Arthur Conan Doyle
Micha Clarke
Arthur Conan Doyle

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XXXVII.

Ende.

Da wären wir also am Ende der Geschichte angelangt, lieben Kinder, der Geschichte eines zwar edeln und großen, aber dennoch gänzlich verfehlten Unternehmens. Drei Jahre weiter, und England besann sich auf sich selbst, riß die Fesseln von den Gliedern und sandte Jakob II. mitsamt seiner giftigen Brut aus dem Lande. Heimlich und angstvoll mußte er fliehen, gerade wie ich es damals hatte müssen. Unser Irrtum lag darin: wir waren zu früh losgebrochen. Indessen es kam doch die Zeit, wo das Herz des Volkes warm wurde beim Andenken an die braven Jungen, die so standhaft im Westen gefochten hatten, die Zeit, wo ihre Gebeine vom Schindanger und den Richtstätten gesammelt und von der trauernden Nation still auf den hübschen Dorfkirchhöfen begraben wurden, auf denen sie selbst wohl einst zu ruhen wünschten. Dort im Klangbereich der Glocke, die sie von Kind auf zum Gebet gerufen, unter dem Rasen, über den sie oft gewandelt, im Schatten der Hügel von Quantock und Mendip, an denen sie liebend gehangen, da ruhen jetzt die treuen Herzen, still und friedlich wie müde Kinder am Mutterbusen. requiescant – requiesant in pace!

Kein Wort mehr über mich selbst, teure Kinder, Meine Erzählung strotzt ohnedies von »Ichs«, wie der Argus von Augen. Ich hatte mir vorgenommen, euch die Geschichte des Feldzugs im Westen zu erzählen, und diese Geschichte habt ihr nun vernommen. Ich will mir aber nicht ein Wort mehr abschmeicheln und abstreicheln lassen. Ja, ja, ihr kennt den plauderhaften Alten und denkt, wenn ihr ihn erst in Vlissingen habt, so nimmt er euch auch noch mit in die Kriege des heiligen römischen Reichs, an den Hof Wilhelms von Oranien und zur zweiten Landung im Westen, die besser gelang, als die erste. Aber ich will mich keinen Schritt weiter zerren lassen. Fort nach dem Dorfanger, ihr Schelmenvolk! Habt ihr nicht noch andre Sinne zu schärfen und Glieder zu strecken, außer daß ihr die Ohren aufsperrt und um Großvaters Stuhl hockt? Wenn ich nächsten Winter noch am Leben bin und das Gliederreißen mich nicht plagt, dann nehme ich vielleicht den unterbrochenen Faden meiner Erzählung wieder auf.

Von den übrigen Personen meiner Erzählung kann ich nur noch weniges vermelden. Einige sind mir ganz aus dem Gesicht entschwunden. Von andern habe ich unbestimmte und unvollkommene Kunde vernommen. Die Führer der Insurrektion kamen weit besser weg als die kleinen Leute, denn es befand sich, daß die Leidenschaft der Habgier noch stärker war als die Leidenschaft der Grausamkeit. Grey, Wade und Buyse erkauften sich die Freiheit um den Preis alles dessen, was sie besaßen. Ferguson entkam. Monmouth wurde im Tower enthauptet und zeigte in seinen letzten Augenblicken einige schwache Spuren der Herzhaftigkeit, die ab und zu in seiner kraftlosen Natur aufsprühten, wie das momentane Aufflackern eines ersterbenden Feuers.

Mein Vater und meine Mutter erlebten es noch, daß das protestantische Bekenntnis wieder zu seinem Rechte kam und England von neuem der Vorkämpfer des reformierten Glaubens in der Christenheit wurde. Drei Jahre später fand ich sie in Havant so ziemlich, wie ich sie verlassen hatte, nur daß sich zwischen den braunen Flechten meiner Mutter mehr Silberhaare zeigten, als ehedem, und meines Vaters breite Schultern ein wenig gebeugt und seine Stirn von Sorgenfalten gefurcht war. Hand in Hand schritten sie auf ihrem Lebenswege weiter, der Puritaner und die Staatskirchlerin. Bei dem Anblick der geliebten Alten, die mit dem absolutesten Glauben jeder an seinem Bekenntnis hängen, und doch für einander die herzlichste Liebe und Achtung hegen konnten, erwuchs in mir die freudigste, zuversichtlichste Hoffnung auf eine endliche Heilung der religiösen Fehden in England. Der Tag wird gewißlich kommen, wo Kirche und Kapelle, wie der ältere und jüngere Bruder, zusammen leben, zusammen wirken und streben werden nach dem einen Ziel, wo jeder sich freuen wird am Erfolg des andern. Dann sollen sie nicht mehr mit Pike und Pistol, nicht mit Gericht und Kerker um den Vorrang ringen, sondern sie sollen darum wetteifern, das reinere, edlere Leben zu führen, die weitherzigsten Ansichten zu hegen, den Armen das behaglichste, zufriedenste Los zu bereiten. Dann wird ihre Rivalität nicht mehr ein Fluch, sondern ein Segen sein für unsre englische Heimat.

Ruben Lockarby lag viele Monate lang krank, aber als er endlich geheilt war, fand er einen vom Major Ogilvy erwirkten Freibrief vor. Nach einiger Zeit, als die Unruhen ganz vorüber waren, heiratete er die Großtochter des Bürgermeisters Timewell und lebt noch heute als angesehener Bürger in den gedeihlichsten, wohlhabendsten Umständen.

Vor dreißig Jahren erschien ein kleiner Micha Lockarby, und jetzt habe ich gehört, daß dieser die Welt mit einem Enkel meines alten Freundes beglückt hat, welcher verspricht, ein ausbündiger kleiner Rundkopf zu werden.

Von Saxon habe ich des öfteren gehört. Er hatte seine Macht über den Herzog von Beaufort so geschickt zu gebrauchen verstanden, daß er durch seine Fürsprache das Kommando einer Expedition erhielt, die nach Virginia geschickt wurde, um die Wilden zu züchtigen, welche an den Ansiedlern fürchterliche Grausamkeiten verübt hatten. Dort erwies er sich im Hinterhaltlegen, in Listen und Kniffen ihren allerschlausten Häuptlingen so weit überlegen, daß er sich bei ihnen einen großen Namen machte und noch in ihrer Erinnerung unter einer indianischen Bezeichnung fortlebt, welche soviel bedeutet als »der langbeinige Schlaue mit dem Rattenauge«. Nachdem er endlich die Stämme weit in die Wildnis zurückgedrängt hatte, erhielt er als Belohnung seines Verdienstes ein Stück Land. Er ließ sich darauf nieder, heiratete und brachte den Rest seines Lebens damit zu, Tabak zu pflanzen und einer zahlreichen Nachkommenschaft von hageren, dünnschenkligen Kindern die Prinzipien der Kriegskunst vorzutragen.

Vor Kurzem habe ich gehört, daß jenseits des Oceans eine gewaltige Nation von baumstarken und riesengroßen Menschen zu erstehen beginnt. Wenn es wirklich der Fall sein sollte, haben gewiß die jungen Saxons oder ihre Kinder dabei die Hand im Spiel. Gebe Gott, daß ihr Herz dann nie erkalte gegen das kleine Meereseiland, welches nun doch einmal die Wiege ihres Stammes ist und bleibt!

Salomo Sprent heiratete und lebte noch manches Jahr so glücklich, wie es ihm seine Freunde nur gönnen mochten. Ich erhielt von ihm einen Brief in die Verbannung, in dem er mir mitteilte, daß zwar er und sein Begleitschiff nur zu zweit auf die Ehereise ausgelaufen seien, aber jetzt von einer kleinen Jolle und einem Gig begleitet würden! Eines Nachts, es war im Winter, schickte er nach meinem Vater, der sofort zu ihm eilte. Er fand den Alten mit Kissen gestützt im Bette sitzen, neben ihm, im Bereich seiner Hand die Flasche mit Rumpunsch und die Tabakskiste, auf den hochgezogenen Knien eine große braune Bibel. Er atmete schwer und schien ernstlich bekümmert zu sein.

»Mir ist eine Planke gerissen, das Wasser steht schon neun Fuß hoch am Brunnenstock,« sagte er. »Es steigt schneller, als ich pumpen kann. Ja, ja, ich bin schon so manchen Tag nicht mehr seetüchtig, und es ist Zeit, daß ich ausrangiert und abgetakelt werde.«

Mein Vater schüttelte teilnehmend den Kopf, als er sein erhitztes Gesicht und sein schweres Atmen wahrnahm.

»Denkt Ihr auch an Eure Seele?« fragte er.

»Freilich!« sagte Salomo. »Dies Kargo haben wir zwar unter unsern Luken, können's aber nicht sehen, und beim Verstauen haben wir auch nicht geholfen. Ich hab' hier mal eben die Schiffsartikel durchgelesen, aber ich kann nicht finden, daß ich so sehr weit aus dem Kurs gekommen wäre. Ich denke mir, ich darf immerhin hoffen, daß ich den Weg in den Kanal finden werde.«

»Verlaßt Euch nicht auf Euch selbst, sondern nur auf den Herrn Christus,« sagte mein Vater.

»Der ist natürlich der Lotse,« erwiderte der alte Seemann. »Jedennoch, wenn ich auch einen Lotsen an Bord hatte, ich hab' immer noch mein eignes Wetterauge offen gehabt. Seht, das thu' ich jetzt auch. Der Lotse denkt deshalb nicht geringer von unsereinem. Ich will also doch selbst mein Lot auswerfen, wenn es auch heißt, daß in dem Ocean von Gottes Barmherzigkeit kein Grund zu finden sein soll. Sagt mal, lieber Freund, glaubt Ihr, daß dieser selbe Leib, dieser mein alter Rumpf wieder auferstehen wird?«

»So lehrt es die Schrift,« antwortete mein Vater.

»Dann werde ich ihn überall an der Tättowierung wieder erkennen,« bemerkte Salomo. »Ich habe sie gemacht, als ich mit Sir Christofer in Westindien war, und es hätte mir leid gethan, wenn ich mich ganz von ihr hätte trennen müssen. Im übrigen, seht mal, hab' ich nie einen Menschen gehaßt, nicht mal die holländischen Bärenhäuter, obgleich ich in drei Kriegen gegen sie gefochten und sie mir eine Stenge abgeschossen haben, hol sie der Henker! Wenn ich in diesen und jenen ein Loch gemacht, so geschah das doch alles ohne Groll und weil's meine Pflicht war. Ich habe mein Teil getrunken – nur, um mir das Kielwasser ein bißchen zu würzen – aber daß mir die obere Takelung verkrengelt und dem Steuerruder nicht mehr gehorcht hätte, das ist nie vorgekommen. Nie hab' ich Prisengelder bekommen, ohne sie bereitwillig mit einem notleidenden Maat zu teilen. Meiner Phoebe bin ich ein treues Begleitschiff gewesen, seit der Zeit, da sie versprach, sich nach meinen Signalen zu richten. Das sind meine Papiere – alles klar und ehrlich. Wenn der allmächtige Lord Groß-Admiral mich noch diese Nacht abkommandiert, hab' ich doch nicht Angst, daß er mich in den Stock werfen läßt. Ich bin ja nur ein armer Seemann, aber ich hab' sein Wort hier in diesem Buch, das wird er nicht brechen. Ich hab' keine Angst.«

Mein Vater saß ein paar Stunden bei dem alten Manne, tröstete und erquickte ihn durch herzlichen Zuspruch, denn offenbar wurde derselbe zusehends schwächer. Als er endlich den Sterbenden und seine treue kleine Frau verließ, drückte er ihm noch einmal die braune abgezehrte Hand, die auf der Bettdecke lag.

»Auf baldiges Wiedersehn,« sagte er.

»Ja wohl. Unter dem himmlischen Breitegrad,« entgegnete Salomo.

Diese Ahnung trog ihn nicht. In den frühen Morgenstunden, als seine Frau sich über ihn beugte, sah sie, wie ein freundliches Lächeln über sein sonnverbranntes, verwittertes Gesicht huschte. Er erhob sich ein wenig auf den Ellenbogen gestützt, legte die Hand an das Stirnhaar, wie es bei Seeleuten Sitte ist zum Gruß, und sank dann langsam und friedlich zurück in den langen Schlummer, der erst weicht, wo die Nacht nicht mehr sein wird.

Ihr werdet natürlich noch wissen wollen, was aus Hektor Marot und aus der ungewöhnlichen, von Poole Hafen abgesegelten Schiffsladung geworden ist. Man hat nie wieder eine Silbe von der »Dorothy Fox« gehört, wenn man nicht annehmen will, daß eine Geschichte auf sie passen dürfte, die der Kapitän Elias Hopkins von dem Bristoler Schiff »Karoline« nach einiger Zeit mit heimbrachte. Kapitän Hopkins erzählt nämlich folgendes:

Er war auf der Heimreise von den Niederlassungen begriffen und geriet in einen dichten Nebel bei starkem, widrigem Winde ganz in die Nähe der großen Walfisch-Sandbänke. Eines Nachts nun, als er so hin und her kreuzte und die Luft so dick war, daß er vom Steuer aus kaum den Mast seines eignen Schiffes erkennen konnte, da begegnete ihm etwas Merkwürdiges, Er und noch ein paar andre standen an Deck, da hörten sie plötzlich den Klang vieler Menschenstimmen, die sich zu einem vollen Chorgesang vereinigten, anfangs fern und leise, dann immer wachsend und anschwellend, bis es klang, als schwebe er kaum einen Steinwurf weit am Schiffe vorbei. Darauf wurde er wieder leiser und erstarb in der Ferne. Einige von der Mannschaft wollten die Sache dem Teufel in die Schuhe schieben. Aber, pflegte Kapitän Hopkins zu bemerken, es sei doch ein wunderlich Ding, daß der böse Feind sich sollte westenglische Hymnen zu seinen nächtlichen Gesangübungen vornehmen, und noch wunderlicher, daß die Bewohner des Abgrunds mit einem solchen kräftigen Somersetshirer Accent singen sollten!

Ich für mein Teil bezweifle nicht im geringsten, daß es wirklich die »Dorothy Fox« war, welche im Nebel an ihnen vorübersegelte, und daß die Gefangenen soeben befreit waren und diese Befreiung nun in echt puritanischer Weise feierten. Ob sie nun später an die Felsenküsten von Labrador gerieten, oder ob sie an irgend einem wüsten Orte eine Heimat fanden, aus der sie keines Königs Grausamkeit vertreiben konnte, das bleibt und muß immer bleiben – ein Geheimnis.

Zacharias Palmer lebte noch so manches Jahr, ein ehrwürdiger und allverehrter Mann, bis auch er zu seinen Vätern versammelt ward. Er war ein lieber, einfältiger Dorfphilosoph, der in seiner alten Brust ein kindliches Herz trug. Der bloße Gedanke an ihn umschwebt mich wie Veilchenduft; denn wenn ich in meinen Lebensansichten und Zukunftshoffnungen etwas von der düsteren, harten Lehre meines Vaters abweiche, so verdanke ich das den weisen Worten, der gütigen Belehrung des Zimmermannes. Möge ihm die Erde leicht sein!

Noch ein Wort von einem andern alten Freunde – zuletzt erwähnt, doch deshalb nicht gering geschätzt! Als Wilhelm von Oranien bereits zehn Jahre auf dem englischen Throne saß, weidete noch in der Koppel bei meines Vaters Hause ein großes, starkknochiges Pferd, dessen graues Fell stark ins Weiße überging. Wenn die Soldaten aus Portsmouth vorüberkamen, oder der Klang der Trompeten, das Rasseln der Trommeln sein Ohr traf, dann wölbte der alte Hengst den Hals, streckte den graugestreiften Schwanz in die Luft und hob die steifen Knie zu einem stattlichen, pedantischen Galopp. Die Landleute blieben dann wohl stehen, um des Gauls groteske Bewegungen zu betrachten, und dann erzählte vielleicht einer dem andern, wie auf diesem selben Streitroß einer aus ihrer Dorfschaft in den Krieg geritten sei, und wie hernach, als der Reiter außer Landes gehen mußte, ein guter Sergeant von den königlichen Truppen das Tier, als Andenken von ihm, seinem Vater nach Hause gebracht habe. So empfing denn Covenant seine letzten Lebensjahre hindurch das Gnadenbrot als Veteran unter den Pferden. Er genoß vorzügliche Pflege und Wartung und erzählte vielleicht auch seinerseits mit Vorliebe in der Pferdesprache seinen armen dummen Landkameraden von all den wunderbaren Abenteuern, die er im Westen erlebt hatte.

 


 


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