnte aber keinen finden. Da kam mir ein verrückter Gedanke, wie ich zu einer Waffe kommen könnte. Ich setzte mich in der Dunkelheit hin und band mir das Holzbein ab. Mit drei schnellen Sprüngen war ich bei ihm. Er riß den Karabiner von seiner Schulter, aber ich traf ihn voll und zerschlug ihm das Gesicht. Sie sehen hier noch den Sprung an der Stelle im Holz, wo ich ihn traf. Da ich mein Gleichgewicht verlor, fielen wir beide hin, aber er blieb für immer liegen. Ich begab mich zum Boot und eine Stunde später waren wir unversehrt auf See. Tonga hatte all seine irdischen Besitztümer mitgebracht, seine Waffen und seine Götzen. Unter anderem hatte er einen langen Bambusspeer und einige Kokosmatten dabei, aus denen ich eine Art Segel machte. Zehn Tage trieben wir in der See herum und vertrauten unserem Glück. Am elften Tag wurde wir von einem Handelsschiff aufgenommen, das mit einer Ladung malaiischer Pilger von Singapur nach Jiddah fuhr. Es war eine komische Truppe, aber Tonga und ich konnten uns bald zwischen ihnen niederlassen. Sie hatten eine gute Eigenschaft: sie ließen uns in Ruhe und stellten keine Fragen.

»Ich kann Ihnen nicht alle Abenteuer erzählen, die mein kleiner Freund und ich durchstehen mußten. Sonst säßen wir noch bei Tageslicht hier. Wir trieben auf der Welt hierhin und dorthin, irgendetwas hielt uns immer davon ab, nach London zu kommen. Aber ich hatte die ganze Zeit mein Ziel nicht aus den Augen verloren. Nachts träumte ich von Sholto. Ich habe ihn hundertmal im Schlaf ermordet. Endlich, vor etwa drei oder vier Jahren, kamen wir doch nach England. Es war nicht schwierig herauszufinden, wo Sholto lebte und ich begann zu erforschen, ob er den Schatz zu Geld gemacht hatte oder ob er ihn noch immer besaß. Ich befreundete mich mit jemandem, der mir dabei helfen konnte – ich nenne keinen Namen, denn ich möchte ihn nicht auch ins Loch wandern sehen – und fand bald heraus, daß er die Juwelen noch besaß. Dann versuchte ich, auf verschiedene Weise an ihn heranzukommen. Aber er war sehr schlau und hatte immer zwei Preisboxer zur Bewachung, außerdem seine Söhne und seinem Khitmutgar.

»Eines Tages erhielt ich jedoch die Nachricht, daß er im Sterben liege. Ich eilte sofort in seinen Garten, voller Furcht, er könnte mir so einfach aus den Fängen entkommen. Ich schaute durchs Fenster und sah ihn in seinem Bett liegen, die Söhne an seiner Seite. Ich hätte es auch mit allen Dreien aufgenommen, als ich plötzlich sein Kinn herunterfallen sah. Da wußte ich, daß er tot war. In der gleichen Nacht stahl ich mich in sein Zimmer und suchte in seinen Papieren nach einem Hinweis, wo er die Juwelen versteckt haben könnte. Doch ich fand keine Zeile und mußte verbittert und enttäuscht den Ort verlassen. Doch zuvor überlegte ich, ob ich nicht ein Zeichen der Rache hinterlassen sollte, das meine Sikh-Freunde erfreut hätte, sollte ich sie jemals wiedersehen. So kritzelte ich das Zeichen von uns Vieren auf die Karte und befestigte sie an seiner Brust. Es wäre ungerecht gewesen, wenn er zu Grabe getragen würde ohne irgendein Zeichen der Männer, die er genarrt und bestohlen hatte.

»In jener Zeit verdienten wir unseren Lebensunterhalt, indem ich Tonga auf Ausstellungen und an anderen Orten als den schwarzen Kannibalen vorführte. Er mußte rohes Fleisch essen und einen Kriegstanz zeigen. So hatten wir am Ende des Tages eine Handvoll Pennies in Hut. Ich erhielt noch immer die Nachrichten von Pondicherry Lodge, aber für einige Jahre war nichts Neues zu erfahren, außer daß man immer noch nach dem Schatz suchte. Dann endlich kam die Nachricht, auf die wir so lange gewartet hatten. Der Schatz war gefunden worden. Er war im Dach des Hauses, in Mr. Bartholomews Chemielaboratorium. Ich ging sofort hin, um mir den Ort anzusehen, fand aber keine Möglichkeit, mit meinem Holzbein dort hinauf zu gelangen. Ich erfuhr aber etwas über die Falltür und über Mr. Sholto's Uhrzeit des Abendessens. Ich glaubte, dies leicht durch Tonga erledigen zu können. Ich nahm ihn mit und band ihm ein langes Tau um die Hüften. Er konnte wie eine Katze klettern und war schnell auf dem Dach. Unglücklicherweise und zu seinem Schaden war Mr. Sholto noch im Zimmer. Tonga glaubte, etwas sehr Kluges getan zu haben, als er ihn tötete. Als ich das Seil hinaufkam, lief er wie ein stolzer Pfau herum. Er war sehr überrascht, als ich ihn mit dem Tauende schlug und ihn als blutrünstigen Kobold verfluchte. Ich nahm die Schatzkiste und ließ erst sie und dann mich am Seil hinunter. Vorher machte ich aber das Zeichen der Vier auf dem Tisch, um anzuzeigen, daß die rechtmäßigen Besitzer zurückgekommen waren. Tonga zog dann das Seil herauf, schloß das Fenster und machte sich auf demselben Weg von dannen, wie er gekommen war.

»Ich glaube, mehr brauche ich Ihnen nicht zu erzählen. Ich hatte einen Seemann über die Schnelligkeit der Aurora erzählen gehört und dachte, es sei das richtige Boot zur Flucht. Ich wurde mit dem alten Smith handelseinig und versprach ihm eine hohe Belohnung, wenn er uns sicher auf unser Schiff bringen würde. Er wußte zweifellos, daß etwas faul daran war, aber er erfuhr nichts über unser Geheimnis. Und wenn ich Ihnen hier die Wahrheit erzähle, ist es nicht, um Sie gut zu amüsieren, Gentlemen – denn andersherum haben Sie mir nicht Gutes gebracht –, sondern meine beste Verteidigung kann nur sein, nichts auszulassen. Die ganze Welt soll wissen, wie schlecht ich von Sholto behandelt worden bin und wie unschuldig ich am Tod seines Sohnes.«

»Ein bemerkenswerter Fall,« sagte Holmes. »Und eine passende Auflösung dazu. Im letzten Teil Ihrer Erzählung habe ich nichts Neues erfahren, außer daß Sie Ihr eigenes Seil mitbrachten. Das wußte ich nicht. Ich hatte übrigens gehofft, daß Tonga alle seine Pfeile verschossen hatte, aber er hat noch einen vom Schiff aus auf uns abgeschossen.«

»Er hatte sie alle verloren, Sir. Aber einer steckte noch im Blasrohr.«

»Oh, natürlich,« sagte Holmes. »Daran hatte ich nicht gedacht.«

»Gibt es noch einen anderen Punkt, über den Sie Auskunft wünschen?« fragte der Gefangene leutselig.

»Danke, ich glaube nicht,« antwortete mein Begleiter.

»Nun, Holmes,« sagte Athelney Jones, »Sie sind ein humorvoller Mensch und wir wissen alle, daß sie ein Liebhaber von Verbrechen sind. Aber Pflicht ist Pflicht und ich bin sehr weit mit dem gegangen, um das Sie mich gebeten hatten. Ich würde mich viel wohler fühlen, wenn wir unseren Geschichtenerzähler endlich hinter Schloß und Riegel hätten. Der Wagen und zwei Inspektoren warten noch immer unten auf uns. Ich danke Ihnen beiden für Ihre Hilfe. Natürlich wird man Sie vor Gericht brauchen. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«

»Ihnen beiden Gute Nacht, Gentlemen,« sagte auch Jonathan Small.

»Sie gehen voran, Small,« befahl der vorsichtige Jones beim Verlassen des Zimmers. »Ich werde genau aufpassen, daß Sie mich mit Ihrem Holzbein nicht so wie den Mann auf den Andamanen niederknüppeln können.«

»So, das ist nun das Ende unseres kleinen Dramas,« bemerkte ich, nachdem wir einige Zeit still geraucht hatten. »Ich fürchte, dies war die letzte Ermittlung, bei der ich Ihre Methoden studieren konnte. Miss Morstan hat mir die Ehre gegeben und mich als zukünftigen Ehemann akzeptiert.«

Er stieß einen düsteren Seufzer aus. »Das habe ich befürchtet,« sagte er. »Ich kann Ihnen wirklich nicht gratulieren.«

Ich war ein wenig gekränkt. »Sind Sie mit meiner Wahl unzufrieden?« fragte ich.

»Keineswegs. Sie ist eine der charmantesten jungen Damen, die ich je kennengelernt habe und könnte uns bei solchen Arbeiten wohl unterstützen, wie wir sie bisher gemacht haben. Sie hat eine unzweifelhafte Geschicklichkeit dabei: denken Sie daran, wie sie diese Agra-Karte von allen anderen Papieren ausgewählt und aufbewahrt hatte. Aber die Liebe ist eine emotionale Sache und steht im Gegensatz zur kalten Logik, die ich über alle anderen Dinge stelle. Ich werde nie heiraten, denn ich fürchte die Beeinflussung meines Urteilsvermögens.«

»Ich vertraue darauf,« rief ich lachend, »daß mein Urteilsvermögen die Probe besteht. Aber Sie sehen müde aus.«

»Ja, es wirkt schon bei mir. Ich werde mich eine Woche lang wie ein schlapper Feudel fühlen.«

»Seltsam,« sagte ich, »wie sich etwas, das ich bei anderen Menschen Faulheit nennen würde, bei Ihnen abwechselt mit Anfällen von extremer Energie und Kraft.«

»Ja,« sagte er, »in mir gibt es Anlagen für einen guten Faulenzer und auch für einen lebhaften Typen. Ich denke oft an diese Zeilen vom alten Goethe:

›Schade, daß die Natur nur einen Mensch aus Dir schuf,
Denn zum würdigen Mann war und zum Schelmen der Stoff.‹

Um noch einmal auf den Norwood Fall zurückzukommen: Sie sehen, daß sie, wie ich schon vermutete, einen Verbündeten im Hause hatten. Dies kann kein anderer als der Butler Lal Rao sein. Jones hat also nur einen Teil der Beute in seinem Netz gefangen.«

»Eine Teilung scheint mir ungerecht,« antwortete ich. »Sie haben die meiste Arbeit an diesem Fall geleistet. Ich bekomme eine Ehefrau, Jones erhält die Ehre, was bleibt da für Sie?«

»Mir bleibt das Kokain-Fläschchen,« sagte Sherlock Holmes und streckte seine lange weiße Hand danach aus.


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