Arthur Conan Doyle
Micha Clarke
Arthur Conan Doyle

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IV.

.Wir fangen bei Spithead einen wunderlichen Fisch.

Eines Abends im Mai 1685, gegen Ende der ersten Woche, borgten mein Freund Ruben Lockarby und ich uns Ned Marlys Lustboot und fuhren aus der Langstonbucht, um zu fischen. Ich war damals fast einundzwanzig Jahre alt, mein Gefährte ein Jahr jünger. Es hatte sich eine innige Freundschaft zwischen uns gebildet, die auf gegenseitiger Achtung beruhte. Ruben, ein kleiner untersetzter Bursche, war stolz auf meine Kraft und meinen hohen Wuchs, während mein zum Trübsinn neigender, grüblerischer Geist sich an der Energie und Munterkeit, die ihn nie verließ, ergötzte, sowie an dem Witz, der hell und harmlos wie Wetterleuchten am Sommerabend durch alles, was er sagte, hindurchblitzte. Er war, wie gesagt, klein und breitschulterig, hatte ein rundes Gesicht mit roten Backen und war ein wenig zum Fettwerden geneigt, was er selbst freilich nur eine angenehme Fülle nannte, welche bei den Alten für den Höhepunkt männlicher Schönheit gegolten habe. Es gab keinen tüchtigeren, treueren Kameraden wie ihn. In mancher gemeinsamen Gefahr und Bedrängnis hat er sich als solchen bewährt. So war er auch an meiner Seite an jenem Maiabend, welcher der Ausgangspunkt unsrer Abenteuer sein sollte.

Wir ruderten weit über den Warner Sand hinaus bis an eine Stelle zwischen demselben und dem Nab, einer vorspringenden Klippe, wo wir gewöhnlich Seebarsche in Menge fingen. Dort warfen wir den schweren Stein, der uns als Anker diente, über Bord und fingen an, unsre Angelschnüre auszuwerfen. Die langsam hinter einer Nebelbank versinkende Sonne durchglühte das vom westlichen Himmel ausstrahlende Federgewölk mit Purpurlicht, und in violettem Duft gehüllt hoben sich die bewaldeten Berghänge der Insel Wight von dem tiefroten Hintergrunde ab. Ein frischer Lufthauch strich von Südost herüber, der den langgedehnten grünen Wellenhäuptern Schaumkrönlein aufsetzte und uns Augen und Lippen mit salzigem Gischt bespritzte. Drüben, nahe bei der St. Helenenspitze, glitt ein königliches Schiff den Kanal hinab, während eine einzelne große Brigg gegen den Wind umlegte, etwa eine Viertelmeile von dem Ort entfernt, wo wir lagen. So nahe war sie uns, daß, als sie sich vor der Brise auf die Seite legte, wir sogar Gestalten auf ihrem Deck unterscheiden, und als sie sich anschickte zu wenden, das Knarren der Stengen und das Klatschen der geflickten Segel vernehmen konnten.

»Schau, Micha,« sagte mein Gefährte und blickte von seiner Angelschnur auf, »ist das nicht ein ganz charakterloses Schiff – ein Schiff, das es auf der Welt zu nichts bringen wird? Sieh, wie das Ding im Winde hin und her schlottert, ohne seinen Kurs inne zu halten, und ohne richtig gegen den Wind zu lavieren. Es ist ein Wetterhahn der Meere – der Lord Halifax des Oceans!Lord Halifax wurde von den beiden großen Parteien der Whigs und Tories ein »Wetterhahn« genannt, weil er zwischen ihren jeweiligen heftigen Gegensätzen bemüht war, die rechte Mitte zu halten.

»Es muß da etwas nicht in Ordnung sein,« entgegnete ich und starrte, meine Augen mit der Hand beschattend, hinüber. »Sie schlenkert herum, als ob kein Mensch das Steuer halte. Jetzt legt sich die große Rahe hintenüber! Jetzt neigt sie wieder nach vorn! Die Kerls an Deck fechten entweder oder sie tanzen! Rauf mit dem Anker, Ruben, wir wollen hinrudern!«

»Den Anker rauf, und fort, so schnell wir können!« antwortete er, die Augen noch immer auf das fremde Schiff gerichtet. »Willst du dich denn mit Gewalt kopfüber in Gefahr stürzen? Sie führt die holländische Flagge, aber wer kann sagen, wo sie wirklich herkommt. Es wäre recht nett, wenn wir von einem Seeräuber aufgeschnappt und nach den Kolonien verkauft würden!«

»Ein Seeräuber im Solent!« höhnte ich. »Nächstens wird die schwarze Flagge im Kanal von Emsworth flattern! Aber horch, was ist das?«

Ein Flintenschuß krachte von der Brigg herüber. Dann war einen Augenblick alles still, und dann knatterte ein zweiter Schuß, auf den ein vielstimmiges Rufen und Schreien folgte. Zu gleicher Zeit schwangen die Rahen herum, die Segel füllten sich aufs neue mit der Brise, und das Fahrzeug schoß dahin in der Richtung, die es um die Spitze von Bembrigde hinaus in den englischen Kanal führte. Indem sie so dahinflog, wurde der Steuerbord hinabgedrückt, ein Rauchwölkchen stieg empor, und eine Kanonenkugel tanzte hüpfend und spritzend über die Wellen, kaum hundert Schritt an unserm Boote vorüber.

Mit diesem Abschiedsgruß legte das Schiff sich wieder vor den Wind und verfolgte seinen Weg nach Süden.

»Gott steh uns bei!« entfuhr es Ruben, dem der Mund vor Erstaunen offen stehen blieb. »Die Mordhunde!«

»Wenn doch das Königsschiff sie abfangen möchte!« rief ich wild, denn der Angriff war so ohne jede Herausforderung von unsrer Seite erfolgt, daß sich bei mir die Galle regte. »Was konnten die Halunken damit meinen? Sie müssen betrunken oder verrückt sein!«

»Zieh den Anker auf, Mensch, schnell!« schrie jetzt auf einmal mein Gefährte, und schnellte von seinem Sitz empor. »Jetzt begreif ich! Winde den Anker auf!«

»Was gibt's denn?« fragte ich und half ihm den großen Stein heraufholen, Hand vor Hand greifend, bis er triefend ins Boot fiel.

»Sie haben gar nicht auf uns geschossen, Micha! Sie zielten auf jemand im Wasser zwischen ihnen und uns. Vorwärts, Micha, leg dich mit deiner ganzen Kraft ins Zeug! Der arme Kerl ertrinkt sonst am Ende!«

»Das muß ich sagen!« erwiderte ich und blickte über meine Schulter, wahrend ich scharf ruderte, »da ist wahrhaftig sein Kopf auf einem Wellenkamm. Sachte, oder wir fahren ihn über! Noch zwei Schlage, dann halte dich bereit, ihn zu packen. Halt aus, Freund! Hilfe naht!«

»Bring denen Hilfe, die Hilfe brauchen,« entgegnete eine Stimme aus dem Meer. »Alle Wetter, Mensch, nimm dich mit dem Ruder in acht. Einen Schlag davon fürchte ich mehr als das Wasser.«

Diese Worte wurden so kühl und ruhig gesprochen, daß sie jede Sorge um den Schwimmer beseitigten. Wir zogen die Ruder ein, wandten um und besahen uns den Mann. Das Boot war ihm jetzt so nahe getrieben, daß er den Dahlbord hätte ergreifen können, wenn er Lust dazu gehabt hätte.

»Sapperment!« rief er verdrießlich, »wie konnt' ich nur glauben, daß mir Bruder Nonus so einen Streich spielen würde? Was hätte unsre selige Mutter dazu gesagt, wenn sie das erlebt hätte! Mein ganzes Reisegepäck verloren, ungerechnet meinen Anteil an dem Unternehmen! Noch dazu mußte ich mein neues Paar Stulpenstiefeln abstreifen, die bei Vanfedder in Amsterdam sechzehn Reichsthaler gekostet haben! In Stulpenstiefeln kann ich nicht schwimmen, und ohne sie kann ich nicht gehen.«

»Möchtet Ihr nicht aus dem Wasser herauskommen, Herr?« fragte Ruben, der bei dieser Rede und dem ganzen Aussehen des Fremden kaum ernsthaft zu bleiben vermochte.

Ein paar lange Arme tauchten aus den Wellen, und im nächsten Augenblick hatte sich der Mann mit geschmeidiger, schlangenartiger Bewegung ins Boot geschwungen, und seinen langen Leib auf der hintersten Bootsbank zusammengekauert. Er war sehr dürre und hager, mit markiertem, wie aus Stein gemeißeltem Gesichte, das glatt rasiert, sonnenverbrannt und über und über von kleinen Fältchen durchfurcht war. Er hatte seinen Hut verloren, und sein kurzes, strähniges Haupthaar, hie und da bereits ergraut, stand wie Borsten um seinen Kopf. Es war nicht leicht, sein Alter zu erraten, aber er mußte die Fünfzig bereits überschritten haben, obgleich die Leichtigkeit, mit der er sich an Bord geschwungen, bewies, daß er noch die volle Kraft und Energie der Jugend besaß. Von allem, was seine Erscheinung charakteristisch machte, zog nichts meine Aufmerksamkeit so sehr auf sich, wie seine Augen, die von ihren schweren Lidern fast verhüllt waren, und doch durch die schmalen Schlitze mit wundersamer Schärfe und Klarheit funkelten. Ein flüchtiger Blick hätte vielleicht glauben lassen, er wäre matt und schläfrig; wer aber aufmerksamer hinsah, dem fiel sofort jener gleißende, unruhige Lichtstreifen auf, der den Vorsichtigen mahnte, seinem ersten Eindruck zu mißtrauen.

»Ich hätte ganz gut bis Portsmouth schwimmen können,« bemerkte er und stöberte in den Taschen seines durchweichten Wamses herum. »Ich könnte fast überall hinschwimmen. Einmal bin ich auf der Donau von Gran bis Buda geschwommen, während am untern Ufer hunderttausend Janitscharen vor Wut tanzten. Bei St. Peters Schlüssel, ich habe es gethan! Ihr könnt Wessenbergs Panduren fragen, ob Decimus Saxon schwimmen kann oder nicht! Beherzigt meinen Rat, junge Leute, und tragt euern Tabak stets in einer wasserdichten Metallbüchse.«

Indem er so sprach, zog er eine flache Büchse aus einer Tasche, nebst mehreren Holzröhren, die er zusammenschraubte, so daß sie eine lange Pfeife bildeten. Diese stopfte er mit Tabak, und nachdem er sie vermittelst Stein und Stahl und einem Stückchen Zunder aus seiner Büchse angezündet hatte, kreuzte er nach Orientalenweise die Beine und fing an behaglich zu schmauchen.

Es war etwas so merkwürdig Absonderliches in dem ganzen Erlebnis, und etwas so Ungereimtes in dem Erscheinen und Benehmen des Mannes, daß wir beide gleichzeitig in ein schallendes Gelächter ausbrachen und lachten, bis wir nicht mehr konnten.

Unser Gegenüber stimmte weder in unsre Lustigkeit ein, noch schien er sie übel zu nehmen. Er fuhr fort mit einem vollendet gleichmütigen, undurchdringlichen Ausdruck an seiner Röhre zu saugen und zu paffen, wobei jedoch aus seinen halbbedeckten Augen rasche Blitze bald nach dem einen, bald nach dem andern von uns herüber fuhren.

»Ihr müßt unser Lachen entschuldigen, Herr,« sagte ich endlich; »mein Freund und ich haben noch keinerlei Abenteuer erlebt, und freuen uns, daß dieses so gut abgelaufen ist. Dürfen wir fragen, wen wir bei uns aufgenommen haben?«

»Ich heiße Decimus Saxon,« erwiderte der Fremde, »ich bin das zehnte Kind eines würdigen Vaters, wie es das lateinische Wort andeutet. Zwischen mir und der Erbschaft stehen nur neune. Wer weiß? Die Pocken könnten mir dazu verhelfen oder die Pest!«

»Wir hörten einen Schuß an Bord der Brigg,« sagte Ruben.

»Das war mein Bruder Nonus, der schoß nach mir,« bemerkte der Fremde mit traurigem Kopfschütteln.

»Es fiel aber noch ein zweiter Schuß.«

»Ach ja, da schoß ich auf meinen Bruder Nonus.«

»Guter Gott!« rief ich. »Ich hoffe, Ihr habt ihm kein Leides gethan!«

»Allerhöchstens eine Fleischwunde,« versetzte er. »Ich hielt es indessen für das Geratenste, mich zu drücken, um weiteren Zank zu vermeiden. Zudem bin ich überzeugt, daß es seine Hand war, die den Zehnpfünder auf mich richtete, als ich fortschwamm. Die Kugel pfiff mir durch die Haare. Nonus war von je ein trefflicher Schütze mit dem Falkonet und dem Feuermörser. Er kann übrigens nicht verwundet sein, sonst hätte er nicht so geschwind vom Hinterdeck nach dem Mittelpunkt gelangen können.«

Auf diese Worte folgte eine Pause; der Fremde zog ein langes Messer aus seinem Gürtel und schickte sich an, seine Pfeife damit zu reinigen. Ruben und ich griffen zu den Rudern, und nachdem wir die Angelleinen, die hinter dem Boot herschleppten, entwirrt hatten, hielten wir auf das Ufer zu.

»Wohin rudern wir? Das ist jetzt die Frage,« sagte der Fremde.

»In die Bucht von Langston,« antwortete ich.

»So, wirklich?« rief er spöttisch. »Also ihr wißt das ganz gewiß? Wie? Ihr wißt ganz gewiß, daß wir nicht nach Frankreich hinüberfahren? Wie ich sehe, haben wir hier Mast und Segel und einen Topf mit Süßwasser. Wir brauchen nur ein Paar Fische, die, wie ich höre, in diesen Gewässern reichlich vorhanden sind. Was sollte uns da hindern, nach Barfleur hinüberzusegeln?«

»Wir fahren in die Bucht von Langston,« wiederholte ich kalt.

»Ja, seht mal,« erklärte er und lächelte, so daß sein ganzes Gesicht sich in tausend Fältchen legte, »auf dem Wasser geht Macht vor Recht. Ich bin ein alter Soldat, ein richtiger Schlagetot, und ihr seid bloß ein paar Buben, weiter nichts. Ich habe ein Messer, ihr seid unbewehrt. Begreift ihr, was ich meine? Also ich frage nochmals: Wohin steuern wir?«

Statt aller Antwort drehte ich mich nach ihm um, das Ruder in der erhobenen Hand.

»Ihr habt euch gerühmt, Ihr könntet bis Portsmouth schwimmen,« sagte ich, »und das sollt Ihr jetzt. Ins Wasser mit dir, du Meerschlange, oder ich stoße dich hinein, so wahr ich Micha Clarke heiße!«

»Wirf dein Messer hin, oder ich bohre dir den Bootshaken in den Leib!« rief Ruben und schwenkte denselben ein paar Zoll von des Mannes Kehle herum.

»Potz Blitz! Das ist ja ganz famos!« meinte der Fremde und steckte die Waffe ein, indem er leise vor sich hin lachte. »Ich mag es gern sehn, wenn ein junges Blut aufbraust. Ich bin der Stahl, seht ihr, der euch, dem Feuerstein, den Funken entlockt. Ein beherzigenswertes Gleichnis, und eins, das dem witzigsten der Menschenkinder, Samuel Butler alle Ehre macht. Dies hier,« fuhr er fort und tippte auf einen seltsamen Auswuchs, den ich schon auf seiner Brust bemerkt hatte, »ist nicht eine natürliche Mißbildung, sondern ein Exemplar des unschätzbaren »Hudibras«, welcher den zarten Scherz des Horaz mit der derben Lustigkeit des Catull vereinigt. Na, wie gefällt euch diese feine Charakteristik?«

»Gebt Euer Messer her,« sagte ich streng.

»Sehr gern!« erwiderte er und überreichte es mir mit höflicher Verbeugung. »Kann ich euch sonst noch einen Gefallen thun – ich bin bereit alles hinzugeben, außer meinen kriegerischen Ruf und eben dieses Exemplar des ›Hudibras‹, das ich nebst einer lateinischen Schrift über die Kriegsgebräuche, die von einem Flamänder geschrieben und in Lüttich in den Niederlanden gedruckt ist, stets auf meiner Brust trage.«

Ich setzte mich neben ihn, das Messer in der Hand.

»Nimm beide Ruder,« sagte ich zu Ruben, »ich werde den Kerl bewachen, damit er uns keinen Streich spielt. Ich glaube, du hattest recht, er ist ein bloßer Seeräuber. Er muß dem Richter ausgeliefert werden, sobald wir in Havant ankommen.«

Mir kam es vor, als ob unsern Passagier seine bisherige Kaltblütigkeit verließe. Ein flüchtiger Schatten von Ärger überflog sein Gesicht.

»Halt!« sagte er dann, »Euer Name ist, wie ich höre, Clarke, und Euer Wohnort Havant. Seid Ihr ein Verwandter des Joseph Clarke, des alten Rundkopfs, der in jener Stadt lebt?«

»Er ist mein Vater,« gab ich zurück

»Nein, so was lebt nicht!« rief er kurz auflachend. »Ich habe Katzenglück und falle immer auf die Füße! Guck her, Junge! Guck her!«

Er zog ein in geteertes Zeug gewickeltes Päckchen mit Briefen hervor, öffnete es, suchte einen davon heraus und legte ihn auf meinen Schoß.

»Lies!« sagte er und zeigte mit seinem langen dürren Finger auf die Adresse.

Da stand in großen, deutlichen Schriftzügen: »An Joseph Clarke, Lederhändler in Havant durch Decimus Saxon, Teilhaber des Schiffes ›Providence‹ von Amsterdam nach Portsmouth.«

Auf jeder Seite war der Brief mit einem dicken roten Siegel verschlossen und noch dazu mit einem breiten Silberband umwunden.

»Ich habe ihrer dreiundzwanzig in der Nachbarschaft abzugeben,« bemerkte er. »Das beweist, was man von Decimus Saxon hält! Leben und Freiheit von dreiundzwanzig Leuten sind in meiner Hand. Oho, mein Junge, Fakturen und Schiffsrechnungen verschickt man anders! Der Alte kriegt diesmal nicht 'ne Ladung flämischer Felle: sondern Häute, in denen gut englische Herzen schlagen; ja und Fäuste, die englische Schwerter für Freiheit und Gewissen ziehen werden. Ich wage mein Leben, um deinem Vater diesen Brief zu überbringen, und du, sein Sohn, drohst, mich dem Gericht auszuliefern? Schäme dich! Schäme dich! Ich erröte in deine Seele!«

»Ich weiß nicht, worauf Ihr anspielt,« antwortete ich. »Ihr müßt deutlicher reden, wenn ich Euch verstehen soll.«

»Kann man dem da vertrauen?« fragte er und machte mit dem Kopf ein Zeichen nach Ruben hin.

»Wie mir selbst.«

»Wie reizend!« sagte Saxon mit einem höflichen Lächeln, das in ein höhnisches Grinsen überging. »David und Jonathan – oder um klassischer und weniger schriftgemäß zu reden, Damon und Phintias – wie? Diese Papiere kommen also von den Glaubensbrüdern drüben in Holland, versteht ihr wohl, die den Plan haben, sich mal zu rühren und mit Schwert und Speer herüber zu kommen, um König Jakob in seinem Reiche zu besuchen. Die Briefe sind an solche gerichtet, von denen sie Teilnahme erwarten, und geben an, wann und wo sie landen wollen. Nun, mein lieber Junge, wirst du begreifen, daß es nur eines Wortes von mir bedarf, um deine ganze Familie unglücklich zu machen, und daß du mich nicht in deiner Gewalt hast, sondern ich dich gänzlich in der meinigen habe. Decimus Saxon ist aber ein redlicher Mann, und das Wort wird nie gesprochen werden.«

»Wenn das alles wahr ist,« erwiderte ich, »und wenn Eure Botschaft eine solche ist, wie Ihr sagt, warum wolltet Ihr denn eben jetzt nach Frankreich?«

»Ganz geschickt gefragt,« erwiderte er, »aber die Antwort ist klar genug; wie gut und treuherzig Eure Gesichter auch aussehn mögen, ich konnte immerhin auf ihnen nicht lesen, ob Ihr Whigs und Freunde der guten Sache wäret. Ihr hättet mich so führen können, daß die Hafenpolizei oder auch andre Leute mich beguckt, an mir herumgespäht und so meinen Auftrag gefährdet hätten. Eine Fahrt nach Frankreich im offenen Boot war immerhin noch besser als das.«

»Ich will Euch zu meinem Vater führen,« sagte ich nach kurzem Besinnen. »Ihr könnt ihm Euern Brief geben und Eure Geschichte erzählen. Wenn Ihr wirklich ein redlicher Mann seid, werdet Ihr warm empfangen werden; solltet Ihr Euch aber, wie mir fast vorkommen will, als ein Schelm ausweisen, so erwartet kein Erbarmen.«

»Gott erbarm' sich über den Jungen! Er redet wie der Lord Reichskanzler von England! Was sagt doch der Alte:

Kaum öffnet er der Lippen Thor,
Dringt eine Trope draus hervor!

Ihr aber scheint mir am liebsten Drohungen zu drechseln:

Kaum öffnet er der Lippen Thor,
Springt eine Drohung draus hervor!

Ist das nicht gut gemacht? Waller selbst hätte das Epigramm nicht hübscher umdichten können.«

Inzwischen hatte Ruben die Ruder kräftig gehandhabt, und wir waren in die Langstoner Bucht eingelaufen, auf deren geschützter Wasserfläche wir rasch dahin schossen. Ich aber überlegte mir alles, was der Strolch gesagt hatte, während ich neben ihm auf dem Steuersitzbrett kauerte. Über seine Schulter hinweg hatte ich die Adressen einiger Briefe gelesen – Steadman von Basingstoke, Wintle von Alresford, Fortescue von Bognor, alles wohlbekannte Häupter der Dissenters. Wenn die Briefe enthielten, was er sagte, so war es keine Übertreibung, daß er Schicksal und Leben dieser Männer ganz in der Hand hatte. Die Regierung wäre nur zu froh gewesen, einen rechtsgültigen Grund zu haben, um diese von ihr gefürchteten Männer hart zu treffen. Es war wohl alles in allem gut, in der Sache vorsichtig zu sein; ich gab daher meinem Gefangenen sein Messer zurück und behandelte ihn hinfort mit größerer Achtung. Es war fast dunkel, als unser Boot am Strand auflief, und ganz finster, ehe wir Havant erreichten. Das war ein Glück, denn der Zustand unsres Gefährten ohne Stiefel, ohne Hut und triefend naß, würde unfehlbar allerhand Zungen in Bewegung gesetzt und vielleicht die Behörden zu Nachfragen veranlaßt haben. Spät und dunkel, wie es war, trafen wir keine Seele, ehe wir meines Vaters Thür erreichten.


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