Arthur Conan Doyle
Micha Clarke
Arthur Conan Doyle

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I.

Cornet Joseph Clarke von den Eisenseiten.

Es kann wohl sein, meine lieben Großkinder, daß ich euch schon einmal fast alles erzählt habe, was mir in meinem abenteuerlichen Leben begegnet ist. Euren Eltern wenigstens ist nichts davon unbekannt geblieben. Doch wenn ich erwäge, daß die Zeit vergeht und daß in einem grauen Haupte sehr leicht ein unsicheres Gedächtnis wohnt, dann drängt es mich, diese langen Winterabende zu benützen, um euch mein ganzes Leben von Anfang an zu erzählen, so daß ihr es als eine klar abgerundete Geschichte in euer Gemüt aufnehmen und euern Nachkommen überliefern könnt. Denn jetzt, wo das Haus Braunschweig fest auf dem Throne sitzt und Frieden im Lande herrscht, wird es euch von Jahr zu Jahr schwerer werden, zu begreifen, wie uns Engländern zu Mute war, als wir gegen unsre eignen Landsleute in Waffen standen, und als der Mann, welcher Schutz und Schirm seiner Unterthanen hätte sein sollen, nur darauf sann, ihnen gerade das aufzudrängen, was sie aufs Höchste haßten und verabscheuten.

Meine Geschichte ist derart, daß es wohl der Mühe lohnt, sie im Gedächtnis festzuhalten und andern wiederzuerzählen, denn in unsrer ganzen Grafschaft Hampshire, vielleicht in ganz England dürfte kaum ein zweiter Mensch am Leben sein, der aus eigner Anschauung von diesen Begebenheiten reden könnte, oder der eine so hervorragende Rolle darin gespielt hätte, wie ich. So gut ich kann, werde ich euch alles, was ich davon weiß, nüchtern und der Reihe nach berichten. Ich werde bemüht sein, für euch die Toten zu erwecken und aus den Nebeln der Vergangenheit die Scenen heraufzubeschwören, die damals frisch und flott verliefen, obgleich sie sich in den Büchern der ehrenwerten Männer, die sie in Chroniken überliefert, langweilig und schwerfällig lesen. Kann sein, daß auch meine Worte fremden Ohren nur wie das Geschwätz eines Greises klingen. Euch aber, die ihr wisset, daß diese alten Augen, die euch anblicken, auch das gesehen haben, was ich beschreibe, und daß diese Hand, die es thun wird, für eine gute Sache gefochten hat, wird es gewiß anders vorkommen. Vergeßt es nicht, während ihr zuhöret, daß der Kampf, den wir kämpften, euch so gut anging wie uns. Wenn ihr jetzt als freie Männer in einem freien Lande aufwachset, mit dem Vorrecht, zu denken oder zu beten, wie euch das Gewissen gebietet, so sollt ihr Gott dafür danken, daß ihr also erntet, was eure Väter in Blut und Leiden säeten, als die Stuarts noch auf dem Throne saßen.

Ich wurde im Jahre 1664 in Havant geboren, einem blühenden Dorfe wenige Meilen von Portsmouth, seitab von der großen Londoner Heerstraße gelegen. Dort verlebte ich den größten Teil meiner Jugend. Es ist noch heute, was es damals war, ein freundlicher, gesunder Ort. Etwa hundert Backsteinhäuser liegen an der einzigen unregelmäßigen Straße entlang verstreut, jedes mit einem Vorgärtchen und auch wohl ein paar Obstbäumen nach hinten hinaus. Inmitten des Dorfes stand die alte Kirche mit dem viereckigen Turm, auf dessen verwittertem Angesichte die große Sonnenuhr wie eine wunderliche Runzel erschien. Außerhalb des Dorfes hatten die Presbyterianer ihre Kapelle, aber als die Uniformitätsakte durchgegangen war, wurde ihr guter Pfarrer, Master Breckinrigde, dessen Predigten oft ihre Bretterbänke überfüllt hatten, während die bequemen Gestühle der Staatskirche leer standen, ins Gefängnis geworfen, und seine Herde zerstreute sich.

Auch die Independenten, zu denen mein Vater gehörte, standen unter dem Banne des Gesetzes, aber sie besuchten die Konventikel in Emsworth, wohin auch wir jeden Sabbathmorgen bei Regen oder Sonnenschein zu pilgern pflegten. Diese Versammlungen wurden mehr als einmal aufgelöst, aber die Gemeinde bestand aus so harmlosen Leuten, die von ihren Nachbarn so sehr geliebt und geachtet wurden, daß die Behörden sie allmählich ignorierten und ihnen gestatteten, Gott auf ihre Weise zu dienen. Es gab auch Papisten unter uns, die bis nach Portsmouth gehen mußten, um die Messe zu hören. Ihr seht also, wie klein unser Dorf auch war, wir boten doch ein richtiges Miniaturbild des ganzen Landes dar, denn wir hatten unsre Sekten und unsre Parteien, die einander um so bitterer bekämpften, je enger der Raum war, auf dem sie nebeneinander lebten.

Mein Vater, Joseph Clarke, war weit und breit im Lande unter dem Namen »Eisenseiten-Joe« bekannt, denn er hatte in seiner Jugend in der Yarley-Schwadron von Oliver Cromwells berühmtem Reiterregiment gedient, und hatte so kräftig gepredigt und sich so tapfer geschlagen, daß ihn der alte NollOld Noll war ein Spitzname für Oliver Cromwell. selbst nach dem Gefecht von Dunbar vor die Front gerufen und ihn zum Cornet gemacht hatte. Einige Zeit nachher geschah es, daß mein Vater mit einem seiner Reiter über das Geheimnis der Dreieinigkeit disputierte. Der Mensch, ein halbverrückter Fanatiker, schlug meinem Vater mit der Faust ins Gesicht, eine kleine Gunstbezeugung, welche dieser durch einen Hieb seines breiten Schwertes erwiderte, der seinen Gegner sofort dahin sandte, wo er sich persönlich von der Wahrheit seiner Glaubensmeinungen überzeugen konnte. In jeder andern Armee wäre die Berechtigung meines Vaters, ein so krasses Vergehen wider die Disziplin auf der Stelle zu ahnden, unbedingt anerkannt worden. Aber Cromwells Soldaten hatten einen so hohen Begriff von ihrer Wichtigkeit und ihren Vorrechten, daß sie sich durch diese an ihrem Kameraden geübte summarische Justiz beleidigt fühlten. Ein Kriegsgericht wurde über meinen Vater gehalten, und er wäre wahrscheinlich der erzürnten Soldateska zum Opfer gefallen, wenn nicht der Lord Protektor dazwischen getreten und seine Strafe in eine Entlassung aus dem Heer verwandelt hätte. Cornet Clarke wurde demgemäß seines Lederkollers und seines Stahlhelms entkleidet, und ließ sich in Havant als Lederhändler und Gerber nieder. In ihm verlor das Parlament einen so tapferen Krieger, wie nur je einer in seinem Dienste das Schwert geführt hatte. Als sein Geschäft allgemach gedieh, nahm er Mary Shepstone, eine treue Anhängerin der bischöflichen Kirche zum Weibe, und ich, Micha Clarke, war das erste Pfand ihrer Liebe.

Nach meiner frühesten Erinnerung war mein Vater sehr hoch und gerade gewachsen, mit breiten Schultern und mächtiger Brust. Sein Gesicht hatte einen schroffen Ausdruck, derbe, rauhe Züge, struppige überhängende Brauen, eine hochgebogene fleischige Nase und volle Lippen, die sich fest zusammenpreßten, wenn er in Zorn geriet. Aus seinen grauen Augen leuchtete ein durchdringender kriegerischer Blick. Doch ich habe sie auch freundlich und lustig blinkern sehen. Seine Stimme war die gewaltigste und ehrfurchtgebietendste, die ich je gehört habe. So will ich wohl glauben, was mir von der Wirkung derselben erzählt worden ist. Als er in der Schlacht von Dunbar den hundertsten Psalm anstimmte und dabei mitten unter die Blaumützen sprengte, da übertönte sein Gesang das Schmettern der Trompeten und das Donnern der Geschütze, gleich dem tiefen Rollen der brandenden Flut. Aber obgleich er jede erforderliche Eigenschaft besaß, die ihm als Offizier zur Auszeichnung und Beförderung gedient haben würde, hatte er doch seine militärischen Gewohnheiten bei der Rückkehr ins bürgerliche Leben ganz abgelegt. Da er Glück hatte und ein reicher Mann wurde, hätte er wohl ein Schwert tragen mögen; statt desselben aber trug er stets eine kleine Bibel am Gürtel. In seiner Rede war er maßvoll und nüchtern, und selbst im engsten Familienkreise sprach er nur selten von den Ereignissen, bei denen er eine Rolle gespielt, oder von den berühmten Männern, Fleetwood und Harrison, Blake und Ireton, Desborough und Lambert, von denen mehrere einfache, gemeine Reiter gewesen waren, wie er selbst, als die Wirren begannen. Er war mäßig im Essen und Trinken, und gestattete sich kein Vergnügen, außer täglich drei Pfeifen Oronoko Tabak, den er in einem braunen Steinkrug aufbewahrte, welcher neben dem großen Holzsessel auf der linken Seite des Kaminsimses stand.

Doch ungeachtet all dieser Selbstbeherrschung rührte sich zuweilen der alte Sauerteig in ihm und brach dann in einer Weise durch, welche seine Feinde Fanatismus und seine Freunde Frömmigkeit nannten, obgleich zugegeben werden muß, daß diese Frömmigkeit eine recht wilde und feurige Gestalt annehmen konnte. Wenn ich daran zurückdenke, stehen besonders zwei Scenen klar umrissen in meiner Erinnerung, als hätte ich sie gestern im Theater aufführen sehen, und doch fallen sie in meine Kindheit vor sechzig Jahren, als noch der zweite Karl auf dem Throne saß.

Die erste spielte sich ab, als ich noch zu jung war, um recht zu wissen, was ihr vorausging, oder was unmittelbar darauf folgte.

Wir waren an einem schwülen Sommerabend alle im Hause, als Pferdegetrappel und das Rasseln der Kesselpauken meine Mutter und auch meinen Vater vor die Thür lockte. Die erstere hatte mich auf den Arm genommen, damit ich besser sehen könnte. Es war ein Reiterregiment, das auf dem Wege von Chichester nach Portsmouth mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel vorüberzog: das prächtigste Schauspiel, das meinen jugendlichen Augen je vorgekommen war. Mit welch staunender Bewunderung starrte ich auf die stolz und zierlich schreitenden Rosse, die stählernen Sturmhauben, die federgeschmückten Hüte der Offiziere, die Schärpen und Bandeliere! Ich klatschte in die Hände und schrie laut vor Entzücken. Mein Vater lächelte ernst und nahm mich aus meiner Mutter Arm.

»Nicht doch, Junge,« sagte er, »du bist eines Soldaten Sohn und solltest wissen, daß man einer solchen Bande, wie dieser, nicht zujauchzt. Kannst du nicht sehen, wenn du auch nur ein Kind bist, daß ihre Waffen nichts taugen, daß ihre Steigbügel verrostet sind, und daß sie nicht ordentlich und taktfest im Gliede reiten? Sie haben auch keine Vorhut, wie es doch selbst in Friedenszeiten geschehen sollte, und ihr Nachtrab besteht aus verzettelten Nachzüglern von hier bis Bedhampton. Ja,« fuhr er fort, indem er plötzlich seinen langen Arm drohend gegen die Reiter ausstreckte und die mächtige Stimme erhob, »ihr seid Korn, das für die Sichel reif ist und nur der Schnitter wartet!«

Mehrere der Soldaten zogen bei diesen höhnischen Worten die Zügel an. »Hau dem stutzohrigen Schuft eins über den Schädel, Hans!« rief einer dem andern zu und warf sein Pferd herum. Aber in meines Vaters Gesicht mochte wohl etwas liegen, was ihn bewog, unverrichteter Sache in die Reihen zurückzukehren. Das Regiment trabte klirrend die Straße hinab. Meine Mutter aber legte ihre schmale Hand auf des Vaters Arm und beschwichtigte den schlummernden Dämon, der sich in ihm regte, durch ihre Liebkosungen.

Ein anderes Mal, als ich etwa acht Jahre alt war, brach sein Zorn in gefährlicherer Weise los. An einem Frühlingsnachmittag spielte ich neben ihm, während er in der Gerberei arbeitete. Da stolzierten zwei stattliche Herren durch den offenen Thorweg. Sie hatten Goldborten an ihren Röcken und schmucke Kokarden an den dreieckigen Hüten. Später erfuhr ich, daß es Marineoffiziere waren, die auf ihrem Marsche durch Havant uns im Hofe erblickt und uns nach dem Wege hatten fragen wollen. Der jüngere von beiden redete meinen Vater an und begann mit einem Wortschwall, der mir damals wie Chinesisch klang, – jetzt weiß ich, daß es eine ganze Reihe von Flüchen war, wie sie Seeleuten geläufig sind. Allerdings ist es mir immer ein ungelöstes Rätsel geblieben, warum gerade die Menschen, die unaufhörlich in der größten Gefahr schweben, vor dem Allmächtigen erscheinen zu müssen, sich so viel Mühe geben, ihn zu beleidigen.

Mit rauher strenger Stimme gebot ihm mein Vater, von heiligen Dingen ehrfurchtsvoller zu sprechen, worauf die beiden zusammen loszeterten, noch tausendmal schlimmer fluchten als vorher, und meinen Vater »einen frömmelnden Hallunken und glattzüngigen Mucker« nannten. Was sie noch weiter gesagt haben würden, weiß ich nicht, denn mein Vater hob die große Stange, mit welcher er das Leder auszurollen und zu glätten pflegte, und ließ sie so gewaltig auf den Kopf des einen Kerls niedersausen, daß der Mann ohne seinen steifen Hut, der den Schlag abschwächte, wohl nie wieder einen Fluch ausgestoßen haben würde. Aber auch so fiel er wie ein Klotz auf das Steinpflaster des Hofes, während sein Kamerad den Degen zog und einen wütenden Ausfall machte. Mein Vater jedoch, ebenso behende wie stark, sprang zur Seite und traf mit seinem Prügel den ausgestreckten Arm des Offiziers, der davon zerbrach, wie das Rohr einer Tabakspfeife. Dieser Vorgang verursachte kein geringes Aufsehen, denn er trug sich zu derselben Zeit zu, als Oates, Bedloe und Carstairs, diese Erzlügner, die öffentliche Meinung durch ihre erfundenen Gerüchte von einem gegen das Leben des Königs gerichteten Komplot der Papisten, aufregten und man allgemein einen Aufstand im ganzen Lande befürchtete.

In wenigen Tagen hallte ganz Hampshire wieder von der Geschichte des mißvergnügten Gerbers von Havant, welcher zwei Dienern Sr. Majestät Arm und Kopf zerschlagen hatte. Die Untersuchung ergab indessen, daß keinerlei verräterische Absichten bei der Sache mitgespielt hatten, und da die Offiziere obendrein gestanden, daß der Streit von ihnen ausgegangen war, begnügten sich die Richter damit, meinem Vater eine Geldbuße aufzuerlegen und ihn auf sechs Monate Frieden schwören zu lassen.

Ich erzähle euch diese Vorkommnisse, damit ihr einen Begriff bekommt von dem ernsten, streitbaren Glaubenseifer, der nicht nur euren Ahn, sondern die meisten Männer erfüllte, welche in den Heeren des Parlaments ausgebildet waren. In mancher Hinsicht glichen sie mehr den fanatischen Sarazenen, die an der Bekehrung der Welt durch das Schwert glaubten, als Jüngern Christi. Man muß ihnen aber den Ruhm lassen, daß sie meistens ein reines, löbliches Leben führten und selbst strenge die Gebote hielten, die sie andern mit dem Schwerte aufnötigen wollten. Es ist wahr, daß es unter so vielen einige gab, deren Frömmigkeit nur ein Deckmantel für ihren Ehrgeiz war, und andere, die heimlich dasselbe trieben, was sie öffentlich rügten, aber keine, auch noch so gute Sache ist von solchen heuchlerischen Auswüchsen frei. Daß der größere Teil der »Heiligen«, wie sie sich nannten, Männer waren, die ein nüchternes und gottesfürchtiges Leben führten, erhellt aus der Thatsache, daß nach der Auflösung von Cromwells Armee die alten Soldaten im ganzen Lande Handel zu treiben begannen und sich allerorten durch Fleiß und Tüchtigkeit auszeichneten. Manch wohlhabendes Geschäftshaus in England kann noch heute seinen Ursprung von einem rechtschaffenen und geschäftstüchtigen Pikenträger Iretons oder Cromwells ableiten.

Damit ihr aber den Charakter eures Urgroßvaters recht verstehen lernt, will ich euch noch eine dritte Geschichte erzählen, welche zeigt, wie glühend und echt die Empfindungen waren, die ihn zu den vorerwähnten Zornausbrüchen trieben.

Ich war damals etwa zwölf, meine Brüder Hosea und Ephraim neun und sieben, unser Schwesterchen Ruth kaum über vier Jahre alt. Ein wandernder Independentenprediger war gerade ein paar Tage zuvor in unserm Hause eingekehrt, und seine religiösen Ermahnungen hatten meinen Vater in eine düstere und reizbare Stimmung versetzt, die auch nach seiner Abreise andauerte. Eines Abends war ich, wie gewöhnlich, zu Bette gegangen und neben meinen beiden Brüdern fest eingeschlafen, als mein Vater uns plötzlich weckte und befahl, sofort nach unten zu kommen. Rasch unsre Kleider überwerfend, folgten wir ihm nach der Küche. Dort fanden wir unsre Mutter, welche Ruth auf dem Schoße hielt. Sie sah blaß und verängstigt aus.

»Schart euch um mich, meine Kinder,« sagte mein Vater mit seiner tiefen Stimme, die einen ehrfurchtsvollen, uns durchschauernden Klang hatte, »auf daß wir mitsammen vor dem Throne erscheinen mögen. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen – o bereitet euch, Ihn zu empfangen! Schon diese Nacht, meine Geliebten, sollt ihr Ihn sehen in Seinem Glanze und mit den Engeln und Erzengeln in großer Macht und Herrlichkeit! Um die dritte Stunde wird Er kommen – es ist die Stunde, die uns jetzt nahe rückt.«

»Liebster Joe,« sagte meine Mutter im beschwichtigendem Tone, »du ängstigst dich und die Kinder ganz ohne Not. Wenn des Menschen Sohn wirklich kommt, was ist daran gelegen, ob wir zu Bette oder auf sind?«

»Still, Frau,« antwortete er strenge, »hat Er nicht gesagt, Er werde kommen, wie ein Dieb in der Nacht, und daß wir Ihn erwarten sollen? Betet mit mir in heißem Flehen, daß wir erfunden werden mögen, als die da ihr hochzeitlich Gewand anhaben. Laßt uns Dank opfern, daß er uns in Seiner Gnade gewarnt hat durch den Mund Seines Dieners. O großer Gott, sieh hernieder auf diese kleine Heerde und führe sie zu den sanften Hürden! Laß nicht deine Weizenkörner vermengt werden mit dem Haufen Spreu dieser Welt! O barmherziger Vater, sieh gnädig an mein Weib und vergieb ihr die Sünde des Erastianismus; ist sie doch nur ein Weib und nicht stark genug, die Bande des Antichrists, in denen sie geboren wurde, abzuschütteln. Und auch diese Kleinen, meine Kinder, Micha, Hosen, Ephraim und Ruth, die alle die Namen Deiner treuen Knechte führen, o laß sie in dieser Nacht zu Deiner Rechten stehen!«

Seine Gebetsworte ergossen sich feurig dringend wie ein wilder Strom, während er sich am Boden wand in der Heftigkeit seines Flehens. Wir Kinder aber drängten uns zitternd um unsrer Mutter Schoß und starrten voll Todesschrecken auf die verzerrten Gesichtszüge des Betenden im trüben Lichte des winzigen Öllämpchens.

Da auf einmal erklang der Schlag der neuen Turmuhr – die Stunde war gekommen. Mein Vater sprang vom Boden auf, stürzte nach dem Fenster und stierte mit wild erwartungsvollen Blicken zum reichgestirnten Himmel empor. Ob er aus seinem erregten Hirn irgend eine Vision heraufbeschwor, oder ob das über ihn hereinbrechende Gefühl, daß seine Erwartungen eitel waren, ihn überwältigte, genug, er reckte seinen langen Arm hoch empor, stieß einen heiseren Schrei aus und stürzte mit schäumendem Munde und zuckenden Gliedern rückwärts zu Boden.

Über eine Stunde dauerte es, bis es meiner armen Mutter und mir gelang, ihn zu beruhigen, während meine verschüchterten Geschwister in einer Ecke wimmerten. Endlich richtete er sich taumelnd auf und befahl uns in kurzen, abgebrochenen Worten, auf unser Zimmer zu gehen. Niemals kam er später auf diese Sache zurück, auch gab er keinen Grund an, warum er gerade in dieser Nacht die Wiederkunft des Herrn erwartet hatte. Ich erfuhr dann aber doch, daß der Prediger, der uns besucht hatte, einer von denen gewesen war, die dem Gesichte Daniels vom goldnen Bilde gemäß glaubten, zur Zeit der fünf Königreiche, also in den letzten Zeiten zu leben, die man deshalb ›Männer der fünften Monarchie‹ nannte, und die sehr zu solchen Voraussetzungen neigten. Ohne Zweifel hatten seine Reden meinem Vater diese Idee in den Kopf gesetzt, und sie hatten in der feurigen Natur des Mannes gezündet.

Das war euer Großvater, Joe von den Eisenseiten. Übrigens war er auch ein vortrefflicher Geschäftsmann, lauter, ja großmütig in seiner Handlungsweise, von jedermann geachtet, aber von wenigen geliebt; denn er war zu selbständig und verschlossen, als daß er sich die Zuneigung der Menschen hatte erwerben können. Gegen uns war er ein strenger, unbeugsamer Vater, der uns hart bestrafte, wenn wir uns nach seiner Ansicht etwas hatten zu Schulden kommen lassen. Er hatte einen Vorrat von Sprichwörtern, wie z. B.: »Thust du deinem Kinde den Willen und läßt das Löwenjunge sich vollschlingen, wird's dir mit beiden schlecht gelingen«, oder: »Kinder sind sicherer Kummer, aber unsicherer Trost«. Damit pflegte er die milderen Ansichten der Mutter zu widerlegen. Unerträglich war es ihm, daß wir auf der Dorfwiese mit den andern Kindern spielten oder gar Samstag Abend mit ihnen tanzten.

Was meinen Vater innerhalb gewisser Schranken hielt und sein düster strenges Regiment sänftigte, war der milde, friedvolle Einfluß meiner teuren Mutter. Nur selten ermangelte die leise Berührung ihrer Hand, oder der Ton ihrer Stimme, seinen feurigen Geist, selbst in seinen dunkelsten Stimmungen, zu besänftigen. Sie entstammte, wie bereits erwähnt, einer Familie, die der Kirche von England angehörte, und hielt ihre Überzeugungen in aller Stille mit einer Zähigkeit fest, die jedem Versuch, sie davon abwendig zu machen, trotzte. Ich denke mir, daß im Anfang ihrer Ehe mein Vater viel mit ihr über Arminianismus und über die Sünde der Simonie disputiert hatte. Da er aber fand, daß sie seinen Beweisführungen durchaus unzugänglich blieb, hatte er den Gegenstand fahren lassen und rührte nur sehr selten gelegentlich daran. Trotz ihrer strengen Kirchlichkeit gehörte sie aber doch mit ganzer Seele zur Partei der Whigs und ließ durch ihre Ergebenheit gegen den Thron ihr Urteil über die Thaten des Monarchen, der darauf saß, nie beeinflussen.

Vor fünfzig Jahren waren die Weiber gute Hausfrauen, aber meine Mutter war unter den besten eine hervorragende. Wenn man ihre fleckenlosen Handkrausen und ihr schneeweißes Busentuch sah, hätte man kaum geglaubt, wie schwer sie arbeitete. Nur ihr wohlgeordnetes Haus und ihre staubfreien Zimmer verkündeten ihren unermüdlichen Fleiß. Sie machte Salben und Augenwasser, Pulverchen und Konfekt, stärkende Tränkchen, Orangenblütenwasser und Kirschbranntwein, jedes zu seiner gehörigen Zeit und jedes vom besten. Sie verstand sich auch auf Kräuter und einfache Arzeneien. Die Dörfler und Tagelöhner erholten sich für ihr Gebrechen lieber bei ihr Rats, als bei Dr. Jackson von Purbrook, der nie ein Tränklein unter einer Silberkrone (2,50 Mk.) bereitete. In der ganzen Gegend genoß keine Frau einer wohlverdienteren Achtung und Hochschätzung bei Vornehm und Gering, als meine Mutter.

Das waren meine Eltern, wie sie mir von der Kinderzeit her vor Augen stehen. Meine Geschwister waren alle sonnverbrannte stämmige Landkinder ohne besonders hervortretende Charakterzüge außer einer Vorliebe für allerhand Streiche, die von der Furcht vor dem Vater in Schach gehalten wurde. Mit Martha, dem Dienstmädchen, war der Kreis des Haushalts geschlossen, in dem ich meine Knabenjahre verlebte, während deren die biegsame Seele des Kindes sich zum Charakter des Mannes ausgestaltet.


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