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Siebenter [später: Sechster] Abschnitt: Der lateinische Bauer.

Auf dem Weizenstoppelfelde von Kirkeby neben dem haushohen, geschickt gebauten Diemen summte die Dampfdreschmaschine den ganzen Tag – es war der dritte schon – von frühmorgens an; und die goldgelben Körner füllten Sack um Sack. Eia, das Brummen und Summen war dem Bauer und Besitzer des Feldes eine behaglich-behäbige Musika. Da die letzten Garben ausgedroschen waren und als leeres, wirr geknicktes Stroh ausgespieen wurden, schlug sich der neue Hofbesitzer Junker auf den Schenkel und lachte: »Haha, vierzig Doppelzentner Weizen vom Hektar, das geht, und mehr gibt die Marsch kaum.« Sein Lachen klang gleich wie ein froher Lobgesang der Landwirtschaft, die er immer lieber gewann.

Der Himmel war ihm günstig, mit einem äußerst fruchtbaren Sommer begann er sein Bauerntum, eine sehr reiche Ernte war eingeheimst und unter Dach und Fach gebracht worden.

In diesem Herbste kaufte er zwölf Jütochsen, um sie zu mästen. Mehr Vieh, mehr Dünger, mehr Dung mehr Bodenkraft, mehr Kraft mehr Korn! war sein agrarischer Hauptgrundsatz. Schon Mitte Oktober stallte er seine Kühe auf; denn die kalte Witterung minderte den Milchertrag, den er täglich maß.

Wenn er durch den vollen Stall auf- und abging und die 42 Stück blank glänzendes Rindvieh, die täglich gestriegelt wurden, mit leuchtenden Augen überblickte, fühlte er ein tiefes, stilles Vergnügtsein und holte oft die Mutter herbei, daß sie die Freude mit ihm teile. Alle Tiere waren seine Pfleglinge und einige, wie das selbstgezüchtete Stierkalb und die Goldfuchsstute seine besonderen Lieblinge.

Lächelnd rechnete und zählte er der Mutter vor: »Mit den Wochenferkeln, mit den Hühnern und dem Hahne, die Enten und den Erpel eingeschlossen und den Hund Grips nicht vergessen, besitze ich nicht weniger als 105 Tiere, hundertfünf.«

Das machte den tierfreundlichen Mann überglücklich [später ans Satzende gestellt], der nur die langschwänzigen Ratten gründlich haßte. Darum beugte er sich nieder und streichelte den Hund, der oft an einem Tage einem halben Dutzend den Garaus machte; denn Grips war ein großer Rattentöter in seinem Geschlecht und ein natürlicher Sohn des berühmten Rattenbeißers Bulldog.

Mit Hilfe zweier Mägde und einer zu Ostern konfirmierten Jungdirn führte Monika die Wirtschaft. Der Bauer, der frühmorgens der erste auf den Beinen war, griff selbst mit an und fütterte das Kraftfutter und führte noch beim Schein der Lampe seine Bücher. Alles auf dem Hofe gedieh, als wäre es gesegnet. Darum glaubte Junker, der als ein freier Mann auf eigner Scholle sich fühlte, nicht an die Notlage der Landwirtschaft, die damals ihr notleidendes Klagelied leise anzustimmen begann. –

Der Weihnachtsabend wurde auf dem Hofe mit großer Festlichkeit gefeiert und das Gesinde reich beschenkt. Der gewesene Kandidat, welcher der Theologie den Abschied gegeben hatte oder von ihr verabschiedet worden war, hatte seinen Glauben, wenn auch nicht an die verweltlichte und verstaatlichte Kirche, so doch an das Christentum bewahrt und war ein frommer Mann geblieben, der heute eine ergreifende Weihnachtsandacht mit den Seinen hielt. War doch ihm die stille, heilige Nacht ein sonderliches Dankfest für große Gotteserrettung und die neue, herrliche Wende seines Lebens.

Nachdem das Gesinde entlassen war, zündete er die lange deutsche Pfeife an, die ihm lieber war als der kurze amerikanische Nasenwärmer, und zwischen den Rauchwolken warf er die Worte hin: »Warum kommt Fräulein Reder nicht einmal nach Kirkeby? Du hast sie doch eingeladen, uns zu besuchen.«

»Soll ich sie noch einmal schriftlich bitten?«

»Nein, nein! Die hat ihren eignen Kopf, und eingeladen ist sie genug … wenn sie nicht will, muß sie es unterlassen und ihren Eigenwillen haben.«

Ach, Fräulein Reder saß in eben dieser Stunde so ganz einsam am heiligen Abend. In der Christnacht ist das Alleinsein dem Menschen am schwersten, und er sehnt sich nach freundlichen Menschenlauten und nach ein wenig Menschenliebe. Sie, die sonst hinsichtlich dessen, was sie wollte, nie im Unklaren war, wollte auf einen halben Tag nach Kirkeby und wollte es wieder nicht, und die oft und lang erwogene Absicht, einen Wagen zu nehmen, kam nicht zur Ausführung. Was machte ihren Entschluß schwankend und hemmte ihr Vorhaben, wenn sie schon auf dem Wege war, den Fuhrmann zu bestellen?

Klarissa stand vor dem Spiegel und suchte nach einem grauen Haar. Sie mußte lange suchen, aber sie wollte es finden. Beim ersten grauen Haar kommen die Altersberechnungen dem Menschen in den Sinn. Er war neunundzwanzig gewesen, und sie ging in ihr einunddreißigstes Lebensjahr. Schmallippig lächelte sie: »Ich bin nicht mehr von solchen Gefahren bedräut und noch viel weniger gefahrbringend.« Scheu sah sie sich unwillkürlich um, ob niemand ihr Selbstgespräch höre, obgleich keine Menschenseele außer ihr in der einsamen Wohnung war.

Am Sonntag zwischen Weihnachten und Neujahr kam Silly Berg, die bei dem verwitweten Pastor in Kragerup Hausdame war, nach Norderhafen. Es war bereits drei Uhr nachmittags, als sie Klarissas schmuckes Stübchen betrat.

Ehe sie noch abgelegt, fragte die Freundin hastig: »Wollen wir heute nach Kirkeby fahren und sehen, wie deine Tante wohnt?«

»So spät am Tage? Ja, wir müssen es bald einmal …«

»Aus einmal wird schließlich keinmal, wenn wir es nicht übers Knie brechen … denn … denn … allein fahre ich nie nach Kirkeby, nur mit dir!«

Sie fuhr mit den Armen in die Winterjacke, und Silly war schon reisebereit.

Monika vergaß den beiden lieben Mädchen nicht, daß sie während Fiedlines langer Krankheit ihr in treuer Liebe geholfen hatten, und bewirtete sie mit dem Allerbesten, was Küche und Keller vermochte.

Silly, die vornüber und nach unten wuchs, saß eingesunken im Sofa und lauschte der lebhaften Unterhaltung und beobachtete unbemerkt und von unten herauf. Klarissa, nachdem sie aufgetaut war und sich frei und natürlich gab, sah Junker beim Sprechen an, und dann hatten ihre braunen Augen einen Glanz wie bei keinem andern Gespräch … jaja! Und auch er, der viel redete und lächelte, hatte andre und blankere Augen. Jaja! Die Augen sind der Seele Spiegel und der Seele Verräter.

Als der Vetter sie fragte: »Warum sagst du nichts?« nickte Silly: »Ich hab am Zuhören meine Freude … du bist mit Leib und Leben Landmann.«

Er kramte nicht seine agrarische Weisheit aus, sondern bewies mit einem gewissen Stolze, daß alles – bis auf Zucker, Salz und Thee [später: Tee] – Selbsterzeugnis seines Grund und Bodens sei. Obwohl es neun Uhr war, nahm er den Stalleuchter, und die Damen mußten mit und seine Schätze besichtigen. Er beleuchtete die Tiere von allen Seiten und fragte Klarissa, welche ihr am besten gefielen. Ohne Zögern zeigte sie auf diejenigen, die auch seine Lieblinge waren, welche Harmonie des Geschmacks ihm helle Freude machte.

Als des Neumonds schmale Sichel aufging, fuhren die beiden Freundinnen durch die schlafende Nacht und waren still, bis die eine das Schweigen brach: »Woran denkst du, Rissa?«

Die Gefragte kehrte nach ihrer Gepflogenheit die Frage um: »Woran dachtest du?«

»Das will ich dir nicht … noch nicht sagen, meine Liebe.«

Worauf beide wiederum schwiegen und weiter dachten. Aber Sillys Gedanke war mehr als ein flüchtiges Ideenbild und verdichtete sich zum festen Vorsatze – und ihr Gedanke wurde schließlich zu einer guten und großen Tat.

Während diese [später ergänzt: beiden] durch die dämmernde Mondnacht fuhren und beim Aussteigen in Norderhafen ohne ersichtlichen Anlaß sich stürmisch umarmten und küßten, saß Amatus neben seiner Mutter.

Es sollte ein Scherzen sein, was sie sagte, und war doch weit mehr. »Mein Sohn, welche von den zwei lieben Mädchen wird's?«

»Wohl keine von beiden … Silly ist meine Kousine, und die andre …« Lachend erzählte er, wie die Erwachsene ihm als Sekundaner [später: Schüler] schon ein Körbchen gegeben und ihm als Kandidat in Alstrup einmal tüchtig den Kopf gewaschen. »Ich glaube, sie mag mich nicht und hat mich immer – als die ältere [später anders: den jüngeren] behandelt.«

»Ich werde alt, mein Amatus, und es wird Zeit, daß du dich umsiehst unter den Töchtern des Landes …«

Da! Da war wieder das Verhängnis. Monika fiel leichenblaß ins Sofa zurück, verzerrte den Mund und atmete stöhnend. Mitten im scherzenden Gespräch – früher doch nur bei heftigen Gemütsbewegungen – wurde sie von ihrem Leiden befallen, und die aus dem Herzen quellende Blutwelle schoß betäubend empor. Nach kurzer Besinnungslosigkeit erholte sie sich und blieb in Amatus Armen liegen, der ihren greisen Kopf an seine Schuler lehnte.

Mit tiefem Ernst und weicher Innigkeit flüsterte sie: »Früher oder später muß ich von dir zu Friedline und deinem Vater gehen. Ja, mit dem Gedanken an das Grab muß man sich beizeiten vertraut machen, und er ängstigt mich nicht, denn ich weiß, an wen ich glaube, mich unruht [später: beunruhigt] nur, daß ich dich allein zurücklasse … bedenke, auf dem Bauernhofe allein! Wenn ich vor meinem Abschiede eine Stellvertreterin an deiner Seite sähe, eine Frau, die dich liebte, die jünger, klüger, kräftiger und natürlich auch geliebter wäre und mit Recht sein müßte, dann, nur dann könnte ich in Frieden meine Augen schließen.«

Langsam sagte er: »Mein Mütterchen, bei deinen Lebzeiten kann ich keinen Menschen mehr als dich lieben.« – –

Die Kirkebyer Bauern gaben Obacht auf Junker, wie der Agrarier-Kandidat es in allen Dingen angreife und treibe, guckten in seine Ställe hinein und inspizierten, wenn er abwesend war, seine Felder. Fast alle schüttelten zweifelhaft den Kopf und sagten platt: »Dat sind woll nije [später: nie] Moden … jaaa he is'n latinischer Bur.« Wie ihre Väter, Groß- und Urgroßeltern gewirtschaftet hatten, so arbeiteten und ackerten sie weiter auf sechs Ackerschlägen, dem Herkommen und auch vielfach dem ererbten Schlendrian getreu.

Nach ihrer Ansicht hatte Junker alles umkalfatert und vieles auf den Kopf gestellt. Bei der Herbst- und Frühjahrsbestellung hatte er sein Land in nicht weniger als zwölf Schläge eingeteilt, und die Vollbrache wollte er möglichst beschränken und durch Hackfrüchte ersetzen.

Klaus Klümp, der größte Bauer in Kirkeby, lachte, daß ihm der Schmerbauch schütterte: »Haha! Keine Brache! Im nächsten Jahr werden Sie Hederich statt Hafer ernten.«

Dieser Nachbar besuchte Junker oft – aus Neugierde – und sah die Scheunentennen voll von Säcken stehen. Er öffnete einen, steckte die lange Nase hinein und zog sie schnell zurück.

»Puh, wie das Zeug stinkt! Was ist das für Dreck?«

»Ja, das ist eben Dreck und Dünger, das weißliche Superphosphat, das dunklere Chilisalpeter [Chile-Salpeter; d. Hg.].«

»Aha, Sie machen die Moden mit dem künstlichen Dünger mit? Das bißchen Staub soll wirken? Ja, der Gestank muß es tun. Haha, mit Ihrem Stallduft, der in den Garten hinauszieht, düngen Sie wohl Ihre Obstbäume? Wer's glaubt, zahlt einen Taler.«

»Wollen wir zweie [später: zwei] wetten, daß der Staub wirkt?«

Als Junker seinem Weizenschlage die Chili-Kopfdüngung gab, nahm er seinen Nachbar mit aufs Feld hinaus und zeigte und sagte: »Die ganze Koppel ist gleichmäßig bestreut, nur in der Mitte hier lasse ich einen schmalen Ackerstreifen ungedüngt … im August zur Ernte kommen wir wieder und sehen.«

Aber schon in Juni sah Klaus, wie das Getreide auf dem schmalen Streifen hinter dem andern sichtbarlich zurückblieb. Doch er schwieg mäuschenstill, ärgerte sich innerlich und ging ins Wirtshaus, wo er den Bauern eine Mär aufband. »Dröge Tid! En Köhm und Beer dagegen!« Der Verwalter vom Gute war zugegen, darum fuhr er auf hoch fort. »Habt ihr gehört? Der Junker hat 50 Taglöhner und 50 Gießkannen bestellt und will sein ganzes Weizenfeld begießen, jaja!«

»Haha!« lachte man im Chorus und begoß die Kehlen mit Kümmel und Bier gegen die Dürre. –

Dem lateinischen Bauer blieb der Agrarier-Verdruß allerdings nicht erspart. Der Juni war durchaus kein Mustermonat, wie der des Vorjahrs, und tat nicht seine Regenpflicht, sondern hatte einen tiefblauen, wolkenlosen Himmel. Das stete Lächeln des Himmels um Mittsommer hält der Landmann bald für ein höhnisches. Aber was hilft's? Man muß das Wetter nehmen, wie es will.

Die anhaltende Dürre war nicht nur der Saat schädlich. Sauber geeggt lag Junkers Koppel, die mit Steck- und Runkelrüben bestellt werden sollte. Aber das blaue Firmament lachte immerzu, und die Kirkebyer Bauern lachten mit, obgleich ihnen sonst nicht zum Lachen war. Sie lachten nämlich Junker aus: »Nun müssen Sie Brache machen, ob Sie wollen oder nicht.«

Amatus wartete bis zum 22. Juni. Dann ließ er zwei Dutzend Hände kommen, fuhr Tonnen mit Wasser aufs Feld und pflanzte die Rübenpflanzen – mehrere hunderttausend Stück – in die mit Wasser gefüllten Löcher. Eine mühsame und nicht billige Arbeit!

Klaus Klümp stand auf dem Knick als Zaungast und Zuschauer und rief: »Ein Kind kann's ausrechnen … jede Steckrübe wird Ihnen an Taglohn und Ausgaben mindestens fünf Pfennige kosten … jaaa, teures Futter! Klaus tat sich im Wirtshause gütlich und nicht wenig darauf zugute, daß seine Gießkannen-Mär in Erfüllung gegangen sei.

Um den Verdruß des lateinischen Bauern voll zu machen, fiel ein starker Gewitterregen eine Stunde, nachdem er mit Pflanzen fertig geworden. Mit dem Himmel ist nicht zu rechnen, noch zu richten.

Doch auch die Freude kam bald, als die Rüben so kräftig und schnell emporschossen, daß er morgens ihr Wachsen während der letzten Nacht sehen zu können meinte.

In einer Frühe, als die Sonne eben aufgegangen, trat Amatus heftig in das Schlafzimmer der Mutter und harkte sich mit allen zehn Fingern in den Haaren herum. Monika lag wach und richtete sich auf. »Warum bist du so unwirsch? Hat eine Kuh verkalbt?«

»Malheur, Malheur!« rief er und wand sich wie sein Vater selig. »So sag's doch!« drängte sie. Ja, die englische Sau, die beste von allen, hatte ihre eben zur Welt gebrachten acht Jungen mit Haut und Haaren aufgefressen. Nun sollte die Rabenmutter zur Strafe gemästet und dann erstochen werden.

Die Sensen wurden gedengelt und die Halme fielen. Da kam ein Hagelwetter und schlug einen Teil des mähreifen Hafers nieder. Die Mutter tröstete, daß das strichweise ziehende Wetter nur eine Ecke seiner Felder gestreift habe.

Und er trug es mit Fassung und sagte: »Ja, wenn die unvorhergesehenen und unberechenbaren Unglücksfälle nicht wären, könnte der Landmann wohl lachen und seinen Beruf als den besten loben und von seiner Kapitalsanlage einen sehr guten Gewinn erzielen.« Durch Erfahrung gewitzigt, dachte er jetzt doch etwas anders über die Notlage der Landwirtschaft, die ihre Mißhelligkeiten hatte, und stimmte gedämpft in das agrarische Klagelied mit ein.

Sonst aller Politikerei abhold, äußerte er zu seinem Nachbar Klaus: »Die Grenzeinfuhr hier oben muß erschwert werden, damit wir anständige Preise bekommen. Die Landwirtschaft darf nicht das Stiefkind des Staates, des großen Gesetzmachers sein, der endlich einmal Gesetze zu ihren Gunsten fabrizieren soll. Allerdings die Hauptsache, Regen und Sonnenschein, Fleiß und Tüchtigkeit des einzelnen, kann nicht durch Reichstags- und Regierungsbeschlüsse geregelt werden. Darum vor allem aus dem alten Schlendrian heraus!« – – –

Die Ernte war geborgen und noch mittelgut geraten. Die Steckrüben, die ihre Knollen ansetzen, wenn die Nächte dunkeln, versprachen reichen Ertrag. Der Bauer hatte die härteste Arbeit des Jahres hinter sich und reckte sich behaglich auf dem Sofa und rechnete seiner Mutter die Ernteeinnahmen vor. »Mit sieben bis acht Prozent verzinst sich mein Kapital in diesem Mitteljahr … wir können zufrieden und dankbar sein. Darum werden zwei vom hundert unsrer Reineinnahme für die Armen und die Anstalten in B. und K. hingelegt. Das sollen die feststehenden Gottesprozente sein.«

Ein leuchtendes Mutterantlitz beugte sich nieder und küßte die Lippen, die diese Worte sprachen. »Nun gönne dir auch selber, mein Sohn, einige Erholung und Ausspannung … wenn du zum geselligen Verkehr ein paar gleichgesinnte Freunde hättest …«

»Schopenhauer sagt: Nur die Lumpen sind gesellig.«

»Aber die vom Menschenverkehr sich abschließen, werden Sonderlinge. Möchtest du nicht eine Reise machen, Amatus?«

Er richtete sich auf. Etwas war ihm plötzlich wie eine Eingebung des Augenblicks eingefallen. »Ja, eine sehr kleine Reise will ich heute am Sonntagnachmittag machen, nämlich nach Wasserlust. Vor den Wirtshäusern brauchst du mich nicht mehr zu warnen, mein Mütterchen.«

»Nein, der Herr sei gepriesen, dem ich täglich danke!«

Wasserlust war ein kleines Seebad am Belt, wo an diesem letzten Augustsonntage ein Volks- und Erntefest mit Schießerei und Sacklaufen auf dem Lande, mit Wettsegeln und Wettschwimmen auf dem Wasser gefeiert wurde.

Junker schnallte sich die Sporen an und ritt auf dem Goldfuchs hinüber. Als er das Dorf Kragerup, das eine halbe Stunde von dem Badeorte entfernt lag, passierte, fiel er in Schritt und lugte nach dem alten, efeuumsponnenen Pfarrhaus hin. Es lag wie ausgestorben, niemand auf der Lindenbank vor der Tür, kein Menschengesicht hinter den Fenstern.

Und doch regte sich die Gardine, wie von einem Lüftchen bewegt.

Klarissa, die just zum Besuch im Krageruper Pastorat war, meinte den Goldfuchs zu kennen und hatte dem Reiter nachgesehen. Die Aufrichtige, die sonst nichts vor Silly verheimlichte, behielt die Fensterbeobachtung für sich. Aber nach einer Weile fragte sie etwas zag und zögernd ihre Freundin, ob sie keine Lust verspüre, für ein Stündchen sich das Getümmel am Strande anzusehen. Aus purer, selbstloser Willfährigkeit zeigte Silly einiges Interesse für das Volksfest, welches sie durchaus nicht hatte.

Am Bollwerk von Wasserlust stand Amatus und betrachtete die schläfrigen Böte, die bei der Windstille die Segel schlaff hängen ließen und unter keinen Umständen wettsegeln wollten,

Da berührte die Kousine seinen Arm und kicherte: »Welch ein zufälliges und schönes Zusammentreffen! Aber wie vermochtest du auf einen halben Tag von deinen Bauernpflichten dich frei zu machen? Konntest du von der Sau weggehen, die wie Kronos ihre eignen Kinder verschlingt?«

Sie beobachtete ihn genau, weil er bei Fräulein Reders Anblick zuckte, und wie er ihr beim Händedruck in die Augen sah. Gar nichts entging Silly, die auch bemerkte, daß Rissa sehr rot wurde, sehr backfischrot für ein einunddreißigjähriges Mädchen. Das schöne Zusammentreffen war kein zufälliges gewesen!

Silly war hellsehend geworden und wurde still. Der Gedanke, den sie zur grossen Tat werden lassen wollte, mußte heute Wirklichkeit werden. Aber das Wie überlegte sich ihr Köpfchen.

Nachdem sie ein Stündchen hin und her geschlendert waren, über die grell geputzten Bauernmädchen und die sacklaufenden Knaben gelacht und viel Staub geschluckt hatten, sagte Silly zu ihrem Vetter, daß er als gewesener Cowboy ihnen seine große Schießkunst zeigen müsse. Sobald er die Büchse in die Hand genommen und bedächtig zielte, um sich nicht zu blamieren, zog sie flink und hinterlistig die Freundin mit sich, schlüpfte durch das Gedränge und machte erst drüben im schattigen Wäldchen Halt, wo sie engbrüstig und etwas stockend begann.

»Rissa … auf die Bank hier … wollen wir uns setzen … und vernünftig reden … wir haben als törichte Kinder uns einmal ein Gelübde gegeben … fühlst du dich noch daran gebunden?

»Ja, Silly, ich will es halten.« Das sagten leise bebende Lippen, die bestimmt und energisch schmal wurden.

Die kleine Berg richtete sich auf, und ihre Stimme klang tief und feierlich. »Rissa, ich löse dich vor Gott und deinem Gewissen von dem Gelübde.«

Die andre griff vor Wirre um sich. »Wie … warum, warum? Das … kannst du vielleicht nicht …«

»Ja, ich kann und will es, denn ich weiß jetzt, daß mein Vetter dich lieb hat, und daß du ihn seit zehn und mehr Jahren nie vergessen hast … still, Klarissa, du bist frei … und darfst dich freien lassen … ja, du sollst es, denn, um glücklich zu sein, muß ich dich und ihn glücklich sehen.«

»Silly, Silly, was sagst du, was tust du! Er mag mich ja gar nicht …«

»Ja, er hat dich sehr gern.« Es war zu viel für Silly, die in Tränen barst. Die Freundin umhalste sie und weinte mit ihr.

Wer will lachen über die Zähren, unter denen ein treu gehaltenes Kindergelübde zerging und sich zerlöste? –

Über das rieselnde Waldbächlein, das wie mit dünner Stimme sang, beugten sich zwei erwachsene Mädchen, tauchten die Taschentücher hinein, tupften und wuschen die Gesichter.

Schon war die Sonne am Untergehen, als Amatus, der wie ein verlassenes, seinen Herrn suchendes Hündchen durch die Menschenmenge pürschte, endlich die Verlorenen fand. Sein Erstaunen hatte einen Ton von Ärger: »Meine Damen, wo haben Sie sich vor mir versteckt?« Sein mißtrauischer Blick gewahrte Klarissas nasses Taschentuch, das sie unvorsichtigerweise halb hervorzog und mit heißer Hast in die tiefste Tiefe zurückstopfte; und er fragte nicht ohne einen Anflug von Ironie: »Haben Sie sich unter vier Augen ausgeweint?«

Die impertinente Frage war zum Umfallen, zum Ohnmächtigwerden.

Aber Silly gewann zuerst die Fassung [später ergänzt: wieder], und sie, die sonst nie log, sagte die Lüge: »Wenn du es wissen willst … wir haben uns am Bache den Staub abgewaschen.«

Höflich lud er beide zum Abendessen ein. Die zwei Restaurants jedoch, die Wasserlust hatte, waren bis auf den letzten Platz belegt und überfüllt. Nicht verlegen führte er die Damen an Bord des Dampfers und ließ in der ersten Kajüte kalte Küche und Wein auftragen. Aber er trank keinen Tropfen, sondern stieß mit seinem Seltersglase an.

Die Kousine zwinkerte schelmisch. »Wein? Willst du irgend ein Fest heute feiern?«

Man aß und trank, man lachte und schwatzte so lebhaft, daß der erste und der zweite Pfiff des Dampfers überhört wurde. Amatus war in witzigster Laune und erzählte drastisch, wie er in Bellavista zur Predigerwahl gestanden und seinen Stegreifsprung von der Kanzel auf den Düngerhaufen gemacht habe.

An Bord des Dampfers, der von Menschen voll sich stopfte, war ein ohrbetäubender Lärm und in der Kajüte lautes Gelächter. Auch hatte die schrille Dampfpfeife infolge ihrer Überanstrengung heute eine belegte und dumpfe Stimme. Der dritte und letzte Pfiff wurde überhört. Nur Silly vernahm ihn und sagte nichts und blinzelte schlau. [Später neuer Absatz.] Plötzlich stampfte die Maschine und stieß das strudelnde Wasser von sich.

»Himmel, das Schiff bewegt sich und geht ab!« Junker, gefolgt von Klarissa, stürzte die enge Kajütentreppe hinauf – dicht gestaute Menschen vertraten ihm den Weg. Schon war das Gangbrett eingezogen und ein Sprung an Land nicht mehr möglich.

Die kleine verwachsene Berg ließ sich ruhig und gelassen gute Zeit und lächelte wie ein gutmütiges, die Menschenkinder foppendes Heinzelweibchen in sich hinein. Ihr großer Gedanke mußte heute zur Tat werden. Nun war der Zufall, der mitunter ein netter, aber meistens ein schlechter und höchst unzuverlässiger Handlanger Gottes ist, ihr zu Hilfe gekommen.

Die drei unfreiwilligen Passagiere fügten sich in das Unvermeidliche und waren genötigt, ganz bis Norderhafen mitzufahren.

Die Leute an Bord befanden sich in angesäuselter Stimmung und sangen immerzu, und wem der Herr nicht Stimme gegeben hatte, der schrie [später ergänzt: und grölte] mit. Um den wilden Disharmonien der Volkslust zu entweichen, begab sich die kleine Gesellschaft in die Kajüte hinunter. Junker sah Fräulein Reder an und bat sie, ein Liedchen zu singen. Sie ließ sich nicht lange bitten und stimmte unbefangen trotz der verfänglichen Liederworte – als breche instinktiv ein schon in ihrer Brust klingender Ton hervor – die Weise an, die sie vor vielen, vielen Jahren auf den Wassern neben dieser Föhrde gesungen hatte.

»Mein Liebchen, wir saßen beisammen
Traulich im leichten Kahn,
Die Nacht war still, und wir schwammen
Auf weiter Wasserbahn.«

Ihm wurde, als käme mit winkender Hand seine selige Jugend über die Wellen und kehre zu ihm wieder wie Traumerfüllung, ernst und groß und ohne ihre törichten Gebärden.

Da erwachte etwas in ihm, was auf diesen Gewässern vor vielen Jahren keimend sproßte und ungestüm aufsprang, was all die ewige Zeit, im weiten Raum der alten und der neuen Welt, oft still und unbewußt, aber immer unwandelbar in seinem Herzen geruht und stark und groß sich gewachsen hatte.

Da war Amatus Junker sich seiner einen und einzigen Liebe klar und gewiß, und es war ihm wie ein Erwachen seiner selbst und seiner Seele.

Sobald der Dampfer am Norderhafener Bollwerk anlegte, stieß und drängte sich die Menge über das Gangbrett. »Wir müssen aufpassen, daß wir nicht von einander kommen«, mahnte Fräulein Reder.

Soeben standen sie noch zu dreien hinter einander und hielten sich an den Armen fest. Und mit einem Male war Silly nicht mehr da und spurlos verschwunden.

Auf der Freundin Befehl suchte Amatus, aber mit geringem Eifer, und fand die Vermißte nicht an Bord. Die kleine [,] verschmitzte Person hatte mit der Frau des Stewards alte und oberflächliche Bekanntschaft erneuert und saß in der Kabine derselben hinter der zugezogenen Tür. Ein feines Versteck, dessen er sich nicht vermuten konnte!

»Meine Kousine wird schon an Land sein und drüben in der Allee auf uns warten.«

Klarissa Reder ging neben ihm, etwas zu gemessen, wie er meinte, so daß er ihr nicht den Arm zu bieten wagte. Sie schritten die Allee hinunter und wieder zurück bis ans andere Ende, als wenn sie Silly suchten. Aber die beiden suchten wohl etwas anderes, sie suchten einander und haben sich endlich gefunden.

Rissas Herz pochte, und jeder Fiber fieberte in ihr. Es war ja dieselbe Kastanienallee, die vor vielen Jahren das kindliche Gelübde gehört hatte. Und nun vernahmen die wispernden Baumkronen ein Liebesgeständnis.

Nicht war Junker der Mann, um in die Kniee zu knicken und schwärmerisch[-] überschwängliche Worte zu machen. Innig in ihre Augen sich versenkend, sagte er leise und lang: »Kla–ris–sa!« als wenn er jede Silbe des Worts liebkose.

Die Erwachsene zitterte sprachlos und verschüchtert wie ein Backfisch.

Sein Schnurrbart bewegte sich unmerklich von einem lächelnden, zuversichtlichen Zucken des Mundes. »Sie sagen nicht: Ich heiße Fräulein Reder! Sie verachten mich nicht mehr, nein, Sie dürfen mich ein wenig achten, ich habe meinen Feind überwunden, und wer seine Hand in meine Hand legt, braucht nichts zu fürchten.«

Auch unter sotanen Umständen, in einer so sprachraubenden Situation leiht der Widerspruch dem schwächsten Weibe Worte, und die, der die Rede völlig verschlagen war, rief jetzt laut: »Nein, ich habe Sie nie, nie verachtet, sondern immer … immer …«

»Geliebt? Ja, geliebt!« So vollendete er kecklich ihren Satz, und seine Stimme klang sicher, selig und sieghaft. »Ja, du! Nun darf ich du zu dir und es dir sagen, was lange Zeiten tief gewurzelt, aber wortlos in meiner Brust gewesen und gewachsen ist. Du bist schön und schlicht und ohne allen Schein, du, Klarissa, bist die eine und einzige, die rechte und reine, die ich liebe und immer geliebt.« Er nahm sie sanft in seine Arme. Sie lehnte weich und willenlos den Kopf an seine Schulter, und ihr Blick lag in seinem Auge. So hätte sie ruhen mögen ohne Ende und lauschen seiner Stimme, welche sang: »Klarissa! Heißt das nicht – die ganz Klare? Ja, das ist dein Wesen, du bist klar wie keine – licht und hell und hoch, stark und gut.«

»Aber ich bin – fast zwei Jahre – älter als Sie – als du …« Durch ihr stammelndes Geflüster ging ein Ton, wie das unterdrückte Schluchzen eines unschuldigen Kindes.

Da lächelte er sie an mit dem sonnigsten und schönsten Lächeln seines Lebens. »Darauf tu dir nur nichts mehr zu gute! Ich bin jetzt auch erwachsen geworden, meine Liebste, und, obgleich Schleswigholsteiner, mit dreißig Jahren zum Schwabenverstand und zur Raison gekommen. Darum wollen wir vernünftig miteinander reden! Als selbständiger Bauer bin ich in der Lage, eine Frau und« – er räusperte sich schalkhaft – »und Familie zu ernähren.«

Um den Gedanken, daß sie um des Ernährtwerdens willen heirate, nicht aufkommen zu lassen, sagte Klarissa [später ergänzt: übereilt]: »Mein Amatus, ich komme auch nicht mit ganz leeren Händen. Erinnerst du doch noch des Abends, wo du nach deiner ersten Liebeserklärung unter dem Tische hocktest? Meiner Stiefmutter, die sich an deinen und manchmal auch an meinen Haaren tätlich vergriffen hat, müssen wir dennoch ein dankbares Andenken bewahren. Sie hat bei Lebzeiten eifrig gespart und gekargt und mir reichlich 25 000 Mark hinterlassen.«

Nachdem die Vermögensverhältnisse vernünftig besprochen [später entfallen: und geordnet] waren, setzten sie sich zusammen auf die Bank und wurden unverständig; denn sie küßten sich mit großer Innigkeit und Ausdauer, wie zwei blutjunge Menschenkinder, die zum ersten Male lieben und sich küssen.

Silly kam vom Schiffe und ging auf leisen Sohlen an den Kastanienstämmen entlang. Plötzlich trat sie hervor und wünschte Glück, Glück und lachte unter Tränen. In ihrer Rührung küßte sie Klarissa und dann – zum ersten und zum letzten Male – den Vetter mitten auf den Schnurrbart statt auf den Mund, weil sie im Männerküssen ungeschickt und unerfahren war und blieb.

Im Glück der beiden wollte sie glücklich sein und ist es nach Jahren auch geworden. – – – – –

Der Traum, den Amatus Junker als Kandidat einmal auf dem Heimwege vom Hofe Egeberg geträumt hatte, war in herrliche Erfüllung gegangen.

Er saß als freier Bauer auf eignem Hofe, und in seinem Hause und an seinem Herde schaltete und waltete sein Weib Klarissa, oft hochgeschürzt, mit den bloßen, runden, starken Armen zugreifend.

Es war gekommen, wie es kommen muß, solang ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen wird. Er hat dennoch bei Monikas Lebzeiten eine andre mehr als seine Mutter lieb gewonnen.

Aber Frau Junker, die Gereifte, in Gottseligkeit Geläuterte, war ohne eifersüchtigen Neid und hatte die rechte Liebe, die gibt und hingibt, auch zur Schwiegertochter. Sie wußte in ihrer Demut, daß sie so viel und vielleicht noch ein wenig mehr Raum im Herzen des Sohnes besitze, als ihr gebühre.

Über den Kirkebyer Bauernhof, der im milden Sonnenschein des arbeitsamen und zufriedenen Stillebens lag, zog eine schwere, schwarze Gotteswolke. Eine erschütternde Heimsuchung, die jeden Muttersohn früher oder später treffen muß, wühlte Amatus['] Seele in ihren Tiefen auf.

Am Tische, mitten in der Morgensonne saß Monika und las wie immer die Morgenandacht, nämlich die Worte: »Leben wir, so leben wir dem Herrn, und sterben wir, so sterben wir dem Herrn.«

Da fiel sie in ihrem letzten Leidensanfalle zurück und fuhr mit der Hand nach dem Herzen. Kampflos, schmerzlos, seufzerlos ging ihre Seele, die zu jeder Stunde zum Sterben bereit war, in das Jenseits hinüber.

Ein schönes, seliges Ende!

Und ihre zuckenden Züge glätteten sich zu einer großen, friedseligen Ruhe.

Amatus küßte die erkaltenden Lippen und sah unter Tränen zum unerforschlichen Himmel empor.

Die greise Frau mit den weißen Haaren hatte ein Menschenleben lang getan, was sie konnte, hatte an des Vaters, an seiner Seite gekämpft und endlich den Sieg gewonnen.

Ja, vor vielen Jahren war sie fromm und edel, starkmütig und herzensgut gewesen, und ihre Mutterliebe war ihre Menschengröße.

Ihm hatte der Himmel rechtzeitig für die tote Mutter Ersatz gegeben in Klarissas Liebe.

Bei der Beerdigung fragte er die Kousine: »Silly, willst du nicht zu uns aufs Altenteil und in das Stübchen der Seligen ziehen? Es steht immer für dich fertig und bereit.«

»Nein, jetzt noch nicht, aber vielleicht später als alte Tante will ich bei euch wohnen – und die Kleinen verhätscheln.«

Die Jahre gingen, die Störche zogen her und flogen weg, und die Kleinen kamen noch immer nicht. – – –

Über Monikas Grab leuchtet ein weißes Kreuz, darauf zu lesen ist: Diese sind es, welche gekommen sind aus großer Trübsal.

Der ein lateinischer Bauer gescholten wurde, hat sich als tüchtiger Landmann bewährt. Junker hat gemischten Betrieb, Milchwirtschaft und Mast, Kornbau und Aufzucht und sagt wohl, wenn bei schlechtem Wetter und bei schlechten Preisen die andern jammern, gelassen lächelnd: »Mir kann die Agrariernot zuweilen wohl an den Leib, aber nicht bis an den Hals kommen; denn, wenn das eine fehlschlägt, hält das andre mich über Wasser … will die Ernte nicht, trägt die Molkerei und Mast es mir ein.«

Die Bauern von Kirkeby, die ihn zuerst lauernd beobachtet und ausgelacht hatten, eifern ihm jetzt nach und haben längst statt der Dreifelderwirtschaft neun und mehr Schläge.

Klaus Klümp tut im Wirtshaus, als wenn er die Neuerungen eingeführt habe, und verschwört sich: »Nee ohne de künstliche Düngergeschichte kamen wi nich mehr ut … und lichter as de Steckröben kunn ick min leibliche Svigermutter entbehren.«

Den lateinischen Bauern hält man in Kirkeby für einen eigenartigen Menschen, aber er ist doch hoch geachtet in der Gemeinde.

Nach Jahren der ungetrübten Bauernlust und der ersten Liebe zu seiner eignen Scholle wollte die ausschließliche Bauerntätigkeit seinem regen Geiste nicht allein genügen. Amatus hat eine Liebhaberei, die er in seinen Frei- und Mußestunden treibt. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Haufen Bücher, die er aus der Universitäts-Bibliothek sich hat kommen lassen, und die er sorgfältig mit der Feder in der Hand durcharbeitet. Ganz alte Scharteken mit wunderlichen Buchstaben sind darunter [später ans Satzende gestellt], die er aber mit pietätvollen Fingern anfaßt und am andächtigsten durchliest.

Er treibt die Historie Schleswigholsteins und ist allmählich ein großer Kenner seiner Heimatgeschichte geworden, über die er einmal ein Buch schreiben wird, sobald die Funde und Forschungen, die er gemacht hat, druck- und buchreif geworden sind.

Seine Klarissa, die ihn zum Abendessen ruft, legt den Arm um seine Schulter und küßt ihn auf die Denkerstirn. »Komm, mein Liebli! Du wirst in dem Buche noch so Hervorragendes leisten, daß sie dich zum Doktor der Philosophie machen – und mich nebenbei zur Doktorin.«

Er lacht. »Ja, so weit wird der lateinische Bauer es hoffentlich bringen – um deiner Doktorwürde willen möchte er es – und wenn es ganz gewißlich nicht geschieht, ich habe im Leben gefunden, was ich suchte, einen Beruf, der mich befriedigt, ein Weib, das mich beseligt [später: beseeligt], [später entfallen: und] einen treuen Gott, an den ich glaube. Wer die drei Dinge hat, Klarissa, der ist ein in Wahrheit glückseliger Mann.«


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