Arthur Conan Doyle
Das Zeichen der Vier
Arthur Conan Doyle

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Ein Bruch in der Kette

Es war später Nachmittag, als ich erfrischt und gestärkt aufwachte. Holmes saß noch in der gleichen Stellung, in der ich ihn vor dem Einschlafen gesehen hatte. Er hatte nur seine Violine zur Seite gelegt und war in ein Buch vertieft. Als ich mich rührte, sah er kurz zu mir herüber und ich bemerkte, daß sein Ausdruck dunkel und verärgert war.

»Sie haben fest geschlafen,« sagte er, »ich fürchtete schon, unsere Unterhaltung würde Sie aufwecken.«

»Ich habe nichts gehört,« antwortete ich, »haben Sie denn Neuigkeiten erhalten?«

»Leider nein. Ich gestehe, daß ich überrascht und enttäuscht bin. Es hätten schon Nachrichten eintreffen müssen. Wiggins hat mir soeben Bericht erstattet. Er sagt, daß von der Barkasse keine Spur gefunden werden konnte. Das ist ein ärgerlicher Rückschlag, denn jede Stunde ist kostbar.«

»Kann ich etwas tun? Ich fühle mich vollkommen erfrischt und bin für eine weitere Nachtwanderung gerüstet.«

»Nein, wir können nur warten. Gehen wir selbst, könnte die Nachricht während unserer Abwesenheit eintreffen und alles verzögern. Machen Sie, was Sie wollen, ich bleibe hier in Bereitschaft.«

»Dann gehe ich hinüber nach Camberwell und besuche Mrs. Cecil Forrester. Sie bat mich gestern darum.«

»Zu Mrs. Cecil Forrester?« fragte er mit einem Anflug von Lächeln in den Augen.

»Ja, natürlich auch zu Miss Morstan. Beide sind bestimmt neugierig, das bisher Geschehene zu erfahren.

»Ich würde ihnen nicht allzuviel erzählen,« sagte Holmes. »Frauen kann man nie ganz trauen – nicht einmal den besten.«

Ich vermied einen Streit über diese scheußliche Meinung. »Ich bin in einer oder zwei Stunden zurück,« bemerkte ich.

»Gut! Viel Glück! Wenn Sie aber schon über den Fluß müssen, könnten Sie auch Toby zurückbringen. Ich glaube nicht, daß wir noch Verwendung für ihn finden werden.«

So nahm ich unsere Promenadenmischung und brachte ihn mit einem 10-Shilling-Stück für den Botaniker in die Pinch-Street. In Camberwell war Mrs. Morstan ein wenig müde nach den nächtlichen Abenteuern, aber dennoch lebhaft erregt, die Neuigkeiten zu erfahren. Auch Mrs. Forrester war neugierig. Ich erzählte ihnen alles, was wir bisher unternommen hatten, vermied aber die schlimmeren Teile unserer Tragödie. Ich sprach wohl über den Tod von Mr. Sholto, sagte aber nichts über die Umstände und die genaue Todesart. Doch trotz meiner Auslassungen gab es genug Erstaunen und Erschrecken.

»Fantastisch!« rief Mrs. Forrester. »Eine um eine halbe Million betrogene Lady, ein schwarzer Kannibale und ein Schurke mit Holzbein. Anstelle des üblichen Drachens und des bösen Barons.«

»Und zwei Ritter eilen zu ihrer Rettung,« fügte Miss Morstan mit einem an mich gerichteten strahlenden Lächeln hinzu.

»Nun, Mary, Ihr zukünftiges Vermögen hängt von den Ergebnissen dieser Suche ab. Sie können nicht aufgeregt genug sein. Denken Sie daran, wie reich Sie sein werden und wie dann die Welt zu Ihren Füßen liegt!«

Ein Freudenschimmer bemächtigte sich meiner, als ich bemerkte, daß diese Aussicht ihr Verhalten nicht änderte. Im Gegenteil, sie warf den Kopf stolz zurück, als ob sie an der Sache keinen Anteil nähme.

»Ich bin um Mr. Thaddeus Sholto besorgt,« sagte sie. »Alles andere ist bedeutungslos. Ich denke, er hat sich sehr ehrenwert und nett gezeigt. Wir sollten ihn von dieser fürchterlichen und unbegründeten Anklage befreien.«

Als ich Camberwell verließ, war es Abend geworden und schon sehr dunkel, als ich zu Hause ankam. Buch und Pfeife meines Begleiters lagen auf seinem Stuhl, er aber war verschwunden. Trotz Suche nach einer Notiz fand ich nichts.

Als Mrs. Hudson kam, um die Jalousien herunterzulassen, sagte ich: »Holmes ist sicherlich spazierengegangen.«

»Nein, Sir. Er ist auf sein Zimmer gegangen. Wissen Sie, daß ich mir über seine Gesundheit Sorgen mache?« antwortete sie mit leiser Stimme.

»Und warum, Mrs. Hudson?«

»Nun, er benimmt sich so merkwürdig, Sir. Nachdem Sie gegangen waren, ist er auf und ab gegangen, immer wieder auf und ab, bis ich dem Geräusch seiner Fußtritte überdrüssig wurde. Dann sprach und murmelte er zu sich, und jedesmal, wenn die Klingel ging, rief er: »Was ist, Mrs. Hudson?« Und jetzt hat er sein Zimmer verriegelt, aber ich höre ihn immer noch herumgehen. Ich hoffe, er wird nicht krank, Sir. Ich sagte ihm etwas über lindernde Medizin, aber er sah mich derart an, daß ich nicht einmal weiß, wie ich aus dem Zimmer kam.«

»Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, Mrs. Hudson,« antwortete ich. »So habe ich ihn schon früher gesehen. Er hat ein kleines Problem, und das macht ihn ruhelos.« Ich versuchte, beruhigend auf unsere Wirtin einzureden, war aber dennoch selbst etwas beunruhigt, als ich die ganze Nacht den dumpfen Klang seiner Schritte hörte. Ich wußte, daß sein scharfer Verstand gegen die ungewollte Passivität rebellierte.

Zum Frühstück sah er erschöpft und ausgezehrt aus und hatte kleine fiebrige Flecken auf beiden Wangen.

»Sie reiben sich selbst auf, mein Herr,« bemerkte ich. »Ich habe Sie die ganze Nacht wandern gehört.«

»Nun, ich konnte nicht schlafen,« antwortete er. »Dieses höllische Problem frißt mich auf. Wo schon fast alles geklärt ist, darf uns solch kleines Hindernis nicht aufhalten. Ich kenne die Leute, das Schiff, fast alles – und doch kommen keine neuen Nachrichten. Ich habe noch andere Nachrichtenquellen angezapft und jedes mir zur Verfügung stehende Mittel angewandt. Der Fluß ist auf beiden Seiten gründlich durchsucht worden, trotzdem gibt es keine Neuigkeiten und Mrs. Smith hat nichts von ihrem Mann gehört. Fast kommt mir der Gedanke, daß sie das Schiff versenkt haben. Aber dagegen spricht etwas anderes.«

»Oder Mrs. Smith hat uns auf eine falsche Fährte gelockt.«

»Nein, das können wir vergessen. Ich habe Nachforschungen angestellt, es gibt eine Barkasse mit genau dieser Beschreibung.«

»Könnten sie flußaufwärts gefahren sein?«

»Auch das habe ich in Betracht gezogen. Es ist ein Suchtrupp bis hoch nach Richmond unterwegs. Wenn heute keine Nachrichten kommen, werde ich morgen aufbrechen und nach den Männern anstatt nach dem Boot suchen. Aber wir werden bestimmt etwas hören.«

Wir hörten nichts. Weder Wiggins noch andere Quellen brachten neue Informationen. In allen Zeitungen wurden Artikel über die Norwood-Tragödie veröffentlicht. Und alles sprach gegen den unglücklichen Thaddeus Sholto. Es gab keine neuen Fakten, aber die gerichtliche Untersuchung der Todesursache wurde für den folgenden Tag angekündigt. Ich fuhr am Abend nach Camberwell um den Damen unsere Mißerfolge zu berichten. Bei meiner Rückkehr fand ich Holmes niedergeschlagen und etwas verschlossen. Er beantwortete meine Fragen kaum und beschäftigte sich den ganzen Abend mit einer abstrusen chemischen Analyse. Er erhitzte Retortengläser und destillierte Dämpfe, deren Geruch mich letztendlich aus dem Zimmer vertrieben. Bis in die frühen Morgenstunden konnte ich das Klirren seiner Teströhrchen hören und ich war sicher, daß er immer noch an seinen übelriechenden Experimenten arbeitete.

Zur Morgendämmerung wachte ich auf und war überrascht, als er plötzlich neben meinem Bett stand. Er trug grobe Seemanskleidung mit Rollkragen und einen roten Schal um den Hals.

»Ich gehe jetzt zum Fluß, Watson,« sagte er. »Nach allen Überlegungen sehe ich nur einen einzigen Weg. Und den werde ich auf jeden Fall versuchen.«

»Ich darf doch sicherlich mitkommen?« fragte ich.

»Nein. Sie sind hier besser als mein Vertreter aufgehoben. Ich gehe ungern, denn es sieht so aus, daß heute noch wichtige Nachrichten eintreffen werden. Obgleich Wiggins gestern nacht noch nicht sicher war. Bitte öffnen Sie alle Nachrichten und Telegramme und handeln Sie dann nach Ihrem eigenen Ermessen. Kann ich mich auf Sie verlassen?«

»Aber sicher.«

»Sie werden mich nicht benachrichtigen können, denn ich kann Ihnen nicht sagen, wo ich mich befinden werde. Mit viel Glück bin ich aber nicht sehr lange fort. Und ich werde mit Nachrichten der einen oder der anderen Art zurückkommen.«

Bis zum Frühstück hörte ich nichts von ihm. Als ich den Standard aufschlug, fand ich eine frische Anspielung auf unser Unternehmen. »Zur Norwood-Tragödie,« berichtete man, »wird angenommen, daß der Fall doch komplexer und mysteriöser ist als ursprünglich angenommen wurde. Neuere Hinweise haben ergeben, daß Mr. Thaddeus Sholto unmöglich mit dem Mordfall in Verbindung gebracht werden kann. Er und seine Haushälterin Mrs. Bernstone wurden gestern auf freien Fuß gesetzt. Es wird aber vermutet, daß die Polizei einen Hinweis auf die wahren Täter hat. Mr. Athelney Jones von Scotland Yard verfolgt die Spuren mit bekannter Energie und Scharfsinn. Weitere Verhaftungen werden in Kürze erwartet.«

»Soweit ist es gut,« dachte ich. »Unser Freund Sholto ist jedenfalls gerettet. Was mag die neue Spur sein, von der berichtet wird? Aber das ist sicher eine der Floskeln, die bei der Polizei im Fall von Pannen benutzt wird.«

Ich warf die Zeitung auf den Tisch und im gleichen Moment fiel mein Auge auf eine Anzeige in der Rubrik »Verschiedenes«. Dort stand:

»Vermißt – Mordecai Smith, Seemann, und sein Sohn Jim. Verließen Smiths Werft Dienstag gegen drei Uhr mit der Dampfbarkasse Aurora, schwarz mit zwei roten Streifen, Schornstein schwarz mit weißem Band. Fünf Pfund Belohnung für Informationen über Verbleib von genanntem Mordecai Smith oder der Barkasse Aurora. Nachrichtigen bitte an Mrs. Smith, Smith's Werft, oder an 221b Baker Street.«

Das war eindeutig Holmes Werk. Das sah man schon an der Adresse »Baker Street«. Ich fand es sehr einfallsreich, da es von den Flüchtigen gelesen werden konnte und dennoch nur auf die natürliche Sorge einer Frau um ihren vermißten Ehemann hinwies.

Ein langer Tag begann. Jedesmal, wenn es an der Tür klopfte oder eilige Schritte auf der Straße zu hören waren, erwartete ich Holmes oder eine Nachricht auf die Anzeige. Ich versuchte zu lesen, aber meine Gedanken wanderten sofort zu unserer Suche nach dem Schurkenpaar, das wir verfolgten. Könnte es einen Fehler in der Gedankenkette meines Begleiters geben? Könnte er einem Trugbild hinterherlaufen? Könnte nicht sein schneller und theoretisierender Verstand eine These aufgestellt haben, die auf falschen Voraussetzungen beruhte? Ich hatte noch nie erlebt, daß er sich geirrt hatte, aber auch der schärfste Verstand täuscht sich gelegentlich. Durch die Überschätzung seiner Logik könnte er einem Fehlschluß aufgesessen sein und eine spitzfindige und feinsinnige Erklärung gewählt haben, wo eine einfache und triviale Lösung auf der Hand lag. Andererseits hatte ich die Beweise gesehen und war mit seinen Folgerungen einverstanden. Im Rückblick auf die lange Kette von Ereignissen sahen viele trivial aus, aber sie führten alle in die gleiche Richtung. Ich konnte nicht verhehlen, daß die Wahrheit erschreckend sein könnte, selbst wenn Holmes' Erklärungen falsch gewesen sein sollten.

Nachmittags um drei Uhr läutete es an der Haustür, ich hörte eine gebieterische Stimme im Hausflur und Mr. Athelney Jones wurde zu mir geführt. Er ähnelte nicht mehr der brüsken und gebieterischen Person, die den Fall in Upper Norwood übernommen hatte. Er war niedergeschlagen, sanftmütig, ja fast entschuldigend.

»Guten Tag, Sir, guten Tag,« sagte er, »wie ich sehe, ist Mr. Holmes unterwegs.«

»Ja, und ich kann nicht sagen, wann er zurückkommt. Aber vielleicht möchten Sie warten. Setzen Sie sich und nehmen Sie eine dieser Zigarren.«

»Danke, ich nehme mir die Freiheit,« sagte er und wischte sich das Gesicht mit einem roten Taschentuch.

»Möchten Sie einen Whiskey-Soda?«

»Gern, ein halbes Glas. Für diese Jahreszeit ist es sehr warm und ich habe reichlich Sorgen. Kennen Sie meine Theorie über den Norwood-Fall?«

»Ja, Sie hatten eine Theorie.«

»Nun, ich muß sie neu überdenken. Ich hatte mein Netz fest um Mr. Sholto gezogen, als er es mit einem Knall durch ein Loch in der Mitte verließ. Er konnte ein Alibi vorweisen, das nicht zu erschüttern war. Seit er das Zimmer seines Bruders verließ, war er immer von anderen Personen gesehen worden. Er konnte daher nicht derjenige sein, der das Dach erklomm und durch die Falltür hereinkam. Ein sehr dunkler Fall und meine Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Ich würde mich über jede Hilfe freuen.«

»Wir alle brauchen manchmal Hilfe,« sagte ich.

»Ihr Freund Sherlock Holmes ist ein bemerkenswerter Mann, Sir,« sagte er mit heiserer und vertraulicher Stimme. »Er ist unermüdlich. Ich habe ihn schon eine Menge Fälle bearbeiten gesehen, und noch in jeden Fall hat er bisher Licht gebracht. So ungewöhnlich seine Methoden auch sind, und wie schnell er sich auch auf Theorien versteift, letztendlich hätte er einen guten Polizeioffizier abgegeben. Heute morgen erhielt ich von ihm ein Telegramm, dem ich entnahm, daß er neue Anhaltspunkte zum Sholto-Fall gefunden hat. Hier ist die Nachricht.«

Er nahm das Telegramm aus der Tasche und gab es mir. Es war um zwölf Uhr in Poplar aufgegeben. »Gehen Sie sofort zur Baker Street. Falls ich nicht dort bin, warten Sie. Ich bin der Sholto Gang auf den Fersen. Wenn Sie am Finale teilnehmen wollen, begleiten Sie uns heute Nacht.«

»Das klingt gut. Er hat anscheinend die Fährte wieder aufgenommen,« sagte ich.

»Oh, dann hatte auch er sich getäuscht,« eiferte er mit sichtlicher Befriedigung. »Auch die Besten täuschen sich manchmal. Natürlich kann es ein falscher Alarm sein, aber meine Pflicht als Polizist verlangt, daß ich keine Gelegenheit verpasse. Doch da klopft jemand an der Tür. Vielleicht ist er es.«

Wir hörten schwere Schritte heraufkommen, der pfeifende und röchelnde Klang war ein Anzeichen von Atemnot. Der Ankömmling stoppte mehrfach, als wäre der Aufstieg zu beschwerlich für ihn; doch schließlich betrat er unser Zimmer. Sein Aussehen entsprach den von uns gehörten Geräuschen. Es war ein älterer Mann in Seemannskleidung und hochgeschlossenem Rollkragenpullover. Er hatte einem gebeugten Rücken, wacklige Knie und offensichtlich asthmatische Beschwerden. Auf einen dicken eichernen Stock gestützt, zeigte das Heben seiner Schultern die Anstrengung, genügend Luft in seine Lungen zu bekommen. Um den Hals trug er einen farbigen Schal, vom Gesicht sah man nur die grauen Schnurrbarthaare und ein Paar scharfe dunkle Augen, die von buschigen Augenbrauen bedeckt wurden. Er machte auf mich den Eindruck eines ehrbaren Seemanns, mit deutlichen Anzeichen von Alter und Armut.

»Worum geht es?« fragte ich.

Er schaute mit der Bedächtigkeit des Alters herum.

»Ist Mr. Sherlock Holmes hier?« fragte er.

»Nein. Aber ich vertrete ihn. Sie können mir jede Mitteilung an ihn übermitteln.«

»Ich will nur mit ihm reden,« sagte er.

»Ich sagte bereits, ich vertrete ihn. Geht es um Mordecai Smith's Schiff?«

»Ja, ich weiß, wo es ist. Und weiß auch, wo die Männer sind, hinter denen er her ist. Und weiß, wo der Schatz ist. Weiß alles darüber.«

»Dann reden Sie, und ich erzähle es ihm.«

»Ich erzähl' es nur ihm,« sagte er mit der Hartnäckigkeit eines gereizten alten Mannes.

»Gut, dann müssen Sie auf ihn warten.«

»Nein, nein; ich bleib' hier keinen ganzen Tag, nur aus Gefälligkeit. Wenn Mr. Holmes nicht da ist, muß er es eben selbst herausfinden. Eure Gesichter gefallen mir nicht und ich sage kein Wort.«

Er schlurfte zur Tür, aber Athelney Jones stellte sich vor ihm auf.

»Momentchen, mein Freund,« sagte er. »Sie haben wichtige Informationen und Sie können nicht einfach fortgehen. Wir behalten Sie hier bis unser Freund zurück ist, ob Sie wollen oder nicht.«

Der alte Mann versuchte, durch die Tür zu entkommen, aber er erkannte die Zwecklosigkeit des Versuchs, weil Athelney Jones seine breiten Schultern in der Tür plazierte.

»Das ist 'ne schöne Behandlung!« rief er und stampfte mit dem Stock auf. »Ich kam, um einen Gentleman zu sehen, und Sie beide behandeln mich in einer derartigen Weise!«

»Es hätte Schlimmeres passieren können,« sagte ich. »Wir werden Sie für die Wartezeit entschädigen. Setzen Sie sich hier auf das Sofa. Sie werden nicht lange warten müssen.«

Er kam mürrisch herüber und setzte sich, den Kopf in die Hände gestützt. Jones und ich nahmen die Unterhaltung wieder auf, bis uns kurze Zeit später die Stimme von Holmes unterbrach.

»Sie könnten mir ruhig auch eine Zigarre anbieten,« sagte er.

Beide sprangen wir aus unseren Stühlen. Holmes saß plötzlich auf dem Sofa und schaute uns amüsiert an.

»Wieso sind Sie plötzlich hier!« rief ich aus, »und wo ist der alte Mann?«

»Hier ist er,« sagte er und zeigte ein Büschel weißer Haare. »Hier ist er, mit Perücke, Schnurrbart, Augenbrauen und allem anderen. Ich wußte, meine Verkleidung war recht gut, aber daß sie den Test besteht, hätte ich nicht gedacht.«

»Oh, Sie Gauner!« rief Jones begeistert, »Sie würden einen guten Schauspieler abgeben, und zwar einen, wie man ihn selten findet. Sie hatten den typischen Husten eines Zwangsarbeiters aus dem Armenhaus und Ihre schwachen Beine würden nur zehn Pfund die Woche bringen. Aber beinahe hätte ich Sie am Glanz Ihrer Augen erkannt. Sie wären uns nicht so leicht entkommen.«

»Ich habe heute den ganzen Tag in dieser Aufmachung gearbeitet«, sagte er und zündete sich die Zigarre an. »Viele Leute aus dem kriminellen Lager kennen mich bereits – seit unser Freund hier einige meiner Fälle veröffentlicht hat. So kann ich mich nur noch in Verkleidung auf den Kriegspfad begeben. Haben Sie mein Telegramm erhalten?«

»Ja, deshalb bin ich hier.«

»Und wie ist Ihr Fall gediehen?«

»Fast wieder bei Null angekommen. Ich mußte zwei der Festgenommenen freilassen und bei den anderen beiden gibt es nicht genügend Beweise.«

»Kein Problem, wir geben Ihnen statt dessen zwei neue. Aber Sie müssen sich meinen Befehlen beugen. Die öffentliche Belobigung dürfen Sie einheimsen, aber Sie müssen meinen Richtlinien entsprechend mitarbeiten. Sind Sie damit einverstanden?«

»Uneingeschränkt, wenn ich die Leute damit erwische.«

»Gut, dann brauche ich erst einmal ein schnelles Polizeiboot, das um sieben Uhr bei Westminster bereitsteht.«

»Das kann ich schnell erledigen. In der Nähe liegt ein Boot; ich werde kurz telefonieren und das arrangieren.«

»Dann brauche ich zwei zuverlässige Männer, falls es Widerstand gibt.«

»Zwei oder drei befinden sich auf dem Boot. Was brauchen Sie noch?«

»Wenn wir die Männer festgenommen haben, werden wir den Schatz haben. Ich glaube, mein Freund hier wird es sich nicht nehmen lassen, ihn der jungen Dame geben zu wollen, der rechtmäßig die Hälfte gehört. Sie soll die erste sein, die die Schatzkiste öffnet – einverstanden, Watson?«

»Es wäre mir ein Vergnügen.«

»Eine recht ungewöhnliche Reihenfolge,« sagte Jones. »Aber die ganze Sache ist ungewöhnlich. Und wir müssen dabei ein Auge zudrücken. Aber danach muß der Schatz den Behörden übergeben werden, bis die offizielle Untersuchung abgeschlossen ist.«

»Sicher. Das wird erfolgen. Noch ein weiterer Punkt. Einige Einzelheiten muß mir Jonathan Small noch selbst erzählen. Denn ich möchte alle Einzelheiten meiner Fälle geklärt wissen. Erklären Sie sich mit einem inoffiziellen Interview einverstanden, wenn es hier oder anderswo unter strenger Bewachung erfolgt?«

»Ja, denn Sie haben jetzt das Sagen. Ich hatte bisher noch keinen Beweis für die Existenz dieses Jonathan Small. Wenn Sie ihn aber fangen, kann ich Ihnen das Interview wohl kaum verwehren.«

»Dann haben wir uns verstanden?«

»Vollkommen, gibt es sonst noch etwas?«

»Nein, aber ich bestehe darauf, daß Sie mit uns speisen. Das Essen wird in einer halben Stunde serviert. Es gibt Austern und zwei Moorhühner, dazu Weißwein nach Ihrer Wahl. Watson, haben Sie eigentlich schon gemerkt, welch guter Gastgeber ich bin?«


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